Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Entwicklung des religiösen Pluralismus
2.1 Klassische Ansätze zum Verhältnis von Staat und Religion
2.2 Historische Entwicklung des religiösen Pluralismus im westlichen Kontext
3. Exkurs: Zur Toleranz an sich
4. Der Pluralismus und die religiöse Toleranz in Deutschland
4.1 Religiöser Pluralismus: Deutschland im Vergleich
4.2 Deutschland und der Islam: Toleranz mit Grenzen
5. Fazit
6. Literatur
Von der religiösen Toleranz oder: der Umgang mit religiösen Minderheiten in Deutschland
Die Entwicklung des religiösen Pluralismus und dessen gesellschaftliche Ausgestaltung in Deutschlands christlicher Mehrheitsgesellschaft
„Weil Jeder Mensch das Recht hat, das ewige Seelenheil zu erlangen, und weil kein Mensch mit absoluter Sicherheit weiß und auch niemand je wissen kann, wie man das ewige Seelenheil erreichen kann, muss jedem das Recht zugestanden werden, sich zu derjenigen Religion zu bekennen, von der er glaubt, sie sei die einzig wahre.“ (Campagna 2018: 337)
1. Einleitung
Nachdem im Verlauf eine Säkularisierung der Politik stattgefunden hat, und die Politik weitgehend unabhängig von der Kirche agiert, hat sich in diesem Zuge eine höhere religiöse Vielfalt in den modernen westlichen Gesellschaften etabliert.
Diese Arbeit wird sich in diesem Zuge mit zweierlei befassen: zuerst werde ich einen kurzen historischen Rückblick über die Geschichte religiöser Freiheit im historischen Kontext geben und einige klassische Ansätze zu dieser Thematik darlegen. Dies ist insofern interessant, als das die religiöse Vielfalt, in der wir heute Leben, lange Zeit sehr umstritten war und der die Trennung von Religion und Staat, welche uns in liberalen Staaten heute weitreichende Freiheit unserer religiösen Praktiken ermöglicht, lange Zeit umstritten waren und erst im Laufe der jüngeren Geschichte in vielen Staaten etabliert werden konnte. Demzufolge erachte ich es als sinnvoll, hier einen kurzen Überblick über den historischen Kontext vom Zusammenhang von Staat und Religion zu geben.
Anschließend werde ich einen kurzen Exkurs zur Begrifflichkeit der Toleranz unternehmen. Dies dient vornehmlich dazu, den Toleranzbegriff, welcher speziell im zweiten Teil der Arbeit vorgenommen wird, etwas besser zu kontextualisieren, da diese so simpel erscheinende Begriffskonzeption aufgrund mangelnder Trennschärfe zu verwandten Begriffen und verschiedener Verständnisansätze kontroverser, und komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Daran anschließend wird im zweiten Teil der Arbeit, basierend auf dem zuvor dargelegten Toleranzverständnis, ein Sprung in die gesellschaftliche Realität unternommen und die religiöse Toleranz in unserer multireligiöse Gesellschaft genauer betrachtet. Das Hauptinteresse liegt darin, der Frage nachzugehen, inwieweit der religiöse Pluralismus in Deutschland erfolgreich ist – das heißt, inwiefern eine gegenseitige Toleranz, oder gar Anerkennung der Anhänger der unterschiedlichen Religionen stattfindet. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie weit Vorurteile und Feindseligkeiten aufgrund der religiösen Zugehörigkeit in Deutschland verbreitet sind. Zu ebenjener Thematik hat der Religionsmonitor im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 2019 eine Studie mit durchaus interessanten Ergebnissen durchgeführt. Diese bildet nachfolgend gemeinsam mit einer weiteren Erhebung aus dem Jahr 2014 die statistische Basis, anhand derer analytische Bewertungen hinsichtlich des religiösen Zusammenlebens in Deutschland vorgenommen werden, wobei vor allem auf die Sonderrolle des Islams in Deutschland eingegangen wird.
Im abschließenden Fazit werden die zuvor gewonnenen Erkenntnisse, vorwiegend des zweiten Teils, noch einmal final zusammengefasst.
2. Die Entwicklung des religiösen Pluralismus
Der religiöse Pluralismus als Grundlage der religiösen Toleranz ist eng mit der Trennung von Religion und Staat verbunden. Denn solange eine mächtige Kirche Einfluss auf staatliche Ausgestaltung nimmt, ist es schwierig für Menschen anderer Glaubensrichtung, gleichberechtigte Bürger eines Staates zu werden. Dementsprechend werden im Folgenden nochmal einige historische Positionen und Meilensteine zu dieser Thematik erläutert.
2.1 Klassische Ansätze zum Verhältnis von Staat und Religion
Wenn es um religiöse Toleranz geht, spricht man, zumindest in Deutschland, primär von der Einstellung von Menschen unterschiedlicher religiöser Glaubensrichtung, welche ihren Glauben in dem Staat ausüben, zueinander. Damit jedoch die Möglichkeit der religiösen Toleranz untereinander überhaupt möglich ist, muss der Staat an sich die Grundlage bieten, dass religiöser Pluralismus stattfinden kann. Obgleich dies in Deutschland augenscheinlich als selbstverständlich angesehen wird, ist die Religionsfreiheit nicht in jedem Staat gegeben. Besonders in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern basiert die kulturelle Identität auf homogenen Glaubenseinstellungen, sodass religiöse Minoritäten – in diesen Ländern primär Christen – systematisch drangsaliert und verfolgt werden (Open Doors e.V. 2021). In 38 Ländern auf der Welt herrschen derartige Repressionen, welche den religiösen Pluralismus in diesen Ländern de facto unmöglich machen. Der liberale westeuropäische Staat setzt hingegen vornehmlich auf Freiheit bei der Glaubens- und Religionsausübung, wobei es neben Gründen der liberalen Prinzipien ebenso ökonomische Gründe für die Religionsfreiheit gibt (Campagna 2018: 333). Über die verschiedenen Gründe für und wider der freien Religionsausübung machen sich Philosophen und Staatstheoretiker seit langem Gedanken, sodass im Folgenden einige dieser Ansätze dargelegt werden.
Einer der frühen Befürworter religiöser Vielfalt als staatliche Grundlage war John Locke. Er führte an, dass eine klare Aufgabenteilung zwischen dem Staat in der irdischen Sphäre, und der Religion im überirdischen Sinn geben müsse (Campagna 2018: 334). Dementsprechend könne es nicht Angelegenheit des Staates sein, Belange außerhalb seines Wirkungsrahmens zu regulieren. Vielmehr falle es dem Staat zu, seine Bürger und deren Eigentum vor Verletzungen zu schützen und ihnen darüber hinaus Freiheit zu ermöglichen (Krause 2019: 246). Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten hingegen Glauben dürfe niemanden aufgezwungen werden, da die Auswirkungen dessen verheerend hinsichtlich der religiösen Verwirklichung sein können. Laut Locke gibt es nämlich keine objektiv „richtige Religion“, sodass sich ein Zwang zu einer bestimmten Konfession verbittet, und stattdessen „jedem das Recht zugestanden werden muss, sich zu dem Glauben zu bekennen, den er für richtig hält“ (Campagna 336f). Dieser Ansatz pro der Religionsfreiheit besagt also, dass es mangels gesicherter Kenntnisse über die Richtig- bzw. Falschheit der unterschiedlichen Religionen jedem freigestellt sein muss, seinen Vorstellungen zu folgen, solange diese Religionsausübung keine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden darstellt (Campagna 2018: 339ff).
Genau diesen Frieden sehen andere hingegen durch religiösen Pluralismus bedroht. Rousseau gilt hier als einer der prominentesten Beispiele, wenn er in seinem Gesellschaftsvertrag für größtmögliche soziopolitische Homogenität plädiert, da „jeder Schritt weg von dieser substanziellen Homogenität einen Schritt in Bürgerkrieg oder Auflösung der politischen Gesellschaft“ darstellt (Campagna 2018: 343). Hier sei noch angemerkt, dass Rousseau im Allgemeinen eine gewisse Skepsis den klassischen Religionen und ihrer Vereinbarkeit mit staatlicher Stabilität gegenüber hatte (Pinzani 2008: 193f). Auch der spanische Theologe Juan de Mariana lehnte religiöse Vielfalt aufgrund eines ökonomischen Arguments der staatlichen Sicherheit ab. Er sieht in der Religion die höchste Form der menschlichen Selbstverwirklichung und somit das wichtigste Gut der Menschen. Anhänger anderer Religionen würden somit als Feinde erachtet, und die Gefahr für den Staat infolge daraus resultierender religiöser Auseinandersetzungen wäre immens (Campagna 2018: 343f).
Auch Montesquieu zeigt sich nur bedingt angetan von hohem Pluralismus bezüglich der Religion. Sein politisch realistischer Ansatz folgt der These, dass die etablierte Religion eines Staates erhebliche Verflechtungen mit der gesellschaftlichen Lebenswelt hätte, und damit anfällig für staatliche Unruhen durch neue religiöse Strömungen wäre. Jedoch schränkt er dieses Argument insofern ein, als dass es sich primär gegen die Ausbreitung neuer Religionen innerhalb eines stabilen Staates richtet – bestehende multireligiöse Arrangements seien demnach zu tolerieren (Campagna 2018: 344). Diese Toleranz ist jedoch stark abhängig davon, dass es keine Konflikte der Anhänger der Religionen untereinander gibt, welche den Staat bedrohen. Folglich plädiert Montesquieu für einen Zwang zur gegenseitigen Tolerierung, und somit dem Unterlassen jeglicher religiösen Diskriminierung der bestehenden religiösen Gruppierungen (Campagna 2018: 345).
Auch der 4. Präsident der Vereinigten Staaten James Madison verfolgt bei seinem Ansatz die staatliche Stabilität und Sicherheit und geht ebenfalls von einer starken religiösen Verflechtung mit staatlichen Strukturen aus. Allerdings bringt ihn das dazu, für möglichst hohe religiösen Pluralismus und der Trennung kirchlicher und staatlicher Angelegenheiten zu plädieren. Bei zu großer religiöser Homogenität sieht er stets die Gefahr eines Machtkampfes zwischen einer großen Mehrheit und einer kleinen Minderheit (Campagna 2018: 345f). Um gesellschaftliche Freiheit und politische Stabilität aufrechtzuerhalten, sei eine möglichst große Vielfalt wünschenswert. So „wird keine der Teilgruppen mächtig genug sein, um sich gegen alle anderen durchzusetzen und sie zu unterdrücken. Auch wird sie nie mächtig genug sein, um sich gegen den Staat durchzusetzen bzw. um die Staatsmacht zu erobern“ (Campagna 2018: 346). Demzufolge solle der Staat ein Höchstmaß an religiöser Freiheit ermöglichen, die unterschiedlichen Religionsgemeinden schützen und als „Garant für Toleranz“ fungieren (Campagna 2018: 347). Adam Smith vertritt einen ähnlichen Standpunkt und befürwortet größtmögliche Toleranz als Gegengewicht zu religiösem Übereifer. Er skizziert einen radikal anmutenden religiösen Pluralismus „where society is divided into two or three hundred, or perhaps into as many as thousand small sects, of which no one could be considerable enough to disturb the public tranquility” (Smith 2000: 1056). In dieser Hinsicht wären die Religionen gezwungen, einander zu tolerieren und es bestünde nach Smith sogar die Möglichkeit, dass durch die Akzeptanz vieler unterschiedlicher religiöser Gruppierungen eine Verschmelzung derer stattfindet, aus welcher die eine, „reine und rationale“ Religion resultieren könnte (Smith 2000: 1056f).
Auch Molinari betrachtet den religiösen Pluralismus als wichtig. Sein Ansatz zeichnet Parallelen zwischen der Wirtschaft und der Religion und er verweist darauf, dass auch in der Religion durch mangelnden Wettbewerb Monopole entstehen können (Campagna 2018: 354). Die Tendenz zur Monopolisierung sei menschlich und mache auch bei der Religion nicht halt. Wenn also eine Religion zu groß wird, verliert sie somit an Lebendigkeit – religiöse Vielfältigkeit hingegen setzt der Religion einem wichtigen Konkurrenzkampf aus, welcher sie sich weiter entwickeln, und attraktiv bleiben lassen würde (Campagna 2018: 355).
2.2 Historische Entwicklung des religiösen Pluralismus im westlichen Kontext
So unterschiedlich und widersprüchlich die eben genannten Meinungen sind, so schwer taten sich auch die Menschen in den mehrheitlich christlichen Ländern des Westens mit der Frage nach der freien Religionsausübung. Dementsprechend verwundert es nicht, dass der freien Religionsausübung und dem Pluralismus, wie wir es heute kennen, ein langer, umkämpfter Prozess vorausging.
Im Zuge des Westfälischen Friedens 1648 gab es erste bedeutende Lockerungen im deutschsprachigen Raum hinsichtlich der Konfessionsfreiheit (Krause 2019: 241). Allerdings herrschte die Vorstellung, wie sie unter anderem von Rousseau angeführt wurde, dass nur größtmögliche gesellschaftliche Homogenität staatliche Stabilität und Frieden garantieren könne, lange vor. Dennoch wurde der Ruf nach einer Trennung von Staat und Kirche im Laufe der Zeit lauter und Denker wie Hobbes und Spinoza forderten die Gewissensfreiheit und die damit einhergehende Duldung unterschiedlicher Konfessionen (Krause 2019: 243ff). John Locke hingegen gilt als einer der ersten großen Theoretiker, die sich explizit für religiöse Toleranz aussprachen und die staatliche Sicherheit davon nicht bedroht sahen (Krause 2019: 247f). Die tatsächliche praktizierte Religionsfreiheit nahm in den Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts große Fahrt auf, als Präsident Thomas Jefferson unter anderem anführte
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