Bilder von Mensch und Menschheit im frühen Werk Franz Werfels


Bachelorarbeit, 2019

46 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Kultur-historische Hintergründe der Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts
1.1 Die Moderne – Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil

2 Expressionismus
2.1 Der ,neue Menschʻ und weitere Motive

3 Prager deutsche Literatur
3.1 Expressionistische Motive in den Werken der Prager deutschen Literatur repräsentiert von Franz Kafka und Gustav Meyrink
3.2 Historisch-kultureller Hintergrund
3.3 Prager literarische Vereine

4 Franz Werfel – Leben und Werk

5 Methodologie – die Suche nach dem Sinne

6 ,O-Mensch-Poesieʻ – Der Weltfreund, Wir sind, Einander – Oden, Lieder, Gestalten

7 Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920)
7.1 Inhalt der Novelle
7.2 Analyze der Novelle

8 Fazit

Schlusswort

Resumé

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internetquellen
Film

Prohlašuji, že jsem svoji bakalářskou práci vypracovala samostatně pouze s použitím pramenů a literatury uvedených v seznamu citované literatury.

Prohlašuji, že v souladu s § 47b zákona č. 111/1998 Sb. v platném znění souhlasím se zveřejněním své diplomové práce, a to v nezkrácené podobě elektronickou cestou ve veřejně přístupné části databáze STAG provozované Jihočeskou univerzitou v Českých Budějovicích na jejich internetových stránkách, a to se zachováním mého autorského práva k odevzdanému textu této kvalifikační práce. Souhlasím dále s tím, aby toutéž elektronickou cestou byly v souladu s uvedeným ustanovením zákona č. 111/1998 Sb. zveřejněny posudky školitele a oponentů práce i záznam o průběhu a výsledku obhajoby kvalifikační práce. Rovněž souhlasím s porovnáním textu své kvalifikační práce s databází kvalifikačních prací theses.cz provozovanou Národním registrem vysokoškolských kvalifikačních prací a systémem na odhalování plagiátů.

České Budějovice, 12. 7. 2019

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Marie Šimečková

Poděkování

Ráda bych poděkovala Dr.phil. Zdeňku Peckovi. za odborné vedení bakalářské práce, cenné připomínky, rady, a především za čas, který mi věnoval. Chtěla bych také poděkovat své rodině za její ohromnou trpělivost a vstřícnost.

Anotace

Bakalářská práce zkoumá rané básnické sbírky Franze Werfla Der Weltfreund (1911), Wir sind (1913), Einander – Oden, Lieder, Gestalten (1915) a novelu Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Zaměřuje se na trojí metaforiku člověka a lidství jako expresionistické programové zobrazování člověka – jedince, lidské společnosti v autorově současnosti a lidského společenství v utopiích a vizích. V teoretické části práce bude představen kontext expresionismu v německy psané a evropské literatuře na počátku 20. století, praktická část bude analyzovat vybraná díla a dokumentovat Werflův expresionismus jako součást onoho uměleckého kontextu i jako odraz dobových společenských nálad a očekávání.

Annotation

Diese Bachelorarbeit untersucht die frühen Gedichtsammlungen von Franz Werfel Der Weltfreund (1911), Wir sind (1913), Einander – Oden, Lieder, Gestalten (1915) und die Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Die Arbeit konzentriert sich auf dreierlei Metaphern des Menschen und der Menschheit als expressionistische programmatische Darstellung des Menschen – der Einzelpersönlichkeit, der menschlichen Gesellschaft in der Gegenwart des Autors und der menschlichen Gemeinschaft in Utopien und Visionen. Im theoretischen Teil wird der Kontext des Expressionismus in der deutschsprachigen und europäischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgestellt, im praktischen Teil werden ausgewählte Werke analysiert und Werfels Expressionismus im Rahmen des künstlerischen Kontextes sowie als Reflexion der zeitgenössischen sozialen Stimmungen und Erwartungen dokumentiert.

Abstract

The bachelor thesis examines early poetry collections of Franz Werfel Der Weltfreund (1911), Wir sind (1913), Einander – Oden, Lieder, Gestalten (1915) and the novel Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). It focuses on the three-dimensional metaphor of man and humanity as an expressionist programmatic representation of man – the individual, the human society in the author's present and the human community in utopias and visions. In the theoretical part, the context of Expressionism in German and European literature at the beginning of the 20th century will be presented. The practical part will analyze selected works and document Werfel's expressionism as part of the artistic context as well as reflection of contemporary social moods and expectations.

Einleitung

Diese Bachelorarbeit befasst sich mit dem frühen Werk von Franz Werfel, der zu den berühmtesten Expressionisten des Anfangs des 20. Jahrhundert zählt. Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil ich dem literarischen und künstlerischen Expressionismus nahestehe und ihn sehr interessant finde.

Ziel dieser Arbeit ist die Interpretation ausgewählter Werke Werfels, nämlich die Gedichtsammlungen Der Weltfreund (1911), Wir sind (1913) und Einander-Oden, Lieder, Gestalten (1915) sowie die Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Ich werde versuchen, den thematischen Wandel in der Arbeit des Autors aufzuzeigen.

Im ersten Kapitel werde ich mich mit dem kulturgeschichtlichen Hintergrund der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts beschäftigen, wobei ich mich vor allem auf die Literaturgeschichte und die neuen künstlerischen Stilrichtungen konzentriere, die ich charakterisiere, und gleichzeitig versuche, ihre wichtigsten Themen und Motive einzufangen.

Das nächste Kapitel befasst sich mit einer der neuen künstlerischen Stilrichtung des frühen 20. Jahrhunderts, dem Expressionismus. In diesem Kapitel werde ich versuchen, diese Richtung zu charakterisieren und ihre Besonderheiten insbesondere in der Literatur zu beschreiben. Dieses Kapitel enthält auch eine Beschreibung eines der wichtigsten Elemente von Werfels Werk – das Konstrukt des ,neuen Menschenʻ.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der ,Prager deutschen Literaturʻ und ihren Merkmalen. Teil des Kapitels wird eine Auswahl und Beschreibung der wichtigsten Motive der expressionistischen ,Prager deutschen Literaturʻ sein, die in den Werken von Franz Kafka und Gustav Meyrink vorkommen. Darüber hinaus werden der historisch-kulturelle Hintergrund und die Prager Literaturgesellschaften beleuchtet.

Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Leben und Werk von Franz Werfel, in dem ich versuche, die Momente und Erfahrungen darzustellen, die ihn zum Schreiben führten.

Das nächste Kapitel wird ein methodisches Kapitel sein. Darin werde ich mich mit Gadamers klassischer hermeneutischer Interpretationsmethode befassen. Nach diesem theoretischen Teil der Arbeit folgt der praktische Teil.

Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse ausgewählter Gedichte aus den Gedichtsammlungen Der Weltfreund, Wir sind und Einander-Oden, Lieder, Gestalten und Analyse einer der ersten Novellen von Franz Werfel Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. In diesen Kapiteln werde ich versuchen, den thematischen Wandel in seiner Arbeit in Abhängigkeit von historischen Ereignissen und Lebensereignissen zu beschreiben. Auf das Interpretationskapitel folgt eine Zusammenfassung der analysierten Werke.

1 Kultur-historische Hintergründe der Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts

Einige der charakteristischen Merkmale des 19. Jahrhunderts sind die Revolution, der Militarismus, die Entwicklung des Nationalismus und die damit verbundenen Bemühungen die Nationalstaaten unabhängig zu machen, sowie der Anarchismus und auch der Antisemitismus. Am Ende des 19. Jahrhunderts kam es in der Gesellschaft zu einer heftigen Veränderung. Die Vorherrschaft des Positivismus und des rationalistischen Optimismus endete, das Lebenstempo beschleunigte sich, die Spannung, Diskrepanz und die kritische Beachtung der alltäglichen Realität wuchsen. Das gesellschaftliche Klima war voll von Pessimismus und Hoffnungslosigkeit und diese historische Etappe war mit der Ungewissheit, der Unruhe und der Krise des Denkens und der Kultur verbunden.

Die beschleunigte Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung wirkte sich auch auf die Kunst aus und führte zu einer raschen Veränderung verschiedener künstlerischer und philosophischer Bewegungen.

Zu den rund um die Jahrhundertwende bekanntesten und modernsten Philosophen gehörten der pessimistische und düster auf das Leben dreinblickende Arthur Schopenhauer und der radikale Individualist Friedrich Nietzsche. Die Literaten, beeinflusst vom philosophischen Denken ihrer Gegenwart, drückten den Widerstand zu der Gesellschaft, ihrer Moral und ihrem Geschmack aus und betonten die Freiheit des Individuums – den Individualismus.

Neben dem anhaltenden Naturalismus, der sich als die Gegenströmung des poetischen oder bürgerlichen Realismus charakterisierte und für den die Darstellung der Realität mit allem Schönen aber auch Hässlichem spezifisch ist, gibt es auch neue künstlerische Bewegungen, die sich unter dem Terminus Moderne vorstellen.

1.1 Die Moderne – Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil

Die Moderne bezeichnet sowohl künstlerische als auch philosophische und religiöse Stilrichtungen, die sich von der alten traditionellen Welt abgrenzen. In der literarischen Kunst bringt die Moderne die Richtungen wie Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil und Expressionismus hervor. Während sich diese neuen Stilbewegungen nebeneinander entwickeln und alle in die neuformierte Welt übergreifen, sich vermengen und gegenseitig beeinflussen (Stilpluralismus), haben sie aber auch eigene Spezifika.

Unter Impressionismus, zunächst mit der Malerei verbunden, versteht man eine Kunst des Eindrucks, dessen Essenz darin bestand, die Atmosphäre eines bestimmten Moments und den flüchtigen Eindruck der alltäglichen Situationen einzufangen. Für die Maler war der Farbreiz wichtiger, als die Komposition des Werkes. Die reale Struktur der Dinge schwindet vor ihrer Beleuchtung und sie lösen sich in Farb- und Lichtreflexe auf. Ähnlich lässt sich der literarische Impressionismus als Kunst der persönlichen Augenblicksempfindung bezeichnen. Aus der Erfahrung, dass die Dinge, so wie sie wirklich sind, künstlerisch nicht reproduziert werden können, greifen die Impressionisten subjektive Eindrücke von Weltausschnitten auf und gestalten sie. (Karthaus, 1977, S. 10- 11). Das wichtigste Motiv der impressionistischen Literatur ist die Vermischung von Außen- und Innenwelt und neben Dialogen finden wir auch innere Monologe; weitere Motive sind: die Großstadt, Verkehrsmitteln und Alltagsszenen, die neben Naturbildern stehen. (Leiß, Stadler, 2004, S. 57)

Zu den berühmtesten malerischen Impressionisten gehören z.B. Claude Monet, Édouard Manet, Paul Gauguin, Paul Cézanne, Leo Putz, František Kupka oder Antonín Slavíček und zu den bekanntesten Künstlern des literarischen Impressionismus, der sich vor allem in der Poesie auswirkte, zählen wir z. B. Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé, Arthur Schnitzler, Rainer Maria Rilke oder Antonín Sova.

Der Begriff Symbolismus stammt ebenfalls aus Frankreich (ebenso wie der Naturalismus oder Impressionismus), wo ihn Jean Moréas 1886 im Manifest des Symbolismus verwendete. Der Symbolismus richtet sich gegen die beschreibenden Realisten und Naturalisten und sucht das den Dingen zugrundeliegende Geheimnis und spricht es weniger aus, als dass er es vor allem durch ästhetisch-suggestive Darstellungsmittel beruft. Mit Vorliebe bedient sich die symbolistische Poesie mit der Vermischung von Eindrücken verschiedener Sinnesorgane. Das Hauptziel bestand darin, die bisher nicht beschriebenen Tatsachen auszudrücken und die Symbolik der bildlichen Namen, insbesondere der Symbole und Metaphern, zu verwenden. Die Dichter experimentierten mit der Länge des Verses, der Verteilung der Akzente, der Störung des traditionellen Poesiemeters - das Ergebnis dieser Experimente war die Behauptung eines freien Verses. (Karthaus, 1977, S. 11-12)

Zu den Ahnherren des Symbolismus (und allgemein der neuen literarischen Stilrichtungen) wird Edgar Allan Poe gezählt. Bei der malerischen Kunst konnte sich dieser Stil nicht voll entfalten, da einige seiner Ideen dem populäreren Jugendstil ähnelten. Trotzdem können wir einige, nicht rein symbolistische, Maler nennen z. B. James Ensor, Gustav Klimt, Arnold Böcklin, Max Švabinský, Jan Zrzavý oder Josef Váchal. In der Literatur tauchen Namen wie z.B. Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine, Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannstahl, Henrik Ibsen oder Otokar Březina auf. Einige Autoren des literarischen Symbolismus gehörten auch anderen zeitgenössischen Bewegungen der Moderne, dem literarischen Impressionismus oder der Dekadenz an.

Im deutschsprachigen Raum – speziell in der österreichischen Hauptstadt Wien – tritt um die Jahrhundertwende (1890- 1910) die Gruppierung Wiener Moderne auf.

Das Kulturleben vor dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie gehört zu der bedeutendsten Blütezeit der Kunst (Malerei, Musik und Literatur), aber auch Mathematik, Medizin oder Rechtswissenschaft. Für die Wiener Moderne ist vor allem das maximal naturgetreue Abbilden realer Umstände sog. ,Kunst für die Kunst‘ (französisch l’art pour l’art) und die Vielfalt von künstlerischen Stilrichtungen der Jahrhundertwende spezifisch. Vor allem ist sie aber eine Gegenströmung zum Naturalismus.

Die Literatur der Wiener Moderne wird auch als ,Kaffeehausliteratur‘ bezeichnet. Grund dafür ist, dass die Texte im Kaffeehaus entstanden und sich weiterentwickeln, gerade in Wien, wo insbesondere das Wiener Kaffeehaus zu einer kulturellen Institution und ein zweites Zuhause für die literarische Künstler würde. In diesem Café trafen sich beispielsweise Georg Trakl, Peter Altenberg, Robert Musil, Leo Perutz, Arthur Schnitzler oder auch Franz Werfel. Weitere Treffpunkte waren auch Café Griensteidl, Café Central oder Café Museum.

Die bildende Kunst bündelte sich mit dem Jugendstil, der vor allem mit dem Namen Gustav Klimt verbunden ist, in der Wiener Sezession. Das Ziel dieser Kunst ist „Schönheit, die sich aus Zweck und Form ergibt, und entsprechend neuartig sind die gestalterischen Mittel. Um sich dem Ideal des ,schöneren Daseinsʻ und einem organischen Ganzen zu nähern, wird häufig das Ornament verwendet.“ (Leiß, Stadler, 2004, S. 58)

Die bevorzugten Motive der bildenden Kunst der Sezession, aber auch der Architektur der Sezession, sind pflanzliche Motive, biegsame weibliche Figuren mit Zweigen oder Blüten, Flamingos und Schwäne. „Das Ornamentale weckt die Vorstellung einer organisch-harmonischen Wirklichkeit, in der Mensch und Dinge in einem Lebensstrom verschmelzen.“ (Leiß, Stadler, 2004, S. 58)

Künstler der bildenden Kunst der Sezession sind z. B: Gustav Klimt, Oskar Kokoschka oder Egon Schiele und in der Literatur die Gruppe Jung-Wien um Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Peter Altenberg und Hugo von Hofmannstahl.

In der Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es auch Stilrichtungen, die den aggressiven Wandel der Gesellschaft und ihrer neuen Errungenschaften besingen. Der Hauptvertreter ist Filippo Tommaso Marinetti und sein Manifest des Futurismus (1909), in dem er anführt, er wolle über die Liebe zur Gefahr singen und, dass Mut und Rebellion die wesentlichen Elemente der neuen Poesie sein werden. Er widersetzt sich jener Literatur, die Ekstase und Traum verherrlicht und will sich auf z. B. brüllende Autos, Flugzeuge, Krieg, Militarismus, Großstädte, Brücken und Schienen konzentrieren. (URL1) So wird die neue Stilrichtung definiert – der Futurismus.

Im Gegenteil zum Futurismus, der Stilrichtung, die den Krieg und Militarismus positiv besingt, gibt es auch Werke, die den österreichischen Armeekult in der Literatur und Kunst im Allgemeinen negativ bewerten.

Eines der wichtigsten Werke des Antimilitarismus und Antisemitismus in der Literatur ist Lieutenant Gustl (1900) von Arthur Schnitzler. Diese Novelle ist fast ausschließlich in Form eines inneren Monologs verfasst und dieses Erzählprinzip hat die deutsche Literatur stark geprägt. Schnitzler schildert in diesem Werk die Angst, Obsessionen und Neurosen, Gedanken und Gefühle eines jungen Leutnants der k.u.k. Armee aus der Innenperspektive der Hauptfigur. Einen großen Einfluss auf die Darstellung der Psyche der Hauptfiguren hatte die Erforschung des Unbewussten von Sigmund Freud. Diese Themen erscheinen auch in Werken von Karl Kraus, Robert Musil oder Franz Werfel, die zum Expressionismus gehören.

2 Expressionismus

Der Expressionismus oder auch ,Ausdruckskunst‘ (aus dem lateinischen expressio = der Ausdruck) bildet eine avantgardistische künstlerische Stilrichtung, die Literatur, bildende Kunst, Architektur, Musik und auch das Theater und den Film und die kulturelle Gesamterscheinung der Moderne im 20. Jahrhundert betrifft und verbreitete sich am stärksten in Deutschland. Der Expressionismus in der Kunst „wurde rasch als internationales Phänomen eingeschätzt.“ (Anz, 2002, S.4) Zu den bekanntesten Zentren des Expressionismus gehören Städte wie Berlin, Dresden, München, Leipzig, Wien, Innsbruck und auch Prag.

Die ersten Erwähnungen des Expressionismus können wir in der bildenden Kunst in Frankreich schon in der Mitte des 19. Jahrhundert registrieren. Im Bereich der Literatur hatte der Expressionismus eine führende Rolle in den Jahren 1910–1925 und danach wieder nach dem Zweiten Weltkrieg – der Nachkriegsexpressionismus (Stark in Brunner und Moritz, 2006, S. 97).

Der Begriff ,Expressionismus‘ stammt aus der bildenden Kunst, wo die Gruppen Der Blaue Reiter (Macke, Marc, Klee, Kandinsky, Kubin) in München und Die Brücke (Heckel, Kirchner, Nolde, Schmidt-Rottluff) in Dresden für die deutsche bildende Kuns von besonderer Bedeutung waren. Zu den berühmtesten expressionistischen Malern gehören z. B. Pablo Picasso, Franz Marc, Vincent van Gogh, Oskar Kokoschka, Edvard Munch, Václav Špála oder Bohumil Kubišta.

1911 wurde dann die Bezeichnung von Kurt Hiller erstmals auf die deutschen Dichter und ihre Werke übertragen, denen es auf ‚den Gehalt, das Wollen, das Ethos‘ ankam. Die jungen Autoren reagieren auf die Enthumanisierung der Gesellschaft durch die Probleme der Rationalisierung, Industrialisierung, Technisierung, Bürokratisierung und Urbanisierung der neuen Welt und kämpfen für die geistige und schöpferische Freiheit. Gleichzeitig mit dem erwachenden sozialen Bewusstsein entstand angesichts der aufziehenden politischen Gefahr ein Gefühl der Bedrohung, die dann im Ersten Weltkrieg (1914-1918) furchtbare Wirklichkeit wurde.

Die wichtigsten Institutionen junger expressionistischer Autoren waren vor allem die Zeitschriften, die eine Art Treffpunkt für expressionistische Werke und Autoren darstellten. Die bekanntesten Zeitschriften waren Der Sturm und Die Aktion (Berlin, 1910/1911), die Revolution (München, 1913), Das neue Pathos (Berlin, 1913) oder Die weißen Blätter (Leipzig, 1913).

Das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der expressionistischen Autoren spiegelt sich in ihren literarischen Werken wieder und zeigt gemeinsame Merkmale – Themen und Motive. Das Hauptziel der expressionistischen Autoren ist, ihre eigenen Gefühle und Erlebnisse provokativ und ohne Rücksicht auf Gesellschaftsregeln auszudrücken, wobei die Realität oft verzerrt wird, um das Gefühl der Erfahrung zu verstärken.

Die wiederkehrende Motive der expressionistischen Werke sind die Visionen von Krieg, der Krieg selbst und damit verbundener Antimilitarismus, Pazifismus, Weltuntergang und apokalyptische Darstellungen der Welt, Angst vor der neuen Technik, Anonymität der Großstadt, Einsamkeit und Ich-Dissoziation, wobei sich das ,Ichʻ nicht mehr als eine autonom handelnde Figur verhält, sondern Opfer einer übermächtigen Kraft ist. Es wird auch schockiert durch Ästhetisierung des Hässlichen und tabuisierte Themen wie z. B. Selbstmord, Homosexualität, Tod und Krankheit werden aufgegriffen. Die bevorzugten Formen des literarischen Expressionismus ist die Lyrik sowie epische Kleinformen wie Erzählung oder Novelle.

2.1 Der ,neue Menschʻ und weitere Motive

Das wichtigste Element dieser Stilrichtung ist die Wandlung und Erneuerung des Menschen. Die Expressionisten sahen die letzte Chance, um die Menschheit zu retten, in einer Veränderung des Individuums und darauf folgend der Gesellschaft. So entstand das Konstrukt des ,neuen Menschenʻ als einzigartige Individuum. Den ,neuen Menschenʻ kann man sich als eine durch Hoffnungen und Sehnsucht ausgefüllte Lebensform vorstellen, die einen prophetischen Charakter hat. Für das Konstrukt des „neuen Menschen“ können Aspekte wie, die neue Stilrichtungen Futurismus, Vitalismus oder auch die Nietzsches Philosophie des ,Übermenschenʻ sehr wichtig sein.

Der ,neue Menschʻ ist ein Motiv der utopischen Literatur. Er ist eine Art Messias der ganzen Welt, der durch apokalyptische Visionen die alte, muffige und zu traditionelle Welt und ihre Gesellschaft zerstört und eine neue Welt fordert, die auf der Einheit aller Menschen der Welt beruht – der ,O-Mensch-Pathosʻ. Dieses Pathos wird in Franz Werfels Gedicht An den Leser sehr deutlich:

„Mein einziger Wunsch ist, Dir, oh Mensch, verwandt zu sein!

Bist Du Neger, Akrobat, oder ruhst Du noch tiefer Mutterhut,

[…] Bist Du Soldat oder Aviatiker voll Ausdauer und Mut. […]

So gehöre ich Dir und Allen. […]

Daß wir uns, Bruder, in die Arme fallen!“ (Werfel in Beck, 1992, S. 17)

Dieses Konstrukt des ,neuen Menschenʻ zeigt sich in allen expressionistischen Werken, insbesondere in denen Franz Werfels oder Franz Kafkas. In ihren Werken versucht der ,neue Menschʻ gegen seinen Gegner, den Vater, der aber auch die Ganze patriarchalische Gesellschaftsordnung vertritt, aufzubegehren. Damit ist auch ein anderes expressionistisches Motiv verbunden, das des Vater-Sohn-Konflikts. In diesen Werken manifestiert er sich als Ablösung von den Autoritäten, die ihn in die Richtung des Lebens und Denkens zwingt.

3 Prager deutsche Literatur

Die ,Prager deutsche Literaturʻ ist in der Weltliteratur und Weltgeschichte ein faszinierendes Phänomen. Der Begriff ,Prager deutsche Literaturʻ ist eine von den tschechischen Germanisten eingeführte Bezeichnung für die deutschen und österreichischen Dichter und Schriftsteller, die zur Zeit der Jahrhundertwende in Prag ihre Werke geschaffen haben. Die ,Prager deutsche Literaturʻ ist der bedeutendste Komplex der deutschen Literatur, der in den nichtdeutschsprachigen Ländern entstanden ist. Die Zeitliche Abgrenzung und der Höhepunkt der ,Prager deutschen Literaturʻ beginnt, nach Eduard Goldstücker, mit dem Auftreten von Reiner Maria Rilke und seinem Werk Leben und Lieder, das im Jahr 1894 erschien. Und weil die Mehrheit der Gruppenmitglieder jüdischer Herkunft war und viele von ihnen schon vor dem Jahr 1938 emigrierten, endet die ,Prager deutsche Literaturʻ mit der Naziokkupation von Prag in den Jahren 1938–1939 bzw. 1945. (Goldstücker, 1967, S. 21).

Zu den berühmtesten Schriftstellern der ,Prager deutschen Literaturʻ gehören Paul Leppin, Gustav Meyrink, Rainer Maria Rilke, Max Brod, Franz Kafka, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel oder auch Johannes Urzidil.

Ein dreifaches Ghetto – Deutschtum, Tschechentum und Judentum – sind die wichtigsten Elemente, die die Entstehung dieser Literatur stark beeinflusst haben. (Goldstücker, 1967, S. 27) Die Isolation und damit verbundene existenziellen Probleme dieser Gruppe von jüdischen Autoren tritt in fast allen ihren Werken auf.

3.1 Expressionistische Motive in den Werken der Prager deutschen Literatur repräsentiert von Franz Kafka und Gustav Meyrink

In Franz Kafkas Werken gibt es mehrere expressionistische Motive, obwohl Kafka selbst nicht zum Expressionismus gezählt wird.

Die zentralen und sich oft wiederholenden Motive in seinen Werken sind: die existenzielle Schuld oder Schuld, die mit dem jüdischen Glauben und der Unterdrückung der Juden im Kontext der Zeit in Verbindung gebracht wird oder auch die unklare Beziehung zwischen Vater und Sohn, eigene innere Beklemmung, Einsamkeit, Gleichgültigkeit und Entfremdung.

Andere Motive sind das surrealistische Labyrinth des Gerichtsgebäudes in Der Prozess, Großstadt und die Anonymität, das Geheimnis und das Tragische, das Motiv der Nichtfreiheit und der Hingabe an das Schicksal oder die Ästhetik des Ekelhaften, z. B. in dem Werk Die Verwandlung sein.

Eine weitere Darstellung expressionistischer Motive findet sich in den Werken von Gustav Meyrink.

Im Zentrum seiner Arbeiten steht das ,alte Pragʻ, wo er versucht das ,Genius lociʻ – den Geist des Ortes – zu zeigen. Prag wird in Meyrinks Golem als mystisch - okkulter Ort dargestellt, als dämonisierte und geheimnisvolle Stadt. Eine Stadt, in der die Realität des Alltags auf ein mysteriöses Übernatürliches trifft. Auch in dieser Arbeit sucht die Hauptfigur einen Weg zur Selbsterkenntnis und Befreiung.

Der Golemcharakter kann eine symbolische, personifizierte Seele des Prager Ghettos ausdrücken. Im Ghetto – in der Seele – finden wir verwinkelte enge, dunkle und trübe Straßen, die auch für die Sonne unzugänglich sind und zu einem Labyrinth werden. Angst und Furcht sind weitere Motive, die in dieser Arbeit auftauchen. Die Menschen im Ghetto sind Marionetten, die von einer unsichtbaren Macht kontrolliert werden.

3.2 Historisch-kultureller Hintergrund

Nach dem Revolutionsjahr 1848 und dem Ende des neoabsolutistischen Regimes mit den Wahlen des Jahres 1861, wo die tschechischen politischen Parteien zum ersten Mal politisch in Erscheinung traten und zusehends die Oberhand über die Deutschen gewannen, tauchen die ersten öffentlichen politischen Konflikte zwischen Deutschen und Tschechen auf. Die Nationalverhältnisse in Prag und in den böhmischen Ländern manifestieren sich im alltäglichen Leben, der tschechische (respektive ethnische) Nationalismus verstärkte sich, die Prager Deutschen fühlten sich verunsichert und das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen gestaltete sich als nicht einfach.

Nach der Volkszählung des Jahres 1880 lebten in Prag 228 019 (ca. 84,4%) Tschechen und 41 975 (ca. 15,5%) Deutsche, die restlichen 0,1% gehörten einer anderen Nationalität an. 23 409 (ca. 5,92%) Einwohner waren jüdischen Glaubens. Bis zum Jahre 1910 stieg die Zahl der jüdischen Bewohner in Prag auf 30 483 Einwohner. (Goldstücker, 1967, S. 30).

Vor dem Jahre 1867 lebten die Juden nur im Ghetto, danach kam es zur Emanzipation der Juden und sie dürften ein normales freies Leben führen und sie bekamen fast vollständige Bürgerrechte. Viele Juden studierten danach Medizin, Rechtswissenschaft oder auch Literatur und Philosophie in der Hauptstadt Prag und das war der Grund für den häufigen Umzug der Juden in die Stadt. Die Juden mussten sich sehr schnell an die deutsche kulturelle Umgebung assimilieren, jedoch haben sie ihre jüdische Identität nicht vergessen.

Diese Situation führte zur Gründung gesellschaftlicher Einrichtungen. Das galt vor allem für das Vereinswesen und das kulturelle Leben der Minderheiten. So wurde Prag für die deutsche Dichter und Schriftsteller zu einem Ort, an dem sie Zugang zu mindestens vier ethnischen Quellen hatten – Deutschtum, zu dem die Juden kulturell und sprachlich gehörten; Tschechentum, das die Juden umgab und ihre Umwelt darstellte; Judentum und Österreichtum, in dem sie alle geboren sind (Mikulášek et al., 2002, S. 416). An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden so zahlreiche literarische Gruppen und verschiedene Vereine (Petrbok, Randák, 2010, S. 45). Die Autoren trafen sich in Kaffeehäusern, machten Vortragsabende oder veröffentlichten auch zahlreiche Zeitschriften und Prag wurde zu einer literarischen Stadt.

[...]

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Details

Titel
Bilder von Mensch und Menschheit im frühen Werk Franz Werfels
Autor
Jahr
2019
Seiten
46
Katalognummer
V1035633
ISBN (eBook)
9783346447210
ISBN (Buch)
9783346447227
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bilder, mensch, menschheit, werk, franz, werfels
Arbeit zitieren
Marie Šimečková (Autor:in), 2019, Bilder von Mensch und Menschheit im frühen Werk Franz Werfels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1035633

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