Queer-migrantische Sexarbeit und Soziale Arbeit. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit aus einer lebensweltorientierten Sicht leisten, um queeren Sexarbeitern einen besseren Alltag zu ermöglichen?


Bachelorarbeit, 2021

66 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit
1.2 Sommer der Migration in

2. Begriffsbestimmung
2.1 Queer
2.2 Migration
2.3 Sexarbeit
2.3.1 Mann-männliche Prostitution
2.3.2 Sexarbeiter*innen
2.3.3 Kundinnen
2.4 Queer-migrantische Sexarbeit

3. Rechtliche und politische Rahmungen
3.1 Prostitutionsgesetz
3.2 Prostituiertenschutzgesetz
3.3 Infektionsschutzgesetz
3.4 Rechtlicher Rahmen der queer-migrantischen Sexarbeit

4. Orte und Erscheinungsformen der Sexarbeit von Cis-Männern und queer­refugees
4.1 Prostitution in öffentlichen Räumen
4.2 Prostitution in halböffentlichen Räumen
4.3 Prostitution in virtuellen Räumen

5. Queerness und Flucht
5.1 (Queer-)Refugees Unterstützung seit dem Sommer der Migration
5.2 Queerfeindlichkeit in den Herkunftsländern
5.3 Ethnosexismus und Rassismus als Erfahrung des Ankommens in Deutsch­land

6. Lebens- und Problemlagen von queer-migrantischen Sexarbeitenden
6.1 Lebenslagen
6.1.1 Motivation der Sexarbeitenden
6.2 Problemlagen
6.2.1 Gesellschaftliche Aspekte
6.2.1.1 Heteronormativität
6.2.1.2 Stigmatisierung
6.2.2 STI
6.2.3 Sucht
6.2.4 Gewalt
6.2.5 Psychische Folgen

7. Soziale Arbeit im Bereich der queer-migrantischen Sexarbeit
7.1 Die lebensweltorientierte Theorie
7.2 Leitlinien für die lebensweltorientierte Soziale Arbeit mit queer-migrantischen Sexarbeiter*innen
7.3 Ziele der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit mit queer-migrantischen Sexarbeiter*innen
7.4 Gesundheitsfördernde und präventive Ansätze der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit mit queer-migrantischen Sexarbeiter*innen
7.5 Arbeitsbereiche und Methoden der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit mit queer-migrantischen Sexarbeiter*innen
7.6 Anforderungen an die Sozialarbeiterinnen
7.7 Aktuelles

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

LSBTIQPA* Lesbisch, Schwul, Bi-, Trans*-, Intersexuell, Queer, Pansexuell, Asexuell

ProstG Prostitutionsgesetz

ProstSchG Prostituiertenschutzgesetz

CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands

CSU Christlich-Soziale Union in Bayern

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

LSVD Lesben- und Schwulenverband in Deutschland

AKSD Arbeitskreis deutschsprachiger Strichereinrichtungen in Deutschland

HIV Humanes Immundefizienz-Virus

PrEP Prä-Expositions-Prophylaxe

STI sexually transmitted infections

IfSG Infektionsschutzgesetz

1. Einleitung

LSBTIQPA*1, so vielfältig, bunt und divers, wie dieser Begriff klingt, so sind es auch die Menschen, die sich mit diesem Begriff identifizieren. Sie gehören der LSBTIQPA*-Com- munity an und fühlen sich dieser zugehörig, da sie sich nicht als heterosexuell definieren und/oder nicht dem binären Geschlechtsverständnis der heteronormativen Mehrheitsge­sellschaft entsprechen.

Demnach gehören die queer-migrantischen Sexarbeiterinnen dieser Szene an und der Begriff „Queer“ wird in dieser Arbeit als Synonym für „LSBTIQPA*“ verwendet.

Die Queere-Community ist in der heutigen Zeit immer noch eine marginalisierte soziale Gruppe und erfährt weiterhin Diskriminierung und Ausgrenzung in ihrem alltäglichen Le­ben. Hinzu kommt, dass die Adressatinnen, die in dieser Arbeit näher beleuchtet werden einen Migrationshintergrund haben und einer Tätigkeit im Sexgewerbe nachgehen. Queer-migrantische Sexarbeiterinnen können somit aufgrund dieser drei Merkmalen von Intersektionalität2 betroffen sein. Im Zuge dessen soll in dieser Arbeit ein Bewusstsein da­für geschaffen, so wie Handlungs- und Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit auf­gezeigt werden, um zu einem gelingenderen Alltag der Adressatinnen beizutragen.

Die Sexarbeit, der queere Migrantinnen in Form von Prostitution nachgehen wird in die­ser Arbeit hauptsächlich angesprochen. Bis heute ist das Arbeitsfeld der Sexarbeit tabui­siert, besonders wenn diese nicht von Frauen ausgeführt wird (vgl. FIXEMER/HUCKE 2020, S.65). Obwohl sich der Ursprung der mann-männlichen Prostitution bis zu 500 vor Christus zurückführen lässt und die Prostitution als das „älteste“ Gewerbe der Welt gilt, ist es weiterhin ein meist tabuisiertes Feld in der Sozialen Arbeit und ein Phänomen, dass an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird (vgl. SOZIALMAGAZIN, o.V. 2020, S.3). Die Sexarbeit ist aus dem Kontext von Queerness und Migration auch in der Forschung und der vorgefundenen Literatur ein zu wenig beachtetes Feld. Dies spiegelt sich auch in der politischen und rechtlichen Lage der Adressatinnen wieder, die im Prostituiertenschutz­gesetz herausfallen und nicht miteinbezogen werden.

Ausgangspunkt für diese Debatten und diese Arbeit war der Sommer der Migration im Jahr 2015. Durch diese Migrationsbewegung erweiterte sich die Szene der queer-migran­tischen Sexarbeiterinnen in Deutschland und die Soziale Arbeit stand vor der Herausfor- derung, diesen darin tätigen Adressatinnen gerecht zu werden. Dieses Ereignis hat dazu beigetragen und den Autor dazu veranlasst, diese Arbeit zu formulieren, um dadurch Handlungs- und Unterstützungsangebote für queer-migrantische Sexarbeiterinnen her­auszuarbeiten und dabei der Fragestellung nach zu gehen, wie die Soziale Arbeit aus ei­ner lebensweltorientierten Sicht, dazu beitragen kann, einen gelinderen Alltag für die Adressatinnen zu ermöglichen.

1.1 Aufbau der Arbeit

Zu Beginn der Arbeit wird in Kapitel 2. ein Überblick über die zentralen Begriffe gegeben. Hierbei soll vor allem durch die Aufteilung der Begriffe „Queer", „Migration" und „Sexar­beit" ein erster Einblick für die Leserinnen geschaffen werden, um zu verstehen welche Personengruppe gemeint ist und welcher Tätigkeit diese nachgeht. Die Sexarbeit als Ar­beit wird außerdem ausWhrlicher im 2. Kapitel ausgeführt, da der Bereich und die Szene der Sexarbeit ein komplexes und vielfältiges Feld ist.

In dieser Arbeit wird sich hauptsächlich der mann-männlichen Prostitution gewidmet, was ein Teilbereich der Sexarbeit darstellt. Hierbei wird zunächst ein kurzer Überblick überden Ursprung der mann-männlichen Prostitutionsszene gegeben. Anschließend wird auf die Sexarbeiter*innen und deren Kundinnen eingegangen, mit dem Versuch einer Definition. Sowohl die Sexarbeiter*innen als auch die Kundinnen, werden bewusst in dieser Arbeit gegendert, da die in der queer-migrantische Sexarbeit tätigen sowohl Cis-Männer3, trans*, queere als auch intersexuelle Menschen sein können und sich somit nicht nur als Män­ner* identifizieren, auch wenn sie in der mann-männlichen Prostitutionsszene tätig sind.

Das 3. Kapitel widmet sich der rechtlichen und politischen Lage der Sexarbeit. In diesem Kapitel wird das im Jahre 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz, das in 2017 darauf aufbauende Prostituiertenschutzgesetz und das Infektionsschutzgesetz näher erläutert. Da die Politik und die genannten Gesetze, die queer-migrantische Sexarbeit völlig außer Acht lassen, werden die in Kraft getretenen Gesetze am Ende dieses Kapitels genauer analysiert und auf die queer-migrantische Sexanbeit projiziert.

Die Orte und Erscheinungsformen der Sexarbeit von Cis-Männem und queer-refugees werden in Kapitel 4. definiert. Hierbei wird zwischen öffentlichen, halböffentlichen und vir­tuellen Räumen, in denen Sexarbeit statt finden kann, unterschieden. Der Fokus hierbei liegt vor allem auf der virtuellen Szene, da diese in den letzten Jahren immer mehr Zu­wachs erhalten hat. Auf die Straßenprostitution und andere Orte wird dennoch explizierter eingegangen, da sich die mann-männliche Prostitution immer noch hauptsächlich an öf­fentlichen Orten, wie beispielsweise in Parks, abspielt.

Das 5. Kapitel setzt sich mit Queerness und Flucht auseinander. Zu Beginn wird darauf eingegangen, wie sich die Unterstützungsangebote seit dem Sommer der Migration in 2015 in Deutschland verändert haben. Weiter werden in diesem Kapitel die Gründe ge­nannt, weshalb queere Menschen aus ihren Heimatländern fliehen und welche Disknimi- nierungs-und Ausgrenzungserfahrungen die queer-refugees beim Ankommen in Deutsch­land machen. Dabei wird im letzten Abschnitt des Kapitels, die Erfahmng von Rassismus und Ethnosexismus genauer erläutert.

Im 6. Kapitel werden die Lebens- und Problemlagen von queer-migrantischen Sexarbei­terfinnen aufgeWhrt. Sowohl die Lebenslagen, als auch die Problemlagen der Sexarbei­tenden sind vielfältig und unterscheiden sich ebenso, wie die Grnnde und Motivationen, um in der Sexarbeit tätig zu werden. Die Problemlagen werden in diesem Kapitel ausWhr- licher beschrieben, da diese der Ansatepunkt Wr die Soziale Arbeit sind und aufceigen, wie die Soziale Arbeit die Sexarbeiterinnen unterstützen kann, um ihnen einen gelingen- deren Alltag zu ermöglichen.

Abschließend wird im 7. Kapitel die Soziale Arbeit aus einer lebensweltorientierten Sicht betrachtet, wie diese die queer-migrantischen Sexarbeiterinnen unterstützen kann und welche Kompetenzen Sozialarbeiterinnen hierfür mitbringen sollten. Außerdem werden Leitlinien für die sozialpädagogische Arbeit genauer erläutert und Ziele formuliert, welche den Sexarbeiterinnen einen gelingenderen Alltag ermöglichen sollen. Abschließend wird in diesem Kapitel auf die aktuelle Situation eingegangen und über die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie berichtet.

Ein kurzes Fazit mit Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen bildet den Abschluss die­ser Arbeit.

1.2 Sommer der Migration in 2015

Im Sommer 2015 gab es eine eminente Migrationsbewegung. Die meisten Menschen kamen aus muslimisch geprägten Staaten und suchten vermehrt nach Schuk in Deutsch­land (vgl. CETIN 2019, S.21). Allein in Deutschland wurden im Jahr 2015, 2,14 Millionen Zuzüge registriert, hierbei handelt es sich sowohl um Schuksuchende, als auch EU-Bür­gerfinnen (vgl. BAMF 2015, S.9). Im Zuge dessen traf die Bundesregierung die Entschei- dung eine Politik der offenen Grenzen zu führen. Die Debatte der gelebten Willkommens­kultur gab einerseits einen Aufschwung für die Unterstützung der geflüchteten Menschen, andererseits entfalteten sich im Zuge dessen auch rassistische und rechts-politische De­batten (vgl. KÜPPERS/HENS 2019, S.7). Mit dieser Migrationsbewegung stieg auch die Zahl der queer-refugees, denen es seit 2005 ermöglicht wurde, Schutz in einem anderen Land zu bekommen, wenn sie aufgrund von Geschlecht, Identität und sexueller Orientie­rung von Ausgrenzung und Verfolgung im Herkunftsland betroffen sind. Jedoch wird diese marginalisierte Gruppe auch in Deutschland kaum differenziert betrachtet und die Ge­flüchteten werden meist als cis-geschlechtliche4 heterosexuelle Menschen markiert. (vgl. ebd., S.8)

2. Begriffsbestimmung

2.1 Queer

Queer wird oftmals als Oberbegriff für die sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität, welche von der heteronormativen Norm der Mehrheitsgesellschaft abweicht, verwendet.

Zunächst galt der Begriff queer als Schimpfwort, für all jene, die den geschlechtlichen- und sexuellen-gesellschaftlichen Nonnen nicht entsprachen, also z.B. gegen homosexuel­le Menschen. Im Laufe der Zeit jedoch nutzten homosexuelle Personen den Begriff um sich damit selbst zu identifizieren und er wurde somit zum Empowerment Begriff der LSBTIQPA*-Community (vgl. CZOLLEK/PERKO/WEINBACH 2009, S.33f.).

Heute fungiert Queer als Sammelbegriff für jegliche Abweichung von der Heteronormativi­tät. Die Heteronormativität meint in diesem Kontext, dass Heterosexualität als Norm in der Gesellschaft angesehen und davon ausgegangen wird, dass jenes sexuelles Verlangen immer auf das jeweils andere Geschlecht gerichtet ist. Außerdem wird von einer binären Sichtweise ausgegangen, dass lediglich das weibliche und männliche Geschlecht existiert (vgl. WAGENKNECHT 2007, S.17L).

Somit stellt der Begriff Queer die Stereotypisierungen infrage und erweitert das Verständ­nis der binären Sichtweise hin zu einer offenen und vielfältigen Ansicht der diversen Gen­derformen und sexuellen Orientierungen.

2.2 Migration

Migration stammt aus dem lateinischen „migrare“ ab und bedeutet übersetzt „Wanderung“. Die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen wird als Hauptgrund für eine Migrati­on in ein anderes Land gesehen (vgl. HUMMRICH/TERSTEGEN 2020, S.1f.).

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland ca. 1,6 Millionen Zuzüge registriert, davon kamen 66,4% der zugewanderten Personen aus einem anderen europäischen Land (vgl. BAMF 2019). Diese Zahlen belegen die Annahme, dass Deutschland ein beliebtes Einwande­rungsland ist, was demnach zur Folge hat, dass die Arbeit, mit Menschen mit Migrations­hintergrund, einen hohen Stellenwert in der Tätigkeit als Sozialarbeiterin einnimmt.

Eine Migration beinhaltet immer einen Neustart für die betroffenen Personen. Dies schließt somit berufliche, soziale, familiäre und kulturelle Veränderungen mit ein, welche eine Hürde für ein gelingendes Ankommen in einem noch fremden Land zur Folge haben kann. In Deutschland ist dies vor allem durch die komplexe Gesetzgebung, im Hinblick auf die berufliche Perspektiven von Migrantinnen, gegeben (vgl. VAN DER CAMMEN 2018, S.4). Aufgrund dessen können die beruflichen Perspektiven der Migrantinnen sehr einge­schränkt werden, sei es durch die nicht Anerkennung ihres beruflichen Abschlusses vom Herkunftsland, oder der aufgrund ihres Asylstatus nicht vorhandenen Arbeitserlaubnis. Diese zwei Aufführungen sind mitunter nur ein Teil der Hürden, die Migrantinnen in Deutschland in ihrer beruflichen Perspektive bewältigen müssen und werden im 5. Kapitel genauer aufgeführt und erläutert, in wie weit diese Umstände dazu beitragen, dass (quee- re) Migrantinnen in die Sexarbeit rutschen.

2.3 Sexarbeit

Für Sexarbeit gibt es in Deutschland bisher keine genaue Definition und auch in der vor­gefundenen Literatur schwanken die Definitionen stark voneinander ab.

„Sexarbeit kann genau genommen auf zwei verschiedene Arten definiert werden. Zum einen handelt es sich hierbei um einen Oberbegriff für sämtliche Formen sexueller und erotischer Arbeit, sei es die Darstellung in Pornofilmen, Striptease, Tantra-Massagen, die Arbeit als Domlnas, Straßen- Bordell-Prostitution und vieles mehr. [...] Zum anderen wird der Begriff aus politischer Motivation heraus synonym für Prostitution verwendet, um de­ren Dienstleistungscharakter und die Anerkennung von Sex als Arbeit zu betonen.“ (KÜP­PERS 2018, S.89)

Im Duden wird Prostitution als „1. gewerbsmäßige Ausübung sexueller Handlungen 2. Herabwürdigung; öffentliche Preisgabe, Bloßstellung“ (Stand 2020) definiert.

Aus einer philosophischen Sicht ist Sexarbeit ein Tauschgeschäft, bei dem ein sexuelles mit einem nichtsexuellem Gut getauscht wird. Der Tausch findet über den direkten Kör­perkontakt statt und hat das Ziel, sexuelle Befriedigung zu erzeugen. Damit die Kundin­nen die sexuelle Befriedigung erlangen, ist es nötig, dass die Sexarbeiterinnen ihren Körper oder Teile davon zur Verfügung stellen. (vgl. CAMPAGNA 2005, S.101)

Sexarbeit wird somit unterschiedlich definiert und ist abhängig von der Perspektive, aus der sie betrachtet wird. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den queer-migrantischen Sex­arbeiterinnen, die der mann-männlichen Prostitution nachgehen. Somit wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass wenn von Sexarbeit die Rede ist, dies sich in der folgenden Arbeit auf die mann-männliche Prostitution bezieht, aber die anderen For­men und Perspektiven aus denen Sexarbeit betrachten werden kann, nicht ausgegrenzt werden sollen.

2.3.1 Mann-männliche Prostitution

Mann-männliche Prostitution ist ein Teilbereich der Sexarbeit, welche sowohl von quee- ren, als auch Cis-Männern ausgeübt wird.

Zurückführen lässt sie sich schon bis in die griechische Antike um 500 vor Christus. Zu dieser Zeit sprach man von „Knabenliebe“. Die Jungs waren in einem Alter von 12-18 Jah­ren und erhielten für ihre sexuellen Dienste kein Geld oder materielle Dinge, sondern be­kamen Wissen und Kultur dafür vermittelt. Diese Beziehung zwischen den Jungs und den Männern galt als Teil einer guten Erziehung. Selbst im Mittelalter und im antiken Rom lässt sich in alten Schriften nachweisen, dass es eine ausgeprägte Szene der mann­männlichen Prostitution gab (vgl. FINK/WERNER 2005, S.31 ff.).

Eine genaue und allumfassende Definition für die mann-männliche Prostitution lässt sich in der Fachliteratur nicht finden. Eine oft verwendete Definition jedoch ist diese, „Mann-männliche Prostitution soll [...] verstanden werden als das gelegentliche oder re­gelmäßige Angebot und der Verkauf sexueller Dienstleistung(en) durch einen jugendli­chen oder erwachsenen Mann, der dafür Geld und/oder materielle Werte (Nahrungsmittel, Unterkunft, Kleidung) von einem anderen Mann erhält, die zu seinem Lebensunterhalt bei­tragen. Das Angebot erfolgt direkt/(halb)öffentlich an verschiedenen Orten (Straße, Bahn­hof, Park, Bar) oder durch Werbung in Zeitungen und Zeitschriften.“ (GUSY u.a. 1994, zitiert in FINK/WERNER 2005, S.18). Bei dieser Definition handelt es sich aber bereits um eine aus dem Jahr 1994 verfasste und ist daher schon nicht mehr aktuell. Außerdem wird diese Definition von FINK und WERNER (2005) als nicht allumfassend und neutral ange­sehen, da sie sich eher auf die professionellen Sexarbeitenden, sogenannte Callboys5, mit Bewusstsein für die Prostitutionsausübung bezieht und Kinder, Jugendliche und Ältere ohne dieses Bewusstsein, ausschließt (vgl. S.18f.).

2.3.2 Sexarbeiter*innen

In Deutschland gibt es Schätzungen zu Folge, ca. 12 000 männliche Sexarbeitende (vgl. FIXEMER 2020, S.222). Eine genaue und allumfassende Definition für Sexarbeitende lässt sich in der Literatur jedoch nicht finden. Dies liegt vor allem an der Vielfältigkeit, die die Szene der Prostitution aufweist, denn Sexarbeiterinnen unterscheiden sich immer durch Motivationen, die Orte an denen sie anzutreffen sind und ihren sexuellen Identitä­ten.

FINK und WERNER (2005) haben mehrere Definitionen für die Bezeichnung von Sexar­beitenden in der mann-männlichen Prostitution veröffentlicht, dabei haben sie diese in drei Gruppen unterteilt und anhand des Alters, des Bewusstseins und des Grades der Verfes­tigung der sexuellen Ausübung differenzierte Definitionen verfasst (vgl. S.26). Zur ersten Gruppe gehören demnach queere Personen, die entweder sporadisch oder erstmalig, aufgrund von Neugierde, Einsamkeit oder des Geldes wegen in der Prostitution tätig sind und zeitweilig auf die Angebote der Kundinnen eingehen. Die dritte Gruppe definiert die Callboys, welche volljährig sind, bewusst in diesem Business arbeiten wollen und selbst die Angebote machen und nicht auf die der Kundinnen eingehen. (vgl. ebd., S.26f.)

Da in dieser Arbeit der Fokus auf queer-migrantischen Sexarbeitern liegt, orientiert sich der Autor dieser Arbeit an der Definition der zweiten Gruppe, welche wie folgt lautet.

„Ein „...“ [Sexarbeitender] ist ein jugendlicher oder erwachsener männlicher Prostituierter, der auf das Angebot reagiert, an sich oder an Männern gegen materielle oder immaterielle Dinge erotische und/oder sexuelle Interaktionen in realen oder virtuellen Räumen vorzu­nehmen oder vornehmen zu lassen oder aufgrund seiner Lebensumstände selbst diese Angebote macht.“ (FINK/WERNER 2005, S.26) In diese Gruppe fallen über 90% der Sex­arbeitenden in der Szene und es zeigt sich, dass die Lebensumstände und die Nachfrage durch die Kundinnen im Vordergrund stehen und Ausgangspunkt für die Prostitution sind und nicht die Motivation selbst, wie es bei Callboys, mit professionellem Bewusstsein, der Fall ist (vgl. ebd., S.27).

Diese Definition schließt vor allem die queer-migrantischen Sexarbeitenden mit ein, da sie sich mehrheitlich dieser Gruppe zuordnen lassen, weil sie auf die Angebote der Kundin­nen reagieren und ihr Angebot von ihren Lebensumständen abhängig machen. Vor allem die Lebens- und Problemlagen, auf die im 6. Kapitel näher eingegangen wird, sind aus­schlaggebend für diese Unterteilung.

2.3.3 KuncTinnen

„[Kundinnen] „...“ sind Männer aller Altersklassen, die, ungeachtet ihrer eigenen sexuel­len Orientierung oder Lebensweise, gelegentlich oder regelmäßig Entlohnung für sexuelle Kontakte und/oder Gesellschaft von [Sexarbeitenden] und Callboys bieten. Die Ent­lohnung kann je nach [Sexarbeitenden] „...“ und Callboy materiell oder immateriell sein (Geld, legale und illegale Drogen, Kleidung, Nahrungsmittel, Zuneigung, Liebe, Zärtlich­keit, Bestätigung, Gesellschaft, etc.).“ (FINK/WERNER 2005, S.96).

Ebenso, wie bei den Sexarbeitenden, gibt es keine allumfassende und neutrale Definition für Kundinnen, da diese sich ebenfalls aus verschiedenen Motiven heraus auf käufliche sexuelle Interaktionen einlassen. Demzufolge gibt es verschiedene Unterteilungen von Kundinnen. Die Mehrzahl der Kundinnen bewegt sich aber in der Altersklasse der 30-50- jährigen (vgl. FEHLBERG 2004, S.19).

Die Deutsche Aids-Hilfe unterscheidet, die Kundinnen in emotional- und geschäftsmäßig­handelnde. Die emotional-handelnden Kundinnen sind meist auch „Stammkundinnen“ bei den gleichen Sexarbeitenden und es kommt nicht selten vor, dass sie eine emotionale Bindung zu ihnen aufbauen und sich verlieben. Außerdem treffen sie kaum Absprachen und machen die sexuellen Praktiken von der gegenseitigen Sympathie mit den Sexarbei­tenden abhängig.

Die geschäftsmäßig-handelnden Kundinnen hingegen haben klare Vorstellungen über die sexuellen Praktiken und den Preis den sie dafür bezahlen möchten. Des Weiteren tref­fen sie klare Absprachen und bauen selten eine emotionale Bindung zu den Sexarbeiten­den auf. Dies liegt vor allem daran, dass diese Gruppe der Kundinnen meist als „Sprin­gerinnen“ bezeichnet werden und im Gegensatz zu den „Stammkundinnen“ meist die selben Sexarbeitenden nicht mehrmals treffen. (vgl. FINK/WERNER 2005, S.105f.)

Die Kundinnen der Sexarbeitenden lassen sich aber nicht nur aufgrund dieser zwei Ei­genschaften unterscheiden, viel bedeutender sind die unterschiedlichen Gründe, welche die Kundinnen dazu bewegt nach käuflicher sexueller Interaktion zu suchen. Ein Grund, der meist auf bisexuelle- und/oder nicht offen homosexuell lebende-verheiratete Männer* zutrifft ist, dass diese außerhalb der Ehe Sexualpraktiken ausleben wollen, die sie mit ih­rer Ehefrau* nicht ausüben können. Dies kann zum einen aktiver Fellatio6 und zum ande­ren passiver Analverkehr sein. Ein weiteres Motiv verheirateter Männer* ist der gesell­schaftliche Druck, unter dem sie es nicht schaffen, zu ihrer Homosexualität zu stehen und sie aufgrund dessen eine heterosexuelle Schein-Ehe7 führen. Ihre eigentlichen Bedürfnis­se und Wünsche, nämlich die sexuelle Interaktion mit gleichgeschlechtlichen Partnern, leben sie dann mit den Sexarbeitenden in der mann-männlichen Prostitution aus (vgl. ebd., S.107).

Dieses Doppelleben der Kund*innen erfordert eine hohe Anonymität und Diskretion, was dazu führt, dass die mann-männliche Prostitution hauptsächlich im öffentlichen und virtu­ellen Raum stattfindet, da die geforderte Anonymität im halböffentlichen Raum kaum ge­geben ist (vgl. Kapitel 4.). Vor allem bei queer-migrantischen Sexarbeitenden ist der Groß­teil der Kundinnen in einer heterosexuellen Beziehung. Dies lässt sich daraufzurückfüh­ren, dass viele Sexarbeitenden mit einem Migrationshintergrund aufgrund ihrer Kultur und des darin vorherrschenden Bild eines Mannes*, sich dementsprechende Verhaltenswei­sen aneignen, welche wiederum bei verheirateten Männern*, die nicht öffentlich zu ihrer bi- und/oder homosexuellen Neigung stehen, als besonders attraktiv empfunden werden (vgl. FINK/WERNER 2005, S.101L).

Männer* die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, sind ebenso ein Teil der Kundinnen. Meist sind Fetische8, die sie mit ihren Partnerinnen nicht ausleben können, oder der Wunsch nach Abwechslung Gründe dafür, dass sie Kundinnen in der mann­männlichen Prostitution sind (vgl. ebd., S.108f.).

Eine weitere Gruppe sind die pädophilen9 -Kund*innen. Diese Gruppe wird besonders groß eingeschätzt, da Sexarbeitende in der mann-männlichen Prostitution durchschnittlich im Alter von 15 Jahren mit der Prostitution beginnen und die Altersstruktur von 12-28 Jah­ren in der Szene der Prostitution reicht (vgl. FEHLBERG 2004, S. 24-28). Selbst Sexar­beitende im Alter von 9-14 Jahren tauchen immer wieder in der Stricherszene auf (vgl. FINK/WERNER 2005, S.69).

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Pädophile-Szene einen Großteil in der mann­männlichen Prostitution ausmacht und dazu beiträgt, dass pädophil veranlagte Kundin­nen ihre sexuellen Bedürfnisse in der Prostitutionsszene größtenteils anonym ausleben können, was eine strafrechtliche Verfolgung schwierig macht. Denn gemäß §176 Strafge­setzbuch, sind sexuelle Handlungen mit Kindern unter 14 Jahren mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

Wie in Kapitel 2.3 bereits erwähnt wurde, lässt sich die Prostitution als ein Tauschgeschäft zwischen Sexarbeitenden und Kundinnen ansehen. Das Tauschgeschäft hat ähnliche Merkmale, wie das einer Dienstleistung. Bei einer Dienstleistung regelt vor allem die Nachfrage, also die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der Kundinnen, die Ausge­staltung der mann-männlichen Prostitution. Diesbezüglich ist die Rolle der Kundinnen ebenso ein zentrales Merkmal in der sozialpädagogischen Arbeit mit queer-migrantischen Sexarbeitenden, wie die der Sexarbeitenden selbst und wird im 7. Kapitel vertieft aufge­führt.

2.4 Queer-migrantische Sexarbeit

Die Queer-migrantische Sexarbeit, welche in dieser Arbeit genauer betrachtet werden soll, bezieht sich somit auf alle Personen,

- die sich nicht mit dem Konzept der Heteronormativität identifizieren können, wie bei­spielsweise Trans*, inter- und bisexuelle und schwule,
- die einen Migrationshintergrund haben
- und der Sexarbeit in Form von mann-männlicher Prostitution nachgehen.

3. Rechtliche und politische Rahmungen

Die Prostitutionspolitik in Deutschland war lange Zeit durch christlich-konservative Werte geprägt, was dazu führte, dass über Sexualität geschwiegen wurde und somit in der Poli­tik kaum Debatten zum Thema Prostitution stattfanden. Prostitution war zwar legal, jedoch wurde es bis 2002 als sittenwidrig angesehen. Die Sittenwidrigkeit hatte zu Folge, dass sich sie Tätigkeit in einem nahezu rechtsfreien Rahmen bewegte und die Prostituierten keine Rechte besaßen vertragliche Vereinbarungen einzuklagen. Die Möglichkeit in die gesetzlichen Pflichtversicherungen durch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ein­zutreten, blieb den Sexarbeiterinnen ebenfalls aufgrund der Sittenwidrigkeit verwehrt. Das Werbeverbot und und die Sperrgebietsverordnung waren weitere Einschränkungen, mit denen Sexarbeiterinnen zu tun hatten. So war es ihnen untersagt, für sexuelle Dienstleistungen Werbung zu machen und diese an Orten auszuüben, an denen sich Minderjährige aufhalten könnten. (vgl. EUCHNER 2015, S.13f.)

Erst mit Beginn der HIV-Debatte in den 1980er Jahren wurde Sexarbeit in die politische Agenda aufgenommen. Im Zuge dessen gab es von Seiten der Linken und Grünen einige Empfehlungen bezüglich der sozialen und rechtlichen Situation von Sexarbeiterinnen, wie z.B. dass unauffällige Werbung keine strafrechtlichen Konsequenzen haben sollte. Auf alle Empfehlungen folgten letztendlich aber keine praktischen Umsetzungen. In den 1990er Jahren brachten Die Grünen und Die Linken weitere Gesetzentwürfe ein und for­derten zum einen, eine liberale und einheitliche Handhabung für Bordellbetreiber*innen und zum anderen, die Abschaffung der Sperrgebietsverordnung. Erst als die rot-grüne Koalition 1998 den Wahlsieg einfuhr und sich auch die SPD aktiv in die Prostitutionspolitik einbrachte und die Abschaffung der Sittenwidrigkeit forderte, gab es einen Umbruch. (vgl. ebd., S.14f.)

3.1 Prostitutionsgesetz

Die Empfehlungen und Gesetzesentwürfe der rot-grünen Koalition führten schließlich dazu, dass in Deutschland im Jahre 2002 das Prostitutionsgesetz (ProstG) in Kraft trat. Im Zuge dessen galt Prostitution nicht mehr als sittenwidrig und wurde gesetzlich als legitime Beschäftigung anerkannt (vgl. DODILLET 2006, S.32).

Das Gesetz, dass lediglich drei Paragraphen umfasste, sollte die Rechtsverhältnisse von Prostituierten regeln und zur Verbesserung derer sozialer Situation beitragen. Den Prosti­tuierten war es demnach mit in Kraft treten des Gesetzes möglich, gerichtlich gegen Kundinnen vorzugehen, wenn diese nicht den vereinbarten Preis für die beschlossenen Leistungen bezahlt hatten. Außerdem wurde es ihnen und Bordellbetreiberinnen ermög­licht, einen einseitig geregelten Arbeitsvertrag, zugunsten der Prostituierten abzuschlie­ßen, in dem aufgeführt wurde, dass ein Anspruch auf eine im Vorhinein geregelte Entloh­nung besteht. Dies ermöglichte einerseits, die Prostitution als eine sozialversicherungs­pflichtige Tätigkeit anzumelden und somit Anspruch für die gesetzlichen Pflichtversiche­rungen (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) zu erhalten. Andererseits gal­ten dadurch auch für alle Prostituierten die gesetzlich geltenden Arbeitnehmerinnenrech­te (Lohnfortzahlung, Urlaubsgeld,...) (vgl. BRÜKER2011, S.39).

Weitere Ziele, die die Bundesregierung mit diesem Gesetz erreichen wollte, waren die Er­leichterung von Ausstiegsmöglichkeiten von Prostituierten und das Zurückdrängen von kriminellen Machenschaften in der Prostitutionsszene, wie z.B. den Menschenhandel und die Zwangsprostitution (vgl. LÖW/RUHNE 2011, S.28).

3.2 Prostituiertenschutzgesetz

Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten und sollte Personen, die in der Prostitution tätig sind helfen, deren Situation in der Prostitutionssze­ne zu verbessern, sie vor Zwangsprostitution und Menschenhandel zu schützen und das Prostitutionsgewerbe regulieren.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zeigte in dessen Evaluationsbericht vom Jahre 2007, dass die Zielvorstellungen, welches das ProstG erreichen sollte, kaum erreicht wurden. Im Bericht wurde aufgezeigt, dass keine Verbesserungen im Bereich der Ausstiegschancen und Arbeitsbedingungen für Prostitu­ierte erreicht wurden und die Möglichkeit der sozialversicherungspflichtigen Anmeldung kaum genutzt wurde (vgl. BMFSFJ 2007, S.80). Im Zuge dessen, fand eine Umstrukturie­rung in der Prostitutionspolitik statt und das ProstSchG wurde unter der Führung der gro­ßen Koalition von CDU/CSU und SPD erarbeitet.

Das ProstSchG wird in 38 Paragraphen unterteilt und umfasst vor allem die Anmelde­pflicht für Prostituierte, die gesundheitliche Beratung und die Kondompflicht.

Der Anwendungsbereich des ProstSchG gilt gemäß §1 ProstSchG, für alle in der Prostitu­tion tätigen Personen über 18 Jahre. In §2 Abs.1 heißt es, „Eine sexuelle Dienstleistung ist eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer ande­ren unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer sexuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt. Keine sexuellen Dienstleistun­gen sind Vorführungen mit ausschließlich darstellerischem Charakter, bei denen keine weitere oder anwesende Person sexuell aktiv einbezogen ist.“

Die bereits genannte Anmeldepflicht und genauere Bestimmungen, was hierfür benötigt wird, regeln §§3-6. Nach der Anmeldung sind die Behörden, gemäß §7, dazu verpflichtet die Prostituierten hinsichtlich der gesetzlichen Grundlagen, weiteren Beratungsangeboten und steuerlichen Pflichten, ausführlich zu beraten. Die Behörde hat gemäß §8, die Pflicht dieses Beratungsgespräch in einem geschützten Rahmen anzubieten und gemäß §9, notwendige Maßnahmen einzuleiten, falls der Anschein besteht, dass die sich prostituie­rende Person in Hilflosigkeit, in einer Zwangslage oder wirtschaftlicher Notlage befindet. Die verpflichtende Teilnahme an einer gesundheitlichen Beratung, in der die Prostituierten über Krankheitsverhütung und Drogen- bzw. Alkoholgebrauch aufgeklärt werden, wird in §10 geregelt. Gemäß §11 können den Prostituierten Fristen auferlegt werden, falls not­wendige Bescheinigungen, Beratungsgespräche, u.a. anfällig werden.

Der dritte Abschnitt des ProstSchG regelt gemäß §§12-23 Pflichten und Anforderungen für den Betrieb eines Prostitutionsgewerbes, auf welche in dieser Arbeit nicht genauer einge­gangen wird. Genauso wie auf den vierten Abschnitt, der gemäß §§24-28 die Pflichten der Betreiberinnen eines Prostitutionsgewerbes aufführt.

Im fünften Abschnitt geht es gemäß §§29-31, um die Überwachung seitens der Behörden, die dadurch befugt werden, Unterlagen und Gewerberäume zu kontrollieren und Perso­nenkontrollen durchzuführen.

Verbote und Bußgeldvorschriften werden im sechsten Abschnitt des ProstSchG näher er­läutert. Hierbei wird gemäß §§32-33a auf die bereits erwähnte Kondompflicht, auf das Werbeverbot und weitere Bußgeldvorschriften hingewiesen.

Der siebte und achte Abschnitt weisen auf die Datenverarbeitung, den Datenschutz und die Evaluation hin, auf die in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden muss.

3.3 Infektionsschutzgesetz

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG), welches im Jahr 2011 in Kraft trat, hat gemäß §1 IfSG den Zweck, übertragbaren Krankheiten vorzubeugen, frühzeitig Infektionen zu erkennen und deren Verbreitung zu verhindern. In Bezug auf queer-migrantische Sexarbeit spielt dies bei sexuell übertragbaren Krankheiten eine Rolle und wird aus diesem Grund näher ausgeführt.

Das Gesetz sieht es als Aufgabe von öffentlichen Einrichtungen, durch präventive Ange­bote, Untersuchungen und Behandlungen, möglichen Krankheiten und Infektionen entge­genzuwirken.

Vor allem sollen gemäß §19 IfSG, schwer erreichbare Personengruppen, durch aufsu­chende Arbeit erreicht werden. Unter diese Personengruppen fallen u.a. die in dieser Ar­beit thematisierten queer-migrantischen Sexarbeiter*innen.

Für die Gesundheitsämter bedeutet dies explizit, dass sie Tests und Untersuchungen zu sexuell übertragbaren Krankheiten, anonym und kostenlos anbieten und eine aufsuchen­de Arbeit leisten müssen, um dadurch zur Information und Aufklärung dieser Krankheiten beizutragen.

Bei Prostituierten geht das Gesetz gemäß §6 von 15 meldepflichtigen Krankheiten aus, die namentlich und selbst bei reinem Verdacht an die zuständige Behörde gemeldet wer­den müssen. Darunter fallen u.a., akute Virushepatitis und Tuberkulose, hierbei muss eine namentliche Meldung innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Im Gegensatz dazu sind Infek­tionen mit HIV und Syphilis nicht namentlich und innerhalb von zwei Wochen zu melden (vgl. FINK/WERNER 2005, S.188ff.).

3.4 Rechtlicher Rahmen der queer-migrantischen Sexar­beit

Die queer-migrantischen Sexarbeiter, und somit auch die mann-männliche Prostitution, werden im ProstG außer Acht gelassen. Im ProstG wird zwar von Prostituierten gespro­chen und somit Frauen als auch Männer, die in der Prostitution tätig sind miteingeschlos­sen, jedoch wird in den Begründungen des Gesetzes explizit nur auf weibliche Prostituier­te eingegangen. Dies verdeutlicht, dass mann-männliche Prostitution kaum Anerkennung findet und es sich als schwierig erachtet, diese überhaupt zu erwähnen. (vgl. FINK/WER­NER 2005, S.170)

Erst durch in Kraft treten des ProstSchG wurden sowohl Frauen als auch Männer explizit angesprochen. Hier gilt es aber zu erwähnen, dass das Gesetz von einer „sexuellen Dienstleistung“ ausgeht, die erbracht wird. Somit profitieren nur Callboys von diesem Ge­setz, die ihre Tätigkeit professionell ausüben und als Dienstleistung ansehen.

Die Sexarbeiterinnen, welche in der Prostitution tätig sind und diese nicht als Dienstleis­tung verstehen, sind vom ProstSchG somit ausgeschlossen. (vgl. Kapitel 2.3.1)

Für Migrantinnen gestaltet sich die Situation durch das ProstSchG noch schwieriger, da Prostitution nun als Erwerbstätigkeit anerkannt wurde. Dies hat zur Folge, dass queer-mi- grantische Sexarbeiter, je nach Aufenthaltsstaus, einer illegalen Erwerbstätigkeit nachge­hen, was zu einer Abschiebung führen könnte. Der Anteil von Migrantinnen, die in der Prostitution ohne Arbeitserlaubnis tätig sind, ist sehr hoch und lässt sie aufgrund der Le­galisierung dieser Tätigkeit, nicht vom ProstSchG profitieren. (vgl. FINK/WERNER 2005, S. 181)

Weitere Merkmale die aufzeigen, dass Cis-Männer und queere Sexarbeitende nicht im ProstSchG miteingeschlossen wurden, sind zum einen der auf institutioneller Ebene lie­gende Fokus von Prostitution, der somit an der realen Szene der mann-männlichen Pro- stitution, die hauptsächlich an öffentlichen Orten stattfindet, vorbei geht. Zum anderen wird im ProstSchG nur die bereits genannte Kondompflicht erwähnt, andere Maßnahmen, die für queere Sexarbeitende zum Schutz dienen, wie Lecktuch und PrEP10, werden nicht genannt. (vgl. FIXEMER 2020, S.226)

4. Orte und Erscheinungsformen der Sexarbeit von Cis-Männern und queer-refugees

Die Szene der mann-männlichen Prostitution, in der sowohl Cis-Männer, als auch queer­refugees tätig sind, wird in reale und virtuelle Szene unterschieden. Zur realen Szene ge­hört der öffentliche und der halböffentliche Raum, dabei sind sowohl die Sexarbeitenden als auch die Kundinnen körperlich anwesend und es besteht die Möglichkeit persönlich in Kontakt zu treten {vgl. FINK/WERNER 2005, S.130). Die Kontaktaufnahme erfolgt meist durch eine nonverbale Kommunikation zwischen den Sexarbeitenden und den Kundin­nen und beide Seiten sind darauf bedacht, von der Öffentlichkeit nicht als diese erkannt zu werden (vgl. FEHLBERG 2004, S.29).

In der virtuellen Szene ist die direkte Kontaktaufnahme nicht möglich, die Sexarbeitenden und die Kundinnen treten zunächst durch das gemeinsame Chatten erstmals in Kontakt. Die virtuelle Szene hat vor allem in den letzten Jahren deutlich zugenommen und er­schwert die präventive Arbeit der Sozialarbeiterinnen, denn es besteht nicht die Möglich­keit, wie in der realen Szene der mann-männlichen Prostitution, die Sexarbeitenden vor Ort anzusprechen , um mit ihnen in Kontakt zu treten und präventive Sozialarbeit leisten zu können (vgl. FINK/WERNER 2005, S.130).

4.1 Prostitution in öffentlichen Räumen

Die mann-männliche Prostitution spielt sich am Häufigsten in öffentlichen Räumen ab. Besonders an Bahnhöfen und im Gebiet um diesen herum ist die Szene vielfältig vertre­ten. Es lässt sich feststellen, dass in diesem Bereich vor allem die jüngeren Sexarbeiten­den das erste Mal mit der Prostitution in Kontakt kommen, da Bahnhöfe meist die ersten Anlaufpunkte für Jugendliche sind, die von zu Hause abhauen und nicht wissen wohin sie gehen sollen. Des Weiteren ist dies ein beliebter Ort, da sich sowohl tagsüber als auch nachts viele Menschen rund um den Bahnhof aufhalten und die Sexarbeitenden somit kaum auffallen und dadurch diskret und unauffällig der Prostitution nach gehen können (vgl. FINK/WERNER 2005, S.141). Bahnhöfe sind jedoch auch Orte, an denen häufig Gewalt vorkommt und die Sexarbeitenden somit kein geschütztes Umfeld und keinen Schutz vor gewaltbereiten Kundinnen haben. Aufgrund des erhöhtem Gewaltaufkom­mens an Bahnhöfen und zur Vermeidung, dass diese ein Ort der Prostitution sind, wirken die Städte und Gemeinden durch den Einsatz von Sicherheitskräften und vermehrten Kontrollen dagegen. Dies hat meist zur Folge, dass die Sexarbeitenden Hausverbote, welche sie nicht einhalten, erhalten und dadurch straffällig werden (vgl. ebd., S.142ff.).

Raststätten und Parkanlagen zählen ebenfalls zu öffentlichen Räumen, an denen mann­männliche Prostitution stattfindet. Hierbei mischt sich die Szene der Prostitution mit der Cruisingszene11. Die Prostitution läuft ebenfalls sehr diskret ab, da sich die Sexarbeiten­den, die Kundinnen und die Cruiser*innen12 nicht voneinander unterscheiden lassen und besonders an Raststätten auch viele Auto- und LKW-Fahrer unterwegs sind und sich dort aufhalten. In den Parkanlagen sieht es ähnlich aus und die Kontaktaufnahme der Sexar­beitenden und Kundinnen erfolgt meist sehr diskret und anonym und lässt sich nicht von den anderen Interaktionen, der Cruiser*innen, unterscheiden (vgl. ebd., S.144f.).

Ein Weiterer Ort an dem die Prostitution im öffentlichen Raum statt findet, ist an soge­nannten Klappen13. Diese sind vor allem für schnellen und unkomplizierten Sex in der Szene bekannt. Die Prostitution findet dort ebenfalls anonym und diskret statt und die Verständigung untereinander erfolgt hauptsächlich nonverbal, da an diesen Orten Ge­spräche als Störung empfunden werden. An den Klappen findet man meist minderjährige Sexarbeitende, da diese aufgrund ihres Alters keinen Zutritt in Kneipen o.a. Lokalitäten erhalten. Außerdem sind an diesen Plätzen auch häufig ältere oder drogenabhängige Sexarbeitende, welche aufgrund ihres hohen Alters oder ihres Drogenkonsums nicht ger­ne in den Kneipen und anderen Lokalitäten gesehen werden, da viele Kundinnen die sich überwiegend dort aufhalten an jüngeren bzw. nicht Drogenabhängigen Sexarbeiter*innen interessiert sind (vgl. ebd., S.145f.).

[...]


1 Lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, intersexuell, queer, pansexuell und asexuell/aromantisch. Der Gender- Stern steht für eine kategorische Unabgeschlossenheit von IdentitätsKonstruktionen.

2 mehrdimensionale Diskriminierungserfahrungen.

3 Person, der bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewesen wurde und die sich als Mann identifiziert.

4 Menschen, die sich mit dem Geschlecht, dass ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, identifizieren.

5 so werden Männer* genannt, die bewusst sexuelle Dienstleistungen anbieten.

6 eine Sexualpraktik, bei der das Geschlechtsteil des Gegenübers mit dem Mund (oral) befriedigt wird.

7 Eheschließung, die in diesem Kontext von der queeren Identität ablenken soll.

8 sexuelle Vorlieben.

9 primäres sexuelles Interesse an Kindern vor Erreichen der Pubertät.

10 Prä-Expositions-Prophylaxe, ist ein Medikament, dass vor einer Ansteckung mit HIV schützen kann.

11 Szene, in der queere Personen auf spontanen und anonymen Sex aus sind und diesen meist an öffentli­chen Plätzen suchen.

12 so werden die Personen genannt, die auf anonymen und spontanem Sex an öffentlichen Orten aus sind.

13 sind öffentliche Toiletten, die meist von queeren Personen aufgesucht werden, um schnellen, unkomplizier­ten und anonymen Sex zu haben.

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Queer-migrantische Sexarbeit und Soziale Arbeit. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit aus einer lebensweltorientierten Sicht leisten, um queeren Sexarbeitern einen besseren Alltag zu ermöglichen?
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart
Note
1,8
Autor
Jahr
2021
Seiten
66
Katalognummer
V1033784
ISBN (eBook)
9783346485014
ISBN (Buch)
9783346485021
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
16,99 € als Preis für den Download
Schlagworte
Queer; Sexarbeit; Soziale Arbeit; Prostitution; Sex; Schwul; Homosexuell; Prostitution; queer; Migration
Arbeit zitieren
Jonathan Batsching (Autor:in), 2021, Queer-migrantische Sexarbeit und Soziale Arbeit. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit aus einer lebensweltorientierten Sicht leisten, um queeren Sexarbeitern einen besseren Alltag zu ermöglichen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033784

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Queer-migrantische Sexarbeit und Soziale Arbeit. Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit aus einer lebensweltorientierten Sicht leisten, um queeren Sexarbeitern einen besseren Alltag zu ermöglichen?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden