Burnout im Lehrerberuf. Welche Maßnahmen zur Prävention und Intervention stehen Schulleitungen zur Verfügung?


Fachbuch, 2021

73 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Besonderheiten des Lehrberufs
2.1 Anforderungen und Aufgaben im Lehrberuf
2.2 Die Lehrperson in verschiedenen Rollen
2.3 Widersprüchlichkeiten im Lehrberuf

3 Theoretische Grundlagen zu Belastung, Stress und Beanspruchung
3.1 Definitionen
3.2 Belastungsmodelle

4 Befragungs- und Untersuchungsbefunde zu Belastungsfaktoren in der Lehrarbeit
4.1 Allgemeine Belastungen im Lehralltag
4.2 Lehren und Lernen im Umbruch
4.3 Ausgeprägte Arbeitsverlagerung
4.4 Druck von außen und oben
4.5 Störendes Verhalten von Schülerinnen und Schülern
4.6 Individueller Perfektionismus und mangelnde Arbeitsökonomie
4.7 Strapaziöses Helfersyndrom
4.8 Unzulängliche Teamfähigkeit
4.9 AVEM- Belastungsstudie

5 Das Burnout-Syndrom
5.1 Begriffsklärung Burnout
5.2 Burnout-Phasen
5.3 Symptomatik von Burnout
5.4 Mögliche Bedingungsfaktoren des Burnouts

6 Ausgewählte Präventions- und Interventionskonzepte
6.1 Potsdamer Trainingsmodell
6.2 Präventionsprogramm AGIL: „Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf“
6.3 Vergleich beider Präventionskonzepte

7 Praxisbezogene Präventions- und Interventionsmaßnahmen
7.1 Maßnahmen auf individueller Ebene
7.2 Maßnahmen auf schulorganisatorischer Ebene
7.3 Maßnahmen auf bildungspolitischer Ebene
7.4 Präventionskonzept für die Freie Grundschule Quickborn

8 Schlussfolgerung

9 Literaturverzeichnis

10 Anhang

Abkürzungsverzeichnis

ABC-L Arbeitsbewertungscheck für Lehrkräfte

AGIL Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf

AVEM Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster

bzw. beziehungsweise

etc. et cetera

MBI Maslach-Burnout Inventory

u.a. unter anderem

usw. und so weiter

vgl. vergleiche

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung

Abbildung 2: Das transaktionale Stressmodell

Abbildung 3: Phasenmodell zur Burnout-Entwicklung nach Cherniss 1980

Abbildung 4: Burnout-Phasen nach Burisch

Abbildung 5: Beispiel für den Ablauf einer systematischen Problemlösung

Abbildung 6: Bogen zur Zielableitung am Ende des Trainings

Abbildung 7: Teamdiagnose-Bogen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Lehrerarbeitszeit nach Schulformen und Arbeitsbereichen in Prozent

Tabelle 2: Die AVEM-Dimensionen

1 Einleitung

Das Bild einer Lehrkraft ist durch die eigene Schulerfahrung sehr emotional geprägt und es bestehen viele Vorurteile. ‚So gut möchte ich es auch mal haben: Halbtagsjob mit zwölf Wochen Ferien, bei dem Gehalt und sicherer Pension.‘ Aber Untersuchungen zeigen, dass hohe Belastungen und Beanspruchungen im Lehrberuf existieren (vgl. Schaarschmidt, 2004, S.15). Immer wieder wird in Medien vom bedenklichen Gesundheitszustand sowie der erhöhten Krankheitsanfälligkeit von Lehrkräften berichtet. Lehrerinnen und Lehrer werden als die ‚Ausgebrannten‘ bezeichnet, die durch die Schule krank werden. Mehr als die Hälfte der Pädagoginnen und Pädagogen stehe demnach vor einem physischen und psychischen Kollaps (vgl. Götz, 2018). In der Sendung „Quarks & Co“ (Erstausstrahlung 21.08.2012) wird von einer extremen Belastung bei Lehrerinnen und Lehrern gesprochen, wobei 29% ein erhöhtes Burnout- Risiko aufweisen und ein weiteres Drittel gefährdet sei (vgl. Rothland, 2016, S.12).

Die Belastungen der Lehrerinnen und Lehrer nehmen zu und werden vielschichtiger. So gewinnt die Erziehungsaufgabe, neben der Vor- und Nachbereitung sowie der Vermittlung des Unterrichtsstoffes, eine zunehmende Bedeutung (vgl. Prof. Dr. Schnell, 2018, S.240). Weiterhin geraten Lehrerinnen und Lehrer, aufgrund der Notwendigkeit der Erfüllung verschiedener Rollen, im Schulalltag immer wieder in Grenzsituationen. Sie sind Autoritätsperson, Unterrichtender, Vorbild, Pädagogin, Therapeut und letztlich die eigene, angreifbare und verletzbare Person. Auch wenn dieser Beruf so viele Facetten verlangt, kann eine Lehrperson immer nur eine Rolle gleichzeitig annehmen, während sie zu selben Zeit verschiedene Rollen erfüllen sowie auf unterschiedlichen Ebenen agieren muss. Dies macht die psychische Belastung des Lehrberufes aus. Oftmals geraten Lehrerinnen und Lehrer während und außerhalb des Unterrichtes in Grenzsituationen, in denen sie pädagogisch-verändernd einwirken sollen, bei gleichzeitig drohendem Autoritätsverlust sowie dem persönlichen Empfinden von Wut und Ärger, was z. B. durch verbale Aggressionen seitens der Schülerinnen und Schüler ausgelöst werden kann. Während eine Lehrperson eine Rolle annimmt, vernachlässigt sie eine andere, was eine hohe sozial-kommunikative, emotionale und motivationale Anstrengung erfordert (vgl. Meyer, 1994, S. 24).

Studien zeigen, wie blockiert und stark überfordert sich zwei Drittel der Lehrkräfte fühlen, was wiederum bei 3-5% zum Burnout-Syndrom führt (vgl. Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015, S. 347f.). Dieser Zustand ist alarmierend und nicht bloß mit dem Verweis auf die ‚wehleidige Lehrerschaft‘ zu ignorieren. Vor allem Schulleitungen, die die Überforderungen der Lehrkräfte nicht wahrhaben wollen, laufen Gefahr, den Zeitpunkt zum Gegensteuern zu verpassen (vgl. Klippert, 2007, S. 12).

Als stellvertretende Schulleitung einer Grundschule möchte ich daher diesen Aspekt genauer beleuchten. In dieser Masterarbeit geht es daher im ersten Teil um die Besonderheiten des Lehrberufs sowie die damit zusammenhängenden Belastungsfaktoren. Des Weiteren werden Ursachen der Belastungsmomente im inner- sowie außerschulischen Umfeld dargestellt und Belastungsstudien herangezogen. Im zweiten Teil wird das Burnout-Syndrom näher beleuchtet und aufgezeigt, wie es zum Burnout kommen kann und welchen Einfluss es auf die Lehrkräfte in Bildungsorganisationen nimmt. Vor allem aber soll zum einen deutlich werden, was Lehrkräfte und vor allem Schulleitungen tun können, um die Gesundheit aller in der Schule Beteiligten zu fördern, und zum anderen welche Präventions- und Interventionskonzepte bisher bestehen. Zwei dieser Konzepte werden im letzten Teil vorgestellt und miteinander verglichen. Anhand der dargestellten präventiven und intervenierenden Maßnahmen wird abschließend ein kurzes, selbst entwickeltes Präventionskonzept anhand der Freien Grundschule Quickborn dargestellt.

2 Besonderheiten des Lehrberufs

2.1 Anforderungen und Aufgaben im Lehrberuf

Der Lehrberuf ist ungemein vielfältig. An die Lehrkräfte stellt er komplexe Anforderungen, die sie in der Schule, aber auch außerhalb erfüllen sollen. Aus eigener Erfahrung steigen die Ansprüche an die Pädagoginnen und Pädagogen, was sich zunehmend in verschiedenen Veröffentlichungen in den Medien widerspiegelt (vgl. Eissele & Hauser, 2004, S. 1). Die Sensibilität dafür in der Öffentlichkeit steigt angesichts des Umstandes, dass für Lehrkräfte nicht mehr nur Bildungsaufgaben zentral sind. Sie sind einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit in intensivem Kontakt mit Kindern und Heranwachsenden. Oft ist die soziale Interaktion dabei auf aktuelle Probleme der Schülerinnen und Schüler zentriert, einhergehend mit Gefühlen negativer Art. Hierzu zählen z. B. Ärger, Verlegenheit, Furcht oder Verzweiflung. Lösungen dieser Probleme sind nicht immer leicht zu erkennen oder zu erreichen, sodass eine solche Situation oft zweideutig und frustrierend werden kann, was wiederum zu emotionalen Stress führt (vgl. Bieri , 2002). Lehrkräfte vermitteln also nicht nur Wissen, sondern sind auch Sozialarbeiterin oder Psychologe, teilweise auch ein Elternersatz. In einer Klasse befinden sich im Durchschnitt circa fünfundzwanzig Schülerinnen und Schüler, oft mit unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Leistungsfähigkeit und Motivation sowie unterschiedlichem Interesse und Verhalten. Pro Tag kann eine Lehrkraft sechs unterschiedliche Unterrichtsstunden in unterschiedlichen Klassen absolvieren. Pausen werden überwiegend für Gespräche, Raumwechsel oder das Nachgehen der Aufsichtspflicht genutzt (vgl. Schaarschmidt, 2004, S.15f.). Nicht nur Kenntnis des Lehrstoffes und die erforderliche Didaktik werden für das Unterrichten benötigt, sondern auch eine fokussierte und verteilte Aufmerksamkeitsleistung sowie eine hohe sozial-kommunikative, emotionale und motivationale Fertigkeiten. Darüber hinaus zählen Durchsetzungsfähigkeit, Selbstbehauptung, soziale Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein sowie ein hoher Arbeitsanspruch zum Anforderungsprofil einer Lehrperson (vgl. ebd.) Neben der Planung und Durchführen des Unterrichtes bzw. einer Unterrichtsreihe finden verschiedene Arbeitsgruppen oder Konferenzen zur Schul- und Organisationsentwicklung statt. Hinzu kommen die innerschulische Zusammenarbeit, die Verwaltungsaufgaben, die Klassenleitung sowie das Planen und Durchführen von Klassenfahrten mit externen Kooperationspartnern (vgl. Heyse, 2011). Dabei ist ein diszipliniertes Arbeits- und Zeitmanagement aufgrund gedrängter Kommunikation sowie eines dichten Beziehungsgeflechts und dienstlicher Verpflichtungen während und außerhalb der Unterrichtszeit für eine vollzeittätige Lehrkraft mit mehr als 51 Wochenstunden notwendig (vgl. ebd.). Im Beschluss der Kultusministerkonferenz im Dezember 2000 werden folgende Aufgaben einer Lehrkraft genannt:

1. Unterrichten
2. Erziehen
3. Beurteilen/ Beraten
4. Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen
5. Weiterentwicklung der eigenen Schule (KMK, 2000)

Das Unterrichten zählt zu den Kernaufgaben der Lehrerinnen und Lehrer und beinhaltet „die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation“ (KMK, 2000, S. 2). Mit Hilfe der Vermittlung von verschiedenen Kenntnissen und Fertigkeiten in unterschiedlichen Methoden fördert der Pädagoge bzw. die Pädagogin ein lebenslanges und selbstständiges Lernen bei den Schülerinnen und Schülern, geprägt von seinen menschlichen und professionellen Fähigkeiten. Darüber hinaus sollten die Pädagoginnen und Pädagogen mit fachwissenschaftlichen, pädagogisch-didaktischen und soziologisch-psychologischen Kompetenzen sowie kommunikativen und sozialen Fähigkeiten die Lernenden fördern und motivieren, sie fordern, ohne zu überfordern (KMK, 2000). Eine weitere Aufgabe ist die Erziehung junger Menschen, die auf eine bewusste Einflussnahme der Persönlichkeitsentwicklung (positive Wertorientierung, Haltung und Handlung) in enger Zusammenarbeit mit den Eltern abzielt. Eine faire Beurteilung seitens der Lehrkräfte im Unterricht sowie die Forderung eigene Leistungen und Anstrengungen real einzuschätzen, beeinflussen die Bildungschancen jedes Einzelnen und ebnen somit den Weg für Ausbildungs- und Berufswege. Es gilt des Weiteren Fort- und Weiterbildungsangebote zur stetigen Kompetenzerweiterung zu nutzen, sowie Kontakte zu außerschulischen Kooperationspartnern zu pflegen. Um die Schulkultur lernförderlich zu gestalten, ist weiterhin eine Beteiligung an der Schulentwicklung unabdingbar. Dazu zählen die Mitarbeit in schulübergreifenden Gremien und Institutionen sowie die Umsetzung des Schulprogramms durch aktive Mitwirkung, Mitverantwortung und Teamarbeit. Für die Sicherung der Qualität einer Schule sowie für wissenschaftliche, fundierte Leistungsvergleiche finden externe und interne Evaluationen statt, welche die Pädagoginnen und Pädagogen ebenso unterstützen.

Dies alles kann aber auf Dauer nur dann gelingen, wenn Lehrerinnen und Lehrer „von der Öffentlichkeit, den Eltern, der Wirtschaft, den Hochschulen und den Medien Rückhalt erfahren bei der Erfüllung ihrer verantwortungsvollen und schwierigen Aufgabe. Es ist Verpflichtung und Verantwortung von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung für Lehrerinnen und Lehrer die erforderlichen Rahmenbedingungen zu sichern, damit sie den hohen Erwartungen gerecht werden können“ (KMK, 2000, S. 5).

Deutlich wird, dass sich alle Aufgaben auf die Kernaufgabe das Unterrichtens beziehen und sich die Qualität einer Lehrkraft an der Qualität des Unterrichts bemisst. Allein wenn die Merkmale von Unterrichtsqualität genauer betrachtet werden, so zeigen sich mannigfaltige Heraus- und Anforderungen lediglich bei der Ausübung der Aufgabe des Unterrichtens:

1. Klassenführung (Prävention und Intervention von Störungen und Disziplinproblemen)
2. Klarheit, Verständlichkeit, Strukturiertheit (senderbezogen, empfängerbezogen, prozess- und inhaltsbezogen)
3. Konsolidierung, Üben (Festigung, Automatisierung, Vertiefung, Transfer, Anwendung und Vermittlung von Übungsstrategien sowie Formulierung anspruchsvoller Übungsaufgaben)
4. Aktivierung (kognitive, soziale und körperliche Aktivierung, aktive Teilhabe der Schülerin oder des Schülers an Planung und Durchführung des Unterrichts)
5. Motivierung (motivationale Fremdsteuerung wird durch motivationale Selbststeuerung ersetzt durch u.a. Lernmotivation durch Lebensweltbezug, kognitive Konflikte)
6. Lernförderliches Klima (Fehlerkultur, Lernatmosphäre, Umgang mit Leistungsangst, Unterrichtstempo)
7. Schülerorientierung (Orientierung an Interessen und Vorwissen, Mitentscheidung, Mitgestaltung)
8. Umgang mit Heterogenität (Passung, Differenzierung und Individualisierung)
9. Angebotsvielfalt (Methodenvielfalt, Medien, Aufgabentypen, Lernorte)
10. Kompetenzorientierung

(Rothland, 2013, S. 29)

Es wird deutlich, dass die Ansprüche an den Lehrberuf hoch und komplex sind und an die Lehrkraft verschiedene Erwartungen gestellt werden.

Im Folgenden sollen nun die verschiedenen Rollen und die damit verbundenen Erwartungen an eine Lehrperson genauer betrachtet werden.

2.2 Die Lehrperson in verschiedenen Rollen

Die Lehrerrolle wird in Anlehnung an die soziologische Rollentheorie durch die Summe der öffentlichen Verhaltenserwartungen unterschiedlicher Bezugsgruppen definiert. Aufgrund heterogener, widersprüchlicher Erwartungen kann ein Intra-Rollenkonflikt entstehen (vgl. Rothland, 2013, S. 30). Dies bedeutet, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler Erwartungen an die Lehrkräfte stellen, sondern auch die Eltern, das Lehrerkollegium, die Schulleitung, die Schulaufsicht und die Politik. Alle diese Bezugsgruppen richten Ansprüche an die Pädagoginnen und Pädagogen, sodass ihre Rolle schnell einen widersprüchlichen Charakter annehmen kann. So können die Erwartungen an die Lehrkraft seitens der Schülerinnen und Schüler den Erwartungen seitens der Kollegen oder Eltern widersprechen (vgl. Terhart, Bennewitz, & Rothland, 2014, S.948). Für die Schülerinnen und Schüler gilt die Lehrkraft als beratender und helfender Fachmann bzw. Fachfrau, welche fachlich kompetent unterrichtet, gut erklären kann und für Ordnung im Unterricht sorgt. Darüber hinaus ist ihnen eine gute und freundschaftliche Beziehung wichtig, in der sich die Lehrkraft fair und gerecht, freundlich, nett, kritikfähig sowie leitend aber auch teamfähig zeigt (vgl. ebd.). Im Hinblick auf die Erwartungen der Schülerinnen und Schüler an die Lehrkraft ergeben sich somit folgende Aufgaben: Unterrichten, Beraten, Helfen, Erziehen und Zusammenarbeiten. Eltern erwarten zusätzlich, dass die Lehrkraft die Rolle als Partner bzw. Ratgeberin übernimmt und neben der Wissensvermittlung und Förderung ihres Kindes auch eine Entlastung, sowie Verwahrung stattfindet. Schule bildet somit einen Ort der Vermittlung zwischen Familie und Gesellschaft (vgl. ebd.).

Während Kolleginnen und Kollegen ebenso Anteilnahme, Unterstützung, Entlastung, Hilfe und Kooperation sowie Solidarität erwarten, fordern Vorgesetzte eine Entwicklung und Legitimation der Schule, in der alles funktionieren soll. Gegenüber dem Kollegium übernimmt die Lehrkraft die Rolle des Mithelfers und Mitstreiters und gegenüber der Schulleitung die Rolle des Kontrolleurs, Organisators, Funktionsstelleninhabers, Imagepflegers, Schulentwicklers und Lernenden. Aufgaben wie Verwalten, Organisieren, Beaufsichtigen, Funktionsaufgaben übernehmen sowie Öffentlichkeitsarbeit betreiben zählen somit ebenso zum Beruf der Lehrkraft. Ein weiterer Erwartungsträger ist die Öffentlichkeit und die Politik, die sich zusätzlich Enkulturation (das Hineinwachsen des Einzelnen in die Kultur), Allokation (Zuweisung von finanziellen Mitteln), sowie Integration wünschen. Die Übernahme der Rollen des Schullaufbahnberaters, Berufsberaters, Verwahrers und Therapeuten kommen hinzu (Jung-Strauß, 2000). Die Erwartungen von Schülern, Eltern, Kollegen, Vorgesetzten und der Öffentlichkeit sind somit nicht nur vielfältig, sondern auch zum Teil widersprüchlich (vgl. Rothland, 2016, S.21). Da die Lehrperson gleichzeitig nicht alle Erwartungen erfüllen kann, muss diese sich situationsabhängig für die eine oder andere Rolle und Handlungsweise entscheiden. Dies deutet auf Antinomien im Lehrerhandeln hin.

2.3 Widersprüchlichkeiten im Lehrberuf

„Unter dem Begriff Antinomien können Spannungsverhältnisse gefasst werden, deren jeweils gegensätzliche Pole für sich genommen beide ihre Berechtigung haben, im Prinzip gleichwertig und jeweils anzustreben sind, aber aufgrund ihrer prinzipiellen Gegensätzlichkeit nicht beide gleichzeitig zur Anwendung kommen können und unter bestimmten Bedingungen unterschiedlich gewichtet werden (müssen).“ (Rothland, 2013, S. 31).

Nach Helsper (2000) können fünf Antinomien des Lehrerhandelns unterschieden werden: Während eine affektive Nähe zur heranwachsenden Persönlichkeit erwartet wird, muss die Lehrkraft gleichzeitig professionell distanziert und neutral gegenüber seinen Schülerinnen und Schülern sein (Nähe-Distanz-Antinomie), fachwissenschaftlich, allgemeingültiges Wissen vermitteln, das ebenso alltagsnah und an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler angepasst ist (Antinomie von Person und Sache). Dabei spielt einerseits die Gleichbehandlung (gerechte, gleichmäßige Förderung und Bewertung) eine wesentliche Rolle, andererseits sollen Schülerinnen und Schüler individuell gefördert und unterstützt werden. Eine verstärkte Förderung des Einen bedeutet weniger Zuwendungsmöglichkeiten für die Anderen (Antinomie von Einheitlichkeit und Differenz). Formalisierte Muster (Stoffverteilungen, Unterrichtsrhythmus, Stundenpläne etc.) erschweren es den Lehrpersonen, offen und individuell mit den Schülerinnen und Schülern zu interagieren (Antinomie von Organisation und Interaktion). Als letzte Antinomie beschreibt Helsper das Spannungsverhältnis zwischen der Förderung lebenspraktischer Selbst- und Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler bei gleichzeitiger Abhängigkeit und Unselbstständigkeit in der Schülerrolle (Antinomie von Autonomie und Heteronomie) (vgl. Helsper, 2000, S.142ff.).

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Aufgrund der zahlreichen Widersprüche, Intra-Rollenkonflikte und gegensätzlichen Erwartungen ist eine zufriedenstellende Erfüllung aller Anforderungen und Aufgaben einer Lehrkraft nur schwer zu erreichen, was signifikante Auswirkungen auf das Berufs- und Belastungserleben und somit auf die psychische Gesundheit der Lehrkräfte hat.

3 Theoretische Grundlagen zu Belastung, Stress und Beanspruchung

3.1 Definitionen

Die Begriffe ‚Belastung‘, ‚Beanspruchung‘ und ‚Stress‘ sind im alltäglichen Leben weit verbreitet, besonders mit Blick auf den Lehrberuf. Oft werden sie synonym verwendet und geläufig sind Aussagen wie ‚Ich bin im Stress‘ oder ‚Ich fühle mich unter Stress‘. Somit drückt Stress sowohl mögliche Umweltanforderungen (Stressoren) oder Belastungen aus als auch die Beanspruchung, wenn die Stressoren die eigenen Ressourcen übersteigen (vgl. Rothland, 2013, S.44).

In der Arbeitswissenschaft wird Belastung „als objektive, von außen auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren wie etwa Lärm oder Hitze verstanden (Stressoren).“ (Hillert & Marwitz, 2006, S. 144). Deren einhergehende subjektive, individuelle Verarbeitung des Organismus, wird als Beanspruchung bezeichnet (vgl. ebd.). Der Brockhaus bezieht dagegen die physische und psychische Ebene mit ein und folgert, dass Belastung eine „starke körperliche und seelische Beanspruchung durch anhaltende äußere oder innere Aktivität oder Reizeinwirkung“ (Brockhaus, 2000, S.252) ist.

Detaillierter ist die Definition von Rudow, da dieser darüber hinaus zwischen drei Arten von Belastung unterscheidet: körperlicher (Anforderung an Muskelkraft und physiologische Regulationssysteme), psychischer (geistige Anforderungen) und sozialer (sozial-interaktive Anforderungen). Für die psychische Belastung und Beanspruchung haben sich nach Rudow folgende Definitionen durchgesetzt: „Psychische Belastung: Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn wirken. Psychische Beanspruchung: Die zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung auf die Einzelperson in Abhängigkeit von ihren eigenen habituellen und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen Auseinandersetzungsstrategie“ (Rudow, 2000, S. 36).

Wie anfangs schon erwähnt, wird jedoch auch der Begriff ‚Stress‘ für berufliche Belastungen verwendet. In der TV-Sendung „Quarks & Co“ mit dem Titel „Der Lehrer- Das unbekannte Wesen“ spricht der Moderator und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar über die Belastung und Beanspruchung der Lehrkräfte und resümiert: „eines steht fest: Lehrer stehen unter Stress.“ (Quarks & co, 2012, 37:12). Doch was bedeutet dieser Begriff?

Stress ist ein nicht zwangsläufig auf den Beruf bezogenes Phänomen und wird in drei Perspektiven unterschieden:

1. Stress als personenseitige Reaktion auf Umwelteinflüsse (klassische Tradition von Selye)
2. Stress aufgrund eines Umweltreizes, der auf das Individuum einwirkt. Diese Umweltreize nennt man Stressfaktoren oder Stressoren (Tradition der Life-Event Forschung)
3. Stress als eine Interaktion zwischen Person und Umwelt, wobei ein Ereignis, die inneren oder äußeren (oder beide) Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit eines Menschen beansprucht oder übersteigt (transaktionelles Stressmodell)

(Rothland, 2013, S. 55)

In einem Beispiel bezüglich Korrekturarbeiten unter Bedingungen wie Zeitdruck merkt Ulich an, dass Stress und psychische Belastung nur schwer voneinander abzugrenzen sind, da oftmals das Gefühl entsteht, der Anstrengung nicht gewachsen zu sein. Ein Übergang ist also fließend. Die Korrekturarbeiten wären in diesem Fall der Stressor, der nur zum Stress führt, wenn er die Anstrengung übersteigt (vgl. Ulich, 2011, S. 731).

Da die Belastungsforschung unterschiedliche theoretische Ansätze aufzeigt, entwickelte Rudow das Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung. Dieses und weitere Modelle zur Analyse von Belastungen im Lehrberuf sollen nun vorgestellt werden.

3.2 Belastungsmodelle

Belastungsmodelle dienen zum besseren Verständnis von ‚Belastung‘ und ‚Beanspruchung‘. Im Rahmenmodell von Rudow werden Belastungen, Beanspruchungsreaktionen sowie deren Folgen und mögliche Beziehungen dargestellt. Dadurch werden Zusammenhänge zwischen den Tätigkeitsanforderungen, der Belastung, der Beanspruchung und den arbeitsbedingten Erkrankungen in der Lehrarbeit deutlich (vgl. Rudow, 2000, S. 129f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung (in Anlehnung an Rudow, 1994, S.43, 47, 50)

Wie in der Abbildung ersichtlich, unterscheidet Rudow zwischen objektiven und subjektiven Belastungen. ‚Objektive Belastungen‘ bezeichnet alle von der Lehrkraft unabhängigen Faktoren in der Tätigkeit (Arbeitsaufgaben) sowie die Arbeitsbedingungen (z. B. räumliche und materielle Ausstattung der Schule, Schülerzahlen etc.). Aus der Bewertung der objektiven Belastung entwickelt sich dann die subjektive Belastung (‚Widerspieglung‘), die von Vorerfahrungen sowie von Attributionsstrukturen abhängig ist. Hierbei geht es um die Zuschreibung vermuteter Ursachen von Erfolgen und Misserfolgen. Während internal attribuierende Menschen den Erfolg dem eigenen Können und Wollen zuschreiben, begründen external attribuierende Menschen den Erfolg mit Zufall oder der Leichtigkeit einer Aufgabe. Darüber hinaus haben körperliche und psychische Handlungsvoraussetzungen, wie z. B. Kognition, Emotionen, Einstellungen und Motive, einen wesentlichen Einfluss auf den Prozess und das Ergebnis der Widerspiegelung. Besonders von Bedeutung sind Motive und Einstellungen zur Berufstätigkeit, die soziale Handlungskompetenz, die pädagogische Qualifikation, die Berufserfahrung, die psychovegetative Stabilität und die körperliche Leistungsfähigkeit. Empfindet eine Lehrkraft die Schwierigkeit der Aufgabe oder die Gefühle während der Aufgabenerfüllung als belastend, so wird von einer kognitiven oder emotionalen Belastung (subjektiv) gesprochen (vgl. Rudow, 2000, S.131). Je nach Wirksamkeit der Belastungsbewältigung treten Beanspruchungsreaktionen auf, die sich in psychische Anspannung und in somatische Veränderungen in verschiedenen Organen unterscheiden. Beanspruchungsreaktionen sind zeitlich begrenzte, reversible, psychophysische Phänomene, Belastungsfolgen hingegen überdauernde, chronische, bedingt reversible, psychophysische Erscheinungen. Des Weiteren differenziert Rudow zwischen positiven und negativen Beanspruchungsreaktionen. Fühlt sich die Lehrkraft wohl und bewertet die Herausforderung positiv, so wird sie emotionale Stabilität erlangen und sich wirksame Handlungsmuster aneignen. Bei einer negativen Beanspruchungsreaktion lassen sich oft psychische Ermüdung einhergehend mit einer Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit beobachten. Nicht selten kommt es zur psychischen Sättigung, da die psychophysische Aktivität herabgesetzt ist. Psychische Ermüdung kann zu psychischer Übermüdung und schließlich zum Burnout führen. Die pädagogische Handlungskompetenz ist eingeschränkt und verstärkt zusätzlich die negative Beanspruchungsreaktion (vgl. ebd.). Somit lässt sich feststellen, dass objektive Belastungsfaktoren einer Lehrkraft, aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen und unterschiedlicher Bewältigungsstrategien, nicht pauschal etwas über ihre psychische Belastung aussagen. Belastungsfaktoren können subjektiv belastend wahrgenommen werden, müssen jedoch aufgrund von Bewältigungsstrategien nicht zwingend zu negativen Beanspruchungsreaktionen führen. Diesbezüglich existieren weitere Modelle, die im Folgenden betrachtet werden.

Bei dem ‚Reiz- oder situationsbezogenen Modell‘ gelten als objektive Belastungsfaktoren Situations- oder Reizmerkmale, welche bestimmte Funktionsstörungen des Organismus auslösen können. Auf diesem Konzept basieren z. B. viele Studien, bei denen Lehrkräfte vorgegebene Belastungsfaktoren nach dem Belastungsgrad einschätzen müssen. Rudow merkt kritisch an, dass Sachverhalte oder Belastungsfaktoren teilweise willkürlich für eine Einschätzung ausgewählt und einzelne Belastungen unsystematisch erfasst werden (vgl. Rudow, 2000, S.130). Ein weiteres Modell ist das ‚Reaktionsbezogene Modell‘, bei dem situations- und personenunabhängige Reizmuster, Rückschlüsse auf Belastungsfaktoren geben. Bestimmte Reaktionsmuster des Organismus stellen einen Indikator für Beanspruchungsreaktionen wie z. B. Stress dar, unabhängig vom auslösenden Reiz. Diese Beanspruchungsreaktionen ergeben sich jedoch lediglich aus der Summe der Bewertungen unterschiedlicher Belastungsfaktoren und sind somit wenig hilfreich bei der Bestimmung von Belastungsfaktoren (vgl. Grimm, 1993, S. 25). Bei dem ‚Modell der Mehrfachbelastung‘ wirken dauerhaft, gleichzeitig mehrere, verschiedene Belastungsfaktoren auf die Lehrkraft ein. Dabei bedeutet ‚dauerhaft‘ nicht, dass die Kombination der Belastungsfaktoren ständig bestehen muss, sie muss jedoch wiederholt mit ähnlicher Intensität und Dauer auftreten (vgl. Rudow, 1994, S. 76). Dies kann z. B. eine Kombination aus Handlungsanforderung (Arbeitsaufgaben), Regulationshindernissen (Probleme bei Aufgabenerfüllung) und dem Handlungsspielraum sein. Verstärken sich einzelne Faktoren gegenseitig in ihrer Wirkung, handelt es sich um eine multiplikative Verknüpfung der Belastungsfaktoren, die psychosoziale Gesundheit der betroffenen Person beeinträchtigt. Eine wichtige Komponente des Belastungserlebens ist bei dem ‚relationalen Modell‘ die Wahrnehmung und Bewertung der Situation durch die Person. Folglich steht die Person-Umwelt-Interaktion im Mittelpunkt. Das Modell erklärt, warum verschiedene Personen auf denselben Reiz unterschiedlich reagieren. So wird eine Situation nur bei den Personen bedrohlich erlebt, die persönliche geringe Handlungsmöglichkeiten besitzen und die Situation somit als schwierig einschätzen (Tameling, 2014). Dieses Modell beruht auf der kognitiv-transaktionalen Stresstheorie von Lazarus, dem ‚transaktionalen Stressmodell‘. Es liegt dem Verständnis zugrunde, dass Stress das Ergebnis einer Transaktion zwischen der Umwelt und der Person ist, wobei ein bestimmtes Ereignis die adaptiven Mittel dieser Person übersteigen. Entscheidend ist hier also die Beziehung zwischen der Person und der Umwelt, die durch kognitive Bewertungsprozesse beeinflusst wird.

Lazarus unterscheidet drei Formen der Bewertung: die primäre Bewertung, die sekundäre Bewertung und die Neubewertung (Rothland, 2013, S.47).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das transaktionale Stressmodell (vgl. Rothland, 2013, S.47)

Die dargestellten Modelle zur Analyse von Belastung und Beanspruchung zeigen nur einen Ausschnitt vielfältiger Analysemethoden und betrachten Belastungssituationen von unterschiedlichen Seiten. Die Lehrarbeit ist sehr komplex und es bedarf verschiedener Methoden, um Belastungssituationen genauer zu erfassen.

Im nächsten Abschnitt sollen nun die Belastungssituationen einer Lehrkraft genauer beleuchtet und die verschiedenen Belastungsfaktoren betrachtet werden.

4 Befragungs- und Untersuchungsbefunde zu Belastungsfaktoren in der Lehrarbeit

4.1 Allgemeine Belastungen im Lehralltag

Diverse Studien zur Lehrerbelastung lassen erkennen, dass die Anforderungen und Belastungen der Lehrkräfte enorm sind und sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschärft haben. Unter dem Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit werden Lehrerinnen und Lehrer mittlerweile als ‚Risikopopulation‘ bezeichnet (Schaarschmidt, 2004, S. 19). Verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler, sinkende Lernmotivation, hoher Lärmpegel sowie dürftige Sanktionsmöglichkeiten sind oftmals Auslöser für Stressmomente. Uwe Schaarschmidt und Bianca Ksienzyk fanden in einer Studie heraus, dass sich länder- und schulformübergreifend drei zentrale Belastungsfaktoren im Lehrerberuf feststellen ließen: „das Verhalten schwieriger Schüler, die Klassenstärke und die Anzahl der zu unterrichtenden Stunden“ (Schaarschmidt, 2004, S. 72). Diese Faktoren sind eng miteinander verzahnt. Wächst das störende Verhalten von Schülerinnen und Schülern an, so wird die hohe Klassenstärke in jeder Unterrichtsstunde zur Belastung, die sich wiederum addiert durch die hohe Zahl der zu unterrichtenden Stunden (vgl. ebd.). Im Hinblick auf das transaktionale Stressmodell fehlen dann oftmals relevante Persönlichkeitsmerkmale wie Frustrationstoleranz oder Fähigkeiten wie Problemverarbeitung. Der Erlanger Arbeitsmediziner Weber meint, dass Lehrkräfte sich durch eine permanente Präsenz in der Klasse im ständigen Fokus befinden und der verbreiteten Lustlosigkeit und Widerspenstigkeit vieler Schülerinnen und Schüler ausgesetzt sind. Weitere belastende Faktoren seien „zu viel Bürokratie“, „schlechtes Image der Lehrerschaft“, „mangelnde Erziehungsbereitschaft der Eltern“, „ständige Leistungsbewertung“, „mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten“, „starre Stundenpläne“, „ständiges Reden“, „stundenlanges Stehen“, „unfreundliche Schulhäuser/ Schulzimmer“ sowie „Einsamkeit im Kollegium“ (Realschullehrerverband, 2003, S.13). Als Hauptbelastungsquelle spricht Hiller vom Unterricht selbst, der durch das Verhalten der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigt wird. Problematisches Lernverhalten einhergehend mit mangelnder Motivation und Konzentration, geringe Mitarbeit im Unterricht, unzureichende Vor- und Nachbereitung, gestörtes Sozialverhalten sowie Disziplinprobleme und Konflikte, aber auch die Heterogenität in den Klassen werden von Lehrerinnen und Lehrern als sehr belastend erlebt (vgl. Hillert & Schmitz, 2004, S. 44).

Die Ursachen für diese Belastungsmomente lassen sich in der gravierenden Veränderung des inner- sowie außerschulischen Umfelds feststellen. Neue Anforderungen sind entstanden und es werden neue Erwartungen an Schule und Lehrkräfte gerichtet (vgl. Klippert, 2007, S. 28).

4.2 Lehren und Lernen im Umbruch

Im letzten Abschnitt wurden bereits viele Belastungen in der alltäglichen Unterrichtsarbeit genannt. Während bis vor wenigen Jahren den Lehrplänen große Beachtung geschenkt wurde, um die ausgewiesenen Lerninhalte und Lernziele akribisch umzusetzen, werden unter dem Einfluss von PISA für einen Paradigmenwechsel nun folgende Punkte eingefordert:

neue Bildungsstandards
- neue Prüfungsverfahren
- neue Rahmenlehrpläne
- Vergleichsarbeiten
- Fördern in der Ganztagsschule
- Einsatz neuer Medien
- Qualitätsprogramme
- Lehrerkooperation
- neue Formen der Elternarbeit

(vgl. Klippert, 2007, S. 29)

Neben der Vermittlung fachspezifischer Kompetenzen sind die Anforderungen an die Lehrerschaft vielfältig: Sie sollen die Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichem Arbeiten und Lernen befähigen und durch gezielte Fördermaßnahmen Lernkompetenzen vermitteln. Lehrkräfte bilden hinsichtlich methodischer, kommunikativer und teamspezifischer Fähig- und Fertigkeiten aus, wobei sie Erkenntnisse der Lern- und Gehirnforschung berücksichtigen und unterrichtliche Lernprozesse entsprechend organisieren und moderieren müssen. Es soll die Leseleistung der Schülerschaft verbessert, methodisch variabel und kreativ unterrichtet und mit stark leistungs- und verhaltensheterogenen Gruppen gerecht umgegangen werden sowie ein zunehmender Einsatz von neuen Medien erfolgen. Des Weiteren sollen Prüfungs- und Bewertungsverfahren zielführend umgestellt und Programme zur systematischen Steigerung der Unterrichtsqualität entwickelt werden. Lehrerinnen und Lehrer werden demnach nicht als ‚Stundenhalter‘ verstanden, sondern zugleich als verantwortliche Schul- und Unterrichtsentwickelnde sowie Förderer/Förderin und Berater/in der Schülerschaft. Im Bereich des Schulmanagements wird eine ‚selbstständige Schule‘ erwartet, die organisatorische, personelle und finanzielle Belange der Einzelschule zunehmend schulintern regelt, was vermehrte Konferenzen und Meetings zur Folge hat und zusätzlich Zeit und Energie fordert. Es findet ein Wechsel von der Fremd- zur Selbstverwaltung statt, da Lehrerinnen und Lehrer zahlreiche Aufgaben übernehmen müssen, die traditionell Sache von Schulaufsicht, Schulträgern, Lehrplankommissionen oder sonstigen Gremien waren. Unabdingbar dafür ist eine Arbeitsteilung durch offensive Kooperation in Klassen-, Fach- und/oder Jahrgangsebenen, aber auch mit der Schulleitung und Elternschaft (vgl. Klippert, 2007, S.30).

4.3 Ausgeprägte Arbeitsverlagerung

Schule ist mehr als Unterricht. Lediglich 40% der Arbeitszeit macht die bloße Unterrichtstätigkeit einer Lehrkraft aus. Aufgaben wie Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Prüfungen, Leitungs- und Verwaltungsaufgaben, Teilnahme an Konferenzen sowie die Beratung von Schülerinnen und Schülern fallen in die unterrichtsfreie Zeit (vgl. Bründel, 2014, S. 35). Klemm untersuchte die Arbeitszeitbelastung in unterschiedlichen Schulformen und fand Folgendes heraus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Lehrerarbeitszeit nach Schulformen und Arbeitsbereichen in Prozent (vgl. Klemm, 2006, S. 713).

Aufgrund der Zielsetzung der aktuellen Strukturreformen (‚selbstständige Schule‘ etc.) entstand ein hoher Planungs-, Konferenz-, Vorbereitungs-, Koordinations- und Evaluationsaufwand, nicht nur für einzelne Lehrkräfte, sondern auch für schulinterne Jahrgangsteams, Fachteams und pädagogische Führungskräfte. Um die Qualität der Schulabschlüsse zu verbessern, sowie Rückstellungs-, Wiederholer- und Abgängerquoten zu senken, wird die Lehrerschaft in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen zur Erstellung eines neuen Schulprogramms verpflichtet, das die Weiterentwicklung ihrer Unterrichts- und Erziehungsarbeit sowie Konzepte zur Unterrichtsvertretung, zur Förderung der Schülerinnen und Schüler, zur Personalentwicklung und zur Fortbildung beinhaltet. Überprüft wird dies durch Selbstevaluation sowie Inspektion von außen, um Verbesserungsmaßnahmen einleiten zu können (vgl. Bildungsministerium Niedersachsen, 2002, S. 3). Die Schulleitungen tragen dabei die Hauptverantwortung für die Entwicklung zukunftsweisender Schulprogramme und Leitbilder sowie deren konsequente Implementierung. Darüber hinaus sollen sie Personalentwicklung betreiben, Unterrichtsausfälle verhindern, Ressourcen bündeln, geordnete Budgets vorweisen, Kosten-Nutzen-Rechnungen anstellen, zusätzliche Mittel eintreiben, Honorarkräfte einstellen, Stellenpläne bewirtschaften, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beurteilen sowie Zielvereinbarungen abschließen. Zu den weiteren Aufgaben zählen: Eltern- und Öffentlichkeitsarbeit, differenzierte Berichterstattung, Umsetzung von Reformvorgaben, Motivation des Kollegiums, Initiierung von Förderprogrammen, Realisierung des pädagogischen Profils, Kooperation mit Behörden und Schulträgern, Bildung regionaler Netzwerke, Sicherung von Demokratie in der Schule sowie Praktizierung partizipativer Verfahrensweisen (vgl. Klippert, 2007, S. 31).

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Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Burnout im Lehrerberuf. Welche Maßnahmen zur Prävention und Intervention stehen Schulleitungen zur Verfügung?
Autor
Jahr
2021
Seiten
73
Katalognummer
V1014134
ISBN (eBook)
9783964873392
ISBN (Buch)
9783964873408
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lehrberuf, Burnout-Phasen, Potsdamer Trainingsmodell, Bildungspolitik, AGIL, AVEM-Belastungsstudie, Helfersyndrom
Arbeit zitieren
Tina Rödiger (Autor:in), 2021, Burnout im Lehrerberuf. Welche Maßnahmen zur Prävention und Intervention stehen Schulleitungen zur Verfügung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1014134

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