Der Zweitspracherwerb. Wie unterstützen Gesten die Beschreibung?


Dossier / Travail de Séminaire, 2020

17 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition von Gesten

3. Methodische Vorgehensweise
3.1 Datenerhebung durch Feldforschung
3.2 Datenaufbereitung durch Transkription
3.3 Datenauswertung nach statischen und dynamischen Formaspekten

4. Unterstützende Funktion von Gesten
4.1 Spezifizierung von konkretem Inhalt
4.2 Spezifizierung von abstraktem Inhalt
4.3 Herstellung von Textbezügen
4.4 Positive Interaktion

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wie wird Sprache erworben? Diese Frage hat unsere Seminargruppe im letzten Wintersemester beschäftigt.

Für eine erste wissenschaftliche Annäherung an Spracherwerb ist1 2 eine Differenzierung zwischen Erst- und Zweitsprache möglich. Ein anderes Wort für Erstsprache ist Muttersprache (Andresen 2016: 185). Wachsen Kinder mit mehr als einer Sprache auf, wird dies nicht als monolingualer, sondern bilingualer beziehungsweise multilingualer Erstspracherwerb bezeichnet. Jedes Kind ist dazu veranlagt eine oder mehrere Erstsprachen zu erwerben (Andresen 2016: 639 f.). Zweitspracherwerb dagegen bezieht sich auf das Lernen einer oder mehrerer Sprachen nachdem der Erstspracherwerb bereits abgeschlossen ist (Glück 2016: 791 f.). Es ist umstritten, ob die angeborene Sprachlernfähigkeit den Zweitsprachlernern noch zur Verfügung steht. Stattdessen sind sie lediglich durch ihre Erstsprache/-n, ihr Weltwissen und ihre Interaktionsfähigkeit beeinflusst (Saville-Troike & Barto 2018: 18).

Während des Erstspracherwerbs eignen sich Kinder an, sich sowohl verbal als auch nonverbal zu verständigen. David McNeill hat auch den parallelen Rückgang der beiden Kommunikationsformen bei Menschen beobachtet, die ihr Sprachvermögen oder Sprachverstehen infolge einer Erkrankung des Sprachzentrums im Gehirn verlieren (Gullberg 2008: 279). Er behauptet redebegleitende Gesten und Lautsprache seien zwei verschiedene Ausdrucksformen mit demselben kognitiven Ursprung7 (vgl. McNeill 1992: 27). Marianne Gullberg hat beobachtet, dass Personen, die anfangen eine Zweitsprache zu erwerben häufiger auf Gesten zurückgreifen (2008: 276 - 296).

Ich beobachtete die Gesten der Schüler und Schülerinnen aus meinem Deutschkurs für Anfänger und Anfängerinnen und beschäftigte mich mit den theoretischen Modellen von den bereits genannten Psycholinguisten, die sich beide vertieft mit Gesten befassten3 4. Auf diese Weise konnte ich nicht nur mehr über den Zusammenhang von Sprache und Gesten herausfinden, sondern auch besser die Herausforderungen beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache verstehen. In dieser Arbeit versuche ich anschaulich zu beantworten wie Gesten die Beschreibung unterstützen. Nach einer einführenden Definition von Gesten erläutere ich meine methodische Vorgehensweise. Im Anschluss erkläre ich anhand von einzelnen Beispielen die unterstützenden Funktionen von Gesten für die Beschreibung. Im Fazit beantworte ich zusammenfassend meine Forschungsfrage.

2. Definition von Gesten

Gesten zählen zu kinesischen Kommunikationsmitteln. Das sind Körperbewegungen und Körperhaltungen, vor allem Hand- und Armbewegungen, die zur non-verbalen Verständigung eingesetzt werden (Staffeldt 2016: 241 f.).

David McNeill klassifiziert sie nach ihrem Verhältnis zur Lautsprache. Die Lautsprache ist gezwungenermaßen abwesend bei der Pantomime und der Gebärdensprache der Gehörlosen. Embleme können zusammen mit Lautsprache auftreten. Als Beispiel sind die in V-Form ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger einer nach außen gedrehten Handinnenfläche zum Ausdruck von Frieden zu nennen. Gesten unterscheiden sich von der Pantomime, der Gebärdensprache und Emblemen insofern, als dass sie nur zusammen mit Lautsprache vorkommen. Daher spricht McNeill auch, wie bereits in der Einleitung erwähnt, von redebegleitenden Gesten (1992: 27, Staffeldt 2016: 241 f.).5

Ein Mann, der vor einer Kaffeemaschine steht, hat sie gerade eingeschaltet, als ein Telefon klingelt. Er dreht sich herum. Gleichzeitig wird die Kameraperspektive weit und schwenkt nach links auf eine rot leuchtende Telefonanlage, die sich auf einem Arbeitsplatz am Ende eines weiträumigen Büros befindet. Dann schwenkt sie wieder zurück zu dem Mann, der noch den letzten Tropfen aus der Kaffeemaschine in seine Tasse abtropfen lässt, bevor er mit der Kaffeetasse in der Hand losrennt in die Richtung des weiterhin läutenden Telefons. Mitten im Gang steht ein Tisch. Er rutscht darüber und rennt weiter. Dann schiebt eine andere Person einen Aktenschrank in denselben Gang. Ein anderer Mann in einem Hemd schaut ihn mit großen Augen an. Der rennende Mann stellt seine Kaffeetasse auf einen Schrank neben sich ab. Dann springt er hoch, stößt sich mit seinem Fuß an der rechten Wand ab und landet in den Stuhl des Arbeitsplatzes, auf dem das läutende Telefon liegt. Er greift danach, führt das Telefon an sein Ohr und meldet sich: „Guten Tag, Barmenia Versicherung Frank Berger.“. Es wird wieder das Gesicht seines Kollegen gezeigt, der nun lächelt. Die dramatische Begleitmusik wechselt in eine Lustige.

Ich ließ die chilenische und US-amerikanische Schülerin dasselbe Video auch auf ihrer Muttersprache beschreiben. Tatsächlich gestikulierten sie deutlich mehr auf ihrer Zweitsprache Deutsch als auf ihrer Muttersprache (siehe Einleitung).

3.2 Datenaufbereitung durch Transkription

Meine erhobenen Daten transkribierte ich mithilfe des Programmes Elan. In dieses Programm konnte ich meine Gesprächsaufnahmen, Bild und Ton, einspielen. Durch die Zeitlupen- und Wiederholfunktion war es mir möglich die Gesten der Informanten genauer zu beobachten. Die mündlichen Äußerungen der Sprecher übertrug ich nach gängigen Transkriptionskonventionen in gesonderte Zeilen (Auer 2013: 433). Die redebegleitenden Gesten beschrieb ich in ihrer Form in einer neuen Zeile, darunter.

Gesten sind in der Regel in drei Phasen strukturiert: „preparation - stroke - retraction“ (McNeill 1992: 78). In der vorbereitenden Phase werden sie Hände oder auch Arme in eine bestimmte Körpergegend, dem sogenannten Gestenort, bewegt und geformt. In der Hauptphase verweilen die Hände dort in ihrer Form oder führen eine bestimmte Bewegung aus. Die Geste wird beendet, indem die Hände wieder zurückbewegt werden und ihre Form auflösen. Durch die Gestenphasen können die Grenzen zwischen mehreren Gesten bestimmt werden. In der Transkription der Lautsprache habe ich diese mit geschweiften Klammern {} markiert. Auf diese Weise sind auch genau die während den Phasen gemachten verbalen Äußerungen zu bestimmen. So wie sie dem Gesprächspartner helfen die simultanen Gesten zu erkennen, helfen sie bei der wissenschaftlichen Analyse der Interpretation der einzelnen Gesten.

Die Hauptphase der Geste, den sogenannten stroke, markiere ich zusätzlich durch Großschreibung in der Zeile der begleitenden verbalen Äußerungen. Es kommen auch Sprechpausen derweil vor. In diesem Fall steht + statt Worten.

3.3 Datenauswertung nach statischen und dynamischen Formaspekten

Nach dem Metzler Lexikon Sprache gelten statische und dynamische Formaspekte als eine wichtige Beschreibungsebene der Gesten (Staffeldt 2016: 242).

McNeill hat für vier verschiedene Kategorien von Gesten präzise Formmerkmale definiert. Eine wesentliche Unterscheidung sind bildhafte von nicht bildhaften Gesten. Bildhafte Gesten werden nochmal differenziert in Ikonische, Metaphorische und Deiktische. Mit ikoni- schen Gesten wird etwas Konkretes nachgestellt, mit Metaphorischen etwas Abstraktes. Mit deiktischen Gesten wird auf etwas Konkretes oder auf vorausgehende Orte von bildhaften Gesten gedeutet. Nicht bildhafte Gesten, sogenannte „beats“ sind rhythmische Schläge (McNeill 1992: 80). Sie finden anders als bildhafte Gesten in nur zwei statt drei Phasen statt. Aus einer bereits eingenommenen Position heraus werden zwei Bewegungen durchgeführt (McNeill 1992: 78 ff.).

Zur qualitativen Analyse ikonischer und metaphorischer Gesten werden zunächst die Hände durch folgende Merkmale genauer bestimmt. Wird die rechte oder linke Hand verwendet? Wie sind die Hände geformt? Wie sind Handinnenfläche und die Finger ausgerichtet? Wo sind die Hände im Gestenraum positioniert? (McNeill 1992: 81).

Als Nächstes ist die Bewegung folgendermaßen zu konkretisieren. Welche Form hat der Bewegungsweg? Wo wird die Bewegung von den Händen oder Armen artikuliert und in welche Richtung wird sie ausgeführt? (McNeill 1992: 81).

Zuletzt wird die Bedeutung der Hände, der Bewegung und des Körpers unabhängig voneinander bestimmt. Was stellt die Hand dar und welche Sichtweise bringt diese Darstellung mit sich? Was stellt die Bewegung dar und welche Sichtweise folgt daraus? Gibt es Bewegungsmerkmale, die markiert sind, das heißt herausstechen, wie zum Beispiel Art der Bewegung, Richtung, Art des Weges oder Zielpunkt? Kontrastiert der Körper mit der Darstellung der Hand oder der Bewegung? (McNeill 1992: 81).

Darüber hinaus gehört zur Analyse metaphorischer Gesten auch die übertragene Bedeutung ihrer Darstellung darzulegen (McNeill 1992: 81).

Deiktische Gesten werden nur über die Handform, die Verwendung der rechten oder linken Hand und den Punkt, auf den die Hand oder typischerweise der ausgetreckte Zeigefinger verweisen, analysiert (McNeill 1992: 81).

Falls die Hände typischerweise geöffnet und kurze Auf-und-Ab- oder Seitenbewegungen ausführen, werden rhythmische Gesten nur über ihre zeitliche Koordinierung mit der Lautsprache analysiert (McNeill 1992: 81).

Mithilfe dieser qualitativen Analysewerkzeuge konnte ich die unterstützenden Funktionen der von den Informanten zur Beschreibung verwandten Gesten klären. Darum wird es im nächsten Kapitel gehen.

4. Unterstützende Funktionen von Gesten

4.1 Spezifizierung von konkretem Inhalt

In dem kurzen Werbefilm kommen nicht nur verschiedene konkrete Ereignisse und Gegenstände vor, sondern sie bestimmen auch die Handlung. Zur Beschreibung mangelt es den Informanten an spezifischen verbalen Ausdrücken und sie bedienen sich ikonischen und selten deiktischen Gesten.

Das Rennen im Video wird von allen Informanten beschrieben. Wie die Deutschlernenden dies tun, möchte ich an dem Beispiel 1 erklären.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ikonisch: beide Hände, zu Fäusten geballt, bewegen sich abwechselnd nach oben und unten

Mit der Aussprache von dem Hilfsverb hat richtet die Informantin beide Unterarme im rechten Winkel vor dem Körper, die beiden Hände ballen sich zu Fäusten. Die Handflächen sind nach Innen ausgerichtet. Erst danach, zeitgleich mit dem Partikel ähm, bewegen sich die Unterarme abwechselnd nach oben und nach unten. Diese Bewegung und die Form der Arme und Hände ähneln denen einer rennenden Person beziehungsweise denen des im Video gezeigten Mannes, als dieser rennt. Bei der Ausführung der Geste versetzt sich die Sprecherin in die Lage des Charakters aus dem Video. Diese ikonische Geste hebt die Art der Bewegung hervor. Der Gesprächspartner kann sogar bei der Wortsuche aushelfen.

Die Probandin aus dem Beispiel 1 führt eine Geste anstelle des Partizips gerannt aus. Hier wird das prädikative Satzglied hat gerannt teils durch Verbalisierung, teils durch Gestikulieren geäußert. So ein Phänomen wird als gemischte Syntax bezeichnet (Gullberg 2008: 279).

Zwei andere Informanten nutzen dieselbe ikonische Geste zur Beschreibung desselben Bewegungsereignisses, umschreiben es aber zusätzlich verbal mit dem Bewegungsverb laufen. Ausschließlich die vierte englischsprachige Informantin verwendet nicht diese Geste zur Beschreibung, weil sie als Einzige die deutsche Vokabel rennen anwenden kann. Das ist im Kontrast zu der spanischsprachigen Probandin zum Beispiel durch ihre muttersprachlichen Vorkenntnisse zu erklären. Die Herausforderung stellt die zweifache Bedeutung des Bewegungsverb rennen oder run im Englischen dar. Anders als laufen beinhaltet es zusätzlich die Bedeutung der Bewegungsart. Diese fehlende Information wird durch die oben beschriebene Geste geliefert.

Die Möbel, zu denen der Mann aus dem Video hinrennt, auf dem das klingelnde Telefon liegt beziehungsweise in das er schließlich hineinspringt, werden überhaupt nur von drei Informanten beschrieben. Verbal umschreiben sie die Gegenstände höchstens durch die Nominalphrasen „kleine office“, „Sitz“ oder „Tisch“. Die vierte Informantin lässt diesen inhaltlichen Teil bei ihrer Beschreibung des Videos aus. Zwei von den drei Informanten führen eine ikonische Geste wie in Beispiel 2 aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ikonisch: beide Hände, Handflächen nach unten und seitlich nach Innen ausgerichtet, bewegen sich auseinander und wieder zusammen auf je horizontaler sowie vertikaler Linie

Beide Hände mit den Handflächen nach unten gerichtet bewegen sich auf gerader vertikaler Linie auseinander. Dann dreht sich das Handgelenk, sodass die beiden Handflächen seitlich zueinander ausgerichtet sind. In dieser Form bewegen sie sich nach unten. Diese Bewegung wird rückwärts wiederholt. Der Bewegungsweg stellt die Form eines Tisches dar und ähnelt damit dem Arbeitsplatz aus dem Werbefilm.

Nur eine Informantin versucht eine präzisere Beschreibung des Arbeitsplatzes durch deiktische Gesten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Deiktisch: 3 Mal verweisen beide flachen Hände wiederholend auf den Stuhl, auf dem die Sprecherin sitzt, zuletzt mit ihren beiden Zeigefingern

[...]


1 Unterstützende Funktion von Gesten 5

2 Fazit 13

3 In dieser Arbeit verwende ich den verkürzten Begriff Gesten, beziehe mich dabei aber auf McNeills Definition.

4 Aus Vereinfachungsgründen gilt die maskuline Form für den maskulinen als auch femininen Genus

5 Methodische Vorgehensweise

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Der Zweitspracherwerb. Wie unterstützen Gesten die Beschreibung?
Université
Free University of Berlin
Note
1,3
Auteur
Année
2020
Pages
17
N° de catalogue
V1012867
ISBN (ebook)
9783346405036
ISBN (Livre)
9783346405043
Langue
allemand
Mots clés
zweitspracherwerb, gesten, beschreibung
Citation du texte
Lydia Zabel (Auteur), 2020, Der Zweitspracherwerb. Wie unterstützen Gesten die Beschreibung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012867

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Der Zweitspracherwerb. Wie unterstützen Gesten die Beschreibung?



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur