Crossdressing in der Legende


Trabajo, 2000

24 Páginas, Calificación: gut


Extracto


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. JUTTA
2.1 Aufstieg
2.2 Abstieg

3. MARINA
3.1 Die Funktion des Cross Dressing s
3. 2 Schein und Sein

4. Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Diese Arbeit befasst sich mit dem Thema des Cross Dressings, dem Kleidertausch, in mittelalterlichen Legenden. Dabei richtet sich der Fokus auf zwei Texte, in denen eine Frau Männerkleidung trägt: Zum einen Dietrich von Schernbergs schön Spiel von Frau Jutten1 , zum anderen die Legende Von sante Marina[,] einer iuncvrowen aus dem Passional2.

Ausgewählt habe ich diese beiden Geschichten, da sich hier zwei Pole desselben Motivs diametral gegenüber stehen; beide sind im religiösen Bereich eingeordnet. Jutta erhält die Funktion einer "Anti-Heiligen"3, wohingegen in Marina eine Heilige dargestellt ist.

Ich möchte nach der Auflösung der Geschlechterrollen fragen. Hierzu sagt Feistner: "Im Spiegel der literarischen Inszenierung profiliert das cross-dressing [...] nicht nur die bestehende Geschlechterordnung, sondern rückt zugleich die Interaktion der Geschlechter in ein dialektisches Licht."4 Sie geht also davon aus, dass gerade in Geschichten, in denen Cross Dressing vorkommt, die Zweiteilung der Geschlechter besonders deutlich sichtbar ist.

Um Feistners Einschätzung zu überprüfen, führe ich zuerst eine genaue Interpretation der Texte unter dem Aspekt der Funktion des Cross Dressing s durch. Dabei soll mit dieser Arbeit kein weiterer Beitrag zu der Frage, wie frauenfeindlich das Mittelalter ist, geleistet werden. Vielmehr soll nach der Bedeutung des Cross Dressing s in den Texten selbst und nach der Möglichkeit, die das Cross Dressing bezüglich der Auflösung der Geschlechterrollen bietet, gefragt werden und dies innerhalb der Strukturen, in denen sich der jeweilige Text bewegt. Dabei werden auch Strukturen sichtbar, die an sich zu kritisieren sind, und es ist ebenfalls interessant zu schauen, wie diese wirksam werden und auch heute noch wirksam sind. Aber die Frage ist, was das jeweils für die Interpretation des Textes bringt.5

2. JUTTA

Die Geschichte der Päpstin Johanna, der Frau auf dem Papstthron, gehört zu den meistverbreitetsten Geschichten in der Kirchenhistorie und hat auch entsprechend viele Bearbeitungen und Interpretationen erfahren.6 Das schön Spiel von Frau Jutten von Schernberg zeigt die Legende der Päpstin Johanna in einer dramatisierten Form. Es wurde um 1480 verfasst7 und - nach den Angaben des Herausgebers des Stückes (1565) - um diese Zeit auch aufgeführt. Anleihen bei anderen Spielen sind vielfach nachweisbar und wie auch in anderen geistlichen Spielen verfolgt Schernberg eine bestimmte erbauliche Intention: die Darstellung der Gnade Jesu am Beispiel einer sündigen Seele, hier mit besonderem Augenmerk auf die Wirksamkeit der Fürbitte Marias.

Inhalt des Stückes ist der weltliche Aufstieg und Untergang von Jutta sowie der Ab- und Aufstieg von Juttas Seele in Hölle und Himmel, was miteinander kontrastiert wird.

Für die Bestimmung der Funktion des Cross Dressing s in diesem Text sind sowohl das Motiv des Auf-und Abstiegs als auch dessen dramatischer Charakter relevant.

2.1 Aufstieg

Das Stück beginnt am tiefsten Punkt, in der Hölle. Luciper ruft seine Helfer zusammen und gibt ihnen den Auftrag, Jutta zu "beruecken" und sie den Teufeln "unterthan" und somit zugehörig zu machen (V.63 ff). Prädisponiert dafür ist sie dadurch, dass sie bereits den Wunsch hat "[i]n die hohe Schule kegen Paris"(V.72) zu ziehen. Sie selbst hat sich auch schon über die Realisierung Gedanken gemacht:

"Vnd sie wil sich anderst lassen nennen /

Das man sie nicht mag erkennen /

Auch wil sie heimlich vnd leise/

Gekleidet gehn in Mannes weise /

Vnd jhr nam sol sein genant /

Iohannes aus Engellandt." (V. 875-883)

Am Anfang wird also nur die Tatsache benannt, dass Jutta diese hohe Schule besuchen möchte. Der Grund dafür wird erst einmal nicht angegeben. Es könnte also "Drang nach Bildung"8 wie bei anderen Interpretationen der Päpstin-Johanna-Figur sein. Wichtig jedoch für die Teufel ist, dass sie zu Verstellung und Cross Dressing bereit ist, um ihre Ziele zu erreichen. Gleich von Beginn also steht das Cross Dressing in engem Zusammenhang mit Betrug und Lüge.

Bereits in der nächsten Szene, in der die zwei Teufel auf Jutta treffen, zeigt sich dann, dass es hier nicht um positiv dargestellten Bildungshunger geht, sondern um den Hochmut und die Eitelkeit Juttas. Die Teufel Sathanas und Spiegelglantz versprechen Jutta, dass sie "klug und weise" und dadurch zu großer Ehre kommen wird (V.156-158), wenn sie ihr Vorhaben durchführt. Die ist sofort dazu bereit, ohne moralischen Skrupel zu haben. Sie fürchtet aber die Schande, in die sie fallen könnte, wenn ihr Betrug - und das heißt ihr eigentliches Geschlecht - bekannt würde. Damit wird bereits implizit auf das Ende verwiesen. Es wird gezeigt, dass Juttas großer Wunsch nach weltlichem Ruhm mit der Angst vor der weltlichen Schande einhergeht. Am Ende sollen sich ihre Befürchtungen auch bewahrheiten.

Nachdem Sathanas nun versprochen hat, sie nicht zu verraten, geht Jutta den Bund mit den Teufeln ein. Aber sie ist eine betrogene Betrügerin, denn es zeigt sich, dass die Teufel gar nicht vorhaben, sie vor der Schande zu bewahren. (V. 194, V.203 f)

Im Folgenden nun wird die Geschichte von Juttas Aufstieg dargestellt. Es wird beschrieben, wie sie zu ihrem Geliebten Clericus geht und ihm von ihrem Vorhaben berichtet. Dabei verdeutlicht sie selbst explizit ihre Absicht, Männerkleidung zu tragen und einen Männernamen anzunehmen. Dabei verwendet sie sehr ähnliche Worte wie die Teufel, was ihre Zugehörigkeit zu der Hölle noch einmal bestätigt:

"Vnd da vns niemand mag erkennen /

Vnd du solt mich anders nennen /

Denn ich wil heimlich vnd leise /

Gekleidet gehn in Manne weise.

[...]

Vnd mein name sol werden genant /

Iohan von Engelland" (V. 223-230)

Clericus ist bereit, seinen Teil zu diesem Betrug beizutragen, indem er mitspielt und mit ihr zusammen nach Paris zieht.

Aus dem Text ist nicht direkt ersichtlich, wann das eigentliche Cross Dressing stattfindet. Es gibt dazu keine eindeutige Regieanweisung. Nachdem Clericus sich einverstanden erklärt hat, beschreibt Jutta noch einmal, scheinbar unnötig, wie das Umziehen vor sich geht:

"Nu wil ich meine kleider von mir nemen /

Vnd wil mich darnach nicht schemen /

Vnd mich mit Mannes kleidern kleiden" (V. 251-253)

In nämlicher Weise wird das gesamte Vorhaben noch einmal bekräftigt:

"Vnd wil mich mit dir von dannen scheiden.

Auch wil ich mich in der reise nicht seumen /

Vnd wil dis land so balde reumen /

Vnd wil mein angefangen spiel verbrengen /

Dauon sol mich niemand abwenden."(V. 254-258)

Der darauffolgende Zwischentext erwähnt dann jedoch nur den Szenen-, nicht den Kleiderwechsel:

"Da ziehen Jutta vnd Cleri-

cus mit einander nach Pari/s /

vnd komen zu einem Magister."(zw. V. 258 u. 259)

Man kann davon ausgehen, dass Jutta bereits Männerkleidung trägt, wenn die beiden beim Magister auftauchen. Der Text läßt jedoch offen, ob die eigentliche 'Umziehaktion' direkt auf der Bühne, während Jutta spricht oder ob sie nach dieser Szene hinter der Bühne stattfindet. Beide Inszenierungsmöglichkeiten wären denkbar.

Jutta und Clericus erwerben sich den Doktorgrad in Paris, nachdem sie die sieben freien Künste erlernt haben. Damit betritt Jutta die gelehrte Welt.

Interessant hierbei ist die Szene, in der sie das Gewand und "Bareytt" des Doktors anziehen dürfen. Wie in der Cross Dressing -Szene wird sehr lange und ausführlich und in ähnlicher Weise das Anlegen der Kleider beschrieben, diesmal jedoch im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie:

"Magister [zu seinem Knecht].

[...]

Vnd bringe mir das kleid /

Das den Doctoribus ist bereit /

Vnd jhnen zimmet zu tragen /

Heut vnd in allen tagen /

Das wil ich jhn auffsetzen /" (V. 363-367)

Auch wird von nun an jede Stufe des Aufstiegs im Zwischentext benannt:

"Jutta vnd Clericus

werden Doctores." (zw. V. 376 u. 377)

Zusammen mit dem Umziehen wird hier also die Verleihung eines neuen Status dargestellt und dies auch durch die Äußerung des verleihenden Magisters explizit gemacht:

"Setzet auff dis newe gewandt /

Darinnen wird den Leuten wol bekandt /

Was ewer status ist /

Das spreche ich zu dieser frist." (V. 377-380)

Doch nur gelehrt zu sein reicht Jutta eben nicht aus. Sie möchte schnell Karriere machen und schlägt deshalb vor, nach Rom zu gehen und sich beim Papst zu bewerben.

Bei der Ankunft in Paris gab es nur einen Magister, den sie darum bitten mussten, sie zu unterrichten. Hier in Rom stehen sie vor dem noch einmal in sich hierarchisch gegliederten Hof des Papstes. Sie sprechen den ersten Cardinal an, der jedoch erst mit dem vierten Cardinal sprechen muss, der offensichtlich derjenige ist, der dem Papst selbst am nächsten steht. Einen Platz, den sehr bald auch Jutta und Clericus, in denen der Papst zwei "edle [...] Herrn frome", die "aller ehren vol" sind, (V.514/516) zu erkennen glaubt, einnehmen werden: "Vnd sollet meine nehesten Diener wesen" (V. 531).

Auch hier wird die Einkleidungsszene sehr genau und ausführlich durchgeführt. Es wird wieder benannt, was auf der Bühne geschieht. Der Papst Basilius "macht Fraw Jutten vnd jren Clericum zu Cardinelen" (zw. V. 542 u. 543) und beschreibt dabei genau, wie das vor sich geht. In diesem Zusammenhang wird auf den neuerworbenen Status und dessen Bedeutung hingewiesen:

"Vnd setzet auff diese zween roten Huete /

Vnd stellet darzu ewer gemuete /

Das jr one missewende

Ewern statum brengen muest zu einem seligen ende." (V. 589-592)

Als der regierende Papst Basilius stirbt, wird "Johan" aufgrund 'seiner' Tugenden zu dessen Nachfolger gemacht. Jutta hat ihr Ziel erreicht:

"Da setzen sie Bapst Jutten

die Krone auff." (zw. V. 660 u. 661)

Stilistisch ist diese Szene wie die beiden anderen öffentlichen Szenen aufgebaut. Die Krönung selbst wird beschrieben:

"So kniet fuer vns nieder hie /

Das euch alles gut geschehe /

So wollen wir euch auffsetzen die Krone /

Die solt jhr haben zu lohne /

Darzu den Bepstlichen Hutt" (V. 661-665)

Dies geht einher mit Ermahnungen, wie das Amt geführt werden soll, die in diesem Fall etwas ausführlicher ausfallen (V. 665-678).

Die Papstkrönung ist der Höhepunkt in der Reihe von Einkleidungs- und Verleihungsszenen in diesem Stück. Vergleicht man die erste Umkleide, die Cross Dressing -Szene, mit den anderen, so ist offensichtlich, dass sie keine Szene ist, in der offiziell ein Titel verliehen wird. Schon an ihrer Darstellung innerhalb des Stückes, nämlich dadurch, dass die Inszenierung sie im Gegensatz zu anderen Szenen auch hinter der Bühne stattfinden lassen kann, wird dieses deutlich.

Gleichzeitig steht sie jedoch in ihrer Reihe, denn auch in ihr wird das Einkleiden (wenn es denn zu diesem Zeitpunkt stattfindet) mit performativen Äußerungen begleitet, wenn auch Juttas eigenen.

Auch wird in ihr interessanterweise, wie in den öffentlichen Szenen, der neue 'Status' festgelegt, in diesem Fall, indem Jutta die Beziehung, die zwischen Clericus und ihr besteht, neu definiert:

"Geselle du redest recht /

So werde ich dein gesell vnd knecht." (V. 249 f)

So 'verleiht' sich Jutta selbst den neuen 'Titel'.

Die 'Umwandlung' von der Frau zum Mann ist hier also als erster Schritt des weltlichen Aufstiegs dargestellt. Demnach hat das Cross Dressing s in diesem Stück die Funktion, Teil des sozialen Aufstiegs Juttas zu sein.

2.2 Abstieg

Das Cross Dressing in Schernbergs Stück hat jedoch noch eine weitere Funktion. Diese Funktion ist auch diejenige, die in der Sekundärliteratur zur Päpstin Johanna hauptsächlich eine Rolle spielt.

Jutta setzt nämlich durch das Cross Dressing und das damit verbundene Emporkommen ihr Seelenheil aufs Spiel. Ist das Tragen von Männerkleidung als erster Schritt des weltlichen Aufstiegs zu bewerten, so gilt es gegenläufig gleichzeitig als erster Schritt des Abstiegs ihrer Seele in die Hölle. Es ist ein Betrug, den Jutta auf Anraten der Teufel hin begeht. Das macht ihre Karriere erst möglich. Das Cross Dressing ist hier also ein Instrument, das der Teufel für seine Ziele einsetzt. Entsprechend ist das Aufdecken des Betrugs ein Glück für Jutta, da sie so die Möglichkeit zur Rettung ihrer Seele erhält.

Die Teufelsaustreibung stellt den dramatischen Wendepunkt des Stückes dar. Papst Jutta soll einen Exorzismus an dem Sohn eines römischen Senators durchführen. Sie jedoch "fuerchtet sich fuer dem Teufel" (zw. V. 710 u. 711) und möchte diese Aufgabe ihren Kardinälen überlassen. Der Teufel, Vnuersuen, will sich jedoch nur vom Papst austreiben lassen, natürlich in dem Glauben, dass diese(r) den höllischen Mächten untertan sei. Jutta aber führt die Austreibung durch. Da deckt Vnuersuen Juttas Schwangerschaft und somit ihr wirkliches Geschlecht auf:

"Nu hoeret zu alle gleich /

Die hie in diesem saal gesamlet sind /

Der Bapst der tregt fuerwar ein Kind /

Er ist ein Weib vnd nicht ein Man /

daran solt jhr kein zweiffel han." (V. 756-760)

Er verrät Jutta und setzt sie somit der Schande aus. Das ist die Strafe dafür, dass sie ihn kraft ihrer päpstlichen Macht tatsächlich ausgetrieben hat:

"Vnd jre schand sol sich erzeigen /

Itzund in diesem kuelen Meyen /

Darumb das sie mich hat vertrieben /

Sonst wer sie wol mit frieden fuer mir blieben." (V.765-768)

Der Verrat ist der Moment, in dem ihre weltliche Karriere mit einem Schlag zerstört wird.

Mit dem weltlichen Absturz geht erst einmal auch ihr seelischer einher. Die nächste Szene nach dem Verrat spielt im Himmel und zeigt Christus sehr ungehalten über die "boese[...] missethat" (V. 789), die Jutta gegen ihn und den Himmel begangen hat. Sie soll dafür mit dem sofortigen Tod bestraft werden, doch Maria bittet für Jutta. So gibt Christus ihr die Möglichkeit zur Erlösung, wenn sie sich freiwillig der Schande aussetzt.

Zweifellos hat Jutta eine große Sünde begangen, die sogar die Weltordnung durcheinanderbringt.9 Die Frage ist nun, woraus diese Sünde besteht. Das Cross Dressing ist an Juttas Sündhaftigkeit maßgeblich beteiligt. Um genau die Funktion des Cross Dressing s und den Grad der Beteiligung bestimmen zu können, muss man betrachten, wie in der Perspektive des "seelsorgerisch-heilspädagogischen"10 Textes das Cross Dressing bewertet wird. Ist das Cross Dressing selbst die Sünde oder nur Vorbedingung dazu - und woraus besteht dann die eigentliche Sünde?

Aussagen hierzu finden sich bei dem Teufel Vnuersuen, Christus, Gabriel und dem Tod.

"Der Bapst der tregt fuerwar ein Kind", sagt der Teufel Vnuersuen. Diese Aussage beinhaltet mehrere Komponenten, die als ungeheuerliche Sünde bewertet werden könnten. Zum einen geht es darin um die Tatsache, dass der Papst eine Frau ist, was der Teufel ja im nächsten Satz noch einmal ganz deutlich macht ("Er ist ein Weib vnd nicht ein Man", V.759). Es geht aber auch darum, dass die Person, die die Christenheit regiert, nicht sexuell enthaltsam war. Sie hat somit das Amt geschändet. Und hier sind wir bei einem Punkt angelangt, der ohne weiteres die Hauptsünde Juttas sein kann: Die Schändung des Papstamtes. Dabei ist natürlich von Bedeutung, wodurch das Amt geschändet wurde.

Auch der nächste Ankläger, Christus "Saluator", behandelt diesen Punkt. Natürlich wird auch hier auf das Cross Dressing eingegangen und es wird als Hochmut gewertet:

"Sindt sie sich hat vermessen /

Vnd ihres Frewlichen wesens vergessen /

Vnd hat in Mannes weise gegangen /

Vnd also das Bapstumb empfangen /

Vnd ist nu schwanger worden / Mit einer weiblichen burden /

Darumb sol sie nu sterben." (V. 863-869)11

Interessant ist hier, dass Christus in seiner Rede das Cross Dressing als kausale Vorbedingung für den Empfang der Papstwürde versteht. Ihr Papst-Sein ist dann wieder Voraussetzung dafür, dass ihre Schwangerschaft als Sünde zu bewerten ist.

Die gleiche Reihenfolge der Vorwürfe findet sich dann aus dem Mund von Gabriel bei dessen Begegnung mit Jutta:

"Wenn du hast gar sehr wider jhn gethan /

Das du dich hast vergleichet einem Man /

Vnd bist in Bepstlichem wesen gegangen /

Vnd bist darzu mit schwerem leib umbfangen." (V. 879-882)

Das ist jedoch keine wertende Reihenfolge, wie Rabenstein es vorschlägt12, sondern eine chronologische. Dabei geht stets die nachfolgende Sünde aus der vorherigen hervor. Die machen dann alle zusammen Juttas extreme Sündhaftigkeit aus. Mit ihrer Schwangerschaft zieht sie dann endgültig Christus´ Zorn auf sich. So klagt er ganz am Anfang, als er zum ersten Mal Jutta erwähnt, dass ihr gotteslästerliches Handeln nun schon zu lange dauert:

"Ich klage dir auff dieser fart /

Das das Weib / welchs ein Bapst ist /

Nicht abzuwenden ist zu keiner frist /

Von jhrer boesen missethat /

Die sie lang wider vns begangen hat /

Vnd hat sich noch nie wolt bekeren /" (V. 786-791)

Offensichtlich hat Christus nur in der Hoffnung auf Juttas Einsicht mit ihrer Bestrafung so lange gewartet. Die hatte sich aber nur immer noch tiefer in Sünden verstrickt und sich "nach des Teufels rath" (V. 818) verhalten und nicht nach dem Gottes. Eine Sünde folgte auf die nächste.

Der Tod nun macht in seiner Beschreibung von Juttas Sünden einen weiteren Punkt deutlich. Er nennt ihre Verkleidung als Mann Unfug, den sie getrieben hat. Ihre Schwangerschaft ist für ihn zur Sünde geworden, weil sie sie verborgen hat:

"Wenn Gott hat mir die laub gegeben /

Das ich dir sol nemen dein leben /

Darumb / das du hast wider jhn gethan /

Vnd hast gegangen wie ein Man /

Vnd hast solch vngefug in der Christenheit getrieben /

Vnd bist nicht ein Weibsbild geblieben.

Auch das du dich hast vbersehen /

Das du must mit schwangerem leibe gehen /

Vnd tregst ein Kind also verborgen /" (V. 989-997)

Diese Anklage steckt dahinter, wenn der Tod die Art und Weise von Juttas Sterben festlegt. Jutta wird ihr Kind in aller Öffentlichkeit bekommen und dabei sterben. Geht man davon aus, dass ihre Strafe in Negation ihre Verfehlungen widerspiegelt, so ergibt sich folgendes Bild: Zum einen ist es natürlich ein Öffentlichmachen ihrer Weiblichkeit. Alle, die sie für einen Mann gehalten haben sehen nun, dass sie "ein Weibsbild" ist. Dieses Rückgängigmachen des Cross Dressing s, was nicht durch neues Anlegen von Frauenkleidern geschieht sondern durch ein Zeigen ihres nackten weiblichen Körpers, was dann natürlich entsprechende Scham mit sich bringt, zeigt - das Cross Dressing selbst ist eine Verfehlung. Des weiteren wirft der Tod Jutta vor, ihre Schwangerschaft versteckt zu haben. Dies bedeutet natürlich ein Verleugnen der Weiblichkeit, was geahndet werden muß. Es steckt in ihrer Strafe aber noch die Komponente, die bereits Christus und Gabriel in ihren Anklagereden ansprachen. Es wird dadurch ihre Unkeuschheit der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Die Anwesenheit des Volkes ist der Teil der Strafe, der hierauf abzielt.

Auch der dritte - und wenn nicht wichtigste - Punkt in der Reihe der Sünden wird vom Tod aufgegriffen. Wenn auch nicht in so engem Zusammenhang mit den anderen Punkten wie bei Christus und Gabriel:

"Das du in Bepstlichem wesen hast gestanden /

Des soltu werden zu schanden." (V. 1105 f.)

Auch hierfür wird Jutta bestraft: Indem die Geburt während der Papst-Prozession stattfindet, also während sie ihr Amt als Papst gerade direkt ausübt.

So zeigt sich, dass stets mehrere Anklagepunkte zusammen kommen, von denen einer das Cross Dressing ist.

Nach Juttas Tod gelangt ihre Seele in die Hölle. Dort wird sie gemartert und muß viele Qualen ausstehen. Interessant dabei ist noch einmal der Verweis auf ihre Sünde: Die Teufel nennen Jutta "Fraw Bepstin" und verspotten sie dadurch. Dabei spielt nicht nur das Hervorheben ihres tiefen Falls eine Rolle, indem sie mit einem hohen Titel angesprochen wird (das geschieht auch durch das Stück selbst, denn Juttas Seele wird weiterhin "Bapst Jutten Seel" genannt), sondern die Teufel sind die einzigen, die die weibliche Form benutzen. Damit ist ihre Sünde implizit benannt, die genau in ihrem 'Frau -plus -Papst-Sein' besteht.

Auffällig nun ist Juttas Standhaftigkeit in der Hölle und ihr großes Festhalten am Glauben. Sie hört nicht auf, zu Maria und dem heiligen Nikolaus zu beten. Durch deren Fürbitte wird dann Christus´ Herz erweicht. Er schickt Michael, Juttas Seele zu befreien und in den Himmel zu führen.

Das Auf- und Abstiegs-Stück, das szenisch in der Hölle begann, endet ganz oben im Himmel mit der Lobpreisung von Christus Güte durch Juttas Seele.

An diesem Schluss wird Schernbergs Intention deutlich. Er will in seinem Stück die Errettung einer Seele darstellen und damit zeigen, dass eine einzelne Person, die sich außergewöhnlich versündigt hat, durch Glaubensfestigkeit und Gebete aus der Hölle erlöst werden kann.

Zusammenfassend läßt sich bezüglich der Funktion des Cross Dressing s in Schernbergs Stück feststellen, dass dem Cross Dressing keine übermäßige Bedeutung zugesprochen wird. Vielmehr stellt es nur den ersten Schritt auf Juttas verhängnisvollem Sündenweg dar.

Die Figurenzeichnung im schön Spiel von Frau Jutten ist gewissermaßen spiegelbildlich zu der einer Heiligenlegende. Entsprechend kann man Jutta sehr gut in Jolles´ Konzeption von der "Antilegende" einordnen.13

"Wie wird man ein Heiliger?" fragt Jolles 14 und gibt die Antwort so: Zuerst gibt es den einzelnen Menschen, der besonders tugendhaft ist. Dies reicht jedoch nicht aus, sondern er muss seine Tugendhaftigkeit auch durch Taten beweisen und sie somit nach außen sichtbar machen. Dies nennt Jolles die "tätige Tugend"15. Ein Heiliger nun ist die Verkörperung des Guten, eine Gestalt, "in der die Tugend meßbar, greifbar, faßbar wird"16 Dem stellt Jolles nun auch den Verbrecher gegenüber, als Verkörperung des Bösen. Ein "Unheiliger"17 bzw. "Anti- Heiliger"18 ist somit eine Person, an der "das Verbrechen meßbar, greifbar, faßbar wird"19.

Ein Heiliger übt eine bestimmte Vorbildfunktion aus. Er ist derjenige, "dem wir nacheifern können"20. "Er ist eine Gestalt, an der wir etwas, was uns allseitig erstrebenswert erscheint, wahrnehmen, erleben und erkennen und die uns zugleich die Möglichkeit der Betätigung veranschaulicht."21 Entsprechend übt der "Anti-Heilige" eine negative Vorbildfunktion aus, denn er ist als eine Figur zu sehen, "der wir unter keiner Bedingung folgen sollen, die uns das konkrete Bewußtsein dessen gibt, was wir nicht nachahmen dürfen".22

Betrachtet man nun Jutta als eine "Anti-Heilige", dann stellt sich die Frage, welche Untugend sich in ihr vergegenständlicht und wie sie diese negative Vorbildfunktion erfüllt. Feistner sieht in der Päpstin Johanna die Verkörperung der gelehrten Frau, die in Männerkleidung verbotenerweise in eine Männerdomäne eindringt, was ihr die Verurteilung als Sünderin einbringt.23 Und auch Rabenstein, die sich explizit mit Schernbergs schön Spiel von Frau Jutten beschäftigt hat, vertritt diese Auffassung.24 Demnach würde Juttas Vorbildfunktion in einer Warnung für alle Frauen bestehen, ihre ungelehrte Passivität nicht aufzugeben. In dem Stück würde "den Frauen zu verstehen gegeben, dass sie die Sünde der Päpstin, sich einem Mann gleichzusetzen, zu meiden haben."25

Doch bei Schernberg bleibt offen, ob es sich um die Verkörperung dieses bestimmten Frauentyps handelt oder ob es um die Sünde der superbia im Allgemeinen geht.26

Wie in einer Heiligenlegende, in der nach und nach die guten Taten der Hauptfigur ausgebreitet werden und sie so ihre Tugendhaftigkeit beweist27, so folgt in Schernbergs Stück kontinuierlich eine Verfehlung auf die andere. Betrachtet man das Spiel unter dem Aspekt der "Antilegende", dann erscheint das Cross Dressing als die erste in einer langen Reihe von Sünden, die alle zusammen Jutta als "Anti-Heilige" ausweisen.

Damit ist die Funktion des Cross Dressing s in diesem Stück mit "Antilegenden"- Struktur erklärt. Indem man Jutta als "Anti-Heilige" versteht, öffnet sich die Möglichkeit, sie mit einer Heiligen zu vergleichen. Wie sieht es nämlich aus, wenn eine Heilige Männerkleidung trägt? In der Legende von Marina fällt der Punkt, der die Päpstin-Johanna-Rezeption begleitet und in der Sekundärliteratur fast schon ein Allgemeinplatz ist, weg: Dass eine Frau, die Männerkleidung trägt, als Eindringling in eine Männerwelt und somit negativ bewertet wird. In dieser Legende nun haben wir es mit einer positiv besetzten Frauenfigur zu tun.

3. MARINA

Ging es in dem schön Spiel von Frau Jutten um Auf- und Abstieg der Protagonistin, so lässt sich die Legende Von sante Marina[,] einer iuncvrowen gut als Geschichte von Schein und Sein beschreiben. Zwar geht es auch hier um eine bestimmte Form des Aufstiegs und wie bei Jutta auch um Hochmut bzw. Demut, aber die Struktur von Schein und Sein ist hier die dominanteste und vor allem die wichtigste zur Bestimmung der Funktion des Cross Dressing s. Dabei soll auch darauf eingegangen werden, inwieweit Marina einer typischen Heiligenfigur entspricht.

3.1 Die Funktion des Cross Dressings

Die Geschichte beginnt gleich mit dem Cross Dressing. Marina, die Protagonistin der Legende, ist eine tugendhafte Jungfrau. Sie wird von ihrem Vater, der eindeutig ein "guter man" (S. 305, V. 4) genannt wird, in Männerkleidung gesteckt. Marina als gehorsame Tochter ist gerne dazu bereit:

"nu wolder an ir stillen

des wibes namen uf erden

und lie der gotes werden

mannes kleidere sniden.

diz wolde si ouch liden

und gerne sinen willen tun." (S. 305, V. 12-17)

So wird sie zu dem "schone iungelinc" (S. 305, V. 20) Marinus. Dahinter steckt die Vorstellung von der sündhaften Frau. Es ist dieses Bild und die Konsequenzen, mit denen dieses Bild einher geht, dem Marina dadurch entgeht. Denn so entgeht sie der Verfügbarkeit ihres Körpers durch Männer.28 Dieses Bild beinhaltet jedoch auch, dass Frauen besonders lüstern sind.29 Dies ist etwas, dem eine Frau auch in Männerkleidung nicht so einfach entgehen kann, was sich bei Jutta gezeigt hat. Lüsternheit gilt als spezifisch weibliches Merkmal. Sich entgegen dieser Vorstellung zu verhalten, bringt für eine Frau - jedenfalls im religiösen Kontext - bereits die Befähigung zur Männlichkeit mit sich.

Die Geschichte beschreibt Marinus´ tugendsames Verhalten. Dabei nimmt der Erzähler sehr positiv zu dem Cross Dressing Stellung:

"deiswar lobelichen genuc,

so daz er billichen truc

mannes namen und die kleit,

?wand er mit voller manheit

uf den tuvel striten pflac" (S. 305, V. 45-49)

Marinus also ist zu Recht ein Mann, da er sich so verhält. So wird das, was eigentlich Schein ist, durch Marinus´ Tugendhaftigkeit bestätigt und somit zum Sein erhoben.

Als nun der Vater auf dem Totenbett liegt, fordert er in seinen letzten Worten seine Tochter auf, ihre Verkleidung unter allen Umständen zu bewahren:

"ey, nu wis daran gemant,

daz nimer menschen werde erkant,

wie du sist ein wibesnam" (S. 305, V. 59-61)

Danach stirbt er. Damit erhält ihre Verkleidung einen anderen Status. War sie vorher damit einfach ihrem Vater gehorsam, so ist es jetzt das Vermächtnis des Vaters, das sie erfüllt. Das hat ein viel stärkeres Gewicht. Ihre Verkleidung aufzugeben und den Scheinzustand zu beenden, käme damit einer Sünde gleich. Marinus handelt gemäß dem vierten Gebot: "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren". Außerdem - dies ist wichtig für das Cross Dressing - stirbt mit dem Vater der letzte Zeuge für ihre Weiblichkeit. Für die Mönche ist Marina bereits Marinus. Am Totenbett des Vaters wird sie ein letztes Mal weiblich benannt: "der vater zu der tochter sprach" (S. 305, V. 48). Immer mehr wird die Verkleidung zur eigentlichen Identität von Marinus.

Vor diesem Hintergrund spielt sich die folgende - für die Geschichte als Heiligenlegende charakteristische - Episode ab.

Marinus wird eines Tages zum Holzhacken in den Wald geschickt. Interessanterweise macht der Erzähler keine Bemerkung darüber, dass dies eine zu schwierige Arbeit für eine Frau ist. Der Erzähler akzeptiert Marinus als Mann. Schwere Arbeit klaglos zu leisten gehört jedoch generell ebenfalls zum Bild einer heiligen Person.

Marinus schafft es nicht rechtzeitig, zum Kloster zurückzukehren und muss in einem Wirtshaus übernachten. Einige Zeit später wird die Tochter des Wirtes schwanger und verleumdet den Mönch. Als dieser gefragt wird, ob das stimme, nimmt er die Schuld freiwillig auf sich, ohne sich zu rechtfertigen:

"'ich bin', sprach er, 'vil bose,

des han ich ubele gevarn

und wil ez gerne me bewarn.

setzet mir buze vor die schult'.

er viel mit grozer gedult

gegen des abtes vuzen

und bat durch got sich buzen,

wand er ein sunder were." (S. 306, V. 50-57)

Diese Szene nun dient der Darstellung von Marinus´ Demut und Gehorsam. Ohne weiteres hätte Marinus hier die Möglichkeit, sich von dem Verdacht freizumachen. Doch das hieße, dem Gebot des Vaters nicht zu gehorchen. So trägt das Cross Dressing dazu bei, dass Marinus seine große Tugendhaftigkeit beweisen kann. In der Legende von Marinus geht es also nicht nur um eine Frau, die ihr Leben lang Männerkleidung trägt und dann einfach durch das Nichtbemerken dieser Tatsache männlichen Status zugesprochen bekommt, wie bei der heiligen Hildegund von Schönau.30 Die Geschichte ist so angelegt, dass er selbst vor die Wahl gestellt wird, ob er doch seine Verkleidung aufgibt. Und er tut es nicht. Im Gegensatz zu Jutta, deren Verfehlung gerade das Beibehalten der Verkleidung war, ist dieses hier nun absolut positiv gesehen, denn gerade daran zeigt sich Marinus´ vorbildliche Demut. Marinus´ weiblicher Körper wäre ein Indiz für seine Unschuld gewesen, das er absichtlich seiner Umwelt vorenthält.

Zur Strafe wird Marinus aus der Klostergemeinschaft ausgeschlossen und muss von da an ein asketisches Leben in einer Zelle vor den Klostermauern verbringen. Bemerkenswert dabei ist, dass dies anscheinend genau seinen Wünschen entspricht:

"da sin gemach was dunne

diz duchte in gar ein wunne,

wand er der werlde gerne enpar.." (S. 306, V. 67-69)

Es wird darauf hingewiesen, wie er die Entbehrungen lange und geduldig erträgt:

"des lebete er also dri iar,

daz er nie, als um ein har

sich versneit mit ungedult,

swie er gar was ane schult." (S. 306, V. 73-76)

Zu guter Letzt muss er sich auch noch um das Kind kümmern. Das wird ihm gebracht, nachdem es der Mutter entwöhnt ist. Dies ist eine weitere Steigerung der Mühsal, die er unschuldig auf sich nimmt. Auch hier behält er seine männliche Identität bei. Interessant dabei ist vor allem, dass Marinus das Kind auf 'männliche' Weise erhält. Ausdrücklich wird gesagt, dass es der Mutter entwöhnt sei:

"Do ienez kint geborn wart

und uf gewuchs an siner art,

daz ez der muter wohl enpar;" (S. 306, V. 77-79)

Die Mönche übergeben dem Mann Marinus das Kind, das er (angeblich) gezeugt hat:

"man gab Marino sin kint.

'sich, sprachen si, 'nim dinen sun'.

waz solde er arm man do tun,

[...]

er nam daz kint, daz bi im bleib." (S. 306, V. 90-95)

Er nimmt hier also nicht die Rolle einer Mutter ein, die sich pflegend um ein Kind kümmert.

Eine entgegengesetzte Meinung vertritt Feistner. Ihrzufolge zeigt sich in der von Marinus durchgeführten Kinderpflege, dass er trotz seiner männlichen Verkleidung ein patriarchales Frauenideal verkörpert.31 Indem jedoch Feistner Kinderbetreuung automatisch als Ausdruck einer weiblichen Identität versteht, ist sie ironischerweise selbst in Geschlechterklischees befangen. Denn diese Handlungsweise entspricht vielmehr der Heiligen-Tugend der caritas, die für männliche und weibliche Heilige charakteristisch ist.32

Auch der Abt in Hartmann von Aues Gregorius nimmt sich des Kindes an und holt es, nachdem es keine direkte Pflege mehr braucht, zu sich.33 Das gehört zur Klosterpraxis. Hiermit zeigt Marinus sich vorbildlich sozial tätig, was in diesem Fall mit Geschlechterrollen wenig zu tun hat.

Bei Jutta war das Cross Dressing die Basis für ihren weltlichen Aufstieg und für ihre fortschreitende Verstrickung in Sündhaftigkeit. Für Marinus bringt das Beibehalten der Verkleidung mehr und mehr Schande und Unglück:

"man gab Marino sin kint.

'sich, sprachen si, 'nim dinen sun'.

waz solde er arm man do tun,

sit daz ungelucke

sich hufte uf sinen rucke?" (S. 306, V. 90-94)

Das qualifiziert ihn immer mehr für die Erlangung der Heiligkeit.

Die Beständigkeit, mit der er alle Strafen erträgt, fällt auch den Brüdern des Klosters auf. Nach fünf Jahren darf er zurück ins Kloster. Doch seine angebliche Schande verfolgt ihn weiter. Dort muß er bis an sein Lebensende niedere Arbeiten verrichten. Er ist ganz unten angekommen, was die Ehre betrifft:

"doch lac sin ere vurbaz nider" (S. 307, V. 12)

Ehre war das, was die hochmütige Jutta erreichen wollte. In Marinus zeigt sich das vollkommene Gegenbild.

Als Jutta stirbt, gelangt sie als Strafe für ihre vollendete Karriere in die Hölle. Marinus hat auf Erden nichts mehr zu erwarten:

"hie sin ere was verlorn" (S. 307, V. 23)

Als er stirbt, nimmt Gott seine Seele als seine Braut auf. Durch das Cross Dressing hat sie sich ihre Jungfräulichkeit bewahrt und ist tatsächlich dadurch der ‘Sündhaftigkeit des weiblichen Körpers‘ entgangen.

Als dann sein Leichnam gewaschen wird, entdecken die Mönche, dass er eine Frau ist. Diese Entdeckung ist wichtig, denn nur so wird den Mönchen bewusst, dass Marinus die ganze Zeit unschuldig war. Marina, "gotes erwelte maget" ehrenvolles Begräbnis:

"nu was ir aller begir,

daz man sie erlich hube

und in der kirchen begrube" (S. 307, V. 48-50)

(V. 43), erhält nämlich auf diese Weise ein

Das begünstigt ihre Heiligwerdung. Der Erzähler berichtet, dass an ihrem Grab in der Kirche Wunderdinge geschehen. Dies stellt gleichzeitig eine Manifestation und eine notwendige Voraussetzung ihrer Heiligkeit dar.34

3. 2 Schein und Sein

Was die Legenden bezüglich der Geschlechterrollen auszeichnet und den/die neuzeitliche Leser/in verwundert, ist der lockere Umgang mit dem Personalpronomen 3. Ps. Singular. Dies ist ein Problem für neuzeitliche AutorInnen, wie sich in der Sekundärliteratur zeigt.35 In unserer Sprache sind zwei Geschlechter festgeschrieben, die sich an dem biologischen Körper mit seinen Geschlechtsmerkmalen festmachen. Daher entsteht Verwirrung, wenn es um eine Figur geht, die von einem Geschlecht ins andere wechselt. Der mittelalterliche Autor scheint diese Scheu, einen weiblich markierten Körper "er" zu nennen, nicht zu kennen. Dabei spielt nicht etwa das Tragen von Männerkleidung selbst eine Rolle, sondern die Tatsache, ob die Menschen, die anwesend sind, die Person für einen Mann halten.36 Als nun der Vater gestorben ist, gibt es für den Autor keine Veranlassung mehr, Marinus noch mit "sie" zu bezeichnen. Erst als ihre Weiblichkeit an ihrem nackten toten Körper wieder sichtbar wird, ist sie wieder durch ein feminines Personalpronomen benannt.

Es stellt sich nun die Frage, wie weit in der Geschichte von Marina eine Loslösung des sozialen Geschlechtes vom biologischen durchgeführt wird. In ihrem Aufsatz will Feistner zeigen, dass in mittelalterlichen Geschichten, in denen Cross Dressing vorkommt - und sie bezieht das auch auf die Neuzeit - keinerlei Auflösung der Geschlechterrollen stattfindet. Im Gegenteil: Sie geht davon aus, dass gerade hier die Dichotomie und damit auch die Hierarchie besonders festgeschrieben und dadurch deutlich sichtbar werden.37

In diesem Zusammenhang muss man jedoch erst einmal fragen, was eigentlich Geschlechterauflösung heißt und wie man diese sinnvoll fordern und bewerten kann. Das Problem von Feistners Herangehensweise besteht darin, dass sie mit neuzeitlichen Emanzipationsvorstellungen an das Mittelalter heranzugehen scheint. Dies führt zu einer einseitigen Betrachtungsweise. Feistner sieht nur, wie die Figur Marinas traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen verkörpert. Dabei übersieht sie aber, dass Marina in bestimmten Teilen der Geschichte als männliche Person auftritt. Entsprechende Passagen kann Feistner nur so verstehen, dass Marina ihre Weiblichkeit unterdrückt.38 Dabei geht sie so weit, dass sie der Figur der Heiligenlegende eine "autoaggressive Motivation" unterstellt und behauptet, "dass die Protagonistinnen die männliche Rolle als fremd empfinden".39 Dies gilt jedenfalls für Marina nicht. Feistner sieht also von vornherein das Cross Dressing nur als "männliche Rolle", nicht als Mannwerdung, da sie bei Marina nur das weibliche - das biologische - Geschlecht als existent anerkennt. Damit argumentiert sie jedoch zirkulär, denn sie setzt voraus, was sie eigentlich durch diese Textarbeit belegen will: Dass in der Marina-Legende keine Auflösung der Geschlechterrollen stattfindet.

Ein anderes Argument Feistners dafür, dass sie hier eben besonders deutlich hervortreten, ist, dass Marinus weiblich konnotiert bleibt40, da sie sich erstens dem patriarchalischen Befehl ihres Vaters unterwirft, zweitens auch noch ein Kind aufzieht, und drittens damit einer Männerphantasie entspricht, die selbst noch die Frau in Männerkleidung demütig und dienend sehen will.41 Recht hat Feistner im ersten Punkt. Denn in der Legende werden im Gehorsam des Kindes patriarchale Strukturen sichtbar. Doch Kinderaufzucht ist - wie gezeigt - in diesem Fall nicht als typisch weiblich zu sehen. In gleicher Weise wie die Kinderaufzucht ist auch Marinas Demut und ihr dienendes Verhalten als Strafe im Kloster zu bewerten. Bei Heiligen in Legenden gelten nicht die gleichen Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder wie in der anderen Welt. Zwar gibt es verschiedene Arten von Heiligkeit und dort lassen sich sicherlich auch Unterschiede bei Männern und Frauen feststellen42. Dennoch ist Demut durchaus eine Tugend für männliche Heilige. Dies kann man überprüfen anhand eines 'Tests', den Feistner in ihrem Aufsatz selbst vorschlägt43. Feistner sagt nämlich, dass ein Mann, der sich weiblich, also unmännlich, verhält, als lächerliche Figur beschrieben wird. Doch im religiösen Kontext gilt Demut für einen Mann keineswegs lächerlich.

Meine Interpretation lässt sich also so zusammenfassen: Marina verleugnet nicht ihre Weiblichkeit, sondern verwandelt sich in einen Mann. Jedoch entspricht sie damit einem Männlichkeitstypus, in dem Männer und Frauen eher aneinander angenähert sind.44 Der Ausgangspunkt für Marinas Verhalten ist, der Weiblichkeit zu entgehen. Was bleibt ihr anderes übrig, als Mann zu werden? Es mag sein, dass dies auf diese für das Mittelalter doch sehr weit gehende Weise nur in einem religiösen Kontext funktioniert. Dort nämlich, wo ein anderes Bild von Weiblichkeit, aber eben auch ein anderes Bild von Männlichkeit herrscht. So ist Männlichkeit durchaus nicht so starr zu sehen, wie Feistner behauptet.45

Doch Feistner scheint selbst der Kraft ihrer Argumente nicht zu trauen. Sie versucht ihre Ergebnisse aus ihrer Interpretation der Marina-Legende herunterzuspielen. Um ihre These, dass das Motiv des Cross Dressing kein subversives Potential besitzt, zu retten, geht sie von einer Sonderstellung der religiösen Literatur aus. Dabei war im Mittelalter Religion sehr intensiv mit dem alltäglichen Leben verknüpft; "außerklösterlich"46 heißt nicht automatisch 'weltlich'. Der Umgang mit Heiligen als Vorbild wurde keineswegs nur in Kloster- und anderen Zusammenhängen rezipiert, die wir heute als religiös ansehen.47 Eine Laborbedingung48 herrscht nicht. So ist es durchaus sehr subversiv, wenn sich eine Vermännlichung dieser weiblichen Heiligen feststellen lässt.

Eine genaue Interpretation der Texte hat gezeigt, dass Cross Dressing positiv und negativ eingesetzt werden kann. Dies richtet sich jeweils nach der Motivation, aus der heraus die Figur Cross Dressing betreibt. Sei es aus Streben nach weltlichem Ruhm oder aus dem Wunsch heraus, der - aus mittelalterlicher Sicht - Sündhaftigkeit des weiblichen Körpers zu entgehen.

Ist das Cross Dressing negativ bewertet, dann bleibt die weibliche Identität erhalten. Es gibt keine Auflösung der Geschlechtergrenzen. Die Figur geht nicht von einem ins andere Geschlecht über, sondern das Cross Dressing bleibt Maskierung, die dann die Voraussetzung für ihre Sündhaftigkeit ist. Denn die Verkleidung bedeutet die Anmaßung eines Platzes, der ihr nicht gebührt. Eine positive Wertung des Cross Dressing s jedoch kann zu einem Übergang von einer weiblichen zu einer männlichen Identität führen. Der Aufstieg innerhalb der Geschlechterhirarchie gelingt.

4. Literaturverzeichnis

Das Verzeichnis enthält nur die zitierte oder erwähnte Literatur.

I. Primärliteratur:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II. Forschungsliteratur:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III. Nachschlagewerke:

Mittelalterliche Frauenbewegungen. Ihre Beziehungen zu Orthodoxie und Häresie, Pfaffenweiler 1990. Bes. S. 18-53.

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von WOLFGANG STAMMLER u.a., 5 Bde. Berlin/Leipzig 1933-1955. 2., völlig neu bearb. Aufl. hg von KURT RUH u.a., Bd.[Abk. VL].

[...]


1 Schernberg, Dietrich: Ein schön Spiel von Frau Jutten. nach dem Eislebener Druck von 1565, hg. von Manfred Lemmer, Berlin 1971 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 24).

2 Von sante Marina[,] einer juncvrowen. In: Das Passional. Eine Legenden-Sammlung des dreizehnten Jahrhunderts. Zum ersten Male hg. und mit einem Glossar versehen von Fr. Karl Röpke, Quedlinburg/Leipzig 1852 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 32) [Nachdruck Amsterdam 1966], Nr. 35, S. 305ff.

3 Hier verwende ich einen Begriff von Jolles: Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Halle 1930 [Nachdruck 1968 u.ö.]. Darauf gehe ich jedoch später ausführlicher ein.

4 Feistner, Edith: Manlîchiu wîp, wîplîche man: Zum Kleidertausch in der Literatur des Mittelalters. In: Beitr. 119 (1997/2), S.259.

5 Vgl hierzu Bennewitz, Ingrid: Feministische Literaturwissenschaft und Mediävistik. Versuche zur Positionsbestimmung. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 3 (1992), S. 36, Fußnote (3).

6 Vgl. Gössmann, Elisabeth: Alptraum der Kirchenmänner: Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna. In: Sakkorausch und Rollentausch: männliche Leitbilder als Freiheitsentwürfe von Frauen, hrsg. von Andrea Stoll und Verena Wodtke-Werner, Dortmund 1997. S.175-201.

7 Vgl. zum weiteren: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von Wolfgang Stammler u.a., 5 Bde. Berlin/Leipzig 1933-1955. 2., völlig neu bearb. Aufl. hg von Kurt Ruh u.a., Bd.[Abk. VL]

8 Rabenstein, Claudia: Deutsche literarische Bearbeitungen der Päpstin Johanna-Legende im 15. und 16. Jahrhundert. In: Schwierige Frauen - schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters. Hg. von Alois Haas und Ingrid Kasten, Bern 1998, S. 316.

9 Vgl. V.1287-1297.

10 VL, Sp. 650.

11 Hervorhebung von mir.

12 Rabenstein, S. 317.

13 Vgl. Jolles. Dabei gehe ich nicht so weit, das Spiel selbst als "Antilegende" zu bezeichnen. Vgl. hierzu: Rosenfeld, Hellmut: Legende, Stuttgart 1961 u.ö. (Sammlung Metzler 9), S. 17.

14 Jolles, S. 26.

15 Jolles, S.30.

16 Jolles, S.51.

17 Ebd.

18 Jolles. S. 53.

19 Jolles. S. 36.

20 Ebd.

21 Ebd.

22 Jolles, S. 51.

23 Feistner, S. 243.

24 Rabenstein, S. 316f.

25 Gössmann, S. 188f.

26 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Schernberg selbst auf Bemerkungen verzichtet, dass von dieser einen Frau auf alle anderen zu schließen sei, wie dies in der protestantischen Päpstin-Johanna- Darstellung oft geschieht, so z. B. Christoph Irenäus, der Verfasser des Nachwortes. Oder Hans Sachs in seiner Version der Päpstin-Johanna-Geschichte: "Auß dem gar wohl zu mercken ist,/ Wie groß und hoch sey weybes list". Hans Sachs: Historia von Johanne Anglica, der bäpstin. Hg. von Adelbert von Keller: Hans Sachs, Bd.8, Tübingen 1874, S.652-655, S. 655, V 4f. Vgl. auch Rabenstein, S. 314ff.

27 Vgl. Jolles, S.34.

28 Vgl. Weinmann, Ute: Mittelalterliche Frauenbewegungen. Ihre Beziehungen zu Orthodoxie und Häresie, Pfaffenweiler 1990, S. 38.

29 Vgl. Weinmann, S. 40. Auch Liebers, Andrea: "Eine Frau war dieser Mann": Die Hosenrolle von Frauen in Spätantike und Mittelalter. In: Sakkorausch und Rollentausch: männliche Leitbilder als Freiheitsentwürfe von Frauen, hrsg. von Andrea Stoll und Verena Wodtke-Werner, Dortmund 1997, S. 157 ff.

30 Vgl. Liebers, S.146-152.

31 Vgl. Feistner, S. 239.

32 Vgl. Jolles, S. 27.

33 Vgl. Hartmann von Aue, Gregorius. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Friedrich Neumann, übertragen von Burkhard Kippenberg, Stuttgart 1959 u.ö. (RUB 1787).

34 Vgl. Jolles.

35 Feistner, indem 'Marinus' in Anführungsstriche gesetzt wird (Feistner, S. 237) und Liebers, die irritiert mit "er/sie" arbeitet (Liebers, S. 156).

36 Dies zeigt sich deutlich in der Geschichte von Euphrosina. In: Das Väterbuch. Hg. von Karl Reissenberger, Dublin/Zürich, 2. Unv. Aufl. 1967 [Nachdruck der 1. Aufl. von 1914], S. 402ff.

37 Feistner, S.259.

38 "Das Ziel der Verkleidung besteht dementsprechend bei Marina darin, dem Vater (bzw. Gott als religiöser Projektion der Vaterfigur) zuliebe die eigene Identität zu unterdrücken, ja zu vernichten." Feistner S. 238.

39 Feistner, S. 238.

40 Feistner, S. 246.

41 Feistner, S. 238f/ S. 246..

42 Vgl. Weinmann, S. 37f.

43 Vgl. Feistner, S. 246f.

44 Marina entspricht damit dem Typus der "mulier virilis". Vgl. hierzu Wittern, Susanne: Frauen, Heiligkeit und Macht: Lateinische Frauenviten aus dem 4. bis 7. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1994, S. 8-16, bes. S. 13.

45 Feistner, S.259f.

46 Feistner, S.248.

47 Vgl. Jolles: S. 38 sowie das VL zum Passional, Sp. 334.

48 Vgl. Feistner, S. 248. Ich verstehe "Laborraum" so, dass Feistner von einer Sonderrolle der religiösen Literatur ausgeht, wohingegen sie die höfische Literatur als 'die Welt' bezeichnet. Das verwundert, ist höfische Literatur im Mittelalter doch immer Adels - und somit Elite-Literatur.

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Crossdressing in der Legende
Universidad
Free University of Berlin
Curso
Hauptseminar
Calificación
gut
Autor
Año
2000
Páginas
24
No. de catálogo
V102589
ISBN (Ebook)
9783640009695
Tamaño de fichero
392 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die Arbeit befasst sich mit dem Thema des Cross Dressings, dem Kleidertausch, in mittelalterlichen Legenden, in denen eine Frau Männerkleidung trägt.
Palabras clave
Crossdressing, Legende, Hauptseminar
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Simone Pefferkofen (Autor), 2000, Crossdressing in der Legende, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102589

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