Skeptizismus


Hausarbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wahrheit und Wissen
2.1. Wahrheit
2.2. Wissen

3. Skeptizismus
3.1. Die Skeptiker
3.2. Die Waffe der unendlichen Regresse
3.3. Wahrnehmungsskeptizismus

4. Kritische Einwände
4.1. Ist der Skeptizismus logisch widerspruchsfrei?
4.2. Ist der Skeptizismus unpraktisch?
4.3. Ist der Skeptizismus relevant?

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Vor einigen Jahren gestalteten Werbefachleute einen Spot für den Autohersteller Mercedes - Benz, in welchem zu Beginn eine junge Frau ungeduldig wartete und ihre Frustration deutlich zum Ausdruck brachte. Der Grund des Wartens wird schnell klar, denn der Lebensgefährte kommt nach Hause und erklärt sein Zuspätkommen mit einer Panne. Dafür wird er von der jungen Frau geohrfeigt, sie hat ihn als Lügner entlarvt. Er fährt nämlich einen Wagen obigen Herstellers und, so vermittelt es der Film, eine Panne ist damit ausgeschlossen.

Der Erfolg dieser Kampagne läßt sich leicht erklären, es werden brisan- te, uns allen bekannte, zwischenmenschliche Themen anschaulich ge- nutzt, um die Qualität eines Produktes darzustellen. Zentrale Punkte hierbei sind Wahrheit und Wissen, Wahrheit in Form der Lüge des Ge- liebten und das Wissen der Frau um die Eigenschaften des Fahrzeugs. Eben diese Punkte sind auch Gegenstand, zumindest indirekt, jeder wissenschaftlichen Betrachtung, sind sie doch Kriterium und Meßlatte für Ernsthaftigkeit, Genauigkeit und Aussagekraft. Somit müssen Wahr- heit und Wissen auch zentrale Fragen in den Betrachtungen der Wis- senschafts- und Erkenntnistheoretiker sein, deren Aufgabe es ist dabei zu helfen, Erkenntnisprozesse zu verstehen und zu entfalten (Erkennt- nistheorie) und uns zu befähigen, die Glaubwürdigkeit wissenschaftli- cher Erkenntnisse kritisch zu beurteilen (Wissenschaftstheorie).1

Ziel dieser Arbeit soll es sein, einen Überblick über die philosophische Position des Skeptizismus zu geben, welcher auf die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis nur die Antwort zuläßt, daßdiese Frage nicht entschieden werden kann. Als so charakterisierte Position scheint der Skeptizismus überall dort auftreten zu können, wo Wissensan- spruch erhoben wird und bezieht sich somit nicht nur auf die Wissen- schaft, sondern auf fast alle Situationen unseres täglichen Lebens.

2. Wahrheit und Wissen

2.1. Wahrheit

Schon frühzeitig wird einem als Kind von den für die Erziehung zustä n- digen Erwachsenen, in der Regel Eltern und Kindergärtnerinnen, ver- ständlich gemacht, wie wichtig Wahrheit für unser tägliches Leben ist. „Du lügst!“ ist wohl mit einer der schwersten Vorwürfe, die man einem Menschen im kindlichen Alter machen kann. Der Umgang mit Wahrheit ist mit Fundament zwischenmenschlicher Beziehungen, basieren darauf doch Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Welch elementare Bedeutung Wahrheit für unser tägliches Leben hat und wie wichtig der verantwor- tungsvolle Umgang damit für uns ist, beschreibt James Morrow in sei- nem Roman „Die Stadt der Wahrheit“ anschaulich.2

In der Philosophie wird der Wahrheitsbegriff zumeist prädikativ als Be- stimmung von Urteilen, Aussagen oder Sätzen verwendet, manchmal auch in Bezug auf mentale Akte und Zustä nde. Zu unterscheiden ist hiervon der attributive Gebrauch, der, wenn man beispielsweise von ei- nem wahren Kunstwerk redet, meint, daßdieses echt, wirklich oder gut sei.3

Die elementare Bedeutung von Wahrheit für unser Leben läßt sich darin erkennen, daßseit den antiken Philosophen sich jede neue Generation ihre Gedanken zu diesem Thema gemacht hat, die Theoriebildung der Alethiologie (Lehre von der Wahrheit) ist daher sehr umfassend und mannigfaltig.

Eine große Rolle in den Wahrheitstheorien spielen die Korrespondenz- theorien oder Übereinstimmungstheorien der Wahrheit, nach we lchen etwas wahr ist, wenn es dem entspricht oder mit dem übereinstimmt, von dem es ausgesagt wird. Bisweilen wird dies auch als die klassische Definition der Wahrheit bezeichnet. Die neuzeitliche Diskussion ver- sucht vor allem zu klären, was es bedeutet, daßetwas mit etwas ande- rem übereinstimmt.4

Der Philosoph, Mathematiker und Sozialkritiker Bertrand Russell (1872 - 1970) stellte drei Forderungen auf, denen seiner Meinung nach jede Theorie der Wahrheit genügen muß5:

1. Es mußFalschheit geben können.

Ohne die Möglichkeit, daßetwas auch falsch sein kann, macht die Aus- sage über den Wahrheitsgehalt einer Sache keinen Sinn oder ist keine Aussage.

2. Wahrheit und Falschheit sind Eigenschaften von Glaubensüberze u- gungen oder Aussagen.

Für die Natur spielt es keine Rolle, ob ein Baum ein Baum ist, erst die menschliche Überzeugung oder Aussage dahingehend macht diesen definierten Umstand für ein Wahrheitsurteil relevant.

3. Wahrheit und Falschheit hängen immer von etwas ab, daßjenseits des Glaubens liegt.

Ein Glaube ist wahr, wenn er mit dem assoziierenden Komplex, also dem korrespondierenden Faktum, übereinstimmt, ist dieses nicht so, so ist der Glaube falsch.

2.2. Wissen

Als am 20. Juli 1969 im Rahmen der Apollo 11 Mission die Astronauten Armstrong und Aldrin als erste Menschen den Mond betraten, sahen ihnen dabei Millionen rund um den Globus an den Fernsehbildschirmen zu. Viele schilderten dann später ihre Ergriffenheit von den Ereignissen, von dem enormen Erfolg menschlichen Geistes. Wieder einmal mehr wurde das Potential der kognitiven Fähigkeiten des Menschen deutlich, die Macht, über die der Mensch durch erlangtes Wissen verfügt. Sta n- den doch die bemannten Mondflüge zu dieser Zeit an der Spitze der Er- folgsdokumentation menschlicher Errungenschaften, einer Liste, die schon lange vor dem Bau der Pyramiden ihre ersten Einträge fand und zum heutigen Zeitpunkt Fortschritte in Gentechnologie und Informati- onstechnik beschreibt.

Dieses Wissen ist in unserem täglichen Leben stets präsent, ist Fun- dament aller Entscheidungen und letztlich auch unseres Zusammenle- bens.

Doch was genau bedeutet es, etwas zu wissen? Die traditionelle Auffassung beschreibt echtes Wissen als gerechtfertigten wahren Glauben.6 Als Kriterien für diese Qualität werden drei genannt:

1. Glaube
2. Wahrheit
3. Rechtfertigung.

Betrachten wir diese Kriterien an einem Beispiel. Die Krankenschwester einer Intensivstation glaubt, Patient A sei verstorben. Damit aus die- sem Glauben Wissen wird, ist es unumgänglich, daßdie Behauptung, A wäre tot, wahr ist, d.h. A mußauch wirklich tot sein. An dieser Stelle greifen die Bedingungen für Wahrheit aus dem Abschnitt 2.1..

In letzter Instanz nun mußdieser Sachverhalt Außenstehenden gegen- über (Kollegen, Angehörige) dargelegt werden, die Krankenschwester mußin der Lage sein, Gründe für ihren Glauben anzugeben, ihn zu rechtfertigen, zu zeigen, daßA tot ist oder diesen Tod zu beweisen. Gründe für den Glauben können sein, daßes A in den letzten Tagen zusehens schlechter ging, auch die Kollegen waren der Meinung, es ginge dem Finale entgegen, jetzt zeigen die Monitore im Überwa- chungsraum nur noch Nullinien. Beweisen ließe sich der Umstand durch die Untersuchung des Patienten und Einschätzung nach den gel- tenden Standards. Jetzt kann unsere Krankenschwester davon spre- chen, zu wissen, daßA tot ist.

Glauben, Wahrheit und Rechtfertigung sind also notwendige und hinreichende Bedingungen für Wissen, fehlt eine dieser Bedingungen, kann nicht von Wissen gesprochen werden.

Nun hatten die sich mit der Epistemiologie beschäftigenden Philoso- phen seit der Antike viel Zeit, sich mit dieser Auffassung aus - einanderzusetzen und es blieb unvermeidbar, daßdiese angefochten wurde. Ein Ergebnis der Diskussion war die Unterscheidung in drei Ar- ten von Wissen:

1. Wissen von Dingen oder Objekten (Wissen- Von oder durch Be- kanntschaft);
2. Wissen darüber, wie etwas zu tun sei (Wissen- Wie);
3. Wissen von Behauptungen oder Aussagen (Wissen- Daßoder pro- positionales Wissen).7

Nun stritten die Gelehrten darüber, ob die beiden erstgenannten Wis- sensarten nicht Spezialfälle propositionalen Wissens wären, da das Wissen von Objekten und Dingen lediglich das Wissen ist, wie man e t- was als solches erkennt und das Wissen darüber, wie etwas zu tun sei, sei lediglich das Wissen über Verrichtung und Sinn der Einzelfunktio- nen.

Allerdings konnte diese These nicht hinreichend erklären, daßes Per- sonen gibt, die bestimmte Dinge tun oder verrichten können, ohne da- bei das hierfür in Frage kommende propositionale Wissen artikulieren zu können und sich auch niemals der betreffenden Aussage explizit bewußt waren.8

Ich werde diese Fragen auch hier nicht klären können, halte aber fest, daßes in meinem Leben, in meinem Verständnis verschiedene Arten von Wissen gibt, die Basis aller meiner Handlungen sind. Mit Sicherheit gehört hierzu das praktische Wissen, ohne welches ich schon verhun- gert wäre, da ich nicht wüßte, daßLebensmittel (in der Regel) durch den Mund müssen, um mich zu ernähren. Ferner wären wissenschaftli- ches und mathematisches Wissen zu nennen, deren Anwendung mir zumindest in einigen Klausuren half, womit ich aber auch schon die noch hoffentlich unvollständige Aufzählung beenden möchte.9

So einfach wie für mich ist es für die Epistemiologen allerdings nicht, werfen sie doch die Frage auf, ob wir (Menschen) überhaupt in der Lage sind, irgendwelche Dinge mit Sicherheit zu wissen.

Und diese Frage führt uns zum Gegenstand dieser Arbeit, dem Skepti- zismus.

3. Skeptizismus

Es ist kein Geheimnis, daßin der Wissenschaft aufgeworfene Fragen in der Regel sehr schnell zu meist sehr unterschiedlichen Positionen füh- ren, welche einander unversöhnlich ausschließen, wie beispielsweise die mittelalterliche Diskussion um Form und Position der Erde im Uni- versum.

So führte auch die Frage, ob wir wirklich in der Lage sind, irgendwelche Dinge mit Gewißheit zu wissen, zu sehr unterschiedlichen Stellungnahmen, die nach meiner Meinung beiden bedeutendsten waren die Positionen des Skeptizismus und die der Dogmatiker.

3.1. Die Skeptiker

Der Begriff des Skeptizismus leitet sich von dem griechischen Wort skeptomai ab, welches soviel wie beobachten, prüfen, Ausschau halten10 oder untersuchen11 bedeutet. Die heutige Verwendung des Begriffes Skeptiker ist vielfältig, gemeint sein kann einfach jemand, der es ablehnt, sich in Dingen festzulegen, zu denen man im Allgemeinen eine feste Meinung hat oder ein religiöser Agnostiker (vor allem im Christe n- tum) oder man meint eine bestimmte Gruppe von Philosophen.12 Letztere sollen für mich nun von Interesse sein.

Die philosophische Skepzis vertritt die Auffassung, daßdie Wahrheit eines Urteils nicht erkennbar sei. Dabei wird zumindest bei den antiken Skeptikern die Wahrheit als Übereinstimmung des im Urteil ausge- drückten Sachverhaltes mit dem wirklichen, erkenntnisunabhängigen Sachverhalt verstanden, auf welchen sich das Urteil bezieht.13 Für den Skeptiker erheben wir in unseren Urteilen den Anspruch, einen Ge- genstand oder Sachverhalt so zu beschreiben, wie er an sich selbst und ohne unsere jeweiligen Vorstellungen von ihm beschaffen sei. Die Ein- lösung dieses Anspruches erscheint dem Skeptiker als unbeweisbar. Hierbei ist zu beachten, daßviele Skeptiker nicht bestreiten, daßes möglich sei, daßein Urteil diesen Anspruch erfüllt und somit wahr ist, sondern sie bestreiten die Beweisbarkeit dieses Anspruches und halten daher das Urteil für einen voreiligen Akt, dessen man sich enthalten müsse, wolle man sich nicht auf bloße Dogmen verlassen.14 Der Skep- tizismus zieht seine Stärke weniger aus der systematischen Begrün- dung der eigenen Position, sondern vielmehr aus der Kritik und Leis- tungsfähigkeit des Erkenntnisvermögens. Er betrachtet sich selbst nicht auf einer Ebene mit anderen philosophischen Richtungen oder Schulen, sondern als fundamentale Alternative des philosophischen und wissen- schaftlichen Denkens.15

In der Antike wurde der Skeptizismus, vor allem von den Anhängern des Pyrrhon von Elis, als ein Lebensweg verstanden, der zu Sorglosig- keit und Ruhe führen sollte. Die Suche nach der Erkenntnis darüber, wie die Dinge wirklich sind, schien ihnen nur Sorge und Unruhe in der Seele zu verursachen, da jene Erkenntnis unerreichbar zu sein schien. Nicht Erkenntnis, sondern Meinungsverschiedenheit schien zu herr- schen. So wurde die Enthaltung von Meinungen darüber, wie die Dinge wirklich sind, als einziges Mittel angesehen, mit dessen Hilfe man zur Sorglosigkeit und Ruhe gelangen konnte16. Seit der Antike wurden nun weitere verschiedene skeptische Ausrichtungen geboren, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Nur mußerwähnt wer- den, daßder Skeptizismus der modernen Zeit und des Heute kein Le- bensweg mehr ist, sondern vielmehr eine These über die Bedingungen von Erkenntnis.17

3.2. Die Waffe der unendlichen Regresse

Ich kann mich noch gut an meine Pausen auf dem Schulhof erinnern und an präpupertäre „Rituale“, mit denen man versuchte, in einer Dis- kussion den Kontrahenten zur Strecke zu bringen. Stellte dieser eine Behauptung auf, beispielsweise: „Du spielst Fußball wie ein Blinder!“, konterte man mit: „Was ist den für Dich blind?“. Der Gefragte geriet in Zugzwang, wollte sein Argument ja nicht einfach fallen lassen und ant- wortete: „Na wenn man nichts sehen kann!“, worauf wieder prompt ge- fragt werden konnte : „Was meinst Du denn mit sehen?“. Dieses Spiel ließsich unendlich fortsetzen und das Spannende daran war, daßman immer gewann, da der „Gegner“ irgendwann entnervt und wortarm auf- gab.

Eben genau diese Vorgehensweise, den unendlichen Regreßder Defi- nitionen18, benutzten Skeptiker, um zu beweisen, daßwir eigentlich niemals wirklich wissen können, was es eigentlich ist, was wir glauben. Ihr Argument war so einfach wie (zunächst) entwaffnend: Um wissen zu können, was das ist, das wir glauben, müssen wir die Bedeutung der Worte kennen, die wir benutzen, um diesen Glauben zu beschreiben. Es mußalso erklärt werden können, was diese Worte bedeuten, sie müssen also definiert werden. Dieses hieße dann aber, andere Worte verwenden zu müssen, welche wie bei unserem Schulhofbeispiel wie- derum definiert werden müßten. Dieser Prozeßginge ins Unendliche und da alle unsere Glaubensüberzeugungen letztlich mit Worten, die wir zuvor nicht definiert haben, ausgedrückt werden müssen, können wir niemals wirklich wissen, was das ist, das wir glauben.19

Solchen „Verwirrspielen“ wirkten die Gegenspieler der Skeptizisten, die Dogmatiker, entgegen, indem sie einfach sagten, daßes zweierlei Arten von Begriffen gäbe, nämlich einerseits Grundbegriffe, deren Bedeutung keinerlei Erklärung bedarf, da diese unmittelbar klar wäre und andererseits die definierten Begriffe, deren Bedeutung mit Hilfe der Grundbegriffe definiert werden müsse20.

Die andere von den Skeptikern verwendete „Regreßwaffe“ war die der Rechtfertigung.21 Die Vorgehensweise war dieselbe. Wenn ich irgend- einen Glauben zu rechtfertigen versuche oder einen Grund für ihn an- gebe, erwähne ich wiederum einen anderen Glauben, der ebenfalls ge- rechtfertigt werden muß. Wenn dieser andere Glaube kein gerechtfer- tigter Glaube ist, sind wir keinen Schritt weitergekommen. Versuche ich, diesen zweiten Glauben zu rechtfertigen, mußich einen Dritten anfüh- ren und so weiter. Da aber auch hier niemand in der Lage ist, eine un- endliche Reihe von Rechtfertigungen endgültig abzuschließen, wird je- de Glaubensüberzeugung auf ungerechtfertigten Annahmen gründen müssen.22 Dieser Regreßläßt sich sowohl auf die Gründe, als auch auf die Beweise einer Aussage anwenden.23

Um dem Regreßder Rechtfertigung zu entgehen, wurde zwischen zwei Arten von Wissen unterschieden, unmittelbarem und mittelbarem Wis- sen, unmittelbares Wissen von grundlegenden Aussagen, ersten Prin- zipien oder Axiomen, die keinerlei weiterer Rechtfertigung bedürfen und mittelbarem Wissen von Aussagen, die eine Rechtfertigung mittels der grundlegenden Aussagen, e rsten Prinzipien oder Axiomen erfordern.24 Leider kannte ich diese Argumentation zu den Zeiten unserer Hofstrei- tigkeiten nicht, damals verlor immer der, der dem Regreßerlag.

3.3. Wahrnehmungsskeptizismus

Mit den Erwiderungen gegen die Regreßargumente läßt sich nur arbeiten, wenn man erklären kann, wie man zu unmittelbarem Wissen oder zu Grundbegriffen gelangen kann. Dafür gibt es in der Geschichte der Epistemiologie zwei konkurrierende Antworten: die Erfahrung (Empirismus)25 und die Vernunft (Rationalismus).26

Da die Skeptiker sowohl gegen die Erfahrung als auch gegen den Verstand argumentierten, können sie zum einen Argumente der Empi- risten gegen die Rationalisten, zum anderen die Argumente der Ratio- nalisten gegen die Empiristen aufgreifen.27 Im nun Folgenden stelle ich eine gegen die Empiristen gerichtete Argumentation der Skeptiker dar. Der Empirist vertritt die Auffassung, daßunsere Sinne eine Quelle des unmittelbaren Wissens der Wahrheit von Beobachtungsaussagen sind. Daher würde hier der unend liche Regreßder Rechtfertigung abbre- chen. Diesem auf der Wahrnehmung beruhenden Ansatz wirft der Skeptizist zwei Argumente entgegen:

a) Beobachtungsaussagen liefern keine sichere Grundlage des Wissens
b) Beobachtungsaussagen liefern auch dann keine hinreichend breite Grundlage des Wissens, wenn wir zugestehen würden, daßsie sicher sind.28

Die Skeptiker nutzen das Argument der Illusion, der Halluzination, der Träume und des übelwollenden Dämons, um zu belegen, daßBeo- bachtungsaussagen keine sichere Grundlage von Wissen sein können.

Die Argumentationskette ist immer ähnlich, ich stelle sie am Beispiel der Illusion dar.

Das Argument der Illusion hat folgende Struktur:

a) Wenn eine Illusion auftritt, dann sind die Dinge nicht wirklich so be- schaffen, wie sie wahrgenommen werden.
b) Wir können niemals ganz ausschließen, einer Illusion zu unterlie- gen.
c) Daher können wir auch niemals sicher sein, daßdie Dinge so sind, wie sie zu sein scheinen.29

Besonders gern wurde das Argument der Illusion von den Skeptikern an einem Spezialfall, nämlich am Beispiel der Sinnestäuschung vorge- führt. Beispiele hierfür sind jedem von uns ausreichend bekannt. An ei- nem klaren Sommerabend erscheint der Vollmond am Horizont oft ü- berdimensioniert. Mancher Beobachter empfindet ihn sogar als doppelt so groß, als stünde er im Zenit. Es scheint unglaublich, daßer auf der Netzhaut die gleichen Ausmaße hat. Dabei ist spätestens seit der Erfin- dung der Fotographie bewiesen, daßes sich hierbei um eine Illusion handelt. Die Entfernung des Mondes zum Betrachter ist in beiden Fäl- len gleich, jedoch stellt unser Gehirn am Horizont eine drei- bis viermal größere Distanz in Rechnung. Da astronomische Entfernungen schlichtweg sein Fassungsvermögen überfordern, verfällt das Gehirn auf die Erfahrungsregel, daßder Horizont den maximalen Abstand zum Betrachter markiert, eben noch weiter, als der Mond am Firmament. Das mentale Modell des Firmaments gleicht mehr einem umgedrehten Suppenteller, als einer Halbkugel. Um dem inneren Bild Konstanz zu verleihen, wird der Mond am Horizont, welcher ja unendlich weit weg wirkt, mit einer Art Zoom nähergeholt. Wie Befragungen zeigten, wirkt er dann auch wirklich näher und größer.30

Auch das Argument der Illusion und seine Verwandten führten zu Ge- genrede (Aristoteles) und Gegengegenrede (Sextus Empiricus), sie lie- ßen sich nur schwer, wenn überhaupt widerlegen. Der Empirist Francis Bacon (1561 - 1626) erkannte, daßes zu eben diesen Wahrne hmungs- irrtümern durch die Voreingenommenheit unseres Geistes, durch ein- schlägiges Vorwissen und Glauben, kommt (Antizipation der Natur). Der Geist antizipiert, was die Natur ihm über die Sinne zu enthüllen versucht. Die Botschaft der Sinne wird entstellt, wir übersehen den wahren Sachverhalt. Eines der von Bacon vorgeschlagenen „Heilmittel“ sind die im Unterschied zu zufälligen Beobachtungen stehenden kon- trollierten Experimente, mit denen solchen Geistesantizipationen entge- gengewirkt werden soll.31

4. Kritische Einwände

4.1. Ist der Skeptizismus logisch widerspruchsfrei?

Die größte Niederlage erlebt wohl der, der mit den eigenen Waffen geschlagen wird. So mußten es die Skeptiker sich gefallen lassen, daßman ihnen zwei Einwände entgegenstellte:

a) Woher könnt ihr den skeptischen Standpunkt wissen? Beweist es!
b) Der Inhalt des skeptischen Standpunktes konnte nun auf die skepti- sche Theorie übertragen werden.32

Man widerspricht sich selbst, wenn man den Anspruch erhebt, zu wis- sen, daßnichts gewußt werden kann und wenn man versucht zu be- weisen, daßnichts bewiesen werden kann. Dieser schon von den anti- ken Kritikern des Skeptizismus vorgebrachte durchschlagende Einwand stellte den Skeptizismus als selbstwidersprechende Position dar und ließihn als unwahr und somit nicht beachtenswürdig erscheinen.

Derart unter Druck gesetzt ließen sich die bestehenden Positionen nicht mehr halten, die antiken griechischen Skeptiker mußten ihre Auf- fassungen der aktuellen Diskussion anpassen, der akademische Skep- tizismus wurde geboren. Durch zwei kleine Abänderungen in den be- stehenden Aussagen wurde die skeptische Position dann nahezu unan- fechtbar:

a) Man kann nichts wissen außer der Tatsache, daßman nichts wis- sen kann.
b) Man kann nichts beweisen außer der Tatsache, daßman nichts beweisen kann.33

Auffällig ist, daßsich anscheinend nicht nur Literatur, Technik oder Mode dem Zeitgeist anzupassen vermögen, sondern auch philosophi- sche Grunderkenntnisse. Es gelang den Skeptikern unter Zuhilfenahme eines Tricks, daßÜberleben ihres Standpunktes zu sichern, allerdings stellte sich zusehens die Frage nach dem Sinn einer solchen Position. Aber was ist der Sinn allen Forschens, aller Theorie, aller Wissenschaft - der Suche nach Wahrheit? Ist es nicht auch Aufgabe der erkenntnis- gewinnenden Theoretiker, Wege aufzuweisen, die unser Leben und seine Konstrukte verständlicher und somit handhabbarer machen? Der Mensch sucht seit Beginn seiner Existenz nach Lösungen für die ihn umgebenden Probleme, nicht zuletzt in seinem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit.

Aus dieser Sicht stellt sich die Frage nach dem Nutzen einer Sache, nach ihrem praktischen Nutzen!

4.2. Ist der Skeptizismus unpraktisch?

Es gibt den sehr alten Einwand, der besagt, daßder Skeptiker, gleichgültig, was er sagt, seine Philosophie selbst nicht ernst nehmen und nach ihr leben könnte.

Wir begegnen wieder der Intensivschwester aus Abschnitt 2.2.. Sie wird zu einem Patienten gerufen, der einen Herzstillstand erlitten hat. Die Routineabläufe sind ihr genauestens bekannt, auch die nun aufzuzie- henden Notfallmedikamente. Aus skeptischer Sicht ließe sich die Wirk- samkeit dieser Medikamente allerdings nicht beweisen, die Schwester kann nicht wissen, ob diese den erhofften Erfolg erzielen werden oder das Gegenteil bewirken. Was nun? Sie könnte die Jahrtausende lang vollzogene Diskussion um die Frage berechtigten Wissens aufgreifen und ihren Standpunkt darlegen sowie der Gegenrede trotzen. Bis dahin ist der Patient tot (oder ein anderer hat sich erbarmt). Oder sie be- schließt , kein Risiko eingehen zu wollen und verweigert die Medika- mente - auch in diesem Fall ist der Ausgang für den Patientin nachtei- lig.

Letzten Endes stellt sich konsequent gelebter Skeptizismus als außer- ordentlich unpraktisch dar, die Überlieferungen vom Leben des Pyrrhon bestätigen dies.34 Glücklicherweise wird in der Regel der Skeptizismus nicht auf diese Weise praktiziert, leben doch die meisten Skeptizisten nach den Regeln unseres Lebens (Wasser löscht Durst), nur erheben sie nicht den Anspruch, diese „Regeln“ zu wissen. Dieses birgt für das skeptische Leben zumindest immer einen Moment der Erwartung von Enttäuschung.

4.3. Ist der Skeptizismus relevant ?

Die Frage zielt darauf ab, ob es denn nicht unwichtig sei, welchen philosophischen Standpunkt man vertritt, wenn die Konsequenz im praktischen Leben dieselbe ist. Der Dogmatiker ißt das Brot, weil er weiß, daßes ihn nähren wird, der Skeptizist tut es ihm gleich, nur lehnt er den Wissensanspruch ob des Nährwertes ab.

Ist also der Skeptizismus akzeptabel hinsichtlich der Betrachtung nach seiner Relevanz?

Man kann zum einen darauf antworten, daßes wertvoll für die Mensch- heit wäre zu wissen, ob man irgendetwas mit Sicherheit wissen kann, auch wenn dieses für unser alltägliches Leben keinen Unterschied brin- gen würde. Gerne wird an dieser Stelle der Vergleich zur Naturwissen- schaft gezogen, in Gestalt des Kosmologen, der die Theorie vom Ur- knall untersucht, ohne direkten Nutzen für seinen Alltag daraus ziehen zu können.35

Die ethischen Konsequenzen des Skeptizismus dienen als zweites Ar- gument für seine Relevanz. Durch seine Einstellung, man könne nichts mit Sicherheit wissen, impliziert diese philosophische Haltung auch, daß, selbst wenn eigene Anschauungen existieren, die nicht als richtig deklariert werden können, da sich dieser Standpunkt nicht beweisen ließe. Somit gesteht der Skeptizismus allen Positionen gleichermaßen das Recht auf ihre Existenz zu, wenn auch über den eher ungewöhnli- chen Weg, sie alle als nicht wissenbar und unbeweisbar anzusehen. Aber wenn keine Position definitiv als falsch gewußt werden kann, ha- ben alle die gleichen Chancen auf Existenzberechtigung. Die vom Skeptizismus ausgehende Tolerenz ist zweites Indiz für dessen Rele- vanz.36

5. Zusammenfassung

Somit läßt sich feststellen, daßdie Philosophie des Skeptizismus zwar grenznah zu sich selbst im Widerspruch steht, gerade noch gerettet durch die Winkelzüge hakenschlagender gestandener Altphilosophen, ferner, daßkonsequent praktizierter Skeptizismus im realen Alltag zwangsläufig zur Katastrophe führt, ja Alltag geradezu verhindert, aber auch, daßdieser Position ein ethischer Geist innewohnt, der in der he u- tigen Zeit, fernab der Antike, im täglichen Gerangel um „Vorwärtspositi- onierung“ und Marktvorteil vergessen scheint. Ich halte die skeptische Auffassung in ihrer absoluten Gestalt als für mein Leben und vor allem für die Bewältigung der daraus hervorgehenden Probleme als un- brauchbar, glaube aber, das skeptische Verständnis von Toleranz, wenn auch merkwürdig geboren, führt nicht zuletzt auch dazu, die eige- ne Position stets kritisch überdenken zu können, ein Prinzip, welches sich selbst in der Wirtschaft widerspiegelt (z. B. Kontinuierlicher Ver- besserungsprozeß- KVP). Somit gestaltet die im alltäglichen Leben eher hinderliche skeptische Position in ihrer Aufforderung zur Kritik des eigenen Standpunktes und der daraus abzuleitenden Auseinanderset- zung mit anderen Gedanken und Gegebenheiten das Fundament für Modernisierung und Erneuerung. Als moderne, nach Unabhängigkeit und Verwirklichung strebende Menschen können wir aus dem Pool an- gebotener Ideen wählen - picken wir uns also die Rosinen aus dem skeptischen Kuchen, vielleicht, um sie in einer neuen Kreation wieder einfügen zu können!

Literaturverzeichnis

Albert, Hans; Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft; Tübingen: Mohr, 1982

Eberhard, Kurt; Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie; Stuttgard: Kohlhammer, 1999

Eisler, Rudolf; Historisches Wörterbuch der Philosophie; Basel: Schwabe & Co. AG, 1995

Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.); Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie; Stuttgard: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung,1995

Morrow, James; Die Stadt der Wahrheit; München: Wilhelm Heyne Ver- lag, 1993

Musgrave, Alan; Alltagswissen, Wissenschaft und Skeptizismus: eine historische Einführung in die Erkenntnistheorie; Tübingen: Mohr, 1993

Zeitungen

Der Tagesspiegel, Ausgabe vom 4. Februar 2001; Teil: Weltspiegel; S. 2; „Können wir den Augen trauen?“

Internet

URL: http://www.phillex.de/wahrheit.htm; Stand: 25. 10. 2000; 16.16 Uhr

URL: http://www.phillex.de/skepsis.htm; Stand: 25.10.2000; 16.16 Uhr

URL: http://www.wwwebservice.de; Stand:25.10.2000

[...]


1 Eberhard S. 11; Auf Seite 14 verweist der Autor darauf, daßdie Erkenntnistheorie die Theorie der allgemeinen menschlichen Erkenntnis ist und die Wissenschaftstheorie die Theorie der speziellen wissenschaftlichen Erkenntnis ist, also somit ein Teilgebiet der Erkenntnistheorie ist.

2 Wilhelm Heyne Verlag; München 1990; Der Autor erzählt von einer Stadt, in der die Menschen nicht mehr lügen können.

3 www.phillex.de/wahrheit.htm; S. 1 von 10; 25.Oktober 2000 3

4 www.phillex.de/wahrheit.htm; S. 2 von 10 4

5 ebd.; S. 4 von 10

6 Musgrave; S. 3

7 Musgrave; S. 6

8 Musgrave; S. 7; Musgrave führt als Beispiel das Sprechen einer Sprache an, ohne sich dabei der grammatikalischen Regeln bewußt zu sein.

9 Musgrave erwähnt in diesem Zusammenhang noch moralisches, ästheti- sches sowie religiöses Wissen als Spielarten propositionalen Wissens.

10 www.wwwebservice.de/ris/mystik/begriffe.html

11 Mittelstraß; S. 823

12 Eisler; S. 939

13 www.phillex.de/skepsis3.htm; S.1

14 www.phillex.de/skepsis3.htm

15 Mittelstraß; S. 823

16 vgl. Eisler, S. 943

17 www.phillex.de/skepsis3.htm

18 www.phillex.de/skepsis7.htm

19 Musgrave; S. 13

20 Musgrave; S. 15

21 www.phillex.de/skepsis.7htm; S.1

22 Musgrave; S. 12

23 www.phillex.de/skepsis.7htm; S. 1

24 Musgrave; S. 14

25 Eberhard; S.32

26 Albert; S. 10; hier: methodischer Rationalismus und seine Relevanz für Problemlö- sungen

27 www.phillex.de/skepsis7.htm; S. 2

28 ebd.

29 www.phillex.de/skepsis7.htm; S. 2

30 Der Tagesspiegel, Beilage Weltspiegel; 4. Februar 2001; S. 2; „Können wir Augen wirklich trauen“

31 Musgrave; S. 49 - 54

32 www.phillex.de/skepsis6.htm ; S. 1 14

33 Musgrave; S.19

34 vgl. Musgrave; S. 24

35 www.phillex.de/skepsis6.htm

36 www.phillex.de/skepsis6.htm

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Skeptizismus
Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin
Veranstaltung
Pflege
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V103130
ISBN (eBook)
9783640015092
Dateigröße
366 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Einführung in den Skeptizismus im Rahmen erkenntnistheoretischer Diskussionen
Schlagworte
Skeptizismus, Pflege
Arbeit zitieren
Marcel Röder (Autor:in), 2001, Skeptizismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103130

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