Die südamerikanische Unabhängigkeitsbewegung unter Simón Bolívar im Spiegel der Wahrnehmung zeitgenössischer deutscher Berichte (1810–1830)


Bachelorarbeit, 2013

38 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Darstellung der wichtigsten Ereignisse und Stationen des südamerikanischen Unabhängigkeitskampfes von 1810 - 1830
2.1 Ursprung und Rechtfertigung der Revolution
2.2 Verlauf der Unabhängigkeitsbewegung und politische Vorstellungen Simon Bolivars (1810 - 1830)

3. Mediale Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Südamerika und den damit einhergehenden Folgen für Europa

4. Die zeitgenössische Rezeption Simon Bolivars Unabhängigkeitsbewegung im Spiegel der deutschen Publizistik
4.1 Unterschiedliche Meinungsbildung über den Libertador Simon Bolivar bis 1826
4.2 Die öffentliche Wahrnehmung Simon Bolivars im Wandel (1826 - 1830)
4.3 Die Urteilsbildung über Simon Bolivar nach 1830

5. Schlussbetrachtung

6. Quellenverzeichnis

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Was mich aber am meisten überraschte, war die glänzende Laufbahn Bolivars kurz nach unserer Trennung [...]. Die Taten, die Talente und der Ruhm dieses großen Mannes ließen mich der Momente seiner Begeisterung gedenken, als wir gemeinsam unsere Wünsche für die Befreiung des spanischen Amerika vereinten. Ich gestehe, daß ich mich seiner Zeit geirrt habe, als ich ihn als einen unreifen Menschen beurteilte, unfähig eines fruchtbaren Unternehmens, wie er es dann ruhmvoll zu vollenden verstanden hat [sic!]. 1

Diese rückblickende Aussage Alexander von Humboldts gibt exemplarisch Zeugnis davon, wie wechselhaft und unbeständig Simon Bolivar, die zentrale Figur des südamerikanischen Unabhängigkeitskampfes in der öffentlichen Meinung jener Zeit wahrgenommen wurde. Auch Alexander von Humboldt hatte zu Beginn der Aufstände in Südamerika eine andere, gar negative Meinung von Bolivar, welche sich mit dem Eingeständnis seines Irrtums einige Jahre danach in ein positives Urteil wandelte.2 Betrachtet man eingehender die zeitgenössische Wahrnehmung dieser Persönlichkeit und den Verlauf der südamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im Spiegel der deutschen Berichterstattung von 1810 bis 1830, so stößt man auf kaum größere Widersprüche. Demgemäß lässt sich in den ausgewählten Publikationen sowohl ein kritisch-konservatives als auch proindependistisches Meinungsspektrum über Simon Bolivar und das Unabhängigkeitsbestreben der südamerikanischen Kolonien feststellen. „Denn die Widersprüchlichkeit der Berichterstattung spiegelt letzten Endes eine Person wieder, die in ihrem politischen Handeln und Denken nicht widerspruchsfrei geblieben ist.“3 Zunächst einmal wird in einem ersten Teil der Arbeit der grobe Verlauf des Unabhängigkeitskampfes unter Simon Bolivar im nördlichen Südamerika skizziert. Aufgrund des Umfangs der vorliegenden Arbeit soll auf eine detaillierte Darstellung der Vorgeschichte der Unabhängigkeitsrevolution und der militärischen Ereignisse verzichtet werden. Demzufolge wird nur auf die Rechtfertigung der Revolution unter Simon Bolivar, dessen politische Vorstellungen, sowie auf die wichtigsten Handlungen und Ereignisse im Zeitraum von 1810 bis 1830 eingegangen. Dieser erste Teil der Arbeit dient dazu, auf die untersuchende Thematik hinzuführen und ermöglicht es im Nachhinein, die zeitgenössische deutsche Rezeption der Geschehnisse und Handlungen unter Bolivar besser nachvollziehen zu können, welche wiederum im zweiten Teil der Arbeit ausführlicher untersucht werden soll.

Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit soll es also sein, anhand einer entsprechenden Auswahl verschiedener historisch-politischer Zeitschriften ein aussagekräftiges Bild von der zeitgenössischen Wahrnehmung und politischen Diskussion über die Unabhängigkeitsbewegung unter Simon Bolivar im Spiegel der deutschen Publizistik von 1810 bis 1830 zu vermitteln. Dementsprechend sollen die ausgewählten Quellen unter dem Aspekt untersucht werden, welche unterschiedlichen Meinungen über den Libertador und die Independencia im Untersuchungszeitraum zum Ausdruck gebracht werden und inwieweit sich bestimmte Meinungstendenzen feststellen lassen. Dabei wird zunächst auf die mediale Diskussion eingegangen, die sich kontrovers mit den politischen und wirtschaftlichen Folgen der Unabhängigkeit Lateinamerikas für Europa auseinandergesetzt hat. Anschließend wird genauer auf die öffentliche Wahrnehmung der Figur Bolivar eingegangen. Neben den Unstimmigkeiten in der Wahrnehmung und Meinungsbildung gilt besonderes Augenmerk dem generellen Meinungsumschwung der deutschen Publizisten ab Mitte der 1820er Jahre. Am Ende der vorliegenden Arbeit soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, inwiefern sich ein gewisser Wandel in der öffentlichen Rezeption der Figur Simon Bolivar feststellen lässt und welche Gründe und Ursachen es dafür gibt. Gewissermaßen ist die deutsche Berichterstattung über den Libertador ungleichartig geprägt von Kritik, Skepsis, „Heldenverehrung und Idealisierung Bolivars hin zu seiner späteren, völligen politischen Diskreditierung als Despot“4.

Bezüglich des Forschungsstandes zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Unabhängigkeitsbewegung Südamerikas unter Simon Bolivar ist folgendes festzustellen: von besonderem Interesse für das zu behandelnde Thema sind die Werke von Joachim Gartz und Günter Kahle zu nennen, die sich ausgiebig mit der deutschen Berichterstattung über den Libertador und die Independencia befasst haben.5 Bei den analysierten Quellen, wie dem „Politischen Journal“, dem „Columbus“ und dem „Staatsmann“, handelt es sich also teilweise um eine Auswahl der Forschung.

Dies hängt damit zusammen, dass es sich um diejenigen Zeitschriften handelt, die als Meinungsführer schlechthin galten und zur damaligen Zeit ein besonders großes Meinungsspektrum abdeckten. Andererseits werden auch weitere weniger bekannte zeitgenössische Berichte herangezogen, wie bestimmte Denkschriften Humboldts, Artikel aus der konservativen „Allgemeinen Preußischen Staatszeitung“ oder zeitgenössische Darstellungen wie Gervinus‘ Monographie „Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen“. Diese weniger namhaften Quellen ermöglichen es, die bisherigen Erkenntnisse der Forschung zu überprüfen und weitere Einblicke zu gewinnen, welche ansonsten außer Acht gelassen werden.

2. Darstellung der wichtigsten Ereignisse und Stationen des südamerikanischen Unabhängigkeitskampfes von 1810 - 1830

Den Schwerpunkt der folgenden Darstellung bildet die Unabhängigkeitsbewegung im nördlichen Südamerika unter Simon Bolivar. Die Auswahl des Untersuchungszeitraumes von 1810 bis 1830 und die Auswahl der Region Großkolumbien lässt sich damit begründen, dass zum einen während dieses Zeitraums auf diesem Gebiet die langwierigsten und härtesten Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit Südamerikas stattfanden. Zum anderen zog die dort agierende Person und zentrale Figur der Unabhängigkeitsbewegung Simon Bolivar in erhöhtem Maße die Aufmerksamkeit der öffentlichen Wahrnehmung auf sich.6

2.1 Ursprung und Rechtfertigung der Revolution

I swear before you, I swear by the god of my fathers, I swear on their graves, I swear by my country that I will not rest body or soul until I have broken the chains binding us to the will of Spanish might. 7

Dieser im Jahre 1805 auf dem Monte Sacro in Rom abgelegte Schwur, seine Heimat von der spanischen Herrschaft zu befreien, gehört zu den frühesten Zeugnissen des revolutionären Bestrebens Simon Bolivars.8 Was bewog letztlich Simon Bolivar sich gegen die spanische Obrigkeit aufzulehnen und eine Revolution im nördlichen Teil Südamerikas zu organisieren? Welche Ursachen und Gründe führten überhaupt zur Unabhängigkeitsbewegung? Zunächst einmal muss darauf hingewiesen werden, dass die Wurzeln der antikolonialen Unabhängigkeitsbestrebungen auf das ausgehende 18. und frühe 19. Jahrhundert reichen. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu einem enormen Widerstand gegen die königliche Reformpolitik unter Karl III., die auf eine verstärkte Ausbeutung der Ressourcen der Kolonien sowie stärkere Kontrolle und Unterordnung der kreolischen Aristokratie abzielte. Somit kann man die spanischen Kolonialreformen und die damit einhergehenden Spannungen als Ausgangspunkt des Emanzipationsprozesses betrachten.9 Des Weiteren gehörte die südamerikanische Unabhängigkeitsbewegung zu einem universalen Revolutionszyklus im ausgehenden 18. Jahrhundert, der im Zusammenhang mit der Französischen Revolution und deren Folgen stand.10

Kurz gesagt dienten die Französische Revolution und die damit zusammenhängenden Umbrüche in Europa für die oppositionellen Kräfte in Südamerika als nachahmenswerte Leitbilder. Allerdings führte dies trotz aller Unzufriedenheit noch zu keiner Eskalation der Situation und ernsthaften Destabilisierung der spanischen Macht.11 Erst um das Jahr 1800 hatte sich der Druck auf das Kolonialsystem Spaniens enorm erhöht, als Spanien in eine enorme Staatskrise stürzte und den Kreolen stärker denn je die Entwicklungsmöglichkeiten der eigenen Region, der ausbeuterische Charakter und die gleichzeitige Schwäche des europäischen Mutterlandes zu dieser Zeit bewusst wurden.12 Als treffende Beschreibung dieser brisanten Lage lässt sich folgender Bericht des Südamerika-Reisenden Alexander von Humboldt heranziehen, der bereits im Jahre 1803 auf eine bald bevorstehende Revolution in Südamerika nachdrücklich hinweist und dafür rechtfertigende Gründe schildert:

Man vergibt Ämter nur an Emporkömmlinge und gemeine Menschen, die der Hunger aus Europa vertrieben hat, man erlaubt diesen, die in den Kolonien Geborenen geringschätzig zu behandeln, man schickt Leute, die den Kreolen das Blut aussaugen; [...] Die europäischen Beamten von niedriger Herkunft, die aber durch den Mißbrauch, den sie mit der ihnen anvertrauten Autorität getrieben haben, reich geworden sind, prahlen mit ihren Stellungen. [...] Die gleiche Reaktion bringt einen tödlichen Haß zwischen dem Europäer und dem Kreolen hervor; [..] In dem Maße, in dem der Haß auf das Mutterland zunimmt, wächst die Liebe zum Geburtsland. [...] Aus dieser Lage entsteht eine Verwirrung von Ideen und unbegreiflichen Meinungen, eine allgemeine revolutionäre Tendenz. Aber dieser Wunsch beschränkt sich darauf, die Europäer zu vertreiben [sic!]. 13

Demzufolge regierten in Amerika nur fremde Europa-Spanier ohne persönliche und tiefere Beziehung an dessen Interessen vorbei, während die Kreolen als Einheimische die amerikanischen Interessen wahren wollten und daraus ihren Anspruch auf Selbstbestimmung für Amerika ableiteten.14 Erstmals kam es im Jahre 1806 unter dem Kommando von Francisco de Miranda zu einem Versuch, in Venezuela einen Aufstand gegen Spanien zu entfesseln. Dieser erste revolutionäre Ansatz scheiterte allerdings aufgrund der noch mangelnden Unterstützung aller Bevölkerungs- schichten.15 Mit dem Verfall der bourbonischen Dynastie und der französischen Invasion in Spanien im Jahre 1808 ergab sich eine völlig neue Konstellation, welche letzten Endes den Revolutionsprozess und das kreolische Autonomiestreben ins Rollen brachte.

Der erzwungene Rücktritt des Königs Ferdinand VII. und die anschließende Besetzung Spaniens durch französische Truppen stellte einen nicht wiederherstellbaren Verlust der Herrschaftslegitimität des Mutterlands dar. Insbesondere mit diesem Argument begründeten die Revolutionsführer in Amerika ihre Autonomieansprüche und Unabhängigkeitserklärungen.16

2.2 Verlauf der Unabhängigkeitsbewegung und politische Vorstellungen Simon Bolivars (1810 - 1830)

Weil Spanien okkupiert wurde und deswegen keine Möglichkeit bestand, aktiv in die überseeischen Besitzungen einzugreifen, nutzte man in Spanisch-Amerika die Gunst der Stunde, um durch eigene Selbstregierungen, sogenannten Juntas die spanische Kolonialverwaltung zu ersetzen. Somit beabsichtigte man nicht nur die eigene Position zu stärken, sondern auch weitgehende Selbstständigkeit zu erringen.17

Folglich wurde zum allerersten Mal am 19. April 1810 eine spanische Kolonialregierung in Venezuela abgesetzt, womit die Stadt Caracas in der Geschichtsschreibung als „Wiege der Revolution“ gilt. Auf ähnliche Art und Weise verliefen in ganz Spanisch-Amerika zur selben Zeit Machtübernahmen durch städtische Juntas.18 Zu dieser Zeit trat auch Simön Bolivar erstmals in politische Erscheinung. Dieser versuchte als Abgesandter der kreolischen Junta von Caracas in London Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung zu gewinnen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs überzeugte er den Altrevolutionär Miranda, trotz seines Misserfolges im Dezember 1810 mit ihm nach Venezuela zurückzukehren, um vereint den Kampf gegen Spanien fortzuführen.19 Anschließend deklarierte der Kongress von Caracas unter dem Einfluss Simon Bolivars am 5. Juli 1811 die Unabhängigkeit Venezuelas von Spanien. In den darauffolgenden Kämpfen wurden jedoch die venezolanischen Truppen unter Simon Bolivar und Francisco de Miranda von den royalistischen Truppen Spaniens 1812 besiegt.20

Der tragische Ausgang dieser militärischen Niederlage bestand zum einen darin, dass die erste Unabhängigkeit Venezuelas somit nur kurz währte. Zum anderen ließ Bolivar Miranda skrupellos an die Spanier ausliefern und flüchtete selbst nach Cartagena.21 Die radikale Entscheidung seinen revolutionären Kampfgefährten an den Feind auszuliefern, brachte Simon Bolivar heftige Kritik ein und lässt diesen nicht ohne Widersprüche erscheinen. „Welche Motive Bolivar zur Auslieferung Mirandas bewegt haben, ist umstritten. Zweifellos missbilligte er die von Miranda unterschriebene Kapitulation und sah den Fluchtversuch als Verrat an der Sache der Patrioten an. Darüber hinaus hat vermutlich die wachsende persönliche Rivalität [...] seine Handlungsweise beeinflusst“22 23, betont der Historiker Joachim Gartz.

Jedoch begann Bolivar bereits kurze Zeit später in Cartagena die Rückeroberung Venezuelas vorzubereiten, indem er das geschlagene Rebellenheer neuformierte. Des Weiteren erläutert er am 15. Dezember 1812 im Manifest von Cartagena, welche politischen Fehler zum Scheitern der ersten venezolanischen Republik führten:

Ich glaube, daß die Feinde - solange wir unsere amerikanischen Regierungen nicht zentralisieren - die größten Vorteile erringen werden; wir werden unausweichlich in den Schrecken des Bürgerzwistes befangen sein und durch jene Handvoll Banditen, die unser Land heimsuchen, in schmählicher Weise erobert werden. [...J Hätte Caracas an Stelle einer matten und nicht lebensfähigen Konföderation eine einfache Regierung eingesetzt, wie es seine politische und militärische Lage erforderte, gäbe es dich, oh Venezuela, noch und erfreutest du dich heute deiner Freiheit [sic!].

Demgemäß führt Bolivar den Verlust der ersten Unabhängigkeit auf die föderative Struktur Venezuelas zurück und plädiert für eine zentralistische Regierung mit starker Exekutive, um die Zukunft des sich im Entstehen befindlichen Staates zu sichern.24 Aufgrund der inneren Uneinigkeit unter den Revolutionären, der Auseinandersetzung um Föderalismus oder Zentralismus und der Beendigung der napoleonischen Kriege in Europa gewannen die Spanier nach anfänglichen militärischen Erfolgen Bolivars in der Folgezeit die Initiative zurück. Als schließlich ab Mitte 1815 die komplette Rückeroberung Neu-Granadas durch ein spanisches Entsatzheer bevorstand, sah Simon Bolivar keine Möglichkeit mehr, den Kampf erfolgreich fortzusetzen und begab sich deshalb im Mai 1815 ins Exil nach Jamaika.25 Trotz der scheinbar aussichtslosen Situation setzte sich Simon Bolivar auf Jamaika weiter für die Unabhängigkeit und Freiheit Südamerikas ein und hielt unerbittlich an seinem Vorhaben fest:

Der Erfolg wird unsere Anstrengung krönen, denn das Schicksal Amerikas ist unwiderruflich festgelegt. Das Band, das es mit Spanien vereinte, ist zerschnitten. [...] Der Hass, den wir gegen die Halbinsel hegen, ist größer als das Meer, das uns von ihr trennt: Weniger schwierig ist es, die beiden Kontinente zu vereinen, als die Seelen beider Länder zu versöhnen. 26

Für Simon Bolivar stellte nämlich die Zeit der tiefsten Krise auch die entscheidende Wende dar. Die Zeit im Exil nutzte dieser auf zweifache Weise: zur Gewinnung ausländischer Unterstützung und zur Entwicklung seiner politischen Visionen und Zielvorstellungen für das zukünftige unabhängige Lateinamerika.27 Diese politischen Vorstellungen waren an eine breitere Öffentlichkeit gerichtet und wurden in der berühmten Carta de Jamaika niedergelegt:

Unter den Populär- und Repräsentativsystemen gibt es auch das föderative System. Diesem stimme ich nicht zu, weil es zu perfekt ist und Tugenden und politische Talente erfordert, die unsere übersteigen. Aus demselben Grund lehne ich die aus Aristokratie und Demokratie gemischte Monarchie ab [...]. Wenn es uns nun nicht möglich ist, das Vollkommenste und Vollendetste zwischen Republik und Monarchie zu erreichen, sollten wir vermeiden, in demagogische Anarchien oder monokratische Tyranneien zu verfallen. Suchen wir eine Mitte zwischen den Extremen [...] Nicht das beste, sondern das am ehesten erreichbare soll es sein [sic!]. 28

Demnach war für Bolivar am wichtigsten, in schweren Zeiten eine Art Ordnung zu bewahren und nicht in Anarchie abzudriften. Den einzigen Garanten für die Unabhängigkeit und politische Stabilität sah Simon Bolivar nicht in der Errichtung von Monarchien oder im Föderalismus innerhalb von Staaten, sondern nur in der Einheit aller neu entstandenen Staaten. Deshalb strebte Bolivar nicht die beste Regierung oder Verfassung im Allgemeinen für das zukünftige Staatswesen an, jedoch die bestmögliche, zu dieser Zeit passende.29

Bereits nach einem Jahr kehrte Bolivar aus dem Exil nach Venezuela zurück und sicherte sich dort aufgrund gemeinsamer Befreiungsinteressen die Unterstützung der venezolanischen Guerilla-Steppenreiter (Llaneros) unter Jose Antonio Paez.30 Diese schlossen sich wiederum im Jahre 1818 mit den verbliebenen neu-granadinischen Truppen unter Francisco de Paula Santander zu einem vereinigten Heer zusammen, um gemeinsam Venezuela zu befreien. Schließlich gelang es dem vereinigten Befreiungsheer in einem spektakulären Feldzug über die Hochgebirgspässe der Anden den entscheidenden Sieg über die spanischen Truppen im Jahre 1819 zu erlangen.31 Dieser militärische Erfolg unter Simon Bolivar sicherte nicht nur die endgültige Unabhängigkeit Neu-Granadas, sondern festigte auch die Position Bolivars als führende militärische und politische Persönlichkeit. Dadurch konnte dessen Rang an der Spitze der Independencia und dessen uneingeschränkte Stellung als Oberbefehlshaber untermauert werden.32 Auf dem zur selben Zeit tagenden Kongress von Angostura wurde 1819 mit der Vereinigung von Venezuela und Neu-Granada die Republik Großkolumbien verkündet.33 Zugleich sollte auf diesem Kongress die faktisch kriegsbedingte Diktatur Bolivars institutionalisiert und dessen Autorität als Präsident bestätigt werden, indem diesem ein Justizorgan und Exekutivberater zur Seite gestellt werden. Daneben erläuterte dort Simon Bolivar selbst seine Ideen bezüglich der neu zu gestaltenden Verfassung des jungen Staates.34 So sollte Bolivars Ansicht nach neben einem erblichen Senat, der sich als Militär-Aristokratie aus den Familien der militärischen Führer der Independencia zusammensetzt, ein als Vertreter der Exekutivgewalt auf Lebenszeit gewählter Präsident für politische Stabilität 35 sorgen.35

Seine strikte Ablehnung des Föderalismus, die explizite Betonung der Exekutive und die Idee eines Präsidenten auf Lebenszeit mit dem Recht, den eigenen Nachfolger selbst zu ernennen, führte dieser auf die Befürchtung zurück, die Unabhängigkeitsbewegung könnte das Opfer von Anarchie und spontan handelnder Volksmassen werden36:

Weil eben keine andere Regierungsform so schwach ist wie die Demokratie, darum muß ihre Struktur von größter Festigkeit sein und müssen ihre Institutionen auf Stabilität hin befragt werden. Andernfalls müssen wir damit rechnen, daß eine Regierung auf Probe an Stelle eines dauerhaften Systems eingerichtet wird, und einer widerspenstigen, aufrührerischen und anarchischen Gesellschaft gewärtig sein, anstatt einer Gesellschaftsordnung, in der Glück, Friede und Gerechtigkeit herrschen. [...] Die unbegrenzte Freiheit, die unumschränkte Demokratie sind die Klippen, an denen alle republikanischen Hoffnungen noch immer zerschellt sind [sic!]. 37

„Diese Form der Machtausübung entsprach nach seiner Auffassung am ehesten den Bedingungen der extrem komplizierten Übergangssituation von der Independencia zur nachrevolutionären Zeit“38, resümiert der Historiker Manfred Kossok. Nimmt man in Bezug dazu publizistische Quellen genauer in Betracht, so lässt sich deutlich feststellen, dass Simon Bolivars Pläne wie der erbliche Senat oder der Präsident auf Lebenszeit für große Aufregung und heftige Kritik in der zeitgenössischen Rezeption sorgten.39 Darauf wird im späteren Teil der vorliegenden Arbeit genauer eingegangen. Anderseits stimmen heute sogar kritisch eingestellte Historiker rückblickend der damaligen Auffassung Bolivars zu, im Hinblick auf die drohende politische Instabilität des neuen Staates aufgrund der revolutionären Umstände: „Bolivar wollte eine Monokratie, und Bolivar hatte recht. Gewiss waren seine Ansichten die intellektuelle Blüte seines diktatorischen und imperialen Temperaments, aber sie waren trotzdem richtig [sic!].“40 Wie dem auch sei. Letzten Endes war der Alleinherrschaft Simon Bolivars an der Spitze des neuen Staates nur so lange Erfolg beschieden, wie die direkte Bedrohung durch Spanien in Südamerika fortbestand.41

Die weitere Entwicklung der Revolution bestätigt dies.

So gingen Simon Bolivars strategische Überlegungen davon aus, dass die Unabhängigkeit Großkolumbiens nur dann Bestand hat, wenn auch die Nachbarstaaten dauerhaft von Spanien befreit waren und sein republikanisches Regierungssystem übernommen hatten. Zu diesem Zweck befreiten die kolumbianisch-peruanischen Truppen unter Bolivar und dessen General Antonio Jose de Sucre Peru sowie Hochperu in den Schlachten von Junin und Ayacucho im Jahre 1824.42

Damit wurde zwischen 1819 und 1825 faktisch ganz Südamerika, von Panama im Norden bis Peru im Süden durch den Libertador aus der Kolonialherrschaft Spaniens befreit.43 „Bolivars Macht stand zu diesem Moment im Zenit, zugleich begann diese Macht der Bolivarianos unaufhaltsam abzubröckeln und mündete schließlich in die tragische Krise der Jahre 1828/30“44, konstatiert Manfred Kossok. Doch wie kam es nun von dessen Stellung als unbestrittener Präsident und Oberbefehlshaber zu dessen Machverlust und absolutem Niedergang, welcher in mehreren Attentatsversuchen und letztlich seiner Abdankung im Jahre 1830 gipfelte?

Der künstlich geschaffene Staat Großkolumbien begann ab 1825, auf dem Höhepunkt der Unabhängigkeitsbewegung immer mehr in seine drei ursprünglichen Teilstaaten zu verfallen. Dies lag vor allem am Mangel an gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Interessen, am nicht vorhandenen Zusammengehörigkeitsgefühl und der von Bolivar propagierten Zentralregierung, die häufig nur eine Region begünstigte, eine andere aber wiederum benachteiligte, weswegen bei den Venezolanern und Ecuadorianern unentwegt Separationsbestrebungen aufkamen.45

[...]


1 Zit. nach Heiman, Hanns: Humboldt und Bolivar. Begegnungen zweier Welten in zwei Männern, in: Alexander von Humboldt. Studien zu seiner universalen Geisteshaltung, hrsg. von Joachim H. Schultze, Berlin 1959, S. 233f.

2 Vgl. Kahle, Günter: Simön Bolivar und die Deutschen, Berlin 1980, S. 48.

3 Gartz, Joachim: Liberale Illusionen. Unabhängigkeit und republikanischer Staatsbildungsprozeß im nördlichen Südamerika unter Simön Bolivar im Spiegel der deutschen Publizistik des Vormärz, (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 808), Frankfurt am Main 1998, S. 239.

4 Vgl. Gartz, Liberale Illusionen. S. 239.

5 Siehe hierzu Kahle, Günter: Simon Bolivar und die Deutschen, Berlin 1980. u. Kahle, Günter: Simon Bolivar in zeitgenössischen deutschen Berichten (1811 - 1831), Berlin 1983.

6 Vgl. Gartz, Liberale Illusionen. S. 12f.

7 Simon Bolivar: Oath Taken in Rome (15. August 1805) in: El Libertador. Writings of Simon Bolivar, hrsg. von David Bushnell, New York 2003, S. 114.

8 Vgl. Kossok, Manfred: Simon Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR/Gesellschaftswissenschaften, Bd. 12), Berlin 1984, S. 5.

9 Vgl. Zeuske Michael/ Schröter Bernd: Transformation, Widerstand und Volksbewegungen in Spanisch-Amerika: Vom „bourbonischen Jahrhundert“ zur Unabhängigkeit (1750 - 1830), in: Comparativ (Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 2/1991), S. 33.

10 Vgl. Kossok, Manfred: Alternativen gesellschaftlicher Transformation in Lateinamerika: Die Unabhängigkeitsrevolutionen von 1790 bis 1830. Eine Problemskizze, in: Comparativ (Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 2/1991), S. 9.

11 Vgl. Zeuske/Schröter, Transformation, Widerstand und Volksbewegungen. S. 36.

12 Vgl. Rinke, Stefan u.a. (Hrsg.): Geschichte Lateinamerikas vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Quellenband, Stuttgart 2009, S. 3.

13 Alexander von Humboldt: Grundsätzliche Verurteilung des Kolonialsystems in: Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeitsrevolution, hrsg. von Margot Faak/Kossok Manfred, Berlin 1982, S. 65f

14 Vgl. König, Hans Joachim (Hrsg.): Staat, Gesellschaft und Nation in Hispanoamerika. Problemskizzierung, Ergebnisse und Forschungsstrategien, Frankfurt am Main, S. 10.

15 Vgl. Buisson, Inge/Schottelius, Herbert: Die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika 1788 - 1826 (Handbuch der lateinamerikanischen Geschichte), Stuttgart 1980, S. 47.

16 Vgl. Rinke, Stefan: Revolutionen in Lateinamerika. Wege in die Unabhängigkeit 1760 - 1830, München 2010, S. 187.

17 Vgl. Buisson, Die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika. S. 50.

18 Vgl. Zeuske, Michael: Francisco de Miranda, Simön Bolivar, Jose de San Martin und die kontinentale Komponente der Unabhängigkeitsrevolution Spanisch-Amerikas, in: Revolution und Nationwerdung in Lateinamerika (Leipziger Beiträge zur Revolutionsforschung, Bd. 14), hrsg. von Walter Markov, Leipzig 1986, S. 34.

19 Vgl. Gartz, Liberale Illusionen. S. 46.

20 Vgl. Kahle, Simon Bolivar und die Deutschen. S. 10f.

21 Vgl. Kossok, Simon Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas. S. 6.

22 Gartz, Liberale Illusionen. S. 46.

23 Simon Bolivar: Manifest von Cartagena, 15. Dezember 1812 in: Simon Bolivar, Reden und Schriften zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von Hans-Joachim König, Hamburg 1984, S. 20f

24 Vgl. Moser, Maria Theresa: Das Gedankengut von Simön Bolivar und seine Instrumentalisierung durch Hugo Chavez in Venezuela ( Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXI, Bd. 597), Frankfurt am Main 2011, S. 51f.

25 Vgl. König, Hans-Joachim: Kleine Geschichte Kolumbiens. München 2008. S. 59.

26 Simön Bolivar: Brief aus Jamaika, 6. September 1815 in: Simön Bolivar, Reden und Schriften zu Politik. S. 31.

27 Vgl. Kossok, Simön Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas. S. 10.

28 Simön Bolivar: Brief aus Jamaika, 6. September 1815 in: Simön Bolivar, Reden und Schriften zu Politik. S. 37.

29 Moser, Das Gedankengut von Simon Bolivar. S. 66.

30 Vgl. Zeuske, Michael: „Kommentare im Falsett“: Medien, Nachrichten und Revolution am Beispiel der Independencia Venezuelas, in: Comparativ (Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 3/1991), S. 54.

31 Vgl. König, Kleine Geschichte Kolumbiens. S. 61.

32 Vgl. Kossok, Simon Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas. S. 17.

33 Vgl. König, Kleine Geschichte Kolumbiens. S. 62.

34 Vgl. Gartz, Liberale Illusionen. S. 58.

35 Vgl. Simon Bolivar: Eröffnungsrede an den Kongreß von Angostura, 15. Februar 1819. in: Simon Bolivar, Reden und Schriften zu Politik. S. 47.

36 Vgl. Kossok, Simön Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas. S. 16.

37 Simön Bolivar: Eröffnungsrede an den Kongreß von Angostura, 15. Februar 1819. in: Simön Bolivar, Reden und Schriften zu Politik. S. 56.

38 Kossok, Simön Bolivar und das historische Schicksal Spanisch-Amerikas. S. 16.

39 Vgl. Gartz, Liberale Illusionen. S. 59.

40 Madariaga, Salvador de: Simön Bolivar. Der Befreier Spanisch-Amerikas, Zürich 1986, S. 474.

41 Vgl. Zeuske, Francisco de Miranda, Simön Bolivar, Jose de San Martin. S. 40.

42 Vgl. König, Kleine Geschichte Kolumbiens. S. 68.

43 Vgl. Zeuske, Michael: Simon Bolivar. Befreier Südamerikas, Berlin 2011, S. 12.

44 Kossok, Manfred: Revolution und Nationwerdung in Spanisch-Amerika. Zur Dialektik von kontinentaler und regionaler Komponente in der Independencia, in: (Revolution und Nationwerdung in Lateinamerika (Leipziger Beiträge zur Revolutionsforschung, Bd. 14), hrsg. von Walter Markov, Leipzig 1986, S. 9.

45 Vgl. König, Kleine Geschichte Kolumbiens. S. 68f.

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Details

Titel
Die südamerikanische Unabhängigkeitsbewegung unter Simón Bolívar im Spiegel der Wahrnehmung zeitgenössischer deutscher Berichte (1810–1830)
Hochschule
Universität Augsburg  (Lehrstuhl für Neuere Geschichte)
Note
1,0
Jahr
2013
Seiten
38
Katalognummer
V1030843
ISBN (eBook)
9783346432032
ISBN (Buch)
9783346432049
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unabhängigkeitsbewegung, simón, bolívar, spiegel, wahrnehmung, berichte
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Die südamerikanische Unabhängigkeitsbewegung unter Simón Bolívar im Spiegel der Wahrnehmung zeitgenössischer deutscher Berichte (1810–1830), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030843

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