Anspruch und Realität des Betreuungsrechts unter der besonderen Berücksichtigung der eigenen Praxis


Term Paper, 2001

27 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


Gliederung:

1. Einleitung

2. Theoretische Betrachtung der Ansprüche und Realitäten
2.1 Ansprüche
2.1.1 Anspruch der persönlichen Betreuung
2.1.2 Anspruch an die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten
2.1.3 Anspruch an Fachkenntnisse und Fähigkeiten des Betreuers
2.1.4 Ansprüche von den zu betreuenden Personen
2.2 Grenzen und Realitäten

3. Fallbeschreibung, Frau S., 63 Jahre
3.1 Medizinischer Hintergrund
3.2 Persönliche Lebensumstände

4. Anspruch und Realität gerichtlicher Betreuung im Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Vorgabe, dem Wohl des Betreuten sowie dem Anspruch an die Beachtung der Aufrechterhaltung des Selbstbestimmungsrechts
4.1. Erste Situation
4.1.1 Situationsanalyse
4.1.2 Entscheidungsvariablen
4.1.3 Entscheidungsergebnis
4.1.4 Entscheidungsbegründung
4.2 Zweite Situation
4.2.1 Situationsanalyse
4.2.2 Entscheidungsvariablen
4.2.3 Entscheidungsergebnis
4.2.4 Entscheidungsbegründung
4.3 Dritte Situation
4.3.1 Situationsanalyse
4.3.2 Entscheidungsvariablen
4.3.3 Entscheidungsergebnis
4.3.4 Entscheidungsbegründung

5. Schlußbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Januar 1992 trat in Deutschland das neue Betreuungsgesetz in Kraft. Es brachte für die betroffenen erwachsenen Mitbürger, die früher unter Vormundschaft oder Gebrechlichkeitspflegschaft standen, erhebliche Verbesserungen. Auch für die Tätigkeit der früheren Vormünder und Pfleger änderte sich einiges. Der Vormundschaft nach altem Recht ging eine Entmündigung voraus, die den Betroffenen entrechtete. Wer entmündigt war, konnte beispielsweise weder wählen noch ein rechtskräftiges Testament errichten.

Eine Zwangspflegschaft oder Entmündigung ist heute nicht mehr möglich. Im früheren Recht stand die Verwaltung des Vermögens der Betroffenen ganz im Vordergrund. Die Sorge für die Person, insbesondere für die Gesundheit, wurde demgegenüber im Gesetz vernachlässigt. Vormundschaft und Pflegschaft dauerten oft lebenslang, weil Vorschriften über eine regelmäßige Überprüfung fehlten.

Nach neuem Betreuungsrecht gilt der Grundsatz: Betreuung und Hilfe statt Entmündigung (§ 1901 BGB). 1

Betroffen waren und sind Erwachsene, die aufgrund einerpsychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können.

Ich möchte versuchen, die neuen Möglichkeiten aber auch die Grenzen dieser Gesetzesänderung anhand eines Fallbeispiels zu verdeutlichen.

2. Theoretische Betrachtung der Ansprüche und Realitäten

Die Ansprüche und Vorstellungen an den gesetzlich bestellten Betreuer durch den Gesetzgeber, die Betreuten, deren Angehörige oder auch beteiligte Ärzte und Pflegeheime sind vielfältig und stehen nicht selten in krassem Widerspruch. Neben formalen und inhaltlichen Voraussetzungen für die Arbeit des Betreuers ist die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen für die Betreuungs- tätigkeit von grundlegender Bedeutung. Der Betreuer soll "zum Wohle der Betreuten" handeln, sie rechtlich "vertreten", und unter Umständen anstelle der Betreuten in verfassungsrechtlich geschützte Bereiche deren Einwilligung durch seine ersetzen. Und letztendlich kann es ihm obliegen, im ethisch- rechtlichen

Grenzbereich eines Sterbeprozesses entscheiden zu müssen.2

2.1 Ansprüche

2.1.1 Anspruch der persönlichen Betreuung

EinwichtigerAnspruchandieAufgabendesBetreuersergibtsichaus

§ 1897 I BGB: danach muß die zum Betreuer bestellte Person geeignet sein, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen und ihn hierbei im erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Der Betreuer soll unabhängig von seinem Aufgabenkreis persönlichen Kontakt zum Betreuten aufnehmen und unterhalten, sein Vertrauen gewinnen und seine Wünsche, Vorstellungen und Lebensumstände zu erfahren suchen, um dann

seine Betreuungsarbeit an den Interessen des Betroffenen und dessen Wohl zu orientieren.3

2.1.2 Anspruch an die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten

Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Bei der Beurteilung der Frage, was dem individuellen Wohl des Betreuten entspricht, kommt es auf seine persönliche Sichtweise vor dem Hintergrund seiner derzeitigen Lebenssituation, seine grundsätzlichen Vorstellungen und Einstellungen sowie seine Lebensgeschichte an.4 Der Betreuer muß evtl. zulassen können, daß der Betreute sein Leben nach anderen Vorstellungen und Grundsätzen gestaltet als er selbst oder die Allgemeinheit es tut. Soziale Auffälligkeit allein würde den Betreuer weder berechtigen noch verpflichten, einzugreifen. Sogar ein Recht auf Verwirrtheit und Verwahrlosung

ist u. U. zu respektieren (§ 1901 Abs. 2 BGB). Nur solchen Wünschen braucht und darf der Betreuer nicht zu entsprechen, durch die sich der Betreute schweren Schaden an Leib, Leben oder Vermögen zufügen würde. 5

2.1.3 Anspruch an Fachkenntnisse und Fähigkeiten des Betreuers

Neben den beschriebenen Persönlichkeitsvoraussetzungen muß der Betreuer die Fähigkeiten und Kenntnisse haben, die Angelegenheiten des Betreuten „in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis" zu „besorgen".6

Der Betreuer übernimmt eine Vielzahl von Fällen mit ganz unterschiedlichen Aufgabenkreisen. Die generell erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten könnte man wie folgt umschreiben: Kenntnisse über die Kategorien defizitärer Zustände, über mögliche Ursachen, Bedingungen und Auslöser (Kenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Sozialmedizin, Pädagogik und Erziehungs- wissenschaft) Kenntnisse aus Wirtschaft, Recht und Medizin (z. B. darüber, wie derBetroffeneEinkommenerzielen,welchestaatlichenLeistungeneraus-

schöpfen kann, welche Rehabilitätsmaßnahmen bezüglich Arbeit und psychosozialer Verhältnisse, welche Leistungen gesetzlicher und privater Krankenversicherungen, der Krankenhilfe und der Pflegeversicherung möglich sind, wie sein Vermögen sinnvoll verwaltet oder seine Schulden reguliert werden können) Kenntnisse über Wohnen, ambulante Hilfen und sonstige Unterbringungsmöglichkeiten,Kenntnisseüberdasformelleundmaterielle

Betreuungsrecht.7

Hinzukommen müßten folgende Fähigkeiten: Das Verstehen von Gerichtsbeschlüssen, von Sachverständigengutachten, das Führen von diagnostischen Gesprächen, das Beobachten von Verhalten, das Abfassen von Schriftsätzen an Gerichte und Behörden, das Kennen von Ressourcen aller Art im Umfeld des Betroffenen.

Persönliche Betreuung im Sinne des Gesetzes und im "Geist" der Reform setzt auch ganz bestimmte Persönlichkeitsmerkmale des Betreuers voraus. Hierzu zählen vor allem: Kontaktfreudigkeit; persönliche Reife; Bereitschaft, für behinderte Menschen tätig zu sein; Belastbarkeit; hohe Frustrationstoleranz; Selbstregulation der eigenen Psychohygiene; Kritikfähigkeit; Flexibilität; Realitätsbezogenheit; lebenspraktische Kenntnisse und Fähigkeiten; Selbständigkeit;BereitschaftzuverantwortungsbewußtemTun;Reflexions-

vermögen; Genauigkeit; Bereitschaft zu Aus- und Weiterbildung.8

2.1.4 Ansprüche von den zu betreuenden Personen

Menschen sind unterschiedlich, ebenso verschieden können auch die Ansprüche des Betreuten an seinen Betreuer sein.

Gewünscht werden im einzelnen:

- häufigepersönlicheBesucheoderauchkeinerleiKontakt,wenndie Betreuung gegen den erklärten Willen des Betroffenen eingerichtet wurde,
- Wohnung aufräumen, oder Treppe putzen,
- zum Arzt bringen,
- jederzeitTaschengeldzuteilenbessernochseinGeldselbstverwalten dürfen,
- Verlegung in ein anderes Heim bzw. die Beschaffung einer eigenen Wohnung oder grundsätzlich die Vermeidung einer Heimeinweisung bzw. eines stationären Klinikaufenthaltes zum Zwecke der Wiederherstellung des Gesundheitszustandes,
- Behördengänge abnehmen,
- Gesprächeführen;zujederTages-undNachtzeitanrufenkönnen,um Probleme zu besprechen,
- gemeinsame Spaziergänge,
- Betreuung wieder aufheben,
- selbständige Lebensführung aufrecht erhalten bzw. wiederherstellen,
- Medikamente wieder absetzen,
- therapeutisch Handeln,
- Renten- und Sozialhilfeanträge stellen,
- Beantragung der Befreiung von GEZ-Gebühren,
- Verantwortung abgeben,
- mit Wünschen und Rechten ernst genommen werden,
- gesellschaftliche Integrationshilfen organisieren,
- Vermögen effektiv verwalten bzw. anlegen,
- Haushaltsführung organisieren.

2.2 Grenzen und Realitäten

Der Betreuer soll möglichst schnell und kostengünstig9 alles Nötige veranlassen um die Lebenssituation und das dazugehörige Umfeld des Betreuten wieder zu befrieden. Er hat alle notwendigen Hilfen wie z.B. "Essen auf Rädern" oder ambulante Pflegedienste, Fahrten zu Ärzten, psychologische Betreuung, das Einstellen einer Putzhilfe lediglich zu organisieren, nicht aber selbst in Eigenleistung zu erbringen. Es ist gerade nicht die Aufgabe von Betreuern den Betreuten bei den Anforderungen des täglichen Lebens zu helfen.10

Grenzen dessen, welche Ansprüche ein Betreuer dem Betreuten ermöglichen darf und wo er gezwungen ist Entscheidungen, nach Beantragung eines Einwilligungsvorbehaltes beim zuständigen Betreuungsrichter, gegen seinen Willen zu treffen, werden auch durch seine Verpflichtung gesetzt, den Betreuten vor der Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Selbstschädigung oder gar Selbsttötung zu schützen.11

In der Praxis kann der Betreuer in große Schwierigkeiten geraten, wenn er von der Norm abweichende Wünsche und Vorstellungen des Betreuten umzusetzen versucht. Er wird dann dafür verantwortlich gemacht, wenn sein Betreuter sich durch selbstbestimmte Lebensweise selbst schädigt. Ob er dies aushalten kann, hängt auch von seinen Überzeugungen, seinem Menschenbild, seiner Grundeinstellung zu normabweichenden Verhaltensweisen und von einer vertrauensvollen Beziehung zum Betreuten ab.12

[...]


1 siehe auch: Bundesministerium der Justiz, "Das Betreuungsrecht" 11. Ausgabe, Januar 2000, S. 5 - 6

2 Müller-Bohlen, L., Paape, I. in BtPrax 5/00 S. 183; Schreibauer, M. in BtPrax 6/97 S. 217

3 Bienwald, W. in BtPrax 6/96 S. 200

4 Klie, T., in BtPrax 1/01 S. 14

5 Stolz, K, in BtPrax 3/98 S. 88

6 Eichler, S. in BtPrax 1/01 S. 6-7

8 Stolz, K. in: BtPrax 3/98 S. 89; Gregersen, A. in: BtPrax 6/99 S. 211-215

7 Bienwald, W. in: BtPrax 4/00 S. 155 - 157

9 Arbeitskreis Qualitätsstandards in der gesetzlichen Betreuung, in BtPrax 4/99 S. 140

10 Jürgens, A. in: BtPrax 4/98 S. 129-133; Ruth, H in der Verbandszeitung des BdB 12/99

11 § 1901 Abs. 3 BGB

12 Fratzky, Y. in: BtPrax 6/00 S. 239-241

Excerpt out of 27 pages

Details

Title
Anspruch und Realität des Betreuungsrechts unter der besonderen Berücksichtigung der eigenen Praxis
College
University of Applied Sciences Fulda
Course
Schüler der Externenprüfung
Grade
sehr gut
Author
Year
2001
Pages
27
Catalog Number
V101645
ISBN (eBook)
9783640000586
ISBN (Book)
9783640849390
File size
415 KB
Language
German
Keywords
Anspruch, Realität, Betreuungsrechts, Berücksichtigung, Praxis, Schüler, Externenprüfung
Quote paper
Rolf Braune (Author), 2001, Anspruch und Realität des Betreuungsrechts unter der besonderen Berücksichtigung der eigenen Praxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101645

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