Die Selbst- und Fremdbestimmtheit im Iwein

Inwieweit handelt Iwein selbstbestimmt?


Hausarbeit, 2021

12 Seiten, Note: 1,0

Melina Boll (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Iweins Weg zu „s^lde und ere“
2.1 Die initiale Bewährung
2.3 Die Krise
2.4 Die Rehabilitierung
2.5 Textstellen im Vergleich
2.5.1 Geheimhaltung der Pläne
2.5.2 Eigenleistung versus Hilfe im außen
2.5.3 „Geben und Nehmen“-Motiv

3. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Swer an rehte guete
wendet sin gemuete
dem volget s&lde und ëre
.1

Ruhm und Ehre - das sind Qualitäten, die ein erfolgreicher Ritter vorzuweisen weiß. Aber noch viel wichtiger wird es, diese Qualitäten nicht zu verlieren. Iweins Weg zu „s^lde und ere“ (V. 3) erweist sich als einen hügeligen Pfad, der von Höhen und Tiefen begleitet wird. Der Ritter aus dem gleichnamigen Artusroman Hartmanns von Aue aus dem Jahre 1200 stürzt sich in ein Abenteuer, erwirbt sich eine Frau und Land, aber durch einen Fehler verliert er alles, was er hat. Iwein wird wahnsinnnig, doch er kann sich erholen und erkämpft sich als Löwenritter alles zurück. Zunehmend ändert sich die Dynamik, in der er gibt und nimmt. Durch seine zahlreichen Âventiuren erfährt die Figur des Iweins eine Entwicklung, die vor allem die Aspekte der Selbst- und Fremdbestimmtheit seines Handelns ins Licht rückt, die in dieser Hausarbeit genauer analysiert werden. Inwieweit handelt er aktiv und selbstbestimmt und in welchen Situationen findet nur ein passives Geschehenlassen statt?

Um dieser Frage näherzukommen, werden drei Textstellen hinsichtlich der Aspekte der Selbst- und Fremdbestimmtheit und damit verbunden die der Eigenleistung Iweins und die Hilfe von außen analysiert. Die erste Textstelle (V. 803-1690) nimmt sich seiner initialen Bewährung an, in der die anfängliche Figur des Iweins charakterisiert wird und wie er seine erste Âventiure bestreitet. Iweins Episode des Wahnsinns und der geistigen Verwirrung wird von der zweiten Textstelle behandelt (V. 3102-3694), in der er sich selbst ausgeliefert ist, gefangen in seinen Emotionen. Die dritte Textstelle (V. 7781-8138) zeigt, inwieweit Iweins Lernerfolg vorangeschritten ist und ob er aus vergangenen Fehlern gelernt hat. Anschließend werden die gesammelten Erkenntnisse unter den drei hervorstechenden Aspekten der Geheimhaltung seiner Pläne, der Eigenleistung versus Hilfe von außen und des Motivs des „Gebens und Nehmens“ genauer beleuchtet. Zuletzt rundet ein Fazit das Thema ab und es werden weitere Forschungsanstöße gegeben.

2. Iweins Weg zu „s^lde und ere“

2.1 Die initiale Bewährung

Die Geschichte über eine Niederlage, die Iweins Cousin Kalogreant selbst erfahren hat, verleitet den jungen Ritter dazu, dieses Abenteuer selbst zu bestreiten. Dazu muss er den Brunnen aufsuchen, um für seinen Verwandten Rache zu üben. Die Textstelle, die an Kalogreants Erzählung anschließt, macht die anfängliche Eigeninitiative Iweins deutlich, und wie er mit Hilfe von außen seinem Ziel näherkommt. Sie beginnt mit der lauten Verkündung Iweins, dass er vorhabe, das Brunnenabenteuer zu wiederholen (vgl. V. 803­809). Die Beweggründe der Verwandtschaft („kunneschaft“ (V. 804)) und des Racheübens („ez richet von rehte min hant“ (V. 806)) motivieren Iwein zu seiner Entscheidung, die von ihm selbst getroffen wird. So wird die Initialâventiure durch ihn eingeleitet und von ihm selbst beschlossen. Hier kann man von einer Eigenleistung Iweins sprechen, weil er die Initiative ergreift und sich eigenständig zu seinem Vorhaben entschließt, ohne einen Rat von außen einzuholen.

Die Bereitschaft, sich in ein Abenteuer zu stürzen, wird von dem Ritter Keie zunächst kritisiert, denn er meint, Iwein habe nur zu viel getrunken und er solle lieber darüber schlafen (vgl. V. 815-828). Über diese Kritik lacht Iwein und meint, es interessiere ihn nicht, was Keie über ihn denke. Er erkennt, dass man etwas an seinem geringen Erfahrungsschatz und an seiner impulsiven Art auszusetzen haben könne: „ich weiz wol, daz er richet / an mir min ungewizzenheit; / im ist min unfuoge leit“ (V. 858-860), aber sodass kein Streit ausbreche, nehme er Keies Aussage hin (vgl. V. 855-878). Diese Auseinandersetzung zeigt, dass Iwein zumindest äußerlich zu sich selbst stehen kann, sich treu bleibt und selbstbestimmt agiert, aber dass er auch trotz seiner mangelnden Erfahrung sich nicht geringschätzig behandeln lässt (vgl. V. 865-870). Auch als der König von Kalogreants Missgeschick erfährt, ordnet er an, in 14 Tagen mit seinem Heer das Brunnenabenteuer zu bestreiten (vgl. V. 898-903). Anders als die anderen ist Iwein nicht über diese Nachricht erfreut, denn für ihn hat das Kämpfen höchste Priorität: wenn er nicht allein gehen würde, erhielte er nicht die Chance sich zu behaupten, weil Gawein, ein starker Ritter, den Kampf ausführen dürfte (vgl. V. 908-919). So beschließt Iwein eigenständig und heimlich, das Abenteuer in drei Tagen zu bestreiten (vgl. V. 920-924). Iwein setzt sich ein Zeitlimit, das er seiner Ehre wegen einhalten muss, und somit werden Ehre und Zeit miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung kann ihn in eine Zeitnot drängen und schwere Konsequenzen mit sich bringen, wie man an den Folgen der verlaufenen Frist mit Laudine noch sehen wird.

Die große Bedeutung des Abenteuers für Iwein wird dadurch offensichtlich, dass er einem Knappen von seinem Plan erzählt und bei einem Verstoß der Geheimhaltung sogar mit dem Ende der Freundschaft droht: „zwâre ob düz iemen sagest, / so ist iemer mer gescheiden / diu friuntschaft under uns beiden“ (V. 960-962). In diesem Fall muss er sein Vorhaben teilen, weil er Hilfe von außen für seine Ausrüstung, wie „sin ros und sin ysengewant“ (V. 965), benötigt. Nur dadurch kommt er seinem selbstgesetzten Ziel näher, was ohne äußere Hilfe schwierig werden würde. Auch hier behält er die Situation unter Kontrolle und agiert selbstbestimmt, ohne dass jemand etwas davon weiß: „desn wirt nü niemen zuo gedâht, / unz ichz hân vol brâht“ (V. 941f.).

Iwein begibt sich auf den Weg und nimmt auf vielerlei Weise Hilfe von außen in Anspruch, um seinem Ziel näherzukommen: Er folgt dem vorgezeichneten Weg, den Kalogreant beschrieben hat, und wird auch von einem Gastgeber bewirtet und verpflegt (vgl. V. 967-978). Schließlich weist ihm der Waldmann den Weg zu dem Brunnen: „der bewist in des er suochte“ (V. 988). Dadurch gelangt er zu seinem Ziel, dem Brunnen, als er, wie Kalogreant, den Stein begießt und damit das Unwetter auslöst (vgl. V. 992-998). Nach dem Abklingen des Sturms fordert der „waldes herre“ (V. 1001) ihn zum Kampf auf, wobei Iwein durch Kalogreant bereits weiß, dass er sich wehren müsse und auf keine andere Weise den Kampf verweigern könne (vgl. V. 1002-1007). Somit hat Iwein schon im Voraus einige Vorteile durch die Beschreibungen Kalogreants. Bis hierher wiederholt Iwein das Abenteuer von Kalogreant, aber nun ändern sich die Geschichten der beiden Ritter, denn anders als Kalogreant geht Iwein als Sieger hervor: „unz daz der gast dem wirte sluoc / durch den helm einen slac / zetal unz dâ daz leben lac“ (V. 1048-1050), was allerdings nicht durch eine Hilfe von außen zu beschreiben ist: in dieser Kampfsituation sind sie ausschließlich allein: „si wären dâ beide / und ouch niemen me“ (V. 1032f.). Iwein hat durch seinen eigenen Verdienst seinen Cousin gerächt, es geschafft, den Burgherren zu besiegen und hat damit das Brunnenabenteuer erfolgreich bestanden. Nun wird wieder die Außenwelt miteinbezogen, denn der Ritter weiß, dass er einen Beweis für seinen Triumph benötigt, denn ansonsten hat er mit Verspottung von Keie zu rechnen (vgl. V. 1062-1066). Seine Motivation, dem flüchtenden Burgherrn nachzujagen, liegt in der Anerkennung von außen, denn er macht es nicht, um sich selbst etwas zu beweisen, da seine Gedankengänge darauf hinweisen, dass seine Ehre an den Blick der anderen gekoppelt ist: „wand â ne was der liute niht: / so spreche er im an sin ere“ (V. 1070f.).

Auf der Jagd nach dem Burgherrn verliert er durch ein Fallgatter sein Pferd (vgl. V. 1072­1117), und er kommt nur knapp mit dem Leben davon: „er genas als ein s^lech man“ (V. 1118). Dass er dieses Risiko in Kauf nimmt, zeigt den hohen Stellenwert, den die Ehre bei ihm genießt. Dies erkennt man aber auch daran, dass Iwein in seiner Gefangenschaft hauptsächlich das Entkommen des Gegners bekümmert, da es an seine Ehre geknüpft ist (vgl. V. 1130-1134). Diese Handlung der Jagd des Burgherrn führt er selbstbestimmt aus, jedoch auch unter Zeitdruck und unter Zwang, sodass er den Verlust seiner Mobilität erleidet, der nur durch Hilfe von außen wieder ausgeglichen werden kann.

Gerade als er sich überlegt, wie er aus dieser misslichen Lage entkommen kann, erscheint Lunete, „eine nterliche magt“ (V.1153), die Zofe der Herrin Laudine, die ihm hilft, da er ihr vor langer Zeit höflich und freundlich auf dem Artushof begegnet ist. Sie nimmt sich ihm an, hilft ihm, kümmert sich um ihm und schenkt ihm einen Ring, der unsichtbar mache (vgl. V. 1178-1223). Lunete übernimmt die Führung und weist ihm an, was er zu tun habe und nur durch den Ring von ihr wird Iwein nicht erwischt: „tuot alsus und sit genesn“ (V. 1253). Sie rettet ihn aus seiner Bedrängnis und rettet dadurch sein Leben (vgl. V. 1294-1300). Durch Lunete kommt auch ihre Herrin Laudine dazu, in die er sich sofort verliebt. Iwein erblickt sie gerade an ihrem Tiefpunkt, weil sie ihren toten Ehemann betrauert, was ihn selbst schmerzt (vgl. V. 1340-1354). Durch die Verbundenheit mit Laudine ändert sich sein Ziel, denn die Liebe beeinflusst seinen Verstand: Jetzt möchte er die Herrin erobern. Auch dieses Vorhaben hält er geheim, und er lässt sich etwas einfallen, um ihr näher zu sein. Die Liebe verführt ihn zu impulsiven Handlungen, die Lunete unterbinden muss, sodass die anderen Burgbewohner ihn nicht zu fassen bekommen (vgl. V. 1493-1518). In dieser fremdbestimmten Situation, ausgelöst durch seinen vernebelten Verstand: „daz im ir minne / vercherten die sinne“ (V. 1335f.), hängt sein Leben von Lunete ab, die ihm helfen und auch beschützen muss.

Iwein hat die Lage nicht mehr unter Kontrolle und kann sich nicht gegen seine Gefühle auflehnen. Ihn besorgt, dass er keine Beweise für seinen Erfolg vorlegen könne und er denkt an die Folgen mit dem spottenden Keie (vgl. V. 1519-1535). Jedoch übernimmt die Sorge der Liebe die Oberhand, weshalb er nicht bei klarem Verstand bleiben kann: si bestuont in mit uberkraft, / und twanch in des ir meisterschaft, / daz er herceminne / truoc siner viendinne, / diu im zem töde was gehaz“ (V. 1539-1543).

Als Iwein den Mut schon verliert und sich alle Chancen ausredet, wendet er sich aktiv an Lunete, die in die Rolle der Mittlerin schlüpft. Damit sucht Iwein sich aktiv Hilfe im außen, da er durch die fremdbestimmte Situation keine Kontrolle mehr hat, vor allem über seine den Verstand vernebelnden Gefühle der Liebe (vgl. V. 1606-1653). Entweder wolle er Laudine sein Leben und sich selbst hingeben oder andernfalls sei er verloren: „wan ich bin anders verlorn“ (V. 1653).

Die Fremdbestimmtheit der Situation wird dadurch besonders deutlich, dass die Liebe nicht seine Entscheidung ist: „daz ich ze friunde hân erchorn / mine tötviendinne, / daz ist niht von minem sinne“ (V. 1654-1656). Er macht ihr „gebot“ (V. 1657) dafür verantwortlich und ist nun auf Hilfe angewiesen, so solle er sie nicht ohne Hilfe im Stich lassen (vgl. V. 1658f.). Dass Iwein seine Gedanken so genau expliziert, zeigt, dass er sich seiner Position bewusst ist, in der er keine Selbstbestimmung hat und in der er in diesem Zustand allein nichts ausrichten kann.

2.3 Die Krise

So agiert Lunete als Mittlerin zwischen Iwein und Laudine, die sich schließlich auch verbinden. Somit verläuft auch die Eroberung Laudines erfolgreich. Nachdem Iwein auf ein Jahr Ritterturnier mit seinem Freund Gawein ausreist, er aber die Frist überschreitet, knüpft die nächste Textstelle an, die deutlich macht, wie die beendete Verbindung zu Laudine Iwein in den Wahnsinn treibt und auf welche Weise er sich wieder erholt.

Gerade Lunete, die Iwein und Laudine verbunden hat, entzweit sie wieder, indem sie bei der Tafelrunde vom König Artus erscheint und die Scheidung verkündet. Iwein sei ein Verräter und man solle ihn hassen, denn er habe Treue versprochen, aber Verrat ausgelöst. Zudem meint sie, er rede anders, als er handele und sie sehe ihn auch in der Schuld. Lunete beschuldigt ihn als unzuverlässig und nimmt ihm die Ehre vor allen Rittern der Tafelrunde, denn niemand solle mehr etwas mit ihm zu tun haben (vgl. V. 3102-3196). Nach all diesen Vorwürfen empfindet Iwein tiefen Schmerz: „dö wart sin riuwe als gröz“ (V. 3231), aber auch Scham und Reue, welche allerdings zu spät eintreten, um das Geschehene wieder rückgängig machen zu können. Von Lunete kann er keinen Trost mehr erwarten, da sie jetzt nicht mehr als Helferin und Mittlerin agiert. All das löst eine Vernebelung seines Verstandes aus (vgl. V. 3201-3215). Ähnlich aufgebracht wie Laudine, als sie ihren Ehemann verloren hat, reißt er sich die Kleider vom Leib, was den Mangel an Anstand und Selbstbeherrschung unterstreicht, ausgelöst durch seinen Wahn, und verschwindet in der Wildnis, abseits der Gesellschaft (vgl. V. 3231-3238). Was Iwein nicht weiß, ist, dass er nicht allein gewesen wäre, denn der König hätte ihn trösten wollen. Er fungiert „baz geselle danne herre“ (V. 888), aber trotz einer Suche, finden sie Iwein nicht (vgl. V. 3239-3248).

[...]


1 Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. und übers. von Rüdiger Krohn, komm. von Mireille Schnyder, Stuttgart 2012, V. 3. Alle weiteren Versangaben beziehen sich auf diese Literaturangabe.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Selbst- und Fremdbestimmtheit im Iwein
Untertitel
Inwieweit handelt Iwein selbstbestimmt?
Hochschule
Universität Konstanz
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1021801
ISBN (eBook)
9783346419484
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbst-, fremdbestimmtheit, iwein, inwieweit
Arbeit zitieren
Melina Boll (Autor:in), 2021, Die Selbst- und Fremdbestimmtheit im Iwein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1021801

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