Tiergestützte Pädagogik. Der Hund als Lernbegleiter


Bachelorarbeit, 2021

62 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Themenaufriss und Zielstellungen

2 Tiergestützte Intervention
2.1 Begriffsdefinitionen
2.2 Bedeutung und Ursprung
2.3 Mensch-Tier-Beziehung
2.3.1 Anthropomorphisieren
2.3.2 Biophilie-Hypothese
2.3.3 Bindungstheorie
2.3.4 Du-Evidenz
2.3.5 Spiegelneuronen
2.4 Resümee

3 Hundegestützte Intervention
3.1 Entwicklung und Geschichte der Rolle des Hundes für den Menschen
3.2 Begriffserklärung
3.3 Studien zur Hundegestützten Pädagogik in der Schule
3.4 Resümee

4 Der Einsatz des Schulhundes
4.1 Gesetzliche Vorgaben
4.1.1 Haftung
4.1.2 Österreichisches Tierschutzgesetz
4.1.3 Leitfaden für hundegestützte Pädagogik des Bundesministeriums für Bildung und Frauen
4.2 Voraussetzungen
4.2.1 Hund
4.2.2 Hundehalterin und Hundehalter
4.2.3 Kind
4.2.4 Schule
4.2.5 Ausbildung zum Schulhund
4.3 Positive Effekte von Hunden in der Schule
4.3.1 Physische und psychische Wirkung
4.3.2 Soziale Wirkung
4.3.3 Lernerfolg
4.3.4 Motivation
4.3.5 Drei- Faktoren- Modell nach Beetz
4.4 Praktischer Einsatz des Schulhundes nach dem „Fünf Phasen Modell“
4.4.1 Vorbereitungsphase
4.4.2 Einführungsphase
4.4.3 Kennenlernphase
4.4.4 Arbeitsphase
4.4.5 Abschlussphase
4.5 Resümee

5 Empirische Forschung
5.1 Die qualitative Forschung – Begründung und Beschreibung der Methode
5.2 Experteninterview – Forschungsfeld
5.3 Auswertung und Ergebnisdarstellung
5.4 Resümee und Beantwortung der Forschungsfragen

6 Zusammenfassung und weiterführende Gedanken

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang
8.1 Interviewleitfaden

Kurzzusammenfassung

Die vorliegende Arbeit gibt einen theoretischen Überblick über die Tiergestützte Pädagogik sowie die Hundegestützte Pädagogik, wobei auf den Einsatz, die Voraussetzungen und die Wirkungen jeweils näher eingegangen wird.

Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, welche Erfolge mit Tiergestützter Pädagogik erzielt werden können. Außerdem sollen die Voraussetzungen, die der Hund, die Hundehalterin und der Hundehalter, die Schule sowie die Kinder mitbringen müssen, kritisch beleuchtet werden. Ein Anliegen ist es auch, die positiven Auswirkungen durch den Einsatz eines Schulhundes herauszufinden.

Vorrangig wird die hermeneutische Forschungsmethode angewendet, um ein theoretisches Fundament zu schaffen. Die Erkenntnisse werden durch ein Experteninterview vertieft.

Die Praxis hat gezeigt, dass die Kinder vom Einsatz eines Hundes profitieren, da sie sich in der Klasse wohler fühlen. Dies spiegelt sich in ihrem Verhalten und im Lernerfolg wider. Alleine die Anwesenheit eines Hundes kann die Stimmung heben, die Motivation verbessern, die soziale Kontaktfreudigkeit fördern, die Empathie steigern und auch einen positiven Einfluss auf die Herzfrequenz, den Blutdruck und die Stresshormone haben.

Summary

The present work gives a theoretical overview of the animal-assisted pedagogy and the dog-assisted pedagogy, whereby the use, the requirements and the effects are discussed in a more detailed way.

The aim of this work is to find out which success can be achieved with animal-assisted education. In addition, the requirements that the dog, the dog owner, the school and the children must bring with them shall be critically examined. It is also important to find out the positive effects of using a school dog.

The hermeneutic research method is primarily used to create a theoretical foundation. The findings are deepened through an expert interview.

Practice has shown that the children benefit from the use of dogs, because they feel more comfortable in class. The benefit is also reflected in their behaviour and learning success. The presence of a dog can improve mood, increase motivation, promote sociability, increase empathy and also has a positive influence on heart rate, blood pressure and stress hormones.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Begriffe zur Tiergestützten Intervention (Vernooij & Schneider, 2008, S. 47)

Abbildung 2: Rückzugsort für den Schulhund (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 33)

Abbildung 3: Drei-Stufen-Modell der Schulhundausbildung (Heyer & Kloke, 2013, S. 26)

Abbildung 4: Effekte von Mensch-Tier-Interaktion (MTI) bei Aktivierung, Angst, Anspannung (Beetz, 2016, S. 15)

Abbildung 5: Entspanntes Lesen und Lernen mit dem Hund (Beetz & Marhofer, 2012, S. 17)

Abbildung 6: Drei-Faktoren-Modell (Beetz & Marhofer, 2012, S. 105)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gegenüberstellung Canepädagogik und Kynopädagogik (Vernooij & Schneider, 2008, S. 170), (vgl. Jablonowski & Köse, 2013, S. 47ff.)

1 Themenaufriss und Zielstellungen

Während noch vor 20 Jahren nur ein geringes Interesse von Lehrpersonen darin bestand, Hunde in die Schule mitzunehmen, kam es in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum diesbezüglich zu einem Wandel. Die Praxis hat gezeigt, dass die Kinder vom Einsatz der Tiergestützten Pädagogik profitieren. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 9) Sie fühlen sich in der Schule durch die Anwesenheit dieser wohler und das spiegelt sich auch in ihrem Verhalten und in den Lernerfolgen wider. Es gibt zwar nicht sehr viele Studien zu direkten Effekten des Einsatzes von Hunden in der Schule, aber in den letzten Jahren beschäftigen sich immer mehr Pädagogen und Pädagoginnen mit diesem Thema. Speziell in Deutschland gibt es eine steigende Anzahl von Schulen, die auf die Unterstützung von Hunden zählen und es wird der positive Einfluss von Hundegestützter Pädagogik in der Klasse bestätigt wird. Manche Lehrerinnen und Lehrer berichten von positiven Effekten auf Kinder in einer Klasse, wissenschaftliche Belege liegen aber nur wenige vor. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 12f.) In Wien wurde eine Studie durch das Institut für interdisziplinäre Forschung an der Europaschule durchgeführt, bei welcher die positive Auswirkung erwiesen wurde. Dies berichtet ein Artikel im Standard vom 26. Mai 2011. (vgl. https://www.derstandard.at/story/1304552339009/therapiehunde-in-schule-mein-lehrer-mit-der-kalten-schnauze) In der heutigen Zeit weisen viele Kinder ein unsicheres Bindungsverhalten auf und reagieren immer unruhiger, aggressiver und gestresster. Diese Problematik erfordert beim Umgang mit den Kindern von den Lehrerinnen und Lehrern besondere pädagogische Fähigkeiten und es ist schwierig, die Vorgaben des Lehrplans unter solchen Bedingungen umzusetzen. Es erscheint sinnvoll, Maßnahmen für ein besseres Klassenklima, für Freude an der Schule, für die Lernmotivation und den Schulbesuch zu setzen. Lehrpersonen haben dabei vielfältige Möglichkeiten, eine davon wäre, Hunde in der Schule einzusetzen. Diese können motivierend wirken und Entspannung sowie ein positives Klima schaffen. Damit können sie die Lehrperson unterstützen, gesetzte pädagogische Ziele zu erreichen. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 86ff.) Viele Kinder haben aufgrund ihrer Bindungsschwierigkeiten Probleme, zu der Lehrperson eine Bindung sowie Vertrauen aufzubauen. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 81) In diesem Fall kann der Hund, speziell Kindern, die eher eine Außenseiterposition in der Klasse einnehmen, helfen. Im Gegensatz zu den Mitschülerinnen und Mitschülern ist dieser unvoreingenommen und dadurch eine Stütze. Kinder mit Lernschwierigkeiten können durch den Hund den Stress reduzieren und so leichter zu einem Lernerfolg kommen. (vgl. Kotrschal, 2017, S. 702)

In der Arbeit soll zunächst der Frage „Welche Erfolge können mit Tiergestützter Pädagogik erzielt werden?“ nachgegangen werden. Weiters sollen die Fragen, „Welche Voraussetzungen müssen für den Einsatz eines Schulhundes erfüllt werden?“ und „Welche Auswirkungen hat ein Schulhund auf die Psyche, das soziale Verhalten und auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler?“ beantwortet werden. Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, wie ein Schulhund das Klassenklima beziehungsweise das Verhalten der Kinder verändern kann und welche positiven Auswirkungen dieser auf die Motivation und den Lernerfolg der Kinder hat. Weiters sollen die Voraussetzungen, die der Hund, die Hundehalterin und der Hundehalter, die Schule und die Kinder mitbringen müssen, beleuchtet werden.

Die Bachelorarbeit umfasst im Wesentlichen zwei Methoden. Vorrangig wird die hermeneutische Forschungsmethode angewendet, um ein theoretisches Fundament zu schaffen. Diese Arbeit stützt sich auf eine Auswahl aktueller Literatur. In Hinblick auf die berufliche Relevanz wird empirisch geforscht. Ein Experteninterview mit einer Pädagogin, die ihren Hund in der Volksschule im Einsatz hatte, soll die Erkenntnisse vertiefen.

2 Tiergestützte Intervention

Tiere haben eine große Bedeutung für den Menschen als „Unterstützer“ in der Pädagogik und in der Therapie, aber auch als „Begleiter“ und „Beschützer“. Es kommen verschiedenste Tierarten auf unterschiedliche Weise, je nach Ausbildung des Tieres, zum Einsatz. Eine Reihe von Einsatzbereichen wird in diesem Kapitel näher erläutert. Die Bedeutsamkeit der Unterstützung von Tieren in der Pädagogik und in der Therapie ist schon seit vielen Jahren bekannt. Positive Auswirkungen auf die Menschen, im Speziellen auf Kinder, sind unumstritten und auch teilweise wissenschaftlich belegt. Dabei spielt die Mensch-Tier-Beziehung eine bedeutende Rolle. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. XIIIf.)

2.1 Begriffsdefinitionen

Die Art des Einsatzes der Tiergestützten Intervention richtet sich nach der Ausbildung des Tieres sowie dessen Besitzerin und Besitzer. In der Literatur sind unterschiedliche Bezeichnungen für den Einsatz der Tiere beschrieben. Zum besseren Verständnis der Einsatzarten von Tieren, die im nächsten Kapitel erläutert werden, bedarf es einer genaueren Definition. Im Wesentlichen kann zwischen vier Bereichen unterschieden werden.

Tiergestützte Pädagogik

Mit dem Begriff der Tiergestützten Pädagogik werden „Interventionen im Zusammenhang mit Tieren subsumiert, welche auf der Basis konkreter, klienten-/kindorientierter Zielvorgaben Lernprozesse initiiert, durch die schwerpunktmäßig die emotionale und die soziale Kompetenz des Kindes verbessert werden soll“ verstanden. Diese werden von speziell qualifizierten Lehrpersonen „im pädagogisch- sonderpädagogischen Bereich“ mit Unterstützung eines ausgebildeten Tieres durchgeführt. Das Ziel ist die „Initiierung und Unterstützung von sozial- emotionalen Lernprozessen.“ (Vernooij & Schneider, 2008, S. 41) Eine besondere Form Tiergestützter Pädagogik ist die Hundegestützte Pädagogik. Diese wird im nächsten Kapitel näher erläutert.

Tiergestützte Therapie

Unter Tiergestützter Therapie werden „zielgerichtete Interventionen im Zusammenhang mit Tieren subsumiert, welche auf der Basis einer sorgfältigen Situations- und Problemanalyse sowohl das Therapieziel als auch den Therapieplan unter Einbezug eines Tieres festlegen.“ Die Therapieerfolge müssen dokumentiert werden. Diese werden von therapeutisch ausgebildeten Personen durchgeführt unter Einbeziehung eines speziell ausgebildeten Tieres. Das Ziel ist die „Verhaltens-, Erlebnis- und Konfliktbearbeitung zur Stärkung und Verbesserung der Lebensgestaltungskompetenz.“ (Vernooij & Schneider, 2008, S. 44)

Tiergestützte Förderung

Mit dem Begriff der Tiergestützten Förderung sind „Interventionen im Zusammenhang mit Tieren zu verstehen, welche auf der Basis eines (individuellen) Förderplans vorhandene Ressourcen des Kindes stärken und unzugänglich ausgebildete Fähigkeiten verbessern sollen.“ Diese werden von „im pädagogisch- sonderpädagogischen Bereich“ ausgebildeten Personen durchgeführt unter Einbeziehung eines dafür trainierten Tieres. Das Ziel ist die „Unterstützung von Entwicklungsfortschritten.“ (Vernooij & Schneider, 2008, S. 37)

Tiergestützte Aktivität

Unter Tiergestützter Aktivität sind „Interventionen im Zusammenhang mit Tieren zu verstehen, welche die Möglichkeit bieten, erzieherische, rehabilitative und soziale Prozesse zu unterstützen und das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern.“ Dies wird von ehrenamtlichen bzw. nicht speziell ausgebildeten Personen unter Einbeziehung eines geeigneten Tieres durchgeführt. Das Ziel ist die „allgemeine Verbesserung des Wohlbefindens.“ (Vernooij & Schneider, 2008, S. 34)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Begriffe zur Tiergestützten Intervention (Vernooij & Schneider, 2008, S. 47)

2.2 Bedeutung und Ursprung

Tiergestützte Pädagogik umfasst das Arbeiten mit Lebewesen in pädagogischen und sonderpädagogischen Einrichtungen. Durch den Einsatz von Tieren sollen die Kommunikation und die Selbstständigkeit von Kindern gefördert, das Selbstbewusstsein verbessert und die soziale Kompetenz gesteigert werden. Die Tiergestützte Pädagogik unterstützt erzieherische Maßnahmen und trägt maßgeblich zur persönlichen Entwicklung bei. (vgl. Säger, 2007a, S. 13f.) Tiere beeinflussen auch die Empathiefähigkeit, das menschliche Wohlbefinden sowie die Gesundheit positiv. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 26) Tiere finden nicht nur in der Pädagogik, sondern auch in der Therapie ihren Einsatz. Der Psychologe Levinson beschäftigte sich mit Tiergestützter Therapie von Kindern und erläuterte die Mensch-Tier-Therapie derart: (vgl. Säger, 2007b, S. 7)

„Die Mensch-Tier-Therapie ist ein Personenprozess, in dem ein Tier als Gefährte in das Leben einer Person einwirkt mit dem Ziel, auf ihren gesundheitlichen Zustand positiv einzuwirken.“ (Säger, 2007b, S. 7)

Die ersten Erkenntnisse über den positiven Einfluss von Tieren reichen bis ins 8. Jahrhundert zurück. Vor allem bei Menschen mit Defiziten in der geistigen Entwicklung wurden die unterschiedlichsten Tiere zur Förderung herangezogen. (vgl. Agsten, 2009, S. 20) Zu dieser Zeit soll es in Belgien bereits Einrichtungen gegeben haben, in denen Menschen mit geistigen und seelischen Defiziten mit Hilfe von Tieren therapiert wurden. 1792 wurde in Großbritannien das „York Retreat“ von den Quäkern ins Leben gerufen. In dieser Krankenanstalt wohnten Menschen mit geistiger und psychischer Beeinträchtigung mit Kleintieren zusammen. Die Betreuung der Tiere wurde von den Bewohnerinnen und Bewohnern übernommen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Hunde, Katzen, Schafe, Ziegen und andere Kleintiere in Bethel in einer Institution für beeinträchtigte Personen und Epileptiker gehalten. Durch die Betreuung der Tiere sollte ihnen eine Aufgabe zukommen und ein gegliederter Tagesablauf ermöglicht werden. Diese Institution existiert nach wie vor und auch die Tiere sind noch ein wichtiger Bestandteil dieser. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Tiere in New Yorker Krankenhäusern eingesetzt, um ehemalige Soldaten bei der Aufarbeitung der Kriegserlebnisse zu unterstützen, denn durch die Betreuung der Tiere wurde ihnen eine neue Aufgabe zugetragen. (vgl. Kloss, 2010, S. 12ff.) Tiere kamen auch in der Jugendarbeit zum Einsatz. Zu diesem Zweck wurden Jugendfarmen und Aktivspielplätze betrieben. Dazu wurde auch der „Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze“ in Stuttgart 1972 gegründet. Erstmals erwähnt wurden solche Farmen schon 1947 in New York, wo Sam Ross die „Green Chimneys Farm“ ins Leben rief. Dieses Farmprojekt gibt es heute noch. (vgl. Wibbecke, 2013, S. 89) Zu diesem Thema wurden auch einige Vereine gegründet, um mehr über die Mensch-Tier-Beziehung herauszufinden. In den USA entstand 1977 „The Delta Society“. Ziel dieser Institution war es, die Qualität von Mensch-Tier-Beziehungen zu untersuchen und Richtlinien sowie Kriterien für die Tiergestützte Pädagogik festzulegen. (vgl. Agsten, 2009, S. 21) In Österreich wurde 1977 das „Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung“ gegründet. Ein berühmter Vorsitzender dieser Institution war der österreichische Nobelpreisträger Professor Doktor Konrad Lorenz1. Der Aktionsradius dieses Instituts wurde 1990 auf die Schweiz erweitert. Zu derselben Zeit wurde in Frankreich die „Association Française d´Information et de recherche sur I ´Animal de Compagnie“ geschaffen. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 27) Weiters wurde 1979 in Großbritannien „The Group of the Study of the Human Companion Animal Bond“ gegründet. Diese Gruppe veranstaltete im Laufe der Jahre zahlreiche Kongresse sowie internationale Symposien und es entstanden viele Unterorganisationen. Durch die engagierte Arbeit dieser Vereinigungen bekam die Mensch-Tier-Beziehung einen wissenschaftlichen Hintergrund. Trotz der Bemühungen konnten die in der Praxis erzielten Erfolge nicht gleichermaßen erfolgreich wissenschaftlich verifiziert werden. (vgl. Agsten, 2009, S. 21) Ein noch heute bedeutsamer Verein entstand 1987 unter dem Namen „Tiere helfen Menschen e.V.“. Gründerin dieses Vereins war die Veterinärin Brigitte von Rechenberg-Scheidemann. Dieser Verein ermutigt, Tiere in verschiedenen Bereichen der Pädagogik und Therapie einzusetzen und hilft, tiergestützte Projekte erfolgreich umsetzten zu können. 1988 wurde in Deutschland, unter der Leitung von Professor Doktor Reinhold Bergler, der „Forschungskreis Heimtiere in der Gesellschaft“ gegründet. 1990 wurde in Washington die „International Association of Human-Animal-Interaction-Organisations“ ins Leben gerufen. Diese Organisation arbeitet mit allen Institutionen, die sich mit der Mensch-Tier-Beziehung auseinandersetzen, zusammen und ermöglicht dadurch die Kommunikation und Koordination der wissenschaftlichen Ergebnisse sowie deren Weiterentwicklung. (vgl Vernooij & Schneider, 2008, S. 27f.)

2.3 Mensch-Tier-Beziehung

In den letzten Jahrzehnten wurde die Mensch-Tier-Beziehung von unterschiedlichen Wissenschaftlern, wie zum Beispiel Wilson und Kellert, untersucht. Sie erkundeten die Ursachen für die Verbundenheit zwischen Mensch und Tier. Um diese besondere Beziehung besser zu verstehen, werden fünf Theorien und deren Forschungserkenntnisse in den nachfolgenden Unterkapiteln erläutert.

2.3.1 Anthropomorphisieren

Wissenschaftlich gesehen bedeutet anthropomorphisieren, mit Tieren in Beziehung zu treten. Es ermöglicht, die Bedürfnisse, Absichten und das Verhalten dieser zu verstehen. Aufgrund eigener Erfahrungen und Empfindungen interpretieren die Menschen das Verhalten der Tiere. (vgl. Beetz, 2017, S. 711f.) Menschen tendieren dazu, Haustiere wie Menschen zu behandeln. Diese bekommen einen Namen, es wird mit ihnen gesprochen und der Tod wird betrauert. Die Verbundenheit ist vergleichbar mit der Verbindung zu einem anderen Menschen. Dieser Umgang mit dem Tier ist bis zu einem gewissen Grad normal, solange die Bedürfnisse dieser berücksichtigt werden. Wenn ein Haustier gefährliche Eigenschaften, wie zum Beispiel Aggression gegenüber der Besitzerin und dem Besitzer, entwickelt, darf dies nicht verharmlost werden. Vor allem Kinder neigen zu anthropomorphisieren, dadurch bauen sie eine soziale Beziehung zu diesem Lebewesen auf. Diese kann in der Tiergestützten Pädagogik genutzt werden, indem das Tier das Vertrauensverhältnis der Schülerin und des Schülers zum Lehrer verbessert. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 14f.)

2.3.2 Biophilie-Hypothese

Die Liebe zur Natur und ihren Lebewesen ist dem Menschen angeboren. Positive Effekte der Biophilie sind allerdings nicht immer nachweisbar. Biophilie stammt aus dem Griechischen und wird gebildet aus den Wörtern „bios“= Leben und „philia“ = Liebe. Eine Beziehung zwischen Menschen und Tieren gibt es, seit es Menschen und Tiere gibt. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 4f.)

Edward O. Wilson, Verhaltensbiologe und Urheber der Soziobiologie, war der Meinung, dass sich der Mensch im Laufe der Evolution durch die Verbundenheit zur Natur und zu allen Lebewesen weiterentwickelt hat und durch diese geformt wurde. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 4) Wilson sagt dazu:

„Biophilie, falls sie existiert, und ich glaube[sic] dass sie existiert, ist die vererbte emotionale Affinität des Menschen zu anderen lebenden Organismen. Vererbt meint in diesem Zusammenhang angeboren und daher ist sie letztendlich ein Teil der menschlichen Natur. Biophilie ist nicht ein einzelner Instinkt, sondern ein komplexes Regelsystem, welches spezifisch individuell sein kann.“ (Vernooij & Schneider, 2008, S. 4)

Wilson und Kellert belegten durch das Beobachten der Menschen verschiedener Kulturen, unter Einbindung der Evolution, das Streben des Menschen, mit der Natur, den Pflanzen, den Landschaften, dem Ökosystem und den Lebewesen in Beziehung zu treten. Kellert ist der Meinung, dass diese Verbindung zur Natur für das Wachstum der Persönlichkeit wichtig sei. Die Tiere waren nicht nur Lieferanten von Nahrung und Bekleidung, sondern dienten auch als Mitbewohner und Begleiter. Die Menschen lernten auch von den Tieren, denn diese erkennen Veränderungen der Natur oder Gefahren durch andere Lebewesen vor dem Menschen. Durch ihr verändertes Verhalten warnen sie diese. Aufgrund dieses Wissens lässt sich die wohltuende Wirkung der Tiere in der heutigen, stressigen Zeit erklären. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 5) Tiere wirken nicht „biochemisch auf kranke Organe oder auf den Organismus, sondern […] tragen dazu bei, dass auch psychisch, […] eine Verbundenheit zwischen bewussten und unbewussten, zwischen kognitiven und emotionalen, zwischen implizit-erfahrungsgeleiteten und explizit-kontrollierenden Prozessen verbessert wird.“ (Olbrich, 2003, S.69 zit. in Vernooij & Schneider, 2008, S. 5f.)

Kellert begründet diese evolutionäre Verbundenheit zu den Tieren mit nachstehenden neun Punkten.

Der erste Punkt ist der „Utilitaristische Aspekt“. Dieser beschreibt den Nutzen des Tieres für den Menschen, wie zum Beispiel als Nahrung, Bekleidung und Schutz vor Gefahren.

Der zweite Punkt ist der „Naturalistische Aspekt“. Dieser beschreibt die Verbindung zwischen Menschen, der Natur und deren Lebewesen, sowie deren Wirkung, wie Zufriedenheit, Entspannung und Förderung der persönlichen Entwicklung.

Der dritte Punkt ist der „Ökologisch-wissenschaftliche Aspekt“. Dieser erläutert die Analyse der Strukturen in der Natur, das Zusammenspiel von Natur und Lebewesen und den Aufbau neuer Strukturen. Weiters werden die Wechselbeziehungen und die verschiedenen Aufgaben der Natur beobachtet und dies dient vor allem zur Erweiterung des Wissens und der Beobachtungsgabe.

Der vierte Punkt ist der „Ästhetische Aspekt“. Dieser veranschaulicht die Wertschätzung für die körperliche Harmonie der Lebewesen und die Schönheit der Natur. Dies bereichert das menschliche Wahrnehmungsempfinden.

Der fünfte Punkt ist der „Symbolische Aspekt“. Dieser beschreibt die Möglichkeit mit der Natur das Befinden auszudrücken und sich mit dieser zu identifizieren.

Der sechste Punkt ist der „Humanistische Aspekt“. Dieser erläutert die gefühlvolle Verbindung zur Natur bzw. zum Tier. Dazu gehören Gruppenzusammengehörigkeit, Gemeinschaftsgefühl, Aufbau von Beziehungen, Bindung und Fürsorge, Kooperationsbereitschaft und Empathie.

Der siebente Punkt ist der „Moralische Aspekt“. Dieser veranschaulicht die Bewunderung der Natur und dient als Verpflichtung gegenüber der Natur und Respekt vor den Lebewesen. Oft wird die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt und die Spiritualität ist sehr präsent.

Der achte Punkt ist der „Dominanz-Aspekt“. Dieser erläutert das Dominieren der Natur durch den Menschen, wie der Einsatz von technischen Geräten, sowie die Macht über die Tiere, indem sie „erzogen“ werden.

Der neunte Punkt ist der „Negativistische Aspekt“. Dieser beschreibt die Furcht vor der Natur, wie vor Spinnen und Schlangen und bewirkt den Bau von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit.

Alle diese Punkte kommen, unterschiedlich gewichtet, in der Tiergestützten Pädagogik vor. Manche Aspekte können besser, andere weniger gut kontrolliert bzw. dokumentiert werden. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 6f.)

Ein Nachweis der Biophilie Hypothese beruht darauf, dass mehrere Monate alte Babys sehr großes Interesse an Tieren zeigen. Dies wird als Zeichen dafür gewertet, dass Tiere in der Evolution für den Menschen von Bedeutung waren. Tiere sind für das Heranreifen der Kinder wichtig, da durch ein Fehlen von Natur und anderen Lebewesen ein „Nature Deficit Syndrome“ entstehen kann. Dieses Syndrom zeigt sich durch ein schlechteres Arbeitsgedächtnis, verminderte Wahrnehmungsfähigkeit und reduzierte Impulskontrolle. (vgl. Kotrschal, 2017, S. 698f.)

Die Art der Mensch-Tier-Beziehung ist sehr vom Verwendungszweck der Tiere abhängig. Die Menschen bauen eine soziale Bindung zum Tier auf, geben ihnen Namen und betrauern den Tod, wenn sie nicht für das Überleben notwendig sind, d.h. keine ökologische Funktion haben. Tiere für Tierversuche werden als Nutztiere deklariert und der Mensch baut keine Bindung auf. Im Umwelt- und im Tierschutz zeigt sich die Verbundenheit zur Natur und den Tieren und das Interesse am ökologischen Gleichgewicht. Außerdem wird damit auf die Verpflichtung, die Natur zu erhalten, hingewiesen und der Respekt vor Tieren eingefordert. Der Lebensraum der Tiere soll respektiert werden. Die Verbundenheit zu ihnen kann bei Kleinkindern, die keine negativen Erfahrungen mit Tieren gemacht haben, schon beobachtet werden. Diese krabbeln Tieren hinterher oder zeigen zum Beispiel auf eine vorbeilaufende Katze. Nur das Beobachten eines Tieres kann zur Entspannung und zum Stressabbau beitragen. Um Tiere in der Pädagogik einsetzen zu können, müssen sie eine spezielle Ausbildung absolvieren, d.h. nach einem vorgegebenen Standard erzogen werden. Vor allem die angeborene Verbundenheit zu den Tieren und das Bedürfnis, Lebewesen zu schützen und zu pflegen, wird in der Tiergestützten Pädagogik genutzt. Ängstliche Kinder sollen die Möglichkeit haben, einen Sicherheitsabstand zum Tier zu wahren und nur nach eigenem Wunsch einen Kontakt aufzubauen.

2.3.3 Bindungstheorie

John Bowlby und Mary Ainsworth, die Begründer der Bindungstheorie, erkundeten die Bindung von Mensch zu Mensch. Es wird angenommen, dass der Wunsch nach Nähe und Fürsorge ein angeborenes Bedürfnis ist. Schon Neugeborene fordern durch ihren ersten Schrei diese Nähe ein. (vgl. Csáky & Strauß, 2017, S. 748) Aufbauend auf dieses Wissen hat Beetz die Bindungstheorie auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragen, indem sie die Menschen im Umgang mit den Tieren beobachtete. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 10f.) Unter Bindungsverhalten wird jenes Benehmen eines Kindes verstanden, das die Nähe zu einer Bezugsperson zur Folge hat. Dazu zählen Weinen, Schreien, zu der Person krabbeln, streben nach Blickkontakt und Umarmen. Oft wird dieses Verhalten bei Kindern, denen es nicht gut geht, die müde, krank oder ängstlich sind, beobachtet. Die wichtigste Aufgabe des Bindungsverhaltenssystems ist die Verbundenheit zwischen Mutter und Kind, um die Versorgung des Kindes zu gewährleisten. Eine weitere Aufgabe ist es, bei Stress und vermehrten Anforderungen den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu bieten. John Bowlby und Mary Ainsworth berücksichtigten in ihrer Theorie noch nicht, dass es solch eine Bindung auch zwischen Mensch und Tier gibt. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 82f.) Stress wirkt sich negativ auf die Herzfrequenz und den Blutdruck des Menschen aus. Bei Bedrohung oder auch hohen Anforderungen reagiert der Sympathikus mit erhöhter Herzfrequenz und hohem Blutdruck. Hypothalamus und Hypophyse schütten vermehrt die Stresshormone Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin aus. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 66) Grossberg und Alf zeigten durch Versuche, dass die Anwesenheit von Tieren die Herzfrequenz reduzierte und den Blutdruck senkte. Je offener die Menschen gegenüber den Tieren waren, desto deutlicher war der Effekt. Streicheln der Tiere verstärkte die positiven Auswirkungen. Die Menschen waren viel entspannter beim Umgang mit dem Tier als beim Umgang mit dem Menschen. Bindung wird auch durch die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin unterstützt. Es wird zum Beispiel bei der Geburt, beim Stillen oder auch durch Streicheln von einer nahestehenden Person vermehrt produziert. Dieses Hormon führt zu mehr Ruhe und Wohlbefinden, Ängste und Stress werden vermindert. Es wirkt sich auch positiv auf den Magen-Darm-Trakt und den Blutdruck aus. Außerdem dient es zur Verbesserung der Lern- und Heilungsprozesse sowie der Regenerationsfähigkeit. Derartige Prozesse finden auch beim Kontakt zwischen Mensch und Tier statt. Diese sind verantwortlich für die Minderung von Stress und Angst und sind vergleichbar mit der Mutter-Kind-Beziehung. (vgl. Csáky & Strauß, 2017, S. 748f.) Speziell ein kontinuierlicher Besuch bei Pferden gibt Kindern die Möglichkeit, aus sich herauszugehen, ohne enttäuscht zu werden. Sehr wichtig dabei sind die handelnden Personen, da die Kinder in dieser Situation sehr verletzlich sind. Pferde sind sehr feinfühlig und reagieren auf die Verfassung der Kinder. (vgl. Csáky & Strauß, 2017, S. 749)

Auf welche Weise Kinder Bindung erfahren, wirkt sich auf die spätere Bindungsfähigkeit und das Sozialverhalten aus. Je nach Bindungserfahrung werden vier verschiedene Bindungstypen unterschieden, nämlich „sichere Bindung“, „unsicher-vermeidende Bindung“, „unsicher-ambivalente Bindung“ und „desorganisierte Bindung“. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 10f.) Als Basis für eine sichere Bindung wird die Nähe einer immer greifbaren Vertrauensperson benötigt. Diese nehmen die Kinder in schwierigen Situationen von selbst in Anspruch, um Hilfe zu bekommen. Eine unsicher-vermeidende Bindung entsteht durch fehlende Unterstützung und eine sich abwendende Vertrauensperson. Diese Kinder nehmen in schwierigen Situationen nicht eine Person in Anspruch, um Hilfe zu bekommen, sondern sie erforschen Objekte, um auf andere Gedanken zu kommen. Eine unsicher-ambivalente Bindung entwickelt sich, wenn Kinder das Gefühl haben, dass sie sich nicht immer auf ihre Vertrauensperson verlassen können. Sie versuchen ständig eine Verbindung zur Vertrauensperson herzustellen, wobei sich diese auch in Ärger und Aggression äußern kann. Eine desorganisierte Bindung entsteht durch Vernachlässigung, physischen oder psychischen Missbrauch, Wegfall oder Erkrankung der Vertrauensperson. Diese Kinder verhalten sich indifferent, sie suchen weder Hilfe noch vermeiden sie diese. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 84f.) Diese Bindungstypen spielen auch im Schulalltag eine wichtige Rolle. Die Lehrperson sollte immer greifbar sein, Hilfestellungen geben und helfen, Stress abzubauen, um einen optimalen Lernerfolg zu erzielen. Nur Kinder aus einer sicheren Bindung können diese Hilfe auch richtig annehmen. Da diese ihre Erfahrungen mit der Vertrauensperson auf die Lehrperson projizieren, reagieren die Kinder der anderen Bindungstypen häufig gereizt und aggressiv. Aus diesem Grund kann die Lehrkraft ihnen nur wenig Hilfestellungen geben und in Stresssituationen keine Stütze sein. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 87). Speziell Hunde harmonieren sehr stark mit den Bedürfnissen der Menschen und können angemessen reagieren. Besonders für Kinder mit unzureichender Bindungsfähigkeit können Tiere unterstützend eingesetzt werden. Die Interaktion mit den Tieren soll dazu beitragen, Ängste zu verringern und den Stress zu regulieren. In weiterer Folge kann die Schüler-Lehrer-Beziehung positiv beeinflusst und somit der Lernerfolg gesteigert werden. Tiere können aber allen Bindungstypen helfen, da sie mehr Ruhe in die Klasse bringen und sich die Kinder auf Grund ihrer Anwesenheit mehr entspannen (vgl. Beetz, 2017, S. 715) Körperkontakt kann ebenfalls Stress abbauen. Jedoch bei Stress in der Schule suchen die meisten Kinder keinen Körperkontakt zur Lehrperson oder zu anderen Mitschülerinnen und Mitschülern. In diesem Fall könnte für viele Kinder ein Tier hilfreich sein, denn Menschen fällt es leichter, Körperkontakt zu einem Tier zu suchen als zu einer anderen Person. Bei den meisten Kindern kann ein Tier die Funktion der sicheren Bindung übernehmen, auch wenn sie zum Menschen eine unsichere Bindung aufweisen. Darin liegt die große Chance der Tiergestützten Pädagogik. (vgl. Beetz & Marhofer, 2012, S. 92f.)

2.3.4 Du-Evidenz

„Mit Du-Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass zwischen Menschen und höheren Tieren Beziehungen möglich sind, die denen entsprechen, die Menschen unter sich beziehungsweise Tiere unter sich kennen. Meist geht dabei die Initiative vom Menschen aus, es gibt aber auch Fälle, in denen Tiere sich einen Menschen als Du-Genossen auswählen.“ (Greiffenhagen & Buck-Werner, 2007, S. 22)

Karl Bühler erklärte die „Du-Evidenz“ mit der Gabe, andere Menschen als Einzelwesen anzuerkennen. Diese Gabe erwähnte Geiger 1931 auch für die Tier-Mensch-Beziehung. Ausschlaggebend für die Entstehung der „Du-Evidenz“ sind gemeinsame Ereignisse und ehrliches Empfinden für den anderen. Diese begünstigt die Möglichkeit, Empathie und Mitgefühl wahrnehmen zu können. Konrad Lorenz war sich sicher, dass die „Du-Evidenz“ existiert und fand die Bestätigung in erster Linie anhand des Zusammenseins mit seinem Hund. Am leichtesten funktioniert die „Du-Beziehung“ mit Hunden und Pferden, da diese Tiere auf körpersprachlicher Ebene kommunizieren und ähnliches Verlangen nach Nähe und Zuneigung haben wie der Mensch. Durch die Anthropomorphisierung, d.h. Vermenschlichung der Tiere, erkennt sich der Mensch im Tier wieder. Dies kann in der Tiergestützten Pädagogik eingesetzt werden, da sie die Voraussetzung ist für den Beziehungsaufbau zwischen Mensch und Tier sowie das Zustandekommen des Mitgefühls ist. Davon können sowohl das Tier als auch der Mensch profitieren. Für Menschen sind Tiere sehr häufig Freunde und Verbündete. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 7ff.) Die durch den Menschen zum Tier erlebte „Du-Evidenz“ und die Tatsache, dass der Mensch das Tier als Partner sieht, zeigt sich daran, dass Tiere einen Namen bekommen. Das Lebewesen wird dadurch zu einem Familienmitglied und das erklärt auch die Entstehung von Tierfriedhöfen. Die „Du-Evidenz“ wird auch im Tierschutz sichtbar, indem Tiere Rechte erhielten und das Quälen der Tiere verboten wurde. (vgl. Greiffenhagen & Buck-Werner, 2007, S. 22f.) Ein Gesetz aus dem Jahr 1972 dient „[…] dem Schutz des Lebens und Wohlbefinden des Tieres. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ (Greiffenhagen & Buck-Werner, 2007, S. 23)

Dies wird im Buch „Der kleine Prinz“ sehr gut beschrieben, indem der Fuchs dem Prinzen das Geheimnis einer besonderen Bindung zwischen zwei Lebewesen erläutert. Diese „Du-Evidenz“ zwischen Mensch und Tier wird auch in Filmen und Serien zum Thema gemacht. Diese Verfilmungen waren sehr erfolgreich. Dies zeigt, wie wertvoll Mensch-Tier-Bindungen sind und der Mensch mit den Tieren im Film mitfühlt. Diese Verbundenheit ist die Voraussetzung für den Einsatz der Tiere in der Pädagogik. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 9)

2.3.5 Spiegelneuronen

Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die Signale aussenden, wenn eine Handlung nur beobachtet wird. Die Nervenzellen reagieren, als ob diese selbst ausgeführt werden würde. Die Spiegelneuronen ermöglichen dem Menschen, Trauer oder Freude zu empfinden, wenn sie diese Empfindungen bei anderen Menschen beobachten. Ein oft beobachtetes Beispiel ist Gähnen. Wenn jemand gähnt, gähnen viele andere im Raum mit. Diese Spiegelneuronen entdeckte Giacomo Rizzolatti 1996 an der Universität Parma zufällig bei Untersuchungen mit Affen. Die Nervenzellen der Affen sandten die gleichen Signale aus, wenn sie die Handlung selbst ausführten und auch wenn sie diese nur beobachteten. Daraufhin wurden diese Nervenzellen Spiegelneuronen genannt. Damit wurde eine wissenschaftliche Begründung für Empathie und Mitgefühl gefunden. Die Fähigkeit zu spiegeln entsteht nicht von selbst, sondern braucht eine Vertrauensperson, um entstehen und sich verbessern zu können. (vgl. Vernooij & Schneider, 2008, S. 12f.) Die Fähigkeit der Synchronisation ist auf die Spiegelneuronen zurückzuführen. Diese Nervenzellen erhalten einen visuellen Reiz und lösen eine adäquate Reaktion aus, d.h. die Antwort erfolgt automatisch und unbewusst. Das Vorhandensein der Spiegelfähigkeit ist wichtig, um eine Gruppe zusammen zu halten. Die meisten Wirbeltiere besitzen Spiegelneuronen. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Imitation von Bewegungen und beim Wahrnehmen von Vorhaben. Diese Vorgänge werden bei der Arbeit mit Pferden sichtbar. Um eine Verbindung aufbauen und dem Tier richtig begegnen zu können, muss das Verhalten des Pferdes verstanden werden. Kinder können durch den Kontakt mit Pferden auch lernen, ihre Unsicherheit zu überwinden. Bei der ersten Begegnung zeigen Kinder oft Unsicherheit gegenüber dem großen und starken Tier, welches dieses Verhalten spiegelt und auch unsicher reagiert. Deshalb benötigt das Pferd Beruhigung und Hilfe, welche das Kind dem Pferd geben soll. Das Kind übernimmt das Kommando in der schwierigen Situation, legt die Unsicherheit ab und gewinnt daraus Selbstsicherheit. (vgl. Csáky & Strauß, 2017, S. 749f.)

2.4 Resümee

In diesem Kapitel wurden die vielfältigen Einsatzbereiche der Tiergestützten Intervention, wie beispielsweise in der Pädagogik, in unterschiedlichen Therapieformen zum Beispiel Psychotherapie, Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, … als Unterstützer bei Förderprogrammen oder als Begleiter aufgezeigt. In der Therapie und in der Jugendarbeit wurden Tiere schon sehr früh eingesetzt. Aufgrund der positiven Berichte wurde dann der Einsatz auch auf die Pädagogik erweitert. Es wird davon ausgegangen, dass die Basis für die Erfolge in der Arbeit mit Tieren und die Begründung, warum Tiere eine positive Wirkung auf den Menschen haben können, in der Mensch-Tier-Beziehung liegt. Im Zuge der Forschungen wurden verschiedene Erkenntnisse über diese Verbundenheit gewonnen. Als Ursache werden das Anthropomorphisieren, die Biophilie-Hypothese, die Bindungstheorie, die „Du-Evidenz“ und die Spiegelneuronen angeführt. Daraus lassen sich mögliche Erfolge in der Tiergestützten Intervention, wie zum Beispiel Verbesserung der Sozialkompetenz und Bindungsfähigkeit sowie in der Förderung der Empathiefähigkeit, ableiten. Darauf aufbauend wird im nächsten Kapitel vertiefend auf die Rolle des Hundes und seine Einsatzmöglichkeiten eingegangen.

[...]


1 Geboren am 7. November 1903, gestorben am 27. Februar 1989 Verhaltensforscher 1973: Nobelpreis im Bereich Psychologie und Medizin

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Tiergestützte Pädagogik. Der Hund als Lernbegleiter
Hochschule
Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien / Krems
Note
1
Autor
Jahr
2021
Seiten
62
Katalognummer
V1031194
ISBN (eBook)
9783346432766
ISBN (Buch)
9783346432773
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tiergestützte, pädagogik, hund, lernbegleiter
Arbeit zitieren
Katrin Streimelweger (Autor:in), 2021, Tiergestützte Pädagogik. Der Hund als Lernbegleiter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1031194

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