Das Aufwachsen von Kindern in Patchworkfamilien. Eine Betrachtung anhand der Komödie "Wohne lieber ungewöhnlich"


Hausarbeit, 2018

23 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Leben von Kindern in Patchworkfamilien
2.1 Alltag und Organisation
2.2 Die Bedürfnisse der Kinder
2.3 Probleme beim Zusammenleben

3 Der Film „Wohne lieber ungewöhnlich“
3.1 Die Wohnsituation als Lösung für Probleme in Patchworkfamilien?
3.2 Zusammenhalt, Geschwisterliebe und Verantwortungsbewusstsein
3.3 Die Patchworkfamilie im Einfluss der modernen Gesellschaft

4 Resümee

Literaturverzeichnis und Quellenangaben

1 Einleitung

Im Durchschnitt ziehen wir mindestens drei Mal die Woche um. Dazu kommen Hausaufgaben, Fußball, Tanzen, Klavierstunden, Cellounterricht und das ohne festen Wohnsitz. Wir sind wie Roboter. [...] Unser Leben richtet sich nach geraden und ungeraden Wochen und nach eurem Terminkalender.1

Mit dieser Ansprache richtet sich Bastien im Film „Wohne lieber ungewöhnlich“ zusammen mit seinen sechs Halbgeschwistern an die acht Erziehungsberechtigten der Kinder. Die Geschwister der großen Patchworkfamilie sind es leid immer zwischen den Haushalten umziehen zu müssen und setzten nun ihre Eltern unter Druck in eine eigene Wohnung ziehen zu dürfen, in die die Eltern abwechselnd zur Betreuung kommen. Die Schlüsselszene wird zum Beginn einer neuen Wohnsituation, die das ganze Patchworkfamilienleben verändert und damit die zuvor belastende Situation der Kinder beendet. Der Film wurde zunächst 2016 in Frankreich unter dem Titel C'est quoi cette famille?! von Gabriel Julien-Laferrière veröffentlicht und lief seit Mai 2018 mit leichten Abänderungen in deutschen Kinos. Er thematisiert das Aufwachsen von Kindern in Patchworkfamilien und zeigt dabei besonders die positiven Aspekte nachdem die Kinder selbst bei der Gestaltung ihrer Lebenssituation aktiv wurdenb wobei sich Gabriel Julien-Laferrière bewusst ist, dass das Thema sehr sensibel ist.2 Durch die Aktualität der Familienkomödie und die filmische Bearbeitung des Themas Patchworkfamilie, welches nicht wie in vielen anderen Filmen und Büchern nur Randthema bleibt, ist die Untersuchung des Films von Relevanz. Außerdem lässt sich im Film eine moderne Sichtweise gegenüber Patchworkfamilien feststellen, die das Familienmodell befürwortet und die schönen Seiten, sowie das glückliche Aufwachsen von Kindern zeigt. Als Film, der besonders ansprechend für Kinder ist, macht er allen Angehörigen einer Patchworkfamilie Mut und fördert die Akzeptanz für Patchworkfamilien beim Zuschauer oder der Zuschauerin. Denn nicht immer ist die Realität vergleichbar mit der Darstellung im zweiten Teil des Films. Wie Kinder tatsächlich in deutschen Patchworkfamilien aufwachsen und wie das Leben und Aufwachsen der Kinder im Film dargestellt wird, soll Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Es soll der Frage nachgegangen werden welche Aspekte der Film beim Zusammenleben aufgreift und wie Kinder damit umgehen. Um die Darstellung der Patchworkfamilie im Film und die Handlungsweisen der Kinder und Erwachsenen besser nachvollziehen zu können, soll zunächst der Alltag, die Organisation, die Bedürfnisse von Kinder und die Probleme beim Zusammenleben in Patchworkfamilien in der Realität betrachtet werden. Hierzu sind Einblicke in Gebiete der Psychologie, Soziologie und Pädagogik notwendig.

2 Das Leben von Kindern in Patchworkfamilien

2.1 Alltag und Organisation

Als Patchworkfamilie oder Stieffamilie wird „eine Vielzahl heterogener Familientypen bezeichnet“3, bei denen die „soziale Elternschaft [...] nicht mehr von beiden biologischen Eltern gemeinsam [in einem Haushalt] praktiziert [...] [wird] und die soziale Elternschaft [...] zusätzlich einer weiteren Person, der Stiefmutter oder dem Stiefvater, zugeteilt“4 ist. Daten zu Patchworkfamilien in Deutschland werden vom Statistischen Bundesamt nicht gesondert erfasst, weshalb auf die Ergebnisse des Generations and Gender Survey von 2005 zurückgegriffen werden muss. Aktuellere Statistiken zu Patchworkfamilien in Deutschland gibt es auf Anfrage derzeit nicht. Bei der statistischen Erhebnung im Jahr 2005 lebten 10,9 Prozent der Kinder unter 18 Jahren in Patchworkfamilien5. Dabei gibt es verschiedenste Formen von Patchworkfamilien, die Einfluss auf den Alltag und der Organisation des Zusammenlebens nehmen. Im Film hat der achtjährige Hauptdarsteller Bastien „6 Halbschwestern/-brüder, 8 Erziehungsberechtigte und ebenso vielen Zuhause“6 und damiit einen schwer zu organisierenden Alltag. Entscheidende Faktoren in einer Familie sind unter anderem die Anzahl der Geschwister, Stiefgeschwister oder Halbgeschwister. Außerdem hat das Alter der Familienmitglieder, das soziale Milieu, das soziale Umfeld, das Leben in ländlichen Regionen oder in der Stadt und andere Faktoren Einfluss auf die Patchworkfamilie. Für das Kind unterscheidet sich der Alltag erheblich danach, ob die leiblichen Eltern ein geteiltes Sorgerecht ausüben, das geteilte Sorgerecht nicht umgesetzt wird oder ob ein alleiniges Sorgerecht eines Elternteils vorliegt. Bestimmend dafür ist der Umgang der getrennten Eltern miteinander, der sich von völligem Kontaktabbruch bis zum gemeinsamem Erziehen des Kindes erstrecken kann. Der Idealfall, dass beide Elternteile nach einer Trennung oder Scheidung gleichmäßig an der Erziehung des Kindes beteiligt sind, trifft nur selten zu. Diese Form der Patchworkfamilie, bei dem die leiblichen Eltern auch trotz neuer Familie kooperativ miteinander umgehen, ist das Beste für das Aufwachsen des Kindes und wird im Film so dargestellt. Wenn der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin in die Gestaltung des Alltag vom Kindes einbezogen wird, fördert das eine gute Entwicklung des Kindes. Doch häufig werden die zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten zwischen den Eltern nach der Trennung nicht beigelgt. Das Kind steht damit im ständigen Spannungsfeld zwischen beiden Elternteilen. Bei einem geteilten Sorgerecht ist der Alltag von „Organisations- und Mobilitätsanforderungen“7 geprägt und für das Kind von einer hohen Anpassungsfähigkeit. Von Organisation ist der Alltag geprägt, da die Zeit für die Besuche der Elternteile geplant werden muss. Es muss entschieden werden, ob das Kind einige Ferienwochen, die Wochenenden oder abwechselnd volle Wochen beim anderern Elternteil verbringt. Danach ist das Kind selbst an der Planung seines Alltag beteiligt und kümmert sich darum wann und wo Hausaufgaben erledigt werden, wann Verabredungen mit Freunden getroffen werden oder welche Dinge es für den Wechsel zum anderen Elterteil mitnimmt. Beim Umzug in einen anderen Haushalt im Film wird das Packen zu einer stressigen Situation, zumal sich die Kinder noch beeilen müssen.8 Beim hektische Durcheinanderrufen der Geschwister hört der Zuschauer oder die Zuschauerin Sätze wie „Vergiss das nicht“9 und „Denk an das“10, was bei den Kindern hohe Konzentration erfordert und zum Nachteil wird, wenn etwas vergessen wurde. Ebenso ist ein gutes Zeitmanagment seitens der Eltern wichtig um den Bedürfnissen und der Gleichbehandlung von Kindern und Partnerschaft gerecht zu werden.

In einer Patchworkfamilie können sehr unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, was bereichernd oder auch erschwerend für die Entwicklung des Kindes sein kann. Die Koordination der unterschiedlichen Bedürfnisse von Geschwistern, Stiefgeschwistern und Stiefvater oder -mutter gilt es häufig auch in Kompromissen gerecht zu werden. Damit ist der Alltag und dessen Organisation oft viel komplexer. Die Unterschiedlichkeit der Charaktereigenschaften der Kinder und die damit verbundenen Spannungen werden im Film nur wenig dargestellt. In den meisten Fällen gelingt es, die andere Meinung zu überzeugen ohne einen Kompromiss aushandeln zu müssen, wie in der Szene als die Eltern von den Plänen mit der neuen Wohnung erfahren und sie von den Kindern überzeugt werden.11

Solang jedes Familienmitglied weiß welchen Platz es in der Patchworkfamilie hat und eine klare Aufgabenverteilung erfolgt, kann das Zusammenleben vereinfacht werden. Nicht selten übernehmen Kinder im Haushalt oft „Aufgaben des nicht mehr im Haushalt lebenden Elternteils“12, was noch aus der Zeit nach der Trennung und vor dem Zusammenzug in eine Patchworkfamilie resultiert. Diese Aufgaben sind beispielsweise das Umsorgen von jüngeren Geschwistern, wobei das Kind lernt Verantwortung zu übernehmen, wie es im Film zu sehen ist.

Dann wenn Familienbeziehungen „Stabilität [erreichen] [...], Normen und Regeln [...] [etabliert] sind, und Rituale entstehen, die ein neues Wir-Gefühl dieser Stieffamilie zum Ausdruck bringen“13 sind die einzelnen Mitglieder zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Dieses Zusammenwachsen gelingt im Film und wird dem Zuschauer oder der Zuschauerin durch das Zusammenhalten der Familie in schwierigen und schönen Zeiten bewusst. Als die Wohnung verkauft werden soll, verbünden sie sich gemeinsam gegen Hugo14, womit sie ihr „Wir-Gefühl“ zeigen und als sie die Wohnung behalten können, wird gemeinsam ein Fest gefeiert.15

2.2 Die Bedürfnisse der Kinder

Zu den wichtigsten Grundbedürfnissen von Kindern zählen nach Berry Brazelton und Stanley Greenspan: „ongoing nurturing relationships”, „hysical protection, safety and regulation”, „experiences tailored to individual differences”, „developmentally appropriate experiences”, „limit setting, structure and expectations”, „stable support communities and cultural continuity” und „a continuation of worldwide social, political and economic progress”16. Diesen Bedürfnissen eines Kindes in einer Patchworkfamilie gerecht zu werden, ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Beim Gründen einer Patchworkfamilie erfolgt häufig eine starke Veränderung der Lebenssituation des Kindes, darunter beispielsweise die Änderung der Wohnumgebung, ein Schulwechsel oder der Wegzug von Freunden. Mit dem Verlust wird häufig das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften unter Umständen nicht erfüllt. Diese Veränderung, der sich die Kinder unweigerlich fügen müssen, kann mit sehr unterschiedlichen Gefühlen wie Angst, Wut, Enttäuschung oder Aufregung empfunden werden. Denn die Umstellung zu einer Patchworkfamilie geschieht für das Kind ungefragt und ohne Mitbestimmung. Im Gegensatz zu den Erwachsenen haben sie nicht die freie Wahl über ihre Lebensform und sie können nicht frei über ihren Lebensstil entscheiden.17 Bastien gelingt es im Film diese Ungerechtigkeit als Argument gegen seine Eltern hervorzubringen, um seinen Willen bei der Gestaltung der Patchworkfamilie einbringen zu können. Zunächst bei der Überzeugung der Eltern in der Wohnung bleiben zu dürfen18 und beim Streit mit seinem Vater, als er die Wohnung und sein neu gefundenes Sicherheitsgefühl gegen ihn verteidigt.19

Nicht selten steht das Kind dem Beginn des Zusammenlebens in einer Patchworkfamilie mit Ablehnung gegenüber. Denn bei diesem Schritt wird unmisserverständlich klar, dass sich die leiblichen Eltern wahrscheinlich nie mehr vertragen, lieben und zusammenleben werden, was oft die Hoffnung vieler Kinder bleibt. Häufig ist das Kind durch die zuvor erlebte Trennung der Eltern so verletzt und enttäuscht, dass es ihm schwer fällt sich auf den neuen Partner oder die neue Partnerin des Elternteils einzulassen. Im Film gelingt es Bastien dennoch den neuen Vater Hugo zu akzeptieren und er weigert sich nicht, dass er in die Familie kommt, da er ihnen die Ringe zur Hochzeit überreicht.20 Eine Ablehnung kann daraus resultieren, dass das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen durch den „Verlust“ eines Elternteils bei der Trennung nicht erfüllt ist. Ebenso kann das Bedürfnis nach Sicherheit und Regulation21 zunächst unerfüllt sein und durch die Patchworkfamilie wieder gestärkt werden, wie es Bastien und die anderen Kinder im Film erleben. Diese unzureichende Bedürfniserfüllung des Kindes kann die Weiterentwicklung von „emotionalen, sozialen und intellektuelen Fähigkeiten“22 gefährden. Es kann passieren, dass die Eltern, häufig in der Anfangsphase einer Patchworkfamilie, die Bedürfnisse des Kindes nicht richtig wahrnehmen, da sie sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Neben einer neuen Liebe, dem Aufbau eines neuen Lebens und weiteren Veränderungen ist das Kind nun oft nicht mehr Mittelpunkt der elterlichen Fürsorge. Wie im Film zu sehen ist, haben auch die Kinder unerfüllte Bedürfnisse, da sie sich alleingelassen fühlen: „Keiner kümmert sich um uns“23. Dieses Gefühl kann also auch aufkommen, wenn die Patchworkfamilie schon einige Zeit zusammnlebt.

Beim Zusammenzug in eine Patchworkfamilie kommt es zusätzlich zu Rangverschiebungen zwischen den Geschwistern und Stiefgeschwistern und es wird entschieden, ob man den Status des Einzelkindes behält oder verliert, wer der oder die Jüngste oder Älteste ist, welches Zimmer man bekommt und ob man dieses unter Umständen teilen muss. Die Rangverschiebung ist entscheidend für die Erfüllung oder Nichterfüllung der Bedürfnisse des Kindes. Wie das Kind mit der neuen Lebenssituation umgeht, ist ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Mit den Stiefgeschwistern und dem neuen Partner oder der Partnerin des Elternteils „erhöhen sich die Kontaktmöglichkeiten für die Kinder und die potenziellen Quellen von Bestand und Unterstützung“24, womit das Potenzial von Patchworkfamilien in den Vordergrund rückt. Neue Beziehungen, die auf einen liebevollen Umgang miteinander bauen, können entstehen. Es kann ein geschützer Raum für das Kind geschaffen werden in dem es „Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind“25 und „entwicklungsgerechte Erfahrungen“26 erleben kann. Dabei werden wichtige Strukturen für das Kind geschaffen und es erlangt Sicherheit bei der Gestaltung der Zukunft. Der Idealfall, dass sich das Kind gut mit den Stiefgeschwistern und dem neuen Partner oder der neuen Partnerin versteht und die Patchworkfamilie zusammenwächst, wäre das Wünschenswerteste für die Erfüllung der Bedürfnisse des Kindes. Im schlechtesten Fall bleibt die Beziehung zwischen Stiefgeschwistern von Eifersucht und Rivalitäten belastet und der neue Partner oder die neue Partnerin wird nicht akzeptiert, womit es schwerfällt ein Gemeinschaftsgefühl als Familie zu entwickeln.

Doch auch wenn innerhalb der Patchworkfamilie ein gutes Zusammenleben gelingt, kann die Beziehung zum abwesenden leiblichen Elternteil für das Kind zur Belastung werden und die Nichterfüllung von Bedürfnissen mit sich bringen, wie es bei Leopoldine im Film der Fall ist, deren Vater anfangs gar nicht persönlich in die Wohnung kommt. Die Sehnsucht nach dem abwesenden Elternteil und die Erinnerung an eine schöne gemeinsame Zeit in der Vergangenheit kann den Wunsch hervorbringen den Kontakt zum abwesenden Elterteil zu pflegen. Desinteresse, verbunden mit ausbleibenden Unterhaltszahlungen, dem Absagen von Besuchen oder gar einem Kontaktabbruch seitens des Elternteils kann beim Kind das Gefühl der Wertlosigkeit oder Liebensunwürdigkeit auslösen.

Zwar kann mit dem Leben in einer Patchworkfamilie die Lebenssituation des Kindes verbessert werden, indem es Sicherheit, Struktur, Ansprechpartner und Beständigkeit erhält, doch gute Beziehungen, besonders zwischen Kind und Eltern, ist wohl der entscheidendste Faktor. Greenspan sieht gute Beziehungen als Faktor für die Sozialisation des Kindes, da es erfährt welche Verhalten angemessen sind und welche nicht. In einem Interview unterstreicht er die bedeutende Rolle von guten Beziehungen: „good relationships and emotional interactions are the [...] foundation for social and intellectual growth, including communication and thinking”27. Damit ist ein guter Start in das Erwachsenenleben leichter. Wie sich die Beziehungen beim Zusammenzug in eine Patchworkfamilie entwickeln, ist nicht vorhersehbar, denn sie „sind in ihrer Qualität nicht familienstrukturell vorgegeben, sondern das Ergebnis individueller Beziehungserfahrung und -arbeit und gestaltungsoffen für die Zukunft“28. Trotz Streitigkeiten, lässt sich im Film die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern und zu ihren Halbgeschwistern als gut einstufen, da sie über alles reden können und gern gemeinsam Zeit verbringen. So zum Beispiel Bastein und Philippe, die sich nach ihrem Streit wieder versöhne und über Basteins Liebeskummer sprechen.29 Wobei sich die Beziehungen im Laufe des neuen Zusammenwohnens verbessern und durch die gemeinsamen Erlebnisse intensiver werden.

2.3 Probleme beim Zusammenleben

Das Zusammenleben in einer Patchworkfamilie ist von den Gewohnheiten und der Vergangenheit der einzelnen Familienmitglieder geprägt. Dabei resultiert ein „wesentlicher Konfliktherd [...] aus der fehlenden gemeinsamen Geschichte der Mitglieder der neukonstituierten Familie“30. Eine gelebte Demokratie, bei der jedes Mitglied gleichwertig ist, kann Konflikte vermindern. Mit einer offenen Redekultur und einem respektvollen Umgang miteinander können Probleme bereits vorgebeugt und schneller gelöst werden. Genau das ist das Erfolgsgeheimnis der guten Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern im Film. Selbst als Bastien eigentlich schlecht gelaunt ist und von seiner Mutter genervt ist, dreht er sich respektvoll zu ihr um, um ihr zuzuhören und mit ihr zu sprechen.31 Außerdem erzählt er ihr von Alice, in die er verliebt ist, und lässt damit seine Mutter an seinem Leben teilhaben. Zusätzlich ist es für das Kind auch wichtig über die Vergangenheit zu reden, um das Geschehene zu verarbeiten, denn die Trennung bleibt beim Kind „für immer emotional gespeichert“32 und die Angst, dass sich die neuen Eltern wieder trennen ist gegenwärtig wie bei Bastien im Film gesehen werden kann. Im neuen Alltag des Kindes ist die Vergangenheit nicht immer eine Belastung, denn die „Notwendigkeiten des Lebens lenken ab und beschäftigen das Kind [und] fordern es heraus“33. Doch trotzdem ist die Verarbeitung eines Traumas durch die Trennung der Eltern wichtig, da es Einfluss auf die Akzeptanz der Patchworkfamilie haben kann.

Die einzelnen Familienmitglieder entscheiden häufig unbewusst wer für sie zur Familie gehört. Gehört zum Beispiel der getrennt lebende Elternteil zur Familie? Und gehört der Stiefvater oder die Stiefmutter zur Familie? Die Antwort auf die gleiche Frage kann vom Kind, vom Stiefelternteil und vom leiblichen Elternteil unterschiedlich ausfallen. Wichtig ist es jedoch sich dessen bewusst zu sein und tolerant miteinander umzugehen, um „eine Identität als Familie zu entwickeln, [da sonst] [...] leicht ein Gefühl von fehlender Geborgenheit und ein Gefühl der Desorganisation“34 beim Kind entstehen kann.

Beim Aufeinandertreffen der Erwachsenen, die eine Patchworkfamilie gründen, kann es zu Unstimmigkeiten bei der Erziehung der Kinder kommen. Wenn die Erziehungsstile nicht übereinstimmen, dann entstehen Irritationen, Fehlinterpretationen und Auseinandersetzungen. Erst „durch eine klare Linie in der Erziehung, die konsequent verfolgt wird, sowie durch Gespräche und klare Regelungen“35 können Schwierigkeiten entgegengewirkt werden. Im Film wird die Unstimmigkeit bei der Erziehung der Kinder nicht thematisiert, die bei einer so großen Anzahl an Elternteilen unumgänglich ist. Hier werden Beziehungen vereinfacht und es wird sich im Film auf nur wenige Probleme in Patchworkfamilien wie die Abwesenheit eines Elternteils, das Wechseln der Haushalte, die Verantwortungsübernahme der Kinder und weitere beschränkt.

Das wohl häufigste Problem, besonders zu Beginn, ist die mangelnde Akzeptanz des neuen Partners oder der neuen Partnerin des Elternteils durch das Kind. Trotz der Einigkeit bei Erziehungsfragen, kann das Kind mit der Haltung „Du hast mir gar nichts zu sagen“ gegenüber dem Stiefelternteil reagieren. Zwar reagiert Bastien im Film auf den neuen Vater Hugo bei nicht so, doch an seinem spöttischen Grinsen beim Hereintragen der Ringe zur Hochzeit verrät sein Gesichtsausdruck, dass er die Beziehung zwischen seiner Mutter und Hugo nicht ganz ernst nimmt.36

Die häufig besonders intensive Beziehung zwischen Elternteil und Kind kann durch den neuen Partner oder die neue Partnerin vom Kind als gefährdet gesehen werden. Wenn zwischen Kind und Stiefelternteil dauerhaft eine schlechte Beziehung besteht, ist das ganze Zusammenleben in der Patchworkfamilie gefährdet, denn „für die leiblichen Eltern [haben] fast immer die Kinder Priorität“37. Der Beziehungsaufbau zum Stiefkind ist auch dahingehend erschwert, da es für die Stellung des Stiefelternteils zum Kind keine eindeutige Rollendefinition gibt.38 Der leibliche Elternteil kann nicht einfach vom Stiefelternteil ersetzt werden, sondern muss erst herausfinden welche Rolle es im Leben des Kindes einnehmen darf. Die Beziehung zwischen Stiefelternteil und Kind ist auch deshalb beschwert, da das Kind „nicht in Loyalitätskonflikte mit dem außerhalb lebenden Elternteil geraten“39 möchte. Denn eine gute Beziehung zum Stiefelternteil steht beim Kind häufig im Konflikt zur guten Beziehung zum leiblichen Elternteil außerhalb der Patchworkfamilie, sobald dieses für das Kind die gleiche Rolle als „Vater“ oder „Mutter“ einnehmen möchten. In Patchworkfamilien, in denen das Stiefelternteil zum Freund oder zur Freundin des Kindes wird, ist das Zusammenleben harmonischer.

[...]


1 Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute 34:20

2 Vgl. Frehse, Torsten: Wohne lieber ungewöhnlich. Interview mit dem Regisseur Gabriel Julien-Laferrière. http://www.wohne-lieber-ungewoehnlich.de (aufgerufen am 13.10.18)

3 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 383

4 Ebd., S. 382 f..

5 Vgl.

6 Frehse, Torsten: Wohne lieber ungewöhnlich. Interview mit dem Regisseur Gabriel Julien-Laferrière. http://www.wohne-lieber-ungewoehnlich.de (aufgerufen am 13.10.18)

7 Stieffamilien in Deutschland S. 22

8 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

9 Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

10 Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

11

12 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 388.

13 Fthenakis, Wassilios E. u.a. (Hg.): Die Familie nach der Familie. Wissen und Hilfen bei Elterntrennung und neuen Beziehungen. München 2008, S. 285.

14 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

15 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

16 Vgl. Brazelton, T. Berry / Greenspan, Stanley I.: The Irreducible Needs of Children. What Every Child Must Have to Grow, Learn and Flourish. New York 2000.

17 Scheer, Peter/ Dunitz-Scheer, Marguerite: meine deine unsere. Leben in der Patchworkfamilie. Wien 2008, S. 236.

18 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

19 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

20 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

21 Vgl. Brazelton, T. Berry / Greenspan, Stanley I.: Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Hrsg. von Elisabeth Vorspohl. Weinheim u.a. 2008 (= Beltz Taschenbuch 188).

22 Ebd., S. 28.

23 Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

24 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 386.

25 Brazelton, T. Berry / Greenspan, Stanley I.: Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Hrsg. von Elisabeth Vorspohl. Weinheim u.a. 2008 (= Beltz Taschenbuch 188).

26 Ebd.

27 Interview S. 7.

28 Behnken, Imbke / Zinnecker, Jürgen (Hg.): Kinder. Kindheit. Lebensgeschichte. Ein Handbuch. Seelze-Velber 2001, S. 508.

29 Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

30 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 387.

31 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

32 Scheer, Peter/ Dunitz-Scheer, Marguerite: meine deine unsere. Leben in der Patchworkfamilie. Wien 2008, S. 88.

33 Ebd., S. 88-89.

34 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 387.

35 Döring, Dorothee: Familienglück in zweiten Anlauf. Chancen und Risiken einer Patchwork-Familie. Weilersbach 2010, S. 105.

36 Vgl. Julien-Laferrière, Gabriel: Wohne lieber ungewöhnlich. good!movies 2018, Minute

37 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 8. Auflage. Wiesbaden 2012, S. 387.

38 Vgl. ebd..

39 Ebd., S. 388.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Aufwachsen von Kindern in Patchworkfamilien. Eine Betrachtung anhand der Komödie "Wohne lieber ungewöhnlich"
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Das Kind in Literatur und Film
Note
2,0
Jahr
2018
Seiten
23
Katalognummer
V1033315
ISBN (eBook)
9783346440679
ISBN (Buch)
9783346440686
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aufwachsen, kindern, patchworkfamilien, eine, betrachtung, komödie, wohne
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Das Aufwachsen von Kindern in Patchworkfamilien. Eine Betrachtung anhand der Komödie "Wohne lieber ungewöhnlich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033315

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