Diese Arbeit erläutert und analysiert die Idee des Fähigkeitenansatzes von Martha Nussbaum. Dazu werden zunächst die für Nussbaum dringendsten ungelösten Probleme von modernen Gesellschaften innerhalb des Kontextes der sozialen Gerechtigkeit vorgestellt.
Gemeinsam mit Armatya Sen, aber auch allein, hat die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum am "Capability Approach" gearbeitet und diesen weiterentwickelt. Sie verfolgt mit dem Fähigkeitenansatz im Besonderen das Ziel, Probleme von Menschen mit Behinderungen, Fragen der globalen Gerechtigkeit und die Rechte von Tieren aufzugreifen.
Die grundlegende Idee ihres Ansatzes liegt in der Vorstellung, dass es die menschlichen Fähigkeiten, die "capabilities", sind, welche die Voraussetzung für jegliches menschliches Handeln innerhalb der Sphäre der ihnen entsprechenden Fähigkeiten bilden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Nussbaums Fahigkeitenansatz
3. Diskussion
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gemeinsam mit Armatya Sen, aber auch allein, hat die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum am „Capability Approach“ gearbeitet und diesen weiterentwickelt. Sie verfolgt mit dem Fahigkeitenansatz im Besonderen das Ziel, Probleme von Menschen mit Behinderungen, Fragen der globalen Gerechtigkeit und die Rechte von Tieren aufzugreifen.1 „Ihrer Ansicht nach sind kontraktualistische Gerechtigkeitstheorien, wie beispielsweise die von Rawls dazu nicht in der Lage.“2 Die grundlegende Idee ihres Ansatzes liegt in der Vorstellung, dass es die menschlichen Fahigkeiten, die „capabilities“, sind, welche die Voraussetzung fur jegliches menschliches Handeln innerhalb der Sphare der ihnen entsprechenden Fahigkeiten bilden. Im Unterschied zu Sen, der sich mit dem „Capability Approach“ unter okonomischen Gesichtspunkten auseinandersetzte, um die Lebensqualitat von Landern zu bewerten, erweitert Nussbaum ihn innerhalb einer philosophischen Betrachtung.3 Ihr Anliegen ist es, eine Liste derjenigen grundlegenden Fahigkeiten zu erstellen, die fur ein menschenwurdiges Leben essenziell notwendig sind und in allen Gesellschaften und Staaten Anwendung finden konnen. Sie stellt demnach an ihren Fahigkeitenansatz sowohl den Anspruch der Universalisierbarkeit als auch Offenheit und Anpassbarkeit an die individuellen Gegebenheiten unterschiedlicher Gesellschaften.
In der nachfolgenden Vertiefung soll die Idee des Fahigkeitenansatzes erlautert und analysiert werden. Dazu werden zunachst die fur Nussbaum dringendsten ungelosten Probleme von modernen Gesellschaften innerhalb des Kontextes der sozialen Gerechtigkeit vorgestellt. AnschlieBend wird ihre Argumentation fur eine Liste an Fahigkeiten, an derer sich Gesellschaften, im Sinne der Gerechtigkeit, in ihrem politischen Handeln orientieren sollten, aufgegriffen und betrachtet. Nachdem schlieBlich Nussbaums offene und veranderbare Fahigkeitenliste vorgestellt wurde, folgt abschlieBend eine Diskussion uber den Anspruch der universellen Geltung ebendieser Liste.
2. Nussbaums Fahigkeitenansatz
Nussbaum versucht mit ihrem Fahigkeitenansatz eine universelle Theorie globaler Gerechtigkeit vorzustellen, in der die Forderung nach der gleichen Befahigung jedes Individuums im Zentrum der Theorie steht. Im Folgenden soll zunachst die Grundlage der Theorie erlautert und Nussbaums zentrale Argumentation einer universalen Geltung dargestellt werden, ehe zu einer Diskussion uber den universalen Geltungsanspruch ubergeleitet wird.
Bevor Nussbaum selbst ihre Liste derjenigen zentralen Fahigkeiten vorstellt, die ein menschenwurdiges Leben ermoglichen, erlautert sie die fur sie dringendsten und ungelosten Probleme der sozialen Gerechtigkeit in der heutigen Zeit, „[.] deren Vernachlassigung durch die existierenden Theorien als besonders problematisch erscheint.“4 Besonders die bestehenden Vertragstheorien, unter anderem von Rawls, sieht sie als problematisch an, um sich mit modernen Gerechtigkeitsproblemen auseinanderzusetzen. Dazu bringt sie zunachst das Problem der Gerechtigkeit gegenuber Menschen mit korperlichen und geistigen Behinderungen an. Sie seien in unserer heutigen Gesellschaft zwar als Teil der Menschheit respektiert, wurden allerdings oftmals nicht als Burgerinnen und Burger anerkannt werden fur die das Prinzip staatsburgerlicher Gleichheit gilt.5 Ebenso wurden sie „[...] in keiner Variante des Gesellschaftsvertrages zur Gruppe derjenigen [zahlen], die die grundlegenden politischen Prinzipien festlegen.“6 Da sie von groBen Teilen des gesellschaftlichem Zusammenlebens strukturell ausgeschlossen waren, sieht es Nussbaum dementsprechend als nicht uberraschend an, dass die Vertreterinnen und Vertreter der klassischen Vertragstheorie ebendiese nicht an der Wahl der politischen Grundprinzipien beteiligt sahen.7 In diesem Zusammenhang diskutiert sie vor allem Rawls' Theorie des Gesellschaftsvertrages und fugt an, dass seine „[.] Auseinandersetzung mit dem Problem der Behinderung ungenugend und doch nicht einfach zu korrigieren [sei].“8 Ein Ausschluss von Menschen mit Behinderungen oder Beeintrachtigungen an Entscheidungen uber die Grundprinzipien der Gesellschaft, obwohl sie selbst ohne Einschrankungen in der Lage gewesen waren an der Entscheidungsfindung oder der Entscheidung selbst mitzuwirken, fasst Nussbaum als einen grundlegenden Mangel an Gerechtigkeit auf.
Der zweite zentrale Problembereich, der mit der klassischen Tradition des Gesellschaftsvertrages ungelost bleibt, ist fur Nussbaum der Einfluss der Nationalitat oder des Geburtsortes auf die individuellen Lebenschancen von Menschen.9 Durch unsere heutige Welt, die sich durch Globalisierung und zunehmende Interdependenzen auszeichnet, sei es erforderlich sich mit Fragen der Gerechtigkeit zu beschaftigen, die durch die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhaltnisse der einzelnen Lander entstehen. Die Unterschiede zwischen armen und reichen Nationen bewirke eine strukturelle Beeintrachtigung der Lebenschancen ihrer Burgerinnen und Burger.10 Nussbaum kritisiert hierbei bei Rawls und Kant, dass in ihrer Konzeption sich die Staaten untereinander in einem dem Naturzustand ahnlichem Zustand befinden und zunachst weitere Prinzipien erfassen mussen, um diese Beziehungen zu regulieren und die Staaten selbst in einer ersten Stufe als autark und unabhangig von anderen Gesellschaften konstruiert werden. „In diesem zweistufigen Modell werden Staaten demnach als strukturgleich mit den ,freien, gleichen und unabhangigen' Personen auf der ersten Stufe der Argumentation vorgestellt.“11 Eine solche Annahme der Unabhangigkeit und bedingten Gleichheit der Staaten, lasst sich fur Nussbaum in einer globalisierten Welt mit einem globalem Markt, der die okonomischen Entscheidungen einzelner Nationen von denen anderer abhangig macht und besonders die armen Staaten zum Teil „[...] Bedingungen unterwirft, die bestehende Ungleichheit verstarken und vertiefen [...]"12, nicht halten. Nussbaum sieht schlieBlich keinen Ausweg als vollstandig neue theoretische Strukturen zu schaffen, um ein theoretisches Konstrukt zu erzeugen, aus der eine Welt entsteht, die Gerechtigkeit und gleiche Lebenschancen von Geburt an fur alle Menschen impliziert, da die bisherigen westlichen Gerechtigkeitstheorien lediglich vom Nationalstaat als Einheit ausgehen.13
Als dritten und letzten zentralen ungelosten Problembereich in den Gerechtigkeitstheorien weist Nussbaum auf die Gerechtigkeit gegenuber Tieren hin. Die Vernachlassigung von Tieren in den klassischen Theorien ruht ihrer Meinung nach einerseits auf der von Kant vertretenen Ansicht, dass wir keine direkten moralischen Pflichten gegenuber Tieren haben und andererseits der Idee von Rawls, dass, wenn es solche Pflichten geben sollte, diese allein Pflichten der Wohltatigkeit und des Mitleids sind, aber keine der Gerechtigkeit.14 Diese Vorstellungen kommen Nussbaum allerdings zu kurz, da Tiere als aktive Wesen das Recht haben ein eigenes Leben zu fuhren, aber durch den Menschen daran gehindert werden. Das Verhaltnis zwischen Menschen und Tieren sollte dementsprechend nicht von Wohltatigkeit, sondern Gerechtigkeit gepragt sein.15
Fur Nussbaum liegt der Grundgedanke des Fahigkeitenansatzes nun darin, mit dessen Hilfe die genannten Probleme von Menschen mit Behinderungen, die Frage nach globaler Gerechtigkeit und Rechte von Tieren zu berucksichtigen, da die bestehenden kontraktualistischen Theorien diese Felder vernachlassigen oder unzureichend aufarbeiten.16 Im Mittelpunkt der Theorie steht die allgemeine Befahigung des Menschen fur ein gutes Leben. Dessen Ausgangspunkt liegt im „[...] gleichen Respekt fur jeden Menschen, der ungeachtet zusatzlicher differenzierender Zuschreibungen wie Geschlecht, Nation oder Religion gelten soll. Um gleichen Respekt politisch zu ermoglichen, sei es notwendig, jede und jeden zu einem guten Leben zu befahigen.“17 Fur Nussbaum sei es demnach entscheidend, dass sich eine Gesellschaft, die Gerechtigkeit erzeugen will, in ihrem Handeln daran orientiert, wozu Menschen uberhaupt fahig sind und ob ebendiese uberhaupt die fur ein gutes Leben erforderlichen Fahigkeiten besitzen oder erlangen konnen.18 Dazu sei es eine Bedingung, universale Normen fur Gesellschaften zu formulieren. Nussbaum versucht dies uber eine Liste grundlegender menschlicher Fahigkeiten, die sie als konkreten MaBstab fur politisches Handeln, in Anlehnung an eine Liste von Menschenrechten, ansieht.19 Sie schreibt selbst: „Der Fahigkeitenansatz ist im vollen Sinne universell. Er besagt, daB [sic!] die [...] Fahigkeiten fur jeden einzelnen Burger in jedem Staat wichtig sind und daB [sic!] jede Person als Zweck zu behandeln ist. In dieser Hinsicht ahnelt der Ansatz dem Verstandnis internationaler Menschenrechte; und wie gesagt betrachte ich den Fahigkeitenansatz als eine Art von Menschenrechtsansatz.20
Im Folgenden werden nun kurz diejenigen zehn wesentlichen menschlichen Fahigkeiten vorgestellt, ohne die ein menschenwurdiges Leben nach Nussbaum nicht vorstellbar sei. Wichtig dabei ist anzumerken, dass „Fahigkeit“ bei Nussbaum eine Dimension darstellt, die beschreibt, „[...] inwiefern ein Individuum in der Lage ist, die betreffende Funktion, auf die sie sich bezieht, auszuuben. Die Fahigkeit ist das Potential eines Individuums fur eine bestimmte Funktion, welches das Individuum ausschopfen kann aber nicht muss.“21 Anhand dieser Definition zeigt sich, dass Nussbaum mit der Fahigkeitenliste keine Lebensweise vorschreiben mochte, sondern aufzeigen will, dass eine gerechte politische Ordnung alien Burgerinnen und Burgern zumindest den „Schwellenwert“ der folgenden zehn zentralen Fahigkeiten zuzusichern hat, den sie als absolutes Minimum ansieht.22
Erste zentrale Fahigkeit sei das Leben selbst, welches uneingeschrankt zu fuhren sein muss und nicht verfruht beendet werden darf. Zweitens muss die korperliche Gesundheit gewahrleistet werden. Dazu zahlen insbesondere eine ausreichende Ernahrung und Wohnraum. Ebenso muss drittens die korperliche Integritat, im Sinne einer freien Bewegung, Sicherheit gegenuber Gewalt sowie der freien sexuellen Auslebung geschutzt werden. Wichtig fur Nussbaum sind zudem die politische, kunstlerische und religiose Meinungsfreiheit sowie eine hinreichende Bildung, die die vierte Fahigkeit des eigenen Denkens bestarken. Ebendiese Fahigkeit verdeutlicht, gemeinsam mit der funften Fahigkeit der freien Gefuhlsauslebung, dass der Fahigkeitenansatz von Nussbaum und andere liberalen Theorien die Orientierung an Freiheit und Pluralitat eint.23 Zu den weiteren Fahigkeiten zahlen die praktische Vernunft, als kritische Eigenreflexion, die Fahigkeit, die eigene Zugehorigkeit zu bestimmen und ohne Diskriminierung in Selbstachtung leben zu konnen sowie die Moglichkeit des harmonischen Zusammenlebens mit anderen Lebenswesen. SchlieBlich fugt Nussbaum das Spielen und die freie Freizeitgestaltung als neunte und die Teilhabe an der Natur und politische und inhaltliche Kontrolle der Umwelt mit dem Recht auf Eigentum, Beschaftigung und Schutz vor ungerechtfertigter Durchsuchung oder Festnahme als zehnte Fahigkeit an.24
Diese Fahigkeiten seien nun eine Aufzahlung eigenstandiger Komponenten, welche jederzeit modifiziert oder erganzt werden konnen. „Nussbaum hat versucht, die Liste so zu gestalten, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sie in ihre verschiedenen religiosen oder sakular gepragten Lebensweisen einbringen konnen. Der Fahigkeitenansatz ist komplett universal, setzt ein menschenwurdiges Leben voraus und sucht nach Moglichkeiten, dies in politischen Verfahren festzuschreiben.“25
3. Diskussion
Fraglich bleibt nun, ob Nussbaums Anspruch an universaler Anwendung der Fahigkeitenliste haltbar ist. Im Folgenden soll dazu vor allem auf Cornelia Mugges Auseinandersetzung mit Nussbaums Theorie und der Universalismusdebatte in Bezug auf die menschliche Natur und die Festlegung einer Fahigkeitenliste eingegangen werden.
[...]
1 Vgl. Pia Jaeger, Soziale Gerechtigkeit im Wandel. Ein idealistisches Konstrukt und/oder ein Mittel zur politischen Akzeptanzsicherung?, Baden-Baden 2017, S. 114.
2 Ebd.
3 Vgl. ebd.
4 Martha C. Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung. Nationalitat und Spezieszugehorigkeit, Berlin 2010, S. 14.
5 Vgl. ebd.
6 Ebd. S. 33.
7 Vgl. ebd. S. 33 f.
8 Ebd. S. 38.
9 Vgl. ebd.
10 Vgl. ebd.
11 Ebd. S. 39.
12 Ebd.
13 Vgl. ebd. S. 15.
14 Vgl. ebd. 43.
15 Vgl. ebd.
16 Vgl. Jaeger, Soziale Gerechtigkeit im Wandel, S. 114.
17 Cornelia Mugge, Menschenrechte, Geschlecht, Religion. Das Problem der Universalitat und der Fahigkeitenansatz von Martha Nussbaum, Bielefeld 2017, S. 26.
18 Vgl. ebd.
19 Vgl. ebd. S. 27.
20 Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, S. 115.
21 Ortrud LeBmann, Konzeption und Erfassung von Armut. Vergleich des Lebenslage-Ansatzes mit Sens „Capability“-Ansatz, Berlin 2009, S. 156.
22 Vgl. Martha Nussbaum, Fahigkeiten schaffen. Neue Wege zur Verbesserung menschlicher Lebensqualitat, Munchen 2015, S. 40 f.
23 Vgl. ebd. S. 41.
24 Vgl. ebd. S. 42.
25 Jaeger, Soziale Gerechtigkeit, S. 117.
- Quote paper
- Felix Ehrich (Author), 2020, Martha Nussbaums Fähigkeitenansatz und sein universaler Charakter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030591
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