Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung:
2. Allgemeine Sprachauffassung Wittgensteins:
3. Allgemeine Sprachauffassung Saussures
4. Sprache als Spiel in den PU von Wittgenstein
5. Sprache als Spiel bei Saussure
6. Zusammenfassung/Fazit
7. Literaturverzeichnis:
1. Einleitung:
Ludwig Wittgenstein (geboren am 26. April 1889 in Wien) gilt als einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts und lieferte unter anderem bedeutende Werke zur Philosophie der Sprache. Seine beiden Hauptwerke zum Thema Sprache sind der Tractatus logico-philosophicus (1921) und die Philosophischen Untersuchungen (1953). Während Wittgenstein im Tractatus noch eine Form des Sprachrationalismus vertritt und dabei eine Theorie für eine ideale Wissenschaftssprache aufzustellen versucht, geht er in den Philosophischen Untersuchungen (PU) zu einer Betrachtung der Alltags- und Umgangssprache über.1
Ferdinand de Saussure (geboren am 26. November 1857 in Genf) gilt als Begründer der modernen Sprachwissenschaft und des Strukturalismus, sowie der Semiotik. Im Cours de linguistique générale von 1916 (zu Deutsch Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft) entwickelt Saussure eine allgemeine Theorie der Sprache als Zeichensystem.2
In der folgenden Seminararbeit sollen die beiden Werke, Philosophische Untersuchungen von Wittgenstein und Cours de linguistique générale von Saussure, bezüglich der Darstellung der Sprache durch ihre jeweilige Analogie zum Spiel verglichen werden. Mit Hilfe dieser Spiel-Metapher beleuchten der Philosoph und der Linguist ihre jeweilige Auffassung von Sprache. Während Saussure das System der Sprache untersucht und auf das Spiel, vor allem das Schachspiel, als erklärende Metapher verweist (vgl. Saussure, S. 95), betrachtet Wittgenstein sein ganzes Werk über sogenannte „Sprachspiele“ (PU §7). Inwiefern die Vergleiche genutzt werden, um die jeweilige Ansicht dessen darzustellen, was Sprache bedeutet, wird im Hauptteil der Arbeit aufgezeigt. Ein wichtiger Unterschied, der dem Verständnis des folgenden Hauptteils dient, ist die unterschiedliche Absicht der Beiden. Wittgenstein betrachtet das Thema aus einem philosophischen Blickwinkel und möchte keine Theorie erstellen. Sein Ziel ist die Beschreibung der Sprache in ihrem alltäglichen Gebrauch. Dies beweisen die PU §109: „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“3 Saussure, als Linguist, stellt eine allgemeine Theorie der Sprache im Sinne eines Zeichensystems auf, die als Semiotik bezeichnet wurde. So ist die Methode, mit der Wittgenstein und Saussure vorgehen grundsätzlich verschieden.
2. Allgemeine Sprachauffassung Wittgensteins:
In einem ersten Schritt soll zunächst die Sprachauffassung Wittgensteins genauer betrachtet werden. Dabei wird auf verschiedene Unterpunkte eingegangen. Im zweiten Schritt wird die Sprachauffassung Saussures untersucht und mit der von Wittgenstein verglichen.
2.1 Sprachspiele:
Im ersten Paragraphen der PU stellt Wittgenstein eine Sprachtheorie vor, die später als „Gegenstandstheorie“4 bezeichnet wurde. Diese wird so genannt, da sie die Theorie aufstellt, dass jedes Wort einen Gegenstand bezeichnet. Wittgenstein erklärt diese Auffassung von Sprache selbst folgendermaßen: „Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände - Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen.“ (PU §1)Im dritten Paragraphen zeigt Wittgenstein allerdings, dass dieses Modell zwar nicht falsch, jedoch nicht ausreichend ist. Er schreibt, dass das Modell nur für ein eng umschriebenes Gebiet brauchbar ist, aber nicht für die gesamte Sprache. (vgl. PU §3) Das Benennen von Gegenständen ist nur „eine Teilfunktion des entwickelten Sprachgebrauchs.“5 Es dient vor allem dem Erlernen der Sprache.
2.2 Sprachgemeinschaft und Anwendungskontext:
Um die Sprachverwendung im Gesamten darzustellen und trotzdem einen Überblick über die komplexen Anwendungsmöglichkeiten zu behalten, stellt Wittgenstein in den PU Mikromodelle dar, „in denen man den Zweck und das Funktionieren der Wörter klar übersehen kann.“ (PU §5) Diese simple Art der Sprachverwendung vergleicht er mit der eines Kindes, das sprechen lernt. Das Erlernen der Muttersprache wird mit dem von ihm eingeführten Terminus „Sprachspiel“ (PU §7) beschrieben. Der Begriff des Sprachspieles ist allerdings noch weiter gefasst. Er umfasst die Sprache im Gesamten und die Tätigkeiten, die mit ihr verbunden werden. (Vgl. PU §7) Im gesamten Werk der PU wird der Begriff der Sprachspiele im Sinne von Sprache allgemein genutzt, aber auch um einzelne Beispiele von alltäglichem Sprachgebrauch zu beschreiben. Wittgenstein stellt sich damit laut Kellerwessel in die Tradition der „ordinary language philosophy“6.
Wenn man sich das Anwendungsbeispiel aus den PU §2 anschaut, kann man nach Brose folgende Komponenten für Sprachspiele allgemein festlegen: Reine Sprachelemente, wie die Bezeichnungen für Gegenstände, Sprechpartner und eine Sprechsituation im Sinne eines Kontextes, in den die Unterhaltung eingebettet ist.7 Diese Form ist die Grundform für alle Arten von Sprachspielen und der Sprachanwendung im Allgemeinen. Das Wort „Sprechpartner“8 impliziert mindestens zwei Teilnehmer, die am Gespräch teilhaben. Nach Lutz ist diesen Komponenten noch hinzuzufügen, dass die Sprachspiele eine „Komplexitätsreduktion“9 enthalten und der Inhalt „klar umrissen und transparent“10 ist. Durch die Beschreibung der Sprache durch simple Beispiele wie dies des Bauenden und seines Gehilfen in §2 oder auch durch das Beispiel des Einkaufs in §5 entwirft Wittgenstein ein Modell, das in simpler Weise alle Komponenten enthält und so Basis für komplexere Sprachverwendung sein kann. Es zeigt zudem die Vielfältigkeit in der Verwendung der Sprache. Wichtig bei allen Sprachbeispielen ist, dass sie in einem situativen Kontext stattfinden und einen „Verwendungszweck“11 haben. Sie können nicht außerhalb dieses Rahmens angewendet werden, weil sie sonst unverständlich werden können und damit bedeutungslos würden. Dies bestätigt Savigny, indem er schreibt, dass Worte oder Regeln nur dann einen Inhalt haben, wenn es eine „Übereinstimmung in der zugehörigen Praxis gibt.“12
2.3 Die Bedeutung der Worte
Ganz kurz gefasst kann gesagt werden, dass sich die Bedeutung der Worte bei Wittgenstein mit dem Gebrauch der Worte überschneidet. (Vgl. PU §43) Von Savigny bestätigt, „[...] daß man in vielen – nichtallen – Fällen, wo von der Bedeutung eines Wortes die Rede sei, statt dessen vom Gebrauch des Wortes in der Sprache reden könne.“13 Der Gebrauch eines Wortes kann je nach Kontext variieren und muss daher geregelt werden. Solche Regeln sind Teil der Sprachspiele und müssen von allen Sprechern einer Sprachgemeinschaft genutzt werden, damit Gespräche zwischen ihnen verständlich bleiben. Nach Harras geben diese aber auch Auskunft „über die sozialen Praktiken einer Sprachgemeinschaft“.14 Ein bestehendes Problem, das zu falscher Nutzung dieser Regeln und dadurch auch zu einer Fehldeutung der Worte führen kann, ist nach Wittgenstein die Unübersichtlichkeit unserer Grammatik. (Vgl. PU §122) Dadurch verlieren wir die Fähigkeit den Gebrauch der Worte zu überblicken und es kommt zu Missverständnissen zwischen den Sprechern.
3. Allgemeine Sprachauffassung Saussures
Im nächsten Schritt wird Saussures Auffassung von Sprache dargestellt und mit der von Wittgenstein verglichen.
3.1 Sprache als System
Saussure beginnt bei seiner Auffassung von Sprache, ähnlich wie Wittgenstein, mit einer als nicht ausreichend deklarierten Ansicht von Sprache. Diese ist wesentlich weniger ausführlich dargestellt wie das Augustinische Sprachmodell bei Wittgenstein. Es heißt hier bei Saussure, dass Sprache nicht als „eine Nomenklatur, d.h. eine Liste von Termini, die ebenso vielen Dingen entsprechen“ (Saussure, S. 167), gesehen werden kann. Eine solche Zuweisung erscheint Saussure als zu simpel, wenn auch nicht als grundsätzlich falsch. Dies ist auch bei Wittgensteins Darstellung der Gegenstandstheorie der Fall. Er zieht das Augustinische Sprachmodell nicht heran, um es als falsch zu deklarieren, sondern lediglich, um zu zeigen, dass es nicht ausreichend sein kann.
Sprache wird von Saussure folgendermaßen definiert: Sie hat eine individuelle und eine soziale Seite. Sie ist ein „etabliertes System“ (Saussure, S. 73) und zugleich eine „aktuelle Institution“ (ebd). Saussure stellt auf der einen Seite ein festes Sprachsystem dar, das virtuell immer vollständig gegeben ist und eine soziale Seite durch die Sprachgemeinschaft aufweist, die es anwendet. Dieses Sprachsystem umfasst die Gepflogenheiten der Sprachgemeinschaft, die das Individuum kennen muss, um sich mit seiner Rede verständlich zu machen.Auf der anderen Seite gibt es die Rede, die der konkret verwendeten Sprache entspricht und die somit eine individuelle Seite aufweist. Sprachsystem und Rede bedingen sich hierbei gegenseitig, denn erst durch die Sprachpraxis bilden sich Gewohnheiten der Sprecher heraus. (Vgl. ebd. S. 89)Saussure befasst sich in seinem Cours de linguistique générale vor allem mit dem Sprachsystem (vgl. ebd. S. 91), während sich Wittgenstein mit der Anwendung der Sprache in konkreten, alltäglichen Situationen befasst und kein festes System darzustellen versucht. Er unterscheidet nicht zwischen Sprachsystem und der Anwendung der Sprache.
Das System ergibt sich bei Wittgenstein aus dem Gebrauch der Sprache und kann ohne diesen nicht erfasst werden.
Das wird deutlich in dem von
Saussure erklärt hingegen das Sprachsystem zur Bezugsgröße aller Erscheinungsformen der Sprache. (Vgl. Saussure, S. 73)
3.2 Sprachgemeinschaft und Anwendungskontext:
Sprache kann bei Saussure, wie auch bei Wittgenstein, nicht ohne eine „sprechende Masse“ (Saussure, S. 187) existieren. Sie kann nur innerhalb sozialer Begebenheiten bestehen. Uhlenbeck schreibt, „unter Berufung auf de Saussure“, dass Sprache als soziales Konstrukt gesehen werden muss und „im kommunikativen Sprachgebrauch […] der Schlüssel zum Begreifen aller Sprachaspekte“15 liegt. Insofern ist Sprache bei Saussure von einer Sprachgemeinschaft und der Zeit dieser Gemeinschaft abhängig. Die zeitliche Komponente unterteilt er in eine diachronische und eine synchronische Perspektive. Die diachronische Sicht untersucht die Entwicklungen der Sprache, während die synchronische den aktuellen Stand der Sprache untersucht. (Vgl. ebd. S. 193) Da bei Wittgenstein der aktuelle Verwendungskontext die Bedeutung der Sprache ausmacht, soll sich auch bei Saussure auf die synchronische Untersuchung beschränkt werden. Saussure sieht diese ohnehin als die wichtigere an. Er schreibt: „Es ist offensichtlich, das der synchronische Aspekt dem andern übergeordnet ist, denn für die Masse der Sprecher stellt er die wahre und einzige Realität dar.“ (Ebd. S. 207) Saussure unterscheidet somit zwischen Sprachsystem und Rede und zwischen Synchronie und Diachronie, wobei letztere in dieser Arbeit außer Acht gelassen wird.
3.3 Die Bedeutung der Worte - Semiotik
Saussure zieht aus seinen Vorüberlegungen den Schluss, dass es bei Sprache um die „Inbezugsetzung von zwei Elementen“ (Saussure, S. 167) geht. Diese beiden Elemente sind hierbei das Konzept und das Lautbild. (Vgl. ebd. S. 169) Diese bedingen sich gegenseitig und ihre Verbindung nennt man Zeichen. Saussure schlägt für die Worte „Konzept“ und „Lautbild“ neue Bezeichnungen vor. Er möchte „Konzept und16 Lautbild durch Signifikat (signifié) bzw. Signifikant (signifiant) ersetzen.“ (Ebd. S. 171) Die Zeichen, die aus Signifikant und Signifikat bestehen, werden von Saussure „die konkreten Entitäten der Sprache“ (ebd. S. 229) genannt. Diese sind nur in der Verbindung aus Signifikant und Signifikat vollständig. Eines der beiden Elemente allein ist noch nicht bedeutungsvoll. (Vgl. ebd.)
Das so von Saussure definierte Zeichen hat ein wichtiges Charakteristikum: Die Arbitrarität. Diese besagt, dass die Verbindung zwischen Signifikat und Signifikant willkürlich ist. Arbiträr bedeutet für Saussure nicht, dass ein Signifikant von einem Individuum frei gewählt werden kann. Dies ist nicht möglich, wenn sich ein Zeichen in einer Sprachgemeinschaft etabliert hat. (Vgl. ebd. S. 171)
Saussure beschreibt das Zeichen als durch die Sprachgemeinschaft aufgezwungen, die es verwendet. (Vgl. ebd. S. 175) Der Signifikant, den die Sprachgemeinschaft verwendet, um einen Signifikaten zu bezeichnen, ist festgelegt und kann nicht durch einen anderen ersetzt werden. Insofern ist die Masse der Sprecher der „Sprache unterworfen so wie sie ist.“ (Saussure, S. 175) Saussure vergleicht die Sprache mit einem Gesetz, dass von einer Gemeinschaft erduldet wird, dem aber nicht freiwillig zugestimmt wurde. (Vgl. ebd. S. 177) Hierin schwebt eine negative Konnotation mit und es wird ein normativer Charakter der Sprache unterstellt. Saussure sieht dies darin begründet, dass jede Gesellschaft die Sprache als „Erbe der vorhergehenden Generationen“ (ebd. S. 177) übernimmt. Weitere Gründe für die Unveränderlichkeit der Sprache sieht er darin, dass die Sprecher zu wenig Einblick und Kenntnis in die Gesetze der Sprache haben. Ohne sich diesen bewusst zu sein, kann die Sprache nicht gezielt verändert werden. (Vgl. ebd. S. 179) Dies wurde im vorherigen Abschnitt auch bei Wittgenstein festgestellt. Er beschreibt eine Unü
4. Sprache als Spiel in den PU von Wittgenstein
Im Hauptteil der Arbeit soll nun die Darstellung der Sprache durch eine Analogie zum Spiel betrachtet werden. Begonnen wird mit Wittgensteins Darstellung der Sprache.
4.1 Die „Gegenstandstheorie“
In §3 beschreibt Wittgenstein das Augustinische Sprachmodell, das er zuvor schon in den Paragraphen 1 und 2 dargestellt hat, als bloßes „System der Verständigung“ (PU §3). Sprache ist jedoch mehr als nur Verständigung, wie auch Schroeder bestätigt: „Es geht ja nicht nur darum, dass jedes Wort für einen Gegenstand steht, sondern darum, dass […] eine Erklärung sprachlicher Bedeutung“17 gegeben werden soll. Insofern ist das Augustinische Sprachmodell für Wittgenstein zwar anwendbar, aber lediglich für diesen einen Teil der Sprache. Wittgenstein nutzt die Analogie des Spiels, um diese Feststellung zu verdeutlichen. In einer Dialogsituation lässt er die eine Person eine Definition des Wortes „Spiel“ formulieren: „>>Spielen besteht darin, daß man gewisse Dinge, gewissen Regeln gemäß, auf einer Fläche verschiebt.<<“ (PU §3) Diese Definition widerlegt er durch die Antwort eines kollektiven „Wir“ (PU §3), indem er diese Definition auf die Brettspiele einschränkt, da sich nur diese wie in der Definition beschrieben verhalten. Insofern wird das Augustinische Sprachmodell als nur teilweise brauchbar eingegrenzt.
Im den PU §31 nutzt Wittgenstein das Schachspiel, um genauer zu erläutern, warum das Augustinische Sprachmodell nicht uneingeschränkt haltbar ist. Es wird der Unterschied zwischen reinem Benennen und tatsächlicher Sprachanwendung gezeigt. Das bloße Benennen der Königsfigur des Schach mit dem Wort „König“ erklärt „nicht den Gebrauch dieser Figur“ (PU §31). Jemand der das Spiel und seine Regeln nicht kennt, kann aus dieser bloßen Benennung nichts folgern, da diese nur der Vorbereitung dient. Dies wird durch den §49 gestützt, in dem es heißt: „Das Benennen ist noch gar kein Zug im Sprachspiel, - so wenig, wie das Aufstellen einer Schachfigur ein Zug im Schachspiel.“ (PU §49) Dies unterstützt auch die Aussage Broses, dass der Benennungsvorgang vorbereitenden Charakter hat.18 Beginnend mit dem §562 unterscheidet Wittgenstein zwischen „wesentlichen und unwesentlichen Regeln“ (PU §564), wobei die unwesentlichen wiederum einer Vorbereitung gleichkommen, wie das oben genannte Benennen von Gegenständen. Das zeigt sich in den zwei verwendeten Spiel- Analogien. Die erste Analogie entnimmt er der Tatsache, dass im Damespiel die Dame durch zwei aufeinandergelegte Spielsteine gekennzeichnet ist. Dies ist für Wittgenstein für das Spiel nicht wesentlich, da es von Anfang an klar ist und keinen wirklichen Zug im Spiel beschreibt. Gleiches gilt für die zweite Analogie. Beim Schachspielen beginnt derjenige, der den weißen König zieht. Dies ist aber keine wesentliche Eigenschaft des Königs. Es dient nur der Vorbereitung des Spiels und gehört daher nicht zum „Charakter des Spiels“ (PU §568), da es keinen Zweck im Spielverlauf erfüllt. Die zwei Steine des Damespiels beispielsweise dienen lediglich dem Erkennen der Figur als Dame und daher dem Wissen, „wie man zu spielen hat.“ (PU §566) Es dient einer Vorbereitung auf eine folgende aktive Handlung.
Dies unterstützt eine Aussage Schroeders, dass „Sprachspiele“ hervorheben sollen, dass „Sprache eine Aktivität ist“19.
4.2 Die Mannigfaltigkeit der Spiele und deren Beschreibung
Das Spiel als Vergleich bietet sich für Wittgenstein an, da der Begriff „Spiel“ für ihn „so schwer definierbar“20 und eingrenzbar ist. Genau das zeigt sich auch in Wittgensteins „Sprachspielen“. Er gibt mit ihnen keine Theorie an, sondern beschreibt die Sprache. Seine Beispiele zeigen, dass es unzählige Anwendungsmöglichkeiten der Sprache gibt, die nicht eingrenzbar und daher auch nicht genau zu definieren sind. Nach Schulte hat Wittgenstein das „Kompositum 'Sprachspiel' gebildet, um anzudeuten, daß Sprachspiele - ebenso wie andere Arten von Spielen – Familienähnlichkeiten haben, ohne daß ihnen eine >wesentliche< Eigenschaft gemeinsam wäre.“21 Es genügte Wittgenstein zu zeigen, dass alle Spiele „eine gewisse Ähnlichkeit“22 haben, die berechtigt alle diese Spiele „Spiele“ zu nennen. Er beschreibt diese Art der Verwandtschaft weiterhin durch ein Fadenknäuel. Das Knäuel hält aufgrund vieler unterschiedlicher Fäden, die ineinander greifen, nicht aber, weil es von einem roten Faden durchzogen wird. In den PU heißt es: „Es läuft etwas durch den ganzen Faden, - nämlich das lückenlose Übergreifen dieser Fasern.“ (PU §67)
Die Verwandtschaft der Spiele dient als „Analoga für die 'mannigfaltigen' Erscheinungsformen der Sprache“.23 Die Vielfalt der Spiele wird in §66 gezeigt. Genannt werden „Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw.“ (PU §66)Nach Brose liegt die Ähnlichkeit der Sprachspiele in den synonymen „Gebrauchsformen der Sprache, deren Regeln und grammatischen Strukturen“24, sowie in ähnlichen Verhaltensweisen der Spieler undSituationen. Wie unterschiedlich die Funktionen von Sprache sein können wird in §23 aufgelistet. Anhand der insgesamt 15 aufgeführten Funktionen soll „die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele“ (PU §23) hervorgehoben werden.
Schroeder sieht den Zweck der Vielfalt darin, gegen den „Drang zur Vereinheitlichung“25 vorzugehen. Philosophische Theorien streben nach einheitlichen Prinzipien, was Wittgenstein durch seine Sprachspiele aufzuheben versucht. Der Paragraph 70 wirft dazu passend die Problematik auf, dass der Begriff „Spiel“ nicht klar definiert sei. Dazu heißt es in den PU: „Man kann sagen, der Begriff 'Spiel' ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern.“ (PU §71) Es wird hier durch die Gegenstandstheorie von Augustinus argumentiert. Das Wort „Spiel“ hat keinen genau umrissenen Gegenstand, den es beschreibt. Die daraus resultierende Frage ist, inwieweit ein Begriff definiert werden muss, damit er in der Verwendung funktioniert. Einen Lösungsansatz liefert Wittgenstein durch seine Überlegung, dass die Bedeutung sich erst im Gebrauch manifestiert. Manche Begriffe bleiben generisch, auch innerhalb bestimmter Sprachspiele, sodass sich ihre Bedeutung erst innerhalb des Spieles konkretisiert, in dem sie genutzt werden. Analog kann man das Wort „Spiel“ zwar nicht so leicht eingrenzen, wie der §71 beweist, allerdings ist dies auch nicht zwingend nötig. Um das Wort „Spiel“ zu verstehen braucht es keine eindeutigen Abgrenzungen. Es gibt Sprachspiele, in denen die Bedeutung eines Begriffes und die eindeutige Klarheit dieser Bedeutung Voraussetzung ist. Die Regeln des Sprachspiels sind dann begrenzt.Es gibt aber andere Sprachspiele, in denen die Bedeutung des Begriffes nicht abgeschlossen ist und nicht notwendigerweise abgeschlossen sein muss, damit das Sprachspiel funktioniert. Dies ist gerade beim Begriff „Spiel“ der Fall. In den PU heißt es dazu: „[...] es gibt ja auch keine Regeln dafür z.B., wie hoch man im Tennis den Ball werfen darf, oder wie stark, aber Tennis ist doch ein Spiel und es hat auch Regeln.“ (PU §68) Man kann das Spiel Tennis spielen, auch wenn nicht alle existierenden Optionen des Spiels durch Regeln eingegrenzt werden.
In §100 wird darauf genauer eingegangen. Ein Spiel wird „Spiel“ genannt, auch wenn es „eine Vagheit in den Regeln gibt.“ (PU §100). Das Ideal, das man sich vorstellt, verleitet dazu an der Bezeichnung zu zweifeln, da diese nicht hundertprozentig eindeutig ist. Diese Begebenheit kann auf die Sprache übertragen werden. Wittgenstein möchte keine ideale Sprache untersuchen, sondern die alltägliche Sprache in ihrer Verwendung mit all ihren Ungenauigkeiten. Dies bestätigen die PU §130: „Unsere klaren und einfachen Sprachspiele sind […] erste Annäherungen ohne Berücksichtigung der Reibung und des Luftwiderstands.“ (PU §130)
[...]
1 Vgl. Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 1989. S.10-56.
2 Vgl. De Saussure, Ferdinand: Cours de linguistique générale. Zweisprachige Ausgabe, französisch-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar von Peter Wunderli. Tübingen, 2013.
3 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main, 1971. S.79.
4 Von Savigny, Eike: Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen": ein Kommentar für Leser. - 1. Abschnitte 1 bis 315. Frankfurt am Main, 1989. S.33.
5 Brose, Karl: Sprachspiel und Kindersprache. Studien zu Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“. 1985. S.37.
6 Vgl. Kellerwessel, Wulf: Wittgensteins Sprachphilosophie in den „Philosophischen Untersuchungen“. Eine kommentierende Ersteinführung. Heusenstamm, 2009. S.294.
7 Vgl. Brose, S.21.
8 Ebd. S.21.
9 Lutz, Leonard Giusep: Die Sprachspiel-Methode in den Philosophischen Untersuchungen Ludwig Wittgensteins. 1991. S.144.
10 Ebd. S.144.
11 Brose, S.25.
12 De Savigny, S.255.
13 Ebd. S.88.
14 Harras, Gisela: Zur Auseinandersetzung Chomkys mit Kripkes Deutung der der Spätphilosophie Wittgensteins. In: Suchsland, Peter (Hrsg.): Biologische und soziale Grundlagen der Sprache. Interdisziplinäres Symposium des Wissenschaftsbereiches Germanistik der Friedich-Schiller-Universität Jena. Tübingen, 1992. S.96.
15 Uhlenbeck, Eugenius Marius: Taal en Taaalweenschap [Language and linguistics]. Leiden, 1976, S.17.
16 Wellmer, Albrecht: Verstehen und Interpretieren. In: Mit Sprache spielen. Die Ordnungen und das Offene nach Wittgenstein hg. von Kroß, Matthias und Schneider, Hans Julius. Berlin, 1999. S.55.
17 Schroeder, Severin: Wittgenstein lesen: ein Kommentar zu ausgewählten Passagen der „Philosophischen Untersuchungen“. Stuttgart, 2009. S. 62.
18 Brose, S.42.
19 Schroeder, Severin: Wittgenstein lesen: ein Kommentar zu ausgewählten Passagen der „Philosophischen Untersuchungen“. 2008. S.59.
20 Beerling, Reinier F.: Sprachspiele und Weltbilder. Reflexionen zu Wittgenstein. Freiburg, 1980. S.177.
21 Schulte, S.153.
22 Beerling, S.168.
23 Brose, S.75.
24 Ebd. S.77.
25 Schroeder, S.58.