Psychodramatische Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule


Academic Paper, 2021

32 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

,,You’ll never walk alone" -

1 Einleitung

2 Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule
2.1 Bedingungen fur Supervision und Coaching im Organsationsfeld Schule
2.2 Aspekte psychodramatischer Supervision
2.2.1 Die pragmatisch - psychodramatische Haltung der Supervisor*in I Coach
2.2.2 Der Kreative Zirkel als Veranderungsmodell psychodramatischer Beratungsarbeit
2.2.3 Bedeutung von Beziehung in psychodramatischer Beratungsarbeit
2.2.4 Bedeutung von Emotionen in psychodramatischer Beratungsarbeit

3 Darstellung und Reflexion praktischer Beispiele
3.1 Psychodramatisches Arbeiten in der dyadischen Supervision
3.1.1 Supervision mit einer Lehrerin in Vorbereitung (LiV)
3.1.1.1 Sitzung 1 Regiestuhl-Technik
3.1.1.2 Sitzung 2 Rollentraining
3.1.1.3 Sitzung 3 Auswertung und Ausblick
3.2 Supervision mit Lehrer*innen im Einzelsetting
3.2.1 Aufstellungsarbeit mit Intermediarobjekten zur Ressourcenaktivierung
3.2.2 Aufstellungsarbeit mit Intermediarobjekten als Entscheidungshilfe
3.3 Gruppensupervision
3.3.1 Gruppensupervision mit Ausbilder*innen von LiV
3.3.1.1 Sitzung 1 Aktionssoziometrie und Skulpturarbeit
3.3.1.2 Sitzung 2 Erwarmung uber Intermediarobjekte
3.3.1.3 Sitzung 3 Psychodramatische Aufstellungsarbeit

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

,,You’ll never walk alone", diesen Satz stelle ich all meinen Ausfuhrungen voran, denn er gibt meiner personlichen Haltung, meiner Uberzeugung, meinen Bemuhungen und meiner Hoffnung im Hinblick auf die Rolle und Bedeutung von Supervision und Coaching fur1 das Organisationsfeld Schule, Ausdruck. Das Thema „Psychodramatische(s) Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule" als formalen Abschlussteil meiner Weiterbildung ..Supervision und Coaching"2 am Moreno Institut in Stuttgart beschaftigt mich, seitdem ich in die Weiterbildung gestartet bin. Die reflexive Auseinandersetzung mit dem Thema bietet mir und alien interessierten Leser*innen die Moglichkeit, einen Einblick in psychodramatische Formen von Supervision und Coaching im Bereich Schule zu nehmen - unabhangig davon, ob dieses Interesse der beruflichen Rolle der Supervisorin I Coach, der Lehrer*in3 Oder jener der Psychodramatiker*in4 entspringt. Aufgrund meiner beruflichen Rollenbiografie und meiner Feldkompetenz im Bereich Schule berate ich vorwiegend in diesem Feld und gebe den Leser*innen meiner Ausfuhrungen damit einen Einblick in meine beraterische Arbeit (Kap. 3). Zu betonen, dass das Fundament meiner supervisorischen Tatigkeit die Qualifikation im Verfahren Psychodrama darstellt, aus dem ich grundlegende Theorie(n), Werkzeuge und vor allem meine beraterische Haltung beziehe (vgl. Kap. 2.2), erubrigt sich. Als Lehrerin und Supervisorin ist diese Arbeit ein Pladoyer fur den institutionalisierten Einsatz von Supervision und Coaching im Kontext der Organisation Schule, denn bisher findet diese zum groBen Teil auf private Initiativen von Lehrer*innen I Ausbilder*innen (vgl. Kap. 3.2) statt. Vom Kultusministerium finanzierte Beratungen, welche sich primar an Schulleitungen richten, werden nur zogerlich in Anspruch genommen5, schulpsychologische Dienste sind mit zahlreichen anderen Aufgaben betraut und bieten Beratungen fur Lehrer*innen nur in Einzelfallen an. Bestehende Angebote der Kultusministerien betrachte ich jedoch als zukunftsweisendes Signal von politischer Seite, urn regelmaBige und selbstverstandliche Inanspruchnahme von Beratung in der Organisation Schule anzubahnen und diese irgendwann zu institutionalisieren. Die wahrend der Corona-Pandemie- beschleunigten digitalen Veranderungsprozesse von Schule verlangen von alien im Organisationsfeld Tatigen eine verstarkte Auseinandersetzung mit der veranderten Unterrichts- und Organisationswirklichkeit. Vor allem die damit verbundenen Veranderungen der beruflichen Rolle gilt es zu reflektieren und weiter zu entwickeln, urn Qualitat von Unterricht und die Gesundheit der im Organisationsfeld Tatigen zu bewahren. Die Corona- bedingten Veranderungen wirken sich auch auf die Form von Beratung aus, d.h. digitale Formen von Supervision und Coaching im Einzel- Oder im Gruppensetting sind wahrend der Pandemie haufig der einzige Weg fur Beratungstatigkeit. Lediglich im Einzelsetting ist - unter strikter Einhaltung der Hygienevorschriften - analoge Supervision moglich, so dass die in Kap.3 beschriebenen Fall-Beispiele im Einzelsetting jungeren Datums, jene auf Gruppenebene vor Corona stattgefunden haben.

Im ersten Teil der Arbeit reflektiere ich die Notwendigkeit, Umstande und Bedingungen des Einsatzes von Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule. Hieran schlieBen sich theoretische Grundlagen psychodramatischer Beratungstatigkeit im Format Supervision und Coaching an. In diesem Zusammenhang beschreibe ich die soziale und ethische Haltung des Psychodramas, sowie weitere, das Psychodrama kennzeichnende Aspekte, wie z.B. dessen Handlungsorientierung, die Bedeutung von Beziehung und Emotionen, sowie den ..kreativen Zirkel", jene von Morenos Strukturtheorien, die sein Verstandnis innerer Veranderungsprozesse beschreibt (vgl. Kap. 2.2.2).

Im dritten Kapitel meiner Ausfuhrungen rekurriere ich auf das in Kap. 2 beschriebene theoretische Fundament und reflektiere Fallbeispiele meiner supervisorischen Tatigkeit mit Lehrer*innen in Vorbereitung (LiV), Ausbilder*innen und einzelnen Lehrenden. Hier wird deutlich, inwiefern Supervision hilfreich sein kann, urn Lehrer*innen bei der Entwicklung ihrer Professionalitat sowie zur Erhaltung ihrer Gesundheit und Arbeitsfahigkeit zu unterstutzen.

2 Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule

Der Beratungsbedarf des gesamten Systems Schule steigt stetig an. Nicht erst seit Corona stehen Menschen, die in der Schule tatig sind, vor neuen Herausforderungen, die im gesellschaftlichen Wandel begrundet sind. Insbesondere vor dem Hintergrund veranderter Anforderungen und Rollenerwartungen, sowie neuer Aufgaben der Schule sind Lehrer*innen8 mit den Auswirkungen eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, veranderter Sozialisation und zunehmender sozialer und6 kultureller Heterogenitat konfrontiert. Im Zuge dessen ubernehmen sie wichtige gesellschaftliche Aufgaben und sind verstarkt in Mehrfachrollen gefragt. Sie sind gefordert, ihre berufliche7 Rolle im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen und Aufgaben zu klaren, z.B. zwischen Unterrichten und Erziehen, zwischen fachlichen und padagogischen Erfordernissen, zwischen Fordern und Fordern. Auf diese vielfaltigen Anforderungen werden LuL in ihrer Ausbildung nur teilweise vorbereitet9 und stehen auch im weiteren beruflichen Leben diesen Herausforderungen mehrheitlich als Einzelkampfer gegenuber10.

Die Bedeutung berufsbegleitender Angebote professioneller Supervision Oder Coaching, erganzt durch Verfahren kollegialer Beratung und Fallbesprechung, sorgen neben der individuellen Weiterqualifizierung und Entlastung in schwierigen beruflichen Situationen zugleich fur eine entscheidende Voraussetzung fur Schulentwicklung im Sinne standiger Qualitatsverbesserung der padagogischen Arbeit. Weiterfuhrende Aspekte und Untersuchungen zu Supervision und Coaching in der Schule finden sich sowohl bei Kotkamp11 als auch bei Ketter/Benczak12 und Petrovic13.

2.1 Bedingungen fur Supervision und Coaching im Organsationsfeld Schule

Supervision und Coaching, Intervisionsgruppen Oder kollegiale Beratungssysteme sind im Organisationsfeld Schule fur im Feld Tatige bisher m.E.14 nicht institutionalisiert. Dies bedeutet, dass Supervisionsgruppen mehrheitlich auf Initiative von diesen gegrundet und finanziert werden. Zunehmend stellen und finanzieren die Kultusministerien der Lander Angebote von Supervision und Coaching - fur Schulleitungen und zur Schulentwicklung - zur Verfugung (vgl. z.B. Homepage des HKM). Dies ist als Hinweis dafur zu verstehen, dass besagte Formate als probate Instrumente weitestgehend anerkannt sind und es ist zu hoffen, dass diese zukunftig auch fur alle anderen an Schule Tatigen nutzbar werden.

2.2 Aspekte psychodramatischer Supervision

In den Formaten Supervision und Coaching ist eine gewisse Methodenvielfalt schon aus pragmatischen Grunden sinnvoll, urn dem Supervisand durch eine Kombination verschiedener Werkzeuge und Methoden zu mehr Klarheit zu verhelfen und ihn zu alternativen Handlungsweisen und Losungsschritten anzuregen. In meiner beraterischen Tatigkeit stellt das Verfahren Psychodrama15 mein Verfahren der Wahl dar, was den erganzenden Einsatz anderer Methoden jedoch nicht ausschlieBt. Das dem Psychodrama zugrundeliegende Menschenbild (welches den Menschen selbstverantwortlich und schopferisch sieht), seine Rollentheorie, sowie sein Erklarungsmodell der Entstehung von Problemen und Konflikten sind ideal fur den Einsatz in der Supervision.16 Mit seinen Konzepten der sozialen Inszenierung und des Sozialen Netzwerks17 verfugt das Psychodrama zudem uber eine eigenstandige systemische Betrachtungsweise der tatsachlichen Handlungsablaufe, die durch eine eigenstandige Methodologie der systemischen Veranderung -der Soziometrischen Aktionsforschung- erganzt wird (vgl. Buer 1996a). Die hervorragende Passung des Formates Supervision und des Verfahrens Psychodrama liegt in deren ubergeordnetem Ziel, die ,,soziale Praxis" zu verbessern (vgl. Buer 1996b). Dabei sieht die psychodramatische Supervision Supervisand*innen18 in der Akteurperspektive, welche innerhalb fester Strukturen Spielraume ausloten (vgl. Buer 2004, S. 19). Neben dem dialogischen Gesprach setzt die psychodramatische Supervision vor allem auf den Kommunikationsmodus des Experiments (vgl. Buer 1999, S. 105). Viele andere psychodramatische Elemente sind gut in der Supervision integrierbar, da sie als Gruppenverfahren entwickelt wurden und damit die subjektive Erfahrungswelt und die sozialen interaktiven Phanomene eines SVd in seinem beruflichen Sein transparent machen konnen (vgl. Schreyogg 2014, S. 119). Im Modus Experiment kann z.B. in der psychodramatischen Realitatsprobe die Durchfuhrbarkeit einer Aktion getestet werden, bzw. es konnen neue, innovative Erkenntnisse gewonnen und neue Praktiken erfunden werden (vgl. Kap.3.1.1.1). Psychodramatische Supervision arbeitet nicht nur mit verschiedenen Kommunikationsmodi, sondern auch auf verschiedenen Interpretationsebenen19. Beim Wechsel der Ebenen wird nach Entsprechungen und Differenzen gesucht (vgl. Buer 2004, S. 59). Das Psychodrama gehort zu den Erlebnis- und Aktions-aktivierenden Verfahren, welches auftretende Widerstande nicht thematisiert, sondern respektiert. Die SV-C bietet dem SVd Arrangements an, in denen er/sie spielerisch ungewohnte Erfahrungen machen kann, etwa in dem er/sie mit kunstlerischen Medien arbeitet (Schreyogg 1995, S. 276ff.) Oder eine Szene spielt Oder eine Korperhaltung einnimmt Oder im Rollentausch spricht (vgl. Buer 1996a). Das Spielen auf einer auBeren Buhne fordert die Entwicklung und Fahigkeit zum Mentalisieren und damit spater auch die Fahigkeit, in einer Konfliktsituation spontan zu sein und angemessen zu reagieren.20 Dieser Modus ist immer dann angesagt, wenn der SVd selbst durch Denk- und Handlungseinschrankungen Oder - Blockaden eigene Lernprozesse be - bzw. verhindert. Die SV-C arrangiert die Versuchsanordnung und fuhrt Regie. Sie verfugt zwar uber Hypothesen uber den Fortgang des Lernprozesses, kennt aber selbst den Ausgang nicht. Sie beobachtet den SVd im Prozess und steuert diesen spontan. Protagonistenzentrierte Arrangements und Techniken des Psychodramas bieten den Klient*innen hervorragende Moglichkeiten, bewusste und unbewusste Wunsche, Anspruche, Gefuhle, Erfahrungen, Bedenken, aber auch Sichtweisen, Vorurteile, Denkmuster und Visionen zu erkunden (ebd., S. 20).

Solche Interventionen konnen jedoch Phanomene evozieren, die weit uber den Gegenstand der Supervision hinausreichen (vgl. Schreyogg 2010, S. 267), daher sollte deren Einsatz sorgsam die Intentionen des Formates Supervision beachten und von ausgebildeten PD* angeleitet werden. Im Setting der Supervision steht die funktionale Arbeitsrolle und nicht das gesamte Rollenrepertoire der SVd, damit die Biografie geschutzt und nicht der gesamte Mensch psychologisiert wird.21 Die berufliche Rolle wird mit den mit ihr verbundenen Thematiken in Bezug auf Organisation, Team Oder Klient*innen betrachtet, es findet ein Stuck Selbsterfahrung statt, jedoch keine Biografiearbeit (vgl. Kap. 3.1.1). Dabei liegt es in der Kompetenz der Leitung, immer auf den Auftrag hinzufuhren, sowie dessen Oberflachen-, als auch Tiefenstruktur zu erarbeiten (vgl. ebd.). Einen guten Uberblick bietet interessierten Leser*innen zudem der Text von Verbeek und Reineck, der eine fundierte Zusammenfassung des Verfahrens mit all seinen Facetten gibt.22

2.2.1 Die pragmatisch-psychodramatische Haltung der Supervisor*in Coach

Psychodramatische Beratungsarbeit ist prozessorientiert und gepragt von handlungsorientierten kreativen und spontanen Interventionen. Im besten Sinne wirksam werden diese Werkzeuge aber erst mit einer angemessenen Haltung23. Folgende Haltungsprinzipien sind Perlen auf einer Richtschnur psychodramatischer Beratungsarbeit (vgl. BUC 2016) und werden im zweiten Teil dieser Arbeit beispielhaft in konkreten Anwendungsfeldern aufgegriffen und naher erlautert:

- Menschen, nicht Systeme: Psychodramatiker*innen24 arbeiten nicht mit Organisationen, sondern immer mit ganz konkreten Menschen (vgl. Buer2010) (vgl. Kap. 3).
- Arbeiten mit und an Beziehungen: PD* machen Beziehungen transparent und damit gestaltbar (vgl. Kap.3.2.1).
- Rollen(tausch): PD* stellen sich in die Schuhe des anderen und helfen Klient*innen, diesen Schritt ebenfalls zu wagen (vgl. Kap.3.1.1).
- Handeln und Erleben und dann Reden: PD* setzen darauf, dass sich handlungsorientierte Methoden wie Inszenierungen und Aufstellungen und Reflektion erganzen: Ohne das eine kann das andere nicht wirken, in Kombination werden vielschichtige Erkenntnisse moglich (vgl. alle Beispiele im Kap. 3).
- Keine Emotionen-Pause machenl PD* benennen Emotionen bewusst und holen sie aus ihrem Schatten-Dasein innerhalb der Organisation. Sie wissen urn die Kraft der Emotion - ob destruktiv oderschopferisch (vgl. Kap. 2.2.4 und 3.1.1.1).
- Wirklichkeiten verandem: PD* helfen Klient*innen dabei, ihre ganz personlichen Wirklichkeiten zu erkennen und umzugestalten (vgl. Kap. 3.2.2).
- Thema und Gegenthema: PD* wissen darum, dass es zu jedem Thema ein Gegenthema gibt: In der Verwirrung schlummert Klarheit, in der Depression Zuversicht, und im Stillstand Bewegung. PD* machen sich mit ihren Klient*innen auf die Suche und heben Ressourcenschatze (vgl. Kap. 3.2.1 und 3.3.1.3).
- Horizontalitat und Vertikalitat: PD* wissen darum, dass sich Themen der Gruppe in den Themen von einzelnen Personen spiegeln - und umgekehrt (vgl. Kap. 3.3.1.1).
- Dramaturgie im Hinterkopf: PD* erkennen Spannungskurven und gestalten sie: Wofur ist die Gruppe erwarmt? Was braucht eine Klient*in noch, urn ein heiBes „Thema“ auf die Buhne zu bringen? Wie kann eine Abteilung sich nach turbulenten Zeiten und Aufregung wieder beruhigen?
- Gespur fur die Dosis: PD* setzen Interventionen mit Bedacht ein: Ein Zuviel treibt das Gegenuber unnotig in den Widerstand, ein Zuwenig lasst jede Wirkung verpuffen.

2.2.2 Der Kreative Zirkel als Veranderungsmodell psychodramatischer Beratungsarbeit

„Spontane Erwarmung, kreative Gestaltung und Konservierung verbinden sich zu einem zusammenhangenden Prozess, den Moreno als kreativen Zirkel beschreibt.11 (Hutter 2000, S. 130)

In seiner dritten Strukturtheorie beschreibt Moreno den kreativen Zirkel25, ein Prozessmodell, welches die Veranderung als inneren Prozess beschreibt.26 Ausgehend von einem Ist- Zustand bewahrter Verhaltens- und Handlungsmuster, dem Rollenrepertoire, das eine Vielzahl von Rollen (Oder Ego-States, Inneren Anteilen, neuronalen Aktivierungsmustern, inneren Kindern) enthalt, trifft ein Mensch auf bestimmte Situationen. Er muss uberprufen, ob die vorhandenen aktivierbaren Rollen zur aktuellen Situation passen. Dies beinhaltet auch eine motivationale Klarung. Passt die Rolle beispielsweise nicht zur Anforderung, gibt es einen Konflikt. Der Mensch muss versuchen, in einem weiteren Schritt innerlich eine neue Rolle, ein neues neuronales Netzwerkmuster in einem kreativen Prozess zu generieren, welches zur situativen Anforderung passt, vgl. auch Kap.3.1.1.1 und 3.1.1.2.27 Anhand des von Schacht an

das Beratungsformat Supervision adaptierten kreativen Zirkels (Schacht 2010, S. 65) zeigt Grissenberger28, welche Handlungsablaufe aufgrund von Rollenerwartungen Oder erwartbaren zwischenmenschlichen

Zielen der Beteiligten (beeinflusst von Erfahrungen und Erlebnissen) in Menschen vor sich gehen konnen. Die Kreativitatsspirale zeigt die immer wiederkehrende Reihenfolge des Kreativitatszyklus zur prozessorientierten Weiterentwicklung im Rahmen von Supervision und Coaching. Dabei durchlebt der SVd den Veranderungsprozess in aufeinander folgenden Phasen (Abb. 2), die sich je nach Lage wiederholen. 1st die Integration (z.B. eines neuen Handlungsmusters) erfolgt, startet fur die Klient*in mit einer neuen Herausforderung der Spontaneitats-Kreativitatszirkel erneut. Praktische Beispiele hierfur finden sich in den Kapiteln 3.1.1.1 f. (Rollentraining) und 3.3.1.3 (Psychodramatische Aufstellungsarbeit).

2.2.3 Bedeutung von Beziehung in psychodramatischer Beratungsarbeit

,,Supervision nenne ich ein Format, Psychodrama ein Verfahren der Beziehungsarbeit.“29

So wie es keinen Menschen ohne einen anderen gabe, gibt es kaum einen Beratungsprozess ohne die Erwahnung eines Oder mehrerer Anderer durch den Klienten. Menschen setzen sich zueinander in Beziehung, ob neutral, positiv Oder negativ. Andere konnen gut tun, Oder nerven. Selbst wenn die Anderen ignoriert werden, sind sie doch im Umfeld present. Fur Moreno war nicht das Individuum, sondern das soziale Atom30 die kleinste Analyseeinheit; wodurch es in der psychodramatischen Beratungspraxis als kleinste Interventionseinheit gilt. Mit dieser Sichtweise ruckt nicht die „Person“ als „Problemfall“ in den Fokus, sondern das Beziehungsgeflecht (vgl. Buckel, S. 293). Der Wirkfaktor Beziehung gilt als bedeutendster in der beraterischen Arbeit:31 Fur Moreno ist die bloBe Begegnung bereits das Heilmittel der Wahl, daher konzipiert er Leitung weniger als Gegenuber der Gruppe, sondern als Teil derselben (Moreno 1959b, S. 110). Wenn PD wirksam sein soil, mussen Hilfs-lch32 -Beziehungen zwischen alien Teilnehmer*innen der Gruppe entstehen (Moreno 1937, S. 18). Die kluge Leitung nutzt die Beziehungen innerhalb der Gruppe, die dem Protagonisten durch deren Hilfs-lch-Tatigkeiten hilfreich sein konnen. Die Leitende steuert den Prozess und begleitet aufmerksam und empathisch die Klient*in. Sie selbst ist weder im Einzel-, noch im Gruppensetting in einer unmittelbaren, engen Beziehung zu derselben. Das Selbstverstandnis der Prozess-Steuernden setzt die wesentlichen Grundgedanken des Abstinenzbegriffes urn (vgl. Hutter 2020, S. 203). Fur eine gute Arbeitsbeziehung (wie in anderen Formaten auch) sind in Supervision und Coaching auf beiden Seiten Aspekte wie Sympathie, Vertrauen, Motivation, Hoffnung, Ziel, Wertschatzung, Unvoreingenommenheit und Aufmerksamkeit notwendig (vgl. Grissenberger 2019, S. 154). Dabei gilt fur die Supervisorin, dass sie sich (zwar) mit dem Klienten identifizieren muss, urn dessen Lage, dessen Problematik und Interessen zu erkennen. Sie muss sich aber auch von ihm unterscheiden, urn nicht vereinnahmt zu werden und noch eine fachliche Einschatzung gewinnen zu konnen (vgl. Ameln, Gerstmann, Kramer 2005, S. 469). Das supervisorische „Kerngeschaft“ ist es, die Balancierung verschiedenster Antinomien in einer vertrauensvollen Beziehung zu gewahrleisten (vgl. ebd.).

2.2.4 Bedeutung von Emotionen in psychodramatischer Beratungsarbeit

Fruher Oder spater tauchen in der Beratungsarbeit beim Klienten Gefuhle auf. Indem die Supervisorin diese Gefuhle aufnimmt, hilft sie der Klientin, dieselben weiter zu differenzieren und dadurch groBere Klarheit zu gewinnen. Fragen, die hierbei hilfreich sein konnen: Was nehmen Sie selbst/an Ihrem Gegenuber/der Situation wahr? Was fallt Ihnen an Ihrer Bewegung/lhrer Haltung auf? Was spuren Sie in Ihrem Korper? Was mochten Sie tun? Gefuhle sind einerseits ,,immens differenzierte Phanomene und eingebunden in komplexe Zusammenhange" und andererseits „bringen sie komplexe Strukturen auf den Punkt."33 Fur die psychodramatische Supervision sind Gefuhle konstitutiv. Reineck und Buckel beschreiben sie im Verfahren als „Orientierung gebende Instanz" und legen dar, dass Antworten auf die Frage „Was will ich eigentlich?" bereits die emotionale Einfarbung mit moglichen Alternativen koppelt. Fur die Klienten ist demnach hilfreich, dass sie im Verlauf von psychodramatischen Inszenierungen Gefuhle ,,auf die Buhne holen konnen", was sowohl eine groBere Dichte im Spielgeschehen, als auch gleichzeitig einen Distanzgewinn zum inneren Erleben ermoglicht.34 Der Klient sieht von auBen, was sich in seinem Oder im Inneren einer anderen Person ereignet, und kann damit in Interaktion treten. Damit wird die Emotion im psychodramatischen Spiel zum Bestandteil einer Struktur bildenden Arbeit, die eine bisherige Sicht andert und etwas Neues Oder Anderes gestaltet. Die Spannung zwischen Thema und Gegenthema wird so auch innerhalb der Emotionalitat uber die Ausdruckarbeit in einer integrierenden Synthese aufgehoben (vgl. Reineck/Buckel 2018, S. 91). Psychodramatische Supervision und Coaching verfolgt das Ziel, „Kognition und Emotion gleichermaBen anzusprechen und [...] konstruktiv miteinander zu verbinden". Die klassischen Phasen (vgl. Kap. 2.2 und 3.3) bieten dafur optimale Voraussetzungen (vgl. von Ameln, Gerstmann, Kramer 2005, S. 395 ff.). Schreyogg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwaige Selbstdeutungen von Supervisand*innen nie von der Erfahrung losgeloste Abstraktionen enthalten, sondern mit dem Erleben der Klienten in Verbindung stehen sollen (vgl. Schreyogg 2016, S. 24).

[...]


1 Wenn ich in meinen Ausfuhrungen von Supervisor*in spreche, ist gleichzeitig die Rolle des Coaches gemeint.

2 Wenn ich in meinen Ausfuhrungen von Supervisor*in spreche, ist gleichzeitig die Rolle des Coaches gemeint.

3 Lehrerin im Sek I - Bereich an einer mittelhessischen Gesamtschule

4 Weiterbildung zur Psychodramaleitung am Moreno-lnstitut, Stuttgart

5 Bsp. Hessen: https://schulaemter.hessen.de/schulqualitaet/fortbildung-beratung-evaluation

6 Supervision ist ein reflexives und prozessorientiertes Beratungsformat und dient der Sicherung und Verbesserung der Qualitat beruflicher Arbeit. In der Supervision werden Fragen, Problemfelder, Konflikte und Fallbeispiele aus dem beruflichen Alltag thematisiert. Dabei wird die berufliche Rolle und das konkrete Handeln der Supervisand*innen in Beziehung gesetzt zu den Aufgabenstellungen und Strukturen der Organisation und zu der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen mit Kund*innen Oder Klient*innen. Es wird reflektiert, wie eine Person die an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen mit ihren Ressourcen und Kompetenzen ausfullen und gestalten kann (vgl. DGSv).

7 Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstutzung von Personen mit Fuhrungs- 1 Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen /Organisationen. Als ergebnis- und losungsorientierte Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der Leistungsfahigkeit (vgl. DGSv).

8 Die gendergerechte Sprachform soil bedacht und im Folgenden mit LuL abgekurzt werden.

9 https://www. Iehrcare.de/blog/tag/lehrer-studie/

10 Vgl. Forsa-Umfrage der Bosch-Stiftung 2018, https://www.bosch-stiftung.de/de/news/viele-lehrkraefte-sind-einzelkaempfer

11 Dr. U. Kotkamp: Gelingensbedingungen von Supervision und Schule. Roliwein 2012.

12 F.D. Ketter/ S. Benczak: Supervision und Schule - ein gluckliches Paar? In: ZS Padagogische Horizonte, 1 (1), 2017

13 Sandra Petrovic: Supervision an Schulen. Wien 2010.

14 In einzelnen Bundeslandern (z.B. Hessen) erhalten Schulleitungen sogenannte „Supervisionspunkte“, die ihnen die Moglichkeit zur Nutzung von Supervision und Coaching ermoglichen.

15 Das Psychodrama wurde von J.L.Moreno entwickelt. Er ging davon aus, „dass menschliches Erkennen, Denken und Handel sich an individuellen Erfahrungen ausrichtet, die in einem subjektivempfundenen und gedeuteten Beziehungsgeflecht eingebettet sind. (...) Seine Hauptmethode bestand darin, diese inneren Beziehungssysteme und Deutungen zu externalisieren, sie auf eine Buhne zu holen, und dort anschaulich zu machen" (vgl. Migge 2005, S. 371)

16 Eine ausfuhrlich fundierte Argumentation mit vielen Praxisbeispielen hierzu findet sich im Buch von F. Buer: Praxis der psychodramatischen Supervision. VS Verlag fur Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2. Aufl. 2004

17 H.D.Kahler: Das Konzept des sozialen Netzwerks. ZS Soziologie, Jg. 4, Heft 3, Juli 1975, S. 283 - 290

18 Im folgenden abgekurzt durch SVd

19 Vgl. Buer 2004, S. 20) Arbeitsebenen: Die Psychik (Innere Welten der Akteur*innen):Sichtweisen, Gefuhle, Gedanken, Erfahrungen, Anspruche, Wunsche, Visionen, etc. der involvierten Individuen. Die Dialogik (Zwischenmenschliche Welten): bedeutsame Beziehungen zu Klient*innen und Angehorigen, Kolleg*innen, Vorgesetzten, etc. Die Systemik (Arbeitswelten der Organisationen und die Lebenswelten der Mitarbeiter*innen und der Adressat*innen). Der Kontext (Die auliere Welten der Offentlichkeit, Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Kultur ...)

20 R.T. Kruger/C. Stadler: Mentalisieren durch psychodramatisches Spielen - Zur therapeutischen Wirkung des Psychodramas. In: ZPS 2015; 14: 301-310 2015, S. 304

21 E. Grissenberger: Organigramm-Soziogramm-Mensch. Psychodramatische Aufstellungsarbeit in der Supervision, in: ZS Psychodrama und Soziometrie (2019) (Suppl1)18:153-168, S. 155).

22 S. Verbeek/U. Reineck: Was ist Psychodrama? - Eine erste Grundlegung. In: Texte zur Basisqualifikation in szenischer Beratung und Psychodrama. Freiburg 2012.

23 Vgl. C. Buckel: ,,Die Beratung in grolien Organisationen aus psychodramatischer Sicht.“ S. 292, in: ZS Psychodrama und Soziometrie 02/2016, im Folgenden zitiert als BUC 2016)

24 Die Verwendung gendergerechter Sprache ist mir wichtig, die Abkurzung PD* steht in Ausfuhrungen fur Psychodramatiker*innen.

25 Die zweite Strukturtheorie Morenos beschaftigt sich mit der Fragestellung, wie sich Strukturen prinzipiell verandern. Unter Struktur kann dabei eine Beziehungskonstellation ebenso verstanden werden wie ein Institution , ein Theoriegebaude Oder eine Uberzeugung. C.Hutter/H. Schwehm: Der kreative Zirkel. In: J.L. Morenos Werk in Schlusselbegriffen. VS Verlag fur Soziawissenschaften, Wiesbaden 2009, S. 283 - 305

26 C. Stadler: Strukturniveau und kreativer Zirkel als Indikatoren fur den Einsatz von Objekten und Symbolen im psychotherapeutischen Prozess. In: ZPS (2019) 18: 195-209, S. 206.

27 C. Stadler: Ich bin viele. Ernst Reinhardt Verlag, Munchen 2017, S. 161.

28 E. Grissenberger: Organigramm-Soziogramm-Mensch: Psychodramatische Aufstellungsarbeit in der Supervision. In: ZPS (2019) (Suppl 1)18: 153-168, S. 159

29 F. Buer: Zur Dialektik von Supervision und Psychodrama. In: Ameln/ Gerstmann/Kramer Psychodrama. Springer Verlag Heidelberg 2005, S. 471.

30 Nach Moreno und seinem Menschenbild ist dies die kleinste soziale Einheit. Demnach konnen wir nie ohne soziale Beziehungen sein; wir „bestehen“ auch innerlich aus mentalen Reprasentationen sozialer Beziehungen und den daraus ableitbaren Erwartungen. Es ist zum einen Dreh- und Angelpunkt fur die Wirkmechanismen des PDs, andererseits ,,Ort“ der Manifestationen dieser Wirkungen (vgl. Krauskopf, von Ameln, in ZS PD & Soziometrie (2016) 15: 193 - 197, S. 193)

31 C. Hutter: Von Moreno zu einem modernen psychodramatischen Leitungsverstandnis, in: ZSP (2020) 19: S. 199-209, S. 202.

32 Neben der Buhne, der Psychodrama-Leiter*in, der Protagonist*in und der Gruppe, kommen meist die ,,Hilfs-lche“ zum Einsatz. Diese werden im Rahmen eines psychodramatischen Spiels von der Klientin gewahlt und konnen alle erdenklichen Rollen ubernehmen (vgl. Spitzer-Prohaska in ZS Psychodrama Soziometrie (2021) 20: 1-5, Bsp. in Tab.l, ebd.

33 C. Hutter: (Nicht nur) Psychodramatische Anmerkungen zu aggressivem Verhalten. ZPS 2007; 1:9-23

34 U. Reineck/C. Buckel: Emotionen im Psychodrama, unveroffentlichtes Manuskript auf der Seite des DFP 2017, S. 1-6, S.4

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Details

Title
Psychodramatische Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule
College
MORENO Institute Stuttgart  (Moreno Institut Stuttgart)
Course
DGSv zertifzierte Weiterbildung Supervision & Coaching
Author
Year
2021
Pages
32
Catalog Number
V1025883
ISBN (eBook)
9783346465627
ISBN (Book)
9783346465634
Language
German
Keywords
Supervision Coaching Schule, Lehrergesundheit Schulentwicklung Qualitätssicherung Schulentwicklung Lehrer*innen
Quote paper
Bettina Haus (Author), 2021, Psychodramatische Supervision und Coaching im Organisationsfeld Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1025883

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