Flamenco: Leid und Leidenschaft


Script, 2001

5 Pages


Excerpt


Flamenco: Leid und Leidenschaft

Flamenco und Stierkampf, das sind zwei Begriffe, die jeder Nicht-Spanier sofort mit Spanien assoziiert. Besonders in Reiseprospekten werden Flamencoshows (Tanzshows) angepriesen, in denen der Tourist den vermeintlich typischen Flamenco kennen lernen kann. Hierbei stellen sich jedoch mehrere reizvolle Fragen: Ist der als typische Tanz ausgewiesene Flamenco auch wirklich die „authentische“ Form des Flamenco, die aus ursprünglichen Werten wie Solidarität, Toleranz und Gemeinschaft sowie als Ausdruck des Widerstands entstanden ist? Welche kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte haben den Flamenco hervorgebracht? Und welche sozialen Phänomene beeinflussten und bedingten seinen vielfältigen Wandel?

Ein Blick auf die Geschichte und die Entwicklung des Flamencos kann vermehrt Aufschluss darüber geben.

Andalusien, das Ursprungsland des Flamenco, stand in seiner wechselhaften Geschichte unter der Herrschaft verschiedener Kulturkreise. Seit dem 8. Jh. (711 n.Chr.) unter islamischem Einfluss stehend wurde Andalusien 1492 von Kastilien erobert und gehört seitdem zu Spanien (1479: Spanien = Vereinigung der Kgr. Kastilien und Aragon). Dies war der Beginn der katholischen Herrschaft über Andalusien durch Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon.

Für die multikulturell geprägte Bevölkerung, die aus Juden, Muslime, Gypsies (ein Nomadenvolk aus Hindustan) und aus der christlichen Landbevölkerung Andalusiens bestand, begann mit der Eroberung Granadas im Jahre 1492 eine Zeit des Leidens, der Unterdrückung und der Verfolgung ihrer Kulturen. Viele flüchteten vor dem gemeinsamen Feind: der Inquisition. Im Flamenco vereinten sie die Verlustgefühle und das Trauma einer über Jahrhunderte dauernden Verfolgung.

Die von der spanischen Herrschaft Vertriebenen fanden gemeinsam Zuflucht in den Bergen des andalusischen Hinterlands. Während dieser langen Abgeschiedenheit entstanden die Grundformen des archaischen Flamencos, des cante jondo . Zu den bekanntesten Grundformen dieses ursprünglichen Flamenco gehören zum Beispiel ton á s, soleares, siguiriyas,

alegr í as und buler í as. In diesem exotischen „melting pot“ der ausgeschlossenen ethnischen Gruppen (Juden, Araber, Gypsies, Christen) wurde Schmerz und Freude geteilt. Der cante jondo (= tief-inniger Gesang) besteht aus a cappella gesungenen poetischen Texten, welche durch eine tragische Tiefgründigkeit charakterisiert sind. Die Inhalte der poetischen Texte basieren auf den Erlebnissen im Exil. Die Verfolgten konnten dadurch ihre mit Leid erfüllte Lebenserfahrung konkretisieren und reflektieren. Der cante jondo als orale Tradition wird bis heute als kulturelles Vermächtnis an die nächsten Generationen weitergegeben.

Nach 300 Jahre langer Unterdrückung fand der cante jondo seinen Weg in die Städte Andalusiens. Der cante jondo wurde im Jahre 1744 erstmals in der Literatur von CADALSO, einem spanischen Autor, in seinem Werk „Cartas Marruecas“ erwähnt. In den Städten Cadiz, Jerez de la Frontera und Triana (Stadtteil von Sevilla) wurden zwischen 1765 und 1860 die ersten Schulen gegründet. In dieser frühen Epoche des Flamenco bzw. cante jondo wurde auch die spanische Aristokratie auf den Flamenco aufmerksam. Der auf den Straßen gesungene cante jondo wurde in die Cafés gebracht, um die reichen Cafébesucher zu unterhalten. Die damalige „Upper Class“ der spanischen Gesellschaft ignorierte den Symbolgehalt des cante jondo und forderte einen romantisierten Flamenco. Ursprünglich war die Gitarre kein notwendiger Bestandteil der cante jondo Tradition, aber mit der Innovation der sechsten Saite auf der Gitarre im 17. Jahrhundert wurde sie zunehmend dafür benutzt, den Gesang in den Cafés zu begleiten. Zu dieser Zeit wurden auch die technischen Strukturen des für uns heute typischen Flamenco Tanzes heraus gearbeitet. Den wichtigsten Einfluss auf den Tanz hatten sicherlich die Gypsies, welche klassische Elemente aus dem indischen Tanz nach Spanien brachten, wie zum Beispiel den nordindischen Katak - Stil mit komplizierter Fußtechnik. Dieses Argument wird unterstützt durch die sich stark ähnelnden Handfiguren und das Erzeugen von Rhythmen mittels hochentwickelter Fußarbeit. Diese so erzeugten Rhythmen werden ergänzt durch Klatschen, Fingerschnipsen und andere Arten der Geräuscherzeugung mit Hilfe der Hände. Der Kastagnettentanz ist entgegen der landläufigen Meinung weder einheimisch noch einzigartig für Spanien. Die genaue Herkunft ist unbekannt. Der Gebrauch der

Flamencokastagnetten ist normalerweise reserviert für den eher andalusisch traditionellen Stil des heutigen Flamencotanzes wie zum Beispiel der Sevillana und der Fandango.

In der Zeit der cafe cantantes verlor der cante jondo seine ursprüngliche Bedeutung, die darin lag, soziale Missstände in der Gesellschaft und im Alltag aufzuzeigen. Die Struktur des cante jondo wurde daher vereinfacht, kategorisiert und dem Geschmack des zahlenden Publikums angepasst. Der cante jondo wurde unter dem Namen Flamenco in ganz Spanien verbreitet und avancierte so zu einem Etikett für spanische Kultur weltweit. Der Flamenco fand sogar Eingang in die Opernhäuser. Die „Opera Flamenca“ war eine in hohem Maße kommerzialisierte Form des Flamenco. Die Opera präsentierte den Flamenco, so wie die Massen ihn hören wollten als orchestrierten und vollkommen verweichlichten Kitsch- Flamenco. Die Zuschauer dieser Flamencovorstellungen verloren damit die Möglichkeit die sozialen Alltagsbeziehungen, in denen die Musik normalerweise eingebettet war, wahrzunehmen.

Der Komponist, MANUEL DE FALLA , und der Schriftsteller und Poet, FEDERICO GARCÍA LORCA, starteten den Versuchten am 13. und 14. Juni 1922 in der Alhambra von Granada die authentische Tradition des cante jondo wieder aufleben zu lassen und von dem kommerzialisierten Flamenco Abstand zu nehmen, indem sie einen Wettbewerb, concorso del cante, organisierten. Musik war für die Organisatoren des concorso del cante der Schlüssel zur Vergangenheit Spaniens. Die Organisatoren sahen im cante jondo den Ursprung des andalusischen Flamencos und den Ursprung der spanischen Identität.

Mit der Entwicklung des Konzepts der Folklore und der Wiederbelebung von Volkstraditionen im 19. Jahrhundert begann auch gleichzeitig die politische Unterdrückung des Proletariats durch die Kodifizierung seiner „authentischen“ Praktiken, in diesem Falle des Flamenco. Der Zweck einer solchen Standardisierung war der Erhalt und der Schutz der herrschenden Klassen vor der Bedrohung und dem Leid des Proletariats, indem die Herrschenden das Proletariat zunächst exotisierten und anschließend deren Kultur vereinnahmten.

Die erfolgreiche Wiederbelebung der cante jondo Tradition durch den concorso del cante bot idealen Nährboden für die kulturelle Unterdrückung durch das FRANCO Regime, indem der Ausdruck der kulturellen Authentizität des Flamenco von 1922, der als Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Simplifizierung des cante jondo verstanden wurde, zum „politischen Werkzeug“ umgewandelt und von FRANCOS isoliertem Spanien als Nationalsymbol missbraucht wurde.

Erst nach FRANCOS Tod (1975) fand wieder eine Zurückbesinnung auf die Ursprünge des Flamenco, sowie eine Suche nach dem authentischen Flamenco statt. Diesen Anliegen widmen sich heutzutage „Peña Clubs“- Vereine, in denen der Flamenco studiert und analysiert wird. Die Mitglieder der Peña Clubs, von denen es zunächst nur sechs in ganz Spanien gab und deren Zahl bis heute auf 87 angewachsen ist, sind vor allem flamencobegeisterte Einheimische, deren Mission es ist, die Flamenco Tradition aufrecht zu erhalten und das kulturelle Erbe zu bewahren. Peña Clubs konstruieren auf ihre eigene Art und Weise private Tradition unter Ausschluss der Öffentlichkeit, indem die Veranstaltungen dem Außenstehenden, sei er Tourist oder Nicht- Spanier, nicht zugänglich sind. Die Mitglieder bilden eine geschlossene Gemeinschaft, eine Familie und schaffen sich in den Clubs eine Atmosphäre der Intimität, in der der cante jondo, sowie der Flamencotanz und die Gitarrenmusik, gemeinsam ausgeführt werden kann. Die Teilnehmer sitzen in einem Kreis, der die Gleichheit als Modell der sozialen Struktur betont, in der jeder einzelne aktiv ist, was die Gruppensolidarität ermutigt.

Geld spielt nur eine nebensächliche Rolle, besonders für die dort auftretenden Künstler. Doch von dem Flamencoboom der letzten Jahre und den immer größer werdenden Flamencoshows, die weltweit Erfolge feiern, wollen auch die Künstler der Peña Clubs profitieren und kehren den Clubs den Rücken, um Geld zu verdienen.

Die kommerzialisierten Flamencoshows bieten den Zuschauern genau das, was sie sehen wollen. Der Tanz und die Tänzer mit ihren bunten Kostümen treten in den Vordergrund und verdrängen den canto jondo, hinzu kommt noch die Vermischung der Flamencomusik mit Rock, Jazz und elektronisch erzeugten Klängen, sowie die Verwendung von untypischen Flamencoinstrumenten wie Cello oder Trommeln, um den gewohnten modernen Hörempfindungen des Zuschauers zu entsprechen. Der Zuschauer selbst nimmt nur passiv durch Hören und Sehen an der Veranstaltung teil und kann im Gegensatz zu den eingeweihten Peña Mitgliedern nicht die tiefen Gefühle empfinden, die das Verständnis für den „authentischen“ Flamenco hervorrufen, der das Leid und die Leidenschaft vieler Generationen zum Inhalt hat. Der cante jondo muss dem Mainstream weichen. Durch die Kommerzialisierung verliert der Flamenco sowohl im Inland als auch im Ausland an Tiefe und Authentizität.

Weil im Flamenco die Probleme und Gefühle der jeweils lebenden Generationen zum Ausdruck kommen und in ihm verarbeitet werden, unterlag er im Verlauf seiner langen Geschichte immer wieder Veränderungen und dies wird sicher auch in Zukunft so sein.

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Details

Title
Flamenco: Leid und Leidenschaft
Author
Year
2001
Pages
5
Catalog Number
V102285
ISBN (eBook)
9783640006717
File size
334 KB
Language
German
Notes
Universitätsartikel
Keywords
Flamenco, Leid, Leidenschaft
Quote paper
Anna Pennino (Author), 2001, Flamenco: Leid und Leidenschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102285

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