Sprachliche Relativität bei Wilhelm von Humboldt. Können wir ohne Sprache denken?


Term Paper, 2019

17 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprache und Denken bei Humboldt
2.1. Form und Stoff
2.2. Humboldts Sprachauffassung
2.3. Innere und äußere Sprachform

3. Was war zuerst: die Sprache oder das Denken?
3.1. Zusammenhang von Denken und Sprache
3.2. Verschiedenheit der Sprachen und Sprache als Ausdruck von Weltansicht

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Die Sprache ist das bildende Organ des Gedankens” (Humboldt 1998, 180) - So formuliert Wilhelm von Humboldt in seiner 1836 erschienenen Abhand­lung "Von der Natur der Sprache und ihrer Beziehung auf den Menschen im Allgemeinen” seine Antwort auf die Frage, um die es in dieser Arbeit gehen soll - Können wir ohne Sprache denken? Dazu werde ich mich auf Hum­boldts Einleitung Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts zum Werk Ueber die Kawi-Sprache auf der Insel Java, konzentrieren. Diese Einleitung gilt als Humboldts Hauptwerk und als bestimmend für die nachfol­gende Sprachphilosophie. Der Bezug zwischen Sprache und Welt bzw. Sprache und Denken wurde in der Philosophie immer schon problematisiert. Je mehr man die Auffassung von Sprache differenziert, desto mehr fallen die Bereiche von Sprache und Welt auseinander. Ihre Vermittlung scheint eben­so notwendig wie der Zusammenhang von Sprache und Denken problema­tisch.

Häufig werden die von Humboldt getätigten Aussagen seines Werks in Rich­tung sprachliche Relativität interpretiert. Diese sprachtheoretische Auffas­sung besagt, dass: "[...] jene Sprache(n), die ein Individuum als Teil einer Sprachgemeinschaft erworben und gelernt hat, die Art und Weise mitbeein­flussen, wie die Welt von diesem Individuum und als Wirklichkeit interpretiert wird; dieser Einfluss kann allerdings reflektierend aufgehoben werden.” (Wer- len 2002, 28) Anhand dieser Definition, die ich gewählt habe, weil Humboldt denselben Aspekt von Sprache als Weltansicht in seiner Sprachauffassung betont, und seiner Abhandlung über den menschlichen Sprachbau, werde ich den Zusammenhang von Denken und Sprache untersuchen.

Die Abhandlung besteht aus 25 Paragraphen, wobei ich mich hauptsächlich auf die ersten 8 und auf den 11. und 12. Paragraphen konzentrieren werden. Zum einen werde ich die Hauptbegriffe Denken und Sprache analysieren und sie in Humboldts Sinne definieren. Besondere Berücksichtigung werden hier­bei das Begriffspaar Stoff und Form sowie die Unterteilung der Form in inne­re und äußere Sprachform finden. Danach werde ich mich der Beantwortung der Frage widmen, ob wir ohne Sprache denken können, indem ich beson- ders den schon erwähnten Aspekt der Sprache als Weltansicht ins Blickfeld rücken werde.

2. Sprache und Denken bei Humboldt

Bevor ich mich der Erläuterung des Zusammenhangs von Sprache und Den­ken widme, werde ich die beiden Begriffe im Humboldt’schen Sinne definie­ren, da das Verständnis dieser dafür grundlegend ist.

2.1. Form und Stoff

Um zu Humboldts Sprachauffassung von der Sprache als Form hinzuführen ist es nötig das oben genannte Begriffspaar des Stoffes und der Form etwas näher zu erläutern.

Es hat eine lang zurückreichende Geschichte und philosophische Tradition und interessiert uns bei dieser Untersuchung vor allem, weil Humboldt, wie ich eben schon erwähnt habe und später noch im Kapitel über die Sprachauf­fassung von Humboldt klären werde, die Sprache als Form auffasst. Die bei­den Begriffe sind ursprünglich aus dem aristotelischen Begriffspaar hyle und morphe (‘Hylemorphismus’) entstanden und dann im Mittelalter zu materia und forma übergegangen. (vgl. Werlen 2002, 147)

Die Form ist dabei die Prägung eines Prinzips, welches für eine individuelle Größe verantwortlich ist und das sich in dem jeweiligen Stoff realisiert. Ein Individuum ist so immer geformte Materie. Im heutigen Sprachgebrauch lässt sich eine Wandlung dieses Verhältnisses feststellen. Die Form ist die äußere Gestalt, die etwas besitzt. So wird meistens auch von einer Wortform gere­det: z.B. ist Hauses eine Form des Wortes Haus. Deswegen kann man hier nicht mehr vom anfänglichen Prinzip von Form sprechen.

Der Stoff soll wie man den vorangegangen Thesen entnehmen kann hierbei die Geistes- bzw. Denkkraft, die ein Medium für ihre Tätigkeit braucht, d.h. einen ihr gemäßen und doch von ihr verschiedenen Stoff, darstellen. Er ist so gesehen das Produkt des Denkens.

Unter Stoff versteht Humboldt die aposteriorisch gegebene Erfahrung und unter Form die apriorisch gelegene Form der Erkenntnis.

"Der wirkliche Stoff der Sprache ist auf einer Seite der Laut überhaupt, auf der andren die Gesammtheit der sinnlichen Eindrücke und selbst- thätigen Geistesbewegungen, welche der Bildung des Begriffs mit Hül­fe der Sprache vorausgehen.” (Humboldt 1998, 177)

Hieraus geht hervor, dass der Stoff erst geformt werden muss um die Form zu artikulieren, also dass erst die geistige Tätigkeit vor der Artikulation des Lautes erfolgt. Es kann demnach geschlussfolgert werden, dass die Form im Geist des Sprechers liegt und er in der Rede er den lautlichen und inhaltli­chen Stoff formt, welcher das Resultat eben dieser Geisteskraft, des Den­kens, darstellt.

2.2. Humboldts Sprachauffassung

Um Humboldts Auffassung von Sprache zu erläutern, werde ich zunächst auf sein Menschenbild eingehen. Für ihn ist der Mensch ein geselliges Wesen, welches Gesetze erschafft und mit der Entstehung desselben ist die Grund­lage der Moral geschaffen und entwickelt sich fortwährend. (vgl. Humboldt 1998, 149) Um solche Gesellschaften bilden zu können und die darin festge­legten Werte und Gesetze verschriftlichen zu können bedarf es einer Kom­munikationsform - der Sprache.

"Die Hervorbringung von Sprachen ist ein inneres Bedürfnis der Menschheit, nicht bloß ein äußerliches zur Unterhaltung gemeinschaft­lichen Verkehrs, sondern ein in ihrer Natur selbst liegendes, zur Ent­wickelung ihrer geistigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltan­schauung, zu welcher der Mensch nur gelangen kann, indem er sein Denken an dem gemeinschaftlichen Denken mit Anderen zur Klarheit und Bestimmtheit bringt, unentbehrliches.” (Humboldt 1998., 151)

Aus diesem Zitat lässt sich schließen, dass die Funktion von Sprache nicht nur die der Kommunikation ist, sondern eben auch benötigt wird um Gedan­ken zu entwickeln und eine bestimmte Weltanschauung formulieren zu kön­nen.

Humboldt hat dabei keine statische, sondern eine dynamische Auffassung von Sprache. "[Die Sprache] selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thä- tigkeit (Energeia).” (Humboldt 1998, 174) Daraus folgt, dass sie kein Werk­zeug ist, sondern ein Organ, was erst im Individuum zu seiner Bestimmtheit gelangt.

Außerdem sei "die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefaßt, ist etwas bestän­dig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbe- wahrung, die es doch erst wieder bedarf, daß man dabei den lebendi­gen Vortrag zu versinnlichen sucht”. (Humboldt 1998, ebd.)

Diese These unterstützt noch einmal die dynamische Auffassung von Spra­che. Man kann sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten, ohne, dass sie sich weiterentwickelt und verändert. Sie ist nicht ein in Grammatik und Lexikon niedergelegtes System, sondern ein ständiges Verwandeln der Welt in Ausdruck durch die innere Geistestätigkeit.

Die Sprache ist bei Humboldt gegenüber den bloßen Worten hervorgehoben. Diese gehen untereinander Beziehungen ein und wecken Assoziationen und Konnotationen. Diese Beziehungen sind wiederum die Artikulation des Cha­rakters der Einzelsprache. Sie sind nicht einfach nur Zeichen für Begriffe, sondern haben eine gewisse Individualisierungsleistung. Das Wort beinhaltet also die mit Freiheit und Selbstständigkeit durch die geistige Tätigkeit bear­beitete subjektive Vorstellung des Gegenstands.

Man kann Humboldts Sprachauffassung dahingehend zusammenfassen, dass die Sprache eine Form ist, die wandelbar ist, also eine Tätigkeit, die sich durch in der Artikulation der inneren Geistestätigkeit ausdrückt und de­ren einzelne Komponenten Wörter sind, die der subjektiven Wahrnehmung durch diese innere Tätigkeit Ausdruck verleihen.

2.3. Innere und äußere Sprachform

In den vorherigen Kapiteln habe ich schon die Begriffe Stoff und Form erläu­tert, wobei ersterer für die Erfahrungen und Eindrücke, die im Prozess der inneren Tätigkeit eines Individuums verarbeitet werden steht, und letzterer für die Artikulation dieser Wahrnehmungen.

Nun bezeichnet die Form in der Theorie von Humboldt die Sprache und kann sich in einer inneren und einer äußeren Form äußern. Diese Formen bezie­hen sich auf den eigentlichen Stoff der Sprachen, den Laut und das Denken. Dabei dient die äußere Form der Artikulation des Lauts bzw. der Laute. In jeder Sprache gibt es ein unterschiedliches Lautsystem. Laut Humboldt ist die "[...] die Lautform das eigentlich eigentlich constitutive und leitende Prin- cip der Verschiedenheit der Sprachen, sowohl an sich, als in der befördern­den oder hemmenden Kraft, welche sie der inneren Sprachtendenz gegen­übergestellt.” (Humboldt 1998, 180)

Die innere Form hingegen ist die semantische Gestaltung der Sprache und bewirkt in dieser eine verschiedene Organisation der lexikalischen und grammatischen Bedeutung. "[...] ihr ganz innere und rein intectueller Theil macht eigentlich die Sprache aus; er ist der Gebrauch, zu welchem die Spracherzeugung sich der Lautform bedient.” (Humboldt 1998., 210). Sie ist also die Art und Weise, in der objektive Realität und subjektive Auffassung in der Beziehungserfassung und in der Redefügung zusammenwirken. "[...] er [der intelectuelle Theil] ist der Gebrauch, zu welchem die Spracherzeugung sich der Lautform bedient, und auf ihm beruht es, daß die Sprache Allem Ausdruck zu verleihen vermag [...]”. (Humboldt 1998, ebd.)

Humboldt führt zwei Beispiele aus Grammatik und Wortschatz aus dem Sanskrit an, um seine Thesen über die innere Wortform zu verdeutlichen. Einerseits nennt er das Beispiel des Vergleichs der Sprachen Sanskrit und Griechisch, wobei erstere eine nicht so fein entwickelte und eng eingegrenzte Struktur des Verbs aufweist wie letztere. Der Begriff des Modus ist "nicht wahrhaft gefühlt und nicht rein von dem des Tempus unterschieden”. (Hum­boldt 1998, 211). So beschreibt er die Unterscheidungen auf grammatischer Seite, die sich auf eine innere Ursache, den Prozess des "intelectuellen Theils der Sprache” (vgl. Humboldt 1998, 212) zurückführen lassen. Außerdem führt Humboldt den Begriff der inneren Sprachform ein, um die semantische Verschiedenheit der Sprachen zu betonen. Im Sanskrit gäbe es drei verschiedene Bedeutungen für das Wort Elefant. (vgl. Humboldt 1998 213f.) Daraus ergibt sich, dass einem Gegenstand verschiedene Bedeutun­gen zukommen können, was die These bestätigt, dass die jeweilige Bezeich­nung (das jeweilige Wort) für einen Gegenstand die durch die geistige Tätig­keit bearbeitete und subjektive Vorstellung desselben enthält.

[...]

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Details

Title
Sprachliche Relativität bei Wilhelm von Humboldt. Können wir ohne Sprache denken?
College
University of Rostock
Grade
1,7
Author
Year
2019
Pages
17
Catalog Number
V1026415
ISBN (eBook)
9783346427779
ISBN (Book)
9783346427786
Language
German
Keywords
Theoretische Philosophie, Humboldt, Sprachphilosophie, Sprachliche Relativität
Quote paper
Marie Brockmann (Author), 2019, Sprachliche Relativität bei Wilhelm von Humboldt. Können wir ohne Sprache denken?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1026415

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