Gliederung:
Quellen:
- Euripides, Iphigenie bei den Tauriern; Meyers Volksbücher, um 1900
- Iphigenie auf Tauris; Reclam 1970
- Erläuterungen und Dokumente, Johann Wolfgang Goethe, Iphigenie auf Tauris; Reclam 1969
- Oldenburg Interpretationen, Iphigenie auf Tauris; Oldenburg-Verlag 1997
- Grundlagen zum Verständniss klassischer Dramen; Goethe, Iphigenie auf Tauris; Diesterweg 7. Auflage 1968
- Deutsche Literaturgeschichte Band 3; dtv Feb. 1991
- Klassische Autoren der Antike; Insel-Verlag 1992
- Mentor Lektüre Durchblick; Iphigenie auf Tauris; Mentor-verlag 1996
- Emil Staiger, Goethe 1749 - 1786; Atlantis Verlag MCMLX
A) Euripides:
B)
geb. 480 v. Chr. auf Salamis (Gutsbesitzersohn)
gest. ca. 407 in Makedonien
- dritter der großen griech. Tragiker nach Aischylos, dem Begründer des griechischen Dramas (erstes Stück seiner
,,Orestie":,,Agamemnon") und Sophokles.
- 416 schreibt Euripides seine Iphigenie bei den Tauriern, die 412 uraufgeführt wurde und vollständig erhalten
ist.
- von 75 (88) Dramen sind 19 erhalten. (Medea, Die Trojerinnen, Alkestis, Hekabe, usw.)
- Euripides behandelte Zeit und Kulturprobleme im Gewand des Mythos (Spannung zwischen Männern, die machen was sie
wollen und Frauen, die als passiv und niedrig bezeichnet werden. Das schöne Geschlecht ist das Männliche.)
- Vorliebe für Sentenzen,(,,denn die Welt ist schlecht"; ,,Wahrheit liebt das Licht") psychologische Vertiefung und
geschliffene Sprache bereiten das bürgerliche Trauerspiel vor
- Sophokles: ,,Ich zeige die Menschen, wie sie sein sollen, Euripides zeigt sie , wie sie sind."
- Zeitgenosse des Sokrates; Euripides geht außer Landes, als er wegen seiner Theaterstücke Schwierigkeiten
bekommt
- Von Entscheidender Bedeutung für: Seneca (Tragödien vom sittenstrengen Lebenswandel, von der Treue gegen sich
selbst und vom weisen Verstehen der Mitmenschen; von Nero zum Selbstmord gezwungen),
- Racine(bedeutender Vertreter des franz. Klassizismus seine Iphigenie ist eine zarte Seelenschilderung voll von
lyrischen Wohllaut der Sprache), den ,,Sturm und Drang", Schiller, u.a.
B) Euripides, Iphigenie bei den Tauriern
Personen:
Iphigenia, Priesterin der Artemis Thoas, Fürst der Taurier
Orestes, ihr Bruder Ein Hirt
Pylades, dessen Freund Ein Bote
Der Chor (gefangene griech. Jungfrauen im Dienste der Iphigenie)
Die Handlung spielt auf der Insel der Taurier, in der Nähe der Küste.
Die Szene stellt die Landschaft in der Umgebung des Tempels dar. Dieser bildet den Mittelpunkt derselben. Vor dem Tempel steht der Opferaltar. Zur Linken führt der Weg nach dem Meer, zur Rechten ein anderer nach der Stadt der Taurier.
Erster Akt:
- Prolog: Monolog der Iphigenie über die Umstände, die sie zu den Taurern brachte. ( Schicksal in Aulis; ihre
Entrückung ins Taurerland)
- Traum, der sie an den Tod des Orest glauben lässt.
- Orest und Pylades treten auf, mit der Absicht, das Standbild der Pallas Athene (eine intellektuelle Göttin) zu
rauben.
- Auftrittslied des Chores: die Tempeldienerinnen stimmen in die Wehklage der Iphigenie über ihr Schicksal und das
Schicksal ihres Geschlechts sowie in die Totenklage für Orest ein.
Zweiter Akt:
- Hirte, der über die Gefangennahme zweier Griechen, von denen einer an Wahnsinnsausbrüchen leidet,
berichtet.
- Iphigenie äußert sich hart über die Griechen, von denen sie geopfert wurde, und tadelt die Göttin, dass diese
hier, im Gegensatz zu daheim, Menschenopfer bringen lässt.
- Chor: die Griechinnen fragen sich, wozu und wie die beiden Griechen hierhergekommen sein mochten, und wünschen
sich einen Befreier herbei; auch sie beklagen den ungriechischen Opferbrauch.
Dritter Akt:
- Iphigenie befiehlt die Opferung der herbeigeführten Griechen vorzubereiten und erfragt von Orest das Schicksal
Trojas sowie ihrer Familie; sie will Orest als einen Boten mit einem Lebenszeichen in die Heimat schicken. Dieser
verzichtet aber zugunsten von Pylades. Als der Inhalt des Briefes laut verlesen wird, gibt sich Orest Iphigenie
gegenüber zu zu erkennen.
- Pylades mahnt zur Flucht, Iphigenie ersinnt dazu eine List: um den Blutbefleckten Orest und das durch ihn
verunreinigte Götterbild reinzuwaschen, wolle man ans Meer gehen und dort mit ihrem wartenden Schiff
entfliehen.
- Chor: die bevorstehende Heimkehr facht die Sehnsucht der Griechinnen nach der Heimat an.
Vierter Akt:
- Iphigenie belügt Thoas, dieser lässt den Opferzug ziehen und schickt sich an, den Tempel, wie ihm aufgetragen, zu
reinigen.
- Chor: Lobgesang auf Apoll
Fünfter Akt:
- Ein Bote meldet dem Thoas den Betrug und zugleich das Scheitern der Flucht, da das Schiff von Poseidon ans Ufer
zurückgetrieben wurde.
- Athene befiehlt, die von Thoas angeordnete Verfolgung einzustellen, sie lässt die gefangenen Griechinnen
(Tempeldienerinnen) heimsenden und ruft Orest nach, in Attika einen Tempel zu Ehren der Artemis zu errichten, in dem
nicht mehr geopfert werden dürfe. Iphigenie soll dort das Priesteramt weiterführen.
- Thoas fügt sich
- Der Chor (= die Griechinnen stimmen einen Freudengesang an)
- Vorbildfunktion für Goethe und Abänderungen durch Goethe
1.Entstehungsgeschichte
- Iphigenie auf Tauris ist ein schönes Zeugniss für Goethes eigene Entwicklung, eine ,,Bekenntnisdichtung". Nach
der Auflösung seiner Verlobung mit Lili Schönemann flieht er von Frankfurt nach Weimar. (,,die Schuldgefühle
verfolgen ihn wie Furien")
- Goethe geht eine Beziehung zu Charlotte von Stein ein, die ihn, ähnlich wie Iphigenie den Orest, erlöst, ihm
geistige Führung gibt.
- Goethe spielt den Orest, bei der Uraufführung am 6.4.1779, selbst.
- Goethe hatte eine innige Beziehung zu seiner Schwester. (Parallele Iphigenie- Orest)
- Auch Goethe glaubt, wie seine Protagonistin, an die Macht des Menschlichen.
- Seit seinen Sprachstudien, der griechischen und lateinischen Literatur, strebt Goethe nach der Harmonie, die er
bei den Griechen vorbildlich verwirklicht sieht. Goethe spricht vom schönen Bann klassischer Texte, er sagt: "auch
die Kühneren jenes Geschlechts: Tantalos, Ixione, Sisyphos waren meine Heiligen".
- Das Griechische ist für ihn Symbol für: STILLE, EINFALT, RUHE, KLARHEIT, MASS, FORM, LEBEN, GESTALT, MILD
AUFSCHIMMERNDES HOFFNUNGSLICHT, DAS ANDERE NIE VOLL ZU VERWIRKLICHENDE und ,,mit unnachahmlichem Adel begabt".
- Will er sich mit Euripides messen? - Laut Schiller ringt er mit den griechischen Tragikern.
Wegbereitend waren:
1.Winkelmann, der der deutschen Klassik entscheidende Impulse gab, indem er den Blick zurück auf die griechischen Ideale lenkte, und so ein neues klassisches Kunstideal verbreitete. (das Ideal von der ,,edlen Einfalt" und der ,,stillen Größe")
2.Herder, der in seinen ,,Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" das Menschenbild der deutschen Klassik begründet, das im Begriff der Humanität seinen Ausdruck findet. (,,Zur Humanität und Religion ist der Mensch gebildet"- ,,Der Glaube als Krone der Humanität")
- Humaner Gehalt der Vorlage.
2. Ideal der antiken Literatur
a) Humanitätsideal
- Im klassischen Vorbild findet Goethe die Forderung nach einer universalen Menschlichkeit, die alle nationalen Grenzen aufhebt, verwirklicht. Hier spiegelt sich die Überzeugung Humbolds, dass jeder die natürlichen Anlagen zur sittlichen Selbstbestimmung in sich trägt.
b) Inhalt,Form und Stil
- Das Stück orientiert sich inhaltlich sehr stark am klassischenVorbild des Euripides. Besonders der
Tantalidenmythos, der ,,dunkle Untergrund" wird ungeschönt übernommen.
- Die Regeln des Dramas nach Aristoteles gelten wieder: man findet die Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Das
Geschehen ist in fünf Akten ausgebreitet. (Exposition, Excitatio, Peripetie, Retardation und Katastrophe (hier aber
happy end))
-Die Ständeklausel wird beachtet. = Formaler Klassizismus
- Goethes ,,Iphigenie auf Tauris" weist eine strenge Symmetrie auf. (Iphigenie- Thoas, Orest-Pylades, oder auch
Iphigenie, Thoas-Arkas, Orest-Pylades)
- Goethe bemüht sich um einen hohen Stil inVers und Sprache, um eine gewisse einfache Schönheit - ein Stil, der in
klassischer Erhabenheit und Ruhe auch Empfindungen ausdrücken konnte, den er aber erst entwickeln muss,was
wiederum die lange Bearbeitungsdauer erklärt)
-die Sprache ist bestimmt von einem Streben nach Reinheit, die den klassisch harmonischen Versen entsprechen
soll.
- Die Sprache wird von Zeitgenossen als täuschend echt griechisch empfunden, Gräcismen - Wortneuschöpfungen die dem
Griechischen nachgebildet sind, werden verwendet. (,,des Vaters Kraft", ,,fernabdonnernd", ,,vielwillkommner
Ton")
- Goethe verwendet altertümlich wirkendes Vokabular, z.B. Hain statt Wald und antike Stilfiguren wie z.b. das
Epitheton ornans: ,,mit schauderndem Gefühl", ,,der göttergleiche Agamemnon" und ,,ein hoher Wille".
- Außerdem z.B die Wechselrede, Sentenzen, Antilabe, Stichomythie, Inversion und z.b. im Parzenlied den
transitiven Gebrauch intransitiver Verben (,,denkt Kinder und Enkel") als antike Stilfigur.
3. Andere Zielsetzung durch Goethe
- Goethe orientiert sich an den Idealen der Aufklärung,der kultische und religiöse Hintergrund der antiken Tragödie
weicht dem Anspruch auf Freiheit und Autonomie. Er schreibt kein antikes Handlungsdrama, sondern ein modernes
Charakterstück. Vorrang vor der Handlung haben die Charaktere, die psychologische Gestaltung der Figuren. Die
Handlung wird zunehmend ins Innere der Personen verlegt. (Tragischer Konflikt im Inneren der Heldin!)
- Goethe beginnt gewissermaßen da wo Euripides endet, er schafft idealistische Gestalten als Symbole des
Menschlichseins = Ziel der Weimarer Klassik
Er übt also Gegenwartskritik im klassischen Gewand.
4. Entfernung von der Vorlage
a) Inhaltliche Änderungen
- Iphigenie als Symbol edler geistiger Weiblichkeit; sie ist nicht länger listig, wie bei Euripides, in ihr weht der Geist der Menschlichkeit.
Sie will auch die beiden Griechen nicht mehr opfern wie bei Euripides.
- Thoas ist bereits edelmütig.
Er ist viel mehr auch Mann, König und Taurer, als nur Fürst, der ein Urteil fällt, wie bei Euripides. Er ist leidenschaftlich, grollt, ist gleichgültig, nachsichtig, übt Freundschaft.
- Orests Wahnsinn ist nur noch innerlich - er mordet keine Rinder mehr.
- Pylades übernimmt das Motiv der List
- Keine Dea ex machina - Iphigenie tritt an die Stelle der Athene und rettet die Situation.
Ganz allgemein treten Menschen an die Stelle der Götter.
b) Technische Änderungen
- Der tragische Kanon - Prolog, Botenbericht und Chor verschwindet bzw. erscheint verwandelt.
Dafür fügt Goethe das Parzenlied ein.
- An die Stelle der Tragik und des Pathos tritt bei Goethe ein erlösendes Prinzip, es kommt nicht mehr zur
Katastrophe sondern zum ,,happy end".
- Das, was Handlung ist geht hinter den Kulissen vor. Das Sittliche, das im Herzen vorgeht, die Gesinnung wird zu
Augen gebracht und vor Augen gebracht. Die Art Spannung zu erzeugen ist ganz anders:
- Bei Euripides: Werden Iphigenie , Orest und Pylades entkommen?
- Bei Goethe: Wird Orest geheilt? Wird Iphigenie ihren inneren seelischen Konflikt bestehen? Wird Thoas sie ziehen
lassen? Wird das Menschliche sich durchsetzen?
- Das Dramatische ist die Wandlung von Iphigenie und Orest von götter- und schicksalsgläubigen, kleinmütigen,
wankelhaften und daher fremdbestimmten Menschen, zu autonomen, freudigen, aufgeklärten und idealen Menschen.
c) Schwierigkeiten
- Nachdem die klassische Reife in jener griechisch-iphigenischen Seelenlandschaft sein Verlangen geweckt haben, schreibt Goethe schreibt die Iphigenie 1779 in Prosafassung und ändert diese in den Jahre 1780 - 1781 zwei mal ab.
Er ist, wie aus verschiedenen Briefen hervorgeht, unzufrieden, ,,mag seine Iphigenie nicht gern" und schreibt sie 1786 gänzlich in Jamben (5-hebig, offene Kadenz) um. Erst auf seiner Italienreise, als er in Rom klassischen Boden betreten hatte gelingt ihm dies.
- Er ,,gebar" die Iphigenie unter Schmerzen, er will sie deswegen im Alter nicht mehr ansehen. Goethe selbst nennt sie ,,verteufelt human", da sie nur sittlich sei, keine sinnliche Kraft, kein Leben und keine Bewegung habe.
C) Wirkung; Interpretationen in unserer Zeit
- Iphigenie wird zum Mythos der deutschen Innerlichkeit, zum Idealbild eines Humanitätsbegriffes, der für alle
Zeiten verbindlich sein sollte.
- Man mag mit Recht fragen ob dieses Humanitätsideal, dieses ,,happy end" z.B. angesichts der ständigen Kriege
gültig bleiben und bestehen kann. Aber warum soll Dichtung nicht ein Wunschbild gestalten? - Es erwächst ja aus
unserem antiken und christlichen Erbe.
Goethe:
- Quote paper
- Eric-Niels Suratny (Author), 1999, Euripides - Iphigenie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102748