Das Schicksal der Russlanddeutschen von 1941-1991


Elaboration, 2001

7 Pages, Grade: 15 Punkte


Excerpt


1) Zahlen und Fakten

Bei Kriegsende lebten ca.1,5 Mio. Russlanddeutsche in der Sowjetunion

Ca. 200.000 wurden auf der Flucht nach Westen von der Roten Armee gestellt.

Ca. 150.000 befanden sich bereits in den alliierten Westsektoren. Die Hälfte hiervon konnte untertauchen.

Insgesamt waren also ca.2 Millionen Menschen direkt betroffen und der Willkür Stalins ausgeliefert.

2) Repatriierung und Gewahrsam

Repatriierung ist die „Zurückführung von Volksangehörigen in die Heimat“. Insgesamt waren ca. 275.000 Aussiedler1 hiervon betroffen. 200.000, die von der Roten Armee gefasst und 75.000, die von den Westalliierten an die sowjetischen Repatriierungs- kommandos ausgeliefert wurden. Hierbei kam es zu vielen Familientrennungen. Ca. 30 % kamen bei Festnahme und Transport ums Leben. Die Überlebenden wurden, wie alle Russlanddeutschen, in Arbeitslager und Sondersiedlungen deportiert und unter Aufsicht des Innenkommissariats (Innenministeriums) gestellt. Seit 1941 wur- den alle lebenden Russlanddeutschen vom Säugling bis zum Greis systematisch in Gewahrsam genommen und zwangsdeportiert. Die Aussiedler lebten von nun an ge- fangen in fremden Gebieten und mussten Schwerstarbeit verrichten. Häufig wurden sie als Ersatz für die entlassenen deutschen Kriegsgefangenen eingesetzt. Viele starben an Hunger und Erschöpfung. Ein Verlassen der Siedlungen war nur mit Son- dergenehmigung möglich.

3) Verhandlungen

Am 9.9.1955 verhandelte Konrad Adenauer beim Staatsbesuch in Moskau mit Präsi- dent Chruschtschow über die letzten ca. 10.000 deutschen Soldaten in Kriegsgefan- genschaft. Der Unterschied zwischen Kriegsgefangenen und Russlanddeutschen wurde hierbei sehr deutlich. Während am 17.9.1955 alle in der UdSSR rechtskräftig verurteilten Kollaborateure und die in Gefangenschaft geratenen Wehrmachtsange- hörigen begnadigt und freigelassen wurden, blieben die Aussiedler noch gefangen und ohne Rechte. (Mittlerweile 14 Jahre ohne eine Gerichtsverhandlung). Adenauers Verhandlungen brachten später dennoch Erleichterungen für die Russlanddeut- schen. Am 13. 12.1955 wurde das Dekret des Präsidiums des obersten Sowjets der UdSSR „Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und deren Familienangehörigen, die sich in den Sondersiedlungen befinden“ unterzeichnet.

Seine Inhalte waren:

- Das Regime der Sondersiedlungen wird aufgehoben.
- Ab Anfang 1956 dürfen diese verlassen werden.
- Verbot der Rückkehr an den Heimatort.
- Keine Entschädigung für das 1941 beschlagnahmte Eigentum.

Weitere zähe Verhandlungen ergaben 1957-58 die Zustimmung der Sowjetunion zur Ausreise aller Deutschen aus Ostpreußen und den Memelländern die vor dem 22.Juni 1941 deutsche Staatsangehörige waren.

4) Die Stunde Null

Außer dem Privateigentum der Siedler wurde auch das Gemeinschaftseigentum der Kolchosen und Kooperativen, dass die Bauern dort einbrachten, nicht zurückgege- ben. Dazu gehört Grund und Boden, öffentliche Gebäude (Schulen, Rathäuser, etc.), Bibliotheken, Kirchen und das Zentralmuseum der Wolgadeutschen. Die Russland- deutschen bleiben „Vertriebene im eigenen Land, behaftet mit dem Makel Ange- hörige des besiegten Feindstaates zu sein“2 und haben unter staatlichen sowie privaten Repressalien zu leiden. Noch heute werden sie für Nachfahren von Kriegs- gefangenen gehalten. Ohne Heimat und ohne jegliches Eigentum war 1956 die Stunde Null der Russlanddeutschen. Deportation, Verbot der Rückkehr und die seit diesem Zeitpunkt einsetzende Binnenmigration führten zu völlig neuen Bevölke- rungsverteilungen. Während vor Kriegsbeginn noch 89 % der Deutschen im europäi- schen Teil der UdSSR lebten, so sind es jetzt nur noch 17 %. 1959 sogar nur noch 8%. Allein aus dem Wolgagebiet müssen 380.000 Deutsche neu anfangen. Der größte Teil siedelt nun in asiatischen Gebieten. Vor allem in Kasachstan, Mittelasien und West-Sibirien.

5) Leben in der „neuen Heimat“

Heutige Siedlungsgebiete Russlands:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In den neuen Siedlungsgebieten trafen die Deutschen auf fremde Kulturen, Religio- nen und Lebensweisen. Sie unterschieden sich von den Einheimischen durch Le- bensstil, kulturelle Feste, Traditionen, Kleidung, Aussehen und durch ihre Bauweise. Trotz des allgemein guten Verhältnisses mit den neuen Mitbürgern bleiben sie hier Fremde. Der Lebensstandard lag bald wieder über dem, der einheimischen Bevölke- rung. Neben der geographischen Verlagerung gab es aber auch eine soziale Um- schichtung. Vom Siedler und Landwirt zum Stadtbewohner und Dienstleister. Durch das lange Lagerleben mit Einsatz in Bergbau und Industrie stieg der Urbanisierungs- grad auf ca. 50%. In der Industrie waren es zumeist ungelernte Arbeiter. Im Dienst- leistungsbereich waren es sehr häufig schlecht bezahlte Tätigkeiten als Raumpflege- rinnen, Verkäuferinnen oder ähnliches. Seit den 60er Jahren steigt jedoch auch die Zahl der Ingenieure, Techniker, Lehrer, Ärzte und anderer akademischer Berufe.

Die Generation der Russlanddeutschen, die in der Zeit zwischen 1941 und 1956 schulpflichtig waren, hatte zum größten Teil keine Möglichkeit, eine Schule zu besu- chen. Deutsche Schulen waren bekanntlich nicht mehr vorhanden. Mit Beginn des Schuljahres 1957/58 sollte es möglich sein, auf Wunsch der Eltern von der ersten Klassen an, den Unterricht in der Muttersprache einzuführen. Die Versorgung mit entsprechenden Lehrern, Schulbüchern und Anschauungsmaterial ist jedoch bis in unsere Zeit nicht gesichert. Der fehlende Schulunterricht und insbesondere das Feh- len eines ausreichenden Fachunterrichtes für die heute 50 - 60 jährigen führte zu einer schnell voranschreitenden Russifizierung. Während von allen Deutschen, die sich 1926 als solche eintragen ließen, noch 95% Deutsch als ihre Muttersprache bezeichneten, ging dieser Anteil 1989 auf 48,7% zurück. Deutsch hatte seine Funktion als Mittel öffentlicher Kommunikation fast völlig verloren. Erst ab dem Jahr 1957 war es den verbliebenen Russlanddeutschen erlaubt ihr Deutschtum in der Öffentlichkeit auszuleben, d.h. auch Zeitungen und Bücher zu veröffentlichen. Radio Alma Ata strahlte seine erste Radiosendung in deutscher Sprache aus. Die Religionsausübung wurde wieder gestattet und es konnten wieder Kirchen besucht werden. Die bis dahin heimlich in Privathäusern abgehaltenen Laien-Gottesdienste wurden dadurch unnötig. Das Leben kehrte so weit es ging zur Normalität zurück.

6) Politisches Engagement und Aussiedlung

Die deutsche Bevölkerung der Sowjetunion hat seit der Amnestie aus dem Jahre 1955 wiederholt versucht, die Staats- und Parteiführung von der Notwendigkeit einer vollen politischen und rechtlichen Rehabilitierung zu überzeugen. Auch die Wieder- herstellung der Autonomen Wolgarepublik ASSR3 wurde ernsthaft angestrebt. Am 05. Januar 1965 wurde ein Erlass vom 29. August 1964 veröffentlicht, in dem sich die Sowjetregierung für die pauschalen Beschuldigungen und Verdächtigungen von 1941 bei zehntausenden Wolgadeutschen entschuldigte. Ebenso wurden die ,,Sowjetbürger deutscher Nationalität" als gleichsam treuer wie gewissenhafter Teil der Gesamtbevölkerung bezeichnet. Gleichzeitig wurden aber Gründungen neuer deutscher Siedlungen in ehemaligen oder auch neuen Gebieten ausdrücklich nicht gewünscht und auch nicht gestattet. In den sechziger Jahren kamen im Durchschnitt nur 247 Aussiedler pro Jahr nach Deutschland. Wartezeiten von mehr als 20 Jahren waren dabei keine Seltenheit.1965 war aus den Unabhängigkeitsbestrebungen eine Autonomiebewegung mit System geworden. Delegationen wurden zur Verhandlung mit der staatlichen Seite entsandt. In den 70er Jahren wurde klar, dass es keine Möglichkeit geben würde mit eigener Verwaltung, Schulen und Kirchen zu leben. Auch der wirtschaftliche Aspekt mit immens hohen Kosten sprach gegen diesen Plan. Da die Aussiedler ihr Ziel nicht erreichten wuchs die Resignation und damit der Strom der Ausreisewilligen stetig an. Immer wieder kam es zu Demonstrationen für das Recht auf Ausreise und die Erleichterung der Ausreiseregelungen. Bis etwa 1980 war ein stetiger Anstieg der Aussiedlerzahlen zu erkennen, um dann ab 1982 auf das Maß der 60er Jahre zurückzugehen (Grund des Rückgangs: Nato- Doppelbeschluss4 ). Die Ausreisezahlen hingen häufig mit dem deutsch-russischen Verhältnis der entsprechenden Zeiten zusammen.

Im April 1988 sollte eine sogenannte ,,Dritte Delegation", die aus verschiedenen örtli- chen Autonomiebewegungen gebildet wurde, Verhandlungen mit der Staatsführung aufnehmen. Die personelle Zusammensetzung dieser Delegation zeigte, dass die Bewegung alle Regionen des Landes, sowie alle Altersgruppen und sozialen Schich- ten umfasste. Im Jahr 1989 gab es Signale von offizieller Seite, die auf eine volle po- litische und rechtliche Rehabilitierung sowie Wiederherstellung der Autonomie der Wolgarepublik bis zum Jahresende hoffen ließen. Die Allunionsbewegung ,,Wiedergeburt" wurde ins Leben gerufen. Von Seiten der Autonomiebewegung er- ging ein Appell an die in diesem Gebiet sesshafte nicht-deutsche Bevölkerung, in der versichert wurde, dass für sie selbst durch die Wiederherstellung der Rechte der deutschen Bevölkerung keine Nachteile entstehen werden. Vielmehr wollte man sich gemeinsam ein besseres Leben aufbauen.

Am 14. November 1989 erklärte der Oberste Sowjet die Deportationen der Kriegsjahre für gesetzwidrig und verbrecherisch und trat für die Gewährleistung der Rechte der deportierten Völker ein. Nachdem eine Kommission des Obersten Sowjet im Prinzip der Wiederherstellung der Autonomie des Wolgagebietes zugestimmt hatte, verhinderten jedoch zahlreiche und teilweise massive Protestkundgebungen in Moskau und in der betroffenen Region um Saratow weitere Schritte.

Die hinhaltende Politik der Regierung der UdSSR, die Absage an die unabhängige Wolga-Republik und der zunehmende Verdrängungsdruck in Kasachstan und Mittel- asien führten zu einem weiteren rapiden Anstieg der Aussiedlungsanträge. 1988 bis 1996 hatte die Bundesrepublik allein 1.438.703 Aussiedler aus der ehemaligen UDSSR aufzunehmen.

1989 fanden in der Sowjetunion die ersten freien Wahlen statt und Michael Gorbatschow wurde zum Präsidenten gewählt. Ende 1991 zerbrach die UdSSR. Mit der Herausbildung neuer Staaten wurden die ca. 2 Millionen Russlanddeutschen auf mehrere neue Staaten verteilt. Nach Schätzungen der Bundesregierung bzw. politischen Vereinigungen der Minderheiten aus dem Jahr 1999 leben auf russischem Staatsgebiet heute noch ca. 800.000 Deutsche.

Die Aussiedlerfrage ist dennoch weiterhin ungelöst.

Anhang1:

Begriff des Aussiedlers nach dem BFVG: Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesvertriebe- nen- und Flüchtlingsgesetz sind Aussiedler deutsche Staatsangehörige oder deut- sche Volkszugehörige, die vor dem 8. Mai 1945 (Kapitulation der Wehrmacht und damit Ende des Zweiten Weltkrieges) ihren Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, bzw. in Polen, der ehemaligen Sow- jetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Alba- nien, Danzig, Estland, Lettland, Litauen oder China gehabt und diese Länder nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1. 7. 1990 oder da- nach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 1. 1. 1993 die ehemals unter frem- der Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete verlassen haben oder verlassen.

Spätaussiedler sind gem. § 4 BFVG im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgeset- zes in der Regel deutsche Volkszugehörige, die die Aussiedlungsgebiete nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben.

Anhang2:

NATO-Doppelbeschluss, Beschluss des NATO-Rates am 12.Dezember 1979 über die Modernisierung und Erweiterung der nuklearen Mittelstreckenwaffen in Westeuropa. Die so genannte Nachrüstung sollte einsetzen, wenn bis Ende 1983 Verhandlungen mit der Sowjetunion über den beiderseitigen kontrollierten Abbau der strategischen Waffen ergebnislos bleiben würden. Mit diesem Doppelbeschluss wollte die NATO eine „Abschreckungslücke“ schließen, die durch die als Vorrüs- tung begriffene Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen entstanden war. Diese Nuklearraketen fielen nicht unter die SALT-I- und SALT-II-Abrüstungsverein- barungen. Weil der Beschluss ein neues Wettrüsten befürchten ließ und die neuen Pershing-2-Raketen als potentielle Erstschlagswaffen interpretiert werden konnten, provozierte er heftige Proteste der Friedensbewegung in Europa. Vor allem in den Niederlanden und der Bundesrepublik, die als Hauptstationierungsländer der Nuk- learwaffen vorgesehen waren, kam es zu Massendemonstrationen. Die SPD war über die Frage der Nachrüstung gespalten: Während die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (1974-1982) das Zustandekommen des Be- schlusses betrieb, stellte sich die Mehrheit der SPD-Mitglieder auf die Seite der Friedensbewegung. Nach Auslaufen des Ultimatums begann 1983 die Stationie- rung von 464 Marschflugkörpern (Cruise Missiles) und 108 Pershing-2-Raketen in Westeuropa. Die Sowjetunion brach alle noch laufenden Abrüstungsgespräche ab. 1985 kam es zur Wiederaufnahme von Verhandlungen.

Literaturverzeichnis:

a) Bundeszentrale für politische Bildung: Information zur politischen Bildung. Heft Aussiedler Nr. 222 Neudruck, Bonn 1991.

b) Bundeszentrale für politische Bildung: Information zur politischen Bildung. Heft Aussiedler Nr. 267, Bonn 2.Quartal 2000.

c) Malchow Barbara u.a.: „Die fremden Deutschen. Aussiedler in der Bundesrepu- blik“, Reinbek Verlag 1990.

d) Bade Klaus: „Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland“, C.-H. Beck- Verlag, München 1993.

e) Die Millennium-Chronik: „Das 20. Jahrhundert“, Genehmigte Sonderausgabe, Tandem Verlag Königswinter. CD-ROM.

f) Encarta 98, Enzyklopädie Microsoft. CD-ROM.

g) Encarta 98, Weltatlas 99 Microsoft. CD-ROM.

h) Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz, DTV Beck-Texte, München.

[...]


1 Begriff des Aussiedlers siehe Anhang 1

2 Zitat von A. Eisfeld, Osteuropa-Historiker

3 Ehemalige Autonome Sowjetrepublik der Wolgadeutschen; Hauptstadt Engels

4 Nato-Doppelbeschluss siehe Anhang 2

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Details

Title
Das Schicksal der Russlanddeutschen von 1941-1991
Course
Aussiedler-Schicksal und Geschichte
Grade
15 Punkte
Author
Year
2001
Pages
7
Catalog Number
V102722
ISBN (eBook)
9783640011025
File size
533 KB
Language
German
Notes
Auch als Powerpoint-Präsentation vorhanden.
Keywords
Schicksal, Russlanddeutschen, Aussiedler-Schicksal, Geschichte
Quote paper
Klaus Breunig (Author), 2001, Das Schicksal der Russlanddeutschen von 1941-1991, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102722

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