Ist das englische Modell des interreligiösen Religionsunterricht auf Deutschland übertragbar?


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2000

141 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Ausgangssituation für meine Fragestellung
1.2. Problematik des Begriffes „interkonfessionell“
1.3. Beschreibung meines Vorgehens

2. Entwicklungsgeschichte des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts
2.1. Die gesetzlichen Wurzeln der heutigen Modelle des Religionsunterrichts in England und Deutschland
2.1.1. Das englische Bildungsgesetz von1870
2.1.2. Der Religionsunterricht in der Weimarer Verfassung
2.1.3. Vergleichende Zusammenschau
2. 2. Das englische Bildungsgesetz von 1944 und der deutsche Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
2.2.1. Das englische Bildungsgesetz von 1944
2.2.2. Der Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
2.3. Neue Wege der Religionspädagogik
2.3.1. Neue Wege der Religionspädagogik in England
2.3.2. Neue Wege der Religionspädagogik in Deutschland
2.3.3. Vergleichende Zusammenschau
2.4. Die Entwicklung multikultureller Gesellschaften in England und Deutschland ...
2.4.1. Die Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft in England
2.4.2. Die Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland
2.4.3. Vergleichende Zusammenschau
2.5. Konkrete Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England im Gegenüber zu zeitgleichen Veränderungen des deutschen Religionsunterrichts
2.5.1. Konkrete Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England
2.5.1.1. Grundlegende Veränderungen des englischen Religionsunterrichts seit Mitte der sechziger Jahre
2.5.1.2. Das englische Bildungsgesetz von 1988
2.5.1.2.1. Die Einführung des „National Curriculums“ und der Religionsunterricht ..
2.5.1.2.2. Weitere gesetzliche Regelungen für den Religionsunterricht im Bildungsgesetz von 1988
2.5.2. Zeitgleiche Veränderungen des Religionsunterrichts in Deutschland
2.5.2.1. Die Legitimationskrise des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland zwischen den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren
2.5.2.2. Offizielle Stellungnahmen für eine Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts
2.5.2.3. Auswirkungen der Legitimationskrise auf den deutschen Religionsunterricht und weitere Entwicklungen
2.5.3. Vergleichende Zusammenschau
2.5.4. Landesspezifische Besonderheiten, die für die Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in England von Bedeutung waren
2.6. Diskussionen über die Festlegungen hinsichtlich des Religionsunterrichts im englischen Bildungsgesetz von 1988

3. Die zwei Ansätze der gegenwärtigen englischen Religionspädagogik
3.1. Der religionskundlich- informative Ansatz
3.1.1. Systematische Vorgehensweise
3.1.2. Die thematische Vorgehensweise
3.2. Der existenzielle Ansatz
3.3. Abschließende Überlegungen

4. Überprüfung der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland
4.1. Zusammenfassende Darstellung des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts
4.1.1. Das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts
4.1.2. Der konfessionelle Religionsunterricht in Deutschland
4.2. Vorüberlegungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland
4.3. Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit
4.3.1. Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion
4.3.2. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland
4.4. Die aktuelle Gesetzeslage bezüglich des Religionsunterrichts in Deutschland und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit
4.4.1 Die aktuelle Gesetzeslage bezüglich des Religionsunterrichts in Deutschland
4.4.2. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland
4.5. Die Stellung der beiden großen deutschen Kirchen und des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit
4.5.1. Die Stellung der katholischen Kirche zum Religionsunterricht
4.5.2. Die Stellung der Evangelischen Kirche zum Religionsunterricht
4.5.3. Die Stellung des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht
4.5.4. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland
4.6. Ist das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland übertragbar?

5. Zukunftsmodell für einen interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland

6. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Ausgangssituation für meine Fragestellung

36,5% der Schüler[1] in der Stadt Frankfurt haben nach neusten Statistiken keinen deutschen Pass. (vgl. Dam 2000, 2) Rund 700.000 Kinder und Jugendliche muslimischen Glaubens besuchen derzeit öffentliche Schulen in Deutschland. (vgl. oll. 1.3.2000, 6) Deutschland ist, wie die meisten westeuropäischen Länder, zu einem de facto Einwanderungsland mit einer multikulturellen Gesellschaft geworden.

Beachtet man die seit 1990 gesamtdeutschen Wirklichkeit muss angemerkt werden, dass die ehemalige DDR eine weitgehend atheistische Gesellschaft war. (vgl. Dam 2000, 2)

Auch wenn ca. 80% der Bevölkerung der alten Bundesländer noch einer der beiden großen christlichen Kirchen angehören, kann diese Kirchenmitgliedschaft nicht mit gelebter christlicher Praxis gleichgesetzt werden. So besuchen z.B. selbst in ländlichen Gebieten nur noch ca. 7% der Kirchenmitglieder den sonntäglichen Gottesdienst. (Asbrand 2000, 9) Es kann trotzdem nicht angenommen werden, dass Religion in unserer Gesellschaft nicht mehr von Bedeutung ist. Auch moderne Menschen benötigen „in der Bewältigung von Kontigenzerfahrungen, von Unverfügbarkeiten wie Tod, Liebe, Krankheit, Geburt, Naturkatastrophen, Kriegen u.a.m. sinnstiftende Praktiken“ (Gudjons 2000, 8), wie sie Religionen bieten können.

Religiosität verschwindet also nicht, wandelt sich aber, sie wird zunehmend zu einer individuellen Entscheidung, einer Privatsache, die nicht mehr zwingend von einer Gemeinschaft abhängen muss. (vgl. Asbrand 2000, 9f.)

Betrachtet man nun die religiöse Pluralisierung, die vor allem auf die Vielzahl von muslimischen Arbeitsmigranten zurückzuführen ist und die Individualisierung von Religion, drängt sich förmlich die Frage auf, ob ein konfessioneller Religionsunterricht noch zeitgemäß ist.

In Deutschland wird dementsprechend gegenwärtig nach Modellen für den Religionsunterricht gesucht, die nicht mehr von einer konfessionellen Trennung der Schüler ausgehen.

So entwickelte man in Hamburg das interreligiös offene Modell „Religionsunterricht für alle“ und in Brandenburg das Modell „Lebensgestaltung - Ethik - Religion“, welches zur Zeit nicht unter kirchlicher Verantwortung steht..

Diese Modelle müssen allerdings als Ausnahme betrachtet werden, offiziell wird in der Regel an einem konfessionellen Religionsunterricht festgehalten.

Britta Marschke fordert, dass in der Diskussion um eine Reform des deutschen Religionsunterrichts auch „zukunftsweisende Konzepte (für den Religionsunterricht) europäischer Nachbarländer, auf die Anwendbarkeit in Deutschland überprüft“ (Marschke 2000, 18) werden sollten.

Während eines sechswöchigen Praktikums an einer englischen Grundschule lernte ich den dortigen Religionsunterricht kennen, an dem alle Schüler gemeinsam teilnehmen und der neben dem Christentum auch die, in England vertretenen nicht - christlichen Religionen behandelt.

Das englische Modell des Religionsunterrichts, welches ich in meiner Arbeit genauer erarbeiten werde, erscheint mir für eine Gesellschaft wie die unsere angemessener als ein konfessioneller Religionsunterricht. Aus diesem Grunde werde ich in dieser Arbeit die Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts auf Deutschland überprüfen.

1.2. Problematik des Begriffes „interkonfessionell“

Der englische Religionsunterricht wird in England schlicht als „Religious Education“ bezeichnet. Um das englische Modell des Religionsunterrichts von dem deutschen Modell des konfessionellen Religionsunterrichts sprachlich abzusetzen, erscheint es mir als sinnvoll, nicht einfach die englische Bezeichnung zu übernehmen, sondern den englischen Religionsunterricht genauer zu beschreiben.

Bei eingehender Betrachtung des englischen Modells des Religionsunterrichts wird deutlich, dass dieses Modell nicht, wie im Titel meiner Arbeit, als „interkonfessionell“ beschrieben werden kann.

Der rein - christliche Religionsunterricht, den es in England bis in die siebziger Jahre hinein gab, kann nicht als „interkonfessionell“ bezeichnet werden weil er, wie es meine Ausführungen deutlich machen werden, konfessionelle Inhalte vermied. Heute nehmen am englischen Religionsunterricht nicht nur Schüler verschiedener christlicher Konfessionen, sondern auch Schüler verschiedener nicht - christlicher Religionen teil. Der Religionsunterricht in England behandelt neben dem Christentum auch nicht - christliche Religionen. Aus diesen Gründen erscheint mir, um dem englischen Modell gerecht zu werden, die Bezeichnung „interreligiös“ angebrachter als die Bezeichnung „interkonfessionell“. Folglich werde ich in meiner Arbeit von dem englischen Modell des „interreligiösen“ Religionsunterrichts sprechen. Der Begriff „interreligiös“ wird auch in der deutschsprachigen Literatur für einen Religionsunterricht gebraucht, an welchem Schüler unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Prägung teilnehmen. (vgl. Asbrand 2000, 1)

1.3. Beschreibung meines Vorgehens

Je intensiver ich mich mit dem gestellten Thema beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass es zum Verständnis des gegenwärtigen Modells des englischen Religionsunterrichts eines ausführlichen Rückblicks auf die Entstehungsgeschichte dieses Modells bedarf, da es keineswegs ein Produkt der Gegenwart ist. Das englische Modell, welches ich auf seine Übertragbarkeit auf Deutschland hin überprüfen möchte, werde ich folglich aus seiner Entwicklungsgeschichte heraus erarbeiten.

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte des englischen Modells dürfen landesgeschichtliche Besonderheiten und gesellschaftliche Veränderungen sowie Einflüsse nicht außer Acht gelassen werden.

Soll die Übertragbarkeit des englischen Modells auf Deutschland überprüft werden, reicht es meiner Ansicht nach ebenfalls nicht aus, nur das gegenwärtige Modell des deutschen Religionsunterrichts zu betrachten. Für das deutsche Modell muss sinngemäß das Gleiche gelten wie für das englische Modell: Darstellung der Entwicklungsgeschichte unter Beachtung landesgeschichtlicher Besonderheiten und gesellschaftlicher Veränderungen sowie Einflüsse.

Ich werde aus diesem Grunde im zweiten Teil meiner Arbeit die Entwicklungsgeschichten der beiden Modelle des Religionsunterrichts darstellen.

Die einzelnen Entwicklungsschritte der beiden Modelle werde ich zunächst getrennt voneinander darstellen. Im Anschluss an diese Darstellung der einzelnen Entwicklungsschritte ziehe ich jeweils in einer Zusammenschau Vergleiche, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der deutschen und der englischen Entwicklungen erkennbar zu machen. Durch dieses Vorgehen möchte ich deutlich machen, warum sich die gegenwärtigen Modelle des Religionsunterrichts in England und Deutschland stark voneinander unterscheiden.

Geschichtliche und gesellschaftliche Vorgänge und Veränderungen manifestieren sich in Gesetzten. Ich beginne meine Darstellung der Entwicklungsgeschichte der beiden gegenwärtigen Modelle aus diesem Grunde mit dem englischen Bildungsgesetz von 1870 und der Weimarer Verfassung von 1919, da hier die ersten gesetzlichen Festlegungen bezüglich des Religionsunterrichts zu finden sind. In diesen Gesetzten liegen die Wurzeln des heutigen Religionsunterricht.

Den getrennten Ausführungen dieser Gesetzte werde ich, wie in den folgenden Punkten auch, eine vergleichende Zusammenschau anschließen.

Den nächsten wichtigen Entwicklungsschritt für die Modelle des Religionsunterrichts in England bzw. Deutschland sehe ich den gesetzlichen Festlegungen im englischen Bildungsgesetz von 1944 bzw. im Grundgesetz für die Bundesrepublik. Deshalb werde ich im zweiten Punkt des zweiten Teiles meiner Arbeit auf diese Gesetze eingehen.

Um die gegenwärtigen Modelle des Religionsunterrichts zu verstehen, müssen neben den gesetzlichen Festlegungen auch religionspädagogische Ansätze, die auch für den heutigen Religionsunterricht noch relevant sind und sich innerhalb des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens entwickelten, beachtet werden.

Ich werde von daher in Punkt 3 meiner Arbeit auf Veränderungen in der Religionspädagogik eingehen, die den Religionsunterricht in Deutschland und England bis heute beeinflussen.

Im Folgenden halte ich es für erforderlich, auf die Entwicklung multikultureller Gesellschaften in England und Deutschland, die unter verschiedenen Voraussetzungen abliefen, einzugehen, denn diese Entwicklung führte letztlich zur Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts an englischen Schulen.

Im nächsten Punkt meiner Arbeit beschreibe ich die konkreten Schritte, die schließlich zu der gesetzlichen Festlegung eines interreligiösen Religionsunterrichts im englischen Bildungsgesetz von 1988 führten.

Im Anschluss an diese Beschreibung werde ich die Frage nach zeitgleichen Veränderungen in Deutschland beantworten.

Da die Entwicklung des englischen Religionsunterricht durch die Festlegungen im Bildungsgesetz von 1988 keinesfalls beendet war, halte ich es für nötig in einem weiteren Punkt auf die Debatten, die diesem Gesetz folgten, und deren Ergebnisse einzugehen. Ein Vergleich mit Deutschland ist hier, da es um den interreligiösen Religionsunterricht in England geht, selbstverständlich nicht mehr möglich.

Nach der Darstellung der Entwicklungsgeschichte des englischen und des deutschen Religionsunterrichts halte ich es, um ein konkretes Bild des heutigen englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts zu vermitteln für notwendig, im dritten Teil meiner Arbeit auf die beiden prägenden Ansätze der gegenwärtigen Religionspädagogik in England einzugehen.

Im vierten Teil meiner Arbeit werde ich mich schließlich der Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland zuwenden. Hier werde ich einleitend nochmals die wesentlichen Komponenten des gegenwärtigen englischen und des gegenwärtigen deutschen Modells des Religionsunterrichts zusammenfassend darstellen. Die Übertragbarkeit des englischen Modells werde ich in Hinblick auf die gesellschaftliche Situation in Deutschland, anhand der formalen Voraussetzungen, die sich aus der aktuellen Gesetzeslage ergeben und unter Einbeziehung der Haltung der beiden großen deutschen Kirchen und des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht überprüfen.

Nach der Überprüfung der Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts werde ich abschließend im fünften Teil meiner Arbeit ein Modell für einen zukünftigen Religionsunterricht in Deutschland, welches sich aus meiner Arbeit ergibt, entwerfen.

2. Entwicklungsgeschichte des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts

2.1. Die gesetzlichen Wurzeln der heutigen Modelle des Religionsunterrichts in England und Deutschland

2.1.1. Das englische Bildungsgesetz von1870

In England stand die anglikanische Staatskirche[2] neben der katholischen Kirche einer großen Zahl von nonkonfirmistischen Kirchen (Baptisten, Methodisten, Kongregationalisten, Presbyterianer und andere kleinere Kirchen) gegenüber. Seitdem Tolernazedikt (1689) von Wilhelm II genießen die nonkonformistischen Kirchen Freiheit gegenüber staatlichen Kontrollen. Anders als im Deutschland der damaligen Zeit wurde die Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung nicht von den jeweiligen Landesherren bestimmt, sondern konnte frei gewählt werden. Auch die 1673 festgelegte Testakte, welche die berufliche und gesellschaftliche Handlungsfreiheit der englischen Katholiken gesetzlich einschränkte, war 1829 wieder aufgehoben worden. (vgl. Thiede 1994, 147) Die weitgehend konfessionsindifferente Haltung des englischen Staates wurde auch in den Festlegungen bezüglich des Religionsunterrichts im Bildungsgesetz von 1870 deutlich. Bis 1870 lag die schulische Erziehung in England in den Händen der Kirchen oder kirchlicher Einrichtungen. Der Religionsunterricht wurde von der Konfession bestimmt, von welcher die jeweilige Schule finanziell abhängig war. Der Staat hatte keinen Einfluss auf den Unterricht an diesen Schulen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam allerdings immer wieder die Überlegung auf, staatlich getragene Schulen einzurichten.[3]

In den Diskussionen über eine staatliche Schulträgerschaft stellte der Religionsunterricht den schwierigsten Punkt dar. In den Jahren vor 1870 wurden verschiedene Modelle für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen vorgeschlagen: 1. Der Staat richtet selbst Schulen für die verschiedenen christlichen Konfessionen ein und unterstützt diese. 2. Säkulare Fächer und Religionsunterricht werden getrennt voneinander unterrichtet. In speziellen Stunden findet ein getrennter Unterricht für die verschiedenen Konfessionen statt. 3. Es wird ein für alle gemeinsamer Bibelunterricht angeboten. 4. Es findet eine konfessionsunabhänige Stunde für alle Schüler statt und getrennte Stunden für die einzelnen Konfessionen. (vgl. Meyer 1999, 100)

Als es 1870 zur Einführung von staatlichen getragenen Schulen kam, wurde letztendlich festgelegt, dass es in der Entscheidung der lokalen Erziehungsbehörden (Local Education Authority) liege, ob Religionsunterricht erteilt wird oder nicht. Der Staat wollte den Religionsunterricht zwar nicht finanziell unterstützen, im ersten englischen Bildungsgesetz von 1870[4] wurde aber trotzdem vorgeschrieben, wie der Religionsunterricht an staatlich getragenen Schulen auszusehen hatte: „No religious catechism or religious formulary which is distinctive of any particular denomination shall be taught.“ (HMSO 1871; S.xxxiV, Elementary Education Act 1870 Sec. 14, 2 zit. nach Meyer 1999, 100) Diese Klausel des Elementary Education Acts (Bildungsgesetz) wurde von Cowper Temple vorgeschlagen und später nach ihm benannt. In der Cowper-Temple-Clause wurde also ein Religionsunterricht für alle Schüler festgelegt, der christlich ausgerichtet war und sich neutral gegenüber den verschiedenen Konfessionen verhielt, indem er konfessionelle Themen vermied. Die Neutralität des Staates gegenüber den verschiedenen christlichen Konfessionen wurde hier festgelegt.

Die meisten Lehrpläne, die in England bereits in der damaligen Zeit von den Local Education Authorities (LEAs) festgelegt wurden, schrieben die Bibel als allgemeinen christlichen Unterrichtsgegenstand für den Religionsunterricht für alle Konfessionen vor. Die sogenannte „scripture lesson“ blieb lange Zeit die Form der religiösen Unterweisung an Schulen, die vom Staat getragen wurden.

Es war hier allerdings nicht auszuschließen, dass die Lehrer, die relativ große Freiheiten in der Stundengestaltung hatten, ihre eigene religiöse Überzeugung in den Religionsunterricht einfließen ließen.

Im Rahmen des erwähnten Bildungsgesetzes von 1870 wurde auch das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht an Schulen staatlicher Trägerschaft gesetzlich festgelegt: „The right of withdrawal from religious instruction must be allowed in all schools receiving grants from public funds .“ (HMSO (1871), Elementary Education Act, Ch.75, Sec. 7,2 zit. nach Meyer 1999, 100)

Da es neben den staatlichen Schulen weiterhin auch konfessionelle Schulen gab, stand es den Eltern frei, auf welche Schule sie ihr Kind schickten.

2.1.2. Der Religionsunterricht in der Weimarer Verfassung

In der Zeit vom Augsburger Religionsfrieden (1555) bis zum 18. Jahrhundert legten die Landesherren die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung ihres Territoriums fest. So entstand in Deutschland, anders als in England, wo die Bevölkerung ihre Konfession selbst wählte, eine Konfessionslandschaft, die sich weitgehend territorial aufgliedern ließ. Diese Situation änderte sich durch aufgeklärte Fürsten im 18. Jahrhundert und letztendlich dadurch, dass im Zuge der Kriege von Napoleon auch Territorien mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten vereinigt wurden. In solche „konfessionell - gemischten“ Gebieten musste eine neue Regelung für den schulischen Religionsunterricht gefunden werden. Das kleine Herzogtum Nassau, welches aus Katholiken, Lutheranern und Reformierten bestand, bot in seinen Schulen als erstes Herzogtum allgemeinen und konfessionellen Religionsunterricht an. Der allgemeine Religionsunterricht wurde mit der Zeit abgesetzt, während der konfessionelle bestehen blieb und sich auf ganz Deutschland ausbreitete. Schulen, in denen man Religion nach Konfessionen getrennt unterrichtete, wurden Simultanschulen genannt. (vgl. Meyer 1999, 101 f.)

Die Trennung von Staat und Kirche war bis zur Revolution von 1918 keinesfalls selbstverständlich, die kirchliche Aufsicht über die Schulen wurde weitgehend als gegeben hingenommen.

Neben der Abschaffung der Monarchie, forderte man 1918 auch eine Trennung von Staat und Kirche. Diese Trennung wurde in der Weimarer Reichsverfassung (1919) dann auch tatsächlich beschlossen. Der Staat musste sich von nun an weltanschaulich neutral verhalten. Allerdings spiegelte sich die Tatsache, dass die Revolution durch die Schwäche des liberalen Bürgertums und der Spaltung der Arbeiterbewegung von Beginn an „unvollständig“ war (vgl. Herrlitz 1993, 123) auch in der angestrebten Trennung von Kirche und Staat wieder. Dies wird auch an den Kompromisslösungen deutlich, die man bezüglich des Schulwesens und des Religionsunterrichts schloss.

Zwar wurde die früher heftig umstrittene kirchliche Aufsicht über das Schulwesen auf den Staat übertragen, trotzdem entzog man den Kirchen nicht jeglichen Einfluss auf das Erziehungswesen. Die einzelnen Länder, denen die Schulaufsicht und -verwaltung vorbehalten blieb, entschieden, wie groß der kirchliche Einfluss auf das Erziehungswesen sein durfte. (vgl. Helmreich 1966, 191)

Für die beiden großen Kirchen und die konservativen Parteien war die gesetzliche Verankerung des konfessionellen Religionsunterrichts eine unverzichtbare Forderung.

Im Jahre 1919 herrschte aber keinesfalls Einigkeit über die Rolle des Religionsunterrichts in den Schulen: USPD und SPD waren gegen jede Form des Religionsunterrichts an Schulen und die liberale demokratische Partei wollte einen nicht - konfessionellen Unterricht. Da diese Parteien fast die Hälfte der Parteien im Reichstag stellten, war die Einführung des konfessionellen Religionsunterrichts nicht von vornherein eine entschiedene Sache. (vgl. Haussmann 1993, 177)

Letztendlich konnten sich die konservativen Parteien jedoch durchsetzten und der konfessionelle Religionsunterricht wurde, in Ahnlehnung an die Simultanschule, in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen: „Der Religionsunterricht ist ordentliches[5]

Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetze geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrecht des Staates erteilt.“ (WRV 1919, Art. 149 zit. nach Helmreich 1966, 165).[6] Es war selbstverständlich, dass der Lehrer der den Religionsunterricht erteilt, der jeweiligen Konfession angehören musste. Auch alle Schüler, die den konfessionellen Unterricht besuchten, sollten der jeweiligen Konfession angehören.

Der Religionsunterricht wurde also, wie man es von der neuen säkularen Regelung, der Trennung von Kirche und Staat erwarten sollte, weder abgeschafft, noch reformiert. (vgl. Asbrand 2000, 6)

Die Weimarer Verfassung legte weiterhin, wie das englische Bildungsgesetz von 1870, das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht fest: „[...], die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen (bleibt) der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat.“ (WRV 1919 zit. nach Helmreich 1966, 165) Kinder, die vom Religionsunterricht abgemeldet waren, konnten zwar nicht mehr gezwungen werden, an Schulgebeten und - Gottesdiensten teilzunehmen, alle anderen Kinder waren aber zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen verpflichtet. (vgl. Helmreich 1966, 195)

In Artikel 146 der Weimarer Verfassung wurde, auf das vehemente Trägen der Kirchen hin, festgelegt, dass Bekenntnisschulen weiterhin errichtet werden konnten: „Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb [...] nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichgesetzes.“ (WRV 1919, Art.146, zit. nach Helmreich 1966, 164) Die Aufnahme dieses Artikels in die Weimarer Verfassung führte dazu, dass ein überwiegender Teil der Schulen Bekenntnisschulen blieben, so besuchten ca. 85% der katholischen Schüler katholische Bekenntnisschulen. (vgl. Weber 1983, 142)

Die Lehrpläne für den Religionsunterricht wurden in Zusammenarbeit mit den Kirchen von den Kultusministerien erstellt. Unterrichtsgegenstände blieben, wie zuvor in den Simultanschulen, meist biblische Geschichten, Katechismus, Bibelsprüche, Kirchenlieder und Gebete. (vgl. Helmreich 1966, 194) Ziel des Unterrichtes war die Übernahme und Aneignung dieser Unterrichtsgegenstände.

2.1.3. Vergleichende Zusammenschau

Im Elementary Education Act liegen die institutionellen Ursprünge des interreligiösen Religionsunterrichts in England und in der Weimarer Verfassung die institutionellen Ursprünge des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland. Trotz augenfälliger Unterschiede zwischen den hier gesetzlich vorgeschriebenen Bestimmungen gab es auch nennenswerte Parallelen. So ging man zu den damaligen Zeitpunkten in beiden Ländern selbstverständlich von einer christlichen Unterweisung im Religionsunterricht aus. Weiterhin wurde das Recht der Eltern, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden im englischen Bildungsgesetz von 1870 und in der Weimarer Reichsverfassung 1919 festgelegt. Neben den öffentlichen Schulen gab es in England und Deutschland weiterhin auch eine große Zahl an Konfessionsschulen. Ein signifikanter Unterschied zwischen dem englischen Bildungsgesetz von 1870 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919 ist die Tatsache, dass der Religionsunterricht in der Weimarer Republik als „ordentliches Lehrfach“ gesetzlich vorgeschrieben wurde, während der englische Staat die Entscheidung über die Erteilung des Religionsunterrichts den lokalen Erziehungsbehörden überließ. Der für diese Arbeit bedeutendste Unterschied ist allerdings die Festlegung eines konfessionell getrennten Religionsunterrichts in der Weimarer Reichsverfassung gegenüber dem, in der Cowper Temple Clause des englischen Bildungsgesetzes vorgeschriebenen nicht - konfessionellen Religionsunterricht. In England wie auch in Deutschland stand die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts. Im deutschen, konfessionellen Unterricht spielten aber selbstverständlich auch unterschiedliche konfessionelle Interpretationen von biblischen Geschichten und traditionellen christlichen Stoffen eine Rolle, während der englische Religionsunterricht konfessionelle Inhalte ausklammerte.

In der Cowper Temple Clause wurde festgelegt, dass an staatlich getragenen Schulen in England alle Schüler am gleichen Religionsunterricht, der sich den einzelnen Konfessionen gegenüber neutral verhält, teilnehmen. 1870 dachte man hierbei, wie oben erwähnt, selbstverständlich an einen christlichen Unterricht an dem ausschließlich christliche Schüler teilnahmen, trotzdem konnte dieser Grundsatz später für den interreligiösen Religionsunterricht auf alle Religionen übertragen werden.

Die Gründe dafür, dass man sich 1870 in England für einen nicht - konfessionellen und in Deutschland für einen konfessionellen Religionsunterricht entschied, sind sicherlich zahlreich und können hier nicht alle nachvollzogen werden. Trotzdem werde ich im Folgende einige mögliche Gründe aufzählen.

Meyer sieht einen Grund für die unterschiedlichen Entscheidungen in England und in Deutschland in der jeweiligen Konfessionslandschaft: „Während in Deutschland eine territoriale Gliederung zwischen - hauptsächlich - zwei Konfessionen prägend war, hat es in England neben der Church of England eine Vielzahl unterschiedlicher Kirchen gegeben [...].“ (Meyer 1999, 102)

Ein konfessioneller Unterricht wie in Deutschland wäre in England also viel schwerer umzusetzen gewesen, da man für eine Vielzahl unterschiedlicher Kirchen Religionsunterricht hätte anbieten müssen. In Deutschland reichte hingegen meist das Angebot von katholischem und evangelischem Religionsunterricht.[7]

Die Vermutung liegt nahe, dass ein weiterer Grund für die englische Entscheidung die Tatsache war, dass der Staat um ein tolerantes Verhältnis gegenüber den Nicht - Anglikanern bemüht war und aus diesem Grunde keine Entscheidung bezüglich des Religionsunterrichts zugunsten einer bestimmten Konfession treffen wollte. So verabschiedete man die Cowper Temple Clause.

Im Vorfeld der Entscheidung von 1870 für den nicht - konfessionellen Religionsunterricht wurde aber auch in England u.a. vorgeschlagen, einen konfessionellen Religionsunterricht an staatlichen Schulen einzurichten.

In der jungen Weimarer Republik wiederum war das konfessionelle Modell nicht unumstritten. Letztendlich setzten sich hier aber die konservativen Parteien durch und der Religionsunterricht, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgesellschaft, wurde als „ordentliches Lehrfach“ in die Verfassung aufgenommen.

2. 2. Das englische Bildungsgesetz von 1944 und der deutsche Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

2.2.1. Das englische Bildungsgesetz von 1944

Anders als im Bildungsgesetz von 1870, wurde der Religionsunterricht 1944 für alle öffentlichen Schulen (county schools) und die meisten unterstützten Schulen (voluntary schools)[8] als verbindliches Lehrfach vorgeschrieben: §25 (2) „ [...] religious instruction shall be given in every county school and every voluntary school.“ (Swann 1985, zit. nach Haussmann 1993, 156)[9]

Die tägliche Morgenversammlung (Collective Worship, Morning Assembly), die an den kirchlichen Schulen in England eine lange Tradition hatte, wurde 1944 ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben: §25 (1) „ […] the school day in every country school and in every voluntary school shall begin with the collective worship on the part of pupils in attendance at the school [...] .” (Swan 1985, zit. nach Haussmann 1993, 156)

Der Religionsunterricht war nun das einzige, in England gesetzlich vorgeschriebene Lehrfach. Während der Staat den Religionsunterricht bis 1944 nicht finanziell unterstützte, wurde im Bildungsgesetz von 1944 eine finanzielle Unterstützung des Religionsunterrichts seitens des Staates festgelegt.

Cookin ist der Meinung, dass in den gesetzlichen Erneuerungen bezüglich des Religionsunterrichts „ein echtes und weitverbreitetes Verlangen danach zum Tragen kam, die christliche Grundlage der Erziehung öffentlich und offiziell anzuerkennen und auf diese Weise dazu beizutragen, den moralischen Verlust der Kriegsjahre wieder gut zu machen.“ (Cookin 1965, zit. nach Fry 1992, 44)

Eine Rolle bei der Entscheidung von 1944 spielte sicherlich auch die positive Verbindung von Religion, Staat und Gesellschaft, die bereits seit den 30er Jahren immer wieder betont wurde. Der Religionsunterricht wurde in diesem Zusammenhang häufig als Mittel gesehen,die Schülerinnen und Schüler „geistig - seelisch“ (spiritual) und moralisch zu Staatsbürgern zu erziehen. (vgl. Meyer 1999, 135)

Die Verbindung zwischen Religion, Staat und Gesellschaft und die damit verbundene Einstellung gegenüber dem Religionsunterricht gewannen vor dem Hintergrund des Krieges gegen Nazi - Deutschland an Bedeutung.

Im Angesicht der Erfahrung des Totalitarismus in Deutschland wurde die christliche Grundlage der britischen Demokratie immer wieder in den Mittelpunkt gestellt.

Die Ansicht verbreitete sich, dass eine schulische Vermittlung christlicher Werte letztendlich zur Festigung demokratischer Strukturen beitragen könnte. (vgl. Haussmann 1993, 157) Während im 19. Jahrhundert und zuvor vor allem eine enge Verbindung zwischen der Staatskirche und dem Staat gesehen wurde[10], gewann die Verbindung zwischen Kirche und Staat nun immer mehr auch eine ökumenische Bedeutung.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Weltkrieges verloren die konfessionellen Unterschiede an Relevanz, während die Bedeutung der gemeinsamen christlichen Werte immer mehr zunahm.

Die Vermutung liegt nahe, dass man im Zusammenschluss des Staates mit allen in England vertretenen Konfessionen eine Möglichkeit sah, sich besser gegen totalitäre Ansprüche wehren zu können. Die Bedeutung des Christentums für die britische Demokratie und die britische Kultur wurde immer häufiger im Zusammenhang mit der Gesamtheit der christlichen Konfessionen betrachtet.

Mit der Unterstützung des bedeutenden Kirchenmannes Willam Temple gelang es schließlich „den konservativen Gedanken des Establishments mit ökumenischem Geist zu füllen.“ (Meyer 1999, 105)

Eine positive Einstellung des Staates gegenüber allen Konfessionen wurde geschaffen. Gemäß dieser Einstellung wurde die Cowper Temple Clause in das Bildungsgesetz von 1944 aufgenommen: §26 „Subject as hereinafter provided [...] shall not, in any county school, be discentive of any particular denomination, and religious instruction given to any pupil in attendance at a county school [… ] shall be given in accordance with an agreed syllabus adopted for the school or those pupils and shall not include any catechism or formulary which is distinctive of any particular denomination.” (Swann 1985 zit. nach Haussmann 1993, 157).

Der Religionsunterricht blieb also, auch wenn jetzt gesetzlich gefordert, überkonfessionell. Die Religionslehrer mussten sich gegenüber den verschiedenen Konfessionen weiterhin wertneutral verhalten.

Die Kirchen stimmten dem nicht - konfessionellen Religionsunterricht 1944 nur zu, weil ihre Forderung nach Erhaltung der Konfessionsschulen erfüllt wurde.

Die christliche Grundlage des Religionsunterrichts wurde auch noch 1944 als selbstverständlich betrachtet. Man ging damals davon, „dass die Glaubensvorstellungen und Werte, die in der christlichen Kultur enthalten sind, nicht nur den essentiellen Unterbau der englischen Kultur, sondern auch die Basis des kommunalen Lebens, einschließlich dem der Schulen bildeten [...].“ (Grimmit 1986, 191)

§ 26 des Bildungsgesetztes von 1944 schrieb auch Agreed Syllabuses (Lehrpläne im Einvernehmen) vor. Die Agreed Syllabuses mussten im Einvernehmen mit den Lehrplankonferenzen (Agreed Syllabus Conferences), die von den lokalen Erziehungsbehörden[11] eingesetzt werden sollten, verabschiedet werden. Auch die Ermächtigung der lokalen Erziehungsbehörden zur Einsetzung von Lehrplankonferenzen war eine Neuerung von 1944. (vgl. Fry 1992, 43) Die Lehrplankonferenzen setzten sich aus Repräsentanten der folgenden vier Gruppen zusammen:

- Anglikanische Kirche
- Andere, in der jeweiligen Region vertretene Konfessionen[12]
- Lokale Erziehungsbehörde
- Lehrervereinigungen.

Die Kommunikation zwischen den, in einer Region vertretenen Konfessionen untereinander und mit Vertretern des Staates wurde, so Meyer, durch die Einsetzung der Lehrplankonferenzen verstärkt. (vgl. Meyer 1999, 106) Hier spiegelte sich das Bestreben wieder, eine enge Verbindung zwischen dem Staat und der Gesamtheit der Konfessionen aufzubauen.

Der Charakter des nicht - konfessionellen Religionsunterrichts wurde durch die nötigen Absprachen zwischen den verschiedenen Konfessionen bezüglich der Lehrpläne sicherlich gefestigt.

Da die Verantwortung der Erstellung der Lehrpläne weiterhin bei den lokalen Erziehungsbehörden lag, die Lehrer in England bei der Unterrichtsgestaltung traditionell große Freiheiten hatten und Verlage Schulbücher herausgeben konnten, die von keiner Behörde genehmigt werden mussten, war der Religionsunterricht im Land mit Sicherheit alles andere als einheitlich. (vgl. Day 1995, 167f.)

Das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht wurde in das Gesetz von 1944 auch wieder aufgenommen: §25.(4) „If the parent of any pupil [...] requests that he be wholly or partly excused from attendance at religious worship in the school, or from attendance at religious instruction in the school […] the pupil shall be excused from such attendance accordingly.” (Swann 1985 zit. nach Haussmann 1993, 160)

Es mag seltsam erscheinen, dass den Eltern trotz des konfessionsübergreifenden Religionsunterrichts das Recht zur Abmeldung von eben diesem gestattet wurde. Dies lag zum einen sicherlich daran, dass man im Bildungsgesetz von 1944 großen Wert auf ein starkes Elternrecht legte, andererseits war es vermutlich auch ein Zugeständnis an die schwache humanistische und säkularistische Bewegung in England. An Angehörige nicht - christlicher Religionen hatte man 1944 wohl noch nicht gedacht. (vgl. Haussmann 1993, 160)

2.2.2. Der Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Als durch die Niederlage der Deutschen am Ende des zweiten Weltkrieges das Bildungswesen, wie alle von den Nationalsozialisten geschaffenen Strukturen, zerstört wurde, hätte man eine grundlegend neue Regelung für den Religionsunterricht an Schulen entwickeln können.

Wie auch in vielen anderen Bereichen orientierte man sich aber auch bei den Bestimmungen über den Religionsunterricht an der Weimarer Verfassung, obwohl auch damals schon, wie oben bemerkt, das konfessionelle Modell sowie der Religionsunterricht an Schulen überhaupt, umstritten war.

Der Artikel 149 wurde 1949 fast vollständig in das Grundgesetz übernommen: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1991, 165). Der Religionsunterricht wurde somit das einzige im Grundgesetz vorgeschriebene Lehrfach. Die Aufsicht über das Schulwesen behielt weiterhin der Staat. (vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1991, 165) Aufgrund der „Kulturhoheit“ der Bundesländer, haben diese „in weiten Teilen des Bildungswesens gesetzgebende und administrative Kompetenz [...].“ (Haussmann 1993, 177).

Da in Deutschland aber das Bundesrecht über dem Landesrecht steht, sind den Bundesländern bezüglich des im Grundgesetz verankerten Religionsunterrichts sehr enge Grenzen gesetzt.[13] Der Erteilung des Religionsunterrichts „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ ist auch in der Verfassung des Landes Hessen festgelegt: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach. Der Lehrer ist im Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes an die Lehren und die Ordnungen seiner Kirche oder Religionsgemeinschaft gebunden.“ (Verfassung des Landes Hessen 1991, 139).[14]

Eine Erklärung für die Übernahme des Religionsunterrichts als „ordentliches“ Lehrfach in das Grundgesetz war, so vermutet Haussmann, „die volkskirchliche Tradition, die Bedeutung der Kirchen als Element der Kontinuität trotz des Totalitarismus und ein ‚geistiges Vakuum‘, das den Kirchen am ehesten zu füllen zugetraut wurde [...].“ (Haussmann 1993, 178)

Nachdem unter der Herrschaft der Nazis der Religionsunterricht in den späten 30er Jahren weithin zum Erliegen gekommen war[15] (vgl. Rickers 1995,2) und zuvor schon meist jeden wirklich religiösen Inhalt verloren hatte, war nach 1945 der Wunsch, die schulischen Lehrpläne wieder „stärker im Sinne kirchlicher Lehre zu gestalten“, (Helmreich 1966, 307) allgemein sehr groß.

Ein allgemeiner, nicht- konfessioneller Religionsunterricht wurde kaum noch gefordert und von der katholischen und der evangelischen Kirche, die gleichermaßen nach einem konfessionellen Unterricht verlangten, strikt abgelehnt.

Die damalige Stimmung wird besonders deutlich, wenn man den Vorschlag der - vor allem norddeutschen - Protestanten beachtet, den Religionsunterricht in „Evangelische Unterweisung umzubenennen. Kittel, der stark für die Bezeichnung „Evangelische Unterweisung“ plädierte, äußerte sich dazu folgendermaßen: „Evangelische Unterweisung, so heißt die neue uns gestellte Aufgabe - nie wieder Religionsunterricht! Wir wissen jetzt, dass jeder überkonfessionelle Unterricht in Wahrheit weniger als konfessionell wird, jeder überchristliche Religionsunterricht weniger als christlich. Die ‚Religion im Allgemeinen‘ ist als inhaltslos - trotz ihres Gefühls- und Wortreichtums - durchschaut. Wir wenden uns entschlossen den Aufgaben zu, die uns gestellt sind, seitdem das Evangelium Christi wieder zum Wort Gottes an uns ward.“ (Kittel 1947, zit. nach Helmreich 1966, 308) Kittel war der Meinung, dass der Religionsunterricht im dritten Reich den Boden für die Nationalsozialisten ebnete, da er immer mehr zu einer ‚Religion im Allgemeinen‘ hinführte und so immer mehr in das völkische Erziehungswesen eingegliedert werden konnte (vgl. Meyer 1999, 107). Verständlicherweise forderte er also nach dem zweiten Weltkrieg eine konfessionelle „Evangelische Unterweisung“, die das Christliche im evangelischen Verständnis betonte.[16] Die Bibel sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Evangelische Unterweisung sei, so Kittel, eine Unterweisung im rechten Umgang mit der Bibel. (vgl. Kittel 1947, 149)

In der 1996 von den deutschen Bischöfen veröffentlichen Erklärung „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ wird die Aufnahme des Religionsunterrichts „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ in das Grundgesetz von 1949 wie folgt begründet: „Belehrt von der Geschichte des totalitären nationalsozialistischen Staates hat sich die Bundesrepublik Deutschland in der religiösen Erziehung in der Schule eine bewusste Selbstbeschränkung auferlegt. Die Kirchen wurden in die Pflicht gerufen und vom Grundgesetz mit der inhaltlichen Füllung des Faches Religion betraut.“ (Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 22)

Hier sollte nicht vergessen werden, dass auch der Religionsunterricht, trotz des gesetzlich festgelegten Mitgestaltungsrechts der Religionsgemeinschaften, unter der Aufsicht des Staates steht und Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes aus der Weimarer Reichsverfassung, die vor der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden war, übernommen wurde. Trotzdem ist es wohl durchaus möglich, dass eine bewusste Selbstbeschränkung des Staates bezüglich des Religionsunterrichts bei der Übernahme des Artikel 149 der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz eine Rolle spielte. Da die Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland ein Mitspracherecht am religiösen Unterricht an Schulen haben, ist dieser in gewisser Weise gegen einen Missbrauch für staatliche Zwecke geschützt.

Im Laufe der Nachkriegsjahre entwickelte sich der deutsche Religionsunterricht zu einem kritischen Unterricht gegenüber Gesellschaft, Kultur und Religion (vgl. Meyer 1999, 109).

Während der konfessionelle Religionsunterricht für Katholiken und Protestanten eine unverzichtbare Forderung war, hielten sich die Protestanten, ganz im Gegensatz zu den Katholiken, in der Forderung nach dem Recht zur Errichtung von Bekenntnisschulen zurück. Die Katholiken konnten sich letztendlich durchsetzen und Bekenntnisschulen blieben weiterhin bestehen.

Das Grundgesetz legt weiterhin auch das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht fest: „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme ihres Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1991, 165) Das hier festgelegte Abmelderecht muss in enger Verbindung mit Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes, welcher die Glaubens - und Gewissensfreiheit festlegt, gesehen werden. In manchen Bundesländern schreibt das jeweilige Schulgesetz z.B. Ethik oder Religionskunde als Ersatzfach für Schüler vor, die vom Religionsunterricht befreit sind. In Hessen ist die Einrichtung eines solchen Ersatzfaches möglich, aber nicht verpflichtend.

2.2.3. Vergleichende Zusammenschau

Nach den Erfahrungen des Faschismus in Europa während des zweiten Weltkrieges wurde der Religionsunterricht in England und Deutschland unter einem neuen Licht betrachtet. Während der Religionsunterricht in England im Bildungsgesetz von 1871 lediglich toleriert wurde, schrieb man 1944 den Religionsunterricht erstmals als verbindliches Unterrichtsfach vor. Das Bildungsgesetz von 1944 blieb bis 1988 in Kraft.

Eine auffällige Parallele zwischen dem englischen Bildungsgesetz von 1944 und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war, dass der Religionsunterricht das einzig gesetzlich verankerte Lehrfach ist. Die mögliche Abmeldung vom Religionsunterricht wurde ebenfalls im Grundgesetz und im englischen Bildungsgesetz von 1944, wie schon in der Weimarer Reichsverfassung bzw. im englischen Bildungsgesetz von 1870, festgelegt. Konfessions- bzw. Bekenntnisschulen blieben weiterhin in beiden Ländern erhalten. Auch in den 40er Jahren ging man in beiden Ländern noch von einem rein christlichen Religionsunterricht aus. Ziel des Unterrichts war die Übernahme und Aneignung der biblischen Bücher und traditioneller christlicher Stoffe sowie die Einprägung christlicher Werte. Der Religionsunterricht verstand sich als „Glaubensunterweisung“. Dies wird an Kittels Begriff der „Evangelischen Unterweisung“ und dem, im englischen Bildungsgesetz verwendeten Begriff „Religious Instruction“ deutlich.

Der entscheidende Unterschied zwischen den gesetzlichen Bestimmungen beider Länder bleibt weiterhin der konfessionelle Unterricht in Deutschland und der nicht - konfessionelle Unterricht in England, der sich den verschiedenen Konfessionen gegenüber neutral verhielt.

Folglich müssen die deutschen Lehrer, die den konfessionellen Religionsunterricht erteilen, bis heute an das Bekenntnis der Kirche, für die sie unterrichten, gebunden sein, während die konfessionelle Zugehörigkeit englischer Religionslehrer im Unterricht keine Rolle spielen darf.

Entsprechend der Absicht des englischen Staates, eine gute Beziehung zu der Gesamtheit aller Konfessionen aufzubauen, wurden die Grundsätze der Cowper Temple Clause in das Bildungsgesetz von 1944 übernommen und die lokalen Erziehungsbehörden bemächtigt, die Lehrplankonferenzen einzuberufen, an welchen Vertreter aller Konfessionen sowie schulische Vertreter teilnehmen sollten.

Da England 1944 noch als christliches Land gesehen wurde, stand es außer Frage, dass nur Vertreter christlicher Konfessionen an den Lehrplankonferenzen teilnahmen. Bei der späteren Einführung des interreligiösen Religionsunterrichts wurden dann auch Vertreter nicht - christlicher Religionen in die Lehrplankonferenzen berufen.

Weil das Bildungsgesetz von 1944 festlegte, dass die Lehrpläne im „Einvernehmen“ mit allen in den Lehrplankonferenzen vertretenen Gruppen verabschiedet werden müssen, wurden Arrangements und Kompromisse zu einem wichtigen Angelpunkt des englischen Religionsunterrichts. Themen, die eine der Gruppen der Kritik unterziehen wurden, vermieden. (vgl. Meyer 1999, 108)

Diese Grundsätze spielen auch im heutigen interreligiösen Religionsunterricht noch eine bedeutende Rolle.

Die Erteilung des Religionsunterrichts, in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“, wurde 1949 in das bis heute geltende Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Es blieb im Religionsunterricht also weiterhin bei einer konfessionellen Übereinstimmung von Lehrer, Schüler und Lehre. Die beiden großen deutschen Kirchen hatten nach dem zweiten Weltkrieg auf einen konfessionellen Religionsunterricht gepocht. Nachdem der Religionsunterricht unter den Nationalsozialisten meist „jeglichen wahrhaft religiösen Inhalt“ (Helmreich 1966, 307) verloren hatten und am Ende der 30er Jahre weithin zum Erliegen kam, war der Ruf nach Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts aber ohnehin nahezu verstummt. In England hatte man bezüglich des Religionsunterrichts in den 30er und 40er Jahren keine vergleichbaren Erfahrungen gemacht.

Da der Religionsunterricht in Deutschland, wie das gesamte Schulwesen, unter der Aufsicht des Staates steht und in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden muss, müssen auch in Deutschland Staat und Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten. Es gibt hier aber keine institutionellen Foren, wie z.B. die Lehrplankonferenzen in England, für diese Zusammenarbeit. Aufgrund des konfessionellen Religionsunterricht sind die Religionsgemeinschaften in Deutschland, anders als in England, nicht gezwungen, zusammenzuarbeiten. Kompromisse und Arrangements zwischen den Religionsgemeinschaften spielen für den deutschen Religionsunterricht also keine entscheidende Rolle.

In England hoffte man nach der Erfahrung des Totalitarismus in Europa, sich durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und der Gesamtheit der christlichen Konfessionen, die häufig auf Arrangements und Kompromissen beruhte, besser gegen totalitäre Ansprüche wehren zu können.

In Deutschland, wo man die Zerstörung bestehender Strukturen durch totalitäre Ansprüche am eigenen Leib erfahren hatte, nahm der Religionsunterricht in den Nachkriegsjahren häufig eine kritische Stellung gegenüber Gesellschaft, Kultur und Religion ein. (vgl. Meyer 1999, 107)

Die Funktion des Religionsunterrichts als kritischer Unterricht wurde in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren nochmals verstärkt und spielt auch heute noch eine bedeutende Rolle.

2.3. Neue Wege der Religionspädagogik

Während sich der englische Religionsunterricht bei der Verabschiedung des Bildungsgesetztes von 1944 ebenso wie der deutsche Religionsunterricht bei der Verabschiedung des Grundgesetztes noch als christliche Glaubensunterweisung verstand, kam es in den sechziger Jahre in England und in Deutschland zu einer entscheidenden Wende in der Religionspädagogik: Die Mittelpunktsstellung der Bibel im Religionsunterricht wurde immer häufiger in Frage gestellt. Die Lebenswelt und die Probleme der Schüler traten in den Vordergrund. Da die Schülerorientierung im englischen sowie im deutschen Religionsunterricht noch heute eine bedeutende Rolle spielt, halte ich es für sinnvoll, hier kurz auf die Anfänge dieser religionspädagogischen Richtung einzugehen.

2.3.1. Neue Wege der Religionspädagogik in England

Harald Loukes wurde 1961 Herausgeber des damals einzigen religionspädagogischen Magazins „Learning for Living“. Angesichts der zunehmende Säkularisierung und der häufiger werdenden Kritik am Religionsunterricht suchte er nach neuen Methoden zur Vermittlung der christlichen Religion. Er war der erste Religionspädagoge, der sich zu Beginn der sechziger Jahre für die Beachtung der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht aussprach und begründete somit den problemorientierten Unterricht als Methode zur Vermittlung des Christentums.

In seinem Buch „Teenage Religion“ (1961) entwickelte Loukes einen Religionsunterricht, der sich an altersspezifischen Problemen der Schüler orientierte. Er vertrat dort einen Religionsunterricht, in dessen Mittelpunkt nicht mehr nur die Bibel und Dogmen standen. Der Unterricht sollte vielmehr mit Erfahrungen, Problemen und Fragen nach der eigenen Existenz beginnen, welche dann in Bezug zur biblischen Botschaft gesetzt werden konnten. (vgl. Meyer 1999, 109 f.) Loukes ging davon aus, dass religiöse Elemente und Fragen implizit in der alltäglichen Lebenswelt, in der Natur und in Fragen und Problemen der Jugendlichen enthalten seien. Er war der Meinung, dass sich der christliche Glaube anhand dieses implizit Religiösen für die Schüler erschließen könne. (vgl. Loukes 1961, 152) Nach Loukes Ansicht liegt die „Anlage zur Religiosität, spezifischer zur christlichen Religion“ (Meyer 1999, 112), in der Natur des Menschen. Ziel des Religionsunterrichts wäre es, dieses implizit Religiöse bewusst zu machen.

Ronald Goldmann veröffentlichte 1963 eine Untersuchung zu verschiedenen Phasen des kindlichen Verständnisses biblischer Geschichten, die weitgehend auf Piagets Entwicklungsmodell gründete. Goldmanns Untersuchung hatte folgendes Ergebnis: „The Bible may be a book for adults to study, but it is demostrably not a children’s book.” (Goldmann, 1965 zit. nach Meyer 1999) Die Gedankenzusammenhänge der Bibel könnten, so Goldmann, von Kindern meist nicht erfasst werden. Die Sprache und die historischen Situationen seien Kindern fremd.

Goldmann forderte aufgrund seiner Untersuchungsergebnisse eine Neukonzeption der Lehrpläne unter Beachtung der emotionalen und intellektuellen Erfahrungen sowie der Reife der verschiedenen Altersgruppen. Die im Religionsunterricht behandelten Themen sollten sich an der jeweiligen Entwicklungsphase der Kinder orientieren.

Goldmann schlug einen thematisch - phasengerechten Religionsunterricht vor, der von lebensweltbezogenen oder biblischen Themen anstatt von biblischen Texten ausgeht. (vgl. Goldmann 1963)

E. Cox setzte sich seit 1965 für einen Religionsunterricht ein, der unter dem Einfluss der Theologien von Bultmann, Bonhoeffer und Tillich stand und nicht mehr zwangsläufig zum christlichen Glauben führen musste, sondern als eine persönliche Suche nach Wahrheit verstanden wurde.

Cox wehrte sich gegen jeden Unterricht, dessen Ziel eine bestimmte Glaubensaussage sein sollte. Er forderte einen offenen Unterricht, in welchem den Schülern die Möglichkeit gegeben wird, ihren ganz persönlichen Glauben zu finden. (vgl. Meyer 1999, 114). Cox, Goldmann Loukes und weitere Religionspädagogen forderten 1965 in einem Brief an die Beratungsgremien der lokalen Schulbehörden eine Reform der Lehrpläne in ihrem Sinne. In den folgenden Jahren nahmen viele lokale Schulbehörden, einen thematisch - phasengerechten Religionsunterricht, der auch die Lebenswelt der Kinder beachtet, in ihre Lehrpläne auf.

Man bewegte sich in England langsam weg von einem Konzept „der religiösen Erziehung, in dem christlichen Werten und Glaubensvorstellungen der Status der Absolutheit beigemessen wird.“ (Grimmit 1986, 191)

Der existenzielle Ansatz, der die Lebenswelt der Kinder in den Religionsunterricht einbezieht, sowie die Beachtung der kindlichen Entwicklungsphasen bei der Themenwahl spielen auch im heutigen interreligiösen Religionsunterricht eine Rolle.

2.3.2. Neue Wege der Religionspädagogik in Deutschland

Viele Religionspädagogen sahen den deutschen Religionsunterricht durch die steigende Zahl von Abmeldungen und zunehmender Kritik seit Mitte der sechziger in einer Krise.[17] Religionspädagogen mussten sich immer häufiger fragen, ob ein Religionsunterricht, in dessen Mittelpunkt die Bibel stand, in einer Gesellschaft, in der christliche Traditionen immer mehr an Einfluss verloren, noch zeitgemäß und sinnvoll war. „Die Zeit drängte [...] auf eine pädagogische Transformation der Glaubensüberlieferung unter den Erfahrungsvoraussetzungen der Gegenwart.“ (Nipkow/ Schweitzer 1994, 219)

Fünf Jahre nachdem Loukes in England erstmals den problemorientierten Unterricht als Methode zur Vermittlung des Christentums zur Sprache brachte, gerieten so auch die Probleme und die Lebenswirklichkeit der Schüler in das Interesse deutscher Religionspädagogen.

Bernhard Kaufmann[18] vertrat in seiner Thesenreihe „Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“ (1966) die Meinung, dass „die traditionelle Mittelpunktstellung der Bibel als Gegenstand und Stoff des Religionsunterrichts ein Selbstmissverständnis und weder theologisch noch didaktisch gerechtfertigt (ist).“ (Kaufmann 1966, 182) Kaufmann hielt eine Religionspädagogik, welche die Bibel in den Mittelpunkt stellte, „angesichts des allgemeinen Traditionsabruchs und einer zukunftsbezogenen Neuorientierung“ (Kaufmann 1966, 182) für unglaubhaft. Weiterhin fördere ein Religionsunterricht der sich auf die Vermittlung der biblischen Bücher und traditioneller christlicher Stoffe beschränke in keiner Weise ein eigenständiges, kritisches Denken der Schüler.

Kaufmann forderte in Anbetracht dieser Überlegungen, den Religionsunterricht „pädagogisch, theologisch und gesellschaftspolitisch“ (Kaufmann 1966, 183) neu zu entwickeln.

Kaufmann vertrat die Ansicht, dass die Frage nach Gott, das Zeugnis des neuen Testamentes und die paulinische Rechtfertigungslehre in Zukunft nicht mehr nur im Rahmen ihrer geschichtlichen Welt, sondern auch im Rahmen der gegenwärtigen Lebenswelt der Schüler ausgelegt werden sollten.

Die geschichtliche Welt der Bibel solle, so Kaufmann, im „Dialog mit dem Welt - und Selbstverständnis der heute lebenden Menschen“ (Kaufmann, 183) zur Sprache gebracht werden. Der deutsche Religionspädagoge war der Meinung, dass der Bezug zwischen der geschichtlichen Welt der Bibel und der gegenwärtigen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler keinesfalls offensichtlich sei. Die Aufgabe der Lehrkraft liege darin, diesen Bezug deutlich zu machen.

Evangelischer Religionsunterricht hat nach Kaufmann die „Aufgabe, Erfahrungen und Wirklichkeit im Horizont des christlichen Glaubens auszulegen und zu eröffnen. Der Unterricht ist so zu gestalten, dass die Freiheit zum Widerspruch nicht nur zugestanden wird, sondern als Bedingung des Verstehens gilt, da es eine zwingende Beweisführung zugunsten des einen oder anderen Glauben ebenso wenig gibt wie einen Glauben, der darauf verzichten kann, sich denkend in einen ‚Streit um die Wirklichkeit’ (G. Ebeling) einzulassen.“ (Kaufmann 1966, 184)

Hier wird deutlich, dass Religionsunterricht nicht länger eine christliche Unterweisung sein sollte, die einzig und allein auf spezielle Glaubensaussagen der Schülerinnen und Schüler abzielte. Kritik wurde nicht nur zugelassen, sondern als Bedingung des Verstehens gesehen. Letztendlich sollte aber, mit Hilfe der Lehrkraft, die Relevanz des christlichen Glaubens für die aktuelle Lebenswirklichkeit deutlich werden.

Kaufmann hielt es für sinnvoll, das aus der Lernpsychologie stammende Modell des „exemplarischen Lehrens“ für die Religionspädagogik zu nutzen: Geht man im Lernprozess von elementaren Inhalten und Aufgaben aus, können im weiteren Verlauf des Lernens komplexere Sachverhalte erkannt werden und die jeweilige Ausgangslage des Kindes soweit beachtet werden, dass es Interesse an dem zu behandelnden Unterrichtsgegenstand gewinnen kann und eigenständig weiter lernen möchte.

Kaufmann sah also die Möglichkeit, dass es Kindern gelingen könnte bestimmte Dimensionen des christlichen Glaubens zu erschließen, wenn man sich in einem ersten Schritt mit elementaren Inhalten aus der kindlichen Lebenswelt beschäftigt und diese dann in einem zweiten Schritt in Bezug zu den komplexeren Sachverhaltens des Glaubens setzt. Ein Erschließen der Bedeutung des christlichen Glaubens für die eigene Welt ist auf diese Weise wohl eher möglich, als durch die abstrakte Auslegung der biblischen Bücher und traditioneller christlicher Stoffe.

Weiterhin hielt es Kaufmann für die Neuentwicklung von Konzepten für den Religionsunterricht unabdinglich, mit Theologie und Didaktik zusammenzuarbeiten sowie die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen und unterrichtspraktischen Modellen zu beachten.

Kaufmann schloss seine Thesenreihe damit, dass seiner Meinung nach „die Funktion und die Relevanz des Glaubens (von Religion) im menschlichen Dasein und in unserer Welt im evangelischen Verständnis erkennen und erfahren (lassen), nur möglich (ist), wenn das Bekenntnis zu Jesus Christus als Grund und Ursprung des Glaubens festgehalten wird.“ (Kaufmann 1966, 188)

Karl Ernst Nipkow sprach sich kurz nach Kaufmann ebenfalls für einen problemorientierten Religionsunterricht, der die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler beachtet, aus. Er forderte, dass man die Religionspädagogik nicht mehr nur als theologische, sondern auch als pädagogische Disziplin sehen solle. (vgl. Meyer 1999, 116)

Wegenast verlangte 1968 nach mehr empirischen Untersuchungen zur Praxis im Religionsunterricht und zur Lebenswelt der Kinder. (vgl. Wegenast 1968, 110) Für besonders wichtig hielt er, wie auch Goldmann, Untersuchungen zum sprachlichen Verständnis biblischer Texte bei Kindern.

Im späteren Verlauf der sechziger Jahre bewegte man sich in Deutschland immer mehr weg von einem Religionsunterricht, dessen Ziel die Übernahme und Aneignung von biblischen Büchern und traditionellen christlichen Stoffen war. Die Orientierung an Problemen und Fragen aus Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gewann zunehmend an Bedeutung und spielt auch im heutigen Religionsunterricht noch eine tragende Rolle.

2.3.3. Vergleichende Zusammenschau

In England und in Deutschland kam es im Laufe der sechziger Jahre zu einer Wende in der Religionspädagogik. Nicht ohne Bedeutung für die Entwicklungen in der Religionspädagogik war mit Sicherheit die zunehmende Säkularisierung beider Gesellschaften. Der herkömmliche Religionsunterricht, dessen Mittelpunkt die Bibel war, geriet in beiden Ländern zunehmend unter Legitimationszwang.[19]

In England, wie auch fünf Jahre später in Deutschland, fand eine Entwicklung hin zur Schülerorientierung statt. Die Lebenswelt sowie die Probleme der Schülerinnen und Schüler gewannen zunehmend an Bedeutung. Der Religionsunterricht sollte keine reine Übernahme und Aneignung von christlichen Stoffen und Texten mehr sein, der persönliche Umgang der Schüler mit dem christlichen Glauben trat vermehrt in den Vordergrund. B. Kaufmann vertrat in Deutschland die Meinung, dass eine kritische Betrachtung der christlichen Religion für die persönliche Glaubensfindung der Schüler durchaus von Bedeutung sein kann. Der Ruf nach der Notwendigkeit empirischer Untersuchungen bezüglich der Unterrichtspraxis und der kindlichen Lebenswirklichkeit wurde ebenfalls im Laufe der sechziger Jahre in beiden Ländern laut.

B. Kaufmann vertrat die Meinung, dass es die Aufgabe der Lehrkraft sei, die Verbindung zwischen der geschichtlichen Welt des christlichen Glaubens und der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler deutlich zu machen. Die Bedeutung des Glaubens für die Lebenswirklichkeit müsse erst aufgezeigt werden.

H. Loukes hingegen war der Auffassung, dass das Religiöse in der alltäglichen Lebenswelt und in der Natur immanent sei und eine religiöse Anlage in der Natur des Menschen liege. Die Verbindung des Glaubens und der Lebenswirklichkeit erschienen bei ihm als geradezu selbstverständlich.

Die englischen Religionspädagogen gingen zu Beginn der sechziger Jahre noch immer von einem christlichen Religionsunterricht aus. Gleiches galt für die deutschen Religionspädagogen.

In der religionspädagogischen Wende hin zu einem problemorientierten Unterricht, der die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler einbezog, lag aber auch eine wichtige Voraussetzung für den späteren interreligiösen Religionsunterricht. Die Bibel und traditionell christliche Themen waren nicht mehr die einzige Grundlage des Religionsunterrichts. Zur Lebenswelt der englischen Kinder gehörten in zunehmendem Maße auch nicht - christliche Religionen, die im Religionsunterricht Beachtung finden mussten.

Hier wird auch deutlich, dass man in England bereits zu Beginn der sechziger Jahre offen für Veränderungen des Religionsunterrichts war. Diese Offenheit spiegelt sich auch in der späteren Entwicklung hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht wider.

2.4. Die Entwicklung multikultureller Gesellschaften in England und Deutschland

England war bei der Verabschiedung des Bildungsgesetzes von 1944 ebenso ein „christliches Land“ wie Deutschland 1949 bei der Verabschiedung des Grundgesetzes. Durch die Arbeitsmigration, die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte, wurden beide Länder in den nächsten Jahrzehnten zunehmend multikulturell. Ich halte es für wichtig, die Entstehung der multikulturellen Gesellschaft in England zu beschreiben, weil die veränderte gesellschaftliche Situation letztendlich Auslöser für die Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts war.

Ein Vergleich mit Deutschland halte ich für sinnvoll, da sich hier die Arbeitsmigration, wie in den folgenden Ausführungen deutlich werden soll, unter anderen Bedingungen vollzog als in England und hierin möglicher Weise ein Grund dafür gesehen werden kann, warum in Deutschland bislang an einem konfessionellen Religionsunterricht festgehalten wird. Ich werde meinen Ausführungen zu den Entstehungsgeschichten der multikulturellen Gesellschaften in England und Deutschland einen Exkurs anschließen, in welchem ich auf die heutigen gesellschaftlichen Situationen im Hinblick auf Multikulturalität, eingehe, da diese, vor allem die deutsche Situation, später für die Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells auf Deutschland von Bedeutung sein werden.

2.4.1. Die Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft in England

Einwanderungsbewegungen gibt es in England schon seit dem 17. Jahrhundert. Die Einwanderungen vom 17. bis 19. Jahrhundert fallen aber zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Die Iren waren bis zum Ende des zweiten Weltkrieges die größte Einwanderergruppe in England. Großbritannien sah sich bis zu den fünfziger Jahren als Land für weiße Menschen. (vgl. Haussmann 1993, 33)

Nach dem zweiten Weltkrieg herrschte in England ein extremer Mangel an Arbeitkräften, die Regierung sah sich von daher gezwungen, zusätzliche Arbeitskräfte zu „importieren“. Angeworbene Gastarbeiter aus dem europäischen Ausland konnten den Arbeitskräftemangel allerdings ebenso wenig ausgleichen, wie die weiterhin einwanderten Iren. Die Regierung entschloss sich deswegen am Ende der vierziger Jahre, auch in den ehemaligen britischen Kolonien der Karibik sowie in Indien und Pakistan junge Menschen für die Arbeit im „kolonialen Mutterland“ (Baringhorst 1998, 148) anzuwerben. Das Parlament verabschiedete vermutlich „in einer Atmosphäre post - imperialer Euphorie“ (Friebel/ Händel 1982, 156 zit. nach Haussmann 1993, 33) im Jahre 1948 den British Nationality Act, welcher nicht zwischen einer britischen und einer Commonwealth- Staatsbürgerschaft unterschied und so den Arbeitsmarkt für Bürger des Neuen Commonwealth weit öffnete. Angehörigen von Kolonien und ehemaligen Kolonien wurde das Recht auf Niederlassung in Großbritannien zugesprochen. (vgl. Haussmann 1993, 33) Der Britsh Nationality Act hatte mit seinen Rechtsansprüchen einen Einwanderungsprozess in Gang gesetzt, welcher die britische Gesellschaft nachhaltig verändern sollte. Die Einwanderungen aus den Staaten des New Commonwealth begannen in den späten vierziger Jahren und stiegen während der fünfziger und sechziger Jahre kontinuierlich an. (vgl. Meyer 1999, 118)

Die Einwanderer, die vor allem Sikhs, Hindus und Muslime waren, brachten ihre Kulturen und Religionen mit nach England. Folglich konnte sich England immer weniger als „Gemeinschaft von Christen“ verstehen.

Die Einwanderer in den fünfziger und frühen sechziger Jahren waren meist junge Männer ohne Familie, die in den industriellen Gebieten Englands ihren Lebensunterhalt verdienen wollten und eine Rückkehr in ihre Heimat nicht ausschlossen.

Da sich die wirtschaftliche Lage in England zu Beginn der sechziger Jahre verschlechterte, erließ man im 1962 den Commonwealth Immigration Act, der die Möglichkeit von Einwanderungen einschränkte. Vor der Einreise nach Großbritannien musste jetzt eine berufliche Qualifikation und ein Arbeitsplatz nachgewiesen werden. Dies führte dazu, dass es in England bis heute viele Inder und Pakistani mit überdurchschnittlichen Berufsqualifikationen gibt.

Da eine zeitwillige Rückreise der Einwanderer in ihr Heimatland durch den Commonwealth Immigration Act jetzt mit der Gefahr verbunden war, nicht mehr nach England einreisen zu dürfen, entschiedenen sich viele Einwanderer, die zuvor eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht ausgeschlossen hatten, für eine dauerhafte Ansiedlung.

Diese Entscheidungen führten dazu, dass vermehrt auch Familien nachzogen. Eine Einreisebeschränkung für Familienangehörige war im Immigration Act von 1962 nicht festgelegt worden, dies führte dazu, dass der Zustrom von Einwanderern nicht wirklich reduziert werden konnten. (vgl. Haussmann 1993, 34)

Im Jahre 1968 wurde erneut ein Commonwealth Immigration Act verabschiedet, welcher die Möglichkeit zur Einwanderung weiter begrenzte, aber wieder keine Einreisebeschränkung für Familienangehörige festsetzte, was zur Folge hatte, dass weiterhin viele Familienmitglieder nachzogen. (vgl. Haussmann 1993, 36f.)

Trotz der Commonwealth Immigration Acts von 1961 und 1968 stieg die Zahl der Wohnbevölkerung aus dem New Commonwealth und Pakistan um 610.000, der Grund hierfür war wohl der vermehrte Familiennachzug. (vgl. Haussmann 1993, 36) Die Phase der primären Einwanderung wurde endgültig erst durch den Commomwealth Immigration Act von 1971 abgeschlossen, in welchem auch Einreisebeschränkungen für Familienangehörige festgelegt wurden.

Der zunehmende Familiennachzug machte sich seit Beginn der sechziger Jahre selbstverständlich auch an den Schulen bemerkbar. Immer mehr Kinder von Einwanderern nahmen am englischen Unterricht teil.

Vor allem am Ende der sechziger Jahre stieg die Zahl der eingewanderten Kindern in den Schulen extrem an. In der Inner London Education Area z.B., einem Gebiet mit sehr hoher Einwandererzahl, stieg die Zahl der eingewanderten Kinder von 12,1% im Jahre 1966 auf 17% im Jahre 1970. (vgl. Meyer 1999, 119)

Im Jahr 1970 stammten 109.580 der eingewanderten Kinder in England von den Westindischen Inseln, 52.273 aus Indien und 22.998 aus Pakistan. (vgl. Meyer 1999, 119) Die Einwanderer mussten zunehmend als integraler Bestandteil der Gesellschaft angesehen werden. Die Race Relation Acts von 1965 und 1968 schrieben die gleichen Rechte für Farbige im öffentlichen Leben, am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt und im Dienstleistungsbereich vor. Das Bildungswesen wurde von diesen beiden Gesetzten aber noch nicht beachtet. (vgl. Hausmann 1993, 36)

Im Laufe der siebziger Jahre wurde die Absicht der Einwanderer, sich endgültig in England niederzulassen auch an der steigenden Zahl der Institutionalisierungen wie z.B. Moscheen oder Tempeln sichtbar. Die Forderung von islamischer Seite, Schulen in eigener Trägerschaft zu errichten konnte aber bis heute nicht durchgesetzt werden.

Die englische Regierung hatte seit den späten fünfziger Jahren an einer Assimilations- und Integrationspolitik festgehalten, die davon ausging man könne die Minderheiten ohne entscheidende Veränderungen für die Mehrheitsgesellschaft „absorbieren“. (vgl. Haussmann 1993, 127). Diese Politik musste am Ende der siebziger Jahre als verfehlt betrachtet werden, da sie die gewünschten Ziele nicht erreicht hatte. Zu Beginn der achtziger Jahre schlug die englische Regierung den Weg hin zu einer „multicultural policy“ ein. [20]

Exkurs: Die englische multikulturelle Gesellschaft heute Baringhorst stellt fest, dass die extrem starke ethnische und damit auch sprachliche, kulturelle Vielfalt der Einwanderergemeinschaften in Großbritannien im europäischen Vergleich auffallend ist. In den Schulen im Großraum London fand man 1993 nicht weniger als 193 unterschiedliche Muttersprachen. ( vgl. Baringhorst 1998, 150) Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung betrug im Jahre 1999 in England und Wales 7,3%. Ca. 45% der Ausländer stammen aus dem New Commonwealth, davon 55% aus Asien.

Die Inder sind mit 11% Anteil an der gesamten ausländischen Bevölkerung die größte Ausländergruppe. Der Anteil der Türken an der ausländischen Bevölkerung betrug 1999 in England und Wales nur 0,7%. (vgl. Office for National Statistics (Hrsg.) 1999, 163)

Entsprechend der verschiedenen Nationalitäten, sind auch die nicht- christlichen Religionen in England breit gefächert: Im Jahre 1990 wurden in England 495.000aktive, erwachsene Muslime und 250.000 Sikhs gezählt. Die Zahl der aktiven, erwachsenen Hindus betrug 1990 140.000 und die der Juden 101.000. (vgl. Office for National Statistics (Hrsg.) 2000, 219)

2.4.2. Die Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland

Bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik kannte man den Import von Arbeitskräften, sogenannte Wanderarbeiter ließen sich für einen begrenzten Zeitraum nieder.( vgl. Hausmann1993, 42)

Nach dem zweiten Weltkrieg herrschte in Deutschland trotz Arbeitslosigkeit und Zuwanderungsströmen in manchen Bereichen ein erheblicher Mangel an Arbeitskräften.

Dieser Mangel wurde in den fünfziger Jahren durch das wirtschaftliche Wachstum gestärkt. Die deutsche Regierung entschloss sich, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. 1955 wurde der erste Anwerbervertrag mit Italien abgeschlossen. In Anlehnung an die Erfahrungen, die man im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gemacht hatte, legitimierte man die zeitweilige Anwesenheit von Ausländern in Verbindung mit einer Arbeitserlaubnis aufgrund von wirtschaftlichen Interessen. (vgl. Haussmann 1993, 42) Die Zahl der „Gastarbeiter“ stieg kontinuierlich an. 1961 wurde ein Anwerbervertrag mit der Türkei abgeschlossen. Die meisten Gastarbeiter in den späten fünfziger und den sechziger Jahren waren alleinstehende junge Männer.

Die deutsche Politik ging bis zur Mitte der siebziger Jahre davon aus, dass die Gastarbeiter nur für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland bleiben würden. Die Meinung, dass dieser zeitweilige Aufenthalt auch den Vorstellungen der ausländischen Arbeitskräfte entspreche, war weitverbreitet. Entsprechend dieser Vorstellungen eines Aufenthaltes auf Zeit gab es bis in die späten sechziger Jahre hinein von Regierungsseite her kaum Assimilations- oder Integrationsmaßnahmen. Die sich ergebende Segregation wurde von Gastarbeitern und Deutschen akzeptiert.

Am Ende der sechziger Jahre entwickelte sich dann eine „Ausländerpädagogik“ die zum einen Integration zum Ziel hatte, zum anderen aber die kulturelle Identität und somit die „Rückkehrfähigkeit“ der Ausländer enthalten wollte. Diese Pädagogik macht deutlich, dass man auch am Ende der sechziger Jahre noch von einem Aufenthalt auf Zeit ausging. (vgl. Coburn - Staege 1996, 25)

Die Gastarbeiter und ihre Familien brachten ihre Kulturen und Religionen mit nach Deutschland. Eine so breite Fächerung der Religionen wie in England gab und gibt es in Deutschland allerdings nicht. Die überwiegende Zahl der Gastarbeiter in den sechziger Jahren waren Katholiken aus Italien, Spanien, Portugal und Kroatien. Die einzigen nicht - christlichen Einwanderer waren Muslime, vor allem aus der Türkei. (Meyer 1999,121)

Zwischen 1960 und 1973 war die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen in Deutschland von 280.000 auf 2.595.000 angestiegen. Die ausländischen Arbeiter ließen sich vor allem in industriellen Gebieten nieder.

Aufgrund der steigenden Arbeitslosenzahlen, der sich abzeichnenden Rezension und der Ölkrise kam es 1973 zu einem „Anwerberstopp“. Ausländische Arbeiter, die nicht aus einem EG- Staat kamen, konnten nach einer Ausreise aus Deutschland nicht mehr zurückkehren. Viele Gastarbeiter, vor allem Türken, wollten sich jetzt längerfristig in Deutschland niederlassen und machten von dem „Familiennachzugsrecht“ gebraucht. Die Zahl der Ausländer nahm aufgrund des vermehrten Familiennachzuges nach dem „Anwerbeberstopp“ nicht ab. Die Zahl der einwanderten Kinder lag 1974 zwischen 38% und 50%. Während sich die Kinderzahl zwischen 1970 und 1987 verdreifachte, stieg die gesamte Zahl der Einwanderer zwischen 1973 und 1989 nur von vier auf 4,85 Millionen. (vgl. Meyer 1999, 122)

Durch den Familiennachzug wurde häufig die Verbindung zum Heimatland zerbrochen, was zunehmend zu einer sinkenden Rückkehrbereitschaft führte. Aus der zeitlich begrenzten „Arbeitswanderung“ wurde so eine „Einwanderung“. Deutschland wurde mehr und mehr zu einem De -facto - Einwanderungsland. (vgl. Haussmann 1993, 46) Von Seiten der Regierung beharrte man aber auf der Auffassung, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.

Am Ende der siebziger Jahre wurde, vor allem unter Beachtung der zweiten Ausländergeneration, zunehmend darauf aufmerksam gemacht, dass keine Rückkehrbereitschaft mehr bestehe. Integrationsbemühungen wurden verstärkt diskutiert. (vgl. Auernheimer 1991, 44)

Das umstrittenste Dokument bundesdeutscher Integrationspolitik wurde die Denkschrift des ersten „Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehöriger“ H. Kühn. Er forderte in seiner Denkschrift, dass die Politik in Zukunft der Tatsache Rechnung tragen solle, dass die meisten ausländischen Arbeiter und ihre Familien nicht mehr Gastarbeiter auf Zeit, sondern Einwanderer ohne Rückehrabsichten sind. Von der Schulpolitik verlangte Kühn eine Ausrichtung auf eine dauerhafte Integration und damit verbunden, die Aufgabe der „Doppelstrategie“ der Ausländerpädagogik.

Kühns Denkschrift hatte allerdings keine weitreichenden politischen Konsequenzen, da von Regierungsseite her weiterhin daran festgehalten wurde, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.

Diese Einstellung hat sich in den folgenden zwanzig Jahren nicht geändert. Die regierungsamtliche Politik der Länder beruht weiterhin auf der Grundposition, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist, obwohl die Multikulturalität im heutigen Deutschland, wie es der folgende Exkurs zeigen wird, Realität ist.

Exkurs: Die heutige multikulturelle Situation in Deutschland 1992 waren bereits 8,1% der damals 74,1 Millionen Einwohner in Deutschland Ausländer. (vgl. Coburn- Staege 1996, 18) Weitüber zwei Millionen Menschen lebten1996 in einer bi- nationalen Ehe. (vgl. Coburn- Staege 1996, 19) Die größte Ausländergruppe in Deutschland sind die Türken. Heute leben hier ca. 2,11 Millionen türkische Menschen und, nach einer Selbsteinschätzung 2,7 Millionen Muslime. (vgl. Meyer 1999, 121f.)

Im Land Hessen[21] betrug der Ausländeranteil im September 1999 ca. 12%. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1999, Nichtdeutsche Bevölkerung in den Verwaltungsbezirken) Am Ende des Jahres 1999 waren ca. 29,6% der ausländischen Bevölkerung in Hessen Türken. Der Anteil der Inder an der ausländischen Bevölkerung betrug nur ca. 0,7%. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1999, Ausländerzentralregister, 3, 9)

Von den 645.038 Einwohnern der Stadt Frankfurt waren am Ende des Jahres 1999 211.710, also 32,8% keine Deutschen. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1999, Nichtdeutsche Bevölkerung in den Verwaltungsbezirken) Im Regierungsbezirk Gießen z.B. betrug der Ausländeranteil im September 1999 nur 8,7% und im Regierungsbezirk Kassel nur 6,2%. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1999, Nichtdeutsche Bevölkerung in den Verwaltungsbezirken) An diesen Zahlen wird deutlich, dass der Ausländeranteil in industriellen Gebieten weitaus höher ist als in ländlichen.

Der Ausländeranteil an allgemeinbildenden Schulen in Hessen betrug im Schuljahr 1999/2000 14,9%. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.)2000, Statistik der allgemeinbildenden Schulen ) Ca. 700.000 Schüler islamischen Glaubens besuchen derzeitöffentliche Schulen in Deutschland. (vgl. oll. 1.3.2000, 6) Bei der Volkszählung von 1987 war der Islam, nach der evangelischen und der katholischen Kirche, mit 170.640 Mitgliedern, die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Hessen. Es wurden nur 6.208 Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft gezählt. Hinduismus und Sikhismus sind wohl aufgrund der geringen Zahlen in der Statistik nicht aufgelistet. (vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1987Volkszählung, 3)

2.4.3. Vergleichende Zusammenschau

In England und in Deutschland herrschte nach dem zweiten Weltkrieg gleichermaßen ein Mangel an Arbeitskräften. Die Regierungen beider Länder entschlossen sich, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben.

Während man in England bereits in den späten vierziger Jahren Arbeiter aus den Staaten des New Commonwealth und Pakistan anwarb, schloss Deutschland erst 1955 den ersten Anwerbervertrag mit Italien ab. Da man in Deutschland nicht auf Arbeiter aus Kolonien bzw. ehemaligen Kolonien zurückgreifen konnte, wurden auch folgende Anwerberverträge mit europäischen Ländern und der Türkei abgeschlossen.

Die Gastarbeiter in Deutschland kamen also hauptsächlich aus dem europäischen Ausland sowie der Türkei und die ausländischen Arbeiter in England vor allem von den westindischen Inseln, aus Indien und Pakistan. Dies führte letztendlich dazu, dass die Fächerung der verschiedenen Kulturen und nicht -christlichen Religionen in England noch heute wesentlich weiter ist als ist als in Deutschland.

Da die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften in England früher begonnen hatte als in Deutschland, war der Arbeitsmarkt in England früher gesättigt als in Deutschland und die Regierung sah sich bereits 1962 gezwungen, die Möglichkeiten der Einreise durch den Commonwealth Immigration Act zu begrenzen. Durch den Commonwealth Immigration Act wurde in den sechziger Jahre eine starke Welle des Familiennachzuges ausgelöst. In Deutschland sah man sich erst 1973 gezwungen, durch den sogenannten „Anwerberstopp“ die Einreise von ausländischen Arbeitern zu beschränkten, folglich setzte hier ein verstärkter Familiennachzug erst in den siebziger Jahren ein.

Der augenfälligste Unterschied ist neben den unterschiedlichen Herkunftsländern der ausländischen Arbeitern in Deutschland und England vor allem die Tatsache, dass man in Deutschland die ausländischen Arbeiter als Gastarbeiter auf Zeit verstand. Demgegenüber konnten sich die ausländischen Arbeiter aus den englischen Kolonien und ehemaligen Kolonien eher als Siedler verstehen. England sah sich schon sehr früh als Einwanderungsland. Der British Nationality Act von 1948 unterschied, entsprechend dem Verständnis des Empire, nicht zwischen einer Commonwealth - Staatsbürgerschaft und einer britischen Staatsbürgerschaft.

Die Einwanderer in England haben von daher seit jeher ein größeres politisches Mitspracherecht als die Ausländer in Deutschland. Möglicher Weise sah sich die englische Regierung im Gegensatz zur deutschen deswegen gezwungen, einen interreligiösen Religionsunterricht einzuführen.

2.5. Konkrete Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England im Gegenüber zu zeitgleichen Veränderungen des deutschen Religionsunterrichts

Konkrete Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht, der als eine Antwort auf die zunehmend multireligiöse Gesellschaft gesehen werden muss, wurden in England seit dem Ende der sechziger Jahre unternommen. Ich werde im folgenden diese Schritte bis hin zu der gesetzlichen Festlegung des interreligiösen Religionsunterrichts im Bildungsgesetz von 1988 darstellen. In einem Exkurs werde ich auf die phänomenologische Methode von Smart eingehen, die für den englischen Unterricht in Weltreligionen bis heute eine Rolle spielt. Wie auch in den vorangehenden Punkten werde ich die englischen Entwicklungen zeitgleichen Entwicklungen in Deutschland gegenüberstellen. Abschließen werde ich diesen Punkt meiner Arbeit, wie auch in den vorangegangenen Punkten, mit einer vergleichenden Zusammenschau. Im Anschluss an diese Zusammenschau werde ich zusammenfassend auf einige landesspezifische Besonderheiten, die bei der Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in England eine Rolle spielten, eingehen.

2.5.1. Konkrete Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England

2.5.1.1.Grundlegende Veränderungen des englischen Religionsunterrichts seit Mitte der sechziger Jahre

Der englische Religionsunterricht wurde seit den frühen sechziger Jahren immer häufiger kritisiert. Zunehmend wurde ein allgemeiner Ethikunterricht gefordert. Gründe hierfür waren einerseits die zunehmenden Säkularisierungstendenzen in der Gesellschaft, und andererseits die, auf Grund des zunehmenden Familiennachzugs ansteigende Zahl von Kindern nicht - christlicher Einwanderer an englischen Schulen. Immer mehr Kinder, die einer anderen Religion angehörten, nahmen am christlichen Religionsunterricht für alle teil. Das Commonwealth Immigrants Advisory Council forderte bereits 1964 die Beachtung fremder Religionen in der Lehrerausbildung: “Not all teachers have immigrant children in their classes but all teachers should have some knowledge of the problems and opportunities of a multiracial society […]. Those responsible for planning the social studies undertaken in training colleges will, we hope, bear in mind that future British society is going to contain citizens of many races.” (Commonwealth Immigrants Advisory Council 1964 zit. nach Haussmann 1993, 162)

Diese Überlegungen wirkten sich jedoch damals noch nicht hinsichtlich grundlegender Veränderungen bezüglich des Religionsunterrichts aus.

In den späten fünfziger Jahren hatte in England eine Phase der Assimilation eingesetzt, die bis ans Ende der sechziger Jahre andauerte. Hauptziel im Umgang mit Einwanderern war damals eine schnellstmögliche Anpassung an die christliche, englische Kultur. Im schulischen Bereich bemühte man sich vor allem um die Behebung von Sprachdefiziten. Die Vermittlung der englischen Sprache wurde als die primäre Aufgabe betrachtet. Herkunftskulturen und Religionen der Einwanderer spielten damals in Pädagogik und Gesellschaft noch keine Rolle. (vgl. Auernheimer 1991, 19)

Die Verantwortlichen für die Ausbildung der Religionslehrer am London University Institute of Education veröffentlichten 1966 eine kritische Beurteilung des Religionsunterrichts, in der sie aber auch Vorschläge für zukünftige Veränderungen des Unterrichtes machten. Diese Veröffentlichung, insbesondere ihre Betonung des erzieherischen Aspektes des Religionsunterrichts, hatte großen Einfluss auf die bildungspolitischen Verlautbarungen der Kirchen.

Eine Kommission der methodistischen Kirche erstellte einen Bericht, in welchem sie in Berufung auf das Bildungsgesetz von 1944 erklärte, dass der allgemeine und in religiösen Fragen neutrale Religionsunterricht nur durch die pädagogischen Ziele der Schulen begründet werden könnte.

Eine Kommission der anglikanischen Kirche veröffentlichte unter dem Vorsitz des Bischofs von Durham 1970 in einem Bericht, der als „Durham Report“ bekannt wurde, die Ergebnisse einer Untersuchung des Religionsunterrichts. Wie der Bericht der methodistischen Kommission, sah auch der „Durham Report“ den Religionsunterricht durch erzieherische Ziele begründet: „[...] religious education has a place in the educational scence on educational grounds.“ (Swann 1985, zit. nach Hausmann 1993, 161) Die anglikanische Kirche betonte zwar, dass es Aufgabe der Kirche, nicht der Schule sei, auf einen bestimmten Glauben zu drängen, vertrat aber die Meinung, dass andere Religionen keine Berechtigung im Religionsunterricht hätten, da das Christentum als erzieherisches Hilfsmittel anderen Religionen überlegen wäre: „The report sees Christianinty [...] as a methodological instrument. By arguing and engaging with the faith pupils might delivered from shallow materialism etc. It was […] that Christanity could do the educational job rather better than any other faith.” (Day (Mitglied der Durnham Commission) 1990, zit. nach Haussmann 1993, 161)

Der britische Rat der Kirchen schloss sich 1972 der Auffassung, dass der Religionsunterricht alleine von pädagogischen Zielen her begründet werden soll, an.

Auch wenn die Kirchen damals noch von einem christlichen Unterricht ausgingen und es nicht in ihrem Sinne lag, diesen für andere Religionen zu öffnen, ebneten sie mit der Zustimmung zu einem Religionsunterricht, der aus pädagogischen Zielen heraus begründet werden soll unwissentlich den Weg hin zu einem interreligiösen Unterricht, da aufgrund der ansteigenden Zahl von nicht - christlichen Kindern in den Schulen bald die pädagogische Notwendigkeit erkannt wurde, den rein christlichen Religionsunterricht aufzugeben.

Die verschiedenen Religionen traten durch die Hilfe verschiedener Organisationen (z.B. Commission for Race Relations, Shap Working Party on Worldreligions in education , School Council on Curriculum and Examinations (School Council)) zunehmend in das pädagogische Interesse.

Die Aufgabe des School Councils, einer vom Departement of Education and Science eingerichteten, weitgehend unabhängigen Körperschaft, war in erster Linie die Entwicklung der Didaktik und Methodik der englischen Curricula und der schulischen Prüfungen. Im Jahre 1969 begründete das School Council das Projekt „Religious Education in Secondary Schools“ an der Universität von Lancaster. Dieses Projekt unter der Leitung von Ninian Smart trug entscheidend zur Entwicklung eines interreligiösen Religionsunterrichts bei. (vgl. Haussmann 1993, 162)

N. Smart vertrat bereits 1968 in seinem Buch „Secular Education and the Logic of Religion“ einen Religionsunterricht, dessen Bezugswissenschaft die Religionswissenschaft, insbesondere die Religionsphänomenologie[22] ist und sich gegenüber nicht - christlichen Ideologien und Religionen neutral verhält. Andere Religionen dürften, so Smart, nicht aus einer christlichen Perspektive betrachtet werden. (vgl. Smart 1968, 90)

Im Rahmen des Projektes „Religious education in Secondary Schools“ veröffentlichte der School Council 1971 eine Schrift, in welcher mit dem Verweis auf u.a. Loukes und Smart die folgende Auffassung zu den Inhalten des Religionsunterrichts vertreten wurde: „We incline to the view that religious education must include both the personal search for meaning and the objective study of the phenomena of religion.“ (School Council 1971 zit. nach Meyer 1999, 144) Verbunden mit dieser Auffassung führte der School Council eine Unterscheidung zwischen zwei Unterrichtsinhalten ein, die mit „explicit religion“ und „implicit religion“ beschrieben wurden und verschiedene Ziele hatten. Im Unterricht von „implicit religion“ sollte „die existenzielle persönliche Suche der Schülerinnen und Schüler stimuliert werden, ohne daß explizit religiöse Fragen aufgenommen werden.“ (Meyer 1999, 145) Im Unterricht von „explicit religion“ sollten den Schülern auf objektiv - wissenschaftliche Weise in Anlehnung an die Religionsphänomenologie, die Zeugnisse der Weltreligionen vermittelt werden.

Die Veröffentlichung des School Council von 1971 machte Smarts phänomenologischen Ansatz in ganz England bekannt.

Viele Lehrerausbildungsstätten nahmen in der folgenden Zeit Weltreligionen und den phänomenologischen Ansatz in ihr Lehrprogramm auf. Die Kirchen gingen, wie bereits oben erwähnt, 1971 allerdings noch von einem christlichen Religionsunterricht aus.

Die Entwicklung hin zu einem Religionsunterricht, der auch nicht- christliche Religionen beachtet, entspricht der Phase der Integration, die in den späteren sechziger Jahren in England einsetzte und in welcher die Herkunftstraditionen der eingewanderten Kinder zunehmend in das Interesse des Bildungswesens gerieten. (vgl. Auernheimer 1991, 19) Durch die Beachtung der Herkunftskulturen entwickelte sich zunehmend ein neues Verständnis für die Probleme von Einwanderern. Man ging aber weiterhin wie in der Assimilationsphase davon aus, dass Minderheiten ohne Veränderungen der Mehrheitsgesellschaft eingegliedert werden konnten. (vgl. Haussmann 1993, 127) Entsprechend dieser Auffassung hielt man auch eine grundlegende Veränderung im gesamten Bildungswesen noch nicht für nötig.

Ansätze einer multikulturellen[23] Erziehung, die sich auf das gesamte Bildungswesen bezog, fanden sich bis in die achtziger Jahre hinein höchstens in der Theorie. Zu einer faktischen Veränderung im Bildungswesen, hin zu einer multikulturellen Erziehung für alle, kam es erst 1985 durch den Swann -Report, auf den ich im weiteren noch eingehen werde. Die Religionspädagogik hingegen schlug den Weg hin zu einer gemeinsamen multikulturellen Erziehung aller Kinder unter Beachtung religiöser Minderheiten, bereits Mitte der siebziger Jahre ein. Der Religionsunterricht muss somit als Vorreiter einer multikulturellen Erziehung in England betrachtet werden.

Ein entscheidender Schritt für die Entwicklung des interreligiösen Religionsunterrichts war die Verabschiedung des Birminghamer Lehrplanes „Living Together“ im Jahre 1975. Dieser Lehrplan war der erste interreligiöse Lehrplan in England und Wales. Er verzichtete auf die Vorherrschaft des Christentums und sah „stattdessen einen beschreibenden und einen existenziellen Zugang zu den Erscheinungsformen der Weltreligionen in Grund - und weiterführenden Schulen (vor).“ (Hull 1994, 275) Es wurde festgelegt, dass im Religionsunterricht alle großen religiösen Traditionen, die im Raum Birmingham vertreten sind, gleichwertig behandelt werden müssen. Der Birminghamer Lehrplan bewegte sich im Rahmen des Bildungsgesetzes von 1944, das zwar von einem christlichen Religionsunterricht ausging, ihn aber nicht explizit vorschrieb.

Der religionswissenschaftliche, phänomenologische Ansatz von Smart hatte auf den interreligiösen Lehrplan von Birmingham großen Einfluss.

Obwohl es viele Kontroversen um diesen Lehrplan gab, wurde er weltbekannt. (vgl. Hull 1994, 275)

Andere lokale Schulbehörden folgten in den nächsten Jahren dem Beispiel des interreligiösen Lehrplanes aus Birmingham.

Am Anfang der achtziger Jahre schlug die Regierung dann ebenfalls den Weg hin zu einer multikulturellen Erziehung ein. Dies wurde an der Einsetzung des Committee of Inquiry into the Education of Ethnic Minority Groups durch die Regierung im Jahre 1979 deutlich. Die Aufgabe dieses Komitees war es, „den Beitrag der Schulen innerhalb der multikulturellen Gesellschaft zu untersuchen und Vorschläge zu entwickeln, wie den damit verbundenen Problemen am besten begegnet werden konnte.“ (Haussmann 1993, 163)

Lord Michael Swann wurde 1981 Vorsitzender des Komitees. Der abschließende Bericht des Komitees „Education for all“, der nicht den Erwartungen der konservativen Regierung entsprach, wurde 1985 dem Parlament vorgelegt. Obwohl nicht alle Forderungen des Berichtes, der als Swann - Report bekannt wurde, durchgesetzt werden konnten, hatte er eine große bildungspolitische Bedeutung.

Nachdem die Regierung bisher noch ideologische Vorbehalte dagegen hatte, die englische Gesellschaft als multikulturell oder multirassisch zu bezeichnen, beschreibt der Swann - Report England ohne Einschränkung als multikulturelle und multirassische Gesellschaft. Das Bildungswesen, so der Report, müsse auf diese gesellschaftliche Realität reagieren: „Our society is a multicultural, multi - racial one and the curriculum should reflect a sympathetic understanding of the different cultures and races that now make up our society.” (Swann 1985 zit. nach Haussmann 1993, 164)

„Education for all“ forderte eine multikulturelle Erziehung, die gleichermaßen auf alle Kinder anzuwenden ist und dabei die Probleme von Kindern ethnischer Minderheiten besonders berücksichtigt. Das Ziel einer solchen Erziehung beschrieb der Swann - Report wie folgt: „Ziel der Erziehung sollte es sein sicherzustellen, daß Kinder von früh an die Normalität und das Recht einer Vielfalt von Sichtweisen akzeptieren lernen, ohne sich bedroht zu fühlen.“ (Swann 1985 zit. nach Fry 1992, 51)

Der Swann - Report bildete die Grundlage einer multikulturellen Erziehung für alle, in einer multikulturellen Gesellschaft lebenden Schüler. Das erhoffte Ziel des Swann- Reportes war eine langfristige Veränderung nicht nur des Bildungswesens, sondern in der gesamten Gesellschaft.

Dem Religionsunterricht wird im Swann - Report eine besondere Bedeutung zugemessen: „Aus den Unterlagen, die wir erhalten haben, wird ersichtlich, dass viele ethnische Minderheiten, besonders für die unterschiedlichen Glaubensauffassungen innerhalb der asiatischen Volksgruppe, der Respekt und die Anerkennung ihrer religiösen Anschauungen als einer der - und in manchen Fällen der - zentrale Faktor für die Aufrechterhaltung der Stärke und des Zusammenhalts ihrer Gemeinschaft anzusehen ist. Diese Aufgabe überrascht wohl kaum, da wie die Catholic Commision for Racical Justice feststellte, ‚Religion und Kultur eng miteinander verwoben sind und die Religion sehr oft gerade die Seele der Kultur ist.’ Eine Hauptaufgabe bei der Vorbereitung der Schüler auf das Leben in einer harmonischen pluralistischen Gesellschaft, wie wir sie zu Anfang dieses Berichtes umrissen haben, muß daher zweifellos sein, ihr Verständnis einer Vielzahl religiöser Anschauungen und Praktiken zu vergrößern und ihnen so einen Einblick in die Werte und Anliegen unterschiedlicher Volksgruppen zu bieten.“ (Swann 1985 zit. nach Grimmit 1986, 196)

Der Swann - Report befürwortete die phänomenologische Methode für den Religionsunterricht: „Wir sind der Überzeugung, daß die breitere phänomenologische

Annäherung an die religiöse Erziehung entschieden vorzuziehen ist als das beste und in der tat das einzige Mittel, das Verständnis aller Schüler, von welchem religiösen Hintergrund sie auch immer herkommen, von der Pluralität der Glaubensvorstellungen im gegenwärtigen England zu erweitern, sie zu einem Verständnis vom Wesen des Glaubens und der religiösen Dimension im menschlichen Erleben zu bringen und ihnen zu helfen, die unterschiedlichen und manchmal gegensätzlichen Lebenseinstellungen zu würdigen und die Schüler zu befähigen, ihre eigene religiöse Position zu bestimmen (und zu begründen).“ (Swann 1985 zit. Grimmit 1986, 197)

Der Swann - Report beeinflusste auch das Bildungsgesetz von 1988, in welchem ein interreligiöser Religionsunterricht erstmals explizit vorgeschrieben wurde.

Exkurs: Erläuterung zu Smarts phänomenologischer Methode F. Hilliard hatte sich bereits in den vierziger Jahren für einen Religionsunterricht ausgesprochen, der nicht - christliche Religionen unparteiisch und sachlich betrachten sollte.

Hillard ging dabei noch von einer christlichen Grundlage des Unterrichtes aus. Smart hingegen entwickelte einen Unterricht, dessen Bezugswissenschaft die Religionswissenschaft, insbesondere die Religionsphänomenologie, war und der nicht mehr zwingend von einer christlichen Grundlage ausging. Nach Smarts Vorstellungen sollten nicht - christliche Religionen im Unterricht auf ein objektive, deskriptive Weise dargestellt werden. Dabei solle man nicht von abstrakten Glaubenssystemen, sondern von den gegenwärtig ausgeübten Glaubensformen ausgehen. Wahrnehmen, Beschreiben und Einordnen spielen eine zentrale Rolle.

Der Religionsunterricht müsse, so Smart, seinen parteiisch - christlichen Charakter gegen einen akademischen Charakter austauschen. Man solle die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht nicht weltanschaulich beeinflussen. Weiterhin schlug er eine Strukturierung des Religionsunterrichts nach sechs verschiedenen religiösen Dimensionen vor: Die Dimension der Dogmen, die Dimension der Prinzipien, die der Mythen, Ethik, Rituale sowie die Dimension der Erfahrungen in der Gemeinschaft und auf der sozialen Ebene. (vgl. Meyer 1999, 152) Der Sinn dieser Strukturierung„war es, daßRituale und Gemeinschaftsaspekte gleichgewichtig neben Dogmen und Ethik zu stehen kamen.“(Meyer 1999, 152)

Die englische Religionspädagogik versteht unter phänomenologischem Unterricht, einen Unterricht, der auf objektivem Wahrnehmen, Beschreiben und Einordnen gründet. Dabei geht der phänomenologische Unterricht nicht unbedingt von einer wissenschaftlich - phänomenologischen Arbeitsweise aus, sondern orientiert sich eher an den Ergebnissen von phänomenologischen Betrachtungsweisen. (vgl. Meyer 1999, 151)

Smarts phänomenologische Methode behielt, trotz zunehmender Kritik, lange Zeit eine Vormachtsstellung bei der Behandlung von Weltreligionen im Unterricht. Obwohl die phänomenologische Methode mittlerweile diese Vormachtsstellung nicht mehr inne hat, ist der englische Religionsunterricht bis heute von Smart geprägt. Die Religionswissenschaft bildet auch gegenwärtig meist die Grundlage des englischen Religionsunterrichts.

Hier sollte erwähnt werden, dass Smart, wie eine Reihe anderer englischer Religionspädagogen, bereits in englischen Kolonien Erfahrungen im Unterrichten von nicht- christlichen Religionen gesammelt hatte.

2.5.1.2.Das englische Bildungsgesetz von 1988
2.5.1.2.1. Die Einführung des„National Curriculums“und der Religionsunterricht

Die konservative englische Regierung hatte sich seit Beginn der achtziger Jahre für ein national einheitliches Curriculum stark gemacht.

1988 verabschiedete die Regierung ein Bildungsgesetz, welches das gesamte Bildungswesen reformierte und das einheitliche „National Curriculum“ einführte.

Während der Religionsunterricht bis 1988 das einzige gesetzlich vorgeschriebene Lehrfach war, wurden jetzt Englisch, Geschichte, Mathematik, Geographie, Kunst, Fremdsprachen, Naturwissenschaften, Polytechnik, Sport und Musik im Rahmen des „National Curriculums“ als verbindliche Lehrfächer festgelegt. Man entwickelte für diese Fächer nationale Unterrichtsprogramme und setzte Stufen des Kenntnisstandes für jedes Fach und alle Klassen fest.

Der Religionsunterricht wurde, obwohl seine wichtige Bedeutung für die schulische Erziehung im Gesetz ausdrücklich betont wird, nicht in das „National Curriculum“ aufgenommen. Das Bildungsgesetz von 1988 legte also weder nationale Unterrichtsprogramme, noch die jeweiligen Stufen des Kenntnisstandes für den Religionsunterricht fest. Die Verantwortung über die Erstellung der Lehrpläne blieb weiterhin bei den lokalen Schulbehörden. (vgl. Day 1995, 168)

Die englischen Kirchen hatten zuvor die Aufnahme des Religionsunterrichts vehement gefordert. Für die Ablehnung dieser Forderungen von Seiten der Regierung, könnte es die folgenden Gründe gegeben haben: Zum einen wollte man kein Fach im „National Curriculum“ aufnehmen, von welchem ein Recht zur Abmeldung bestand[24], zum anderen wären durch eine Aufnahme des Religionsunterrichts möglicherweise Probleme für Konfessionsschulen[25] entstanden, die Religion teilweise konfessionell unterrichteten. (vgl. Haussmann 1993, 168)

Fry sieht einen möglichen Grund für die Entscheidung darin, dass man die Tradition der Verantwortung der lokalen Erziehungsbehörden für den Religionsunterricht und die damit verbundene Arbeit der Lehrplankonferenzen durch eine Aufnahme des Religionsunterrichts in das „National Curriculum“ nicht durchbrechen wollte. (vgl. Fry 1992, 44)

Jackson vermutet, dass der Religionsunterricht nicht in das „National Curriculum“ aufgenommen wurde, da man sicherstellen wollte, dass in den Lehrplänen weiterhin besondere lokale Gegebenheiten berücksichtigt werden konnten. (vgl. Jackson 1997, 77)

Der Religionsunterricht wurde letztendlich in dem sogenannten „Basic Curriculum“ gesetzlich vorgeschrieben. Das „Basic Curriculum“ umschließt alle Fächer des „National Curriculums“ und den Religionsunterricht.

2.5.1.2.2. Weitere gesetzliche Regelungen für den Religionsunterricht im Bildungsgesetz von 1988

Viele lokale Schulbehörden hatten sich nach 1975 am Beispiel des Birminghamer interreligiösen Lehrplanes orientiert. Die englische Gesellschaft wurde von allen Seiten zunehmend als multikulturell verstanden.

Im Vorfeld der Verabschiedung des Bildungsgesetzes von 1988 wurden viele Debatten darüber geführt, auf welche Weise man in den gesetzlichen Festlegungen bezüglich des Religionsunterrichts die oben genannten Tatsachen berücksichtigen sollte. Die konservative Baroness Cox machte sich im Parlament für einen christlichen Religionsunterricht stark. Sie sah Ansätze für einen moralischen Zerfall Englands und führte diese auf den „mish - mash“ im Religionsunterricht zurück. Eine rein christliche Erziehung, nicht nur im Religionsunterricht könne, so Cox, den moralischen Zerfall der Nation aufhalten. (vgl. Haussmann 1993, 167)

Humanisten und einige nicht - christliche Vertreter, die eine christliche Indoktrination im Religionsunterricht befürchteten, sprachen sich für eine „Moral Education“ aus. Die meisten nicht - christlichen Vertreter forderten aber eine religiöse Erziehung, die sich nicht ausschließlich auf das Christentum gründet. (vgl. Haussmann 1993, 167) Viele Religionspädagogen hielten, angesichts der pluralistischen Situation, einen Religionsunterricht für sinnvoll, welcher „der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen (sollte), die [...]zwar durch die christliche Tradition entscheidend geprägt, aber eben doch säkular und multireligiös sei.“ (Haussmann 1993, 167)

Letztendlich gelang es mit Hilfe der Lobbyarbeit der Shap Working Party on World Religions in Education, eine Formulierung für das Bildungsgesetz durchzusetzen, die eine interreligiöse Auslegung möglich macht:

„New locally agreed syllabuses must reflect the fact that the religious traditions in the country are in the main Christian whilst taking account of the teaching and practices of the other principal religions[26] represented in Britain.“ (Education Reform Act, section 8.3 1988, zit. nach Jackson 1997, 77)

Während das Bildungsgesetz von 1944 aufgrund der damaligen gesellschaftlichen Realität noch von einem rein christlichen Religionsunterrichts ausging, wird im Bildungsgesetz von 1988 der interreligiösen Situation in England Rechnung getragen. Da alle englischen Schüler auf ein Leben in einer multireligiösen Gesellschaft vorbereitet werden sollen, hat der Religionsunterricht auch in ländlichen Gebieten Englands, in welchen der Ausländeranteil gering ist, interreligiös zu sein.

Der Unterricht behält durch das Gesetz von 1988 zwar seinen überkonfessionellen Charakter und muss sich in Fortschreibung der Cowper Temple Clause weiterhin jeder Position oder Wertung gegenüber einer bestimmten Konfession bzw. jetzt auch Religion enthalten (vgl. Meyer1999, 139), Unterschiede zwischen den einzelnen Religionen dürfen nun aber deutlich gemacht werden: „Whilst Religious Education must be non - denominational in county schools, the new law makes it clear that teaching about denominational differences is permitted.“ (Education Reform Act 1988, zit. nach Haussmann 1993, 170)

Die englischen Religionslehrer dürfen also zwar auf Unterschiede zwischen den Religionen und christlichen Konfessionen hinweisen, müssen sich ihnen gegenüber aber wertneutral verhalten.

Da die Beachtung nicht - christlicher Religionen im Unterricht gesetzlich vorgeschrieben ist, können seit 1988 selbstverständlich Vertreter nicht - christlicher Religionen an den Lehrplankonferenzen, in deren Einvernehmen die Lehrpläne verabschiedet werden, teilnehmen.

Im Bildungsgesetz von 1988 ist weiterhin festgelegt, dass jede lokale Erziehungsbehörde ein Standing Advisory Council on Religious Education (SACRE), welches sich mit Fragen der religiösen Erziehung beschäftigt und die Lehrplankonferenzen berät, einrichtet. In den SACREs sind, wie in den Lehrplankonferenzen, neben Mitgliedern der Church of England, anderen christlichen Konfessionen, Vertretern der lokalen Schulbehörde und der Lehrerschaft, auch Angehörige nicht - christlicher Religionen vertreten. (vgl. Haussmann 1993, 170f.)

Durch die Teilnahme an den SACREs und den Lehrplankonferenzen haben alle in England vertretenen christlichen Konfessionen und alle nicht - christlichen Hauptreligionen ein Mitspracherecht bezüglich der Gestaltung der Lehrpläne.

Jackson sieht eine signifikante Neuerung im Bildungsgesetz von 1988 auch darin, dass nicht mehr von „Religious Instruction“, sondern von „Religious Education“ gesprochen wird und so die pädagogische Grundlage des Faches zum Ausdruck kommt: „A significant change was the use of ‚religious education’ to replace the term ‚religious instruction’ with ist suggestion of deliberate transmission of religious beliefs. The subject now had to be fully educational with it aims and processes justifiable on educational grounds.” (Jackson 1997, 77)

Neben den Erneuerungen des Bildungsgesetzes von 1988 gibt es auch einige Teile, die vom Bildungsgesetz von 1944 übernommen wurden: Der Religionsunterricht ist weiterhin vorgeschriebenes Lehrfach, er darf nicht konfessionell sein, die Gestaltung der Lehrpläne obliegt den lokalen Schulbehörden, die Lehrpläne müssen im Einvernehmen mit den Lehrplankonferenzen verabschiedet werden, das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht bleibt erhalten und die tägliche Morgenandacht bleibt weiterhin bestehen. Die gemeinsame Morgenandacht an staatlichen Schulen muss laut Gesetz einen überwiegend christlichen Charakter haben:

„The collective worship in country schools must be wholly or mainly of a broadly Christian character, though not distinctive of any particular Christian denomination. […] most acts of worship in a term must be broadly Christian; and those that are must reflect braod traditions of Christian belief to an extent and in a way which gives them a Christian character.” (Education Reform Act 1988 zit. nach Haussmann 1993, 170)

Das Bildungsgesetz von 1988 ist in England bis heute gültig und bildet den gesetzlichen Rahmen für das gegenwärtige Modell des interreligiösen Religionsunterrichts, welches ich auf seine Übertragbarkeit auf Deutschland hin überprüfen werde.

Nach der Darstellung der konkreten Schritte hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England werde ich im Folgenden auf zeitgleiche Veränderungen des Religionsunterrichts in Deutschland eingehen.

2.5.2. Zeitgleiche Veränderungen des Religionsunterrichts in Deutschland

2.5.2.1. Die Legitimationskrise des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland zwischen den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren

Rückblickend lässt sich feststellen, dass das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger Jahren eher traditionell und elitär war. Das Max Planck Institut für Bildungsforschung vertritt die Ansicht, man könne geradezu von einer „bildungspolitischen Restauration“ (Max Planck Institut für Bildungsforschung 1990 zit. nach Hausmann 1993, 185) sprechen.

Am Ende der fünfziger Jahre nahmen die Bemühungen zu einer Umgestaltung des Bildungswesens allerdings zu. Der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs - und Bildungswesen legte so z.B. im Jahre 1959 einen „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens“ vor. 1964 wurden im Rahmen der „Landschulreform“ sogenannte „Zwergschulen“ zusammengelegt, so dass man Jahrgangsklassen einrichten konnte.

Die konfessionelle Homogenität der Schüler hatte in den, noch immer sehr weitverbreiteten Bekenntnisschulen zunehmend abgenommen. Durch die „Landschulreform“ nahm die konfessionell homogene Zusammensetzung der Schülerschaft weiterhin ab. Letztendlich führte dies zur allgemeinen Abschaffung der Bekenntnisschulen, die Gemeinschaftsschule für alle Kinder etablierte sich. (vgl. Haussmann 1993, 186)

Die Konfessionalität und der Charakter des Religionsunterrichts als Glaubensunterweisung waren durch die Einführung der Gemeinschaftsschule allerdings nicht in Frage gestellt. Die Kirchen stimmten der allgemeinen Einführung der Gemeinschaftsschulen zwar zu, hielten die Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterricht aber für eine unabdingbare Forderung. Die evangelische und die katholische Kirche in Bayern formulierte 1967 ihre Vorstellungen bezüglich der Gemeinschaftsschulen z.B. folgendermaßen: „Wir halten [...] eine gemeinsame Unterweisung und Erziehung nach christlichen Grundsätzen für möglich, wenn sie durch konfessionell bestimmten Religionsunterricht ergänzt wird.“ (Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse 1988, zit. nach Haussmann 1993, 187)

Die volkskirchliche Tradition der beiden großen Kirchen und somit auch der konfessionelle Religionsunterricht wurden in den sechziger Jahren von der sich zunehmend als säkularisiert verstehenden Gesellschaft immer häufiger in Frage gestellt. Ihren Höhepunkt hatte diese Entwicklung in der Studentenbewegung am Ende der sechziger Jahre. Die Säkularisierungstendenzen der Gesellschaft werden vor allem auch deutlich, wenn man die ansteigende Zahl der Kirchenaustritte betrachtet: Die Zahl der jährlichen Austritte aus der evangelischen Kirche hatte bis 1963 eine Zahl von 40.000 nicht überschritten. Im Jahr 1968 wurden alleine 60.807 Austritte gezählt, diese Zahl stieg im Jahre 1969 auf 111.576 und im Jahre 1970 auf 202.823 an.

Die Zahlen der Austritte aus der katholischen Kirche waren zwar geringer als die der evangelischen Kirche, aber auch hier nahmen die Austritte am Ende der siebziger Jahre zu: Bis 1968 wurde eine Zahl von jährlich 30.000 Austritten nicht überschritten, im Jahre 1969 zählte man 38.712 Austritte und 1970 dann sogar 69.454. (vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1997, 1 f.)[27]

Während der Jurist Erwin Fischer im Jahre 1964 noch einen kleinen Skandal in Deutschland auslöste, da er unter Beachtung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in Artikel 4 des Grundgesetzes eine radikale Trennung von Staat und Kirche und somit auch die Abschaffung des Religionsunterrichts forderte (vgl. Fischer 1964, 15-21), drängten ab 1967 ähnliche Forderungen aus unterschiedlichsten Beweggründen zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Eine Veränderung des traditionellen Religionsunterrichts hin zu einem sachlichen Unterricht, welcher der pluralistischen Gesellschaft entspricht und durch eine umfassende Orientierung und Information über religiöse und weltanschauliche Fragen zur freien Meinungsbildung der Schüler beiträgt, sowie sich ideologiekritisch gegenüber bestehenden Strukturen verhält,wurde von verfassungsrechtlicher, religionspädagogischer, humanistischer, schulischer und studentischer Seite verlangt. (vgl. Meyer 1999, 129)

Der Jurist von Drygalski äußerte, ähnlich wie Fischer, verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Religionsunterricht, weil dieser der Trennung von Staat und Kirche widerspreche. 1967 forderte er die Kirchen auf, aus verfassungsrechtlichen Gründen auf ihr Grundrecht bezüglich des Religionsunterrichts zu verzichten.

Der Verband der Humanistischen Union in Deutschland verlangte wegen der zunehmenden Säkularisierung am Ende der sechziger Jahre nach einem Philosophieunterricht ohne religiöse Elemente. (vgl. Meyer 1999, 128)

Der Unmut gegenüber dem Religionsunterricht wurde auch an den, ab Mitte der sechziger Jahre extrem ansteigenden Abmeldungen der Schüler vom Religionsunterricht deutlich. Hier spielte sicherlich die zunehmend ideologiekritische und antiautoritäre Gesinnung der, von der 68er - Studentenbewegung beeinflussten Schülerschaft eine entscheidende Rolle. Das neue Selbstbewusstsein der Schüler und Studenten ließ in allen Diskussionen gesellschaftliche Belange in den Vordergrund treten. (vgl. Meyer 1999, 127)

Auch in der Religionspädagogik wurde der konfessionelle Religionsunterricht immer häufiger in Frage gestellt. Man entwickelte Modelle für eine sachliche Religionskunde auf der Grundlage der Religionswissenschaften sowie Modelle für einen überkonfessionellen und bikonfessionellen Religionsunterricht. Die Modelle wurden allerdings nie in die Realität umgesetzt.

Der Religionspädagoge Wegenast kam 1970 zu den folgenden Überlegungen: „Wo sich Kirche und Gesellschaft nicht mehr wechselseitig identifizieren und wo das Christentum aus der Kulturmacht, zu einer Kulturmacht unter anderen geworden war, ergab sich für den Religionsunterricht deshalb die Notwendigkeit, auf die Frage antworten zu müssen, ‚ob und inwiefern’ sich dieser Unterricht dem Gesamtunternehmen Schule einfügt oder nicht.“ (Wegenast 1970 zit. nach Haussmann 1993, 188)

Gert Otto, ebenfalls Religionspädagoge, war der Ansicht, dass ein konfessioneller Religionsunterricht nicht mehr angemessen wäre, da die Realität nicht mehr monokonfessionell sei. Er forderte 1972 die Einführung eines gemeinsamen bikonfessionellen Religionsunterrichts für beide großen Konfessionen als Übergangslösung bis zu einem nicht - konfessionellen Religionsunterricht, der aufgrund der nicht veränderbaren Grundgesetzregelungen (noch) nicht möglich sei. Im Rahmen eines bikonfessionellen Religionsunterrichts sollten auch nicht - christliche Welt- und Lebensauffassungen beachtet werden. (vgl. Otto 1972, 35ff.)

Ein bikonfessioneller Religionsunterricht sei, so Otto, mit dem Grundgesetz zu vereinen, denn „das Grundgesetz sagt nicht, dass die ‚Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften’ immer nur für je eine Religionsgemeinschaft in je einem, getrennten Fach hergestellt werden könnte, sofern man unter solcher ‚Übereinstimmung’ nichts anderes versteht als die Verpflichtung zu sachlich - kritischer Berücksichtigung der Selbstverständnisse der Religionsgemeinschaften.“ (Otto 1972, 37f.) Der Religionspädagoge Halbfas verlangt nach einem „multikonfessionellen Religionsunterricht“, welcher Konfessionen (oder Religionen) nicht fraglos akzeptiert, sondern hinterfragt. Es käme, so Halbfas, vor allem auch darauf an, die Differenzen zwischen den Religionen und Konfessionen herauszustellen. (vgl. Otto 1972, 38) Die Religionspädagogen Halbfas und Otto verlangten also eine Veränderung des traditionellen Religionsunterrichts hin zu einem Unterricht, der sich als ideologiekritisch versteht und nicht - christliche Religionen einbezieht. Otto betonte auch die sachliche Basis eines solchen Unterrichtes.

Otto vertrat im weiteren die Meinung, dass in der pädagogischen Diskussion die Problematik des Religionsunterrichts viel besser erkannt werde als in der religionspädagogischen. Exemplarisch zitiert er den Pädagogen Wilhelm: „Macht man [...] mit der rationalen - kritischen Funktion des schulischen RU ernst, dann besteht für die Trennung (scil. in evangelischen und katholischen RU) nicht nur kein Anlaß, sondern dann wird die Erteilung von RU in zwei konfessionell getrennten Gruppen geradezu grotesk [...]. Wenn der RU [...] ‚In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften’ zu erteilen ist, so wäre es keine allzu große Zumutung, wenn die protestantische und die katholische Kirche sich darauf einigen würden, daß es zur Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft gehört, keiner Argumentationsebene auszuweichen, am allerwenigsten derjenigen der Schule, die es auf Sichtung der Argumente in einer geordneten Vorstellungswelt abgesehen hat“ (Wilhelm 1969 zit. nach Otto1972, 38)

In Umfragen unter Schülern wurde immer wieder der Wunsch danach geäußert, nicht - christliche Religionen auf einer sachlichen Ebene in den Religionsunterricht aufzunehmen. Dieser Wunsch, wie auch die allgemeine Forderung nach einer Reformierung des Religionsunterrichts, wurde allerdings nicht nur von Schülern, sondern ebenfalls von studentischer, religionspädagogischer, verfassungsrechtlicher und humanistischer Seite geäußert. Der Wunsch nach einem Unterricht über die Weltreligionen entsprang aber am Ende der sechziger Jahre nicht wie in England einer didaktischen Notwendigkeit aufgrund einer multireligiösen Realität in den Schulklassen, da der Familiennachzug in Deutschland erst in der Mitte der siebziger Jahre einsetzte. Er gehörte eher zu der allgemeinen Forderung nach einer Veränderung des traditionellen Religionsunterrichts mit seinem Charakter als Glaubensunterweisung.

Deutschland sah sich am Ende der sechziger Jahre nicht als Einwanderungsland, man ging noch davon aus, das die Einwanderer in ihre Heimat zurückkehren würden. Entsprechend dieser Auffassung entwickelte sich seit Beginn der siebziger Jahre eine „Ausländerpädagogik“ mit einer Doppelstrategie. Ziel war damals einerseits die Integration, andererseits die „Erhaltung der kulturellen Identität, d.h. Rückkehrfähigkeit“. (vgl. Coburn- Staege 1996, 25) Die Integrationsmaßnahmen beschränkten sich hauptsächlich auf die Vermittlung der deutschen Sprache. (vgl. Auernheimer 1991, 4f.) Die „Ausländerpädagogik“ begrenzte sich weitgehend auf den speziellen Zusatzunterricht für „ausländische Kinder“. Von einer interkulturellen Erziehung[28] war man damals noch weitentfernt. Religiöse Fragen der „ausländischen“ Kinder wurden kaum beachtet. (vgl. Haussmann 1993, 131) Auf den konfessionellen Religionsunterricht hatte die „Ausländerpädagogik“ keinerlei Einfluss.

Die obigen Ausführungen zeigen, wie sehr der konfessionelle Religionsunterricht in Deutschland vor allem in den Jahren zwischen 1967 bis 1972 unter Legitimationsdruck geraten war. Eine Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts zugunsten eines bikonfessionellen oder überkonfessionellen Religionsunterrichts, einer sachlichen Religionskunde oder eines Philosophieunterrichtes konnte allerdings nicht erreicht werden. Dies ist letztendlich auf die klare Haltung des Staates und der Kirche zu einer Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts sowie auf die gesetzliche Festlegungen bezüglich des Religionsunterrichts zurückzuführen. Eine Gesetzesänderung oder eine Gesetzesinterpretation, die einen interreligiösen Religionsunterricht zuließ, konnte ohne Unterstützung von Staat und Kirche nicht erreicht werden.

Im Folgenden werde ich auf offiziellen Stellungsnahmen der Kirchen und des Bundesverfassungsgerichtes bezüglich des konfessionellen Religionsunterrichts eingehen.

2.5.2.2. Offizielle Stellungnahmen für eine Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts

Der Forderung nach einer Abschaffung oder rigoroser Veränderung des konfessionellen Religionsunterrichts konnte auf schulischer und kultusministerieller Seite nicht Recht gegeben werden. (vgl. Meyer 1999, 131)

Die beiden großen Kirchen hielten selbstverständlich am konfessionellen Unterricht fest. Die Legitimationskrise und damit verbundene religionspädagogische Wende hin zur Problemorientierung[29] zwangen sie aber dazu, die Ziele und Aufgaben der Religionsunterrichts neu zu definieren.

In der „Erklärung zum Religionsunterricht“ der deutschen Bischofskonferenz von 1970 wird betont, dass „der RU zur Erfüllung des allgemeinen, übergreifenden Ziels der Schule beiträgt, dem jungen Menschen zu helfen, seine eigene Existenz und seine Umwelt zu verstehen, über Glaubensfragen nachzudenken und zu sprechen und Kriterien für ein verantwortliches Handeln in der Gesellschaft zu finden.“ (Deutsche Bischofskonferenz 1970 zit. nach Haussmann 1993, 191)

In einer „Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland zu verfassungsrechtlichen Fragen des Religionsunterrichts“ von 1971 wurden die im Grundgesetz genannten „Grundsätze der Religionsgemeinschaften“ interpretiert:

„1. Unter den ‚Grundsätzen der Religionsgemeinschaften’ wurden im Sinne der Weimarer Reichsverfassung ursprünglich ‚positive Lehrsätze und Dogmen’ verstanden. Diese Auffassung entsprach schon zum damaligen Zeitpunkt nicht dem Stande der evangelischen- theologischen Wissenschaft. Sie blieb durch den Verfassungstext gedeckt. Der Begriff ‚Grundsätze der Religionsgemeinschaften’ bedarf jedoch angesichts der gegenwärtigen theologischen und pädagogischen Erkenntnis und Praxis der Interpretation.

2.In der heutigen theologischen und kirchlichen Sicht ist das Verständnis des christlichen Glaubens durch folgende Grundsätze gekennzeichnet:

a) Die Vermittlung des christlichen Glaubens ist grundlegend bestimmt durch das biblische Zeugnis von Jesus Christus unter Beachtung seiner Wirkungsgeschichte.
b) Glaubensaussagen und Bekenntnisse sind in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen und in jeder Gegenwart einer erneuten Auslegung bedürftig.
c) Die Vermittlung des christlichen Glaubens muss den Zusammenhang mit dem Zeugnis und Dienst der Kirche wahren.

3. Die Bindung an das biblische Zeugnis von Jesus Christus schließt nach evangelischem Verständnis ein, daß der Lehrer die Auslegung und Vermittlung der Glaubensinhalte auf wissenschaftlicher Grundlage in Freiheit des Gewissens vornimmt.

4. Die ‚Grundsätze der Religionsgemeinschaften’ schließen in der gegenwärtigen Situation die Forderung ein, sich mit den verschiedenen geschichtlichen Formen des christlichen Glaubens (Kirchen, Denominationen, Bekenntnisse) zu befassen, um den eigenen Standpunkt und die eigene Auffassung zu überprüfen, um Andersdenkende zu verstehen und um zu größerer Gemeinsamkeit zu gelangen. Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen und nichtreligiösen Überzeugungen.

5. Das theologische Verständnis der ‚Grundsätze der Religionsgemeinschaften’ korrespondiert mit einer pädagogischen Gestaltung des Unterrichts, der zugleich die Fähigkeit zur Interpretation vermittelt und den Dialog und die Zusammenarbeit einübt.“ (Evangelische Kirche in Deutschland 1971, 200f.)

In der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und in der Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland wird deutlich, dass sich die Begründungen für den Religionsunterricht vom Theologischen in das Pädagogische verschoben haben, ohne deswegen seine Konfessionalität und theologische Verankerung aufzugeben. Die Evangelische Kirche geht u.a. auch darauf ein, dass der eigene Standpunkt in der Auseinandersetzung mit den Überzeugungen anderer christlicher Konfessionen, sowie mit nicht - christlichen und nicht - religiösen Überzeugungen überprüft werden sollte. Diese Auseinandersetzung soll auch zu einem besseren Verständnis Andersgläubiger beitragen. Hier wird deutlich, dass eine unkritische Aneignung und Übernahme von konfessionellen Glaubengrundsgrundsätzen und Auffassungen nicht mehr Ziel des Religionsunterrichts sein kann. Die Überzeugungen anderer christlicher Konfessionen und nicht - christlicher Religionen, sowie nicht - religiöse Überzeugungen werden aber vom Standpunkt der jeweiligen Konfession aus betrachtet.

Aufgrund der vehementen Forderungen nach einer radikalen Veränderung oder gar Abschaffung des Religionsunterrichts, überprüfte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1974 Artikel 7, Absatz 3, Satz 2 („Unbeschadet des staatlichen Aufsichtrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1991, 165) des Grundgesetztes und kommt zu dem Ergebnis, dass Satz 3 „so zu verstehen (ist), dass (der Religionsunterricht) in ‚konfessioneller Gebundenheit’ zu erteilen ist [...]. Er ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirche über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich“ (Bundesverfassungsgericht 1974 zit. nach Füssel 2000, 33)

Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bestätigt also den konfessionellen Religionsunterricht. Gegenstand des Religionsunterrichts bleiben die Glaubensätze der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Es ist aber festzuhalten, dass der Religionsunterricht trotzdem schulischer Unterricht bleibt und „entsprechend dem in der Pädagogik herrschenden Verständnis von Unterricht durchzuführen (ist). Eine bloße Meditation oder Formen reiner Gebetsstunden verlassen insoweit den verfassungsrechtlichen Rahmen.“ (Füssel 2000, 33) Der Religionsunterricht muss also auch pädagogisch zu rechtfertigen sein.

2.5.2.3. Auswirkungen der Legitimationskrise auf den deutschen Religionsunterricht und weitere Entwicklungen

Ein Religionsunterricht, der sich ausschließlich den Zielen der Schule unterzuordnen hat, konnte in Deutschland nicht durchgesetzt werden, eine theologische Verankerung blieb vorhanden. Pädagogische Begründzusammenhänge für den Religionsunterricht gewannen im Laufe der späten sechziger und frühen siebziger Jahre aber zunehmend an Bedeutung.

Der Soziologe Witzsche vertritt die Ansicht, dass zwar die politischen Forderungen nach einer Entkirchlichung des Religionsunterrichts nicht durchgesetzt werden konnten, dafür aber die pädagogischen Forderungen nach einem problemorientierten, gesellschafts- und ideologiekritischem Religionsunterricht. (vgl. Meyer 1999, 129)

Ein Religionsunterricht, der sich als Unterweisung versteht und ausschließlich um die biblischen Bücher und traditionellen christlichen Stoffe sowie um deren Aneignung und Übernahme durch die Schüler dreht, wurde zugunsten eines problemorientierten Unterrichts, der die Lebenswelt der Schüler beachtet, aufgegeben.

Ein kritischer Umgang, auch mit den Glaubensgrundsätzen der eigenen Konfession gewann zunehmend an Bedeutung. Auch wenn die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaften weiterhin Gegenstand des Religionsunterrichts blieben, wurde der Religionsunterricht nicht mehr als Unterweisung, sondern zunehmend als Orientierungshilfe verstanden.

Der deutsche Religionsunterricht wurde bereits seit dem Ende des zweiten Weltkrieges von mancher Seite als Unterricht verstanden der sich kritisch gegenüber der Gesellschaft und verschiedenen Ideologien verhält. Diese ideologie- und gesellschaftskritische Funktion des Religionsunterrichts wurde im Rahmen der Forderungen nach einer Veränderung des Religionsunterrichts am Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre verstärkt. Die gesellschafts- und ideologiekritische Gesinnung dieser Zeit, die vor allem durch die Studentenbewegung deutlich wurde, hatte großen Einfluss auf die Religionspädagogik. Das Verhältnis des Religionsunterrichts zu gesellschaftlichen Strukturen und Problemen wurde zu einem wichtigen Thema der Religionspädagogik. (vgl. Meyer 1999, 130). Entsprechend der neuen Bedeutung der Gesellschafts- und Ideologiekritik für den Religionsunterricht wurden in der, von Religionspädagogen wie Angermeyer, Tworuschka und Lähnemann in den früheren siebziger Jahren eingeführten Weltreligionendidaktik nicht - christliche Religionen nicht mehr wie zuvor mit Themen zur Mission, sondern mit Problemen der Gastarbeiter oder gesellschaftsstrukturellen und politischen Problemen im In- und Ausland verknüpft. (vgl. Meyer 1999, 130)

Nicht - christliche Religionen wurden von einem christlichen Standpunkt aus auch kritisch betrachtet. Christliches Überlegenheitsdenken, wie man es vom Umgang mit fremden Religionen im Rahmen der Mission her kannte, trat allerdings zunehmend in den Hintergrund.[30] Die Bedeutung nicht - christlicher Religionen blieb für den konfessionellen Religionsunterricht in Deutschland aber eher gering.

Vor allem durch Bemühungen des Religionspädagogen Nipkow gewann die katholischevangelische Zusammenarbeit für den Religionsunterricht an Bedeutung. Es kam zu verschiedenen gegenseitigen Anregungen bis in die 80er Jahre hinein. Zu Beginn der siebziger Jahre wurde an einigen Grundschule und in der Sekundarstufe II ansatzweise ein konfessionell- kooperativer Religionsunterricht ausprobiert, der sich aber nicht durchsetzen konnte. (vgl. Nipkow/ Schweitzer 1994, 221)

Nach den einschlägigen Veränderungen in den sechziger und siebziger Jahren setzte in den achtziger Jahren eine Art „Reformmüdigkeit“ ein. Gesellschaftskritische Themen wie Ökologie, Frieden und Zukunft traten in den Vordergrund.

Wichtig für den deutschen konfessionellen Religionsunterricht ist weiterhin aber noch das Urteil, welches das Bundesverwaltungsgericht 1981 fällen musste, nachdem eine katholische Schülerin der gymnasialen Oberstufe auf ihr Teilnahmerecht am evangelischen Religionsunterricht geklagt hatte: „Die Teilnahme bekenntnisfremder ist geeignet, die innere Gestaltung des Religionsunterrichts zu beeinflussen. Deshalb haben die Religionsgemeinschaften zu entscheiden, ob und in welchem Umfang bekenntnisfremden Schülern die Teilnahme am Religionsunterricht gestattet wird. [...] Bei ihrer Entscheidung können die Religionsgemeinschaften dem Gesichtspunkt der konfessionellen Homogenität der Schüler im Religionsunterricht Rechnung tragen. Andererseits können die Religionsgemeinschaften vom Staat nicht daran gehindert werden, bekenntnisfremde oder auch bekenntnislose Schüler zum Religionsunterricht zuzulassen.“ (Bundesverwaltungsgericht 1981 zit. nach Haussmann 1993, 194)

Die katholische Kirche lässt die Teilnahme konfessionsfremder Schüler generell nur in Ausnahmefällen zu. Für die Katholiken ist die sogenannte Trias[31] für die Konfessionalität des Religionsunterrichts maßgebend, während die evangelische Kirche die konfessionelle Homogenität der Schüler für nicht dringend erforderlich hält. (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) 1991, 20)

Dadurch, dass die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime seit 1968 kontinuierlich angestiegen war und 1981 schon ca. 1,5 Millionen betrug, wurde der Ruf nach einem islamischen Religionsunterricht zunehmend laut. Bislang konnte sich ein islamischer Religionsunterricht aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken und Unstimmigkeiten unter den verschieden islamischen Gruppierungen aber nicht durchsetzen. Der muttersprachliche Unterricht für ausländische Schüler hat teilweise eine Ersatzfunktion für den islamischen Religionsunterricht übernommen. (vgl. Meyer 1999,122)

Während es in den achtziger Jahren eher ruhig um den Religionsunterricht war, steht er seit der Debatte um die Einführung eines konfessionellen Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern wieder im Interesse der Öffentlichkeit.

2.5.3. Vergleichende Zusammenschau

Ein Religionsunterricht, dessen Ziel es war, die Schüler in biblischen Stoffen und christlichen Traditionen zu unterweisen, war in England und in Deutschland zunehmend unter Kritik geraten. Grund hierfür waren u.a. die ansteigenden Säkularisierungstendenzen der Gesellschaften. Es vollzog sich, wie oben ausführlich erläutert, in beiden Ländern im Laufe der sechziger Jahre eine bedeutende religionspädagogische Wende. Die Mittelpunktstellung der Bibel wurde immer mehr aufgehoben und ein offener, problemorientierter Religionsunterricht, der die Lebenswirklichkeit der Schüler einbezieht, etablierte sich.

Die Kirchen in beiden Ländern verschoben die Begründungszusammenhänge für den Religionsunterricht von kirchlich - traditionalistischen Argumentationsweisen zu schulisch - pädagogischen Begründungen.

In England, wo der Religionsunterricht nicht zugunsten einer bestimmten Konfession oder Religion abgehalten werden darf, war es naheliegend, ihn alleine von den Zielen der Schule her zu begründen. Aufgrund der gesetzlichen Vorschriften konnte es ohnehin nicht Ziel der Kirchen sein, die Schüler im Religionsunterricht an einen bestimmten Glauben zu binden. Die englischen Kirchen stimmten so in den späten sechziger bzw. frühen siebziger Jahren der alleinigen Begründung des Religionsunterrichts von der Schule her zu. Diese Einstellung führte dazu, dass in England die Bedeutung der Theologie als Fachwissenschaft im Religionsunterricht immer mehr abnahm. Die Religionswissenschaft wurde neben der Pädagogik zur Bezugswissenschaft des englischen Religionsunterrichts. (vgl. Meyer 1999, 126)

Im Laufe der siebziger Jahre entwickelte sich so ein Religionsunterricht, der zum einen, vor allem durch Smart angeregt, das Ziel hatte, auf objektiv - religionswissenschaftliche Weise, den Schülern religiöse Traditionen näher zu bringen, und zum anderen, in der Tradition von Loukes, die existenzielle, persönliche Suche nach dem eigenen Glauben anzuregen.

In Deutschland hatte die, im Grundgesetz festgelegte Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche nach dem zweiten Weltkrieg wieder eine große Akzeptanz gefunden. Die Forderung der späteren sechziger Jahre, den Religionsunterricht voll und ganz der Schule unterzuordnen, ließ sich in Deutschland u.a. deswegen nicht einfach durchsetzen. Der Religionsunterricht wandelte sich in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren von einer christlichen Unterweisung zu einer Orientierungshilfe. Er soll den Schülern bei der Suche nach einer eigenen Identität behilflich sein. Da die Glaubensgrundsätze der Religionsgemeinschaften aber weiterhin die Grundlage des Religionsunterrichts bilden und die Lehrer an die Konfession gebunden sein müssen, für die sie unterrichten, ist diese Suche der Schüler aber von vornherein durch einen bestimmten Glauben beeinflusst. In einem konfessionellen Unterricht, dessen Grundlage die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaften sind, werden andere Religionen meist von einer christlichen Perspektive aus behandelt. Der deutsche Religionsunterricht steht bis heute hauptsächlich im Schnittpunkt von Theologie und Pädagogik. Die Religionswissenschaft spielt, zumindest bei der Behandlung des Christentums, eine untergeordnete Rolle.

Wichtig für die Erörterung der Fragestellung dieser Arbeit ist die Feststellung, dass die Kritik am christlichen Religionsunterricht in England vor allem darauf zurückzuführen war, dass sich die Gesellschaft am Ende der sechziger Jahre aufgrund der ansteigenden Zahl von nicht- christlichen Einwanderern und ihren Familien aus dem New Commonwealth und Pakistan nicht mehr als „Gemeinschaft von Christen“ sehen konnte. Am schulischen Religionsunterricht nahmen zunehmend auch nicht- christliche Kinder teil, es bestand von daher die didaktische Notwendigkeit, den zuvor rein christlichen Religionsunterricht neu zu strukturieren.

In Deutschland wurde am Ende der sechziger Jahre ebenfalls der Ruf nach einem Unterricht in Weltreligionen laut. Dieser Ruf entsprang zu dieser Zeit keiner didaktischen Notwendigkeit, da der Familiennachzug in Deutschland erst ab Mitte der siebziger Jahre einsetzte. Der Ruf nach einem Unterricht in Weltreligionen war vielmehr Teil der Forderungen nach einem ideologie- und gesellschaftskritischen Religionsunterricht, welcher zur freien Meinungsbildung der Schüler beitragen sollte. Ideologie- und Gesellschaftskritik sind bis heute eine wichtige Komponente des deutschen Religionsunterrichts. In England, wo der Religionsunterricht spätestens seit der Einführung der Lehrplankonferenzen im Bildungsgesetz von 1944 auf Kompromissen zwischen den verschiedenen Konfessionen (und seit 1988 auch zwischen den verschiedenen Religionen) beruht, fehlt bis heute eine gemeinsame Basis für gesellschafts- und ideologiekritische Belange. Meyer stellt fest, dass es in der englischen Religionspädagogik generell nur sehr wenige Stimmen gibt, die gesellschafts- und ideologiekritische Ansichten veröffentlichen. (vgl. Meyer 1999, 135)

Während es ab Mitte der siebziger Jahre in Deutschland um den Religionsunterricht bereits wieder ruhiger wurde, wurde in Birmingham 1975 der erste interreligiöse Lehrplan für einen gemeinsame Religionsunterricht für alle Schüler veröffentlicht. Das Bildungsgesetz von 1988 legte dann einen Religionsunterricht für alle Schüler, der die großen, in England vertreten Religionen beachtet, gesetzlich fest.

Im nächsten Punkt meiner Arbeit werde ich auf eine Reihe landesspezifischer Besonderheiten eingehen, die dazu führten, dass sich in England, anders als in Deutschland, ein interreligiöser Religionsunterricht etablieren konnte.

2.5.4. Landesspezifische Besonderheiten, die für die Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in England von Bedeutung waren

a) Gesetzliche Bedingungen

Die Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in England war weniger problematisch als sie in Deutschland gewesen wäre bzw. ist, da England erstens keine Verfassung hat, in der eine bestimmte Form des Unterrichtes festgelegt ist und zweitens der überkonfessionelle Religionsunterricht, der sich religiösen Fragen gegenüber neutral verhält, seit 1871 Tradition in England hat. In Deutschland müsste eine Interpretation des Artikels 3, Absatz 3 durchgesetzt werden, die einen interreligiösen Religionsunterricht zulässt oder eine Verfassungsänderung vorgenommen werden.

Die Form des englischen Religionsunterrichts wurde durch das Bildungsgesetz von 1988 nicht grundlegend verändert, die Grundsätze, die vorher für einen christlichen Unterricht für alle christlichen Konfessionen galten, wurden größtenteils einfach auf einen Religionsunterricht für alle Religionen umgelegt.

b) Die Haltung des Staates

Der englische Staat wandelte im Bildungsgesetz von 1988 seine konfessionsindifferente Haltung bezüglich des Religionsunterrichts in eine religionsindifferente Haltung.

England wurde von staatlicher Seite seit Beginn der Arbeitsmigration als Einwanderungsland angesehen, der interreligiöse Religionsunterricht wird dem Einwanderungsland gerecht. Deutschland wurde von Seiten der Regierung bis heute nicht als Einwanderungsland anerkannt.

c) Die Haltung der Kirchen

Die englischen Kirchen waren sich anders als die deutschen darin einig, dass sich der Religionsunterricht ausschließlich von der Schule her begründen kann. Zu der Wirklichkeit an englischen Schulen gehörten mehr und mehr Kinder von nicht - christlichen Einwanderern. Die Schule, welcher der Religionsunterricht unterstand, musste zunehmend auf diese Realität eingehen und auch die religiösen Bedürfnisse nicht - christlicher Kinder beachten.

Die deutschen Kirchen hielten und halten auch noch heute an einem konfessionellen Religionsunterricht fest, der zwar pädagogisch gerechtfertigt werden muss, über dessen Inhalt und Ziele jedoch die jeweilige Religionsgemeinschaft entscheidet.

d) Englische Interessensverbände, die sich für den Religionsunterricht einsetzen

In England gab es und gibt es verschiedene Interessensverbände und Organisationen wie z.B. die Shap Working Party on World Religions in Education und den School Council, die sich für die Beachtung nicht - christlicher Religionen im Unterricht einsetzten. In Deutschland gab es und gibt es keine vergleichbaren Organisationen.

e) Multikulturelle bzw. interkulturelle Erziehung

Die englische Regierung schlug zu Beginn der achtziger Jahre den Weg zu einer multikulturellen Erziehung ein. Den letztendlichen Wendepunkt hin zu einer multikulturellen Erziehung brachte der Swann- Report im Jahre 1985.

Der interreligiöse Religionsunterricht, der seit 1975 in mehreren Rahmenplänen festgeschrieben wurde, muss von daher als Vorreiter dieser Entwicklungen gesehen werden.

Deutschland wurde zu Beginn der siebziger Jahre, wie auch heute noch, nicht als Einwanderungsland verstanden. Man ging damals noch davon aus, dass die ausländischen Arbeiter und ihre damals schon nachgezogenen Familien wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Entsprechend dieser Auffassung verfolgte man die „Doppelstrategie“ der Ausländerpädagogik. Man dachte noch nicht daran, dass sich in einer multikulturellen Gesellschaft auch die Erziehung der deutschen Kinder verändern musste. Von einer interkulturellen Erziehung war man damals noch genauso weit entfernt wie von dem Gedanken an die Einrichtung eines gemeinsamen Religionsunterrichts für christliche und nicht

- christliche Kinder.

In Deutschland findet man seit Beginn der achtziger Jahre in der Wissenschaft erste Ansätze einer interkulturellen Erziehung.

Der Stellenwert von interkultureller Erziehung in erziehungswissenschaftlichen Studiengängen ist allerdings bis heute eher bescheiden. In Deutschland gibt es derzeit eine Vielzahl von verschiedenen Ansätzen interkultureller Erziehung, wobei sich viele noch in Theorie befinden.

In England hat sich also vor allem die Religionspädagogik, aber letztendlich auch das gesamte Erziehungswesen früher auf die multikulturelle Situation eingestellt als in Deutschland.

f) Mögliche Auswirkung der ehemaligen Kolonialmachtstellung Englands

Die Einwanderer in England wurden nicht als „fremde Gastarbeiter“ gesehen, sondern als Mitglieder des New Commonwealth. Ihrer Commonwealthstaatsbürgerschaft wurde der britischen Staatbürgerschaft gleich gesetzt und sie erhielten dementsprechend ein Niederlassungsrecht in Großbritannien.

Da die Einwanderer in England durch die Anerkennung der Commonwealth Staatsbürgerschaft und das damit verbundene Niederlassungsrecht seit jeher mehr politische Mitwirkungsmöglichkeiten haben als die Ausländer in Deutschland, hatten sie auch Einfluss auf die Festlegungen bezüglich des Religionsunterrichts im Bildungsgesetz von 1988. Das Mitgestaltungsrecht von Vertretern nicht - christlicher Religionen am Religionsunterricht in den Lehrplankonferenzen und in den SACREs ist vom Gesetz her möglich. Möglicher Weise spielte bei der gesetzlichen Festlegung des interreligiösen Religionsunterrichts weiterhin die Überlegung eine Rolle, dass die nicht- christlichen Religionen ein Teil der Kulturen des ehemaligen britischen Empires sind. Nicht- christliche Religionen finden in England heute jedenfalls mehr Beachtung als in Deutschland. So eröffnete Tony Blair z.B. die 300 - Jahr - Feier der Ordensgründung der Sikhs.

Ein weiterer Grund dafür, dass ein interreligiöser Religionsunterricht in England naheliegender war als in Deutschland, ist die Tatsache, dass einige englische Religionspädagogen in Staaten des Commonwealth, wo es teilweise schon in den frühen sechziger Jahren einen interreligiösen Religionsunterricht gab, bereits wichtige Erfahrungen gesammelt hatten. Deutsche Religionspädagogen haben keine vergleichbaren Erfahrungen gesammelt.

g) Die weite Fächerung verschiedener christlicher Konfessionen und nicht- christlicher Religionen in England

Ein Grund dafür, dass man sich 1870 in England für einen nicht - konfessionellen Religionsunterricht entschied, war höchst wahrscheinlich die große Bandbreite an verschiedenen christlichen Konfessionen. Zu diesen verschiedenen christlichen Konfessionen kam durch die Einwanderer auch eine breite Fächerung nicht - christlicher Religionen in das Land. Religionsunterricht für jede dieser nicht - christlichen Religionen anzubieten wäre in manchen Gebieten organisatorisch sicherlich schwierig gewesen.

In Deutschland waren die ausländischen Arbeiter und ihre Familien zumeist entweder Katholiken aus den Mittelmeerstaaten oder Türken, die dem Islam angehören. Seit den achtziger Jahren bahnen sich in Deutschland Formen von islamischem Religionsunterricht an. Kommt es zur endgültigen Aufnahme dieses Unterrichtes, würde das zweiteilige konfessionelle Modell durch einen zusätzlichen islamischen Religionsunterricht ergänzt werden.

Religionsunterricht für jede nicht - christliche Religion anzubieten war und ist in England, aufgrund der breiten Fächerung, organisatorisch weitaus schwieriger als in Deutschland. Es muss hier angemerkt werden, dass die Diskussionen über den Religionsunterricht in England durch die Festlegungen im Bildungsgesetz von 1988 keineswegs beendet waren. Um ein ausführliches Bild des gegenwärtigen englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts vermitteln zu können, halte ich es für notwendig, im Folgenden auf diese Diskussionen und ihre Ergebnisse einzugehen.

2.6. Diskussionen über die Festlegungen hinsichtlich des Religionsunterrichts im englischen Bildungsgesetz von 1988

Der englische Religionspädagoge Jackson macht in der Einleitung seines Artikels „The law and politics of multifaith religious education“ deutlich, dass der Weg hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht in England nicht einfach war. Konservative Mitglieder des Parlaments, allen voran die in England als Gegnerin des interreligiösen Religionsunterrichts bekannt gewordene Baroness Cox, hatten sich in politischen Debatten über die Festelegungen bezüglich des Religionsunterrichts im Bildungsgesetz von 1988 immer wieder für einen rein christlichen Unterricht ausgesprochen. (vgl. Jackson 1997, 75) Letztendlich legte das Bildungsgesetz, wie oben bereits ausführlich erläutert, 1988 fest, dass alle Lehrpläne die Tatsache widerspiegeln sollen, dass die wesentlichen religiösen Traditionen in Großbritannien hauptsächlich christlich sind, wobei jedoch die bedeutenden anderen Religionen Großbritanniens in ihrer Lehre und Glaubenspraxis zu berücksichtigen seien. (vgl. Education Reform Act, section 8.3 bei Jackson 1997, 77) Die Diskussionen um den Religionsunterricht fanden durch diese Festlegung allerdings kein Ende, viel eher löste das Gesetz von 1988 heftige Auseinandersetzungen über die Interpretation seines Inhaltes aus. (vgl. Hull 1994, 275)

Der bekannte englische Religionspädagoge Hull gibt zu bedenken, dass man aus pädagogischer Sicht aus der namentlichen Nennung nur einer Religion schließen könne, dass die verschiedenen Religionen systematisch in einzelnen Blöcken dargestellt werden sollten. (vgl. Hull 1994, 276)

Diese systematische Vorgehensweise, welche die verschiedenen Religionen getrennt voneinander betrachtet, kann, so viele englische Religionspädagogen, einem beginnenden Dialog, der auf nebeneinandergestellten Unterschieden und Gemeinsamkeiten beruht, im Wege stehen. (vgl. Day 1994, 171)

Die konservativen Gegner des interkonfessionellen Religionsunterrichts wehrten sich nach 1988 gegen eine thematische Vorgehensweise, die im Gegensatz zu der systematischen Vorgehensweise verschiedene Religionen unter einem bestimmten Thema behandelt, da diese zu einem „mish - mash“ der Religionen führe. (vgl. Jackson 1997, 79) Hull beschreibt die Einstellung dieser konservativen Gruppe folgendermaßen: „Diejenigen, die Angst haben vor „mish - mash“, sind zutiefst respektvoll anderen Religionen gegenüber. Jeder Glaube soll seine Reinheit und Integrität bewahren. [...] Ich bin heilig, sagt die Anti -„mish - mash“ - Argumentation, und du bist heilig, aber der Boden zwischen uns ist unheiliger Boden, und wir werden uns gegenseitig vergiften, wenn wir uns treffen, weil dadurch das Blut schädlicherweise mischt.“ (Hull 1991 zit. nach Dommel 1999, 3)

Seinen eigenen Ansatz, der für die thematische Vorgehensweise spricht, formuliert Hull wie folgt: „Weder du noch ich bin heilig, sondern der Raum zwischen uns ist heiliger Boden, und Heiligkeit entsteht durch Begegnung.“ (Hull 1991 zit. nach Dommel 1999, 4)

Die Befürworter des interreligiösen Religionsunterrichts hoben vor allem hervor, dass im Bildungsgesetz von 1988 erstmals die Beachtung nicht - christlicher Religionen im Religionsunterricht festgelegt wurde. (vgl. Day 1994, 169)

Die Gegner des interreligiösen Religionsunterrichts, allen voran die bereits erwähnte Baroness Cox hingegen betonten, dass ihrer Meinung nach mit dem Wortlaut des Gesetzes ein Übergewicht an christlichem Unterricht gemeint sei. (vgl. Hull 1994, 275) Eine Reihe christlicher Gruppierungen wollte so auch aus verschiedenen, aber untereinander zusammenhängenden Gründen, den Vorrang des Christentums erzwingen. (vgl. Day 1994, 169)

Diese Gruppen forderten die Einführung einer Prozentangabe, welche die Lehrpläne verpflichten sollte, sich zu 70%, 80% oder 90% mit der christlichen Religion zu beschäftigen. (vgl. Hull 1994, 277)

Der Religionspädagoge Hull sprach sich u.a. gegen solche Prozentangaben aus, da der Wortlaut des Gesetzes von 1988 dahingehend hinreichend flexibel ist, um eine Bandbreite von Interpretationen zu ermöglichen, „die damit auch kommunale Gegebenheiten und besondere Bedürfnisse abdecken, die Bedürfnisse solcher Schulen, in denen es noch große Mehrheiten von Schülerinnen und Schülern gibt, die zu einer bestimmten religiösen Tradition gehören.“ (Hull 1994, 279)

1990 legte eine Gruppe christlicher Eltern beim Bildungsministerium Beschwerde gegen die Lehrpläne der multikulturellen Londoner Vororte Ealing und Newham ein, da diese nicht „hauptsächlich christlich“ waren und so nach Meinung der Eltern gegen den Artikel 8.3 des Bildungsgesetzes verstießen. (vgl. Jackson 1997, 80)

Diese Beschwerde führte dazu, dass das Bildungsministerium die lokalen Lehrpläne überprüfte. Bei dieser Überprüfung kam man zu dem Schluss, dass viele Lehrpläne nur mangelhaft darstellten, was in den einzelnen Religionen unterrichtet werden sollte. (vgl. Day 1994, 170)

Das anerkannte und mächtige National Curriculum Council kam bei der Überprüfung der lokalen Lehrpläne kurz darauf zu dem Schluss, dass die überwiegende Mehrzahl der Lehrpläne aufgrund von Einzelheiten oder der Stellung des Christentums dem Bildungsgesetz nicht entspreche.

Die Verwirrung bei den lokalen Schulbehörden war auf diese Feststellungen hin sehr groß. Um diese Verwirrung aufzulösen, beauftragte die Regierung die School Curriculum and Assesment Authorithy einen Modell - Lehrplan zu entwickeln, der als beratendes Beispiel dienen soll, wie die mehrdeutigen Kriterien des Gesetzes entsprochen werden kann. (vgl. Day 1994, 170)

Der Lehrplan wurde gemeinsam mit Vertretern aller in England vertretenen Religionen erarbeitet und erschien im Juli 1994, er ist auch heute noch gültig.

Die Herausgeber des Modell - Lehrplans entschieden sich, ihn in zwei Teile aufzugliedern. Der erste Teil „Living Faith Today“ beschäftigt sich mit heute gelebten Formen religiösen Glaubens, während sich der zweite Teil „Questions and Teachings“ hauptsächlich mit Ideen und Fragen, die sich aus der menschlichen Erfahrung ergeben, beschäftigt. Der Modell - Lehrplan spricht hierbei nicht mehr wie 1971 das School Council von „explicit religion“ und „implicit religion“, sondern von einem „learning about religion“ (Living Faith Today) und einem „learning from religion“ (Questions and Teachings). Während das School Council 1971 zwischen zwei Unterrichtsinhalten, denen unterschiedliche Ziele zugeteilt wurden, unterschied, fordert der Modell - Lehrplan ein ausgeglichenes Ineinander von „learning about religion“ und „learning from religion“. (vgl. Meyer 1999, 146)

Auffällig ist, dass sich der Modell - Lehrplan, wie es viele Gegner des interreligiösen Religionsunterrichts forderten, bei der Behandlung von Weltreligionen strikt systematisch vorgeht, sich also gegen eine thematische Vorgehensweise wehrt. (vgl. Day 1994, 171) Die Herausgeber der bekanntesten englischen religionspädagogischen Zeitschrift „British Journal of Religious Education“ kritisierten diese Entscheidung für die systematische Vorgehensweise, da diese die verschiedenen Religionen getrennt voneinander betrachtet und so einem Dialog im Wege steht: „A problem remains, however, in that the model syllabus is still based upon the assumption of seperation and not upon the assumption of mutuality and dialogue.“ (Hull, Grimmit (Hrsg.) 1994, 2)

Da der Modell - Lehrplan aber nicht verbindlich ist, sondern nur zur Orientierung dienen soll, behielten viele lokale Erziehungsbehörden in ihren Lehrplänen die thematische Vorgehensweise bei.

So ist der Lehrplan von Shorpshire generell nicht nach verschiedenen Religionen unterteilt, wie es die systematische Vorgehensweise vorsieht, sondern behandelt verschiedene Religionen unter einem Thema.

So soll den Schülern in den ersten Schuljahren z.B. die Möglichkeit gegeben werden, „to talk and share with others their favourite festivals, for example easter and divali.“ (Shropshire County Council (Hrsg.) 1997, 10)

Wenn Schüler, die verschiedenen Religionen angehören dazu angeregt werden, über ihre liebsten Feste zu sprechen, kommt es zwangsläufig dazu, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten festgestellt werden.

Hinsichtlich des viel umstrittenen Anteils des Christentums am Religionsunterricht legte der Modell - Lehrplan fest, dass das Christentum in jedem Schuljahr behandelt werden soll, begleitet von einer oder höchstens zwei andern Religionen. (Day 1994, 171) Im Lehrplan von Shropshire sind dementsprechend häufig Formulierungen zu finden wie z.B. „[...] pupils should be given the opportunities to discuss the relationship between fasting and feasting through examples taken from Christianity and at least one other religion“ (Shropshire County Council (Hrsg.) 1997, 23) oder „ […] pupils should be given the opportunities to investigate the importance of sacred writings in the beliefs held by Christians and the followers of at least one other religion.” (Shropshire County Council (Hrsg.) 1997, 23)[32]

Die Reaktion von nicht - christlicher Seite auf die Festlegung bezüglich des Anteiles an christlichem Unterricht war verständlicher Weise nicht sehr positiv. Day gibt aber zu bedenken, dass die Verfasser des Modell - Lehrplanes immerhin davon Abstand nahmen, eine konkrete anteilige Unterrichtszeit für die Behandlung der christlichen Religion anzugeben, und dass das Christentum in der Regel auch schon vor der Veröffentlichung des Modell - Lehrplanes den größten Anteil des Religionsunterrichts ausmachte. (Day 1994, 171)

Weiterhin merkt Day an, dass nicht - christliche Glaubensgemeinschaften auf jeden Fall auch von der Erstellung des Modell - Lehrplanes profitiert haben, da dem Lehrplan ein Heft beiliegt, in welchem Arbeitsgruppen aller sechs in England vertretenen Hauptreligionen[33] die zentralen Ideen und Konzepte ihrer jeweiligen Glaubensgemeinschaft darstellen.

Die vorangehenden Ausführungen zeigen, dass das Christentum in der Regel den größten Anteil des englischen Religionsunterrichts ausmacht. Weiterhin wird aber auch deutlich, dass Vertreter nicht - christlicher Religionen, nicht nur bei der Verabschiedung lokaler Lehrpläne, in England ein Mitspracherecht bei Entscheidungen bezüglich des Religionsunterrichts haben. So waren bei der Erstellung des Modell - Lehrplans Vertreter aller in England vertretenen Religionen beteiligt.

Dass auf die verschiedenen Religionen eingegangen wird, macht auch die Veröffentlichung des erwähnten Heftes deutlich, dass die zentralen Ideen und Konzepte der Glaubensgemeinschaften darstellt.

Bevor ich die Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland beantworte, werde ich die beiden unterschiedlichen Modelle des Religionsunterrichts, die sich aus der hier dargestellten Entwicklung ergeben, nochmals zusammenfassend darstellen.

Vorab halte ich es aber für sinnvoll, den religionskundlich - informativen und den existenziellen Ansatz[34], die prägend für die gegenwärtige Religionspädagogik in England sind, zu erläutern, um so ein Gesamtbild des heutigen englischen Modells des Religionsunterrichts vermitteln zu können.

3. Die zwei Ansätze der gegenwärtigen englischen Religionspädagogik

Der Religionsunterricht in England hat keine verbindliche Didaktik. Die Vielfalt der Zugänge zum englischen Religionsunterricht ist erheblich größer als in Deutschland. Diese Vielfalt hat verschiedene Gründe: Es gibt in England aufgrund der lokalen Verantwortung für den Religionsunterricht wesentlich mehr unterschiedliche Lehrpläne als in Deutschland, weil hier die Bundesländer und nicht lokale Erziehungsbehörden für die Erstellung der Lehrpläne verantwortlich sind.

Weiterhin unterliegen englische Schulbuchverlage, wie oben bereits schon einmal erwähnt, keiner Genehmigungspflicht.

Englische Lehrer können sich im Rahmen der Lehrpläne für den Zugang entscheiden, der ihnen am meisten liegt. (vgl. Day 1994, 168)

Angemerkt werden muss hier auch, dass die Auswahl an Themen in einem interreligiösen Religionsunterricht erheblich größer ist als in einem konfessionellen Unterricht.

Meyer kommt zu dem Schluss, dass sich trotz der Vielfalt der Zugänge im englischen Religionsunterricht der religionskundlich - informative Ansatz, der seinen Ursprung bei Smart hat und der existenzielle Ansatz, welcher auf Loukes, Cox und Goldmann zurückzuführen ist, seit der Veröffentlichung des School Councils von 1971[35] durch die gesamte englische Religionspädagogik ziehen. (vgl. Meyer 1999, 143)

Gemäß der, vom School Council 1971 vorgegebenen Trennung von den Unterrichtsinhalten „explicit religion“ und „implicit religion“ beschreiben, so Meyer, viele Lehrpläne einerseits das Ziel, ein Verstehen und Wissen über religiöse Traditionen zu vermitteln und andererseits das Ziel, die Suche nach der eigenen Position in Bezug auf Religion, Glaube und Werte anzuregen. (vgl. Meyer 1999, 144)

So unterscheidet z.B. der Lehrplan von East Sussex zwischen zwei Lernzielen:

„Lernziel 1: Verstehen und Wissen von Religion“; „Lernziel 2: „Menschliche Erfahrungen erkunden und dazu Stellung nehmen“. ( East Sussex Agreed Syllabuss 1994 zit. nach Howrath 1996, 59)

Der Lehrplan von Devon beschreibt die folgenden Lernziele:

-„(to) contribute to the development of pupils’ own beliefs and values-
- (to) bring them a knowledge and understanding of a religion.” (Agreed Syllabus for Religious Education. Devon County Council 1992, zit. nach Meyer 1999, 144)

Verbunden mit der Trennung der Unterrichtsinhalte „explicit religion“ und „implicit religion“ und ihrer unterschiedlichen Zielsetzung, standen der religionskundlich - informative und der existenzielle Ansatz in der englischen Religionspädagogik lange unverbunden nebeneinander. So kommt Hausmann bei der Analyse von englischen Lehrplänen von der Anfangszeit des interreligiösen Religionsunterrichts bis in die späten achtziger Jahre zu dem Schluss, dass in selbigen häufig nicht genügend deutlich wird „in welcher Weise die religiösen Inhalte die Wirklichkeit und Erfahrungswelt der Schüler, fassen, weiterbringen und verändern. Allzu leicht kann es so bei einem unvermittelten Nebeneinander von Erfahrungen und Religion kommen.“ (vgl. Haussmann 1993, 295)

Die Trennung der beiden Unterrichtsinhalte und die damit verbundene Trennung der beiden Ansätze geriet zunehmend unter Kritik. Der „implicit religion“ Ansatz wurde zunehmend als pädagogisch unzureichend kritisiert, da er keinen Bezug zur Lebenswelt der Schüler herstellte.

Den Ausgangspunkt des heutigen interreligiösen Religionsunterrichts bildet „das einzelne Kind, das befähigt werden soll, im religiös pluralistischen Umfeld seine persönliche Orientierung zu finden.“ (Dommel 1999, 1)

Howarth schreibt, dass das Lernen im englischen Religionsunterricht kein oberflächliches Aneignen von Fakten sein soll. Das Ziel des Faches sei es vielmehr, „das sich entwickelnde Verstehen von Grundsituationen des Menschen zu fördern. Das geschieht u.a. dadurch, dass Kinder und Jugendliche entdecken, welche Rolle religiöser Glaube und religiöse Praxis im menschlichen Leben spielen. Ein solcher Unterricht mag zugleich [...], jenen Schülerinnen und Schülern, die Christen sind oder einer anderen Religion angehören, helfen, ihren eigenen Glauben besser kennen zu lernen und in diesem zu wachsen.“ (Howarth 1996, 57) Ich denke, diese Ansprüche kann der Religionsunterricht nur dann wirklich erfüllen, wenn er die beiden Unterrichtsinhalte und Ansätze nicht strikt voneinander trennt. So spricht der Modell - Lehrplan von 1994 statt von „implicit religion“ und „explicit religion“ von „learning from religion“ und „learing about religion“. Der Modelllehrplan strebt, wie oben erläutert, ein Ineinander von religionskundlich - informativem Ansatz („learning about religion“) und existenziellem Ansatz („learning from religion“) an. (vgl. Meyer 1999, 146)

Dementsprechend formuliert der Shropshire Agreed Syllabus for Religious Education die Ziele des Religionsunterrichts folgendermaßen: „The principal aim of religious Education is to help young people to achieve a knowledge and understanding of religious experiences, insights, beliefs and practices. This will enable them to deepen or realise own beliefs, and respect the freedom of other people to hold beliefs different to their own.” (Shropshire Country Council (Hrsg.) 1997, 2)

Der Lehrplan von Shropshire trennt also nicht mehr explizit zwischen zwei Unterrichtszielen, sondern hat zum Ziel, dass die Schüler durch die Vermittlung von religiösen Traditionen ihren eigenen Glauben vertiefen bzw. einen eigenen Glauben entdecken. Dies ist nur dann möglich, wenn eine Relevanz der religiösen Traditionen für die Lebenswelt der Schüler deutlich gemacht wird, also wenn die beiden Ansätze ineinander greifen. Auch wenn die englische Religionspädagogik mittlerweile davon abgerückt ist, eine strikte Trennung zwischen dem Unterricht in Weltreligionen und dem existenziellen Unterricht vorzunehmen, stellt es sich im interreligiösen Religionsunterricht aber als schwierig dar, den religionskundlich - informativen mit dem existenziellen Ansatz zu verbinden, weil religiöse Zeugnisse von einem bestimmten religiösen Glauben und bestimmten Erfahrungen mit dem Heiligen zeugen, die viele Schüler nicht teilen. Auch im deutschen konfessionellen Religionsunterricht ist es in der säkularisierten Gesellschaft durchaus möglich, dass viele Schüler noch keinerlei religiöse Erfahrungen gemacht haben, letztendlich bildet aber der christliche Glaube, der wohl den meisten getauften Schülern nicht völlig fremd ist die Grundlage des Unterrichtes. In England, wo Schüler verschiedener Religionen und nichtreligiöse Schüler am Religionsunterricht teilnehmen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schüler mit einer völlig fremden Religion in Kontakt kommen, wesentlich größer. (vgl.Meyer 1999, 149) Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass einige Elemente fremder Religionen, trotz der Behandlung im Unterricht für die Schüler fremd bleiben und so nicht für eine persönliche, existenzielle Beschäftigung geeignet sind.

Hinzu kommt, dass der englische Religionsunterricht, welcher im Schnittpunkt der Interessen verschiedener Religionsgemeinschaften steht, nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion unterrichten darf, wie es z.B. in einer intensiven, existenziellen Auseinandersetzung geschehen kann. (vgl. Meyer 1999, 149)

Im deutschen Religionsunterricht ist die letztgenannte Problematik, zumindest was christliche Zeugnisse betrifft, nicht gegeben.

Meyer kommt bei der Untersuchung aktueller englischer Schulbücher sowie durch Unterrichtsbesuche zu dem Schluss, dass man zwar versucht die beiden Ansätze miteinander zu verbinden, es aber meist nicht zu einem ausgeglichen Miteinander der beiden Ansätze kommt. Vielmehr liegt seiner Meinung nach der Schwerpunkt der Schulbücher und des Unterrichtes entweder auf dem religionskundlich- informativen oder auf dem existenziellen Ansatz. (vgl. Meyer 1999, 146)

Religionskundlich- informativ orientierte Schulbücher nehmen Erfahrungen und Probleme der Schüler häufig nur auf, um den Zugang zu religiösen Zeugnissen zu erleichtern. In Büchern mit existenziellem Schwerpunkt dienen religiöse Zeugnisse meist lediglich als Medium, um die Schüler in ihrem eigenen Fragen und Suchen anzuregen. (vgl. Meyer 1999, 148)

Hier muss angemerkt werden, dass es in England keine jahrgangsbegleitenden

Religionsbücher gibt. Die Lehrer können so zwischen Büchern mit existenziellem Ansatz und Büchern mit religionskundlich - informativem Ansatz abwechseln.

Um ein genaues Bild des gegenwärtigen Religionsunterrichts in England zu vermitteln, halte ich es für sinnvoll, die beiden Ansätze näher zu beschreiben. Hierbei beziehe ich mich auf die Ausführungen von Meyer, da mir entsprechende englische Materialien nicht zur Verfügung standen.

3.1. Der religionskundlich- informative Ansatz

Der religionskundlich - informative Ansatz umfasst in der folgenden Darstellung alle religionspädagogischen Unterrichtsmethoden, deren Hauptgrundlage die Religionswissenschaft bildet. Das Hauptziel des religionskundlich - informativen Ansatzes ist, wenn er auch versucht, die Lebenswelt der Schüler einzubeziehen, die Vermittlung von Wissen und Verstehen religiöser Traditionen. Wahrnehmen, Beschreiben und Einordnen spielen bei diesen Unterrichtsmethoden, die einen kognitiven Schwerpunkt haben, eine bedeutende Rolle.

Der religionskundlich - informative Ansatz hat seinen Ursprung bei Smart.

Obwohl einige Grundlinien von Smarts Ansatz, wie z.B. die Unterscheidung zwischen sechs religiösen Dimensionen den englischen Religionsunterricht prägen, geriet die phänomenologische Methode mit ihrem Anspruch auf Objektivität bereits seit Ende der siebziger Jahre zunehmend unter Kritik.

Der Frankfurter Religionspädagoge Heimbrock vertritt bei dem Blick auf die

phänomenologische Methode mit ihrem Anspruch auf Objektivität die Meinung, dass diese Methode den einzelnen Religionen nicht gerecht wird. Die „angeblich wertneutrale Transformation komplexer religiöser Phänomene in curriculare Häppchen birgt die Gefahr der Simplifizierung, wenn nicht gar Verfälschung religiöser Überzeugungen.“ (Heimbrock 1992,58)

Weiterhin gibt Heimbrock zu bedenken, dass die phänomenologische Methode ursprünglich eine wissenschaftliche Methode ist, und nicht einfach auf die Schule übertragen werden könne. Kinder hätten, so Heimbrock, „nicht in jeder Entwicklungsphase das gleiche Vermögen zu imaginativer Identifikation mit fremden Positionen“ (Heimbrock 1992, 58) wie es die phänomenologische Methode voraussetzt.

Grimmit ist der Meinung, dass religiöse Traditionen in Beziehung zur Lebenswelt der Schüler gesetzt werden müssen. Die phänomenologische Methode leiste dies, so Grimmit, nicht. Eine Relevanz der religiösen Traditionen für die Lebenswelt der Schüler werden bei der phänomenologischen Methode nicht sichtbar. (vgl. Grimmit 1986, 202)

Dieses von Grimmit beschriebene Problem, eine Beziehung zwischen religiösen Traditionen und der Lebenswelt der Schüler herzustellen ist, obwohl die phänomenologische Methode von der Religionspädagogik in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre aufgegeben wurde und obwohl man sichtlich bemüht ist, Erfahrungen der Schüler bei der Behandlung von Weltreligionen einzubeziehen, auch im gegenwärtigen Unterricht noch nicht zufriedenstellend gelöst worden.

Der heutige religionskundlich - informative Ansatz kann nicht mehr mit der phänomenologischen Methode mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch auf Objektivität gleichgesetzt werden.

Im religionskundlich - informativen Unterricht in England gibt es zwei Vorgehensweisen, die systematische, welche der Modell - Lehrplan von 1994 befürwortet, und die thematische. Dies wird auch in den englischen Religionsbüchern deutlich, die in der Regel entweder systematisch oder thematisch vorgehen. Im Folgenden werde ich die systematische und die thematische Vorgehensweise genauer beschreiben.

3.1.1. Systematische Vorgehensweise

Bei der systematischen Vorgehensweise, die der Modell - Lehrplan bevorzugt, wird eine Religion über einen längeren Zeitraum hinweg intensiv behandelt. Im Unterricht wird auf Strukturen, Inhalte und Eigentümlichkeiten der jeweiligen Religion eingegangen. Das Erzählen von Geschichten aus der religiösen Tradition, Einblicke in spezifische soziale Formen und die Darstellung von Ritualen sind typische Bestandteile dieses, auf dem religionskundlich - informativen Ansatzes basierenden, Religionsunterrichts. Die Schulbücher, die von heute gelebten Glaubensformen ausgehen sind, in Anlehnung an Smarts sechs religiöse Dimensionen, in die folgenden Themenbereiche aufgegliedert: Dogmen und Prinzipien, Mythen, Ethik, Rituale, Erfahrungen der Gemeinschaft und Erfahrungen der sozialen Ebene. (vgl. Meyer 1999, 159) In Buchreihen, die systematisch vorgehen, wird häufig jede Religion in einem eigenen Buch behandelt. Im religionskundlich - informativen Religionsunterricht, der systematisch vorgeht, wird häufig versucht, die religiösen Traditionen für die Schüler durch das Mitbringen von Artefakten, das Besuchen von religiösen Feiern sowie religiösen Orten und durch Gespräche mit Angehörigen der jeweiligen religiösen Tradition greifbar zu machen. (vgl. Meyer 1999, 159) Während meines sechswöchigen Praktikums, welches ich an einer englischen Grundschule in Whitbourne absolvierte, besuchte z.B. ein anglikanischer Mönch, der in einem nahen Kloster lebte die Schule und berichtete von seinem Leben im Kloster und von seiner Vorstellung von Gott. Dies war für mich eine eindrucksvolle Erfahrung, die ich hier beispielhaft schildern möchte, da sie die Realität des englischen Religionsunterrichts aufzeigt. Die Schüler, die zwischen fünf und zwölf Jahre alt waren, hörten dem Mönch bei seinem Besuch in der Schule interessiert zu und stellten anschließend Fragen über sein Leben im Kloster. Sie hatten sich, als der Besuch des Mönches angekündigt worden war, gefragt, wie der Mönch wohl aussehen würde und wie das Leben im Kloster sei.

Man muss davon ausgehen, dass die Form, seinen Glauben im Kloster zu leben Kindern sehr fremd ist. Das Gespräch mit dem Mönch brachte den Schülern das Leben im Kloster näher.

Der Mönch berichtete den Kindern auch von seinem Glauben sowie von seiner Vorstellung von Gott. Er fragte sie, inwieweit sie auch schon Erfahrungen mit Gott gesammelt haben und stellte somit einen Bezug zur kindlichen Lebenswelt her.

Im Anschluss an das Gespräch über das Leben im Kloster und über Gott erzählte der Mönch noch von einer, vom Kloster organisierten Spendenaktion, in deren Rahmen einmal jährlich Geld für ein Kinderheim im Raume Whitebourne gesammelt wird. Die meisten Schüler hatten schon vorher von dieser Spendenaktion gehört und konnten so eine Beziehung zwischen dem Kloster und ihrem eigenen Lebensumfeld herstellen. An diesem Beispiel soll deutlich werden, wie durch das Gespräch mit einem Gläubigen den Schülern zum einen eine bestimmte gelebte Form religiösen Glaubens näher gebracht und zum anderen ein Bezug zu ihrer Lebenswelt hergestellt werden kann. Es muss angemerkt werden, dass im Sinne des interreligiösen Religionsunterrichts ebenfalls ähnliche Gespräche mit Angehörigen anderer christlicher Konfessionen und nicht - christlicher Religionen geführt werden müssten.

In Religionsbüchern, die systematisch vorgehen, ist die einfachste Art der Anknüpfung an die kindliche bzw. jugendliche Lebenswelt das Aufgreifen von Erfahrungen der Schüler, die dann in einen Zusammenhang mit religiösen Zeugnissen gebracht werden können. Das Religionsbuch „Buddhist Festivals“ (1995) knüpft z.B. bei der Behandlung der Bedeutung des Mondes für die Buddhisten an Erfahrungen der Schüler mit dem Mond an: „When you look up at the full moon, what comes into your mind? The moon reminds people of different things. There are lots of songs about love and romance that talk about the moon.

The moon has fascinated us for centuries: its light, the way it affects the tides and its changing shape make it magical.

For the Buddhists the moon is important too. Their year follows the moon’s cycle rather than the sun’s. This is called lunar year. They say that Buddha was born, enlightened and died at the time of full moon. When you look up at it, this is what they remember.” (Erricker/ Erricker 1995 zit. nach Meyer 1999, 161)

In diesem Beispiel werden die Erfahrungen der Schüler dazu genutzt, den Zugang zum Buddhismus für die Schüler zu erleichtern.

Einige englische Religionsbücher mit systematischen Ansatz gründen ausschließlich auf Festen, sie versuchen die Intensität von Festen zu nutzen. „Das Fest kann die Gelegenheit bieten, daß die Schülerinnen und Schüler, die selbst der behandelten Tradition folgen, aktiv an der Vorbereitung mitwirken zum Beispiel bei der Zubereitung und dem Arrangement von Speisen.“ (Meyer 1999, 160)

Durch das Mitwirken an Festen wird den Schülern die Möglichkeit geboten, während oder nach der Behandlung von religiösen Festen, im Rahmen des Religionsunterrichts neue Erfahrungen zu sammeln. Der Religionsunterricht geht so über einen rein kognitiven Unterricht hinaus. (vgl. Meyer 1999, 161)

Erfahrungen der Schüler werden hier nicht nur genutzt, um den Zugang zu religiösen Festen zu erleichtern. Die religiösen Feste werden vielmehr zu einer neuen Erfahrung der Schüler gemacht.

Problematisch bei dieser Vorgehensweise ist allerdings die Tatsache, dass andere religiöse Inhalte aufgrund der Überbetonung von Festen in den Hintergrund geraten.

Meyer kommt bei der Betrachtung englischer Schulbücher mit religionskundlich - informativem Ansatz und systematischer Vorgehensweise letztendlich zu dem Schluss, dass alle Bücher kognitiv gehalten sind. Die Schulbücher sind dazu geeignet, den Horizont der Schüler bezüglich fremder Traditionen zu erweitern. Sie geben, abgesehen von den Büchern, welche sich ausschließlich mit Festen beschäftigen, ausführliche Informationen über die Inhalte der verschiedenen Traditionen. (vgl. Meyer 1999, 164)

Die Bücher versuchen über das reine Wahrnehmen, Beschreiben und Einordnen von religiösen Traditionen hinaus, eine Beziehung zur Lebenswelt der Schüler herzustellen. Die Struktur eines Religionsunterricht, der mit solchen Büchern arbeitet, orientiert sich aber nicht an der Lebenswelt und an Problemen und Fragen der Schüler, sondern an den systematischen Schwerpunkten, welche die jeweiligen Religionen vorgeben. Das Suchen und Fragen der Schüler hat im Unterricht der mit solchen Schulbüchern arbeitet keinen eigenen Stellenwert. (vgl. Meyer 1999, 164)

Bei mangelnder Bezugsnahme auf die Lebenswelt der Schüler besteht die Gefahr, dass fremde religiöse Traditionen für das eigene Leben irrelevant erscheinen. Häufig kann es so zu einem sturen Aneignen von Fakten über religiöse Traditionen kommen.

Kritik an religiösen Traditionen sowie ihre mögliche Fremdheit für die Schüler spielen in systematisch vorgehenden Büchern, wie generell im religionkundlich - informativen Unterricht, keine Rolle. (vgl. Meyer 1999, 163f.)

Viele Religionspädagogen vertreten weiterhin die Meinung, dass die systematische Vorgehensweise einem beginnenden Dialog, der auf Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen beruht, im Wege steht. ( vgl. Day 1994, 171)

3.1.2. Die thematische Vorgehensweise

Die thematische Vorgehensweise des religionskundlich - informativen Ansatzes basiert auf der Betrachtung verschiedener Religionen unter einem bestimmten Thema. So kann ein Aspekt, z.B. die Rituale bei Geburten, durch mehrere Religionen hindurch untersucht werden. Da es seit dem Bildungsgesetz von 1988 erlaubt ist, Unterschiede zwischen Religionen darzustellen, können so Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen zur Sprache kommen. (vgl. Meyer 1999, 164) Hier können Themen, wie z.B. „Geburt“ zur Sprache gebracht werden, mit denen viele Schüler schon eigene Erfahrungen gemacht haben. Es besteht somit die Möglichkeit, zwischen Schülern, die verschiedenen Religionen angehören, über die gemeinsame Erfahrung z.B. der Geburt ein Gespräch über die unterschiedlichen Rituale bezüglich von Geburten anzuregen.

Die einfachste Art des thematischen Vorgehens in Schulbüchern ist eine religionswissenschaftlich - vergleichende Betrachtung. Hierbei werden verschiedene Religionen nebeneinander gestellt und typologisch allgemeine Linien zu z.B. Pilgerreisen gezogen. Es kann so z.B. an allgemeine Erfahrungen des Reisens angeknüpft werden.

Das Problem bei dieser Betrachtungsweise ist, dass die Typologisierung von religiösen Zeugnissen vorausgesetzt wird. Es kann so zu Generalisierungen kommen, die den einzelnen Religionen nicht gerecht werden. (vgl. Meyer 1999,165)

Aufgrund dieser Gefahr ist es in den Schulbüchern mit thematischer Vorgehensweise üblich, mit Hilfe der thematischen Zusammenstellung von religiösen Zeugnissen allgemeine Grundwahrheiten des Lebens, die in verschiedenen Ritualen und Mythen zu finden sind, zu vermitteln. So kann z.B. mit Hilfe von chinesischen Zeugnissen über Yin und Yang, etwas über die gegensätzlichen Kräfte der Welt gelernt werden. Über diese Grundwahrheiten kann eine Beziehung zwischen religiösen Traditionen und der Lebenswelt der Schüler hergestellt werden. Problematisch an diesem Ansatz ist aber, dass die Grundwahrheiten aus ihrem religiösen Kontext herausgenommen werden. (vgl. Meyer 1999, 164) Andere Schulbücher betrachten mehrere Religionen unter einem ethischen Gesichtspunkt. Es werden ethische Werte herausgearbeitet, die in verschiedenen Religionen verankert sind und auch für die Lebenswelt der Schüler von Bedeutung sind. Auch hier kann es zu Verallgemeinerungen kommen, die den Religionen nicht gerecht werden.

Es muss abschließend festgestellt werden, dass die Beziehung zwischen der Lebenswelt der Schüler und religiösen Traditionen bei der thematischen Vorgehensweise wesentlich einfacher hergestellt werden kann als bei der systematischen Methode. Positiv bei der thematischen Vorgehensweise ist vor allem, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Religionen deutlich gemacht werden können. Auf diese Weise ist es wie oben erwähnt möglich im Klassenzimmer ein Gespräch über unterschiedliche und gemeinsame Erfahrungen, die Schüler, die verschiedenen Religionen angehören, bei bestimmten Ereignissen gemacht haben, anzuregen.

Die existenzielle Beschäftigung mit religiösen Traditionen kann wie bei der systematischen Vorgehensweise beschrieben, auch durch das Mitbringen von Artefakten, Gespräche mit Gläubigen oder den Besuchen von religiösen Orten und Feiern unterstützt werden. Es besteht beim thematischen Vorgehen, das mehrere religiöse Traditionen unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet allerdings die Möglichkeit, dass religiöse Zeugnisse eine Verallgemeinerung erfahren. Es kann zu Moralisierungen und oberflächlichen Lebensregeln kommen, denen jeglicher wirklich religiöser Gehalt fehlt. Kritik und die mögliche Fremdheit religiöser Traditionen spielen auch hier keine Rolle.

Im nächsten Punkt möchte ich nun die auf den existenziellen Ansatz eingehen, welcher dem religionskundlich - informativen Ansatz gegenüber steht.

3.2. Der existenzielle Ansatz

Der Unterricht mit existenziellem Ansatz strukturiert sich nach religiösen und existenziellen Grundfragen, die zur eigenen Suche nach dem persönlichen Glauben beitragen sollen. Die Grundlage dieses Unterrichtes ist die Lebenswelt, sind die Probleme und Erfahrungen der Schüler.

Der existenzielle Ansatz hat seinen Ursprung bei Loukes. Loukes führte, wie vorher bereits ausführlich geschildert in einen Religionsunterricht ein, der alltägliche Erfahrungen und Sorgen der Schüler aufnahm, um ihnen den christlichen Glauben, der seiner Meinung nach in Alltagserfahrungen implizit ist, zu vermitteln. (vgl. Meyer 1999, 170)

Cox begründete im Anschluss an Loukes einen Unterricht, dessen Ziel die freie Suche nach dem eigenen Glauben war. Diese Suche musste nicht mehr zwingend auf den christlichen Glauben hinauslaufen. (vgl. Meyer 1999, 171)

Das School Council prägte 1971 für den existenziellen Ansatz den Begriff „implicit religion“, der im Gegensatz zu „explicit religion“ gesehen wurde.

Der „implicit religion“ Ansatz kam in den folgenden Jahren meist ohne jegliche explizit religiöse Themen aus.

Im interreligiösen Religionsunterricht wurden Themen wie das Fragen, nach dem Sinn des Lebens, das Betrachten und Staunen über die Natur sowie problemorientierte Themen wie Freundschaft, Familie und Nachbarn aufgriffen. Solche Fragen und problemorientierte Themen spielen auch im heutigen Religionsunterricht eine bedeutende Rolle. (vgl. Meyer 1999, 172) Bei der Behandlung solcher Stoffe, die keinen explizit religiösen Bezug haben, besteht nicht die Gefahr, zu Gunsten eines bestimmten Glaubens zu unterrichten.

Die Kreativität der Schüler spielte und spielt auch heute noch vor allem in der Grundschule eine wichtige Rolle im englischen Religionsunterricht mit existenziellem Ansatz. Häufig wurden und werden die Schüler immer wieder zum Malen, Basteln und Schreiben angeregt. (vgl. Meyer 1999, 174)

Bereits im Laufe der siebziger Jahren gewannen Erfahrungen wie Ehrfurcht und Staunen beim Betrachten der Natur im englischen Religionsunterricht eine spezifisch spirituelle bzw. religiöse Qualität. Häufig wurde im existenziellen Unterricht versucht, spirituelle Erfahrungen im Zusammenhang mit Naturerfahrungen anzuregen.(vgl. Meyer 1999, 175)

Unter dem Einfluss von U. King, einer Vertreterin von „spirituellem Religionsunterricht“, wurden in den achtziger Jahren auch Übungen zur Selbst - und Naturwahrnehmung eingeführt, welche teilweise mit religiösen Meditationsformen verbunden sind und zur Entwicklung eines Sinnes für Wunder und Gefühle beitragen sollen. Der Religionsunterricht wurde so durch Methoden bereichert, die auch von gläubigen Angehörigen bestimmter Religionen verwendet werden. (vgl. Meyer 1999, 176)

Die Entwicklung von einem Gespür für spirituelle Momente spielt im Rahmen des existenziellen Ansatzes noch im gegenwärtigen Religionsunterricht eine wichtige Rolle. So nennt der Shropshire Agreed Syllabus u.a. das folgende Ziel des Religionsunterrichts: „(to) develop an awareness of a spiritual dimension of life.“ (Shropshire County Council (Hrsg.) 1997, 2)

Genau wie die Beschäftigung mit Problemen aus der Lebenswelt der Schüler ermöglicht auch die Beschäftigung mit spirituellen Momenten einen Unterricht, der nicht zu Gunsten eines bestimmten religiösen Zeugnisses abgehalten wird.

Die existenziell orientierten Schulbücher legen ihren Schwerpunkt in das Affektive.

Kreativität und die Bildung einer eigenen Position stehen meist im Mittelpunkt. (vgl. Meyer 1999, 179)

Die Schulbücher für die Grundschule gehen meist von emotional berührenden Bildern oder von Gedichten und Geschichten aus, welche die Kinder in ihren Bann ziehen und sie so zu persönlichen Stellungsnahmen anregen.

In den Schulbüchern für weiterführende Schulen werden üblicherweise „ultimate questions“

- die Probleme und „großen“ Fragen des Lebens - behandelt. Der Unterricht mit existenziellem Ansatz in höhern Jahrgängen erinnert häufig an Philosophieunterricht. (vgl. Meyer 1999, 179)

Zusammenfassend stellt Meyer fest, dass es allen Schulbüchern mit existenziellem Schwerpunkt gelingt, die Schüler persönlich in die vorgegebenen Thematiken einzubeziehen. (vgl. Meyer 1999, 190)

Das Manko des existenziellen Ansatzes ist, dass religiöse Zeugnisse wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielen. Da der existenzielle Ansatz von „säkularen“ Themen ausgeht, stellt sich eine Verbindung zu religiösen Zeugnissen als schwierig dar.

3.3. Abschließende Überlegungen

Ich halte es hier für mein weiteres Vorgehen für äußerst wichtig festzustellen, dass in den vorangegangen Ausführungen deutlich wird, dass der gegenwärtige englische Religionsunterricht weder reine Religionskunde noch eine reine existenzielle Lebensgestaltungskunde ist, vielmehr strebt er eine existenzielle, pädagogisch begründete Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen an. Der existenzielle und der religionskundlich

- informative Ansatz spielen gleichermaßen eine Rolle.

Es wird aber auch deutlich, dass es im englischen Religionsunterricht und in den Religionsbüchern derzeit kaum zu einem ausgeglichen Ineinander beider Ansatze kommt. Es stellt sich im interreligiösen Religionsunterricht als schwierig dar, die beiden Ansätze ineinander greifen zu lassen. Dies liegt u.a. daran, dass am englischen Religionsunterricht Schüler verschiedener Religionen und, wie es der säkularisierten Gesellschaft entspricht, auch nicht - religiöse Kinder teilnehmen. Es muss davon ausgegangen werden, dass Religionen, die im Unterricht behandelt werden für eine Vielzahl der Schüler fremd sein können. Diese Fremdheit kann einer existenziellen Auseinandersetzung im Wege stehen. Die Fremdheit religiöser Zeugnisse wird in den von Meyer untersuchten Schulbüchern nicht thematisiert. (vgl. Meyer 1999, 1994)

Ich bin der Meinung, dass es zu einer persönlichen, existenziellen Auseinandersetzung mit den fremden religiösen Zeugnissen kommen kann, wenn diese Fremdheit explizit im Unterricht aufgenommen wird. Die Schüler können dann dazu angeregt werden darüber nachzudenken, warum ihnen die jeweiligen Zeugnisse fremd vorkommen und welche Elemente der religiösen Tradition nicht ihrer persönlichen Vorstellung entsprechen. Weiterhin halte ich es für eine existenzielle Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen für äußerst wichtig, dass auch Kritik an diesen geübt werden kann.

Es stellt sich im englischen Religionsunterricht aber als äußerst problematisch dar, die Schüler zu kritischen Fragen und Überlegungen anzuregen, da er im Schnittpunkt der Interessen verschiedener Religionsgemeinschaften steht und verpflichtet ist, sich jeglicher Wertung oder Position bezüglich einer bestimmten Religion oder Konfession zu enthalten.

Ein weiteres Problem, das sich bei einer Verbindung zwischen religionskundlich - informativem und existenziellem Ansatz aus den Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts ergibt ist die Tatsache, dass im englischen Religionsunterricht nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion unterrichtet werden darf. Dies kann bei einer existenziellen Auseinandersetzung aber geschehen. Dieses Problem kann aber vermieden werden, wenn man Wege findet, die eine existenzielle Auseinandersetzung mit allen zu behandelnden Traditionen möglich machen.

In den obigen Ausführungen wird wie bereits erwähnt deutlich, dass es der englischen Religionspädagogik zwar weitgehend noch nicht gelungen ist ein ausgeglichenes Ineinander von religionskundlich - informativem und existenziellem Ansatz zu schaffen, dennoch wird versucht, Erfahrungen der Schüler einzubeziehen, um den Zugang zu religiösen Traditionen zu erleichtern.

Für besonders lobenswert vor allem für die unteren Jahrgänge halte ich die Versuche, den Schülern durch das Mitbringen von Artefakten, die Teilnahme an religiösen Feiern, die Besuche von religiösen Orten oder durch die Gespräche mit Angehörigen einer bestimmten Religion die religiösen Traditionen näher zu bringen und diese für sie greifbar zu machen. Solche Vorhaben können zu neuen Erfahrungen und so Grundlage für eine persönliche, existenzielle Auseinandersetzung mit den jeweiligen erfahrenen Elementen der religiösen Traditionen werden.

Die thematische Vorgehensweise des religionskundlich - informativen Ansatzes bietet die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Religionen zur Sprache zu bringen. In einer multireligiösen Klasse kann so ein Gespräch über die unterschiedlichen und auch gemeinsamen, persönlichen Erfahrungen, welche die Kinder mit verschiedenen religiösen Hintergründen bezüglich eines Ereignisses wie z.B. dem Tod oder der Geburt gemacht haben, geführt werden.

Die thematische Vorgehensweise, die verschiedene Religionen unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet, birgt allerdings die Gefahr einer Verallgemeinerung, die den einzelnen Religionen nicht gerecht wird.

Ich halte es für einen Unterricht in Weltreligionen jedoch für äußerst wichtig, dass die einzelnen Religionen in ihrer Individualität und Vielfalt dargestellt werden. In den Lehrplankonferenzen und in den SACREs besteht für die Vertreter der in England ansässigen christlichen Konfessionen und nicht - christlichen Religionen, nach der Abwendung von der phänomenologischen Methode mit ihrer objektiven Darstellung, die Möglichkeit, sich für eine ihrem jeweiligen Selbstverständnis entsprechenden Darstellung ihrer Religion bzw. Konfession einzusetzen.

Der systematischen Vorgehensweise gelingt es sicherlich eher als der thematischen Vorgehensweise den Ansprüchen der einzelnen Religionen gerecht zu werden, da sie die Religionen in ihrer individuellen Vielfalt darstellt, ohne nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden mit anderen Religionen zu suchen.

Ich halte es, vor allem in höheren Jahrgängen für sinnvoll systematisch vorzugehen, wenn in eine religiöse Tradition eingeführt wird. Generell sollte meiner Meinung nach aber die thematische Grundlage wegweisend im Unterricht in Weltreligionen sein, da sie zum einen bessere Möglichkeiten bietet, die Lebenswelt der Schüler einzubeziehen, und andererseits bessere Voraussetzungen für Gespräche unter Schülern bietet, die verschiedenen Religionen angehören oder nicht - religiös sind. Solche Gespräche erscheinen mir äußerst wichtig, um ein Verständnis für diejenigen zu entwickeln, die andere Vorstellungen haben als man selbst.

Der existenzielle Ansatz englischer Religionspädagogik hat den Vorteil, dass die Schüler mit ihren Fragen und Problemen durchgehend in die Thematiken einbezogen werden.

Problematisch am existenziellen Ansatz erscheint mir die Tatsache, dass religiöse Zeugnisse häufig nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Dommel nennt als ein übergeordnetes Ziel des englischen Religionsunterrichts die Förderung eines harmonischen Zusammenlebens mit Andersgläubigen. (vgl. Dommel 1999, 1) Der Shorpshire Syllabus sieht es dementsprechend als Ziel des Religionsunterrichts, die Schüler dazu zu erziehen, die Freiheit anderer Menschen einem Glauben anzugehören, den man selbst nicht teilt, zu respektieren. (vgl. Shropshire County Council 1997, 2) Diese Ziele entsprechen den Vorstellungen einer multikulturellen Erziehung.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, ein Wissen über alle in England vertretenen Hauptreligionen und ein Verstehen menschlicher Grundsituationen zu vermitteln.

Neben der Vermittlung eines Wissens und Verstehens über Weltreligionen und deren Anhängern hat der englische Religionsunterricht weiterhin zum Ziel, die Suche und Entwicklung bzw. Vertiefung eines eigenen Glaubens zu unterstützen.[36] Der Modell - Lehrplan und der Shopshire Syllabus unterscheiden hierbei nicht mehr zwischen zwei Unterrichtszielen, die mit zwei verschiedenen Methoden vermittelt werden sollen. Die Schüler sollen vielmehr auch durch den Unterricht in Weltreligionen Grundsituationen des Menschen verstehen lernen und einen eigenen Glauben entwickeln bzw. vertiefen. Dies kann aber nur dann wirklich erreicht werden, wenn es zu einem ausgeglichenen Ineinander von religionskundlich - informativem und existenziellem Ansatz kommt.

Der religionskundlich - informative Ansatz, der derzeit Erfahrungen aus der Lebenswelt der Schüler hauptsächlich aufnimmt, um den Zugang zu religiösen Zeugnissen zu erleichtern, müsste vermehrt auch Probleme und Fragen der Schüler einschließen bzw. müsste der existenzielle Ansatz religiöse Traditionen mehr in seine schülerbezogene Thematik einfließen lassen.

Ein Ineinander der beiden Ansatz ist also auf jeden Fall wünschenswert, um den Schüler eine Relevanz religiöser Traditionen für die Suche bzw. Vertiefung eines eigenen Glaubens aufzuzeigen.

Die Schüler können nur dann wirklich Hilfreiches für die eigenen Fragen und persönlichen Probleme aus den verschiedenen Religionen ziehen, wenn die Religionen in Beziehung zu diesen lebensweltbezogenen Fragen und Probleme gesetzt werden.

Auch wenn im englischen Religionsunterricht zur Zeit noch kein ausgeglichenes Ineinander von existenziellem und religionskundlich - informativem Ansatz stattfindet, ist es wohl durchaus möglich aus den beiden dargestellten Ansätzen adäquate Modelle für den interreligiösen Religionsunterricht zu entwickeln.

Es würde an dieser Stelle den Rahmen meiner Arbeit sprengen, tiefgehende didaktische Methoden für einen interreligiösen Religionsunterricht zu entwickeln.

Nach der Darstellung der Entwicklungsgeschichte des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts und der Beschreibung der gegenwärtigen Ansätze der Religionspädagogik, die für das englische Modell relevant sind, werde ich mich nun der Frage der Übertragbarkeit zuwenden.

4. Überprüfung der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland

Nach vorangegangener Darstellung der Entwicklung der Modelle des englischen und des deutschen Religionsunterrichts und der beiden prägenden Ansätze englischer Religionspädagogik werde ich im folgenden zunächst die sich aus diesen Darstellungen ergebenden gegenwärtigen Unterrichtsmodelle zusammenfassend gegenüberstellen.

Danach möchte ich im Rückblick auf die geschichtlich unterschiedlichen Voraussetzungen für den heutigen Religionsunterricht in England und Deutschland erste Vorüberlegungen zur Übertragbarkeit des englischen Modells auf Deutschland anschließen.

Im Folgenden wende ich mich letztendlich der Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland zu. Die Übertragbarkeit werde ich an drei Kriterien überprüfen.

Hierbei wird das erste Kriterium die heutige gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion in unserer Gesellschaft sein. Das zweite Kriterium sind die, sich aus der gegenwärtigen Gesetzeslage ergebenden formalen Voraussetzungen für eine solche Übertragbarkeit.

Das dritte Kriterium, an welchem ich die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland überprüfen möchte, ist die Stellung der katholischen und der evangelischen Kirche zum Religionsunterricht. Hierbei soll auch die Stellung des Zentralrates der Muslime in Deutschland Beachtung finden.

4.1. Zusammenfassende Darstellung des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts

Aus den verschiedenen Entwicklungsgeschichten des Religionsunterrichts, die auch von landesspezifischen Besonderheiten abhängig sind, ergeben sich wie in den vorangehenden Ausführungen deutlich wird zwei unterschiedliche Modelle des Religionsunterrichts. Im folgenden werde ich diese verschiedenen Modelle nochmals in konzentrierter Form darstellen.

Um die Frage nach der Übertragbarkeit überschaubarer beantworten zu können, strukturiere ich diese zusammenfassende Darstellung des englischen und des deutschen Modells des Religionsunterrichts nach wichtigen Komponenten dieser Modelle. Diese Komponenten sind nicht durchgehend trennscharf, da sie im Rahmen des Gesamtmodells teilweise miteinander vernetzt sind.

4.1.1. Das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts

a) Die Schüler im interreligiösen Religionsunterricht

Das englische Modell, welches ich auf seine Übertragbarkeit auf Deutschland überprüfen möchte, ist ein Modell des Religionsunterrichts, an dem alle Schüler, gleich welcher weltanschaulichen oder religiösen Orientierung sie angehören, gemeinsam teilnehmen.

b) Die Religionslehrer im interreligiösen Religionsunterricht

Der interreligiöse Religionsunterricht wird von Religionslehrern unterrichtet, die an eine bestimmte christliche Konfession oder nicht - christliche Religion gebunden sein können, aber nicht gebunden sein müssen. Die Religionslehrer dürfen im Unterricht keine christliche Konfession oder nicht - christliche Religion bevorzugt darstellen, sondern müssen wertneutral unterrichten.

c) Die Religionen im interreligiösen Religionsunterricht

Das Christentum bildet den Hauptanteil des Religionsunterrichts. Islam, Judentum Hinduismus, Buddhismus und Sikhismus werden aber ebenfalls beachtet: „New locally agreed syllabuses must reflect the fact that the religious traditions in the country are in the main Christian whilst taking account of the teaching and practices of the other principal religions represented in Britain.” (Education Reform Act, section 8.3. 1988, zit nach Jackson 1997, 77)[37] Die Modell - Lehrpläne schlagen vor, dass das Christentum in jeder Jahrgangsstufe begleitet von einer oder höchstens zwei anderen Religionen behandelt werden soll.

d) Die Verabschiedung der Lehrpläne für den interreligiösen Religionsunterricht

Die Lehrpläne für den interreligiösen Religionsunterricht werden im Einvernehmen mit den Lehrplankonferenzen verabschiedet, an welchen Vertreter aller zu unterrichtenden christlichen Konfessionen und nicht - christlichen Religionen, sowie Vertreter von Lehrerverbänden und den lokalen Schulbehörden teilnehmen. Die SARCEs beschäftigen sich mit Fragen der religiösen Erziehung und beraten die Lehrplankonferenzen. [38] Die Beteiligung von Vertretern aller im Unterricht zu behandelten Religionen und christlichen Konfessionen bei der Verabschiedung der Lehrpläne tragt dazu bei, dass die Religionen bzw. Konfessionen in der Schule entsprechend der Innenansicht ihrer Anhänger dargestellt werden.[39]

e) Ziele des interreligiösen Religionsunterrichts

Der englische Religionsunterricht begründet sich allein durch die pädagogischen Ziele der Schule. Er hat sich jeglicher Position oder Wertung bezüglich einer bestimmten Religion oder christlichen Konfession zu enthalten. Es darf nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion oder Konfession unterrichtet werden.[40] „Thus teaching about Christanity must have a major role in an RE programme. Such teaching must not be distinctive of any one denomination or theological position though teaching about denominations is permitted. It is no part of the responisibilty of the school either to promote or to undermine any particulr religious stance.” (Shropshire County Council (Hrsg.) 1997, 1)

Es kann also nicht Ziel des englischen Religionsunterrichts sein, den Glauben der Schüler hinsichtlich eines bestimmten christlichen Bekenntnisses zu stärken. Dementsprechend ist, neben der Vermittlung eines Wissens und Verstehens über Weltreligionen und deren Anhängern, das Suchen oder Vertiefen einer persönlichen Orientierung ein grundlegendes Ziel des englischen Religionsunterrichtes. [41] Ein weiteres grundlegendes Ziel ist die Förderungen eines harmonischen Zusammenlebens mit Andersgläubigen.

f) Die prägenden Ansätze der englischen Religionspädagogik

Der religionskundlich - informative Ansatz und der existenzielle Ansatz sind prägend für die gegenwärtige englische Religionspädagogik.

Der gegenwärtige englische Religionsunterricht versucht zunehmend diese beiden Ansätze miteinander zu verbinden, um so eine existenzielle Auseinandersetzung mit religiösen Zeugnissen herbeizuführen. Er kann deswegen weder als reine Religionskunde, in welcher es ausschließlich um Wissensvermittlung geht, noch als reine Lebensgestaltungskunde gesehen werden. [42]

4.1.2. Der konfessionelle Religionsunterricht in Deutschland

a) Die Schüler im konfessionellen Religionsunterricht

Der Religionsunterricht in Deutschland findet in aller Regel in konfessionell getrennten Gruppen statt. Hierbei wird in der überwiegenden Zahl von Schulen ausschließlich Religionsunterricht für evangelische und katholische Schüler angeboten.

Der Religionsunterricht geht dabei ursprünglich von einer konfessionellen Übereinstimmung von Lehrer, Schüler und Lehre aus.[43]

Hier muss allerdings angemerkt werden, dass die evangelische Kirche mittlerweile alle konfessionsfremden Schüler, die es selbst oder deren Eltern es wünschen, in ihren Religionsunterricht aufnimmt. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1995, 88) Die katholische Kirche nimmt konfessionsfremde Schüler nur in Ausnahmefällen in ihren Religionsunterricht auf, da sie die konfessionelle Gebundenheit des Faches nicht gefährden möchte. (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 52)

b) Die Religionslehrer im konfessionellen Religionsunterricht

Die Religionslehrer, die den konfessionellen Religionsunterricht erteilen, müssen in ihrem Bekenntnis an die Religionsgemeinschaft gebunden sein für die sie unterrichten. Das christliche Bekenntnis wird also durch den Standpunkt eines konfessionell gebundenen Religionslehrers vermittelt. Die jeweilige Kirche erteilt den Lehrern die Lehrerlaubnis.

c) Die Religionen im konfessionellen Religionsunterricht

Der Gegenstand des konfessionellen Religionsunterrichts sind die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft.

Deutsche Rahmenpläne beachten zwar auch nicht - christliche Religionen, dies geschieht allerdings nur in einem sehr geringen Maße. (vgl. z.B. Hessisches Kultusministerium (Hrsg.)1995, 61, 76) So soll im katholischen Religionsunterricht an hessischen Grundschulen z.B. das Judentum aufgrund seiner Verwandtschaft zum Christentum als einzige nicht - christliche Religion beachtet werden. Die Behandlung anderer Weltreligionen soll erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. (vgl. Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1995, 76) Es muss hier weiterhin beachtet werden, dass die Vermittlung nicht - christlicher Religionen aus der Sicht eines Religionslehrers geschieht, der an eine christliche Konfession gebunden ist.

d) Die Erstellung der Lehrpläne für den konfessionellen Religionsunterricht

Die Lehrpläne für den evangelischen Religionsunterricht werden von Vertretern der evangelischen Kirche und Vertretern der Kultusministerien erstellt. Dementsprechend werden die Lehrpläne für den katholischen Religionsunterricht von Vertretern der katholischen Kirche und Vertretern der Kultusministerien erstellt. (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1999, 28)

e) Die grundlegenden Ziele und Inhalte des konfessionellen Religionsunterrichtes

Der deutsche Religionsunterricht begründet sich nicht alleine durch die pädagogischen Zielen der Schule. Die Vorstellungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind für Inhalt und Ziel des Religionsunterrichtes maßgebend. Der Religionsunterricht bleibt selbstverständlich aber trotzdem schulischer Unterricht und muss entsprechend dem pädagogischen Verständnis der Schule abgehalten werden. [44] (Füssel 2000, 33)

Inhalt des evangelischen Religionsunterrichts in hessischen Grundschulen ist den obigen Ausführungen entsprechend „die Traditionen der Bibel als Deutungsangebot für die Erfahrungen der Mädchen und Jungen in ihren heutigen Lebensvollzügen..“ (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1997, 36) Ziel des evangelischen Religionsunterrichts ist es, „christliche Traditionen und christlichen Glauben so zur Sprache zu bringen, daß er für die Kinder als befreiende Lebensmöglichkeit bedeutsam werden kann.“ (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1997, 36)

Der katholische Religionsunterricht wird ähnlich wie der evangelische Religionsunterricht als „Lebenshilfe“ betrachtet, da er durch die Vermittlung des christlichen Glaubens verhindert, „daß Mädchen und Jungen den Lebenssituationen., Weltdeutungen usw. frag- und sprachlos gegenüber stehen.“ (Hessisches Kultusministerium 1997, 64)[45]

Hier wird deutlich, dass der deutsche konfessionelle Religionsunterricht in der Tradition Kaufmanns versucht, eine Beziehung zwischen der Lebenswelt der Schüler und christlicher Traditionen herzustellen.[46]

f) Besonderheit des deutschen Religionsunterrichts

Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs und vor allem seit den 68er Jahren ist der deutsche Religionsunterricht zu einem gesellschafts- und ideologiekritischen Unterricht geworden. Ein kritischer Umgang mit dem Christentum wird vor allem im evangelischen Religionsunterricht nicht nur geduldet, sondern sogar verlangt. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Religionen.[47]

4.2. Vorüberlegungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland

Bei der Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts auf Deutschland muss beachtet werden, dass sich in England ein interreligiöser Religionsunterricht u.a. deswegen bisher eher durchsetzten konnte als hier, da sich England schon seit Ende der vierziger Jahre als Einwanderungsland sieht und dort die Einwanderer, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum New Commonwealth als britische Staatsbürger anerkannt sind und so ein größeres Mitspracherecht haben und ihre nicht - christlichen Religionen von Regierungsseite her mehr Anerkennung finden als das bei islamischen Mitbürgern in Deutschland der Fall ist.

In Deutschland stammen die ausländischen Mitbürger nicht aus ehemaligen Kolonien und erhalten nicht automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, ihr Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen und die Anerkennung ihrer nicht - christlichen Religionen ist somit geringer als bei den Einwanderern in England.[48]

Diese in Deutschland andere Ausgangssituation erschwert eine Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts. Sie ist letztendlich vermutlich auch mit dafür verantwortlich, dass in Deutschland bislang von Regierungsseite her noch keine deutlichen Tendenzen dahingehend zu spüren sind, den konfessionellen Religionsunterricht durch einen interreligiösen zu ersetzten.

Dies ändert meiner Meinung nach allerdings nichts an der Tatsache, dass die gegenwärtige, gesellschaftliche Situation in Deutschland, wie im nächsten Punkt meiner Arbeit nochmals ausführlich geschildert wird, ein Suchen nach neuen Modellen für einen Religionsunterricht fordert, welcher der Pluralisierung und Individualisierung von Religion gerecht wird.

Die Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in England war auch deswegen möglich, weil England keine Verfassung hat in welcher eine bestimmte Form des Religionsunterrichts festgelegt sein könnte. Es besteht somit die Möglichkeit, Bildungsgesetze entsprechend der Situation in den Schulen zu erlassen. Außerdem kommt hinzu, dass die englischen Bildungsgesetze seit 1870 einen nicht - konfessionellen Religionsunterricht vorschreiben. Es muss davon ausgegangen werden, dass es weitaus einfacher ist, einen nicht - konfessionellen Religionsunterricht durch einen interreligiösen Religionsunterricht zu ersetzten als einen konfessionellen Unterricht durch einen interreligiösen.

Der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften ist, wie bereits mehrfach erwähnt, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 gesetzlich vorgeschrieben. Die Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells auf Deutschland lässt sich deswegen nicht beantworten ohne zu überprüfen, ob die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen bezüglich des Religionsunterrichts einen interreligiösen Unterricht überhaupt zulassen würden.

Ein weiterer Grund dafür, dass man in England einen interreligiösen Religionsunterricht einführen konnte, ist die Tatsache, dass die englischen Kirchen, die seit den gesetzlichen Festlegungen von 1870, nicht mehr die Absicht haben konnten, die Schüler in ihrem Glauben hinsichtlich einer bestimmten Konfession zu bestärken, einig darin sind, dass sich der Religionsunterricht alleine von den Zielen der Schule her begründen kann. Es ist von daher äußerst wichtig, hinsichtlich der Frage der Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts auf Deutschland, auch die Stellung der deutschen Kirchen bezüglich des Religionsunterrichts in den Schulen zu beachten. Ich werde aus diesem Grunde im weiteren Verlauf meiner Arbeit auch ausführlich auf die Stellungsnahmen der beiden großen Kirchen, die im Gegensatz zu den englischen Kirchen das Privileg haben, dass der Unterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften seit 1919 bzw. 1949 gesetzlich vorgeschrieben ist, zum Religionsunterricht eingehen.[49]

Es sollte auf Grund der hier nochmals kurz dargestellten unterschiedlichen geschichtlichen Ausgangssituationen für den Religionsunterricht in England und Deutschland aber nicht davon ausgegangen werden, dass das Modell des englischen Religionsunterrichtes gegenwärtig nicht auf Deutschland übertragbar ist. Um die Frage der Übertragbarkeit beantworten zu können dürfen nicht nur vergangene Entwicklungen betrachtet werden, es ist auch äußerst wichtig die heutige gesellschaftliche Situation in Deutschland ins Blickfeld zu nehmen und aus diesen Gegebenheiten Folgerungen für die Übertragbarkeit zu ziehen. Aus diesem Grunde möchte ich im Folgenden zunächst überprüfen, inwieweit das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts auf die gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion übertragbar ist.

4.3. Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Deutschland im

Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit

4.3.1. Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion

Ferne Kulturen und nicht - christliche Religionen haben nicht nur durch die Medien und durch Fernreisen Einzug in unsere Lebenswelt gehalten, Menschen fremder Kulturen und nicht - christlicher Religionen leben zunehmend auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.

So betrug der Ausländeranteil in Deutschland, wie oben erwähnt, 1992 bereits 8,2% der Gesamtbevölkerung. (vgl. Coburn - Staege 1996, 18) Im Jahre 1999 lebten in Deutschland alleine 2, 11 Millionen Türken und nach einer Selbsteinschätzung 2,7 Millionen Muslime. (vgl. Meyer 1999, 121f.). Bei der Volkszählung von 1987 war z.B. der Islam die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Hessen.(Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.) 1987, 3)[50]

Die ausländischen Mitbürger wohnen teilweise schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland. Sie können nicht mehr als „Gastarbeiter“, die in ihre Heimat zurückkehren möchten, angesehen werden. Deutschland ist, wenn auch nicht von der Regierung anerkannt, zu einem de facto Einwanderungsland geworden.

Der Religionspädagoge Heimbrock stellt fest, dass sich in der modernen pluralen, von zunehmender Säkularisierung geprägten Gesellschaft [...] die christlichen Kirchen und zumal engagierte Kirchenmitglieder auf dem Weg dazu (befinden), eine Bevölkerungsgruppe unter vielen zu werden, nicht weniger aber auch nicht mehr. (Heimbrock 1992, 57) Die Zahl der jährlichen Kirchenaustritte hat seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr bedeutend abgenommen.[51]

Die Bürger aus der ehemaligen DDR stammen aus einer weitgehend atheistisch geprägten Gesellschaft.

Trotz der zunehmenden Säkularisierung kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die modernen Menschen bei der Bewältigung von „Unverfügbarkeiten wie Tod, Liebe, Krankheit, Geburt und Naturkatastrophen“ (Gudjons 2000, 8) keine sinnstiftenden Praktiken, wie sie Religionen bieten, benötigen.

Die gesellschaftliche Bedeutung von Religion hat sich gewandelt, ist aber noch immer vorhanden. (vgl. Asbrand 2000, 9) In der modernen Gesellschaft ist die religiöse Orientierung nur vielmehr zu einer persönlichen Entscheidung geworden. (vgl. Asbrand 2000, 7) Die Vielfalt möglicher religiöser und nicht - religiöser Orientierungen ist in der pluralistischen Gesellschaft größer geworden.

Auch wenn noch die Mehrzahl der Deutschen einer der beiden großen christlichen Kirchen angehört, ist es doch die Minderheit die eine wirklich christliche Praxis lebt. (vgl. Asbrand 2000, 9)

„Religion als Privatsache verstanden kann ohne Anbindung an eine Gemeinschaft gelebt werden.“ (Asbrand 2000, 8)

Die zunehmend multikulturelle Situation sowie die Individualisierung von Religion wirken sich auch auf die deutschen Schulen aus.

Während man bei der Festlegung des konfessionellen Religionsunterrichts 1919 in der Weimarer Verfassung und 1949 im Grundgesetz von einer homogen christlichen Schülerschaft ausging, kann man dies heute nicht mehr.

Zu Zeiten der Legitimationskrise[52] des Religionsunterrichts am Ende der sechziger Jahre war man sich zwar der zunehmenden Säkularisierung bewusst, aber man sah keine didaktische Notwendigkeit, den konfessionellen Religionsunterricht aufzugeben, da der Anteil nicht - christlicher Schüler in den Schulen damals noch gering war. Nicht - christliche Schüler überwiegend muslimischen Glaubens kamen erst im Zuge des „Anwerberstopps“ von 1973 an die deutschen Schulen.

Heute muss die Schülerschaft an deutschen Schulen, vor allem in Großstädten, als zunehmend multikulturell und multireligiös bezeichnet werden.

Im Jahre 1999 hatten in der Großstadt Frankfurt z.B. 36,5% (vgl. Ham 2000, 7) der Schüler unter achtzehn keinen deutschen Pass. Alleine ca. 700.000 Kinder und Jugendliche muslimischen Glaubens besuchen derzeit öffentliche Schule in Deutschland. (vgl. oll.1.3.2000, 6)[53]

Aufgrund dieser Tatsache fordern verschiedene islamische Vereinigungen zunehmend einen islamischen Religionsunterricht. Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken und der Tatsache, dass sich die islamischen Gruppen untereinander noch nicht auf ein bestimmtes Modell einigen konnten, kam es bislang noch nicht zur Einführung eines solchen Unterrichtes.

Viele Schulen in großstädtischen Gebieten sehen sich aufgrund der steigenden Zahl muslimischer und nicht - religiöser Schüler, jenseits der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und ohne wissenschaftliche Begleitung, dazu gezwungen, den Religionsunterricht im Klassenverband abzuhalten. (vgl. Asbrand 2000, 15)

Selbst in einem konfessionellen Religionsunterricht an welchem nur getaufte Kinder teilnehmen, kann man heute nicht mehr von einer religiösen Homogenität ausgehen. Neben einigen Schülern, die zuhause möglicher Weise noch eine gelebte christliche Praxis erfahren ist anzunehmen, dass die Mehrzahl der Schüler eine solche Praxis nicht mehr erlebt. Die religiösen Ausgangsvoraussetzungen der Schüler sind also auch in einem Religionsunterricht mit getauften Schülern unterschiedlich.

Es ist weiterhin anzunehmen, dass im Zuge der oben dargestellten religiösen Individualisierung eine Vielzahl von Schülern einen persönlichen religiösen Glauben entwickelt, der nicht mehr zwingend von einer bestimmten Religionsgemeinschaft abhängig sein muss.

Ich werde im Folgenden darstellen, inwieweit das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts im Hinblick auf die dargestellte gesellschaftliche Situation auf Deutschland übertragbar ist.

4.3.2. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland

Der konfessionelle Religionsunterricht, der in seinen Ursprüngen von einer homogenen christlichen Schülerschaft ausging, scheint angesichts der oben geschilderten Situation nicht mehr angemessen.

Die heutige Gesellschaft in Deutschland, die zunehmend multireligiös ist und in der Religion immer mehr zur Privatsache, zu einer individuellen Entscheidung wird, würde eine Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts unter Beachtung einiger Modifikationen möglich machen, wenn nicht sogar fordern.

In England wurde in den siebziger Jahren ein interreligiöser Religionsunterricht eingeführt, da man nicht mehr von einer homogen christlichen Schülerschaft ausgehen konnte. In diesem Sinne ist die gegenwärtige Situation an deutschen Schulen mit der damaligen Situation in England vergleichbar. Ein entscheidender Unterschied ist allerdings die Tatsache, dass die Fächerung nicht - christlicher Religionen in England weitaus größer ist als in Deutschland. Der Islam bildet in Deutschland die weitaus größte nicht - christliche Religionsgemeinschaft.[54]

Das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts müsste bei einer Übertragung auf Deutschland also dahingehend modifiziert werden, dass der Islam mehr Beachtung im Unterricht findet als andere nicht - christliche Religionen.

Die Behandlung anderer nicht - christlicher Religionen erscheint mir aber ebenfalls auch in Deutschland sinnvoll, da die Schüler Angehörigen dieser Religionen, wenn auch nicht unbedingt in ihrer Nachbarschaft, zunehmend auf Fernreisen oder in den Medien begegnen können.

Für ein friedliches Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft erscheint es mir als äußerst wichtig, dass christliche, nicht - christliche und nicht - religiöse Schüler an einem gemeinsamen Religionsunterricht teilnehmen und dort miteinander ins Gespräch kommen, denn Toleranz kann nicht durch Separierung gelernt werden. (vgl. Gudjons 2000, 8) Ein gemeinsames Lernen im Religionsunterricht wie in England ist in Deutschland folglich wünschenswert.

Das hessische Schulgesetz legt bezüglich der Verwirklichung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule u.a. folgendes fest: „Die Schule ist so zu gestalten, dass die gemeinsame Erziehung und das gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler in einem möglichst hohen Maße verwirklicht wird [...].“ (vgl. Hessisches Schulgesetz (Hrsg.) 1999,7) Ein interreligiöser Religionsunterricht kann, im Gegensatz zu einem konfessionellen Unterricht, diesen Vorstellungen gerecht werden.

Auch Schüler in ländlichen Gebieten, in denen der Ausländeranteil teils noch immer gering ist und möglicher Weise keine nicht - christlichen Schüler am Unterricht teilnehmen, sollten wie auch in England mehr über nicht - christliche Religionen erfahren, da auch sie auf das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft vorbereitet werden müssen und sich die zunehmende Individualisierung von Religion nicht auf städtische Gebiete mit hohem Ausländeranteil beschränkt.

Weiterhin erscheint es mir als wichtig, dass auch nicht - christliche Schüler etwas über das Christentum lernen, da dieses ja schließlich für die deutsche Geschichte und die im Grundgesetz verankerten Werte des deutschen Staates, in welchem die nicht - christlichen Kinder leben, von großer Bedeutung ist. Ein konfessioneller Religionsunterricht wie er zur Zeit statt findet kann dies nicht leisten, weil er in erster Linie Schüler anspricht, die einer christlichen Konfession angehören.

Es sollte allerdings in Frage gestellt werden, ob die Beachtung des Christentums in jeder Jahrgangsstufe, begleitet von nur einer oder höchstens zwei anderen Religionen, wie es in England vorgeschlagen wird, einem interreligiösen Religionsunterricht wirklich gerecht wird.[55]

Um allen Religionen gerecht zu werden halte ich es für wichtig, dass alle religiösen Traditionen der Innenansicht ihrer Anhänger entsprechend unterrichtet werden. Es ist von daher erforderlich, dass Vertreter aller im Unterricht zu behandelnden Religionen bei der Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts beteiligt sind. In England beraten Vertreter aller christlichen Konfessionen und nicht - christlichen Religionen in den Lehrplankonferenzen und in den SACREs über die Konzeption des Religionsunterrichtes. Dies führt zwangsläufig dazu, dass Vertreter verschiedener Religionen miteinander ins Gespräch kommen, dies kann in einer multikulturellen Gesellschaft wie der deutschen nur wünschenswert sein.

Die Organisationsformen zur Erstellung der Lehrpläne sind in England und Deutschland nicht die gleichen, so werden die Lehrpläne in England auf lokaler Ebene und in Deutschland auf Landesebene verabschiedet. Entscheidend sind hier meiner Meinung nach aber auch nicht die Organisationsformen, sondern die gemeinsame Erarbeitung der Lehrpläne. Weiterhin darf, um allen Religionen in einem Religionsunterricht, der sich an eine multikulturelle Gesellschaft anpasst gerecht zu werden, nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion oder christlichen Konfession unterrichtet werden. Entsprechend diesem Grundsatz müssen die Lehrer nicht an einen bestimmten Glauben gebunden sein und sollen sich in England den verschiedenen religiösen Traditionen gegenüber wertneutral verhalten. Ich halte es allerdings für sinnvoll, das englische Modell dahingehend zu modifizieren, dass die Lehrer in einem interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland auch eine kritischen Betrachtung aller religiöser Traditionen anregen, statt die religiösen Traditionen völlig wertneutral zu behandeln.

Betrachtet man die Tendenz in der Gesellschaft dahingehend, dass Religion zunehmend zu einer individuellen Entscheidung wird, die nicht mehr von einer Gemeinschaft abhängen muss, erscheint ein interreligiöser Religionsunterricht passender, der nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion unterrichtet wird und welcher u.a. das grundlegende Ziel hat, dass die Schüler ihre persönliche Orientierung vertiefen oder finden.

Ein weiteres grundlegendes Ziel des englischen Religionsunterrichts ist die Förderung eines harmonischen Zusammenlebens mit Andersgläubigen. Dieses Ziel entspricht den Vorstellungen des hessischen Schulgesetzes, welches als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule u.a. festlegt, dass sie die Schüler befähigt „Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen und somit zu einem friedlichen zusammenleben verschiedener Kulturen beizutragen [...].“ (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1999, 6) Ein interreligiöser Religionsunterricht kann diesen Erziehungs- und Bildungsauftrag meiner Meinung nach wesentlich besser erfüllen als ein konfessioneller Unterricht.

Da man davon ausgehen muss, dass auch die Menschen in der heutigen Gesellschaft noch sinnstiftende Praktiken benötigen wie sie Religionen bieten können, halte ich im weiteren einen existenziellen Umgang mit religiösen Zeugnissen, wie er in England angestrebt wird, auch für die deutsche Situation für angemessen. Eine Religionskunde, die ausschließlich auf die Aneignung von Wissen abzielt, erscheint in diesem Zusammenhang nicht angebracht. Es müssten allerdings didaktische Methoden entwickelt werden oder zum Tragen kommen denen es gelingt, ein ausgewogenes Ineinander von existentiellem und religionskundlich - informativem Ansatz herzustellen. In England bestehen hierbei, wie oben ausführlich erläutert, noch Probleme.

Vorangehende Ausführungen machen deutlich, dass angesichts der Individualisierung von Religion und der nicht mehr homogen christlichen Gesellschaft eine Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts unter Beachtung einiger Modifikationen durchaus möglich wäre.

In Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland die Fächerung nicht - christlicher Religionen nicht so breit ist wie in England, und der Islam mit Abstand die größte nicht - christliche Religionsgemeinschaft ist, müsste der Behandlung des Islam, wie oben bereits erwähnt, in einem deutschen interreligiösen Religionsunterricht mehr Gewicht zu kommen als der Behandlung anderer nicht - christlicher Religionen.

Das englische Modell sollte für Deutschland weiterhin dahingehend modifiziert werden, dass auch ideologie- und gesellschaftlichkritische Fragen, wie es im deutschen Religionsunterricht Tradition ist, aufgenommen werden können. Nur so kann der Religionsunterricht dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, den Schülern zu lehren, sich Informationen zu verschaffen und sich ihrer kritisch zu bedienen, gerecht werden. (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1999, 6)

Der Grundsatz nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion oder Konfession zu unterrichten, kann meiner Ansicht nach auch in einem kritischen Unterricht eingehalten werden, indem alle zu behandelnden Religionen gleichermaßen kritisch betrachtet werden.

Abschließend sollte angemerkt werden, dass für einen interreligiösen Unterricht in Deutschland didaktische Methoden gefunden werden müssen, die ein Ineinander von existentiellem und religionskundlich - informativem Ansatz gewährleisten.

Ich werde im Folgenden prüfen, ob die formalen Voraussetzungen, die sich aus der aktuellen Gesetzeslage ergeben, eine Einführung eines interreligiösen Religionsunterrichts in Deutschland zulassen würden.

4.4. Die aktuelle Gesetzeslage bezüglich des Religionsunterrichts in

Deutschland und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit

4.4.1 Die aktuelle Gesetzeslage bezüglich des Religionsunterrichts in Deutschland

Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland schreibt vor, dass der Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes, „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1991, 165) zu erteilen ist.

Forderungen nach einem konfessions- oder religionsübergreifenden Religionsunterricht sehen sich aufgrund dieser Festlegungen schnell mit „rechtlicher Unzulässigkeit und Verfassungsverstoß konfrontiert.“ (Pieroth 1993, 222 f.)

Gewisse Formen der Öffnung des Religionsunterrichts werden von rechtlicher Seite allerdings nicht beanstandet. So bleibt es den Religionsgemeinschaften überlassen, in welchem Umfang sie die Teilnahme konfessionsfremder oder konfessionsloser Schüler an ihrem Unterricht zulassen.[56] (vgl. Pieroth 1993, 223)

Der Verfassungsrechtler Pieroth gibt zu bedenken, dass das in Punkt 2.5.2.2. meiner Arbeit erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1974[57] aussagt, dass grundsätzlich die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften für die inhaltliche Füllung des Religionsunterrichts maßgeblich sind. (vgl. Pieroth 1993 ,225)

Dem inhaltlichen Gestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften sind allerdings einerseits durch das staatliche Aufsichtsrecht über das Schulwesen, welches auch für den Religionsunterricht gilt, Grenzen gesetzt. (vgl. Pieroth 1993, 226) Andererseits muss der Unterricht dem „Verfassungsbegriff“ Religionsunterricht entsprechen und sich somit schwerpunktmäßig auf Religion beziehen. (Pieroth 1993, 229)

Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes wird überwiegend so verstanden, dass Inhalt und Gegenstand des Religionsunterrichts an eine bestimmte Konfession gebunden sind. Vielfach wird im diesem Zusammenhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bezüglich des Religionsunterrichts verwiesen, welches vorschreibt, dass der Religionsunterricht „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ (Bundesverfassungsgericht 1974, zit. nach Pieroth 1993, 227) zu erteilen ist. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft als Gegenstand des Religionsunterrichts. Die Aufgabe des Religionsunterrichts sei, so das Bundesverfassungsgericht weiter, diese Glaubensätze als bestehende Wahrheiten zu vermitteln.(vgl. Bundesverfassungsgericht 1974, zit. nach Füssel 2000, 33)

Nach diesem Verständnis des Bundesverfassungsgerichtes ist ein interreligiöser Religionsunterricht wie er in England stattfindet nicht rechtsmäßig. Hierfür spricht, dass die Schöpfer des Grundgesetzes sicher von einem traditionellen Religionsunterricht ausgegangen sind, in welchem die Glaubenssätze der Religionsgemeinschaften als bestehende Wahrheiten zu vermitteln sind, andernfalls gäbe es keine Erklärung für die Aufnahme von Artikel 141 in das Grundgesetz.[58]

Es muss hier aber beachtet werden, dass die Schöpfer des Grundgesetzes von einer gesellschaftlichen Situation ausgegangen sind die sich, wie im vorangegangen Punkt meiner Arbeit deutlich wird, verändert hat.

Der Verfassungsrechtler Pieroth sieht in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1974 einen Widerspruch: „Einerseits das Bestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu behaupten, andererseits deren gewandeltes Verständnis vom Inhalt des Religionsunterrichts nicht anzuerkennen, ist ein unaufhebbarer Widerspruch.“ (Pieroth 1993, 229) Pieroth vertritt die Meinung, dass wenn die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften für den Religionsunterricht maßgeblich sind, es auch ihnen überlassen sein muss, Veränderungen am Unterricht vorzunehmen, solange der Unterricht sich schwerpunktmäßig auf Religion bezieht und somit als Religionsunterricht verstanden werden kann.

Wenn die Religionsgemeinschaften also ihr Verständnis von Religionsunterricht verändern und die Vermittlung ihrer Glaubenssätze als bestehende Wahrheiten nicht mehr als Aufgabe dieses Unterrichtes ansehen, dann müsse, so Pieroth, der religiös neutrale Staat dies hinnehmen. (vgl. Pieroth 1993, 228)

Pieroth kommt letztendlich zu dem Schluss, dass das im Grundgesetz verankerte Mitgestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften eine Öffnung des Religionsunterrichts umfasst. Das Verfassungsrecht stehe, so Pieroth, religionspädagogischen Reformen, z.B. hin zu einem interkonfessionellen oder multikonfessionellen Religionsunterricht, nicht im Wege. „Nur müssen sie (die Reformen) kirchenintern formuliert und durchgesetzt werden.“ (Pieroth 1993, 232)

Mit Zustimmung der Religionsgemeinschaften könnte der Religionsunterricht auf der Grundlage des Grundgesetzes auch anders als konfessionell getrennt gestaltet werden. (vgl. Pieroth 1993, 232)

4.4.2. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland

Pieroth stellt fest, dass die Religionsgemeinschaften das Recht haben zu entscheiden, in welchem Maße konfessionsfremde und konfessionelle Schüler an ihrem Religionsunterricht teilnehmen. (vgl. Pieroth 1993, 223) Würden die beiden großen Kirchen also zulassen, dass an ihrem Religionsunterricht eine unbegrenzte Zahl nicht - christlicher Schüler teilnehmen, könnten dagegen keine verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden. Pieroth vertritt die Meinung, dass der religiös neutrale Staat es hinzunehmen hätte, wenn die Religionsgemeinschaften, deren Auffassung für die inhaltliche Füllung des Religionsunterrichts maßgeblich ist, ihr Verständnis hinsichtlich des Religionsunterrichts verändern würden. (Pieroth 1993, 228)

Das Verfassungsrecht stehe, so Pieroth, religionspädagogischen Reformen, z.B. hin zu einem multikonfessionellen oder interkonfessionellen Religionsunterricht, nicht im Wege. Religionspädagogische Reformen müssten nur kirchenintern formuliert und durchgesetzt werden. (vgl. Pieroth 1993, 232)

Einem Religionsunterricht unter der gemeinsamen Verantwortung von der evangelischen und katholischen Kirche könnten also keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen gebracht werden. Entspräche es den Vorstellungen des gemeinsam verantworteten Religionsunterrichts der beiden Kirchen nicht-christliche Schüler in unbegrenzter Zahl in ihren Unterricht aufzunehmen und würden die Kirchen vermehrt auch nicht-christliche Religionen zum Thema ihres Unterrichtes machen, dann müsste der religiös neutrale Staat dies hinnehmen. Ein solcher Religionsunterricht wäre zwar interreligiös, würde aber weiterhin, anders als in England, unter der alleinigen Verantwortung der beiden Kirchen stehen.

Laut Grundgesetz steht der Religions- und Glaubensfreiheit entsprechend nicht nur den christlichen Religionsgemeinschaften, sondern jeder Religionsgemeinschaft ein Religionsunterricht zu, der mit ihren jeweiligen Grundsätzen übereinstimmt. Fordern also nicht - christliche Religionsgemeinschaften, z.B. der Islam oder der Buddhismus ein Recht auf einen eigenen Religionsunterricht, dann kann ihnen dieses Recht nicht verwehrt bleiben, sofern diese nicht-christlichen Religionen nach dem Verständnis des Grundgesetzes als Religionsgemeinschaften anerkannt sind.

Entspräche es nun den Vorstellungen der beiden großen Kirchen und anderer, gesetzlich anerkannter, nicht - christlicher Religionsgemeinschaften einen interreligiösen Religionsunterricht anzubieten, der nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion unterrichtet und dessen Lehrpläne im Einvernehmen mit Vertretern aller im Unterricht zu behandelten Religionen verabschiedet werden, müsste der religiös neutrale Staat einen solchen Unterricht akzeptieren.

Der Religionsunterricht müsste aber dem Verfassungsbegriff „Religionsunterricht“ entsprechen und sich dementsprechend schwerpunktmäßig mit Religion beschäftigen. Der englische Religionsunterricht, welcher sich als „Religious Education“ versteht, entspricht diesem Verfassungsbegriff, solange er auch bei existenziellen Themen einen Bezug zu religiösen Traditionen sucht.

Da Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes so zu verstehen ist, dass die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften, welche den Religionsunterricht erteilen, für die Ziele und Inhalte des Unterrichtes maßgeblich sind, könnte sich also ein interreligiöser Religionsunterricht in Deutschland nicht wie in England alleine von den pädagogischen Zielen der Schule begründen.

Letztendlich lässt sich also feststellen, dass das Grundgesetz einer Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichtes, mit der Einschränkung, dass hier weiterhin die Vorstellungen, der am Unterricht beteiligten Religionsgemeinschaften für Ziele und Inhalte des Unterrichts maßgeblich wären, nicht im Wege stehen würde, solange die beiden großen Kirchen und nicht-christliche Religionsgemeinschaften einen solchen Religionsunterricht gemeinsam fordern würden. Hierbei muss allerdings voraus gesetzt werden, dass die nicht-christlichen Religionsgemeinschaften, die an einem interreligiösen Religionsunterricht beteiligt wären, auch rechtlich als solche anerkannt sind.

Da ein interreligiöser Religionsunterricht in Deutschland nur dann möglich wäre, wenn die beiden großen Kirchen und nicht-christliche Religionsgemeinschaften einen solchen Religionsunterricht gemeinsam fordern würden, werde ich im Folgenden auf die Meinungen der katholischen Kirche, der evangelischen Kirche und des Zentralrats der Muslime in Deutschland[59] zum Religionsunterricht eingehen.

4.5. Die Stellung der beiden großen deutschen Kirchen und des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit

Ich möchte im Folgenden auf die Stellung der beiden großen deutschen Kirchen und des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht eingehen. Bevor ich in diesem Punkt auf die Stellung des Zentralrats der Muslime eingehe und Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells auf Deutschland ziehe, möchte ich in einem Exkurs die Stellungnahmen der Kirchen persönlich kommentieren.

4.5.1. Die Stellung der katholischen Kirche zum Religionsunterricht

Die katholische Kirche in Deutschland möchte an einem konfessionellen Religionsunterricht festhalten. Dies wird in der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts“ deutlich.

Die deutschen Bischöfe begründen ihr Festhalten an einem konfessionellen Religionsunterricht in dieser Veröffentlichung u.a. damit, dass „Kirche, in der das Evangelium seinen konkreten Ort hat, das Bekenntnis (braucht); sie ist deshalb kon- fessionell. Eine christliche, über allen Konfessionen schwebende, ökumenische oder abstrakte Kirche kann es nicht geben.“ (Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 76 f.)

Diese Aussage wird in Bezug auf den katholischen Religionsunterricht noch weiter konkretisiert: „Die Bindung an das Bekenntnis hat zur Folge, dass der kirchliche Religionsunterricht von drei Faktoren bestimmt wird: Lehre, Schüler, Lehrinhalt. Lehrer und Lehrerinnen haben den Auftrag, als Zeugen loyal zum Bekenntnis ihrer zu stehen und diese glaubwürdig zu vermitteln; [...] ein an das Bekenntnis gebundener Inhalt gibt in einer pluralistischen, oft unübersichtlichen Gesellschaft dem Schüler und der Schülerin eine bestimmte, zuverlässige Orientierung.“ (Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 77) Eine Stellungnahme zu einem interreligiösen Religionsunterricht ist in der Veröffentlichung nicht zu finden. Es wird lediglich von einem gemeinsamen Religionsunterricht beider deutscher Kirchen gesprochen. Von Versuchen, einen solchen „interkonfessionellen“, „überkonfessionellen“ oder „ökumenischen“ Unterricht einzuführen, grenzt sich der konfessionelle Religionsunterricht klar ab. (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 77)

Ein „interkonfessioneller“, „überkonfessioneller“ oder „ökumenischer“ Unterricht „müsste gerade die konkret gelebten, anschaulichen und lebensnahen Elemente vernachlässigen, sich auf eine wenig fassbare, allgemeine Religiosität beschränken, die Inhalte einebnen und könnte leicht in eine abstrakte Religionskunde abgleiten.“ (Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 78)

Trotz dieser strikten Abwendung von einem gemeinsamen Religionsunterricht sind die deutschen Bischöfe im Sinne der Ökumene bereit, bei gemeinsamen interessierenden Themen und Aktionen mit der evangelischen Kirche zu kooperieren. (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 78) „In diesem Sinne gibt es Modifikationen des Konfessionalitätsgrundsatzes z.B. bei Modellversuchen, Sonderfällen und Ausnahmesituationen.“ (Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 78)

Das Festhalten der deutschen Bischöfe am konfessionellen Religionsunterricht zeigt sich auch darin, dass konfessionslose und konfessionsfremde Schüler nur in Ausnahmefällen und auch nur solange das Profil des katholischen Religionsunterrichts nicht in Frage gestellt wird, zugelassen werden. (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 79)

Die Ausführungen der deutschen Bischöfe enden mit einer sehr deutlichen Absage an die „verschiedenen Konzepte eines Religionsunterrichts, die auf eine gemeinsame Gestaltung und Verantwortung der christlichen Kirchen abzielen [...].“ (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 79f.)

Es erscheint mir als wichtig, hier anzumerken, dass die ökumenische Zusammenarbeit zwischen den beiden großen deutschen Kirchen durch die jüngsten Äußerungen der römischen Glaubenskongregation unter der Federführung des deutschen Kardinal Ratzinger erneut in die Diskussion gerät. Es kann nicht meine Aufgabe sein, diese jüngsten Äußerungen der römischen Glaubenskongregation dahingehend zu untersuchen, inwieweit sie sich auf den katholischen Religionsunterricht in Deutschland auswirken werden. Darüber lässt sich heute nur spekulieren. Ich denke jedoch das Auswirkungen in Zukunft sichtbar werden. Es erscheint mir jedoch sicher, dass der vom zweiten vatikanischen Konzil eingeleitete Dialog zwischen den Kirchen, der die Spaltung der Konfessionen im Modell einer „versöhnenden Verschiedenheit“ überwinden wollte, in Frage gestellt wird. Die FAZ vom 06.09.2000 kommentiert dies mit folgenden Sätzen: „Dieser Vorstellung (der „versöhnenden Verschiedenheit“) schiebt Rom einen Riegel vor, als habe es vierzig Jahre ökumenischen Dialogs zwischen den Kirchen der Reformation und der katholischen Kirche und die Gemeinsame Erklärung der Rechtfertigungslehre nie gegeben. Nach wie vor gibt es für den Vatikan keine verlorene Einheit, die in neuer Weise und in der Würdigung der geschichtlich gewachsenen Ausprägungen des Verhältnisses von Schrift und Tradition, Leitung und Amt wiederzugewinnen wäre. Ökumene, so ist dieser Text (der Glaubenskongregation) zu lesen, kann es nur geben in der institutionellen Eingliederung der Protestanten in das durch Bischofsamt und Eucharisterie konstituierte Ganze der katholischen Kirche.“ (Deckers 6.9.2000, 1)

Auch der Kommentar „Rückschlag für die Ökumene“ bestätigt meine Anmerkungen: „Das Programm einer Einheit in der Verschiedenheit in der Ökumene ist verabschiedet, Ökumene meint aus römischer Sicht Einheit der Kirchen unter römischer Obhut. Da erübrigen sich manche Debatten um Lehrinhalte. Vor allem wird es keine Abstriche an der römischen Lehre geben, diese werden allenfalls andere machen müssen.“ (Schmoll 6.9.200, 9)

4.5.2. Die Stellung der Evangelischen Kirche zum Religionsunterricht

Das evangelische Gegenstück zu der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts.“ ist die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität.“ Schon durch die Verwendung der Begriffe „Verständigung“, „Perspektiven“ und „Pluralität“ in Titel und Untertitel der evangelischen Denkschrift entsteht bereits der Eindruck, dass die Stellung der EKD zum Religionsunterricht offener ist als die der deutschen Bischöfe.

Der Religionsunterricht ist, nach Meinung der EKD, als ordentliches Lehrfach unverzichtbar, da ethische und religiöse Dimensionen in übergeordneten Erziehungs- und Bildungsaufgaben der Schule eingeschlossen sind. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 84) Die EKD ist der Ansicht, dass „ in besonderer Weise gerade der christliche Glaube zur Verständigung zwischen den Menschen beitragen (kann), denn der christliche Glaube bezeugt die universale Zuwendung Gottes zu allen seinen Geschöpfen.“ (Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 84)

Die Vielfalt des christlichen Glaubens und Denkens zeigt sich in persönlichen Bekenntnissen und konfessionellen Färbungen, die immer dann ins Gespräch kommen, wenn Grundsituationen und Grundfragen menschlicher Existenz behandelt werden. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 87)

Ein Ziel des Religionsunterrichts ist es dann, wenn verschiedene persönliche Bekenntnisse und konfessionelle Färbungen „neben- oder gegeneinanderstehen, Respekt vor fremden Überzeugungen zu wecken, um zugleich zu eigenem religiösen Bekennen zu ermutigen.“ (Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 88) Mit „fremden Überzeugungen“ sind hier allerdings nur andere christliche Überzeugungen gemeint, dies wird deutlich, wenn der „konfessionell - kooperative“ Religionsunterricht als angemessene Gestalt des zukünftigen konfessionellen Religionsunterrichts vorgeschlagen wird. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 88) Unter konfessionell - kooperativem Religionsunterricht versteht die EKD einen Religionsunterricht, in welchem die evangelischen und katholischen Schüler je nach Thema in konfessionell getrennten Gruppen oder gemeinsam unterrichtet werden. (Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 88)

Die Lehrer, die den evangelischen Religionsunterricht erteilen, sei es in ein konfessioneller oder konfessionell - kooperativer Unterricht, müssen an das evangelische Bekenntnis gebunden sein. Im Unterricht müssen die Lehrer mit ihrer eigenen religiösen Herkunft umzugehen wissen „und ihr Glaubensverständnis in einer Weise zu erkennen geben, die die Schüler und Schülerinnen nicht einengt, sondern ermutigt, selbstständig nach dem Glauben zu suchen.“ (Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 85) Es ist selbstverständlich, dass Lehrerinnen und Lehrer in bestimmten Unterrichtssituationen nach ihrem eigenen Glauben und Standpunkt befragt werden. Dabei können sie häufig auch Kritik ausgesetzt sein. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 85)

Die EKD lässt die Teilnahme von Schülern, die nicht der evangelischen Konfession angehören, an ihrem Unterricht zu. Diese Schüler „können aus anderen christlichen Konfessionen kommen oder auch konfessionslos sein; es kann sich um junge Angehörige nicht - christlicher Religionen handeln oder um von Hause aus überhaupt nicht religiös erzogene Schüler und Schülerinnen.“ (Evangelische Kirche in Deutschland 1994, 66)

Trotz dieser Öffnung für nicht - evangelische Schüler, versteht die EKD ihren Religionsunterricht aber weiterhin als konfessionell gebunden. (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 66)

Bevor ich auf die Stellungnahme des Zentralrats der Muslime in Deutschland eingehe, möchte ich die Stellungnahmen der EKD und der deutschen Bischöfe kurz persönlich kommentieren.

Exkurs: Persönlicher Kommentar zu den Stellungsnahmen der Kirchen Ich möchte im Folgenden meinen persönlichen Kommentar zu den Stellungsnahmen der Kirche abgeben und dabei an einigen Stellen einerseits aufzeigen, dass ein interreligiöser Religionsunterricht in manchen Punkten auch das leisten kann, was nach Auffassung der Kirchen der konfessionelle Religionsunterricht leisten soll, andererseits soll auch deutlich werden, was ein interreligiöser Religionsunterricht im Gegensatz zu einem konfessionellen Unterricht nicht bieten kann.

Die deutschen Bischöfe halten u.a. deshalb an einem konfessionellen Religionsunterricht fest, da es ihrer Meinung nach eine abstrakte Kirche, dieüber den Konfessionen schwebt, nicht geben kann. (vgl. Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 76f.) Hierzu muss angemerkt werden, dass ein interreligiöser Religionsunterricht bestimmte Konfessionen nicht zwingend abstrakt darstellt. In England wird dadurch, dass die Lehrpläne im Einvernehmen mit den Lehrplankonferenzen verabschiedet werden versucht, nicht - christliche Religionen und christliche Konfessionen nicht abstrakt, sondern der Innenansicht ihrer Anhänger entsprechend darzustellen. Weiterhin sind die deutschen Bischöfe der Meinung, dass ein an ein Bekenntnis gebundener Unterricht den Schülern in einer oft unübersichtlichen, pluralistischen Gesellschaft„eine bestimmte, zuverlässige Orientierung“(Die deutschen Bischöfe (Hrsg.) 1996, 77) gibt. Der interreligiöse Religionsunterricht kann dies natürlich nicht leisten. Es stellt sich hier allerdings die Frage, ob von der Schule gegenwärtig noch erwartet werden darf, eine bestimmte religiöse Identität zu stiften oder zu privilegieren. (vgl. Gloy 2000, 10)

Das Ziel, den Schülern im Religionsunterricht einebestimmteOrientierung zu geben,entspricht auch nicht dem modernen Verständnis von Religiosität, nach welchem Religion immer mehr zu einer persönlichen Entscheidung wird, die nicht mehr von einer Gemeinschaft abhängen muss.

Im Weiteren scheint es mir hier wichtig anzumerken, dass der englische Religionspädagoge Jackson in einer Studie herausfand, dass das Bewusstsein der Schüler hinsichtlich der eigenen religiösen Identität, sofern eine solche vorhanden ist, durch die Begegnung mit anderen Religionen nicht verwirrt oder aufgelöst, sondern eher vertieft wird. (vgl. Dommel 1999, 3)

Die deutschen Bischöfe lehnen einen„interkonfessionellen“,„überkonfessionellen“ oder„ökumenischen“Religionsunterricht u.a. deswegen ab, weil ein solcher Unterricht„[...] gerade die konkret gelebten, anschaulichen und lebensnahen Elemente vernachlässigen (müsste).“(Die deutschen Bischöfe 1996, 78) Der englische Religionsunterricht, der nicht nur interkonfessionell, sondern sogar interreligiös ist, versucht in der Regel auch konkret gelebte, anschauliche und lebensnahe Elemente der christlichen Konfessionen und der nicht - christlichen Religionen in den Unterricht einzubeziehen. So geht man bei der Behandlung der Konfessionen und Religionen von heute gelebten Glaubensformen aus. Die religiösen Traditionen sollen den Schülern u.a. durch Gespräche mit Gläubigen, das Besuchen von religiösen Orten und dem Teilnehmen an religiösen Feiern näher gebracht werden.

Die EKD vertritt die Auffassung, dass gerade das Christentum zur Verständigung unter den Menschen beitragen kann, weil es die Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen bezeugt. (Die Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) 1994, 84)

Ich vertrete die Meinung, dass andere Religionen ebenso zur Verständigung unter den Menschen beitragen können wie das Christentum. So sind z.B. die Muslime nach dem Koran dazu verpflichtet,„alle Propheten und alle Bücher anzuerkennen und zu achten, sowohl die, die im Koran namentlich erwähnt werden, als auch die, die nicht genannt werden. Insbesondere aber ist untersagt, die verschiedenen Gesandten ‚gegeneinander auszuspielen’, und so Streitigkeiten und Konkurrenzdenken hervorzubringen, zu nähern, zu erwidern oder zu reproduzieren.“(Özdil 1999, 171 f.)

Die Lehrer, die den evangelischen Religionsunterricht erteilen, müssen an das evangelische Bekenntnis gebunden sein.[60] Die konfessionell gebundenen Lehrer können im Unterricht nach ihrem eigenen Glauben und Standpunkt befragt werden. Hierbei kann es selbstverständlich auch zu kritischen Auseinandersetzungen kommen. (vgl. Die Evangelische Kirche in Deutschland 1994, 85) Im englischen Religionsunterricht, der nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion oder Konfession unterrichtet und in dem die Lehrer wertneutral unterrichten müssen, fallen solche direkten Auseinandersetzung mit der Lehrkraft, die ich als eine sehr positive Seite des konfessionellen Religionsunterrichts sehe, natürlich weg.

Nach meinem persönlichen Kommentar zu den Stellungnahmen der beiden großen deutschen Kirchen, werde ich im folgenden auf die Stellung des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht eingehen.

4.5.3. Die Stellung des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland fordert einen Religionsunterricht, der dem derzeitigen Religionsunterricht der katholischen und der evangelischen Religionsgemeinschaft gleichgestellt ist. Ein solcher Unterricht müsse, so der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland Elyas, unter der Mitwirkung der islamischen Gemeinschaften in Deutschland geplant und erteilt werden. (vgl. Elyas 1999, 3)

Elyas artikulierte, im Gegensatz zu den deutschen Bischöfen und der Evangelischen Kirche in Deutschland auch seine Stellung zu einem interreligiösen Religionsunterricht: „Auf keinen Fall wären wir für einen inter-religiösen Religionsunterricht. Denn auch der Religionsunterricht für Christen und Juden soll beibehalten werden ... Ein Religionsunterricht für alle wäre nicht akzeptabel für uns und nicht empfehlenswert für die anderen Religionsgemeinschaften.“ (Elyas 1995 zit. nach Özdil 1999, 185)

4.5.4. Schlussfolgerungen für die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland

Aus den obigen Ausführungen zur Stellung der deutschen Bischöfe und der EKD zum Religionsunterricht wird deutlich , dass die EKD eine offenere Stellung zum konfessionellen Religionsunterricht hat als die deutschen Bischöfe. So sieht die EKD den konfessionell - kooperativen Religionsunterricht als den Religionsunterricht der Zukunft, während die deutschen Bischöfe ökumenische Zusammenarbeit nicht generell, sondern nur in besonderen Situationen wünschen.

Die EKD lässt nicht - evangelische Schüler in ihrem Religionsunterricht in der Regel ohne Einschränkungen zu, die deutschen Bischöfe hingegen genehmigen die Teilnahme nicht - katholischer Schüler an ihrem Religionsunterricht nur in Ausnahmefällen, und auch nur solange der konfessionelle Charakter des Faches gewahrt bleibt. Meine Ausführungen in Punkt 4.4. machen deutlich, dass ein interreligiöser Religionsunterricht, der nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion unterrichtet und dessen Lehrpläne im Einvernehmen aller, an einem solchen Religionsunterricht beteiligten Religionsgemeinschaften nur dann möglich wäre, wenn alle diese Religionsgemeinschaften, die auch vom Grundgesetz als solche anerkannt sein müssten, einen solchen Unterricht fordern würden.

Die deutschen Bischöfe, die einen „interkonfessionellen“, „überkonfessionellen“ oder „ökumenischen“ Religionsunterricht, der gemeinsam mit der evangelischen Kirche abgehalten wird, ablehnen, sind weit davon entfernt, einen interreligiösen Religionsunterricht zu akzeptieren, geschweige denn zu fordern.

Die wenig offene Haltung der katholischen Kirche wird auch in den neusten Äußerungen der römischen Glaubenskongregation deutlich.[61] Nach dem Verständnis der römischen Glaubenskongregation kann Ökumene nur als Eingliederung der Kirchen der Reformation in die katholische Kirche verstanden werden. Solange einflussreiche Mitglieder der katholischen Kirche die Kirchen der Reformation nicht als gleichberechtigte Partner für die Ökumene ansehen, ist eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Vertretern nicht - christlicher Religionen hinsichtlich des Religionsunterrichts noch nicht denkbar.

Die EKD zeigt sich zwar bezüglich einer ökumenischen Unterrichtsgestaltung und der Teilnahme nicht - evangelischer Schüler an ihrem Religionsunterricht offener, in der Denkschrift der EKD sind aber trotzdem keine Ansätze für einen interreligiösen Religionsunterricht erkennbar.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland Elyas fordert einen islamischen Religionsunterricht, welcher dem konfessionellen Religionsunterricht der evangelischen Kirche und der katholischen Kirche gleichgestellt ist. Einen interreligiösen Religionsunterricht lehnt Elyas ab.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass weder in der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe, noch in der Denkschrift der EKD eine Tendenz hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht zu finden ist. Die deutschen Bischöfe sprechen sich für die Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts aus, während die EKD den konfessionell - kooperativen Unterricht, der wie auch der konfessionelle Unterricht, nicht - christliche Schüler nicht anspricht, als Religionsunterricht der Zukunft sieht. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland lehnt einen interreligiösen Religionsunterricht ab.

Da eine Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland, unter Beachtung der erwähnten Modifikationen, derzeit nur möglich wäre, wenn die beiden großen deutschen Kirchen gemeinsam mit nicht - christlichen Religionsgemeinschaften einen interreligiösen Religionsunterricht fordern würden, stehen die EKD und die deutschen Bischöfe, die bei einem solchen Unterricht auf jeden Fall mitwirken müssten, einer solchen Übertragung im Wege. Von muslimischer Seite wird ein Religionsunterricht gefordert, welcher dem der katholischen und der evangelischen Kirche gleichgestellt, ein interreligiöser Religionsunterricht wird strikt abgelehnt. Da die evangelische und die katholische Kirche sowie der Islam, die in Deutschland am stärksten vertretenen Religionsgemeinschaften sind und eine Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichtes nur dann möglich wäre, wenn diese Religionsgemeinschaften einer solchen zustimmen würden, halte ich es nicht für nötig, hier auch auf die Stellungsnahmen anderer Religionsgemeinschaften einzugehen.

Im Folgenden werde ich die Frage nach der Übertragbarkeit des englischen Modells des Religionsunterrichts unter Beachtung der untersuchten Kriterien zusammenfassend beantworten.

4.6. Ist das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland übertragbar?

Die Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts habe ich an drei Kriterien überprüft:

1. Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Deutschland im Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion
2. Die aktuelle Gesetzeslage bezüglich des Religionsunterrichts in Deutschland
3. Die Stellung der beiden großen deutschen Kirchen und des Zentralrats der Muslime in Deutschland zum Religionsunterricht

Dem ersten Kriterium fällt meiner Meinung nach der höchste Stellenwert in der Frage der Übertragbarkeit zu. Die Schule als staatliche Institution und in der Schule der Religionsunterricht müssen zwingend auf die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland, in der es zunehmend zu einer Pluralisierung und Individualisierung von Religion gekommen ist, reagieren.

Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Hinblick auf Multikulturalität und den Stellenwert von Religion würde eine Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts, unter Beachtung einiger Modifikationen, durchaus ermöglichen, wenn nicht sogar fordern.

So müsste das englische Modell, da die Fächerung nicht - christlicher Religionen in Deutschland nicht so breit ist, wie in England und der Islam hier die mit Abstand größte nicht - christliche Religionsgemeinschaft ist, dahingehend modifiziert werden, dass dem Islam in einem deutschen Religionsunterricht mehr Beachtung geschenkt wird als anderen nicht - christliche Religionen. Weiterhin sollten in Deutschland, anders als in England, auch in einen zukünftigen Religionsunterricht ideologie- und gesellschaftskritische Fragen aufgenommen werden. Die Lehrer in einem deutschen, interreligiösen Religionsunterricht sollten sich dementsprechend verschiedenen religiösen Traditionen gegenüber nicht völlig wertneutral, verhalten, sondern auch kritische Aspekte der religiösen Traditionen ansprechen.

Die aktuelle Gesetzeslage stände einer Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts nicht im Wege, solange ein solcher von den beiden großen Kirchen und von nicht-christlichen Religionsgemeinschaften gemeinsam gefordert werden würde. Die nicht-christlichen Religionsgemeinschaften müssten allerdings rechtlich als Religionsgemeinschaften anerkannt sein.

Die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften wären in Deutschland aber, anders als in England, wo sich der Religionsunterricht alleine von den pädagogischen Zielen der Schule her begründet, für die Ziele und Inhalte eines interreligiösen Religionsunterrichts maßgeblich.

Die deutschen Bischöfe halten an einem konfessionellen Religionsunterricht und den Fundamenten ihrer Glaubenslehre fest. Die EKD sieht den konfessionell - kooperativen Religionsunterricht als den Unterricht der Zukunft. Weder in der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe, noch in der Denkschrift der EKD wird ein interreligiöser Religionsunterricht erwähnt, geschweige denn gefordert. Eine Öffnung hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht deutet sich nicht an.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland Elyas spricht sich explizit gegen einen interreligiösen Religionsunterricht aus und fordert einen Religionsunterricht, welcher dem der evangelischen und der katholischen Kirche gleichgestellt ist.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass hinsichtlich der dargestellten gesellschaftlichen Situation in Deutschland eine Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts, unter Beachtung der erwähnten Modifikationen, möglich wäre. Die gegenwärtige Gesetzeslage würde eine Übertragung des englischen Modells des Religionsunterrichts dann möglich machen, wenn alle an einem solchen Religionsunterricht beteiligten Religionsgemeinschaften rechtlich anerkannt wären und einen interreligiösen Religionsunterricht gemeinsam fordern würden. Letztendlich muss aber festgestellt werden, dass eine Übertragung des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts nicht möglich ist, solange die beiden großen deutschen Kirchen an einem konfessionellen Religionsunterricht festhalten, und von muslimischer Seite ein Religionsunterricht, welcher dem der evangelischen und der katholischen Kirche gleichgestellt ist, gefordert und ein interreligiöser Religionsunterricht abgelehnt wird.

Die evangelische und die katholische Kirche, die gegenwärtig in der Regel als einzige Religionsgemeinschaften Religionsunterricht erteilen, müssen meiner Meinung nach allerdings zukünftig die religiöse Individualisierung und Pluralisierung zur Kenntnis nehmen und sich neuen Modellen für den Religionsunterricht öffnen. Andernfalls könnte die Gefahr bestehen, dass die bundesdeutsche Politik sich aufgrund zunehmender Forderungen nach einem Religionsunterricht, welcher der gesellschaftlichen Situation im Hinblick auf Multikulturalität und Religiosität gerecht wird, gezwungen sieht eine Grundgesetzänderung dahingehend vorzunehmen, dass ein „Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ gesetzlich nicht länger gewährleistet bleibt.[62] Der Einfluss der beiden großen deutschen Kirchen auf den Religionsunterricht würde durch eine solche Grundgesetzänderung erheblich eingeschränkt werden.

Ich gehe davon aus, dass die Kirchen die begründeten Forderungen nach einem interreligiösen Religionsunterricht in Zukunft verstärkt zur Kenntnis nehmen werden und sich möglicherweise einem solchem Unterricht öffnen oder öffnen müssen.

Setzt man eine zukünftige Öffnung der Kirchen hin zu Formen eines interreligiösen Religionsunterrichts und auch eine Zustimmung anderer Religionsgemeinschaften, die dann vom Grundgesetz als solche anerkannt sein müssten, zu einem solchen Unterricht voraus, dann lässt sich auf der Basis meiner Arbeit ein grundgesetzkonformes Zukunftsmodell für den Religionsunterricht in Deutschland entwerfen, welches sich aus dem englischen Modell des interreligiösen Religionsunterrichts, den bereits erwähnten Modifikationen und meinen eigenen Überlegungen ergibt.

Die Darstellung dieses Modells werde ich nach seinen grundlegenden Komponenten gliedern. Diese Komponenten sind nicht durchgehend trennscharf, da sie im Rahmen des Gesamtmodells miteinander vernetzt sind.

5. Zukunftsmodell für einen interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland

a) Gemeinsame Teilnahme aller Schüler an einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht

An einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland sollen alle Schüler, gleich welcher religiöser oder weltanschaulicher Prägung sie angehören, gemeinsam teilnehmen. Dies fördert, wie in Punkt 4.3.2. genauer erläutert, ein harmonisches Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft, denn Toleranz kann nicht durch Separierung gelernt werden. (vgl. Gudjons 2000, 8)

Gerade in unteren Jahrgangsstufen besteht häufig ein organisatorisches Problem, da man nicht immer Möglichkeiten hat Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, zu beaufsichtigen. Durch einen interreligiösen Religionsunterricht, der alle Schüler anspricht, könnten solche Probleme behoben werden.

b) Die Lehrer in einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht

Es sollen Religionslehrer unterrichten, die an eine bestimmte christliche Konfession oder nicht - christliche Religion gebunden sein können, aber nicht gebunden sein müssen. Folglich soll die Lehrerlaubnis vom weltanschaulich neutralen Staat und nicht von einer bestimmten Religionsgemeinschaft erteilt werden. Die Religionslehrer dürfen im Unterricht keine christliche Konfession oder nicht - christliche Religion bevorzugt darstellen. Da die Schüler lernen sollen, sich Informationen kritisch zu bedienen, sollten die Lehrer in Deutschland aber nicht wie in England völlig wertneutral unterrichten, sondern auch zur kritischen Betrachtung aller religiösen Traditionen anregen.

Die universitäre Religionslehrerausbildung, die zur Zeit nur konfessionsgebundene Studenten anspricht und nicht - christliche Religionen nur am Rande beachtet, müsste selbstverständlich längerfristig an einen interreligiösen Religionsunterricht angepasst werden. Im derzeitigen konfessionellen Unterricht können die konfessionsgebundenen Lehrer nach ihrem eigen Glauben und Standpunkt befragt werden. Hierbei kann es wie erwähnt selbstverständlich auch zu kritischen Auseinandersetzungen mit der Lehrkraft kommen. Diese kritische Auseinandersetzung mit einem in einem bestimmten Glauben verwurzelten Lehrer, welche ein interreligiöser Religionsunterricht nicht bieten kann, erscheint mir als äußerst sinnvoll. Aus diesem Grunde sollten in einen interreligiösen Religionsunterricht immer wieder Menschen eingeladen werden, die der gerade behandelten Religion angehören und sich dazu kritisch befragen lassen.

c) Die Religionen in einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland In einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht in Deutschland sollten, neben dem Christentum, auch alle anderen großen Weltreligionen bereits in der Grundschule Beachtung finden. Das Christentum sollte aufgrund seiner Bedeutung für die deutsche Geschichte und die im Grundgesetz verankerten Werte des deutschen Staates in jeder Jahrgangsstufe unterrichtet werden. Die Lehrpläne sollten allerdings dahingehend flexibel sein, dass das Christentum in einem Religionsunterricht, an welchem z.B. überwiegend islamische Schüler teilnehmen, nicht im Mittelpunkt steht.

Der Islam sollte, da er in Deutschland die mit Abstand größte nicht - christliche Religion ist, in einem interreligiösen Religionsunterricht ebenso wie auch das Christentum durchgehend behandelt werden.

Aufgrund der jüngsten deutschen Vergangenheit halte ich auch eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Judentum für unabdingbar. Die sich immer wiederholenden Anschläge auf jüdische Einrichtungen scheinen deutlich zu machen, dass es teilweise noch immer an Toleranz gegenüber jüdischen Mitbürgern fehlt. Die Auseinandersetzung mit dem Judentum kann ein verständnisvolles Verhalten gegenüber Menschen jüdischen Glaubens nur fördern.

Einem interreligiösen Religionsunterricht entsprechend, sollten auch Buddhismus und Hinduismus die nötige Beachtung finden, da die Schüler aufgrund der zunehmenden Globalisierung auch mit Angehörigen dieser Religionen in Kontakt kommen können.

Ich halte es für äußerst wichtig, dass in einem interreligiösen Religionsunterricht alle Religionen in ihrer Individualität und Vielfalt sowie der Innenansicht ihrer Anhänger entsprechend dargestellt werden. Dies setzt voraus, dass bei der Erstellung der Lehrmaterialien und der Konzeption des Unterrichtes Vertreter aller Religionen beteiligt werden müssen.

d) Die Verabschiedung der Lehrpläne für einen zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht

Die Lehrpläne für einen zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht sollen nicht mehr alleine im Einvernehmen mit Vertretern der beiden großen Kirchen erstellt werden. Einem interreligiösen Religionsunterricht entsprechend sollen Vertreter aller im Unterricht zu behandelnden Religionen an der Erarbeitung der Lehrpläne beteiligt werden, sofern diese zur Mitarbeit bereit sind.

Eine Beteiligung von Vertretern der unterschiedlichen Religionen führt dazu, dass sie miteinander ins Gespräch kommen und voneinander lernen. Dies kann dem friedlichen und offenen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft wie der deutschen nur zuträglich sein.

Eine gemeinsame Erarbeitung der Lehrpläne soll auch dazu beitragen, dass die verschiedenen Religionen der Innenansicht ihrer Anhänger entsprechend dargestellt werden. Da die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften von den Zielen und Inhalten des Religionsunterrichtes auch zukünftig maßgeblich sein sollen, hätten auch die beiden großen deutschen Kirchen als die größten Religionsgemeinschaften in Deutschland weiterhin großen Einfluss auf den Religionsunterricht.

e) Ziele eines zukünftigen interreligiösen Religionsunterrichts

Die Schüler sollen in einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht die verschiedenen Religionen in ihrer Vielfalt und Individualität kennen lernen und erfahren. Der Religionsunterricht soll also ein „Ort religiöser Information (sein), insofern er den Schülern anhand der religiösen Traditionen zu einer religiösen Sprache verhilft, durch die sie sich in wechselnden Gemeinschaften verständlich machen können.“ (Baumann 1997, 9) Dies soll dazu beitragen, dass die Schüler lernen zu hören, sich zu orientieren, zentrale Fragen zu stellen und schließlich in einen offenen Dialog miteinander zu treten.. (vgl. Baumann 1997, 7) Da es auch Ziel des interreligiösen Religionsunterrichts sein soll, die Schüler zu einem kritischen Umgang mit religiösen Traditionen anzuregen, kann es sich hierbei selbstverständlich auch um kritische Fragen und Dialoge handeln.

Bei der Beschäftigung mit verschiedenen Religionen in einem interreligiösen Religionsunterricht werden selbstverständlich Unterschiede zwischen den Religionen deutlich. Im Vordergrund sollen aber die Gemeinsamkeiten der Religionen stehen. Dabei sollte der Religionsunterricht zu Ziel haben, einen ethischen Konsens erkennbar zu machen, „der (sich) über die Unterschiede der Lebensstile und Lebensauffassungen hinweg [...] an einem gemeinsamen Schatz allgemein anerkannter Werte und Ziele orientiert.“ (Baumann 1997, 9)

Es soll weiterhin Ziel des interreligiösen Religionsunterrichts sein, dass die Schüler ihre individuelle, persönliche religiöse Identität finden oder vertiefen. Hierbei kann es sich um eine christliche, islamische, jüdische u.s.w. Identität handeln oder aber auch um eine Art „Patch - Work - Religiosität“ (Baumann 1997, 4), die sich aus Elementen verschiedener Religionen zusammensetzt.

„Der Religionsunterricht hilft den Schülern (also) bei der Entwicklung eigenständigen, religiösen Identität; das heißt pädagogisches Ziel des Religionsunterrichts ist also nicht die ‚Rechtsgläubigkeit’, sondern der personale Glaube.“ (Baumann 1997, 4)

Ziel des evangelischen Religionsunterrichts ist es, „christliche Traditionen und christlichen Glauben so zur Sprache zu bringen, daß er für die Kinder als befreiende Lebensmöglichkeit bedeutsam werden kann.“ (Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) 1997, 36) Ziel eines interreligiösen Religionsunterrichtes sollte es dementsprechend sein, verschiedene religiöse Traditionen so zur Sprache zu bringen, dass sie als befreiende Lebensmöglichkeiten bedeutsam werden können.

Ein weiteres wichtiges Ziel eines interreligiösen Religionsunterrichts soll es sein, die Toleranz und das Verständnis gegenüber Fremden und Andersgläubigen zu fördern, um so zu einem harmonischen Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft beizutragen. Dieses Ziel kann durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Religionen und deren Angehörigen, zu der es in einem interreligiösen Religionsunterricht mit den obengenannten Zielen kommt, erreicht werden.

In pädagogischen und politischen Diskussionen wird gegenwärtig nach Möglichkeiten zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit gesucht. Ein interreligiösen Religionsunterricht kann einen unverzichtbaren Beitrag zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit leisten.

f) Pädagogische Ansätze für einen zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht

In einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht sollte es zu einem ausgeglichenen Ineinander des religionskundlich-informativen und des existenziellen Ansatzes[63] kommen. Wenn die Schüler in einem interreligiösen Religionsunterricht ihre eigene religiöse Identität finden sollen, muss eine existentielle Auseinandersetzung mit verschiedenen religiösen Traditionen herbeigeführt werden. Die Schüler können nur dann wirklich Hilfreiches für die eigenen Fragen und persönlichen Probleme aus den verschiedenen Religionen ziehen, wenn die Religionen in Beziehung mit diesen lebensweltbezogenen Fragen und Problemen gesetzt werden.

Für eine existenzielle Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen, die einer Vielzahl von Schülern fremd sein können, erscheint es als wichtig ,dass eben diese Fremdheit explizit im Unterricht thematisiert wird. Die Schüler können dazu angeregt werden, darüber nachzudenken, warum ihnen die jeweiligen Zeugnisse fremd vorkommen und welche Elemente der religiösen Traditionen nicht ihrer persönlichen Vorstellung entsprechen. Weiterhin unabdingbar für eine existentielle Auseinandersetzung ist ein Zulassen von und Anregen zu kritischen Fragen und Meinungen der Schüler.

Vor allem unteren Jahrgangsstufen sollen in einem zukünftigen interreligiösen Religionsunterricht religiöse Traditionen durch das Mitbringen von Artefakten, die Teilnahme an religiösen Feiern und durch Besuche religiöser Orte näher gebracht werden. Elemente fremder Religionen können so zu einer neuen persönlichen Erfahrung werden.

In höheren Jahrgängen kann, wie in Punkt 3.3. erwähnt, eine systematische Vorgehensweise, welche die verschiedenen Religionen in getrennten Blocks behandelt, sinnvoll sein, wenn in eine religiöse Tradition eingeführt wird.

Generell sollte sich ein interreligiöser Religionsunterricht aber an der thematischen Vorgehensweise, die verschiedene religiöse Traditionen unter einem bestimmten Thema betrachtet, orientieren, da diese bessere Vorrausetzungen für Gespräche unter Schülern, die unterschiedlichen weltanschaulichen oder religiösen Prägungen angehören, bietet. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen religiösen Vorstellungen und Traditionen können so im Unterricht thematisiert werden.

Dieses von mir entwickelte Modell zeigt wie ein interreligiöser Religionsunterricht in Deutschland, der sich aus Grundkomponenten des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts ergibt, aussehen könnte. Ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass es sich hierbei nicht um ein fertiges Idealmodell handeln kann. Ich hoffe aber, dass ich mit diesem Modell einige diskussionswürdige Ansätze für eine mögliche Form eines zukünftigen interreligiösen Religionsunterrichts in Deutschland geben konnte.

6. Schlusswort

In meiner Arbeit habe ich den Versuch gemacht, die Frage nach der Übertragbarkeit des englischen Modells des interreligiösen Religionsunterrichts auf Deutschland zu beantworten. Die ausführliche Darstellung der geschichtlichen Entwicklungen des deutschen und des englischen Modells des Religionsunterrichts war erforderlich, da die beiden Modelle keinesfalls Produkte der Gegenwart sind, sondern eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich haben. Die Gegenüberstellung der Entwicklungsgeschichten der Modelle des Religionsunterrichts ermöglichte Vergleiche und zeigte somit die unterschiedliche Entwicklungen in England und Deutschland auf.

Modelle wie die dargestellten entwickeln sich weiter und werden dies auch in Zukunft tun, weil sie auf die Veränderungen in der jeweiligen Gesellschaft reagieren müssen.

Ich bin in meiner Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass ein interreligiöser Religionsunterricht, der nicht zu Gunsten einer bestimmten Religion oder Konfession unterrichtet, und dessen Lehrpläne im Einvernehmen mit Vertreter von aller an einem solchen Religionsunterricht beteiligten Religionen verabschiedet werden, in Anbetracht der gesellschaftlichen Situation und der aktuellen Gesetzeslage, unter Beachtung der oben erwähnten Modifikationen, in Deutschland durchaus möglich wäre. Letztendlich müsste ein solcher Religionsunterricht aber von der evangelischen und der katholischen Kirche sowie von nicht-christlichen Religionsgemeinschaften gefordert werden, was gegenwärtig nicht der Fall ist.

Der erste Schritt hin zu einem interreligiösen Religionsunterricht müsste meiner Meinung nach von der evangelischen und der katholischen Kirche ausgehen, weil diese beiden Kirchen die größten Religionsgemeinschaften in Deutschland sind und in der Regel als einzige Religionsgemeinschaften Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilen.

Die evangelische und die katholische Kirche müssen zukünftig zur Kenntnis nehmen, dass die gegenwärtige gesellschaftliche Situation, die zunehmend von religiöser Individualisierung und Pluralisierung geprägt ist, nicht mehr der gesellschaftlichen Situation entspricht, von welcher der konfessionelle Religionsunterricht in seinen Ursprüngen ausgegangen ist. Ein interreligiöser Religionsunterricht sollte als Religionsunterricht der Zukunft angenommen werden.

Das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts, welches auf gesellschaftliche Veränderungen in England reagiert hat, kann meiner Ansicht nach eine Vielzahl von Anstößen für eine Reform des deutschen Religionsunterrichts geben.

Es ist sicherlich interessant zu beobachten, in welche Richtung die Diskussionen um den deutschen Religionsunterricht der Zukunft gehen werden, und ob die bundesdeutsche Politik, Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen in Deutschland wie es Marschke vorschlägt, zukunftsweisende Modelle europäischer Nachbarländer und somit auch das englische Modell des interreligiösen Religionsunterrichts auf ihre Anwendbarkeit in Deutschland überprüfen werden. (vgl. Marschke 2000, 18)

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[...]


[1] Aus Gründen der Lesbarkeit werde ich in meiner Arbeit ausschließlich von „Schülern“, statt von Schülerinnen und Schülern sprechen.

[2] Heinrich VIII trennte 1534 die „Church of England“ (anglikanische Kirche) von Rom ab. Seitdem untersteht die anglikanische Kirche wie alle anderen christlichen Kirchen dem englischen Königshaus.

[3] Der Staat hatte vor 1870 bereits Schulen unter kirchlicher Trägerschaft unterstützt. Seit 1833 wurden Schulen der anglikanischen Kirche subventioniert und seit 1847 auch die der römisch - katholischen Kirche. (vgl. Meyer 1999, 100)

[4] Da England keine Verfassung hat, können Bildungsgesetze unabhängig von Verfassungsvorgaben verabschiedet werden. Dies galt damals und gilt auch heute noch.

[5] „Ordentliches Lehrfach“ meinte ein Pflichtfach mit einer angemessenen Stundenzahl und einer angemessenen Lage im Unterrichtsganzen. (vgl. Nipkow/ Schweitzer (Hrsg.) 1994, 199)

[6] In der Weimarer Zeit verstand man unter der „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgesellschaft“, eine Übereinstimmung mit den „positiven Lehrsätzen und Dogmen“ (Nipkow/ Schweitzer (Hrsg.) 1994, 200) der jeweiligen Religionsgemeinschaft.

[7] Da in Deutschland, anders als in England, viele Landeskirchen 1919 bereits uniert waren, war es kein Problem Lutheraner und Reformierte gemeinsam zu unterrichten.

[8] Die öffentlichen Schulen bekommen volle finanzielle Unterstützung vom Staat, während an den unterstützten Schulen, die staatlichen Zuwendungen wesentlich geringer sind. In letzteren Schulen sind die kirchlichen Vertreter im Schulkuratorium in der Mehrheit. Der Religionsunterricht kann an unterstützten Schulen entsprechend des Bekenntnisses des Schulträgers erteilt werden, nicht - konfessioneller Religionsunterricht wird allerdings vorgezogen. Diese Regelung gilt bis heute. (vgl. Haussmann 1993, 158)

[9] Leider standen mir hier nicht die Originalgesetzestexte zu Verfügung, sondern nur die von Haussmann (1993) aus den Swann-Report zitierten.

[10] Diese Verbindung zwischen Staat und anglikanischer Kirche war als das sogenannte „Establishment“ bekannt.

[11] 1944 gab es in England und Wales insgesamt 105 lokale Erziehungsbehörden. (vgl. Haussmann 1993, 159)

[12] Mit „andere Konfessionen“ sind hier andere protestantische Konfessionen gemeint, da die römisch katholische Kirche, ihre Aufmerksamkeit bezüglich des Religionsunterrichts ausschließlich auf ihre eigenen „voluntary schools“ begrenzte. (vgl. Jackson 1997, 76) Nicht christliche Religionen wurden nicht beachtet. 1944 verstand sich England, aufgrund der gegebenen gesellschaftlichen Lage noch als rein „christliches“ Land. (vgl. Haussmann 1993, 159)

[13] Eine Ausnahme bildet hier das Land Bremen. Hier ist ein nicht - konfessioneller Unterricht an öffentlichen Schulen in der Verfassung vorgeschrieben: „Die allgemeinen öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebunden Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage.“ (Bremische Verfassung Art. 32, 1, zit. nach Haussmann 1993, 179) Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erlaubt hier eine Sonderregelung, da diese gesetzlichen Bestimmungen bereits vor 1949 bzw. vor der Weimarer Verfassung bestanden. [„Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem vor dem 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.“ (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1991, 219)]

[14] Ich gehe hier exemplarisch auf das Land Hessen ein. Die Bestimmungen bezüglich des Religionsunterrichts in anderen Bundesländer weichen, mit Ausnahme des Landes Bremen, nicht entscheidend von den Bestimmungen der hessischen Verfassung ab.

[15] Art. 21 des Reichkonkordats garantierte zwar den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, (vgl. Weber 1983, 155) der später geplante Ausschluß des Religionsunterrichts aus den Schulen wird aber z.B. dadurch deutlich, dass ab 1941 der evangelische und der katholische Religionsunterricht von den reicheinheitlichen Zeugnissvordrucken verschwanden.

[16] Zu Kittel muss hier angemerkt werden, dass es diesem gelang sich nach dem 2. Weltkrieg in Zusammenhang mit der bekennenden Kirche zu bringen, bis 1945 „ (war er) anderen theologischen und kirchenpolitischen Traditionen verpflichtet gewesen .“ (Rickers 1995, 3) Kittel war während der Nazi - Herrschaft in Deutschland Mitglied der SA, der NSDAP, des Nationalsozialistischen Lehrerbundes und der Deutschen Christen. (vgl. Rickers 1995, 8f ) Kittel gehörte damals selbst zu den Religionspädagogen, welche die Integration des Religionsunterrichts in das völkische Erziehungswesen forderten. (vgl. Rickers 1993, 2) Auf diesen Zusammenhang kann an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingegangen werden.

[17] Diese ansteigenden Abmeldungen hingen sicherlich bereits mit der antiautoritären und ideologiekritischen Gesinnung der jungen Generation, die in der studentischen 68er Bewegung ihren Höhepunkt fand, zusammen. Auf die Krise des deutschen Religionsunterrichts in sechziger und siebziger Jahren werden ich im Folgenden noch eingehen.

[18] Ich beziehe mich hier primär auf Kaufmann, da er als erster einen Bezug des Religionsunterrichts auf die Lebenswelt der Kinder anregte.

[19] Der englische Religionsunterricht wurde am Ende der sechziger Jahre häufig der Kritik unterzogen, da sich die englische Gesellschaft, aufgrund der steigenden Einwandererzahlen, zunehmend als multikulturell betrachtete. Auf die Entwicklungen des englischen Religionsunterrichts, die mit dieser neuen multikulturellen Situation zusammenhängen, werde ich im nächsten Punkt eingehen. Die Religionspädagogik der beginnenden sechziger Jahre ging noch von einem christliche Religionsunterricht aus und zog die Probleme, die sich für den Unterricht in der multikulturellen Gesellschaft entwickeln könnten, noch nicht in Betracht. Auf die Kritik am deutschen Religionsunterrichts werde ich ebenfalls im weiteren Verlauf meiner Arbeit noch eingehen.

[20] Im späteren Verlauf meiner Arbeit werde ich auf die Auswirkungen dieser Politik auf das Bildungswesen eingehen.

[21] Leider lagen mir hier nur die genauen Daten für das Land Hessen vor. Ich gehe davon aus das diese Zahlen exemplarisch für alle alten Bundesländern sind.

[22] Ich werde in einem Exkurs am Ende dieses Punkts näher auf Smarts phänomenologische eingehen.

[23] Im angelsächsischen Raum wird fast ausschließlich der Begriff „multicultural education“ benutzt. Der Begriff „intercultural education“ ist kaum zu finden. (vgl. Auernheimer 1991, 3) Die Begriffsdefinitionen von interkultureller und multikultureller Erziehung gehen teilweise weit auseinander. Ich gehe hier davon aus, dass mit beiden Begriffen eine Erziehung gemeint ist, die sich auf das Zusammenleben von Kindern unterschiedlicher Nationalität bezieht und den die Dialog und die kulturelle Begegnung zum Ziel hat.

[24] Das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht wurde auch im Erziehungsgesetz von 1988 wieder festgelegt.

[25] Die Regelungen bezüglich der Konfessionsschulen wurden 1988 aus dem Bildungsgesetz von 1944 übernommen.

[26] Mit „other principal religions „ waren Buddhimus, Hinduismus, Islam, Judentum, Sikhismus“ gemeint.

[27] Die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche unterschritt seit 1969 bis 1997 nur noch im Jahre 1979 knapp die 100.000 - Grenze, damals wurden 99.653 Austritte gezählt. Der Höhepunkt dieser Entwicklung lag bislang bei 296.782 Austritten im Jahre 1995. Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche übersteig 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, erstmals eine Grenze von 100.000 jährlichen Austritten: 1990 wurden 143.930 Austritte gezählt. Der Höhepunkt der Austrittszahlen lag bis 1997 im Jahre 1992, damals wurde 192.766 Austritte gezählt. (vgl. Statistisches Bundesamt 1997, 1f.)

[28] Anders als im englischsprachigen Raum, wird im deutschsprachigen Raum meist der Begriff „interkulturelle Erziehung“ verwendet, wenn eine gemeinsame Erziehung aller Kinder einer multikulturellen Gesellschaft gemeint ist.

[29] Vgl. dazu meine Ausführungen zu Kaufmann.

[30] Meyer merkt hierzu allerdings an, dass in Angermeyers Schulbuch „Weltmacht Islam“, welches 1974 erschien, noch stark von christlichem Überlegenheitsdenken geprägt ist. (vgl. Meyer 1999, 48)

[31] Trias meint die konfessionelle Übereinstimmung von Lehre, Schüler und Lehrer.

[32] An diesen Zitaten wird auch nochmals deutlich, dass der Lehrplan von Shropshire thematisch und nicht systematisch vorgeht.

[33] Diese sechs Hauptreligionen sind Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus, Sikhismus.

[34] Der sich selbsterklärende Begriff „religionskundlich - informativ“ stammt von Dommel. (vgl. Dommel 1999, 1), der Begriff „existenziell“ von Meyer (vgl. Meyer 1999, 142). Mit existenziell ist der Ansatz des englischen Religionsunterrichts gemeint, der Probleme, Fragen und Lebenswelt der Schüler einbezieht.

[35] Vgl. Punkt 2.5.1.1.

[36] Vergleiche hierzu Howrath 1996, Dommel 1999 und Shropshire Syllabus 1997.

[37] Vgl. 2.5.1.2.2.

[38] Vgl. 2.5.1.2.2.

[39] Vgl. Punkt 2.6.

[40] Vgl. 2.5.1.2.2.

[41] Vgl. Punkt 4.

[42] Vgl. Punkt 4.

[43] Vgl. Punkt 2.2.3.

[44] Vgl. Punkt 2.5.2.2.

[45] Ich beziehe mich hier exemplarisch für den deutschen Religionsunterricht auf den hessischen Rahmenplan Grundschule.

[46] Vgl. Punkt 2.3.2.

[47] Vgl. Punkt 2.5.2.3.

[48] Vgl. 2.4.

[49] Vgl. Punkt 2.1.

[50] Vgl. Exkurs zu Punkt 2.4.2.

[51] Vgl. 2.5.2.1.

[52] Vgl. 2.52.3.

[53] Vgl. Exkurs zu 2.4.2.

[54] Vgl. Exkurs zu 2.4.1. und Exkurs zu 2.4.2.

[55] Vgl. Punkt 2.6.

[56] Vgl. Punkt 2.5.2.3.

[57] Siehe Punkt 2.5.2.2.

[58] Vgl. 2.2.2.

[59] In Deutschland bemühen sich derzeit mehrere muslimische Gruppen um einen eigenen Religionsunterricht, ich beziehe mich hier exemplarisch auf die Stellung des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

[60] Die Lehrer die den katholischen Religionsunterricht erteilen, müssen an das katholische Bekenntnis gebunden sein.

[61] Vgl. 4.4.1.

[62] Nach Artikel 79 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland wäre eine Grundgesetzänderung hinsichtlich des Artikels 7, Absatz 3 bei einer Zustimmung von 2/3 der Mitglieder des Bundestages durchaus möglich. (vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1991, 189)

[63] Vgl. Punkt 3.3.

Final del extracto de 141 páginas

Detalles

Título
Ist das englische Modell des interreligiösen Religionsunterricht auf Deutschland übertragbar?
Autor
Año
2000
Páginas
141
No. de catálogo
V101552
ISBN (Ebook)
9783638999687
Tamaño de fichero
672 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Modell, Religionsunterricht, Deutschland
Citar trabajo
T. Bauer (Autor), 2000, Ist das englische Modell des interreligiösen Religionsunterricht auf Deutschland übertragbar?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101552

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