Einige Eigenarten des Romans im frühen 20. Jahrhundert anhand Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz


Seminar Paper, 1999

11 Pages, Grade: 3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Expressionismus, Döblins Romantheorie

2. Erzählperspektiven

3. Die Montagetechnik
- Die epischen Mittel
- Die Sprache

4. Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der in 1929 erschienene Roman Alfred Döblins kann als richtungsweisend in der expressionistischen Literatur betrachtet werden. Für die neuen Ansichten und Romantheorien Döblins, wie auch einige seiner Zeitgenossen lassen sich in Berlin Alexanderplatz leicht Beispiele finden und ihre Funktion, wie auch die möglichen Absichten des Autoren für den Gebrauch dieser, nachvollziehen.

In meiner Arbeit möchte ich einige dieser Elemente der Romantheorie Döblins anhand seinem Roman Berlin Alexanderplatz aufzeigen, und, wenn möglich ein Erklärungsversuch auf die entstandene Problematik unternehmen.

In der Einleitung versuche ich zunächst den Expressionismus kurz vorzuführen und später einen Ansatz zur Döblins Romantheorie zu geben um die Existenz einer Problematik zu verdeutlichen.

1.1 Expressionismus, Döblins Romantheorie

Einen starken Einfluß auf Döblins Literaturtheorie übte der Futurismus aus. „[…]Der Futurismus ist ein großer Schritt. Er stellt einen Befreiungsakt dar[…]“1. „[…]Die Wirkung des Futurismus auf die deutsche Literatur nach 1910 ist auch auf Grund zahlreicher Äußerungen Gottfried Benns zu belegen[…] „[…]Sie und die von Ihnen geschaffene Kunstrichtung war es , die die stupide Psychologie des Naturalismus hinter sich warf, das faul und zäh gewordene Massiv des bürgerlichen Romans durchstieß[…]““2. „Der Psychologismus, der Erotismus muß fortgeschwemmt werden, Entselbstung, Entäußerung des Autors, Depersonation. […] Tatsachenphantasie! Der Roman muß seine Wiedergeburt erleben als Kunstwerk und modernes Epos“3 Döblins frühe Forderungen lassen keinen Zweifel daran, daß er einen völligen Umschwung vom modernen Romanautoren erwartet. Zwar revidierte Döblin einige dieser Forderungen nach 1929, aber die Grundzüge seiner Romantheorie werden durch diese und durch die, im Späteren noch folgende Zitate seiner theoretischen Äußerungen getragen.

Einen sehr starken Widerwillen empfindet er gegen eine steife, vorgegebene Form des Romans. Unter anderem kritisiert er den Handlungsablauf eines Romans in dem er schreibt: „Der Roman hat mit Handlung nichts zu tun“4. Er bezeichnet den „[…]Romanschriftsteller alten Schlages als verkappten Dramatiker[…]“. Weiterhin fordert er „[…]die trennende Wand zwischen dem Publikum und dem Kunstraum […] aufzuheben und zu überwinden[…].“5 Damit ist mitunter die Aufhebung der geschlossenen Berichtform des Romans postuliert.

Im Widerspruch zu sich selbst fragt Döblin: „Darf der Autor im epischen Werk mitsprechen, darf er in diese Welt hineinspringen? Antwort: Ja, er darf und er muß. […]“6. Obwohl Döblin zuvor die Entäußerung des Autors gefordert hat, nimmt er hier die Position des mitwirkenden, mitsprechenden, des bewußt schaffenden Autors ein.

Somit ist die Problematik der Erzählstrategien gegeben, die ich im nächsten Punkt genauer erläutern möchte.

2. Erzählperspektiven

In Berlin Alexanderplatz überwiegt die Perspektive des auktorialen Erzählens7. Der Erzähler tritt selber im Roman auf und kommentiert die Ereignisse und die Taten Biberkopfs und wendet sich an Biberkopf selbst: „Du hast geschworen, Franz Biberkopf, du willst anständig bleiben. […] Und jetzt? Sitzt auf dem selben Fleck, Ida heißt Mieze, der eine Arm ist die ab […]“8, und auch an den Leser, den er auf einer Stufe mit sich stellt, bis der Held als ein Patient des Neurologen Döblins behandelt wird. Der Erzähler wird sich seiner schaffenden Rolle klar, er entdeckt sich selbst und bringt seine Übersicht, seine Allwissenheit über das Geschehen auch zum Vorschein.

Durch die Einleitungen der Bücher und die eingeschobenen Kapitelüberschriften, tritt der Erzähler als Begleiter und ständiger Überwacher des Helden auf. Dieser Eingriff ist ein Anhaltspunkt für die Deutung der Geschehnisse, überlassen aber dem Rezipienten das Fällen eines Urteils. Die Einleitung zum vierten Buch ist ein musterhaftes Beispiel hierfür:

„Franz Biberkopf hat eigentlich kein Unglück getroffen. Der gewöhnliche Leser wird erstaunt sein und fragen: was war dabei? […] Ihr werdet den Mann saufen sehen und sich fast verloren geben. Aber es war noch nicht so hart, Franz Biberkopf ist für schlimmere Dinge aufbewahrt.“9

Döblin wechselt oft zwischen den Erzählperspektiven, behält aber fortwährend die Übersicht über den Helden.

Der ständige Wechsel der Tempora des Erzählens deutet auf eine neue Theorie des Romans seitens Döblin. Er fordert die „Urform“ der Epik, den Bericht, nicht mehr als Ausgangsposition zu sehen. Er meint der Leser des Romans würde die laufende Handlung als gegenwärtig empfinden und deswegen sei die ausschließliche Anwendung des Tempus des Berichts nicht für den Roman angemessen: „[…] ob der Epiker in Präsens, Imperfektum oder Perfektum schreibt, er wird diese Modi wechseln, wo es ihm gut dünkt. Das Entscheidende ist, und das zu beachten ist nun keine Nebensächlichkeit: es ist unrichtig, was man öfter liest: der Dramatiker gibt eine gegenwärtig ablaufende Handlung, der Epiker erzählt von der abgelaufenen Handlung. Das ist oberflächlich und lächerlich. Für jeden, der ein episches Werk liest laufen die Vorgänge, die berichtet werden jetzt ab, er erlebt sie jetzt mit, da kann Präsens, Perfektum oder Imperfektum stehen, wir stellen Dinge im Epischen die Dinge genau so gegenwärtig dar […] wie der Dramatiker“10

3. Die Montagetechnik - Die epischen Mittel - Die Sprache

Zur Darstellung des Gegenwärtigen, der Welt „[…] wie sie ist“11 verwendet Döblin außer des Berichts in Präsens auch den literarischen Mittel der Simultantechnik. Diese Technik, die „zur Erfassung der Gleichzeitigkeit verschiedener, räumlich disparater Ereignisse […] mit dem Ziel, die Vielheit verschiedener Erscheinungen, die Mehrschichtigkeit der Wirklichkeit […] zu veranschaulichen [dient]“12, wird erst durch die, beim Film bereits verwendete Technik der Montage ermöglicht. „Eingefügte Zeitungsausschnitte, Radiosendungen ,Ausrufer, Slogans, Werbesprüche usw. […]“13 überbringen dem Leser das Milieu der Großstadt Berlin. Die Lebendigkeit, die immerwährende Bewegtheit wird durch diese Technik vermittelt und der Eindruck der laufenden Handlung verstärkt. Die Liedertexte, die Plakate, wie auch die unübersehbare Neuerung Döblins auf dem Gebiet des Erzählens, das stream of consciousness 14 dient ebenfalls diesem Zweck. Das stream of consciousness wird auch von James Joyce verwendet, und viele Kritiker weisen sogar auf Joyce in dieser Beziehung hin, aber Döblin widerlegt diese Behauptungen in dem er 1932 in Mein Buch „ Berlin Alexanderplatz “ schreibt: „Aber ich habe Joyce nicht gekannt, als ich das erste Viertel des Buches schrieb. Später hat mich ja sein Werk, wie ich auch öfter gesagt und geschrieben habe, entzückt, und es war ein guter Wind in meinen Segeln“15

Diese Behauptung seinerseits wird auch durch seine früheren Äußerungen seiner Literaturtheorie betreffend bestätigt. Stream of consciousness taucht auch bereits bei Zeitgenossen Döblins auf und wird als erzählerisches und dramatisches Strukturprinzip betrachtet, wie ein Ausschnitt aus dem Gedicht Mein Haus von Ludwig Rubiners beweist: „[…] Gemüseläden. Urmacher mit Schmuck. Finstere Löcher./ Polizisten stehen vor Theatern. Die Untergrundbahn stürzt in ihre Köcher. / Weiße Kellner mit Tassen. Zeitungsjungen laufen. Kutscher reden zu Gäulen“ (Die Aktion, 1913, Sp. 350f.)16

Die Anwendung des stream of consciousness gewährt dem Rezipienten einen Einblick in die Gedankenwelt Biberkopfs und verstärkt in ihm das bereits vorhandene Gefühl des Dabeiseins. Eine realistische Beschreibung, eine reale Sphäre des Erzählens wird durch diese Technik geschaffen. „[…] Mariechen saß auf einem Stein, einem Bein, ganz allein. Was geht mich die an. Soll die mit ihrem Ollen glücklich werden. Sauerkraut mit Rüben, die haben mich vertrieben, hätte meine Mutter Fleisch gekocht, wär ich bei ihr geblieben. Hier stinken die Katzen auch nicht anders wie woanders. Häseken, verschwinde wie die Wurst im Spinde. Werde ich hier bregenklütrig rumstehen und mir das Haus angucken. Und die ganze Kompanie macht kikeriki./Kikeriki. Kikeriki.[…]“)“17

Die eingeschobenen Liedertexte und Aufschriften können neben der ordnenden auch eine zustandserklärende Funktion übernehmen. Es läßt sich eine regelrechte Wiederkehr einiger Elemente beobachten, die den jeweiligen Stand der Ereignisse schildert. Diese Wiederkehr, eine epische Wiederholung fügt sich dem Aufbau des Romans, der sich hauptsächlich in 3 Teile gliedern läßt, nämlich die drei Eroberungsversuche Biberkopfs gegen Berlin, die jedesmal scheitern. Das Lied vom Schnitter Tod kennzeichnet jeweils ein solches Scheitern, wobei Biberkopf sich seiner jeweiligen Lage noch nicht im klaren ist, d.h. er nimmt die für jeden anderen deutlichen Signale des Scheiterns nicht wahr.

„Es ist ein Schnitter der heißt Tod, hat Gewalt vom großen Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser, bald wird er drein schneiden, wir müssens erleiden. […]Es ist ein Schnitter der heißt Tod, hat Gewalt vom großen Gott. Bald wird er drein schneiden.“18

Die Wiederholung gehört also zur Grundstruktur dieses Romans19 und wird durchgehend in den o.g. Funktionen verwendet. Somit ist eine weitere Rolle der Montagetechnik im Roman gegeben.

Die Lebendigkeit, die Bewegtheit und die Sphäre der Großstadt Berlins wird ebenfalls durch den vielschichtigen Sprachgebrauch im Roman intensiviert. Im Roman sind verschiedene Soziolekte, wie auch eine Variante des Niederdeutschen Dialekts verwendet. Die Verwendung dieser Sprachformen übernimmt einerseits die bereits erwähnte Funktion der Steigerung des Realitätsgefühls des Rezipienten, andererseits ist das „[…] sprachlich verfügbare Bewußtseinsinventar einer Sprachgemeinschaft, dieses Wortmaterial[…]“ laut Döblins Literaturtheorie „[…]der eigentliche „Stoff“ der Dichtung […]“20, und muß folgerichtig auch übermittelt werden.

„[…]“Fragst mir gar nicht, Mieze, warum er da war?“-„Nee.“- „Wistet gar nicht wissen?“-„Nee“ […] „Du willst mir an den verkoofen.““21

Durch die reale Wiedergabe des Sprachgebrauchs wird hier also ein überzeugendes Bild des Beschriebenen gegeben.

4. Resümee

Döblins Berlin Alexanderplatz trägt einige Züge des klassischen Bildungsromans an sich, kann und darf aber nicht als ein solcher eingeordnet werden, denn das letztendliche Ziel des Bildungsromans, „die innerseelische Reifung und damit die Entfaltung und harmonische Ausbildung der geistigen Anlagen (Charakter, Willen) zur verantwortlichen, humanitären Gesamtpersönlichkeit […]“22 wird nicht erreicht, obwohl Biberkopf am Ende des Romans doch zu einer Art „Selbsterkennung“ geführt wird.

„Viel Unglück kommt davon, wenn man allein geht. Wenn mehrere sind, ist es schon anders, Man muß sich gewöhnen, auf andere zu hören, denn was andere sagen, geht mich auch an.“23

Der Weg dahin trägt ebenfalls Unstimmigkeiten gegenüber dem Bildungsroman. Biberkopf läßt sich nicht erziehen, wie dies auch von seinen gescheiterten Eroberungsversuchen Berlins bestätigt wird.

Den populären psychologischen Roman lehnt Döblin grundsätzlich ab, es „sei [nämlich] von der Psychiatrie zu lernen, deren Überlegenheit Döblin darin erblickt, daß sie sich auf die Notierung der seelischen Abläufe und Bewegungen beschränkt[…]“24 und keinen Erklärungsversuch für die seelischen Vorgänge unternimmt. Eine behavioristische Auffassung also, die im Darstellen der seelischen Vorgänge Biberkopfs, des Sprachgebrauchs mehrerer sozialer Schichten und im realistischen Beschreiben der Umstände und der Umgebung voll zur Entfaltung kommt.

Literaturverzeichnis:

Primärliteratur:

Döblin, Alfred - Berlin Alexanderplatz, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1977

Sekundärliteratur:

- Bayerd ö rfer, Hans - Peter: Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz, in: Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts, Hrsg. von Paul Michael Lützeler, Athenäum Verlag GmbH, Königstein 1923
- Zalubska, Cecylia - Döblins Reflexionen zur Epik im Spiegel ausgewählter Romane, UAM, Poznau 1980
- Hillebrand, Bruno - Theorie des Romans, 3. erweiterte Aufl., Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1993
- Zmegac, Viktor - Alfred Döblins Poetik des Romans, in: Deutsche Romantheorien, Hrsg. Reihnhold Grimm, Athenäum Verlag, Frankfurt a.M., Bonn 1968
- von Wilpert, Gero - Sachwörterbuch der Literatur, 7., verbesserte und erweiterte Aufl., Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1989

[...]


1 Zitiert nach: Alfred Döblins Poetik des Romans - Viktor Zmegac (im Weiteren: A.D. P. d. R.), S. 297

2 zitiert nach: ebd. S. 298, Rede auf Marinetti von 1934

3 zitiert nach: ebd. S. 303

4 zitiert nach: ebd. S. 304

5 ebd. S. 305

6 zitiert nach: ebd. S. 313

7 Sachwörterbuch der Literatur, S. 63, Stichwort: Auktoriales Erzählen

8 Döblin, Alfred - Berlin Alexanderplatz (im Weiteren B.A.) S. 258 f.

9 ebd. S. 114

10 A.D.P.d.R. S. 313

11 Theorie des Romans, S. 373

12 Sachwörterbuch der Literatur, S. 855, Stichwort: Simultantechnik

13 ebd. S. 855

14 ebd. S. 895

15 B.A., S. 452

16 zitiert nach A.D.T.d.R. S. 302

17 B.A. , S. 129

18 ebd., S. 178

19 Zalubska, Cecylia - Döblins Reflexionen zur Epik im Spiegel ausgewählter Romane, S. 108

20 A.D.P.d.R., S. 309

21 B.A., S. 331

22 Sachwörterbuch der Literatur, S. 103, Stichwort: Bildungsroman

23 B.A., S. 446

24 A.D.P.d.R., S. 300

Excerpt out of 11 pages

Details

Title
Einige Eigenarten des Romans im frühen 20. Jahrhundert anhand Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz
College
Eötvös Loránd Tudományegytem
Grade
3
Author
Year
1999
Pages
11
Catalog Number
V102657
ISBN (eBook)
9783640010370
File size
349 KB
Language
German
Notes
Eine leider weniger gut gelungene Arbeit, die eventuell als Gedankenstütze gut verwendet werden kann.
Keywords
Einige, Eigenarten, Romans, Jahrhundert, Alfred, Döblins, Berlin, Alexanderplatz
Quote paper
Gergely Takács (Author), 1999, Einige Eigenarten des Romans im frühen 20. Jahrhundert anhand Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102657

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