Literatur- und Fachübersetzung. Ein Vergleich


Hausarbeit, 2021

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Der Literaturbegriff und seine Erscheinungsformen

Literatur und Kultur

Die Literaturübersetzung

Die Fachübersetzung

Übersetzungstheorien und -methoden

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herüber gebracht werde, dergestalt, dass wir ihn als den Unsrigen ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderung, dass wir uns zu dem Fremden hinüber begeben, und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen. Die Vorzüge von beiden sind durch musterhafte Beispiele allen gebildeten Menschen genugsam bekannt.“

- Johann Wolfgang von Goethe - (https://alexander-behrens.eu/ubersetzungsmaximen.php)

Was ist Literatur eigentlich? Ich beginne bewusst mit dem allgemeinem Begriff Literatur, denn er steht hierarchisch gesehen (als Dach) über den zu untersuchenden spezifischen Literatur- und Fachtexten, die in dieser HA im übersetzungstheoretischen Licht noch eingehend näher beleuchtet werden. Bereits bei dem Versuch diesen (breitgefächerten) Begriff zu definieren, zeigte sich, dass Literatur ein komplexer und schwer greifbarer Begriff ist. Man benützt ihn im Alltag eher unreflektiert in verschiedenen Situationen: Wenn ich in der Freizeit lese, sage ich nicht, dass ich „Literatur“ lese, sondern Bücher. Sobald ich jedoch – wie jetzt – für die Hausarbeit lese, spreche ich von Literatur. Warum eigentlich? Noch dichter wird der Wald, wenn der ebenfalls schwer einzugrenzende Begriff „Kultur“ hinzukommt. In Bezug auf die Übersetzungstätigkeit denkt man bei Literaturübersetzung an künstlerisch-ästhetische Texte, die sich von den Fachtexten abgrenzen. Wenn ich als Übersetzer Fachtexte übersetze, übersetze ich dann keine Literatur? Der Begriff Literatur ist also dehnbar und schillert in unterschiedlichen Farben, je nachdem in welchem Licht man ihn hält.

Der Literaturbegriff und seine Erscheinungsformen

Allgemeine Definition: Litteratura bedeutet im Lateinischen „Schrift, das Geschriebene“ und auch der Umgang damit, also Belesenheit und Schreibvermögen (vgl. Albrecht:1998, S. 162). Das Wort Literatur wurde bis in das 19. Jahrhundert hinein regulär für die Wissenschaften verwendet, d.h. es stand für Gelehrsamkeit und die Gesamtheit der veröffentlichten Schriften eines Fachgebietes. Ab dem 19. Jahrhundert fing man jedoch an, die Literatur vermehrt im Licht der Kunst zu betrachten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts konstituierte sich daher ein eigener Bereich der literarischen Kunstwerke. Diese Begriffserweiterung von den rein wissenschaftlichen hin zu den schönen Texten (belles lettres) erfolgte durch den Einfluss neuer Literaturzeitschriften und -geschichten sowie der Poesie. Wenn wir heute von Literatur sprechen, meinen wir zumeist Dichtung, d. h. Dramen, Gedichte, Romane, Erzählungen etc. (Belletristik) in Abgrenzung zu „nicht-literarischen Texten“ (Fachtexte). Hierzu möchte ich anmerken, dass die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „literarischen“ und „nicht-literarischen Texten“ zunächst irreführend wirkt, wenn man bedenkt, dass sowohl faktuale Texte, die der reinen Informationsvermittlung dienen, als auch fiktionale Texte der Literatur angehören. Hat das Adjektiv literarisch eine andere Denotation als das Substantiv Literatur ? Ein Blick ins DWDS gibt Klarheit. Zum Begriff „Literatur“ finden wir folgende 2 Bedeutungen:

1. Die Gesamtheit des Schrifttums einschließlich der Fachgebiete (medizinisch, technische Literatur) und 2. das gesamte Gebiet der Belletristik. (https://www.dwds.de/wb/Literatur#d-1-2) „Literarisch“ hingegen umfasst nur die Belletristik. (https://www.dwds.de/wb/literarisch) „Literatur ist also der Bereich aller mündlich1 oder schriftlich fixierten sprachlichen Zeugnisse.“ Im engeren Sinne kann dies Fachliteratur (nichtbelletristische Literatur) oder auch Kunstliteratur (Belletristik) sein.

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Literatur, https://www.br.de/alphalernen/faecher/deutsch/literarische-texte-literatur100.html

Wie eingangs erwähnt kann man Literatur nach dem Nutzen einteilen. Die Aufteilung geht zurück in die römische Antike: nützen/lehren (= prodesse) oder erfreuen (= delectare). Davon ausgehend haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Literaturarten gebildet. Die großen drei sind und . Die Letztgenannte dient der Unterhaltung mit dem geringsten literarischen Anspruch (Kitsch- und Schundliteratur). Die Differenzierung erfolgt also nicht nur rein inhaltlich und nach dem Nutzen, sondern vor allem in puncto Qualität. Hierbei steht die hoch angesehene Hochliteratur (wortwörtlich) ganz oben mit anspruchsvollen Werken u.a. von Lessing, Goethe und Schiller etc. Solche Werke sind kunstvoll gestaltet und haben inhaltlich bzw. formal-stilistisch Innovatives hervorgebracht und wurden folglich Teil des literarischen Kanons, weil ihnen eine normsetzende und zeitüberdauernde Stellung zugeschrieben wurde. Der Literaturbegriff verzweigt sich also in die verschiedensten Richtungen und je nach Bereich sprechen wir von hoher/niederer Literatur und von Primär-, Sekundär-, Forschungs- oder Unterhaltungsliteratur. Ferner gibt es verschiedene Literaturgattungen. In epischen Texten stellt der Autor die Figuren vor (z.B. Novelle, Roman). In lyrischen Texten lässt der Autor über eine bestimmte Sache seinen Gefühlen freien Lauf durch rhythmische Gestaltung der Sprache (Versform, Reim). Die Dramatik tritt meist in Bühnenform auf (z.B. Schauspiel, Film, Hörspiel, Komödie) und die Ballade vereint die vorgenannten Gattungen und erscheint daher in den verschiedensten Formen (Gedicht, Erzählung, Drama). Was die Kategorisierung in Belletristik und Fachliteratur angeht, sollten wir uns vor einem Schwarz-Weiß-Denken hüten. Es gibt Mischtypen, d. h. eine Schnittmenge, die Merkmale beider Arten zulässt. Eine bloße Einteilung in fiktionale und nicht-fiktionale Literatur reicht nicht. Fiktion kann auf Fakten fußen wie z. B. Romane, die auf wahre Begebenheit beruhen. Eine Konstante muss jedoch bei allen Literaturarten gegeben sein: Qualität, also der bewusste Umgang mit Sprache und der adäquate Einsatz von Sprach-/Stilmitteln. Nicht alles Geschriebene ist Literatur. (Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Literatur, https://www.br.de/alphalernen/faecher/deutsch/literarische-texte-literatur100.html)

Zusammenfassend stelle ich den allgemeinen Begriff Literatur wie folgt plastisch dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Was genau macht einen literarischen Text aus? Weil , wenn sie Mögliches bzw. Vorgestelltes beschreiben, etwas erfinden, werden sie auch Texte genannt. Sachtexte hingegen sind mit der Absicht verfasst, zu informieren, das heißt von zu berichten. Diese Unterscheidung findet sich im Grundansatz schon bei dem griechischen Philosophen Aristoteles im 4. Jh. v. Chr.: Er unterschied zwischen dem Geschichtenschreiber (Dichter) und dem Geschichtsschreiber (Historiker). Während es bei Sachtexten eher um die Außenperspektive (Objektivität) geht, steht bei belletristischen Texten die Innenperspektive (Subjektivität), also was jemand denkt oder fühlt, im Fokus. Für diesen Ausdruck kommen sprachliche Stilmittel zum Einsatz, die ästhetische Funktionen erfüllen. Bildliche Sprache (Metapher), Anaphern, Alliteration, Symbolik um nur ein paar von vielen zu nennen. Diese sind bestimmten Fach-/Sachtexten zwar auch dienlich, werden dort aber nur im Dienste der Textverständlichkeit (Darstellungsfunktion) eingesetzt. In der Belletristik erfüllen sie jedoch die senderorientierte Ausdrucksfunktion. Auch die Mehrdeutigkeit gehört zu diesen Merkmalen. Der Leser tappt im Dunkeln, indem er vorübergehend oder dauerhaft bewusst im Unklaren darüber gelassen wird, wie eine bestimmte Situation zu deuten ist. (Quelle: https://www.br.de/alphalernen/faecher/deutsch/3-besonderheiten-literarische-texte-literatur-102.html)

Bei Fachtexten geht es hingegen um Eindeutigkeit; alles hat seine feste Bestimmung (terminologisch und inhaltlich). „Sach- und Fachbücher gehören zur nichtbelletristischen Literatur und damit zur Gattung der Non-Fiction, weil sie sich mit Fakten beschäftigen.“ (Hesse-Hujber/Keßler:2015, S. 110). Sach- und Fachtexte gehören zwar beide den faktualen Texten an, müssen aber voneinander abgegrenzt werden: Fachtexte richten sich an das Fachpublikum, d.h. Experten stellen ein wissenschaftliches Thema für Fachkundige dar. Dabei ist hier die Dichte an Fachterminologie besonders hoch, da Sender und Empfänger die gleiche Erfahrungswelt teilen. Zur Fachliteratur gehören Fachbücher, Fachzeitschriften, Betriebsanleitungen, Handbücher, Lehrbücher, Fachlexika und wissenschaftliche Publikationen. Sachtexte hingegen richten sich an das Laienpublikum. Sie weisen eine niedrigere fachterminologische Dichte auf, damit wissenschaftliche Inhalte von der Allgemeinheit verstanden werden können. Zu den typischen Sachtexten gehören Sachbücher, Tagebücher, Memoiren, historische/biografische Literatur, Reiseliteratur, Ratgeber, Zeitschriften, Journale und Sachpublikationen. Fachtermini werden hier oft umschrieben, metaphorisiert und/oder erklärt (vgl. ebenda S. 111). Anspruchsvolle Inhalte werden so für den Laien verdaulich gemacht. Die Grenze zum Belletristischen ist fließend (vgl. ebenda). Die von Reiß entwickelte Texttypologie bietet zwar einen Hauptweg, auf den Nebenwegen tummeln sich jedoch viele Mischtypen, die man als solche erstmal entlarven muss. Z.B. schlüpft der von Reiß benannte operative Texttyp gerne in literarische Formen, um sein Appellziel zu erreichen (vgl. Reiß: 1983, S. 95). Es kommen auch appellative Formen vor. Bei populärwissenschaftlich aufbereiteten Sachbüchern geht es nicht mehr um das reine Informationsangebot, sondern um Meinungsbildung und Beeinflussung (Ratgeber). Sachbücher gehören zu diesen Mischtypen. Laut Harlaß „befindet man sich mit der Sachbuchübersetzung irgendwo im Bereich zwischen Betriebsanleitung und Belletristik.“ (vgl. Hesse-Hujber/Keßler:2015, S. 112). Dies entspricht auch Reiß Auffassung: In ihrer graphischen Darstellung befindet sich das Sachbuch in der Überschneidungsfläche zwischen sachorientierte „informative“ Texte und senderorientierte „expressive“ Texte (vgl. Reiß: 1983, S. 19). Ein typisches Bsp. für den vorgenannten Mischtyp ist der Spiegel-Literatur-Beststeller „Scheißschlau - Wie eine gesunde Darmflora unser Hirn fit hält“ von Dr. David Perlmutter, was ich gerade lese. Hier findet sich ein bunter Mix aus Fachwörtern und sehr bildlicher Sprache. Dieses Sachbuch vereint alle Funktionen: Darstellung, Ausdruck und Appell.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

LIteratur und kultur

Texte beschränken sich nicht nur auf die sprachliche Gestaltung, sie sind auch immer in einen kulturellen Rahmen eingebettet (Stolze:2013, S. 305). Literatur und Kultur – hier stehen sich zwei schwer greifbare Begriffe gegenüber. Sie sind einzelnen betrachtet schon schwer zu definieren, aber noch komplexer ist die Verflechtung miteinander, denn sie bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Der israelische Literarturwissenschaftler Even-Zohar untersuchte insbesondere das Polysystem Literatur, das dem größeren Polysystem Kultur angehört. Dort fungiert die Literatur zusammen mit weiteren Komponenten (Sprache, Politik, Wirtschaft usw.), die sich gegenseitig beeinflussen (Albrecht/Plack:2018, S. 323). „Literarische Texte als Repräsentation einer Kultur existieren nicht zufällig und ohne Bezug auf diese Kultur und zueinander. Vielmehr formieren sie sich ebenso wie die Kultur, die in ihnen repräsentiert ist, zu einem System.“ (Greiner 2004: 58 zit. in

http://www.carstensinner.de/Lehre/uebersetzungswissenschaft/Dossiers2014/13_Polysystemtheorie-Schaffner_Patzer.pdf).

Als im 18. Jahrhundert immer mehr Sprachen „literaturfähig“ zu werden begannen und sich ein sprachübergreifender literarischer Austausch, sprich eine internationalen Literaturszene entwickelte, führte Goethe2 den Begriff der „Weltliteratur“ ein, der sich bei genauerem Hinsehen als recht vieldeutig erweist. (vgl. Albrecht/Plack:2018, S. 322-323). Er beinhaltet die sog. „schöne Literatur“ und auch philosophische oder wissenschaftliche Texte, die gerade durch ihre Übersetzung in andere Sprachen die europäische Geistesgeschichte beeinflusst und auch auf die Wertschätzung der betreffenden Werke in ihren Ursprungsländern zurückgewirkt haben (vgl. ebenda, S. 141-142). Hier spielten vor allem literarische Übersetzungen aus anderen europäischen Sprachen ins Deutsche eine Rolle (Shakespeare, Cervantes etc.). Zu dieser Zeit beschäftigten sich viele Intellektuelle auch theoretisch mit dem Übersetzen (vgl. ebenda, S. 322-323). Schleiermacher plädierte für ein philologisch-dokumentarisches, verfremdendes Übersetzen. Er verspricht sich davon nicht nur eine Bereicherung der eigenen Sprache, sondern vor allem der eigenen Kultur (vgl. ebenda, S. 136). Heutzutage, im Zuge der Globalisierung, wird das einst als fremd Empfundene schon vertrauter und wir können dem Leser mehr Realien zutrauen (Patio, Impeachment, Nouvelle Vague), vor allem innerhalb Europas (vgl. Markstein:1995: S. 100). Wir können und sollten das „Fremde“ auch nie ganz ausradieren. Der kulturelle Austausch, wo es ja gerade um die Konfrontation mit dem Neuen geht, würde sonst auf der Strecke bleiben. In Marksteins Artikel wird von „Literarischer Übersetzung als Medium der Fremderfahrung“ gesprochen (ebenda, S. 98). Denn trotz gestiegener europäischer Mobilität und kultureller Verflechtung gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Sprache ist beweglich, sie braucht Interkulturalität genauso wie Interkulturalität Literaturübersetzung braucht, sie erweitern sich gegenseitig. Literatur steht auch nicht still: „Die Massenmedien, die Massenkultur, das Reisen, nicht zuletzt die Übersetzer selbst vermehren das Wissen um die nahe und ferne Welt und schaffen eine neue Art elektronisch generierter Weltliteratur.“ (Horst Steinmetz, 1985: S. 71 zit. in ebenda, S. 99). Auch außersprachlich ist ein gewisses Maß „Fremdheit“ wichtig, denn wir werden uns unserer kulturellen/sprachlichen Eigenheiten erst richtig bewusst, wenn wir dem Andersartigem gegenüberstehen (ein Phänomen, das ich als in Heidelberg lebende Berlinerin übrigens auch innerhalb der Nation bestätigen kann). Literaturübersetzung beschränkt sich nicht nur aufs Sprachliche, sondern umfasst auch außersprachliche Elemente wie die Erfahrungswelt (Geschichte und Kultur) des Lesers: „Das abstrakte Modell der Kommunikation (Sender – Text – Empfänger) setzt nicht nur die Benützung des gleichen Codes, sondern auch ein gleich umfangreiches Gedächtnis beim Sender und beim Empfänger voraus.“ (Lotman, 1992:13 zit. in ebenda, S. 98). Allein wegen den in den verschiedenen Kulturen existierenden unterschiedlichen Erfahrungswelten ist eine gleiche sprachästhetische Wirkung des Originals und der Übersetzung (kommunikative Äquivalenz) meist unmöglich zu erzielen (vgl. ebenda).

DIE LITERATURÜBERSETZUNG

Die Literaturübersetzung ist eine Brücke zwischen den Kulturen. Die Worte einer Sprache sind nicht nur Sinn-, sondern vielmehr Kulturträger (vgl. El Gendi, 2010, S. 13). Vor allem aber gibt es Schwierigkeiten zwischen Kulturen, die etymologisch weit auseinander liegen, durch unterschiedliche Denkstrukturen mit unterschiedlichen Wortassoziationen, Gefühlswelten und Ausdrucksebenen (vgl. ebd., S. 15), durch die verschiedenen Sprachsysteme, verschiedene Literaturtraditionen und dem „verschiedenen Verständnis des jeweiligen Werks“ (Frank 1987:XIV zit. in Stolze:2018, S. 16). Dies führt zur Grundannahme, dass die literarische Übersetzung notwendigerweise von ihrer Vorlage im semantischen und stilistischen Sinne abweicht. Levý zufolge sollten subjektive Eingriffe des Übersetzers möglichst vermieden werden, jedoch sind Textveränderungen unumgänglich, „schließlich muss der Übersetzer sich bewusst sein, dass er einen Gedanken in einem Material zu formen hat, in dem er nicht geschaffen worden war.“ (ebenda, S. 3). Dies verlangt Kompromisse, z. B. kann der Übersetzer ein Ausdruckselement durch ein anderes ersetzen oder eines erfinden, um nicht-äquivalente Ausdrücke zu kompensieren (vgl. ebenda, S. 2,3). Das spanische Wort „leche“ z.B. kann die verschiedensten Gefühlszustände wie Begeisterung, Entgeisterung, Glück, Pech und Bewunderung ausdrücken. Noch komplizierter wird es bei Ausdrücken/Metaphern aus entfernteren Kulturen. Z.B. ist die Sprache der arabischen Literatur zu einem großen Teil von religiösen Aspekten geprägt. Bei Gedichts-, Humor- und Dialektübersetzung kommt die Äquivalenz an ihre äußersten Grenzen. Man spricht hier deshalb oft von der sog. „Unübersetzbarkeit“. Die geforderte Analogie der Gestaltung erfolgt auf sprachlicher, formaler und semantischer Ebene. „Die Form muss nur dann bewahrt werden, wenn sie eine bestimmte semantische Funktion hat.“ (ebenda, S. 2). „Denn es handelt sich beim literarischen Übersetzen nicht um eine mechanische Bewahrung der Form, sondern um deren semantische und ästhetische Werte für den Leser.“ (El Gendi, 2010, S. 68). „Der semantische Kern beider Texte sollte zwar unverändert bleiben, jedoch kann der Wirkungsgrad nicht immer gleich sein.“ (El Gendi, 2010, S. 97). Der aktuelle Trend auf dem Literaturmarkt ist jedoch, dass sich die Übersetzung wie das Original lesen soll. Der Leser soll nicht merken, dass er eine Übersetzung liest. „Dabei werden oft sämtliche Spuren des fremden Ursprungs aus den Übersetzungen ausradiert.“ (https://www.deutschlandfunkkultur.de/literatur-uebersetzer-die-arbeit-der-kreativen.1270.de.html?dram:article_id=391639), was im Übrigen nicht selten dazu führt, dass Leser, die Wert auf den Stil des Autors legen und in die fremde Welt eintauchen möchten, das Original der Übersetzung vorziehen. Die künstlerische Freiheit der Übersetzer wird durch die Abhängigkeit von Autoren und Verlagen erheblich begrenzt. „Bei seinen Entscheidungen steht der Übersetzer nach Popovič im Spannungsfeld zwischen dem Autor und dem virtuellen Leser der Übersetzung.“ (Stolze:2018, S. 4). Die Übersetzung kann also zum einen das vorherrschende literarische Repertoire stärken oder die innovative Rolle eines kreativen Impulsgebers spielen, indem sie neue Ideen, fremde Weltbilder, literarische Konzepte, Formen, Gattungen usw. in die zielkulturelle Nationalliteratur (literarisches Polysystem) einführt. (vgl. Pruncˇč 2007:227–229 zit. in ebenda, S. 11).

Im Vergleich zur fachsprachlichen Übersetzung, die ihrem Wesen nach eindeutig inhaltsbestimmt ist und deren Ziel in vielen Fällen mithilfe einfacher, normgebundener Substitutionsvorgänge auf der Basis von fachsprachlichen Eins-zu-Eins-Entsprechungen erreicht werden kann, dominieren in der literarischen Übersetzung die syntagmatischen, konnotativen Ausdrucksmittel, die im ausgangs- und zielsprachlichen Kontext oft ganz unterschiedlich verteilt sind und dem Übersetzer eine „schöpferische Neugestaltung einer künstlerischen Aussage“ auf der Inhalts- und auf der Ausdrucksebene eines Textes abverlangen (vgl. Wilss 1977: 90 zit. in El Gendi, 2010, S. 14, Hervorhebung A.R.).

Zunächst möchte ich kurz anmerken, dass ich mich an Wilss Sicht der „einfachen Substitutionsvorgänge auf Basis von fachsprachlichen Eins-zu-Eins-Entsprechungen“ störe, weil davon, wie später noch zu sehen ist, auch innerhalb der Fachübersetzung häufig nicht die Rede sein kann. Im Folgenden werde ich auf die markierten Stellen eingehen. Natürlich darf bei literarischen Texten auch die Inhaltsebene nicht vernachlässigt werden, aber die Qualität der literarischen Übersetzung wird dadurch bestimmt, in welchem Maße es gelingt, die Darstellung des Inhalts mit den Mitteln der ZS künstlerisch zu gestalten. (vgl. Kade 1968b: 47 zit. in El Gendi, 2010, S. 69). Reiß spricht von „ästhetisch stimmiger Wechselwirkung zwischen Redegegenstand und Redeweise“ (Reiß:1983, S. 21). Das inhaltliche und stilistische Textverständnis hängen dabei eng zusammen:

Hermeneutisch gesehen sind die rhetorisch-stilistischen Mittel (…) nur ein Teil der Form, die mit dem lediglich analytisch abzutrennenden Inhalt eine unlösbare Einheit bildet. Texte lassen sich zwar didaktisch in diese beiden Elemente aufteilen, aber weder der Inhalt noch die pure Form hätten für sich eine Substanz, welche jene Wirkung hervorbringen könnte (vgl. Stolze 1992: 232 f. zit. in El Gendi, 2010, S. 90).

Für Gebrauchstexte dagegen gilt: Sprache ist der Behälter der Inhalte, die man auch anderen Behältern anvertrauen kann (Substitutionsvorgang). Bei literarischen Texten ist das Bedeutete nicht immer sichtbar bzw. direkt vorhanden, sondern konstituiert sich erst in der sprachlichen Form. Hier sind Behälter und Inhalt also nicht so leicht zu trennen; die Inhalte haben immer Spuren der Behälter an sich. (vgl. Albrecht:1998, S. 67-69). Die Elemente der Literaturübersetzung sind also Form, Inhalt und Klang. All diese Elemente müssen von einem guten Übersetzer erkannt und adäquat in die Zielsprache übertragen werden. Man könnte auch vom Übersetzen mit allen Sinnen sprechen, denn „dieser Beruf lehrt einem Sehen, Hören, überhaupt alle Arten der Wahrnehmung, und er zeigt, was Sprache alles kann, in der Ausgangs- wie in der Zielsprache.“ (https://www.thetranslationpeople.de/2012/07/literaturuebersetzung/) Dies bringt uns zum Berufsbild des Literaturübersetzers und das damit verbundene sensible Gleichgewicht der schöpferischen Gestaltung, das er stets in Balance zu halten hat. In einem Kommunikationsmodell fungiert er als „Zwischenschritt“, d.h. bevor er die Botschaft an den Empfänger weiterleitet, wird er zunächst selbst zum Empfänger des AT. Bei literarischen Werken ist hier ganz besonders viel Einfühlungsvermögen gefragt. Der Übersetzer muss die Welt des Autors viel tiefer durchdringen als der ZT-Leser. Eine wichtige Frage, die sich Albrecht dabei gestellt lautet: „Muss man über schöpferische literarische Begabung verfügen, um große Literatur übersetzen zu können, oder verleitet nicht eben diese Begabung den übersetzenden Autor dazu, die ‚Grenzen der Übersetzung‘ zu überschreiten?“ (Albrecht/Plack:2018, S. 421) Dazu findet Levý eine Antwort:

“Das Ziel der Übersetzerarbeit ist es, das Originalwerk (dessen Mitteilung) zu erhalten, zu erfassen und zu vermitteln, keinesfalls aber, ein neues Werk zu schaffen, das keine Vorgänger hat; das Ziel des Übersetzens ist reproduktiv. Das Arbeitsverfahren dieser Kunst besteht darin, dass ein Sprachmaterial (Code) durch ein anderes ersetzt wird und folglich alle aus der Sprache hervorgehenden Kunstmittel selbstständig gestaltet werden. In dem Sprachbereich, in dem sich dieser Vorgang abspielt, ist er also original schöpferisch. Die Übersetzung als Werk ist eine künstlerische Reproduktion, das Übersetzen als Vorgang ein originales Schaffen, die Übersetzung als Kunstgattung ein Grenzfall an der Scheide zwischen reproduzierender und original schöpferischer Kunst.” (Levý 1969: 65f., zit. in Albrecht/Plack, 2018, S. 423, Hervorhebung durch A.R.)

[...]


1 Mündliche Literatur äußert sich in Sprüchen, Geschichten, lyrischen Texten, Balladen und Liedern, die erzählerisch, rezitierend oder singend dargeboten und weitergegeben werden. (https://www.romarchive.eu/de/literature/oral-literature/oral-literature-article/) Anmerkung: Im neuen Zeitalter des Internets verschwimmen die Grenzen zw Schriftlichkeit und Mündlichkeit

2 Für Goethe wird Nationalliteratur erst dann zur Weltliteratur, wenn sie über das gegenseitige Kennenlernen und Bezugnehmen hinaus die großen Aufgaben einer gemeinsamen Welt einschließlich des Wissens der jeweiligen Zeit umfassend darstellt. Quelle: Weltliteratur Wikipedia

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Literatur- und Fachübersetzung. Ein Vergleich
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Dolmetschen und Übersetzen)
Veranstaltung
Sprach- und Übersetzungswissenschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
18
Katalognummer
V1023147
ISBN (eBook)
9783346420039
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Sie hätten von Inhalt u. Aufmachung her das Zeug dazu, eines Tages unterrichtsdidaktisch zu arbeiten (also etwa einführende Lehrbücher für Studierende zu verfassen)."
Schlagworte
Übersetzung, Literaturübersetzung, Fachübersetzung, Literatur, Fachsprache
Arbeit zitieren
Alicia Rieschick (Autor:in), 2021, Literatur- und Fachübersetzung. Ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1023147

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