Diese Arbeit geht am Beispiel ausgewählter Lernstrategien zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb der Frage nach, ob diese kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Der Begriff kognitionswissenschaftlich wird in der vorliegenden Arbeit – wenn aufgrund inhaltlicher Überschneidungen und Bezüge nicht weiter differenziert werden kann – zusammenfassend für folgende Forschungsrichtungen verwendet: Psychologie, Linguistik, Neurowissenschaften sowie deren Teildisziplinen Psycholinguistik, Kognitionspsychologie, Lernpsychologie, Neurolinguistik und angewandte Linguistik.
Darüber hinaus wird mit den Kognitionswissenschaften ebenfalls ein eigen-ständiger interdisziplinärer Wissenschaftszweig bezeichnet, der außerdem die Informatik, Anthropologie, Philosophie und Soziologie umfasst, hier aber nicht gemeint ist.
Im folgenden Kapitel erfolgt zunächst ein Aufriss zentraler fremdsprachendidaktischer Publikationen über Lernstrategien zum Wortschatzerwerb, der auch den aktuellen Forschungsstand berücksichtigt. Daraufhin wird im dritten Kapitel ein Überblick zu wesentlichen kognitiven Speicherungsmechanismen beim Wortschatzerwerb auf Basis kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse gegeben.
Anschließend werden im vierten Kapitel konzeptuelle Grundlagen von Lernstrategien konkretisiert. Diese beinhalten in Kapitel 4.1. zunächst eine nähere Begriffsbestimmung. In Kapitel 4.2. wird darauffolgend anhand eines Vergleichs zweier Taxonomien von Lernstrategien ein Klassifikationsversuch unternommen. Aus den in Kapitel 3. dargelegten kognitionswissenschaftlichen Forschungserkenntnissen werden in Kapitel 4.3. speicherdienliche Kriterien für den Wortschatzerwerb abgeleitet. Diese werden in Form eines Kriterienkatalogs zur Überprüfung der Effizienz lexikalischer Lernstrategien zusammen-gestellt. Abschließend werden im fünften Kapitel drei Lernstrategien zum Wortschatzerwerb im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit den Forschungserkenntnissen exemplarisch untersucht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Fremdsprachendidaktischer Forschungsstand zu Lernstrategien fur den fremdsprachlichen Wortschatzerwerb
3. Mentale Prozesse: Kognitionswissenschaftliche Grundlagen der Sprachverarbeitung sowie des Spracherwerbs
3.1. Die Funktionsweise der Hemispharen des menschlichen Gehirns
3.2. Das Gedachtnis: Die Fahigkeit der Informationsspeicherung
3.3. Kognitive Speichertheorien
3.3.1. Die Mehrspeichertheorie
3.3.2. Die Theorie der Verarbeitungstiefe
3.3.3. Die Theorie der dualen Kodierung
3.4. Das mentale Lexikon
3.4.1. Die Architektur und Funktionsweise des einsprachigen men- talen Lexikons
3.4.2. Das mehrsprachige mentale Lexikon
4. Lernstrategien zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb: Kon- zeptuelle Grundlagen
4.1. Begriffsbestimmung
4.2. Klassifikationsmoglichkeiten von kognitiven Lernstrategien zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb
4.3. Kriterienkatalog zur Uberprufung der Effizienz lexikalischer Lernstrategien auf der Basis kognitionswissenschaftlicher Erkenntnis- se
5. Eine Untersuchung ausgewahlter Lernstrategien zum Wortschatz erwerb
5.1. Schlusselwortmethode
5.2. Lernen mit Bewegung
5.3. Worternetze
6. Fazit
7. Anhang
7.1. Anhang 1 Taxonomie Christiane Neveling
7.2. Anhang 2 Taxonomie Helga Haudeck
7.3. Anhang 3 Kriterienkatalog
7.4. Anhang 4 Kriterienkatalog Schlusselwortmethode
7.5. Anhang 5 Kriterienkatalog Lernen mit Bewegung
7.6. Anhang 6 Kriterienkatalog Worternetze
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Wortschatz bildet die Basis unserer Kommunikation (vgl. Neveling 2004: 11). Die lamentablen Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb (z. B. De Florio-Hansen 2004; Burgel/Siepmann 2010, 2016; Plottner 2017) zeigen, dass erfolgreiches Lernen und Behalten von Wortschatz aber (immer noch) eine durchaus aktuelle Herausforderung im Bereich des Sprachenlernens darstellt (vgl. Poletti 2000: 4). Wenn man nun bedenkt, dass sich Sprache insbesondere durch kommunikatives Handeln auszeichnet, sollte der Blick in Bezug auf das Fremdsprachenlernen umso verstarkter auf den Wortschatzerwerb gelenkt werden.
Nicht zuletzt zeigen auch die mannigfaltigen didaktischen Uberlegungen und methodischen Ansatze in der Literatur dazu, dass die lexikali- sche Kompetenz ein fundamentales unverzichtbares Element fur den Fremdsprachenerwerb darstellt (z. B. Haudeck 2008: 13; Teymoortash 2010: 82). Fur ein systematisches Vorgehen stellt der gezielte Einsatz von Lernstrategien eine unterstutzende MaRnahme dar. Daruber hinaus forded die Fremdsprachendidaktik diesbezuglich ausdrucklich:
Die individuelle Auseinandersetzung mit Lernstrategien und Lerntechniken sollte durch eine entsprechende Thematisierung im Fremdsprachenunterricht erganzt und bereichert werden. Dabei sollten vor allem Problembereiche und ihre Losungsmoglichkeiten im Vordergrund stehen. (Haudeck 2008: 361 f)
Allerdings scheinen die aus den Forschungserkenntnissen abgeleiteten Handlungsempfehlungen im Unterricht selten umgesetzt und genugend angewandt zu werden (vgl. Siepmann/Burgel 2016: 8). Insbesondere auch personliche Erfahrungen aus der Praxis, wie etwa die vermehrt auftre- tenden Fragen nach konkreten Tipps fur einen gelingenden Wortschatzerwerb von Seiten der Schuler*innen wahrend meiner Fremdsprachenassis- tenz, bestatigen diese Vermutung. Diese geben an dieser Stelle bereits einen geeigneten Anlass, sich forschungsbasiert und kritisch mit dem Potenzial sowie den Grenzen von Lernstrategien zur Aneignung von fremdsprachlichem Wortschatz auseinanderzusetzen.
Sowohl inner- als auch aufterunterrichtlich erfordert ein erfolgrei- cher Wortschatzerwerb vom Lernenden den kontinuierlichen Gebrauch der neu erworbenen lexikalischen Einheiten. AuRerdem ist Spracherwerb - wie Lernprozesse im Allgemeinen - ein individueller sowie hoch kom- plexer Vorgang. Um diesen Attributen gerecht zu werden und damit einen effektiven Lernfortschritt sicherzustellen, gilt es u. a. ein moglichst vielfal- tiges Lernangebot zu schaffen. Idealiter enthalt dieses neben der sorgfal- tigen Auswahl inhaltlicher Aspekte auch insbesondere ein Repertoire an lexikalischen Lernstrategien, urn den Lernprozess bedarfsgerecht und methodisch zu unterstutzen, sowie dabei die Autonomie der Schuler*innen zu fordern. Fur eine gezielte Anwendung der Lernstrategien muss aber zunachst deutlich werden, auf welchen kognitiven Mechanismen Spracherwerb und somit auch fremdsprachlicher Wortschatzerwerb beruht und wann warum welche Lernstrategien folglich infrage kommen. Es liegt nahe, diese so zu gestalten, dass die entsprechend beteiligten kognitiven Wortschatzerwerbs- und Erweiterungsprozesse moglichst reibungslos und nachhaltig ablaufen konnen. Fur einen bewussten und gleichermaften sinnvollen Einsatz der Lernstrategien sollte dabei primar deren Wirksam- keit geklart sein. Eine Untersuchung von Wortschatzerwerbsstrategien, die sowohl im Hinblick darauf als auch auf der Basis theoretischer For- schungserkenntnisse kritisch durchleuchtet werden, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch aus.
Aus den genannten Aspekten sowie der bisherigen Forschungslage ergibt sich der Schwerpunkt fur die vorliegende Arbeit: Diese geht am Beispiel ausgewahlter Lernstrategien zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb der Frage nach, ob diese kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen ent- sprechen. Der Begriff kognitionswissenschaftlich wird in der vorliegenden Arbeit - wenn aufgrund inhaltlicher Uberschneidungen und Bezuge nicht weiter differenziert werden kann - zusammenfassend fur folgende For- schungsrichtungen verwendet: Psychologie, Linguistik, Neurowissen- schaften sowie deren Teildisziplinen Psycholinguistik, Kognitionspsycho- logie, Lernpsychologie, Neurolinguistik und angewandte Linguistik. Dar- uber hinaus wird mit den Kognitionswissenschaften ebenfalls ein eigen- standiger interdisziplinarer Wissenschaftszweig bezeichnet, der aufterdem die Informatik, Anthropologie, Philosophie und Soziologie umfasst, hier aber nicht gemeint ist.
Im folgenden Kapitel erfolgt zunachst ein Aufriss zentraler fremd- sprachendidaktischer Publikationen uber Lernstrategien zum Wortschatzerwerb, der auch den aktuellen Forschungsstand berucksichtigt. Daraufhin wird im dritten Kapitel ein Uberblick zu wesentlichen kognitiven Speiche- rungsmechanismen beim Wortschatzerwerb auf Basis kognitionswissen- schaftlicher Erkenntnisse gegeben. AnschlieRend werden im vierten Kapitel konzeptuelle Grundlagen von Lernstrategien konkretisiert. Diese beinhalten in Kapitel 4.1. zunachst eine nahere Begriffsbestimmung. In Kapitel 4.2. wird darauffolgend anhand eines Vergleichs zweier Taxono- mien von Lernstrategien ein Klassifikationsversuch unternommen. Aus den in Kapitel 3. dargelegten kognitionswissenschaftlichen Forschungser- kenntnissen werden in Kapitel 4.3. speicherdienliche Kriterien fur den Wortschatzerwerb abgeleitet. Diese werden in Form eines Kriterienkata- logs zur Uberprufung der Effizienz lexikalischer Lernstrategien zusammen- gestellt. AbschlieRend werden im funften Kapitel drei Lernstrategien zum Wortschatzerwerb im Hinblick auf ihre Kompatibilitat mit den Forschungs- erkenntnissen exemplarisch untersucht.
Aus den Untersuchungsergebnissen konnen anschlieftend Konse- quenzen fur die Praxis gezogen, diesbezugliche Herausforderungen auf- gezeigt und weitere Forschungsdesiderate entwickelt werden.
2. Fremdsprachendidaktischer Forschungsstand zu Lernstrategien fur den fremdsprachlichen Wortschatzerwerb
In der Fremdsprachenforschung wurde dem Themenfeld Wortschatz zugunsten der Grammatikforschung bis in die fruhen 1980er Jahre zunachst wenig Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Stork 2003: 10). Erst im Zuge der Beschaftigung interdisziplinarer kognitiver Wissenschaften, wie etwa der Psychologie, Neurowissenschaften Oder Linguistik, mit den Wissens- und Reprasentationsformen sprachlicher Phanomene und ihren AuRerungsformen, wurde der Blick verstarkt auf den Bereich Wortschatz gelenkt (vgl. Neveling 2004: 12). Auf der Basis der sich diesbezuglich mehrenden Erkenntnisse scheint das Forschungsinteresse an der Lexik stetig zu wachsen. Dieser Paradigmenwechsel wird von Hausmann (1987) mit der sogenannten „Wortschatzwende“ begrifflich bestimmt. Inhaltlich stellt er in seinem Forschungsbeitrag die Ergebnisse mehrerer Lehr- werksanalysen vor, die von ihm im Hinblick auf die Wortschatzvermittlung untersucht wurden. Er bemerkt dabei, dass dieser lange vernachlassigte Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts nun wieder mehr in den Fokus geruckt worden ist. Und fordert gleichzeitig eine vermehrte Integration von rezeptivem Wortschatz in die Lehrbucher. Bahns (1997) identifiziert die Wortschatzwende in seiner Monographie zu Kollokationen und Wort- schatzarbeit im Englischunterricht anhand folgender Anhaltspunkte: Zum einen besteht zu diesem Zeitpunkt eine grower werdende sowie bessere Auswahl an Worterbuchern fur den Fremdsprachenunterricht. Zum ande- ren wachst das Angebot an ubungsbezogenen Lehrmitteln. AuRerdem ist ein deutlicher Anstieg an Veroffentlichungen zu verzeichnen, die sich alle- samt mit dem Erwerb von Wortschatz befassen (vgl. Bahns 1997: 2 ff).
Fur das vorliegende Forschungsanliegen ist in Anbetracht dessen auch der Sammelband Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht (Bausch/Christ/Konigs/Krumm 1995) interessant. Ins- besondere die Beitrage von Klippel, Konigs, Scherfer und Schiffler ent- halten Uberlegungen zu lernpsychologischen Erkenntnissen und daraus hervorgehenden Folgerungen fur den Wortschatzerwerb. Die Autor*innen beziehen allesamt den Einsatz von Lernstrategien in ihre Uberlegungen mit ein. Bspw. betont Konigs u. a. die Bedeutung einer Jernerspezifischen und auch unterrichtsinduzierte[n] Pluralitat" (Konigs 1995: 115) im Hinblick auf den Wortschatzerwerb und belegt diese anhand eigener Untersuchungen mit Lernenden im Grundkurs Spanisch. Diese Aussage weist hier bereits auf die dringende Notwendigkeit hin, vielfaltige strategische Kon- zepte zum Wortschatzerwerb ins Blickfeld fremdsprachendidaktischer Uberlegungen zu rucken und deren Potenziale zu untersuchen. Ebenfalls gibt Konigs einen Uberblick uber die unterschiedlichen Forschungsrich- tungen, aus denen der Wortschatz und Wortschatzerwerb untersucht worden ist und fasst die daraus hervorgegangenen wesentlichen Erkennt- nisse zusammen. Die Bezugswissenschaften sowohl der Psycholinguistik, Lernpsychologie, als auch der angewandten Linguistik sowie der Sprach- lehrforschung beschaftigen sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Erfor- schung von Spracherwerbsprozessen (vgl. Konigs 1995: 108).
AuRerdem wirft Quetz in seinem Positionspapier, das ebenfalls Teil des Sammelbands ist, grundlegende Fragestellungen auf, die eine Inspira- tionsquelle fur weitere Forschungsfelder darstellt. Bspw. regt er Untersuchungen hinsichtlich einer optimalen Verarbeitungstiefe von neuem Wortschatz, unterschiedlichen Vernetzungsmoglichkeiten und einer diesbezug- lichen Nutzbarmachung der LI Oder auch multi-sensorischen Lernme- thoden an (Quetz 1995: 144). Daruber hinaus zielen seine aufgeworfenen Fragen auf den Einsatz potenzieller Lerntechniken und MaRnahmen zum Wortschatzerwerb innerhalb wie auch aufterhalb des Klassenzimmers ab.
Es lasst sich beobachten, dass diese Aspekte zukunftig fur die Fremdsprachendidaktik gelungene Anhaltspunkte bzw. Forschungsdesi- derate in Bezug auf erfolgreichen Wortschatzerwerb ergeben haben: Speziell empirische Studien der lexikalisch basierten Strategieforschung widmen sich in den folgenden Jahren diesen Teilgebieten der Forschung und nahern sich u. a. der Beantwortung dieser Fragen an.
In den Zeitraum der 1990er Jahre fallen ebenfalls die Veroffentli- chungen Wortschatz und Fremdsprachenerwerb (1993) sowie Kognitive Linguistik und Fremdsprachenerwerb. Das mentale Lexikon (1994) von Borner/Vogel. Es finden sich auch immer mehr Aufsatze in Fachzeit- schriften (z. B. ARbeck 1990; Kielhofer 1994; Klippel 1995; Bahns 1997), die den Diskurs erweitern bzw. fortfuhren. ARbeck beschaftigt sich in seinem Artikel u. a. mit den Moglichkeiten, die die Erkenntnisse der Gedachtnispsychologie fur den Wortschatzerwerb darstellen (ARbeck 1990). Kielhofer hingegen nimmt uber die Darstellung kognitiver Speiche- rungsprozesse hinaus gehend, einen Vergleich zwischen LI- und L2-Er- werb vor (Kielhofer: 1994). AuRerdem formuliert er die Forderung, Wortbil- dungsphanomenen im Fremdsprachenunterricht mehr Raum zu geben und pladiert bereits fruh fur die Vermittlung von Wortschatz in Form von Sachnetzen (vgl. ebd.: 212). Auch Klippel spricht sich in ihrem Beitrag Worternetze (Klippel 1995: 101-107), der im Zuge des bereits genannten Sammelbands erschienen ist, neben der Befurwortung von individualisie- renden Verfahrensweisen im Hinblick auf den Wortschatzerwerb fur ver- netztes Lernen aus (vgl. Klippel 1995: 103 f). Allerdings zielen ihre Darle- gungen weniger auf konkrete Verfahrensweisen zum Wortschatzerwerb ab, sondern weisen vielmehr auf die essenzielle Aufgabe des Fremd- sprachenunterrichts hin, den Lernenden „generell Hilfen und Techniken fur das lebenslange und selbstandige Weiterlernen zu geben" (Klippel 1995: 103 f). Fur sie zahlt dazu, vernetztes Lernen als multisensorischen Lern- prozess zu gestalten, der die Aneignung neuer lexikalischer Einheiten mithilfe unterschiedlicher Sinneseindrucke beinhaltet.
Der konkreten und ausfuhrlichen Beschaftigung mit dem fremd- sprachlichen Wortschatzerwerb anhand von Worternetzen widmet sich Neveling. In ihrer Monografie Worterlernen mit Worternetzen (2004) greift sie die Forschungserkenntnisse uber mentale assoziative Netzwerkstruk- turen auf und untersucht den Einsatz der lexikalischen Lernstrategie Wor- ternetze empirisch. Im Fokus der Studie steht die Frage, wie Franzosisch- schuler*innen unter Anleitung mit dieser Strategie Worter lernen (Neveling 2004: 13). Die Untersuchungen zeigen interessante Wege auf, fremd- sprachliche lexikalische Einheiten mithilfe von Worternetzen wirksam zu speichern (vgl. ebd.: 342). Neveling gelingt anhand ihrer Studie der erste methodische Nachweis zum langfristigen Speichern von Wortschatz (vgl. ebd.: 345).
Im Zusammenhang damit lasst sich eine wachsende Anzahl an weiteren empirischen Forschungsprojekten zu Wortschatzvermittlungs- konzepten im deutschsprachigen Raum feststellen (z. B. Stork 2003; Muller-Lance 2003; Ender 2007; Vinzentius 2007; Haudeck 2008; Runte 2015). Im Mittelpunkt dieser Arbeiten stehen jeweils Untersuchungen im Hinblick auf Auswirkungen lexikalisch basierter Lernstrategien, deren zentrale Forschungsinhalte im Folgenden kurz erlautert werden:
Im Gegensatz zu Neveling befasst sich Stork in ihrer verglei- chenden Untersuchung Vokabellernen (2003) mit dem selbst gesteuerten Lernen von fremdsprachlichem Wortschatz. Sie uberpruft dafur - ebenfalls anhand eines Experiments - inwiefern der Einsatz bestimmter Vokabel- lernstrategien von individuellen Einflussfaktoren abhangt, Oder ob es uber- individuelle Unterschiede in Bezug auf deren Effizienz gibt (Stork 2003: 12). Die Auswahl beinhaltet 1. die Fixierung von Vokabeln, 2. das Aus- wendiglernen, 3. die Visualisierung der Wortbedeutung, 4. Schlusselwort- methode, 5. Ausfuhrungen von Bewegungen. Die Auswertung ergibt u. a., dass die Schlusselwortmethode gegenuber den anderen Vokabellernstra- tegien signifikant bessere Behaltensleistungen zeigt (Stork 2003: 168). Aus diesen und weiteren detaillierten Forschungsergebnissen leitet Stork methodologische, forschungsbezogene und didaktische Konsequenzen fur das Vokabellernen ab (Stork: 168 ff).
Gleichzeitig gibt sie in ihrer Arbeit sowohl einen ausfuhrlichen Forschungs- uberblick zum Vokabellernen als auch detaillierte Ausfuhrungen zu Spracherwerbsprozessen. AuRerdem wertet sie Erkenntnisse der Lern- strategieforschung fur das Vokabellernen aus.
Zeitgleich wie Stork publiziert Muller-Lance (2003) eine Studie zum Wortschatzerwerb romanischer Sprachen als Tertiarsprachen. Er unter- sucht dabei den Einsatz von Lernstrategien von Studierenden am Beispiel des Spanischen, Italienischen und Katalanischen. Es wird dargelegt, inwiefern mehrere affine Sprachen nebeneinander mental verarbeitet werden (Muller-Lance 2003: 441). Anhand seiner Forschungsergebnisse leitet er des Weiteren den wesentlichen Kritikpunkt gegenuber dem Fremdsprachenunterricht ab, dass der Vermittlungsansatz der L3 bzw. L4 der gleiche sei, wie derjenige der L2 (Muller-Lance 2003: 462 f). In der Tat stellt sich dabei die Frage, warum sich dieser Erkenntnisse scheinbar (immer noch) nicht ausreichend nutzbar gemacht wird. Die empirisch belegten Zusammenhange sind sowohl plausibel als auch naheliegend. Dennoch werden sie aber bislang nicht - zumindest entspricht diese Annahme meiner subjektiven Beobachtung - ausreichend Oder uberhaupt im Klassenzimmer umgesetzt.
Eine weitere Monographie aus diesem Forschungsfeld stammt von Ender (2007), die sich im Hinblick auf ihren Fokus an Muller-Lance anschlieftt: Sie setzt darin ebenfalls den Schwerpunkt auf die Mehrspra- chigkeit und bezieht diese in ihre Untersuchungen zum Wortschatzerwerb und Strategieeinsatz von Franzosischlernenden ein (Ender 2007: 52-57). Die polyglotte Komponente zeigt sich hier anhand der langjahrigen und breiten Sprachlernbiografien der Untersuchten. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Verstehensprozesse und beteiligte Strategien zum (beilaufigen) Wortschatzerwerb und die Frage nach den Manifestationen von Mehrspra- chigkeit der Lernenden wahrend des Strategieeinsatzes (Ender 2007: 85 f). AuRerdem erforscht sie, welchen Bedingungen die Aufnahme und Speicherung von neuem Wortschatz in das multilinguale mentale Lexikon unterliegt. Aus den Forschungsbefunden lassen sich positive Effekte der Mehrsprachigkeit in Bezug auf den Wortschatzerwerb ableiten. Diese weisen daruber hinaus auf das Potenzial und die Bedeutung einer bewusst eingesetzten Strategieverwendung hin (Ender 2007: 201 f).
Fur das Erkenntnisinteresse seiner Arbeit stellt sich Vinzentius die Frage nach der Wirkung von Musik zur langfristigen Wortschatzspeiche- rung im Englischunterricht der Grundschule (vgl. Vinzentius 2007: 13). Er uberpruft dafur empirisch die Effektivitat didaktischer Vorgehensweisen mithilfe von Pop- und Rap-Songs in der Unterrichtspraxis.
Der Frage, wie Schuler*innen Lernstrategien zum Wortschatzer- werb autonom auch aufterhalb des Unterrichts einsetzen, geht Haudeck (2008) in ihrer qualitativen Studie nach. Die Untersuchung beabsichtigt, differenzierte Einblicke in individuelle Lernprozesse von Lernenden der Klassenstufen 5 und 8 im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht zu bekommen. Mithilfe der Auswertung von Schuler*innenportraits, die auf Audio-Tagebuchern sowie Interviews basieren, gelingt es Haudeck, wich- tige Folgerungen fur die Fremdsprachendidaktik zu ziehen: Zum einen sollte das Bewusstsein von Schuler*innen sowie Lehrkraften fur Wort- schatzlernen gestarkt werden, zum anderen sollten Lernstrategien im Unterricht und daruber hinaus verstarkt thematisiert werden (vgl. Haudeck 2008: 362). Insbesondere das Wissen urn die Ursprunge bzw. die Wir- kungsmechanismen von Lernstrategien und deren theoretische Grund- lagen sind fur diesen Anspruch unverzichtbar. Zusatzlich tragt eine fun- dierte Auseinandersetzung mit diesen idealerweise zur Starkung der Ler- nerautonomie der Schuler*innen bei.
Im Mittelpunkt der Arbeit Lernerlexikographie und Wortschatzer- werb von Runte (2015) steht die Frage nach der Eignung von Hilfsmitteln in Form von Worterbuchern zum systematischen Wortschatzerwerb. Basierend auf den Erkenntnissen der Wortschatzdidaktik und Lernpsycho- logie, untersucht die empirische Studie die Effektivitat von DaF-Lernerwor- terbuchern und analysiert diesbezuglich lernforderliche Merkmale. Die aus den Erkenntnissen abgeleiteten Konsequenzen werden abschlieftend anhand einer Eye-Tracking-Studie auf ihre praktische Gultigkeit hin uberpruft.
Diese Monographie scheint besonders im Hinblick darauf interessant, dass der Ruckgriff auf (insbesondere auch digitale) Nachschlagewerke fester Bestandteil des Fremdsprachenlernens ist. Bemerkenswert ist dabei, dass sie die potenzielle Effektivitat der Worterbuchnutzung als Lernstrategie in den Blickpunkt ruckt: Runte gleicht die Arbeit mit Worter- buchern mit den lernpsychologischen Erkenntnissen ab. Sie stellt dabei fest, dass sie einen wertvollen Beitrag zum Wortschatzerwerb im Fremd- sprachenunterricht leisten. Voraussetzung dafur ist allerdings, dass bestimmte Faktoren, wie etwa die bewusste Einbindung der Lernenden, berucksichtigt werden, der Wortschatzerwerb aber primar strategisch erfolgt (s. auch Runte 2015: 64). Dieser Tradition, die den Einsatz von Lernstrategien zum fremdsprachlichen Wortschatzerwerb forschungsba- siert untersucht bzw. auf den Prufstand stellt, schlieftt sich auch die vorlie- gende Arbeit an.
Die Autor*innen der genannten Untersuchungen sind sich in folgendem Punkt einig: sie befurworten alle eine starkere Thematisierung von Lernstrategien und den damit verbundenen kognitiven Prozessen. Sie pladieren daruber hinaus auch dafur, den Schuler*innen ein gropes und vielfaltiges Angebot an Lernstrategien zum Wortschatzerwerb zu ermogli- chen. AuRerdem liegen alien Arbeiten kognitionswissenschaftliche Grund- lagenerkenntnisse zugrunde. Sie bilden das Fundament fur die jeweiligen Untersuchungen. Aber ob die jeweiligen Lernstrategien den Kriterien gerecht werden, die diese Erkenntnisse implizieren, bleibt in den meisten Fallen unberucksichtigt. Die vorliegende Arbeit findet u. a. in dieser Fest- stellung ihren Ausgangspunkt und nimmt sie zum Anlass, ausgewahlte Lernstrategien dahingehend zu durchleuchten.
Wenngleich die Studien allesamt den MaRstaben der Gutekriterien bestmoglich entsprechen, lasst sich der folgende kritische Einwand hin- sichtlich der Reprasentativitat dieser Studien nicht ausklammern: Die Studien geben zwar wichtige Anhaltspunkte uber mogliche Effektivitatspoten- ziale bestimmter Konzepte der Wortschatzvermittlung. Problematisch ist jedoch die Ubertragbarkeit sowie die Verallgemeinerung von Ergebnissen (s. auch Klippel 1994: 104) - insbesondere wenn Erwerbsprozesse sowie deren AuRerungsformen als individuelle Vorgange verstanden werden. Sobaid Unterricht bzw. unterrichtliche Lernprozesse in Abhangigkeit von betreffender Lerngruppe, Lehrkraft, aufteren Rahmenbedingungen etc. als dynamisch betrachtet werden, sind diese nur bedingt vergleichbar. Unter anderem ergibt sich daraus die Uberlegung, den Blick zunachst erneut auf theoretische Grundlagen und damit kognitive Erwerbsprozesse zu richten.
Ein weiterer Gesichtspunkt, der kritisch betrachtet werden kann, liegt in folgender Beobachtung: Ein GroBteil der wortschatzdidaktischen Publikationen - auch die empirischen Untersuchungen inbegriffen - bear- beitet die Thematik oft isoliert. Einen wichtigen Beitrag fur einen Perspek- tivwechsel leistet diesbezuglich das Sonderheft Wortschatz und Fremd- sprachenlernen der Zeitschrift Beitrage zur Fremdsprachenvermittlung (Siepmann 2006a). Die Veroffentlichungen schlagen eine Brucke zu anderen Teilbereichen und Fertigkeiten des fremdsprachlichen Wort- schatzerwerbs, wie etwa die Integration der LI Oder die Verbindung von Wortschatz und Syntax: Gallagher beleuchtet aus konstrastiv-linguis- tischer Perspektive die Unterschiede zwischen dem Wortschatz der LI und den folgenden (Gallagher 2006: 11-95). Anhand seiner Beob- achtungen leitet er Maximen bzw. Strategien ab, die fur ein integratives Verstandnis von Wortschatzerwerb hilfreich sind. Ein konkretes Konzept stellt Segermann mit ihrem lexiko-grammatischen Ansatz fur den Fremd- sprachenunterricht vor (Segermann 2006: 97-143). Daran inhaltlich anschlieftend, zeigt Siepmann in seiner Arbeit die Bedeutung von Wort- verbindungen in Bezug auf den fremdsprachlichen Wortschatzerwerb (Siepmann 2006b: 215-264). Die Ergebnisse seiner Studie verweisen auf die Notwendigkeit fur eine vertiefte Auseinandersetzung und des strategi- schen Erwerbs von Kollokationen und Phraseologismen in der Fremd- sprache, die sich hier auf die Schreibkompetenz beziehen. So kann es laut Siepmann gelingen, sich mehr und mehr den betreffenden Fertig- keiten der LI anzunahern (Siepmann 2006b: 252 f). Erwahnenswert ist dieser Sammelband insbesondere mit Blick auf den Verzahnung- bzw. Kombinationsgedanken mehrerer lexikalischer Einheiten, der auch in einigen lexikalisch basierten Lernstrategien erkennbarwird.
Anhand der Forschungslage wird deutlich, dass der fremdsprach- liche Wortschatzerwerb in vielerlei Hinsicht durchaus eine didaktische Her- ausforderung darstellt. Daruber hinaus zeigt sich trotz aller Kritik jedoch auch, dass der Einsatz lexikalischer Lernstrategien aber ein wesentlicher und vielversprechender Teil des Losungswegs sein kann.
3. Mentale Prozesse: Kognitionswissenschaftliche Grundlagen der Sprachverarbeitung sowie des Spracherwerbs
Das folgende Kapitel setzt sich zum Ziel, zentrale kognitionswissenschaftliche Forschungserkenntnisse im Hinblick auf mentale Prozesse des menschlichen Gehirns darzulegen. Dafur werden zunachst zentrale Wahr- nehmungs- und Verarbeitungsvorgange der Hemispharen des menschlichen Gehirns vorgestellt. AnschlieRend werden Erkenntnisse zur Informationsspeicherung sowie verschiedene kognitive Speichertheorien naher betrachtet. Dazu zahlen die Mehrspeichertheorie, die Theorie der Verarbeitungstiefe und die Theorie der dualen Kodierung. AbschlieRend werden Annahmen zur Struktur und Funktionsweise des mentalen Lexi- kons beschrieben. Diese schlieften sowohl Konzepte zum einsprachigen als auch zum mehrsprachigen mentalen Lexikon ein.
3.1. Die Funktionsweise der Hemispharen des menschlichen Gehirns
Ursprunglich gingen die Neurowissenschaften davon aus, dass die Sprachverarbeitung in einem bestimmten Bereich des menschlichen Gehirns stattfindet (vgl. Rolfing 2019: 39). Aktuelle Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass diese Zustandigkeit nicht an ein einzelnes Ge- hirnareal gebunden und eine eindeutige Verortung im Gehirn daher nicht moglich ist (vgl. ebd.). Unbestritten ist dagegen, dass die zwei Halften, aus denen sich das Vorderhirn zusammensetzt, maftgeblich an der Sprach- und Informationsverarbeitung beteiligtsind.
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurde aufterdem die Ansicht vertreten, dass die beiden Gehirnhalften jeweils spezifische Funktionen ausfuhren und deren Mechanismen getrennt voneinander aktiv sind bzw. ablaufen. Insbesondere wurde bis dahin die Auffassung vertreten, dass ausschlieftlich die linke Hemisphere fur die Sprachfahigkeit zustandig ist (vgl. Muller 2013: 77). Unter anderem durch die Moglichkeiten neuerer neurowissenschaftlicher Methoden zur Identifizierung kognitiver Prozesse1 konnte mittlerweile jedoch gezeigt werden, dass stets beide Hemispharen an den mentalen Prozessen beteiligt und deren Aktivitaten vielmehr als Kontinuum zu verstehen sind (vgl. Rolfing 2019: 35; Stork 2003: 45).
Dennoch hat die Erkenntnis uber eine gewisse Aufgabenteilung der beiden Hemispharen, die sogenannte Lateralisation, auch in Bezug auf die Sprachverarbeitung bis zum jetzigen Zeitpunkt weiter Bestand: die Sprachverarbeitung erfolgt im Gehirn des Erwachsenen uberwiegend linkshemispharisch (vgl. Muller 2013: 77). Die gangige Bezeichnung der linken Hemisphere als die dominante Hemisphere liegt darin begrundet. Das dort lokalisierte Broca-Areal ist fur die Sprachproduktion, das sogenannte Wernicke-Areal fur die Sprachrezeption zustendig (vgl. ebd.). Aller- dings haben beide Gehirnheiften essentielle Funktionen inne, die sich wechselseitig komplettieren (vgl. ebd.). Daruber hinaus ist die linke Hemisphere fur das logische und analytische Denken und die lineare Verarbei- tung von Informationen verantwortlich. wehrend die rechte fur die Auf- nahme und Erinnerung visueller, taktiler und auditiver Informationen zustandig ist (vgl. Roche 2020: 61). AuRerdem werden der rechten Halfte kognitive Leistungen im Bereich der raumlichen und zeitlichen Wahrneh- mung, der Verarbeitung neuartiger Prozesse und speziell der Erkennung von Gesichtern attribuiert (vgl. Muller 2013: 78).
Durch die Analyse von Krankheitsbildern, wie etwa neurogener Sprachstorungen, konnten kontrastiv weitere Ruckschlusse auf die Arbeitsweise des Sprachzentrums im Gehirn gezogen werden: Schadi- gungen der rechten Hemisphere machen sich u. a. durch Storungen von Sprachmelodie, Betonung und Prosodie, sowie durch Probleme bei der Verarbeitung von Sprachbildern bemerkbar (vgl. Muller 2013: 77). Diese Beobachtung legt nahe, dass insbesondere dort auch die genannten Prozesse ablaufen und die Verarbeitung musikalischer Informationen statt- findet. Daruber hinaus nennt Vinzentius (2007: 66) in diesem Zusammen- hang auch die Verarbeitung von Emotion, pragmatischen und kommunika- tiven sprachlichen Elementen, die der rechten Hemisphere zugeschrieben werden. Und obwohl beide Gehirnheiften identische, sogenannte homo- loge Strukturen aufweisen, verfugen sie uber unterschiedliche Funktionen und besitzen „eine komplementere Hemispherenspezialisierung" (ebd.). Um hemispherische Transfer- und Hemmvorgenge zu gewehrleisten, ist eine optimale Zusammenarbeit beider Hemispheren unabdingbar (Vinzentius 2007: 66 f). Trotz des identischen strukturellen Aufbaus beider Seiten zeigt sich jedoch ein kleiner anatomischer Unterschied. Dieser ist auf die hoheren kognitiven Aufgaben der linken Gehirnheifte zuruckzufuhren, zu denen auch die Sprachfehigkeit gehort (vgl. ebd.). Die linke Hemisphere ist vorherrschend, wenn von einem Konzept ausgegangen wird, in dem Sprache auf die implizite linguistische Kompetenz beschrenkt wird. SchlieBt man aber im Hinblick auf den Spracherwerb auch kommunikative Fehigkeiten, die fur diesen grundlegend sind, in die konzeptuelle Vorstel- lung ein, so kann von einer dominanten rechten Hemisphere ausgegangen werden. Daraus lesst sich schlieften, dass Kommunikation erst durch das Zusammenspiel beider Hirnheiften moglich wird (Vinzentius 2007: 67). Auf der Grundlage dieses Wissens ergibt sich fur den Fremd- sprachenunterricht die Forderung nach einem ganzheitlichen didaktischen Ansatz, der verschiedene Lehr- und Lernformen berucksichtigt und zur Anwendung bringt (s. auch Vinzentius 2007: 67). Unter anderem aus dieser Erkenntnis werden holistische Theorien2 abgeleitet, die mentale Prozesse nicht isoliert, sondern als interaktive strukturelle Netzwerkverbin- dungen betrachten, die sich in standigem Austausch befinden. Dabei wird davon ausgegangen, dass das gesamte Gehirn in jegliche mentale Handlung eingebunden ist (vgl. Stork 2003: 48; Vinzentius 2007: 67).
Soweit konnen dem aktuellen Forschungsstand zufolge uberwie- gend allgemeingultige Aussagen uber den Aufbau des menschlichen Gehirns und die Lokalisation betreffender Arbeitsprozesse getroffen werden. Aber wie sind die einzelnen Prozesse zu verstehen, wenn der Mensch als Individuum betrachtet wird? Welche Rolle spielen diesbezug- lich Faktoren, wie etwa Umwelteinflusse, Oder die genetische Disposition? Daruber prazise Auskunfte geben zu konnen ist kaum moglich. Fest steht hingegen, dass die Sprachverarbeitung flexibel und konstruktiv stattfindet. AuRerdem kann sie mehrsprachig sein, sich an Akzente Oder Dialekte anpassen Oder Lucken aufzeigen (vgl. Roche 2020: 60). Diese Aspekte sind von der jeweiligen Umgebung, aber auch von individuell erworbenem Verhalten und der individuellen Motivation abhangig (vgl. ebd.). Diese Annahmen legen nahe, dass sprachliche kognitive Vorgange zwangslaufig individuelle Prozesse sind, wozu auch das Sprachen- sowie das Fremd- sprachenlernen zahlt (vgl. Vinzentius 2007: 67).
Zusammenfassend lasst sich sagen, dass die Sprachverarbeitung im Gehirn komplexen, dynamischen Prozessen zugrunde liegt. Obwohl die diversen mentalen Ablaufe sowie die funktionalen Zustandigkeitsbereiche nicht trennscharf lokalisiert werden konnen, wird deutlich, dass eine opti- male Verarbeitung eine enge Interaktion beider Hemispharen inklusive ihrer Teilareale voraussetzt.
3.2. Das Gedachtnis: Die Fahigkeit der Informationsspeicherung
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass fur eine funktionie- rende Sprachverarbeitung im menschlichen Gehirn gewisse kognitive Fahigkeiten eine notwendige Bedingung sind (vgl. Eikmeyer/Rick- heit/Weiss 2010: 35 f). Eine zentrale Rolle spielen dabei die Speicherung von menschlichen Erfahrungen sowie eine intakte Wahrnehmung, die eine gezielte Aufmerksamkeitssteuerung verlangt (vgl. ebd.). Fur eine gelin- gende Sprachrezeption sowie -produktion sind die Speicherung und ein ggf. erfolgender Abruf sprachlicher AuRerung und Erfahrungen notwendig, die haufig Produkte von Lernprozessen sind (vgl. Myers/Wilson 2014: 328). Ohne die Aktivierung von Sprache und Wissen ist sprachliche Kommunikation nicht moglich. Die Fahigkeit des menschlichen Nervensys- tems, im Gehirn Informationen zu verarbeiten, zu speichern und wieder abzurufen, wird als Gedachtnis bezeichnet (ebd.). Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Arealen des Gehirns, hat es dort keinen festen Sitz, sondern scheint auf mehrere Bereiche verteilt (vgl. Stork 2003: 55). Der Ablauf des Gedachtnisprozesses beginnt mit der Aufnahme, dem Enko- dieren der relevanten Information ins Gehirn, die bspw. durch das Her- stellen eines Bedeutungszusammenhangs erfolgen kann (vgl. Myers/Wilson 2014: 329 f). Diese Representation im Gedachtnis markiert die erstmalige Verarbeitung von Informationen im Gehirn (vgl. Stork 2003: 55). AuRerdem muss die Aufmerksamkeit auf die betreffende Information gelenkt und wahrgenommen werden, damit die Enkodierungsprozesse erfolgreich ablaufen konnen (vgl. Vinzentius 2007: 70). Mithilfe von kurz- wie auch langfristigen Veranderungen der Gehirnstrukturen wird das Behalten des enkodierten Informationsmaterials anschlieftend ermoglicht. Auf diesen Speicherungsprozess folgt im letzten Vorgang das Wiederauf- finden der gespeicherten Informationen zu einem spateren Zeitpunkt, indem diese im Gedachtnisspeicher abgerufen werden (vgl. ebd.). Obwohl diese Ablaufe grundsatzlich als getrennt voneinander gesehen werden, sind sie als komplexe, reziproke Verbindungen zu verstehen, die eng zusammenhangen. Stork erganzt diese Erkenntnisse an dieser Stelle zusatzlich urn den wichtigen Hinweis, „dass das Gedachtnis in jeder dieser Phasen versagen kann." (Stork 2003: 56)
3.3. Kognitive Speichertheorien
Die Fahigkeit der Speicherung relevanter Informationen ist ein zentrales Element der Sprachverarbeitung. Mit dem Versuch der For- schung, die Organisation und Funktionsweise des Gedachtnisses detail- lierter zu beschreiben, entstanden im letzten Jahrhundert vermehrt Modelle zur Informationsspeicherung, denen Gedachtnistheorien zugrun- de liegen. Sie dienen als Erklarungsansatze von Speicherleistungen und ermoglichen systematische Prognosen uber Gedachtnisleistungen.
Eine gangige Einteilung in strukturalistische, funktionale und strukturell- funktionale Theorien legt Engelkamp (1991) vor (vgl. Stork 2003: 56 ff; Vinzentius 2007: 71). Die Hervorhebung struktureller Eigenschaften und die Unterscheidung zwischen mehreren Speichern charakterisieren die strukturalistischen Theorien. Funktionale Theorien gehen bei der Be- schreibung der Speicherungsprozesse von den verschiedenen Modali- taten der Informationsverarbeitung aus, indem die Speicherung als einer von mehreren funktionalen Prozessen verstanden wird. Im Hinblick auf die strukturell-funktionalen Theorien wird die Ansicht vertreten, dass sowohl Strukturen als auch Prozesse fur die Informationsspeicherung maftgeblich sind (vgl. Stork 2003: 56).
Im Folgenden werden klassische Vertretermodelle der jeweiligen Theorien naher beleuchtet.
3.3.1. Die Mehrspeichertheorie
Exemplarisch fur die strukturalistische Theorie steht die von Att- kinson/Shiffrin (1968) entwickelte Mehrspeichertheorie, die spater vielfach aufgegriffen und uberarbeitet wurde. Hierbei werden die unterschiedlichen Speicherungsprozesse anhand eines Modells veranschaulicht. Das soge- nannte Mehrspeicher- Oder Dreistufenmodell besteht aus drei Speichern, die sich in Bezug auf ihr Aufnahmevermogen, ihre Haltedauer und ihre Kodierung unterscheiden: das Ultrakurzzeitgedachtnis, das Kurzzeitge- dachtnis und das Langzeitgedachtnis (vgl. Roche 2020: 75; Myers/Wilson 2914: 330).
Zunachst erfolgt die Eingabe von Informationen durch selektive Wahrnehmung sowie sensorisch in das Ultrakurzzeitgedachtnis, weshalb es auch sensorisches Register genannt wird. Die eingegangene und gefil- terte Information verbleibt dort fluchtig weniger als eine Sekunde. AuRerdem findet dort die Vorverarbeitung und Koordination der sprachlich relevanten Eingangsinformationen statt, sowie eine provisorische Bedeu- tungskonstruktion (vgl. Roche 2020: 76). Dieser kurze Zwischenspeiche- rungsprozess ermoglicht bei entsprechender Aufmerksamkeitszuwendung einen Transfer ins Kurzzeitgedachtnis anhand weiterer Verarbeitungs- schritte (vgl. Stork 2003: 57). Falls dies nicht geschieht, gehen die Informationen verloren. Es wird davon ausgegangen, dass fur jede Sin- nesmodalitat ein sensorisches Register existiert, allerdings sind diese bislang lediglich fur das Sehen und Horen ausreichend belegt (vgl. ebd.). Es liegen jedoch auch Studien aus den 1980er Jahren vor, die die Existenz einzelner sensorischer Speicher widerlegen (vgl. Vinzentius 2007: 73). Diesem Forschungsstrang folgend, wird von flieftenden Ubergangen hin- sichtlich der jeweiligen Reizverarbeitungsprozesse ausgegangen (vgl. ebd.). Ein weiteres Merkmal des Ultrakurzzeitgedachtnisses ist seine (auch unbewusste) sehr hohe Aufnahmekapazitat (vgl. ebd.). Konkret fuhrt Vinzentius an, indem er sich auf Kostrzewas Erkenntnisse stutzt (1994), dass das Ultrakurzzeitgedachtnis bewusst bis zu drei Elemente erfassen kann (vgl. Vinzentius 2007: 72). Diese konnen sowohl lexikalische Ein- heiten als auch Ereignisse beinhalten. Es wird angenommen, dass bereits an dieser Stelle eine Informationsbundelung in Form von chunking durch- gefuhrt wird, die dadurch eine groftere Komplexitat zur Folge hat (vgl. ebd.).
Zur langeren kurzfristigen Speicherung wird das daraus entste- hende Produkt im folgenden Schritt zunachst ins Kurzzeitgedachtnis uber- tragen. Seine Haltedauer betragt zwischen wenigen Sekunden bis zu vier Minuten (vgl. Vinzentius 2007: 74; Roche 2020: 75). Wenngleich die Fahigkeit der Informationsaufnahme im Kurzzeitgedachtnis klein ist, spielt dieser Ort wahrend des Speicherungsprozesses eine entscheidende Rolle. Zunachst werden die bewusst wahrgenommenen Informationen dort weiterverarbeitet. Es kann davon ausgegangen werden, dass speziell an diesem Ort Reize aus der Umwelt enkodiert werden (vgl. Vinzentius 2007: 74). Auch in diesem Verarbeitungsschritt wird von chunking Gebrauch gemacht, urn die Gedachtnisspanne zu verlangern (vgl. Stork 2003: 57). AuRerdem liegen die Informationen aufgrund der ersten Vorkodierung bereits in akustischer, visueller Oder semantischer Form vor (vgl. Vinzentius 2007: 74). Die Haltezeit kann dort durch stetige sogenannte erhal- tende Wiederholung der Informationen wahrend der Verarbeitung in Form von innerem Sprechen verlangert werden (vgl. ebd.). Um allerdings eine Uberfuhrung der Informationen ins Langzeitgedachtnis und somit eine langfristige Speicherung zu begunstigen, muss eine tiefergehende Verarbeitung, die sogenannte elaborierende Wiederholung, stattfinden (vgl. Stork 2003: 57). Im Gegensatz zur erhaltenden Wiederholung, die die Informationen immer wieder in das Kurzzeitgedachtnis zuruckfuhrt, werden diese dabei vertieft verarbeitet. Konkret kann dies erfolgen, indem sie z. B. neu strukturiert, klassifiziert Oder an bereits vorhandene Informationen angeknupftwerden (vgl. Vinzentius 2007: 74).
Das Mehrspeichermodell wurde urn das Konzept des Arbeitsge- dachtnisses von Baddley/Hitch (1974) weiterentwickelt. Deren For- schungserkenntnissen zufolge steht es anstelle des Kurzzeitgedacht- nisses und ist in sich in drei weitere Bereiche unterteilt. Das Herzstuck bildet die sogenannte Zentralinstanz, die fur die Steuerung der Aufmerk- samkeit zustandig ist. Die phonologische Schleife und der visuell-raum- liche Notizblock sind ihr untergeordnet. Die Informationen dieser zwei Subsysteme werden von der Zentralinstanz kontrolliert, koordiniert und integriert (vgl. Stork 2003: 58). Sprachlich reprasentierte Information kann in der phonologischen Schleife temporar gespeichert werden (vgl. ebd.). Sie fungiert als Kreislauf, in dem zum Verstandnis neuer Worter Sprache konserviert wird (vgl. Vinzentius 2007: 75). Analog dem Konzept des Kurz- zeitgedachtnisses wird von einer subvokal erfolgenden Wiederholung des Informationsmaterials ausgegangen, die dessen kurzfristige Speicherung sicherstellt (vgl. ebd.). Da die phonologische Schleife fur die Verarbeitung von unbekanntem Wortmaterial zum Einsatz kommt, ist sie nicht zuletzt fur den Wortschatzerwerb, insbesondere fur das Worterlernen, besonders relevant. AuRerdem weist Stork mit Bezug auf Studien von Ellis/Beaton (1993) und Ellis/Sinclair (1996) darauf hin, dass lautes Aussprechen wah- rend der Verarbeitungsphase zu besseren Lernergebnissen fuhrt (vgl. Stork 2003: 59). Daran anschlieftend betont Vinzentius (2007: 76) am Bei- spiel weiterer Forschungsergebnisse (vgl. Dittmann/Schmidt 1998) den Einfluss des phonologischen Arbeitsgedachtnisses insbesondere auf den fruhen fremdsprachlichen Wortschatzerwerb sowie auf die „gesamte fremdsprachliche Entwicklung" (Vinzentius 2007: 77).
[...]
1 Detaillierte Einblicke in die Aktivitaten des Gehirns erlauben in diesem Zusammen- hang verschiedene bildgebende Untersuchungsverfahren, wie z. B. die Positronene- missionstomographie (PET), Oder auch die funktionelle Kernspintomographie (fMRT). Auch anhand von Elektroenzephalogrammen (EEG) kann uber Elektronen die elektrische Aktivitat der Hirnrinde gemessen werden. AuBerdem kann die Analysetechnik NIRS mithilfe von nahinfrarotem Licht Veranderungen in der Durchblutung des Gehirns zeigen (vgl. Muller 2013:151 ft).
2 Vgl. zur Kritik an Lokalisationstheorien bzw. zu Vertretem holistischer Ansatze in diesem Zusammenhang z. B. Poeck 1995, Stemmer 1997 und Markowitsch 2002.
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