Vorteile und Rahmenbedingungen für ein Revival der Straßenbahnen. Ein Modell für Kiel?


Hausarbeit, 2017

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Straßenbahn als Massenverkehrsmittel – Aufbau, Boom & Stagnation
2.1 Die Stilllegungswellen in den Jahren 1950 – 1985 und deren Gründe
2.2 Betroffene Kommunen in Deutschland und Mitteleuropa

3 Änderung der Sichtweise – Das Revival der Straßenbahnen seit den 1990er Jahren
3.1 Vorteile und Randbedingungen einer Wiedereinführung
3.2 Betroffene Kommunen in Deutschland und Mitteleuropa

4 Die Wiederbelebung der Straßenbahn – ein Modell für Kiel?

5 Zusammenfassung und Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Anhänge

Anhang 1: Einsatzbereich der öffentlichen Verkehrsmittel

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2‑1: Von Stilllegungen des Straßenbahnnetzes betroffene Kommunen 5

Abbildung 2‑2: Stilllegungen der Linien des Straßenbahnnetzes Kiel mit Jahr 6

Abbildung 3‑1: Reaktivierungen / Neubauten / Planungen von Straßenbahnnetzen 10

Abkürzungsverzeichnis

BOStrab = Verordnung über den Bau und Betrieb von Straßenbahnen

GVFG = Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz

HVZ = Hauptverkehrszeit

MIV = motorisierter Individualverkehr

ÖPNV = öffentlicher Personennahverkehr

ÖV = Öffentlicher Verkehr

RegG = Regionalisierungsgesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs

1 Einleitung

Im Jahr 1985 wurde in Kiel mit der Straßenbahnlinie 4 nach 104 Jahren die letzte schienengebundene Möglichkeit im städtischen Personennahverkehr stillgelegt und durch ein flächendeckendes Bussystem ersetzt. Ähnlich wie Kiel erging es – vor allem in den alten Bundesländern – vielen mittelgroßen sowie großen Städten. Exemplarisch seien hier die Stilllegungen in Bremerhaven 1982, Lübeck 1959, Hamburg 1978 oder Offenbach 1963 genannt. In den betroffenen Kommunen wurde die elektrische Straßenbahn durch straßengebundene – meist Diesel- – Busse ersetzt.

Durch die Zunahme des motorisierten Individualverkehrs um durchschnittlich 1,5% p.a.1 sowie die mangelhafte Anpassung der städtischen Straßeninfrastruktur an den Fahrzeugzuwachs kommt es in immer mehr Kommunen, vor allem während der Hauptverkehrszeiten, zu Staus auf den Verkehrsadern, und hiermit auch zu einer großen Umweltbelastung durch Abgase und Lärm.

Die Stadt Kiel schätzt, dass die Zahl der Ein- und Auspendler auf mehr als 100.000 Ein- und Auspendler pro Tag2 angestiegen ist. Viele von ihnen nutzen den motorisierten Individualverkehr, welcher aber besonders am Kieler Ostufer die Infrastruktur schon heute überlastet. Exemplarisch sei der tägliche Stau auf dem Ostring und der B76 genannt. Die aktuelle Alternative ist die An- oder Abfahrt mit der Bahn von und nach Kiel, inklusive des zeitraubenden Umstiegs am Kieler Hauptbahnhof.

Schon seit den neunziger Jahren wird europaweit in den Städten immer wieder über eine Wiederbelebung des alten – teilweise noch vorhandenen – Straßenbahnnetzes diskutiert. In einigen Städten wie Karlsruhe wurden mit dem Karlsruher Modell kombinierte Modelle entwickelt und umgesetzt, in anderen wie Straßburg ein komplett neues Straßenbahnsystem erbaut. Großstädte wie München investieren hohe Summen in den Erhalt und Ausbau des bestehenden „Tram“systems.

In dieser Arbeit soll ein kurzer geschichtlicher Abriss über den Aufbau, Boom und die folgende Stagnation und Stilllegungswelle bei den Straßenbahnnetzen gegeben werden und anhand einer Abbildung grafisch aufgezeigt werden. Es wird eine Analyse der Gründe der Stilllegungen erfolgen, exemplarisch werden diese anhand einer Grafik aufgezeigt. Folgend werden die Vorteile und Randbedingungen eines Revivals der Straßenbahnen erläutert und im Anschluss anhand eines Beispiels diskutiert, ob eine Wiederbelebung der Straßenbahn auch ein Modell für die Landeshauptstadt Kiel sein könnte. Zum Abschluss der Arbeit wird diese zusammengefasst und ein Fazit gebildet.

2 Die Straßenbahn als Massenverkehrsmittel – Aufbau, Boom & Stagnation

Mit der Eröffnung der ersten städtischen (Pferde-) Straßenbahn in Deutschland in Berlin am 22.06.1865 setzte ein Wettlauf der Kommunen zur Einrichtung dieses neuartigen städtischen Nahverkehrsmittels ein. Die Gründe dafür lagen einerseits im ruhigen Lauf der Pferdebahnen, der erhöhten Zugleistung und damit dem geringeren Bedarf an Zugpferden sowie dem geringeren Platzbedarf3 eines schienengeführten Fahrwegs, andererseits in der fortschreitenden Industrialisierung und der Reichsgründung 1871. Bis zum Jahr 1880 bauten 30 Städte eine neue (Pferde-)Straßenbahn.

Von 1865 bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland in ca. 100 Städten neue Straßenbahnnetze erstellt, die Elektrifizierung und damit Umstellung auf elektrische Straßenbahnwagen waren bereits im Jahr 1907 großteils abgeschlossen. „Die elektrische Straßenbahn war zu Beginn des ersten Weltkrieges ein vollwertiges Verkehrsmittel geworden.“4

Eine erste Stagnation beim Ausbau der Straßenbahnnetze setzte nach dem ersten Weltkrieg ein, um das Verkehrsbedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen genügte vielerorts der Kraftomnibus. Die erforderlichen Investitionen zur Herstellung der durch den Krieg geschädigten Netze konnten auf Grund des Geldmangels nicht erbracht werden. Somit wurden die Netze v.A. in Kleinstädten und außer Orts wieder abgebaut, nur noch in den Großstädten wurden die Straßenbahnnetze weiterhin erhalten und ausgebaut. Der Höhepunkt des Straßenbahnbetriebs lag in Deutschland um 1930.5

2.1 Die Stilllegungswellen in den Jahren 1950 – 1985 und deren Gründe

Die erste kleinere Stilllegungswelle trat nach dem Ende des 2. Weltkriegs auf, in Wilhelmshaven, Hanau, Landshut und Hildesheim war ein rentabler Wiederaufbau der komplett zerstörten Infrastruktur nicht möglich. Zur Zeit der Gründung der BRD und der DDR 1949 gab es auf deutschem Staatsgebiet 88 Straßenbahnbetriebe im westlichen und 36 Verkehrsunternehmen im östlichen Teil des Landes.

Die erste große Stilllegungswelle setzte bis etwa 1956 in der BRD ein, hiervon waren unrentable Netze in Kleinstädten und Randgebieten aber auch große Städte wie Münster und Wiesbaden betroffen.6

Eine zweite größere Stilllegungswelle betraf vor allem die Jahre 1960 – 1985. In den Jahren bis 1967 stellten 23 Verkehrsunternehmen mit zusammengenommen fast 1000 km Strecke ihren Betrieb ein. In den Jahren bis ca. 1982 folgten 12 weitere Kommunen.

Auf Grund der 1960 erschienenen neuen „Verordnung über den Bau und Betrieb von Straßenbahnen“ (BOStrab) mussten die Fahrzeuge aufwendig umgerüstet oder neu angeschafft werden. Zu den neuen Regeln gehörten z.B. Sicherheitsglas und entscheidend: ein Ganzstahlaufbau der Fahrzeuge. Die alten Vorkriegswagen mit ihren Holzaufbauten waren nicht mehr nutzbar.

Viele Verkehrsunternehmen lagen in kommunaler Hand, mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders Mitte bis Ende der 50er Jahre in der BRD verzeichnete der motorisierte Individualverkehr (MIV) enorme Zuwachsraten. Viele Städte richteten ihre Verkehrsplanung nach dem Motto „Freie Fahrt für Freie Bürger“ auf den Ausbau von Straßen, Parkplätzen und Parkhäusern statt eine Regulierung des MIV vorzunehmen. Dies spiegelte auch den Zeitgeist wieder. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und damit die Straßenbahn mit den hohen Investitionskosten und der unflexiblen und teuren Betriebsführung behinderte den Ausbau der Straßen und wurde vielerorts aus den Städten verbannt. (siehe dazu auch 2.2.)

Zusätzlich sorgte das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) mit der engen Zweckbindung seiner Mittel an unterirdische ÖPNV-Strecken für „von der Schiene befreite Stadtstraßen“7. Die Kommunen kamen quasi kostenlos an Tunnelstrecken, die Straßenbahnen wurden vernachlässigt und blieben im Oberflächenverkehr stecken. Mit der daraus zwangsläufig folgenden Unpünktlichkeit und langen Reisezeit wurde der Bau weiterer Tunnelröhren begründet und die Straßenbahnen verloren nochmals an Renommee.

Am Anfang der 1990er Jahre verblieben in der BRD von ursprünglich 88 Straßenbahnnetzen nach Ende des 2. Weltkriegs noch 33, dies sind gerade noch 37,5 % des ursprünglichen Bestandes.8

In der DDR war die Entwicklung für die Straßenbahn insgesamt positiver. Von den 36 nach dem 2. Weltkrieg existierenden Straßenbahnnetzen wurden lediglich 5 Netze in den Jahren 1960 – 1975 stillgelegt, dies betraf die Städte Stralsund (1966), Hohenstein-Ernstthal – Oelsnitz/Erzgebirge (1960), Eisenach (1975), Mühlhausen (1969) und Nordhausen (1966).9 Damit wurden 86,2 % der Netze weiterhin betrieben und ausgebaut sowie mit neuen Fahrzeugen ausgerüstet.

Hauptgründe für den Verbleib bzw. Ausbau der vorhandenen Straßenbahnnetze waren das knappe Vorhandensein von Konsumgütern wie Autos, eine nicht wie im Westteil florierende Wirtschaft sowie eine „Verdammung“ oder „Verteufelung“ des privaten Konsums im Arbeiter- und Bauernstaat durch die regierende SED. Durch die Staatsführung wurde die Gleichheit der Bürger propagiert, dies bezog sich auch auf den inner- und außerstädtischen Reiseverkehr.

Zusammenfassend können sechs Hauptgründe für die massive Stilllegungswelle der Straßenbahnnetze, v.A. in Westdeutschland, genannt werden:

1. Hohe Ersatzinvestitionen nach dem 2. Weltkrieg und fehlende Finanzkraft der Kommunen,
2. Abbau unrentabler Netze vor allem in den Randbebauungen und Kleinstädten,
3. Einführung der BOStrab 1960, hierdurch notwendige hohe Investitionen in Fahrzeuge,
4. Boom des motorisierten Individualverkehrs, die kommunale Stadt- und verkehrsplanung forciert die autogerechte Stadt,
5. Einführung GVFG, Mittel zweckgebunden an unterirdische ÖPNV-Strecken,
6. Imageverlust der Straßenbahn, Großstädte wie z.B. Hamburg vergrößern die prestigeträchtigere, weltstädtischere U-Bahn.

2.2 Betroffene Kommunen in Deutschland und Mitteleuropa

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2‑1: Von Stilllegungen des Straßenbahnnetzes betroffene Kommunen

(Eigene Darstellung)

Abbildung 2-1 zeigt exemplarisch die Stilllegungen verschiedener Straßenbahnnetze in Deutschland und Mitteleuropa. Mit rot markiert sind Städte, die sich zu einer (vorerst) endgültigen Stilllegung entschieden hatten, in orange dargestellt sind Kommunen, welche mittlerweile (siehe dazu auch Abbildung 3-1) ihr Straßenbahnnetz reaktiviert, neu errichtet oder geplant haben.

Auffällig sind in dieser Grafik die Häufungen im betrachteten Zeitraum 1960 – 1985 sowie die Häufung in Westdeutschland. In der ehemaligen DDR blieb die Stilllegungswelle aus den in Kapitel 2.1 benannten Gründen aus.

In Grafik 2-2 werden nochmals detaillierter die Stilllegungen der einzelnen Linien in der Stadt Kiel abgebildet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2‑2: Stilllegungen der Linien des Straßenbahnnetzes Kiel mit Jahr

(Eigene Darstellung)

3 Änderung der Sichtweise – Das Revival der Straßenbahnen seit den 1990er Jahren

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 waren in Westdeutschland 33 und in Ostdeutschland 31 Straßenbahnnetze in Betrieb. In der ehemaligen DDR ist die Straßenbahn immer das unverzichtbare Verkehrsmittel geblieben, doch auch in der ehemaligen BRD setzte ab den 1970er Jahren ein Umdenken ein.

Vor allem die Ölkrise und damit die extremen Erhöhungen der Rohölpreise 1973 und 1979/80, die in den Industrieländern schwere Rezessionen10 auslösten, waren verantwortlich für ein Umdenken. Zusätzlich sorgten verstopfte Straßen in den Städten, Lärm und Abgase der Fahrzeugkolonnen und ein stetig ansteigendes Umweltbewusstsein für einen Entwicklungsschub in Richtung umweltfreundlicher, leiser und ökonomischer Stadtverkehrsmittel.

Ein weiterer Grund war das am 1.1.1996 in Kraft getretene Regionalisierungsgesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (RegG). „Das Gesetz definiert die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im Öffentlichen Personennahverkehr als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. […] Die aufgrund dieses Gesetzes verteilten Geldmittel werden als „Regionalisierungsmittel“ bezeichnet.“11 Diese von Bund und Ländern bereitgestellten Mittel konnten nun zu großen Teilen direkt dezentral durch die Kommunen in konkrete Verkehrsprojekte investiert werden. Auch das in Kapitel 2.1 angesprochene GVFG wurde hinsichtlich der Mittelbindung an unterirdische ÖPNV-Strecken gelockert.

Auch bei den Stadtentwicklern und Verkehrsplanern kam ein Umdenkprozess in Gang, „der Stellenwert und die betrieblichen Anforderungen der Oberflächenverkehrsmittel als integraler Teil der ÖV-Transportkette sind erkannt und anerkannt, und die verkehrspolitischen Wertvorstellung und Ziele unterstützen diese Bestrebungen.“12

Zusätzlich führte die Entwicklung bei den Fahrzeugen ebenso zu einer Änderung der Sichtweise der städtischen Verkehrsplanung. Neue – alters- und behindertengerechte – Niederflurfahrzeuge, leise Antriebstechniken mit gummigedämpften Schienen und Schwellen, Flüsterbremsen und die Verlegung der Straßenbahntrassen in einen eigenen Bahnkörper oder die Minus-1 – Ebene führten zu einer immer höheren Akzeptanz und einem Revival der Straßenbahnen.13

[...]


1 Statistisches Bundesamt, Verkehr auf einen Blick, Wiesbaden, 2013, S. 8

2 Artikel von www.shz.de vom 12. Mai 2015: „OB Ulf Kämpfer – Kiel: Aus für die Stadtregionalbahn – stattdessen Straßenbahn?“, abgerufen am 20.04.2017 unter http://www.shz.de/regionales/kiel/kiel-aus-fuer-die-stadtregionalbahn-stattdessen-strassenbahn-id9691976.html

3 Reinhardt, 2015, S. 252

4 Ebd. ,S. 273

5 Ebd., S. 372

6 Ebd., S. 568 ff

7 Brändli in: Verkehr aktuell: Renaissance der Straßenbahn, 1995, S. 10

8 Reinhardt, 2015,S. 569 ff.

9 Ebd., S. 681 ff.

10 https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lpreiskrise , abgerufen am 19.04.2017

11 https://de.wikipedia.org/wiki/Regionalisierungsgesetz#cite_ref-bgbl2007I2871_2-0, abgerufen am 19.04.2017

12 Brändli in: Verkehr aktuell: Renaissance der Straßenbahn, 1995, S. 10

13 Reinhardt, 2015,S. 802

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Vorteile und Rahmenbedingungen für ein Revival der Straßenbahnen. Ein Modell für Kiel?
Hochschule
Fachhochschule Erfurt
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
20
Katalognummer
V1033301
ISBN (eBook)
9783346444929
ISBN (Buch)
9783346444936
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tram Strassenbahn Revival Rückkehr ÖPNV, Neubau Öffentlicher Nahverkehr, Straßenbahn
Arbeit zitieren
Jörg Trinks (Autor:in), 2017, Vorteile und Rahmenbedingungen für ein Revival der Straßenbahnen. Ein Modell für Kiel?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033301

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