Aufrufe und Manifeste der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD)


Fachbuch, 2021

249 Seiten


Leseprobe


Einführung

Zusammenstellung der Dokumente

Dokumente

Literaturliste

Einführung

Die Zusammenstellung der Aufrufe und Manifeste des Parteivorstandes des USPD-Zentralkomitee bzw. der Zentralleitung1 ergänzt die bereits veröffentlichten Arbeiten über die USPD2.

Die Manifeste, Aufrufe und Proklamationen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft (SAG) und ab April 1917 des Parteivorstandes der USPD erschienen während des 1. Weltkrieges in der Leipziger Volkszeitung, ab Mitte November 1918 im offiziellen Parteiorgan der USPD in Die Freiheit und auch zu großen Teilen – meist einen Tag später in der Leipziger Volkszeitung.3

In diesen Aufrufen wird die Politik der USPD erklärt, Parteimitglieder mobilisiert und mit Argumenten versehen, Kritik am Versailler Vertrag, an der Mehrheitssozialdemokratie und ab 1919 an den Kommunisten und der kommunistischen Internationale formuliert, Militaristen und Monarchisten scharf verurteilt, Forderungen an andere Parteien gestellt oder zurückgewiesen.

Bis zum Herbst 1922 und der (Wieder-)Vereinigung mit der Sozialdemokratie wurde diese Möglichkeit vom Parteivorstand benutzt, um unmittelbar auch zwischen Parteitagen oder Reichskonferenzen die eigenen Mitglieder zu informieren, sie mit der Positionen der Zentralleitung bekannt zu machen.4 Insgesamt handelt es sich um über 140 Aufrufe.

Quantität der Aufrufe und die Sprache sagen bereits einiges über die Politik dieser jungen sozialistischen Partei im und nach dem Ersten Weltkrieg aus.

Die Häufigkeit dieser Aufrufe und ihr Umfang änderte sich zunehmend. Waren es während 1917 nur 12 Aufrufe (1918 12 Verlautbarungen), so im Jahr 1919 in und nach der Novemberrevolution bereits 37 Veröffentlichungen. Mit den großen Erfolgen 1920 bei den Reichstagswahlen im Juni und den intensiven Auseinandersetzungen um einen internationalen Zusammenschluss / Anschluss uni 1920 wurde das Maximum an Aufrufen erreicht: 40. Mit den endgültigen Spaltung und des Übergangs eines beträchtlichen Teils der USPD zur KPD5 flauten die veröffentlichten Manifestationen wieder ab.

Anzahl der Aufrufe des Zentralkomitees der USPD

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die auf den Parteitagen verabschiedeten Manifeste werden – an entsprechender chronologischer Stelle im Kasten verkleinert - wiedergegeben. Sie stellen ein Zwischen-Resümee der Position der Gesamtpartei, nicht nur des Parteivorstandes dar und formulieren zu den verschiedenen Zeitpunkten den politischen Konsens der Partei(mehrheit).

Während der Zeit des Weltkrieges waren die Möglichkeiten einer Werbung für die neue Partei mittels Darstellung in der Presse sehr begrenzt. Erst ab November 1918 änderte sich diese Situation grundlegend: Mit dem Ausbruch der Novemberrevolution ist erste Phase der USPD-Geschichte abgeschlossen: eine neue Partei war entstanden, mit der Herausgabe eigener Zeitungen (Zentralorgan Die Freiheit, ab 15. November 1918) konnte die USPD weitere Schichten der Arbeiter und zurückgekehrten Soldaten für sich gewinnen, viele neue Ortsgruppen entstanden, im Rat der Volksbeauftragten waren die Unabhängigen quantitativ gleichstark vertreten wie die Mehrheitssozialdemokratie, unterschiedliche Strömungen in der USPD bildeten einen lebendiges sich immer wieder veränderndes Bild dieser Partei.

Die Suche nach einem eigenständigen Profil unabhängig von der Friedensfrage definierte die zukünftige Arbeit dieser USPD. Eine Planung, wie denn die USPD in und nach einer Revolution und dem Kriegsende die deutsche Politik beeinflussen oder lenken wollte, existierte nicht. Das einigende Band – der Kampf für den Frieden und gegen jede Kriegsverlängerung – hatte sich verflüchtigt, ein neues, einigendes Band der Zukunftsgestaltung war noch nicht entwickelt.

Betrachtet man die Hauptthemen der Aufrufe von 1919-1922, so werden einige Themen immer wieder erörtert:

In fast allen Veröffentlichungen wird eine massive Kritik

- an der Mehrheitssozialdemokratie formuliert, die ihre alten Grundsätze spätestens ab 1914 über Bord geworfen habe,
- gegen die Ende Dezember 1918 gegründete KPD deutlich, die beschrieben wird als völlig abhängig von den russischen Bolschewiki
- wie auch gegenüber den alten bürgerlichen Parteien, die das alte wilhelminische Kaiserreich wieder zu neuem Leben verhelfen wollte, prägten das Bild der USPD.

Weitere Themen, die immer wieder aufgegriffen wurden:

Themen der Aufrufe

(nach Jahrgang und Dokumentennummer gegliedert)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erstaunlich, dass das Thema Räte in den Aufrufen nicht die Bedeutung erfuhr, die sie auf den Parteitagen erfahren hatte. Zum ersten Mal wurde die Räte (hier als Arbeiter- und Soldatenräte) am 13. November 1918 erwähnt.

Stets war es die USPD – so ihr selbstgewähltes Bild – die einzige Partei,

- die die Revolution weiterzutreiben versuchte,
- die die einzige sozialistische Alternative gegenüber der verbürgerlichten Mehrheitssozialdemokratie und der moskauhörigen KPD war,
- die eine klare Politik zum Sozialismus formulieren konnte,
- die in eindeutiger Gegenposition zu den bürgerlichen Parteien handelte.
- die sich für die Verteidigung und den Ausbau des Rechtsstaates einsetzte.

Neben der kontinuierlichen Kritik an den Rechtssozialisten und den Linken (KPD und Bolschewiki) - beides Brüder im Geiste der Arbeiterklasse - werden die bürgerlichen Parteien, die Reaktionäre, Monarchisten und Kapitalisten, meist in einen „reaktionären Topf“ geworfen: eine Differenzierung zwischen bürgerlichen und konservativen und reaktionären Parteien findet nicht statt.

Natürlich können solche Aufrufe nicht zu allen politischen Ereignissen in der Zeit vom November 1918 - September 1922 Stellung nehmen, z.T. werden Themen in Zeitungsartikel ausführlich behandelt, so dass ein Extra-Aufruf der Zentralleitung nicht notwendig war, aber zu zentralen Themen, die die USPD betrafen, hatte die Zentralleitung die Aufgabe, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren und damit die inhaltliche Position der USPD deutlich zu machen, jenseits der allgemeinen Information durch die Presse.6 Wenn man davon ausgeht, so sind fehlende Aufrufe der Zentralleitung zu den folgenden Themen, die redaktionell ausführlich dargestellt wurden, trotzdem erstaunlich:

6.12.1918: Reichskonferenz der USPD zur Frage einer Wiedervereinigung mit der SPD

29.12.1918: Haase, Dittmann und Barth treten als Volksbeauftragte zurück7.

6.2.1919 Großer Artikel auf S.1 „Die Eröffnung der Nationalversammlung“8.

1.-3.9.1920: Reichskonferenz der USPD: Die Russland-Rückkehrer berichten.9

Diese Liste ließe sich erweitern.

Natürlich war es unter verlegerischen Aspekten eine Abwägungsfrage, inwieweit hier ein großer Artikel oder eine Erklärung der Zentralleitung angemessener wäre.

Auf einzelne Artikel soll hier nicht weiter eingegangen werden; einige Auffälligkeiten seien festgehalten:

In den Dokumenten 82 und 83 wird die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegner des unmittelbaren Anschlusses an die Kommunistische Internationale in der Roten Fahne und ganz entgegengesetzt in Der Freiheit öffentlich geführt.

Vom Ergebnis des Parteitages in Halle existieren zwei Aufrufe an die Arbeiterschaft, verfasst von der USPD(Rechte) und USPD(Linke); beide Dokumente Nr. 96, 97 werden abgedruckt.

In Dokument Nr. 134 vom 24. März 1922 wird der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) fast die gesamt erste Seite der Freiheit zur Verfügung gestellt, um den Aufruf an andere Arbeiter zum Übertritt in die USPD zu bewegen. Liest man diesen Aufruf mit der folgenden, ebenfalls auf der S.1 erschienenen, Erklärung der Zentralleitung der USPD, so fällt auf, dass die KAG im Sinne einer Einheitsfront bereits ein Zusammengehen auch mit den Proletarier der SPD und der KPD unterstützt; so weit ging die USPD zu dieser Zeit noch nicht. Insofern ließ man der KAG den Vortritt, diesen Gedanken auszusprechen. Erst nach der Ermordung des Außenminister Rathenau im Juni 1922 war auch die USPD bereit, sich mit der Sozialdemokratie zusammenzuschließen.

Auffällig am Manifest der Vereinigung mit der SPD (Dokument Nr. 143) ist das Fehlen „sozialistischer Grundpositionen“, wie sie die USPD immer wieder formuliert hatte: Sozialisierung, Diktatur der Räte, Entwaffnung der Gegenrevolution – nicht mehr erkennbar; man hat fast das Eindruck, dass eine (links)liberale Partei ihr Programm zusammengefasst hat.

Eine Gesamtanalyse der Politik des Vorstandes der USPD liegt bisher nicht vor,10 auch wenn bereits durch Presseerklärungen, neben den Reden in den Parlamenten, einen Radikalisierungsprozess der Gesamtpartei von der Gründung 1917 bis zum Sommer 1920 (Wahlerfolg bei der Reichstagswahl, Anwachsen der Mitglieder auf fast 1 Millionen), aber auch die zunehmende innerparteiliche Lähmung durch die Diskussion des Zusammenschlusses oder Anschlusses an die 3. Internationale festzustellen ist. Diese innerparteiliche Auseinandersetzung band Kräfte, stürzte die Partei im Endeffekt in eine schwere Krise, von der sie sich nicht mehr erholen konnte.

Die innenpolitisch-ökonomische Lage in Deutschlands, der Zusammenbruch der eigenen Organisation, das Verschwinden von einem Drittel aller Mitglieder aus der organisierten Arbeiterbewegung verschärften diese Problematik, so dass nur noch ein Zurück zur alten Sozialdemokratie übrigblieb - über Ledebour, der diesen Weg nicht mitging, ist an anderer Stelle bereits Material zusammengetragen worden11.

Die Zentralleitung der USPD, die sich vom Oktober 1918 bis Sommer 1920 immer weiter radikalisierte, zerbrach an die Frage des internationalen Zusammenschlusses. Auch wenn die Mehrheit der Zentrale-Mitglieder, wie auch der USPD-Reichstagsabgeordneten und Redakteure der USPD-Zeitungen nicht den ‚bolschewistischen Weg‘ der dritten Internationale unterstützten, konnten sie es nicht verhindern, dass die Mehrheit der Mitglieder und die Mehrheit auf dem Parteitag in Halle im Herbst 1920 diesen radikaleren Weg bestreiten wollten. Erklärungen hierzu wurden bereits an anderer Stelle formuliert.12 13 14 Es ist das Schicksal der USPD, dass sie dies nicht verhindern konnte. So wurde sie zwischen einer reformistischen Sozialdemokratie und einer putschistisch-bolschewistischen kommunistischen Partei zerrieben; sie konnte in keiner der beiden Parteien der Arbeiterbewegung eine Mehrheit für eine ‚sozialistische‘ Politik herstellen, die sowohl über die Aktivität der Massen ‚auf der Straße‘ und in den Fabriken wie auch im Parlament für einen dritten, sozialistischen Weg eine Mehrheit fand.

Zur Edition:

Die Rechtsschreibung wurde behutsam auf die aktuelle Rechtschreibung modernisiert.

Nicht aufgenommen wurden die Manifeste des Gründungsparteitages der KPD. Der Parteitag der „Rest-USPD“ hat 1923 keine Manifest verabschiedet. Das Manifest der „Rest-USPD“ von 1926 wird hier der Vollständigkeit halber erneut abgedruckt. Weitere Aufrufe, Manifest oder ähnliche Verlautbarungen der „Rest-USPD“ sind nicht bekannt.

Offene Brief an die USPD wurden nicht aufgenommen.

Da nicht alle Nummern der Zeitung Die Freiheit zur Verfügung standen, mag es die eine oder andere offizielle Erklärung des USPD-Vorstandes geben, die hier nicht aufgenommen werden konnte. Manche Seiten von Die Freihei t wurden aus urheberrechtlichen Gründen gesperrt.

Eugen Prager, Redakteur von Die Freiheit und erster Chronist der Geschichte der USPD hat viele Aufrufe und Manifeste der Zentralleitung der USPD in seinem Buch neben anderen zeithistorischen Dokumenten erstmals abgedruckt. Allerdings fehlen bei ihm jegliche Quellenangaben; manche Verlautbarungen sich gekürzt, andere fehlen vollständig.

Zusammenstellung der Aufrufe des Parteivorstandes des USPD

Reichskonferenz der USPD zur Frage einer Wiedervereinigun

Dokumente:

1. Friedensmanifest der Opposition (8.1.1917) 15

Genossen!

Die Internationale fordert gemäß der Kongressbeschlüsse von Stutt­gart, Kopenhagen und Basel die sozialistischen Parteien auf, bei dem Ausbruch eines Krieges für dessen schnelle Beendigung einzutreten.

Dementsprechend hat die Opposition in der deutschen Sozialdemo­kratie sich stets der Parole des Durchhaltens bis zum Siege widersetzt und stets von der Regierung verlangt, dass sie ihre Friedensbereitschaft bekennt. Die Opposition hat ihre Friedenspropaganda nicht erst mit dem Moment begonnen, wo eine solche von der Regierung gutgeheißen wurde.

Was die Opposition fordert, war nicht die Bereitschaft zum Frieden um jeden Preis, aber auch nicht die bloße Bereitschaft zu einem Frie­den an sich ohne jede nähere Angabe seiner Bedingungen. Was sie for­dert, war die Bereitschaft zu einem Frieden, in dem es weder Sieger noch Besiegte gibt, zu einem Frieden der Verständigung ohne Ver­gewaltigung.

Die Opposition innerhalb der deutschen Sozialdemokratie betrachtet die Friedensbereitschaft, die der Reichskanzler am 12. Dezember v. J. kundgab, als Symptom aufkeimenden Friedenswunsches in den regie­renden Kreisen. Sie kann aber die Art der Ankündigung dieser Bereit­schaft nicht als taugliches Mittel zur Erreichung des Friedenszieles an­erkennen.

Der Reichskanzler proklamierte das Deutsche Reich als Sieger im Weltkriege. Und doch erschwert das Pochen auf erfochtene Siege den Friedensschluss ebenso sehr, wie die Ankündigung kommender Siege.

Ferner unterliefe der Reichskanzler jede genaue Darlegung der Kriegsziele. Keine der beiden Mächtegruppen hat bisher Kriegs­ziele erkennen lassen, die der andern Seite das Eingehen auf Verhand­lungen erleichtern. Diese verhängnisvolle Unterlassung ist eine Folge der Macht, welche die Kriegsparteien in den herrschenden Klassen noch besitzen. Deren Einfluss muss gebrochen werden, ehe wir zum Frieden kommen können. Das ist nicht zu erreichen durch diplomatische Trans­aktionen hinter den Kulissen, sondern nur durch die Einwirkung der Volksmassen auf ihre Regierungen. Nur aus diesem po­litischen Kampf, nicht aus dem Burgfrieden kann die wirkliche Friedens­bereitschaft hervorgehen. Sie erheischt die Aufhebung des Kriegszu­standes, erheischt die Freiheit der Presse und der Versammlungen.

Aber auch nur als internationaler Kampf ist das Ringen um den Frieden zu gewinnen. Es darf nicht einseitig bleiben. Mehr als je bedürfen wir in der neuen Situation, die durch das Friedensangebot des Reichskanzlers und die Intervention Wilsons geschaffen worden ist, des internationalen Zusammenhanges der Parteien des proletarischen Sozialismus, der berufenen Vorkämpfer des Friedens. Mag die Kundgebung dieses Zusammenhanges heute durch äußere Gewalten oder durch die Haltung mancher Mehrheiten noch gehemmt werden, umso notwendiger ist es, dass diejenigen, die den internationalen Zusammenhang geistig nie aufgegeben haben und bisher schon — wie es auch in Zimmerwald und Kienthal geschah — jede Gelegenheit be­nutzten, ihn zu -betonen, ihre innere Übereinstimmung auf das Unzwei­deutigste bekunden.

Wir halten dafür, dass in allen kriegführenden Ländern für die so­zialistischen Parteien die Zeit gekommen ist, von ihren Regierungen eindringlich die genaue Mitteilung der Ziele zu fordern, für die sie den Krieg führen; zu fordern, dass diese Ziele derart sind, dass sie für keines der betreffenden Völker eine Demütigung oder eine Schädigung ihrer Existenzbedingungen bedeuten, dass die Sozialisten überall den Kampf gegen alle Parteien aufnehmen, die den Krieg über diese Ziele hinaus fortsetzen wollen.

Als demokratische und internationale Partei steht die Sozialdemokratie auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Aber die Op­position innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hat zu k einer der bürgerlichen Regierungen genügendes Vertrauen, um einer von ihnen die Mission der Befreiung der Nationalitäten durch den Krieg zuzuerkennen. Diese Aufgabe allseitig zu lösen, kann nur das Werk des siegreichen Proletariats sein.

Doch stehen wir der Freiheit und Selbstbestimmung der Nationen in der bürgerlichen Gesellschaft keineswegs gleichgültig gegenüber. Wir müssen uns entschieden dagegen wehren, dass der Zustand, wie er vor dem Kriege bestand, durch diesen noch verschlechtert wird. Wir leh­nen jede Gebietsveränderung ab, die nicht die Zustimmung der betreffenden Bevölkerung hat. Was die Internationale vor allem gemäß den Beschlüssen ihrer Kongresse zu fordern hat, sind internatio­nale Abkommen über die Entscheidung aller Konflikte zwischen den Staaten durch Schiedsgerichte und über eine allseitige Ein­schränkung der Kriegsrüstungen.

Im Wettrüsten liegt eine der stärksten Wurzeln des jetzigen Krieges. Sie auszurotten, ist die erste Vorbedingung dafür, künftigen Kriegen vor­zubeugen. Hier ist die Möglichkeit vorhanden, über den Status quo vor dem Kriege hinauszugehen, einen Fortschritt zu erzielen für alle, ohne Benachteiligung irgendeines der kriegführenden Teile. Hier wird in bes­serer Form an materiellen Vorteilen das gegeben, was man vergeblich durch Kriegsentschädigungen zu erreichen sucht: jede Milliarde im Jahre, die durch eine Verminderung der Rüstungskosten erspart wird, entspricht der Verzinsung einer Kriegsentschädigung von 20 Milliarden.

Mit dem Abkommen über Abrüstung und Schiedsgerichte wird auch das Maximum an materiellen Garantien gegen künftige Überfälle gegeben, das in der kapitalistischen Gesellschaft durch bestimmte Friedensbedingungen überhaupt erreichbar ist.

Den sichersten Schutzwall des Friedens bildet freilich nur ein politisch machtvolles, geistig selbständiges Proletariat, bildet dessen intensivste Teilnahme an der äußeren Politik, die im vollsten Lichte der Öffentlichkeit zu führen ist.

Macht und Selbständigkeit des Proletariats, Offenheit und Klarheit in der Politik, Einheit im Innern, internationale Solidarität nach außen bringen den Frieden, sichern den Frieden.

Aus: Leipziger Volkszeitung 24. Jg., Nr. 5 (8. Januar 1917), S.1 16 .

[Neben dieser Friedensmanifest wurden zwei weitere Resolutionen verabschiedet:]

2. Resolution 1: Über die Organisation der Opposition17

Seit Ausbruch des Weltkrieges ist der Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands bestrebt, mit allen Mitteln die Gesamtpartei auf die Politik der Reichstagsfraktion vom 4. August 1914 festzulegen, und sie dieser Politik dienstbar zu machen. Den wachsenden Widerspruch versucht er durch planmäßige Gewaltmaßregeln und der Verletzung des Organisationsstatuts der Partei niederzuhalten.

Zeichen dieses parteizerrüttendes Treibens sind sein Auftreten in Berlin, Bremen, Duisburg, Frankfurt, Stuttgart, die rechtswidrige Auslieferung der Presse an die Anhänger seiner Politik auch an Orten, wo die Parteiorganisation in großer Mehrheit auf dem Boden der Opposition stehen, die Maßregelung der Redakteure in Berlin, Bremen, Duisburg und Stuttgart, der Missbrauch des Parteiausschusses zur Deckung der Vorstandspolitik und seine statutenwidrigen Handelns, und das Hinausdrängen der oppositionellen Abgeordneten aus dem Reichstagsfraktion.

So hat der Parteivorstand ihn von der Gesamtpartei auferlegte Pflicht, allen Anschauungen innerhalb der Partei freie Betätigung auf dem Boden des Parteiprogramms zu gewähren, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Parteipresse zu wahren, die Parteipresse zum Kampf gegen den Kapitalismus und die von diesem betriebenen Politik zusammenzuhalten, fortdauernd verletzt und mit Absicht, zur Förderung seiner Sonderbestrebungen, die ihm innerhalb der Organisation zugewiesenen Bedürfnisse überschritten. Dem Parteivorstand erwächst damit die dringende Pflicht, zum Schutz gegen dieses organisationswidrige und die Partei gefährdende Verhalten des Vorstandes, zur Wahrung der Parteigrundsätze und des Parteistatuts einheitlich und entschlossen aufzutreten.

Die Orts- und Kreisorganisationen, deren Mehrheit die Auffassung der Opposition teilt, haben in stete enge Fühlung zueinander zu treten. Dort, wo die oppositionellen Genossen nicht die Mehrheit in der Organisation haben, haben sie im Rahmen des Parteistatuts unermüdlich für die Ausbreitung ihrer Anschauungen zu wirken und zur Erfüllung der der Opposition im Interesse der Partei obliegenden Aufgaben, sowie zur eigenen Belehrung, in geeigneter Weise einen Zusammenschluss herbeizuführen.

Die Sperre der Parteibeiträge, die als schärfstes Misstrauensvotum gegen den Parteivorstand gedacht ist, ist als ungeeignet zurückzuweisen18, da sie die finanzielle Macht des Parteivorstandes in keiner Weise ändert und ihnen nur eine bequeme, wenn auch im Parteistatut nicht begründete Handhabe bietet, Parteiorganisationen „außerhalb der Partei“ zu stellen, und ihrem Einfluss auf die Entscheidung der Partei auszuschalten.

Diesen Einfluss preiszugeben, wäre ein großer Fehler. Der Parteitag, der nach Wiederherstellung verfassungsrechtlicher Garantien und gründlicher Vorbereitung zusammentritt, soll die Opposition auf ihrem Platze finden, wenn es gilt, darüber zu entscheiden, ob die Partei die alten Bahnen aufgeben soll.

Ziel der sozialdemokratischen Ziel der Sozialdemokratie ist es, die kapitalistische Produktionsweise, deren Anarchie sich besonders in Kriege gezeigt hat, in die sozialistische umzuwandeln, die politische Macht zu diesem Zweck zu erringen und den Kampf um diese zu einem einheitlichen zu gestalten.

Die während des Krieges vom Parteivorstand betriebene Politik ist damit unvereinbar, weil sie die Bourgeoisie stärkt, bei ihrer Machterweiterung stützt, die Arbeiterklasse dagegen noch mehr spaltet, und in der Verfolgung des sozialistischen Zieles hemmt.

Aufgabe der Opposition ist es, die arbeitende Klasse auf das alte Kampffeld zurückzuführen, und überall die grundsätzliche Politik der Sozialdemokratie zu fördern.

Zur Erfüllung dieser Aufgabe fordern wir die Parteigenossen auf, im Sinne vorstehender Vorschläge mit tatkräftigem Eifer zu wirken.

Aus: Leipziger Volkszeitung, 24. Jg., Nr.5 (8.1.1917), 2. Beilage, S.9. Der Titel erscheint nur in der LVZ; auch abgedruckt in USPD Protokolle Gotha 1917, S.97f.

3. Resolution 2: Zur Friedensfrage19

Das Scheitern der Friedensaktion, die deutsche Ablehnung des Wilsonschen Vorschlags zur Vorbereitung einer Friedenskonferenz, die Kriegsziele mitzuteilen und zu diskutieren, und die Zurückweisung des deutschen Angebots als eines bloßen Kriegsmanöver durch die Entente, bedeutet den völligen Zusammenbruch der Friedenspolitik des sozialdemokratischen Parteivorstandes und der Fraktionsmehrheit. Es war im Voraus selbstverständlich, dass die Anregung einer Konferenz, ohne zugleich die Grundlage anzugeben, auf denen sie beraten solle, ein hoffnungsloses Unternehmen war. Die Aktion stand zudem in vollem Widerspruch zu den früheren sogenannten Friedensangeboten des Reichskanzlers, in denen er die Gegner aufforderte, ihre Bedingungen anzugeben, über die deutsche Regierung zu verhandeln bereit sei, wenn sie mit der Würde und Sicherheit Deutschlands vereinbar wäre. Wenn der Vorwärts jetzt sich der Losung anschließt, dass nun erst recht durchgehalten werden müsse, da über den Charakter eines deutschen Verteidigungskrieges kein Zweifel mehr möglich sei, so liefert er damit Material zur Unterstützung der Ententebehauptung, dass das deutsche Angebot vom 12. Dezember 191620 überhaupt nur den Zweck gehabt habe, die Kriegsleidenschaft des deutschen Volkes aufzupeitschen; zugleich wird dadurch schon jetzt im Voraus der sozialdemokratischen Fraktion der Weg geebnet, selbst einem zukünftigen radikal alldeutschen Kanzler die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion anzubieten, da solche Regierungswechsel ja die Folge des Verhaltens der Entente sein würde.

Der natürliche Misserfolg, der mit untauglichen Mittel unternommene Friedensaktion, macht jetzt jedermann klar, dass die falsche und unfruchtbare Mehrheitspolitik nicht einmal mehr mit Finten diplomatischer Taktik entschuldigt werden kann

Für das deutsche Volk gibt es nur noch zwei Wege: entweder unterstützt man, direkt oder indirekt, die alldeutsche Eroberungspolitik, oder man ruft die proletarischen Massen zu einer selbständigen, gegen die verantwortliche Regierung gerichteten europäischen, demokratischen und sozialistischen Friedenspropaganda auf, die keine Isolierung eines deutschen Friedens, sondern die Schaffung eines Weltfriedens der Völker zum Ziel hat.

Aus: USPD Protokolle Gotha 1917, S.118f.

4. „Wir haben uns nicht getrennt“ (20.1.1917)21

Parteigenossen!

Am 18. Januar 1917 ist auf Einladung des Parteivorstandes der Parteiausschuss in Berlin zusammengetreten und hat in seiner in einer längeren Resolution erklärt, dass die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft und ihre Anhänger sich selbst von der Partei getrennt haben.22

Aus dieser Kundgebung geht unzweifelhaft hervor, dass der Parteivorstand gewillt ist, ganze Organisationen und eine große Zahl von Parteigenossen ihrer Parteirechte zu berauben.

Da die Bedrohten in den einzelnen Parteiorganisationen in Deutschland nicht sofort zu den geplanten Gewaltakten Stellung nehmen können, da aber andererseits eine sofortige Gegenkundgebung erforderlich ist, glauben die unterzeichneten Vertreter der Fraktion der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft und des Zentralvorstandes der Wahlvereine von Groß-Berlin im Sinne der gesamten Opposition zu handeln, indem sie ohne den Entschließungen der einzelnen Parteiorganisationen vorgreifen, folgendes erklären:

Parteigenossen. Wir haben uns nicht von der Partei getrennt. Wir stehen vielmehr mit voller Überzeugung und Treue auf dem Boden des Parteiprogramms. In der Besprechung vom 7. Januar wurde ja auch ausdrücklich erklärt, dass wir die Ausbreitung unserer Anschauung im Rahmen des Parteistatuts wirken wollen.

Dem Parteivorstand steht ebenso wenig wie irgendeiner anderen Körperschaft das Recht zu, ganze Parteiorganisationen oder einzelne Parteigenossen durch irgendeine Verfügung aus der Partei auszuschließen. Der Ausschluss aus der Partei kann nach dem Organisationsstruktur nur durch ein schiedsgerichtliches Verfahren erfolgen, dessen letzte Instanz der Parteitag ist.

Die Besprechung vom 7. Januar fand statt als unumgängliches Abwehrmittel gegen Statutenwidrige und parteischädigende Handlungen des Parteivorstandes selbst. Der Parteivorstand hat während der ganzen Kriegszeit parteizerstörend gewirkt. Dafür sind die Vorgänge in Stuttgart, Duisburg, Frankfurt am Main, Berlin und Bremen untrügliche Beweise. Er hat sich unter dem Schutze des Belagerungszustandes, und der Missbrauch der Treuhänder-Befugnisse einzelner Vorstandsmitglieder und unter dem Bruch des Parteistatuts das ausschließliche Verfügungsrecht über Parteizeitungen angeeignet, um sie seinen Sonderinteressen dienstbar zu machen. Unter Billigung und Mitwirkung der Mehrheit des Parteivorstandes wurden in Teltow-Beeskow und Groß-Berlin Sonderorganisationen zur Bekämpfung der rechtmäßigen Wahlkreisorganisationen ins Leben gerufen. Der Beschluss des Parteiausschusses krönt diese Gewaltpolitik des Parteivorstandes.

Seine Erklärung findet der Beschluss in der offenkundigen Tatsache, dass der Mehrheit des Parteivorstandes und der Reichstagsfraktion wegen der von diesen Instanzen betriebenen Kriegspolitik mehr und mehr der Boden unter den Füßen schwindet. Trotzdem diese Machthaber der Partei durch den Belagerungszustand in der Beeinflussung der Parteimeinung ebenso sehr begünstigt werden wie die Opposition gehemmt wird, bricht sich die Erkenntnis von der Schädlichkeit der Vorstands- und Fraktionspolitik stetig unter den Parteigenossen Bahn. Die Opposition gewinnt an Boden! Die Zeit erscheint nicht mehr fern, in der die Oppositionsanschauung in der sozialdemokratischen Partei ausschlaggebend sein werden. Aus Angst vor diesen nahenden Verhängnis greift deshalb die Vorstandsmehrheit zu brutalen Gewaltmitteln, um sich an der Herrschaft zu behaupten, indem sie die Parteieinrichtungen, die Zeitungen und die Geldmittel der Partei unter irgendwelchen Vorwänden an sich reißt. So setzt der Parteivorstand an die Stelle des demokratischen Mittels des Überzeugungskampfes - die nackte Gewalt.

Der Opposition ist ihrer Aufgabe vorgezeichnet durch unser gutes Recht und das Gesamtinteresse der Arbeiterbewegung. Mit dem gemaßregelten Parteiorganisation und Parteigenossen werden sich alle unsere dem gleichen Anschauungen huldigen Freunde solidarisch erklären.- Wie die oppositionell gerichteten Parteiorganisationen, Parteigenossen, später ihre Rechte zu wahren und die Vertretung unserer Anschauungen im öffentlichen Leben sicherzustellen haben, muss künftigen Entschließungen vorbehalten bleiben. Jetzt ist kein Tag zu verlieren! Deshalb Parteigenossen schließt Euch zusammen zur Wahrung unserer Rechte in der Parteiorganisationen.

Der Kampf, den wir in der Partei durchzufechten haben, ist nur die Folgeerscheinung des großen grundsätzlichen Widerstreits zweier Weltanschauungen. Der Vorstand und seine Anhänger haben sich durchgemausert zu nationalsozialen Anschauungen und sind so zu einer Gefolgschaft der Regierung und der imperialistischen bürgerlichen Parteien geworden. Wir blieben und bleiben auch während des Weltkrieges Vorkämpfer für den Weltfrieden und die Befreiung des Proletariats

Deshalb Genossen frisch ans Werk. Werbt und wirkt für die Ziele der völkerbefreienden Sozialdemokratie.

Für die Fraktion sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft

Haase, Ledebour, Dittmann, Vogtherr

Für die Parteiorganisation Groß-Berlin

Adolf Hoffmann P. Hoffmann, Herbst.

Aus: Leipziger Volkszeitung 24. Jg., Nr. 16 (20. Januar 1917), S.1. 23

5. Die Entscheidung ist gekommen (9.2.1917)24

Parteigenossen.

Die Stunde der Entscheidung ist für uns alle gekommen. Seit Kriegsbeginn sind Parteivorstand und Fraktionsmehrheit in einer antisozialistischen Politik hineingeraten, die stetig sich verschlimmernd die offizielle Sozialdemokratie zu einer nationalsozialen Regierungspartei gemacht hat.

Diese Neuorientierung begann mit Zustimmung zu den Kriegskrediten; sie steigerte sich zur Bewilligung des Budgets so trieb die Mehrheit der Reichstagsfraktion durch die burgfriedliche Verbrüderung mit den bürgerlichen Parteien in die Unterstützung imperialistischer Kriegsziele hinein. Durch beharrliche Ablehnung der Minderheitsforderung, dass die Regierung zur Proklamierung eines annexionlosen Friedensangebots gedrängt werden solle, wirkte die Fraktionsmehrheit kriegsverlängernd, nicht aber, wie sie jetzt vorgibt, friedensfördernd. Den steigenden Einfluss der Opposition suchte die Fraktionsmehrheit, als die Minderheit das Recht der selbständigen Meinungsäußerung für sich in Anspruch nahm, dadurch zu brechen, dass sie ihr widerrechtlich und den Parteitagsbeschlüssen entgegen die Fraktionsrechte entzog. Sie nötigte dadurch die Minderheit, sich nunmehr als selbständige Fraktion zu konstituieren. Der tiefer gehende sächsische Gegensatz zwischen den beiden Fraktionen trat dann fortgesetzt im Reichstag und in der Behandlung aller politischen Fragen zu Tage, zuletzt noch bei dem Hilfsdienstgesetzt, das von der Fraktion angenommen von der Arbeitsgemeinschaft abgelehnt wurde.

Gleichzeitig hatte der Parteivorstand den Kampf gegen die oppositionelle Presse durch Absetzung von Redakteuren und durch Besitzergreifung von Zeitungen begonnen diese Politik der Gewalttätigkeiten gipfelte in der Ausnutzung des Belagerungszustandes zum Raube des Vorwärts. Auch in der Bekämpfung oppositioneller Organisationen schritt der Parteivorstand von Rechtsbruch zu Rechtsbruch. An verschiedenen Orten veranlasste er die Gründung von Sonderorganisationen. Das Signal zu allgemeiner Parteispaltung ließ er sich dann am 18. Januar des Jahres durch ein Gutachten des Parteiausschusses geben, das Amt, das er am 22. Januar zu einer eigenen Kundgebung verwertete. Er drohte darin, diejenigen Parteigenossen, die sie zu oppositionellen Anschauungen bekannt haben, aus den von ihm selbst beherrschten Organisationen auszustoßen und zur Bekämpfung der oppositionellen Organisation überall durch seine Handlanger Gegenorganisationen gründen zu lassen.

Dieser Drohung sind jetzt die Taten gefolgt.

Im Kreise Potsdam Osthavelland wurde am 28. Januar auf Anstiften des Parteivorstands gegen die rechtmäßigen Wahlkreis Organisation ein Gegenverein gegründet. Diese Sonderorganisation tat dann gleich einen weiteren Schritt auf der Bahn der Parteizerrüttung, indem sie für die bevorstehenden Reichstagsersatzwahl ihren Vorsitzenden als Gegenkandidaten gegen den rechtmäßig aufgestellten oppositionellen Kandidaten aufstellte. Das geschah, um mit Hilfe der bürgerlichen Parteien ein Mandat an sich zu reißen, das dem Genossen Liebknecht durch ein Zuchthaus Urteil entrissen wurde. In Berlin wurde die Gründung von Gegenorganisationen gegen die rechtmäßigen Wahlvereine durch einen offenbar abgekarteten Briefwechsel zwischen Vorsitzenden des „Diskutier Clubs Vorwärts “ und dem Parteivorsitzenden Ebert eingeleitet. Ebert gab in seiner Antwort eine ausführliche Anleitung zur Parteispaltung in Berlin. Sie wurde bereits in mehreren Wahlkreisen befolgt. Das Vorbild des Parteivorstandes wurde auch bereits von den Leitern des Landesorganisationen in Sachsen sowie der Bezirksorganisation in Dresden und Zwickau nachgeahmt. Die ganze Bezirksorganisation Leipzig sowie die Vertreter mehrerer Wahlkreisorganisationen wurden durch Mehrheitsbeschluss kurzerhand der Rechte beraubt, die ihren von den organisierten Genossen übertragen waren.

So vollzieht sich jetzt die Parteispaltung, weil ein Dutzend zur Besorgung zentraler Parteigeschäfte angestellter Parteibeamten wider alles Parteirecht sich anmaßen, nach eigenem Gutdünken den Ausschluss einzelner Parteigenossen und ganzer Organisationen aus der Partei zu dekretieren.

All diese Übergriffe sind nach dem Parteirecht zwar null und nichtig. Die Machtmittel, die der Parteivorstand als zentrale Verwaltungsbehörde in Händen hält und die Unterstützung seitens einer großen Anzahl von Genossen in leitenden Stellungen ermöglichen es ihnen jedoch, im Rahmen der von ihm beherrschten Organisationen unseren Freunden überall die Parteitätigkeit unmöglich zu machen. Gegenüber der planmäßigen Schaffung von Sonderorganisationen durch den Parteivorstand genügt nicht mehr ein Protest. Es müssen sich nunmehr auch die oppositionellen Genossen überall zusammenschließen. Doch was den Genossen in Potsdam in Berlin in Sachsen usw. angetan wird ist ein Schlag, der uns alle trifft. Würde die Opposition nicht tatkräftig vorgehen, so hätte der Parteivorstand gewonnenes Spiel. Er würde die Städte einzeln zerbrechen gegen die er ohnmächtig bleibt wenn sie festverbunden ihm Widerstand leisten. Solidaritätspflicht ist es jetzt für alle grundsatztreuen Genossen, sich organisatorisch zu vereinen zu gemeinsamer Arbeit für die Gesundung der sozialdemokratischen Bewegung, für die Durchführung des sozialdemokratischen Programms sowie der Beschlüsse des Parteitages und der internationalen Sozialistenkongresse.

Im Einverständnis mit einer großen Anzahl von Genossen aus allen Teilen Deutschlands richten wir deshalb an alle Organisationen und Parteigenossen, die gewillt sind, mit der Fraktion der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft zusammenzuwirken, die Aufforderung, sich an einer Oppositionskonferenz zu beteiligen, in der die erforderlichen Maßnahmen zum Zusammenschluss der Opposition zu treffen sind. Zu dem Zweck bitten wir diejenigen Wahlkreisorganisationen, die sich bereits auf den Boden der Opposition gestellt haben oder die einen solchen Beschluss noch fassen werden, sich unverzüglich bei der unterzeichneten Adresse anzumelden. In Wahlkreisen, in denen nach der Anstachelung des Parteivorstandes die oppositionellen Parteigenossen durch Wahlkreisbeschluss ihrer Parteirechte beraubt werden, erwarten wir, dass sie sofort eine eigene Organisation gründen und uns hiervon sowie von ihrem Anschluss an unsere Bewegung gleichfalls in Kenntnis setzen. Nähere Mitteilungen über den Zusammentritt der Konferenz werden demnächst erfolgen, doch bitten wir, die organisatorischen Vorarbeiten dafür bis Mitte März zu beenden!

Und nun frisch ans Werk. Kein Tag ist zu verlieren!

Mit sozialdemokratischem Parteigruß

I.A der Vorstand der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft des Reichstages

Haase, Ledebour, Vogtherr

Briefadresse: E. Vogtherr MdR., Berlin, Reichstag

Aus: Leipziger Volkszeitung 24. Jg., Nr. 33 (9. Februar 1917), S.1.

6. Das Aktionsprogramm der Arbeitsgemeinschaft (26.3.1917)25

Die Fraktion der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft hat im Reichstag zum Etat des Reichskanzlers eine Resolution eingebracht, die dringlichsten politischen Forderungen, die die Sozialdemokratie in der jetzigen Zeit zu erheben hat, zusammenfasst. Die Resolution wird somit zu einem kurzgefassten Aktionsprogramm der Fraktion und zugleich für die sozialdemokratische Opposition, die in der Fraktion Arbeitsgemeinschaft ihre parlamentarische Befreiung erblickt26. Die Resolution lautet:

Der Reichstag wolle beschließen: Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen,

Schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen durch den die Einholung der Zustimmung des Reichstages bei der Begleitung und beim Abschluss von Bündnissen sowie bei Kriegserklärungen und Friedensverträgen sichergestellt und die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit des Reichskanzlers durch die Bestimmung praktiziert wird, dass der Reichskanzler zu entlassen ist, wenn der Reichstag es fordert;

Auf der schleunigen Abschluss eines Friedens auf der Grundlage des Verzichts auf Annexion jeder Art durch alle kriegsführenden Staaten hinzuwirken;

Dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, durch den bestimmt wird, dass

1. die Reichstagswahlen künftig nicht innerhalb abgegrenzter Wahlkreise für je einen Abgeordneten sondern nach der Verhältniswahlsystem stattfinden,
2. das Recht zu wählen oder gewählt zu werden mit dem vollendeten 20. Lebensjahr eintritt,
3. den Frauen unter den gleichen Bedingungen das aktive und passive Wahlrecht gewährt wird wie bei den Männern,
4. der Wahltag entweder ein Sonntag oder ein Feiertag sein muss.

Dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen durch den Artikel 3 der Verfassung des deutschen Reiches einem Zusatz folgenden Inhalts enthält: in jedem Bundesstaat muss eine aufgrund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts nach dem Verhältniswahlsystem gewählte Vertretung bestehen Das Recht zu wählen und gewählt zu werden haben alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundesstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur Feststellung des Staatshaushalts-Etats erforderlich.

Noch bestehende erste Kammern (Herrenhäuser) werden aufgehoben;

Dafür Sorge zu tragen, dass schleunigst alle zurzeit bestehenden gegen einzelne Parteien Schichten oder Klassen der Bevölkerung gerichteten Ausnahmebestimmungen aufgehoben werden, insbesondere: alle aus einem bestimmten religiösen oder religionslose und Bekenntnis abgeleiteten tatsächlich bestehende Beschränkungen der Gleichberechtigung, das Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, die gegen den Gebrauch einer nicht deutschen Muttersprache gerichteten Ausnahmegesetze und Vorschriften, die preußischen, gegen die polnisch sprechenden Teile der preußischen Bevölkerung gerichteten Enteignungs- und Ansiedlungsgesetze, die gegen ländliche Arbeiter und das Gesinde in Einzelstaaten gerichteten Strafvorschriften sowie die Gemeindeverordnungen, die gegen die Arbeiter gerichteten Beschränkungen in der Verwertung ihrer Arbeitskraft, insbesondere gegen die Ausübung ihres Koalitionsrechts gerichteten Strafvorschriften des § 153 der Gewerbeverordnung und die Anwendung der Strafvorschriften der Nötigung, der Erpressung und des groben Unfugs gegen die Ausübung des Koalitionsrechts der Arbeiter;

Dafür Sorge zu tragen dass schleunigst die sämtlichen wegen politischer Delikte ergangenen Strafen aufgehoben werden.

Berlin, den 22. März 1917

Bernstein, Bock, Büchner, Dr. Cohn, Dittmann, Geyer, Haase, Henke, Dr. Herzfeld, Horn, Kunert, Ledebour, Ryssel, Schwartz, Stadthagen, Stolle, Vogtherr, Wurm, Zubeil.

Es braucht nicht weiter betont zu werden dass es sich hier nur um ein Programm der dringlichsten Gegenwartsforderungen handelt, dass die weitergehenden Forderungen des Programms der Sozialdemokrat für die Fraktion wie für die Opposition als solche in voller Kraft bestehen bleiben. Das Aktionsprogramm enthält nur die Punkte, auf die zurzeit das Hauptgewicht der Parteiarbeit zu legen ist. Es sind neben der einen, alles andere beherrschenden Forderungen nach der Beendigung des Krieges solche, die die notwendigsten Bedingungen für die Demokratisierung des Reiches und der Bundesstaaten und die Herstellung der vollen Rechtsgleichheit darstellen. Dem nebelhaften Worte der Neuorientierung wird hier ein konkreter festumrissener Inhalt gegeben. Dem Reichskanzler und den bürgerlichen Parteien wird Gelegenheit gegeben, über allgemeine Redensarten hinauszugehen und sich über ihre Stellung zu diesen Neuorientierungsprogramm klar auszusprechen. Ob sie es tun werden, steht freilich dahin. Weichen sie der Gelegenheit aus, so wird sich auch daraus ein politischer Ertrag der Debatte ergeben, aus dem das deutsche Volk manches entnehmen und lernen kann. Für die sozialdemokratische Opposition aber wird sich auf der Konferenz, die in der Osterzeit zu Gotha stattfindet, Gelegenheit bieten, dieses Aktionsprogramm zu prüfen und, wenn sie es für nötig hält, zu verbessern oder zu ergänzen.

Aus: Leipziger Volkszeitung 24. Jg. Nr. 71 (26. März 1917), S.1. 27

7. Manifest des Gründungsparteitages der USPD, April 191728

Das Sehnen viele Tausende von Kämpfern in den Reihen des Proletariats ist erfüllt. Die auf dem Boden der Opposition stehenden Kreisvereine und Gruppen der deutschen Sozialdemokratie haben sich Ostern 1917 in Gotha eine einheitliche Organisation geschaffen, um ihre Kräfte nicht zu verzetteln, sondern sie zu wuchtiger Beteiligung im Dienste des proletarischen Befreiungskampfes zusammenzufassen.

Dieser Kampf ist durch die Politik der Regierungssozialisten, des Parteivorstandes, der Generalkommission der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages aus schwerste geschädigt worden.

Schon vor dem Kriege waren in unserer Partei scharfe Gegensätze aufgetaucht zwischen den Genossen, die an dem alten Charakter der Sozialdemokratie festhielten, und neu aufgetretenen Elementen, die den Gedanken der internationale Solidarität der Proletarier nationalsoziale Zwecke und die der Taktik unversöhnliche Opposition die Taktik des Nationalliberalismus entgegenzusetzen suchten. Der Weltkrieg hat diese Gegensätze ungemein vertieft und die nationalsozialen und die nationalliberalen Bestrebungen in den offiziellen Vertretungen und Organe deutschen Sozialdemokratie zur Herrschaft gebracht.

Als Lohn für das Aufgeben der sozialdemokratischen Politik wurden den Massen große materiellen Errungenschaften in Aussicht gestellt. Alle diese vorgegaukelten Hoffnung enden in grausamer Enttäuschung.

Die neue Politik sollte wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie auf die Reichsregierung und damit Abkürzung des Krieges bringen. Sie hat in Wirklichkeit in der äußeren Politik nichts geändert und die Verschlechterung der inneren Politik nicht verhindert.

Die neue Ära wird gekennzeichnet durch ihr ungeheuerlichsten und ungerechteste Steuerlasten, deren Druck am härtesten die breiten Massen trifft; durch politische Beschränkungen und Verfolgungen, unter denen die zielbewussten Arbeiter und ihre Vertreter am meisten leiden.

Die elementarsten Rechte, das Recht auf Freizügigkeit und Freiheit der Berufswahl, haben die Regierungssozialisten unter vorantritt der Generalkommission der Gewerkschaften selbst preisgegeben, indem sie dem Hilfsdienstgesetz ihre Zustimmung gaben und bei seiner Durchführung ihrer Unterstützung gewährten.

Sie täuschten die Massen, als sie nach Einberufung ihrer Vertrauensmänner in das Regierungsamt den Glauben zu erwecken suchten, dass die Ernährung von da ab besser geregelt werden würde. Wie sie sich in Wirklichkeit gestaltete, haben wir alle nur zu sehr am eigenen Leibe erfahren.

Den Ruf nach dem gleichen Wahlrecht in Preußen beantwortete der Reichskanzler von Bethmann Hollweg mit der Weigerung, irgendetwas zur Demokratisierung Deutschlands und insbesondere Preußens vor Beendigung des Krieges zu tun.

Das ist der Lohn für die nicht mehr zu übertreffende Dienstbeflissenheit des Parteivorstandes und der Generalkommission.

Das Proletariat kann aber nicht warten. Der Krieg bringt rascheste Konzentration des Kapitals, rapide Schwinden des Mittelstandes, ungeheure Vermehrung des Proletariats, das nach dem Kriege einen Kampf gegen Teuerung und Arbeitslosigkeit, gegen übermächtige Unternehmerverbände und erdrückende Steuerlasten aufs schärfste zu führen haben wird. Ein Kampf der heute schon einsetzt.

Es gilt sich zu wappnen für die großen Kämpfe der Zukunft, es gilt Kraft zu gewinnen, um der Not der Gegenwart zu Steuern. Das erheischt gründliche Umgestaltung des herrschenden Regierungssystems. Sache der Masse ist es, nicht nachzulassen, bis wir das erreicht haben.

Der Volkswille muss oberstes Gesetz werden.

Dringend geboten ist eine Amnestie für alle aus politischen Gründen Verhafteten und Verurteilten. Erforderlich ist die Aufhebung der Zensur, unbeschränkte Freiheit des Vereins- und Versammlungsrechts so wie der Presse, Sicherung des Koalitionsrechtes, Aufhebung aller Ausnahmegesetze, insbesondere gegenüber den Landarbeitern, den Staatsarbeitern und dem Gesinde, weitgehender Arbeitsschutz, namentlich Achtstundentag. Unaufschiebbar ist ferner die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts aller Erwachsenen vom 20 Jahren für den Reichstag, die Parlamente der Einzelstaaten, der Gemeindevertretung und für die sonstigen Körperschaften der Selbstverwaltung.

Wir fordern das Wahlrecht für die Frauen ebenso wie für die Männer. Der Krieg hat den Frauen die Hauptarbeit an der Produktion aufgebürdet, die Not der Zeit zwingt jetzt die Frauen hinein in die Vorderreihen des politischen Kampfes, in den Kampf um Schutzbestimmungen, aber auch um politische Rechte und um die Neugestaltung von Staat und Gesellschaft. Die Frauen des Proletariats, deren Herzen als Gattinnen und Mütter von dem Massenelend doppelt zerrissen werden, die sozialistischen Frauen sind es denn auch, die das Gebot der Zeit untrüglich erkennend, sich mit Leidenschaft hineinstürzen in dem Kampf für Recht, für Freiheit, für Brot und für den Frieden.

Für Frauen und Männer in gleicher Weise gilt heute mehr als jeder Satz, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur durch die Arbeiter selbst errungen werden kann.

Genossinnen und Genossen, ans Werk! Ihr habt große Aufgaben zu erfüllen!

Die oppositionellen Abgeordneten in den Parlamenten, namentlich die der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Reichstag haben zunächst innerhalb ihrer Fraktion, dann öffentlich im Parlament selbst eine selbständige sozialdemokratische Politik betrieben.

Wenn auch viele Berichte über ihre Tätigkeit nur verstümmelt und entstellt in die Öffentlichkeit gekommen sind, so werdet ihr doch gefühlt haben, dass hier der alte Geist lebt, auf den ihr stolz ward, der Geist des internationalen Sozialismus, der allein eure Befreiung von den Fesseln der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Unterdrückung bringen kann.

Eure oppositionellen Abgeordneten werden nach wie vor ihre sozialdemokratische Pflicht tun. Aber nur dann, wenn sie sich auf die sozialdemokratische Massen stützen können, vermögen sie ihre volle Kraft zu entfalten. Gegenüber den Erschwerungen des Belagerungszustandes müsst ihr eure Kraft verdoppeln.

Von den Regierungssozialisten ist nichts Durchgreifendes zu erwarten. Während heute in Russland sich selbst das Bürgertum für die demokratische Republik erklärt, hat der Vorwärts, das Organ des Parteivorstandes, diesen Zeitpunkt für den geeigneten erachtet, ein Bekenntnis zur Monarchie abzulegen.

Nicht Stärkung und Anfeuerung des Proletariats, sondern Schwächung seiner Aktionskraft und Minderung seines Einflusses müssen die Folgen dieser Politik sein, die von Misserfolg zu Misserfolg schreitet.

Demgegenüber haben jetzt die Arbeiter Russlands ein leuchtendes Beispiel der entgegengesetzten Politik gegeben.

Die sozialistischen Arbeiter Russlands, die Träger der gewaltigsten Revolution Russlands, haben, durchdrungen von ihrer großen geschichtlichen Aufgabe, selbständige sozialistische und demokratische Politik getrieben. Ihnen danken wir es auch, dass der stärkste Bollwerk der Reaktion, des Zarismus, zusammengebrochen ist. Jedem von uns muss ihr machtvolles Auftreten stolze Zuversicht einflößen. Wir bringen ihnen unsere begeisterte Huldigung dar.

Die Proletarier Russlands haben für die Demokratie gekämpft, für die Eröffnung der Bahn zum Sozialismus, aber auch für den Frieden, für die baldige Beendigung des furchtbarsten aller Kriege durch einen Friedensschluss auf der Grundlage unserer gemeinsamen sozialdemokratischen Grundsätze.

Kein Zweifel, die Arbeiter Russlands werden auch in dieser Beziehung ihre Pflicht erfüllen. Aber der Erfolg ihrer Friedensarbeit hängt nicht von ihnen allein ab. Er hat zur Vorbedingung das Zusammenwirken der Arbeiter aller Länder im gleichen Sinne, das erneute Aufleben der Internationale und die Betätigung der Arbeiter in ihren Rahmen.

Für die oppositionellen Sozialdemokraten ist die Verständigung über den Frieden mit den Sozialdemokraten der anderen Nationen keine unüberwindliche Schwierigkeit. Das bezeugen die Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal, auf denen Vertreter der deutschen Opposition mit französischen und russischen Sozialdemokraten zusammengewirkt haben.

Wir können uns nicht damit zufrieden stellen, wie der Parteivorstand und seine Richtung, dass die Regierung ihre Friedensbereitschaft kundgibt, dabei aber die Bedingungen nicht nennt, unter denen sie bereit ist, Frieden zu schließen. - Wir verlangen einen Frieden durch Verständigung der Völker, ohne direkte und versteckte Annexion, aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, mit internationaler Beschränkung der Rüstungen und obligatorischen Schiedsgerichten. Wir sehen in diesen Einrichtungen nicht Zaubermittel, den ewigen Frieden zu sichern, wohl aber die kräftigsten Stützpunkte für den proletarischen Kampf um Erhaltung des Friedens, unsere wichtigste Aufgabe nach dem Kriege.- Nicht auf die Regierungen bauen wir, weder in Bezug auf Herbeiführung noch auf Erhaltung des Friedens. Auch hier Vertrauen wir bloß auf die Kraft des Proletariats, das am stärksten ist in seiner internationalen Zusammenfassung.

Der nationalen Solidarität der Klassen setzen wir entgegen die internationale Solidarität des Proletariats, den internationalen Kampf der Arbeiterklasse.

Im Sinne dieser Grundsätze haben wir den Kampf weiterzuführen. Ohne Ruhe, ohne Rast müssen wir die Verschärfung der Verfolgungen die Verdoppelung unserer Anstrengungen entgegensetzten, bis unser Ziel erreicht ist

Brot und Wissen für alle! Frieden und Freiheit allen Völkern!

Aus: Protokoll über die Verhandlungen des Gründungsparteitages der USPD vom 6. Bis 8. August 1917 in Gotha, A. Seehof-Verlag: Berlin 1921, S.79f 29

8. Das Eisen glüht (12./14.4.1917)30

Aufruf!

Genossinnen Genossen

Die Opposition innerhalb der sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat sich im Ostern 1917 in Gotha zu einer einheitlichen Organisation zusammengeschlossen unter dem Namen „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Unabhängig gegenüber der Regierungspolitik, unabhängig gegenüber den Bestrebungen der bürgerlichen Parteien, unabhängig gegenüber den Regierungssozialisten wird die neu geschaffene Organisation Ziele bewusst eine selbständige sozialdemokratische Politik treiben. In einer Zeit der tiefsten wirtschaftlichen politischen gesellschaftlichen Umwälzungen wird sie die Massen des deutschen Proletariats zu sammeln im Geist der Internationale zur Beschleunigung des Friedens.

Es gilt die Volksmassen zurückzuführen auf dem Weg, uns Marx, Engels und Lassalle gewiesen, auf den uns August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Paul Singer jahrzehntelang Ruhm und siegreich geführt haben. Ihr Werk mit Hingebung und Tatkraft nicht nur fortzuführen sondern auch fortzubilden zur Verwirklichung der Demokratie und des Sozialismus, zur endgültigen Befreiung der Menschheit von Kriegsschrecken und Kriegsgreuel - das ist unsere Aufgabe.

In dem erhebenden Bewusstsein, das in Gotha die alte Sozialdemokratie neu erstanden ist, werden Hunderttausende begeistert der den neuen unabhängigen Organisationen zuströmen, die schon bestehen oder jetzt in allen Kreisen zur Bildung gelangen werden.

Alle, die den Glauben an die Sozialdemokratie verloren haben, als sie voll Schmerz sahen, wie die Partei die alten Grundsätze preisgab und zu einer nationalsozialen Regierungspartei wurde, werden mit Hoffnungsfreudigkeit und Zuversicht Mitglieder der neuen Organisation werden, um den Kampf für das aufzunehmen und weiterzuführen, wofür sie früher ihre besten Kräfte eingesetzt, wofür sie gelebt haben - für die hehren ideale des Sozialismus.

Genossen und Genossinnen! Wir, die Unterzeichneten, sind von der Konferenz in Gotha mit der Leitung der unabhängigen sozialdemokratischen Partei Deutschlands betraut worden. In dieser schicksalsschweren Zeit, in der wir unser verantwortungsvolles Amt übernehmen, können wir es nur dann mit Erfolg ausüben, wenn wir der freudigen, entschlossenen, zähen Mitarbeiter der Genossen und Genossinnen sicher sind.

Werbt Anhänger für unsere Sache in unablässige Arbeit. Gründet Organisationen für die Verbreitung und Durchführung unserer Grundsätze in jeder Wahlkreis, in dem sie noch nicht bestehen, und baut auf die bestehenden mit Eifer aus. Schwierigkeiten, die sich hier und da Euch entgegenstellen, werdet ihr unerschrocken überwinden. Wir sind überzeugt: wir appellieren nicht vergeblich an den Mut und die Ausdauer der erprobten Kämpfer für die Wiedergeburt der deutschen Sozialdemokratie.

Auf dem Frauentage, der in der Zeit vom 5. bis 12. Mai stattfindet, werden die Frauen die Forderung erheben für ihre Gleichberechtigung, für ihren und ihrer Kinder Schutz, für die Beendigung des entsetzlichen Kriegsgemetzels!

Genossen! Genossinnen! Wir wissen es: wir appellieren auch nicht vergeblich an eure oft bewährte Opferwilligkeit. Trage jeder nach seiner Leistungsfähigkeit dazu bei, dass wir nicht aus Mangel an Mitteln einen Teil der gewaltigen Aufgaben, die uns gestellt sind, unerfüllt lassen müssen. Die regelmäßige Beitragsleistung genügt nicht.

Sorgt für die Aufbringung außerordentlicher Mittel durch Marken, Bons, Sammellisten! Ihr wisst dass die gesammelten Gelder nicht, wie es in den letzten Jahren seitens der Regierungssozialisten geschah, dazu verwendet werden, um eine Euch schädliche Politik zu treiben, sondern in eurem Interesse zur Förderung einer unabhängigen und selbständigen sozialistischen Politik.

Genossen, Genossinnen! Das Eisen glüht frisch. Frisch ans Werk, es zu schmieden.

Berlin 12.4. 1917

Die Zentralleitung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Das Zentralkomitee: Der Beirat

Wilhelm Dittmann Rob. Dissmann, Frankfurt am M.

Hugo Haase Paul Dittmann, Hamburg

Adolf Hofer Hermann Fleissner, Dresden

Gustav Laukant Willi Grütz, Remscheid

Georg Ledebour Alfred Henke, Bremen

Robert Wengels Sepp Oerter, Braunschweig

Luise Zietz. Fritz Schnellbacher, Hanau.

Alle Zuschriften und sonstigen Sendungen für die Zentralleitung (Zentralkomitee und Beirat) sind bis auf weiteres zu adressieren: Reichstagsabgeordneter Dittmann, Berlin Reichstag.

Aus : Leipziger Volkszeitung, 24. Jg., Nr. 86 (14. April 1917), S.1.31

9. Haases Rede vor dem Reichstag, 19. Juli 191732

Wir haben in einer Stockholmer Denkschrift ebenfalls unsere Anschauungen über die Friedenspolitik niedergelegt und darin folgende Gedanken entwickelt:

Die unabhängige sozialdemokratische Partei Deutschlands geht in ihrer Friedenspolitik wie in ihrer gesamten Politik aus von den Gesamtinteressen des internationalen Proletariats und der sozialen Entwicklung. (Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Diese Interessen erheischen den sofortigen Frieden. Wir fordern beim Friedensschluss ein internationales Übereinkommen über allgemeine Abrüstung. Dies ist das wichtigste Mittel, den geschwächten Volkskörper überall wieder zu stärken, dem niedergetretenen ökonomischen Leben der Völker in absehbarer Zeit wieder zum Aufschwung zu verhelfen. Nur so kann die Herrschaft des Militarismus gebrochen, können die Beziehungen der Völker zueinander für die Dauer friedlich gestaltet werden. Wir fordern die vollste Freiheit des internationalen Handels und Verkehrs, sowie die unbeschränkte internationale Freizügigkeit zur Entfaltung der Produktivkräfte der Welt und zur Annäherung und Verbindung der Völker. Wir fordern internationale Verträge zum Schutze der Arbeiter vor Ausbeutung, insbesondere zum Schutze der Kinder und Frauen, gemäß den Grundsätzen der internationalen Sozialdemokratie. Mit der gewaltig gesteigerten Verwertung der Frauenkraft im gesellschaftlichen Produktionsprozess ist die Zuerkennung voller politischer Rechte an die Frauen eine soziale Notwendigkeit geworden. Unerlässlich ist die Anerkennung der Gleichberechtigung für alle Einwohner eines Staates ohne Rücksicht auf Staatszugehörigkeit, Rasse, Sprache, Religion. Das schließt ein den Schutz der nationalen Minderheiten zur Betätigung ihres nationalen Lebens. Die nationale wie soziale Befreiung der Völker kann nicht das Werk eines Krieges der Regierungen (sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) sondern nur das Werk der Demokratie sein, für deren volle Durchführung die Völker unablässig den nachdrücklichen Kampf zu führen haben. Die Überwachung der auswärtigen Politik der Negierungen durch die Demokratie eines jeden Reichstag. Staates wird zur Verhütung aggressiver Schritte führen. Die Geheimverträge sind abzuschaffen. Alle Staatsverträge sind fortan von der Zustimmung der Volksvertretung abhängig zu machen. Die Ara großer innerer Umwälzungen, vor der wir stehen, wird die Lösung der vielen Probleme zeitigen, die der Krieg ausgeworfen oder verschärft hat. Diese Fragen sollen aber nicht durch Krieg und Kriegsglück entschieden werden. Das Übel des Weltkrieges ist viel größer als die Übel, die er nach der Meinung der Kriegspolitiker heilen soll. Ohne die Staatsgrenzen, die das Ergebnis von Eroberungen sind und vielfach in Widerspruch zu den Bedürfnissen der Völker stehen, als unantastbar zu betrachten, lehnen wir den Krieg überhaupt und also auch seine Verlängerung als Mittel zur Regelung der Staatsgrenzen ab. Grenzveränderungen müssen an die Zustimmung der davon betroffenen Bevölkerung gebunden werden, dürfen nicht aufgezwungene Gewaltakte sein. Jeden Versuch, irgendein Volk in irgendeiner Form zu vergewaltigen, weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Seit Beginn des Krieges fordern wir konsequent einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Unvereinbar mit den sozialdemokratischen Grundsätzen ist jene Auffassung, die, aus militaristischem Denken und nationalistischer Machtpolitik entsprungen, die Stellung zu einem Problem von der jeweiligen Kriegslage abhängig macht (sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) und deshalb in den verschiedensten Stadien des Krieges zu einer verschiedenen Beurteilung einer und derselben Frage gelangt. Unsere Aufgabe ist es nicht, für alle Einzelfragen, die beim Friedensschlüsse eine Rolle spielen werden, hier ein Programm aufzustellen. Über die Fragen jedoch, die im Mittelpunkt der Erörterung stehen, erklären wir schon heute folgendes: Die Wiederherstellung Serbiens als eines selbständigen und unabhängigen Staats ist ein unbedingtes Erfordernis. Wir verkennen nicht, dass das Drängen der Serben nach Vereinigung in einen Nationalstaat wohlbegründet ist. Die Bildung eines solchen Staates und eine Zusammenfassung mit den übrigen Balkanstaaten zu einer republikanischen Balkanföderation wäre das sicherste Mittel, dauernd befriedigende Zustände auf dem Balkan zu schaffen, Interventionen des Auslandes auszuschließen und die Orientfrage als Kriegsursache zu beseitigen. Dieses Ziel durch den Krieg zu verfolgen, bedeutet aber nur dessen nutzlose Verlängerung. (Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Wir verstehen das tiefe Sehnen des polnischen Volkes nach nationaler Vereinigung. Der Standpunkt, das Recht der Polen auf nationale Selbstständigkeit durch die Kriegslage zu bestimmen, dieses Recht den Polen in Russisch-Polen zuzubilligen, dagegen für Preußisch- und Österreichisch-Polen zu leugnen, ist im Widerspruch zu dem Selbstbestimmungsrecht. Wir lehnen aber auch hier die Fortführung des Krieges als Mittel zur Durchsetzung dieses Rechts ab. In gleicher Weise verwerfen wir dieses Mittel zur Lösung der elsass-lothringischen Frage und befinden uns dabei in Übereinstimmung mit Engels und Jaurès. Die Verlängerung des Krieges um Elsass-Lothringens willen bedeutet heute, dass die ganze Welt, Elsass-Lothringen inbegriffen, wegen der Streitfrage des nationalen Bedürfnisses dieser Bevölkerung verwüstet, und dass mehr Menschen auf den Schlachtfeldern vernichtet werden, als Elsass-Lothringen Einwohner zählt. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Aber wie Engels 1892, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Frankfurter Frieden, so können wir uns heute erst recht nicht der Erkenntnis verschließen, dass die elsass-lothringische Bevölkerung, die 1871 gegen ihren Willen annektiert wurde, so lange nicht zur Ruhe kommen wird, bis ihr die Gelegenheit gegeben ist, sich in direkter, unbeeinflusster Abstimmung über ihre Staatszugehörigkeit selbst zu äußern. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Wird die Abstimmung in voller Freiheit und Ruhe, vielleicht nach einer im Friedensvertrag festzusetzenden Zeit, vollzogen und ihr Ergebnis von vornherein als bestimmend für die endgültige Regelung der Streitfrage anerkannt, dann wird der unheilvolle Gegensatz begraben, der Deutschland und Frankreich fast schon ein halbes Jahrhundert trennt, den Militarismus hüben und drüben fördert, beide Staaten ökonomisch schwer belastet und der Demokratie große Hemmnisse in den Weg legt. Ein schwerer Alb wäre von ganz Europa, nicht zum mindesten von Deutschland selbst, gewälzt. Das deutsche Volk würde ökonomisch, politisch und moralisch dabei weit mehr gewinnen, als es verlieren könnte, selbst wenn die Entscheidung anders ausfiele, als es sie voraussetzt. Die volle Unabhängigkeit und Selbständigkeit Belgiens ist unabweisbar. In Erfüllung des feierlichen Versprechens, das die deutsche Regierung bei Kriegsbeginn gegeben hat, sind dem belgischen Volke auch die durch den Krieg verursachten Schäden, insbesondere die weggenommenen wirtschaftlichen Werte, zu ersetzen. Ein derartiger Ersatz hat nichts zu tun mit jener Art von Kriegsentschädigungen, die eine Plünderung des Besiegten durch den Sieger bedeuten, und die wir deshalb verwerfen. Als Gegner jeder Eroberungspolitik und Fremdherrschaft lehnen wir nach wie vor die Politik kolonialer Eroberungen ab. Der Besitz einer jeden Kolonie ohne Selbstverwaltung der Eingeborenenbevölkerung ist nichts anderes als der Besitz unfreier Menschen und ebenso wie die Sklaverei unvereinbar mit unseren Grundsätzen. (Sehr richtig! beiden Unabhängigen Sozialdemokraten.) Weder bei der Erwerbung noch bei dem Besitzwechsel von Kolonien wird in Wahrheit das Selbstbestimmungsrecht der Einwohner respektiert. Der Besitz von Kolonien ist überdies für die industrielle Entwicklung nicht erforderlich. Also weder Gründe des Rechts noch das ökonomische Interesse der arbeitenden Klassen, sondern allein politische Einsicht erfordern es, dass auf kolonialen Gebiet durch den Friedensvertrag nicht Verschiebungen vorgenommen werden, die einen neuen Kriegsgrund bilden könnten. Der Friedensvertrag wird nur gesichert sein, wenn eine internationale Kraft über ihn wacht. Diese Kraft erblicken wir nicht in einer internationalen Regierungsbehörde, sondern in dem internationalen sozialistischen Proletariat. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Nur wenn die Internationale selbständig und kraftvoll aufgebaut wird, wenn das Proletariat ihr überall seine volle Macht für die Kontrolle über die Regierungen und für die Erhaltung des Friedens leiht, wird in Zukunft an Stelle des verhängnisvollen Wettrüstens ein Zustand des gegenseitigen Vertrauens der Völker treten. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Zunächst hat das Proletariat in jedem Lande alles zu tun, um den Abschluss des Weltkrieges herbeizuführen, den Frieden zu erringen. Die Vorbedingung für die Erreichung dieses Zieles ist die Unabhängigkeit der sozialdemokratischen Parteien gegenüber den imperialistischen Regierungen. Die Aufstellung eines gemeinsamen Friedensprogramms ist wichtig. Aber dieses Programm ist wesenloser Schall und Rauch, wenn es nicht von einer energischen internationalen Aktion der Volksmassen getragen wird. Von jeder Regierung ist die unbedingte Annahme des internationalen Friedensprogramms zu fordern. Die Kredite sind jeder Regierung zu verweigern, die dieses Programm ablehnt oder auch nur ausweichend beantwortet, oder die sich nicht bereit erklärt, in sofortige Friedensverhandlungen auf Grundlage dieses Programms einzutreten. Sie ist auf das entschiedenste zu bekämpfen. Eine solche gemeinsame Friedensaktion einzuleiten und zu fördern, wird die erste Aufgabe der geplanten internationalen Friedenskonferenz sein. Sie hat alle wahrhaft sozialistischen Elemente zusammenzufassen, die entschlossen sind, in diesem Sinne mit aller Kraft für den Frieden zu wirken. Eine proletarische Organisation, die sich dieser Aktion entzieht, verwirkt damit das Anrecht, hinfort als Organisation des internationalen Sozialismus zu gelten. (Bravo! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)33

Meine Herren, dieses Friedensmanifest hat die Zensur hier unterdrückt, während es in den übrigen Ländern abgedruckt ist , (hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) und deshalb war ich genötigt, es hier im Wortlaut vorzulesen; sonst hätte ich auf die Veröffentlichungen hinweisen können .

Welche Willkür darin liegt, können Sie ermessen, wenn Sie in Betracht ziehen, was die alldeutschen Zeitungen von jeher und insbesondere in den letzten Wochen sich trotz Zensur geleistet haben. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) In unserem Manifest ist dasjenige zum Ausdruck gebracht, was die Sozialisten aller Länder als Vorbedingung für die Erringung des Friedens erkennen, nämlich das Friedensprogramm: „Keine Annexionen, keine Kontributionen, Selbstbestimmungsrecht der Völker" und den Kampf gegen jede imperialistische Negierung, die dieses Programm ablehnt oder auch nur ausweichend beantwortet.

Und heute, nachdem in dürftigen, wohlgeglätteten Sätzen der neue Reichskanzler zu der gewiss schwächlichen Friedensresolution des Blocks Stellung, genommen hat, erklärt Herr Scheidemann, dass seine Fraktion die Kredite bewilligen werde. (Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Sie werde sie bewilligen nicht dem Reichskanzler und nicht der Regierung, sondern dem Lande. Ja, dann weiß ich wirklich nicht, weshalb sich diese Herren so lange Herrn v. Bethmann Hollweg gegenüber, als diese Kreditvorlage erschien, gesträubt haben. (Sehr richtig!) Es hieß ja in der Presse, dass Sie ihm sogar ein Ultimatum gestellt hätten, dass Sie ihm gedroht hätten, Sie würden die Kredite ablehnen, wenn er sich nicht zu Ihrer Friedensresolution zustimmend verhielte. Das ist ein unüberbrückbarer Widerspruch zu der Theorie, dass die Kredite jeder Regierung zu bewilligen seien, da das Land auf sie Anspruch habe. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Kann jemand nach Ihrer gesamten Haltung glauben, dass, wenn der neue Herr Reichskanzler die Friedensresolution im Sinne der Konservativen abgelehnt hätte, sie dann die Kredite nicht bewilligen würden? Wollten Sie dann das Land — um in Ihrer Redeweise zu sprechen -- ungeschützt lassen? (Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Bis zum August 1914 wussten auch Sie sehr gut, was die Kreditbewilligung bedeutet. Die Bewilligung der Kredite ist ein politischer Akt, den wir der Regierung gegenüber zu vollziehen haben. Wir haben kein Vertrauen zu der Politik der Regierung, deswegen haben wir die Kredite abgelehnt und werden sie weiter ablehnen. (Bravo! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Meine Herren, als ich vor anderthalb Jahren hier in diesem Hause ausführte, der Krieg würde damit endigen, dass es keinen Sieger und keinen Besiegten gäbe, oder dass vielleicht alle besiegt ans dem Kriege hervorgehen würden, da wurde ich, wie ein Teil der Herren sich erinnern wird, niedergeschrien, und jetzt hören wir von allen Seiten — man kann es sogar in der „Kreuzzeitung" lesen —, dass dieser Krieg militärisch nicht entschieden werden wird. Und als ich damals die schrecklichen Wirkungen des Krieges so schilderte, wie etwa heute der Abgeordnete Fehrenbach, da wurde mir vorgeworfen, dass ich die Geschäfte des Auslandes besorge. (Hört! hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Heute kommt ein Teil derjenigen, die damals wütend auf mich losrannten, und spricht dasselbe aus. Sie kommen nicht mehr um die Gewissensfrage herum: „Gibt es irgendeinen materiellen Preis, der die Fortsetzung der Massenschlächterei rechtfertigen könnte?" Männer, die in ganz anderem politischen Lager stehen als wir, sind allmählich zu der Überzeugung gelangt, dass es verbrecherisch und sinnlos ist, immer weiter Millionen Menschen zur Schlachtbank zu führen. Uns hat jene Gewissensfrage seit Beginn des Krieges beschäftigt, und wir haben, von ihr gedrängt, die Scheidung von denjenigen Sozialisten vollzogen, die mit der Regierung zusammengehen, die auch heute wieder trotz Brandmarkung vieler Regierungshandlungen der Regierung ihr Vertrauen durch die Tat ausgedrückt haben.

Für uns steht es fest, und für uns ist es Grundsatz und nicht nur wie für Sie eine Anpassung an die Kriegslage: Es gibt nichts, was die Verlängerung dieses Krieges rechtfertigen kann. Der Krieg muß schnell zu Ende gebracht werden. Mit der Selbstgenügsamkeit des neuen Herrn Reichskanzlers kommt man nicht zu Ende. Er will warten, bis die Gegner ein Friedensangebot machen. Er glaubt, dass wir genug getan haben, als wir im Dezember die Hand ausstreckten. Die Hand griff damals ins Leere, sagte er. Er muß sich jedoch Rechenschaft darüber ablegen, weshalb sie nicht ergriffen wurde. Wir haben damals sofort dargelegt, dass dieser Schritt ein völlig verfehlter sei. Die Regierung wusste, dass Wilson die Vermittlung des Friedens beabsichtige. Aus innerpolitischen Gründen wurde dieser Vermittlungsvorschlag Wilsons nicht abgewartet, sondern jenes Friedensangebot gemacht, und zwar ohne eine annehmbare Grundlage. Nur ein Programm kann zum Ziele führen, das in Petersburg, in Stockholm und hier von uns aufgestellte: ein Friede ohne Annexionen, ohne Kriegsentschädigungen, unter Anerkennung der Selbstbestimmungsrechte der Völker. Dieses Programm ist bereits im September 1915 in der internationalen sozialistischen Konferenz zu Zimmerwald ausgesprochen worden, in der die Völker zur Selbstbesinnung und zum Kampf für den Frieden aufgefordert wurden. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) — Sie waren für Ablehnung von Kriegsentschädigungen? Das glaubt Ihnen ja niemand! (Erneute Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Es ist ein unsterbliches historisches Verdienst dieser Zimmerwalder internationalen Konferenz, und die sozialistischen Parteien Russlands erkennen dieses Verdienst an. Auf anderem Wege kommen wir nicht zum Frieden. Wir müssen diese Forderungen in vollem Umfange zu den unsrigen machen, mögen sich die Militärs, mögen sich die Alldeutschen noch so sehr dagegen sträuben. Wie in der auswärtigen Politik, so müssen wir das Selbstbestimmungsrecht auch für uns im Innern fordern. Nicht irgendwelche unverantwortlichen Stellen, nicht irgendein einzelner, sondern das Volk selbst hat über sein eigenes Geschick zu bestimmen. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Der Obrigkeitsstaat hat keine Existenzberechtigung, die Selbstregierung des Volkes muß an seine Stelle gesetzt werden. (Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Wir haben durch unsere Anträge hier den Anstoß zu dem Verfassungsausschuss gegeben. Was wir gefordert haben, ist der Anfang der Demokratisierung unserer Einrichtungen. Aber wie ist es den Anträgen gegangen? Der Antrag, dass der Reichskanzler entlassen werden müsse, wenn die Mehrheit des Parlaments es verlangt, wurde von niemandem im Verfassungsausschuss außer von meinen Freunden befürwortet. (Hört, hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokratien.) Dafür haben schließlich außer uns nur noch die Sozialdemokraten der anderen Richtung gestimmt; alle anderen Parteien, auch die Fortschrittspartei, hat sich nicht für diesen Antrag erhoben. Der Antrag, der weiter notwendig ist, um die Volksrechte auch nur ein wenig bei uns zu stärken, dass nämlich fortan nicht mehr der Kaiser allein Krieg erklären, nicht allein das Reich nach außen vertreten kann, sondern dass er zum Abschluss aller internationalen Verträge an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden sein müsse, ist durch Beschluss des Verfassungsausschusses immer wieder vertagt worden. Dadurch ist zum Ausdruck gebracht, wie wenig Wert die Herren auf eine wirkliche Parlamentarisierung legen. Anstatt dem Volke neue Rechte zu geben, wird jede selbständige Regung, die sich im Volke zeigt, niedergedrückt. Der Burgfriede ist in Wahrheit nur ein Mittel geworden, um diejenigen zu begünstigen, welche im Sinne der herrschenden Militärkaste Annexionen vornehmen, und diejenigen zu fesseln, die anderer Anschauung sind. Es ist nicht wahr, dass die Zensurbehörden mit gleichem Maße messen. Es handelt sich auch nicht um einzelne Missgriffe, — gewiss, unter einzelnen Missgriffen haben alle Parteien zu leiden — sondern es handelt sich, soweit meine Partei in Betracht kommt, nach den Verfügungen, die in unseren Händen sind, um ein ganz klares, bewusstes System der Verfolgung Andersdenkender, insbesondere unserer Partei. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.). Uns musste das Blut in den Adern starren, als wir zuerst in bürgerlichen Zeitungen lasen, dass das Kammergericht, der höchste preußische Gerichtshof, einen Minderjährigen, gegen dessen sittliche Führung nichts einzuwenden war, nur deshalb unter Fürsorgeerziehung stellte, weil er radikal-sozialistische Gesinnungen hatte. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich glaube, es gibt keine Partei, insbesondere nach den Erklärungen, die bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Ausschuss und im Plenum abgegeben wurden, die diesen Schritt nicht verdammte. Aber wie weit sind wir gekommen? Es ist jedes Gefühl für das, was noch erlaubt ist im Kampfe der Parteien, geschwunden, wie das Verhalten des höchsten Gerichtshofs beweist. Heute ist schon darauf hingewiesen, wie man Zeitschriften unterdrückt, die „Zukunft", nicht wegen irgendwelcher militärischer Artikel, sondern weil sie Auszüge aus der ausländischen Presse brachte und ihren Leserkreis über die Ansichten im Ausland unterrichtete. Soll unser Volk zu seinem eigenen Schaden durchaus im Unklaren bleiben über das, was im Auslande vorgeht?

Sie haben die große Denkschrift der Friedensfreunde bekommen und darin gelesen, wie Professor Schücking, dem Manne, der wissenschaftlich, literarisch wie kaum ein zweiter tätig ist für die internationale Rechtsorganisation, im September 1915 verboten wurde, über Probleme der internationalen Rechtsorganisationen mit auswärtigen Gelehrten zu korrespondieren. Er glaubte, nachdem die Kriegsziele freigegeben waren, dass er nun die Möglichkeit haben würde, wiederum wissenschaftlich wie früher tätig zu sein. Er wandte sich an das Generalkommando in Cassel, ihm die Erörterung jener Probleme zu gestatten, sonst würde er um die Früchte jahrelanger Arbeit gebracht. Dieses Gesuch wurde abschlägig beschieden, (hört! hört! bei den Sozialdemokraten) und als er eine Beschwerde einreichte, hat er nach sechs Monaten noch keine Antwort erhalten.

Wie es erst den Angehörigen meiner Partei geht, davon können Sie sich schwer eine Vorstellung machen. Hunderten meiner Parteifreunde ist verboten worden, während der Dauer dieses Krieges in irgendeiner Versammlung, auch in geschlossenen Versammlungen zu reden. Sie sind aus diese Weise vollständig des Rechts beraubt, auf öffentliche Angelegenheiten gerade in dieser Zeit einzuwirken, wo die öffentlichen Angelegenheiten von der folgenschwersten Bedeutung sind. In Danzig hat die Festungskommandantur dem Maurer Paul Voß, einem Angehörigen meiner Partei, gegen den gar nichts vorliegt, auf Grund des § 9 des Gesetzes über den Belagerungszustand eine Verfügung zugestellt, nach welcher ihm jede politische Betätigung während der Dauer des Krieges, insbesondere die Verbreitung jeglicher Art von Flugblättern, untersagt ist. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Mann wird um alle seine staatsbürgerlichen Rechte gebracht durch einen einzigen Federstrich. Als der Fall hier zur Sprache kam, rief der Herr Ministerialdirektor Dr. Lewald meinem Parteifreund Dittmann zu: weshalb beschwert er sich nicht bei der höheren Instanz? Die Beschwerde ist abgegangen am 8. Juni, eine Ergänzung ist an die Beschwerdeinstanz am 22. Juni gesandt worden, aber auch in dieser wichtigen Angelegenheit ist bis heute kein Bescheid ergangen. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Mann, den man so knebelt, wird schikaniert, drangsaliert und brutalisiert Tag für Tag. An einem Tage werden mehrmals hintereinander Haussuchungen bei ihm vorgenommen, bald in der Wohnung, bald auf der Arbeitsstätte. Er kann seines Lebens nicht froh werden, und nichts hat der Mann getan, was diesen Schritt rechtfertigen könnte, nichts hat man bei allen Haussuchungen gefunden, was zu einem Strafverfahren Anlass geben könnte. Dieses politische System hat bei uns ein so erbärmliches Denunziantentum gezüchtet, (sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) wie es in Deutschland nicht erlebt worden ist, wie es an die schlimmste römische Kaiserzeit erinnert.

[...]


1 Das Zentralkomitee gliederte sich in Vorsitzende, Sekretäre und Beisitzer. Die Zentralleitung bestand aus dem Zentralkomitee und den Beisitzern. (Siehe Namen aller Mitglieder in Krause (2021): Geschichte der USPD), S.469f. Es wurden nur Manifestationen, Aufrufe und Erklärungen des Zentralkomitees bzw. der Zentralleitung der USPD aufgenommen. In der Regel waren es Erklärungen des Zentralkomitees, da zur Zentralleitung viele auswärtige USPD-Funktionäre anreisen mussten. Nicht aufgenommen wurden kurze Informationen der beiden Gremien; ebenso wenig Aufrufe von Teilorganisationen oder regionalen Gruppierungen. Diese Bekanntmachungen sind in der Regel in den Zeitungen auf Seite 1 veröffentlicht; gemeinschaftliche Aufrufe verschiedener Parteien mit der USPD wurden i.d.R. aufgenommen. Ergänzt werden die Aufrufe durch die Manifeste der Parteitage, die von der Parteileitung den Delegierten vorgelegt wurden.

2 Prager (1922): Geschichte der USPD; Wheeler (1975): USPD und Internationale; Krause (1975 und 2021): Geschichte der USPD.

3 Zwei Dokumente {Dokument Nr. 9 (Haase) und Dokument Nr.13 (Herzfeld)} erschienen an anderer Stelle (Protokolle des Reichstages), um die Zensur zu umgehen, einmal wurde die Rote Fahne als Veröffentlichungsort von den Linken in der USPD gewählt (Dokument Nr. 82)

4 Diese Aufrufe sind z. T. von Prager in seinem Buch über die USPD wiedergegeben, allerdings ohne genaue Quellenangaben; sie werden hier vollständiger zusammengestellt.

5 Durch den Übertritt eines beträchtlichen Teils der USPD wurde die KPD erstmals zu einer Massenpartei.

6 Eine Chronik der USPD wird von mir veröffentlicht in: Krause (2021): Arthur Crispien.

7 Zwar war ein großer Artikel auf S.1 der Freiheit – „Die Hinausdrängung der Unabhängigen“7 veröffentlicht, aber keine offizielle Stellungnahme der Zentralregierung.

8 In Freiheit Jg. 2 Nr. 67, (7. 2. 1919), S.1 aber ebenfalls ohne Stellungnahme der Zentralregierung.

9 Viele Berichte in Die Freiheit in der ersten Hälfte des September 1920, etwa: „Das Ergebnis von Moskau“, in Die Freiheit, Jg. 3 Nr. 362 (2.9.1920), S.1 und weitere Berichte der folgenden Tage.

10 Siehe über die zentralen Funktionäre Krause (2021): Geschichte der USPD, S.185 sowie Krause, Das parlamentarische Bild der USPD (Veröffentlichung geplant).

11 Krause (2017): Die USPD nach 1922.

12 Wheeler (1975): USPD und Internationale, S. 239f; Krause (2021): Geschichte der USPD, S.296f.

13 Die Überschriften sind z.T. vom Autor gewählt.

14 Manifeste von Parteitagen werden in kleinerer Schrift und jeweils in einem Kasten wiedergegeben.

15 Das von Kautsky formulierte Friedensmanifest wurde auf der Konferenz einstimmig angenommen (Prager (1922): Geschichte der USPD, S.127). Diese Konferenz bot der Mehrheitssozialdemokratie die Gelegenheit, alle Oppositionsgruppen auch aus der Partei zu drängen, nachdem Reichstagsmitglieder bereits 1916 wegen ihres auch offenem Auftretens gegen die Kriegskreditbewilligung und den Burgfrieden aus der Reichstagsfraktion ausgeschlossen waren. Hier ist die Sprache noch verbindlicher, von einem Kampf gegen die alte Sozialdemokratie (jetzt Mehrheitssozialdemokratie) erfährt man nur, wenn man den Text genauer liest. Zunächst wurde ein Frieden ohne Annexionen, eine Beendigung des Krieges gefordert. Von einem Bruch der Sozialdemokratie, gar der Neugründung einer weiteren Arbeiterpartei, war nicht die Rede. Dies gilt im Übrigen für die gesamt erste Phase der USPD: kaum einer wollte eine Spaltung der Partei, selbst Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht nicht (die Bremer Linksradikalen ausgenommen). Man wollte in der Partei bleiben und für die Ziele der „wirklichen“ Sozialdemokratie mit den Massen kämpfen, sich aber weder von der alten Sozialdemokratie noch von der sich bildenden Oppositionspartei in ihren Verlautbarungen einengen lassen. Die Selbständigkeit dieser kleinen, aber aktiven Gruppe sollte auch in der USPD gewahrt bleiben. Die Zusammenkunft der Oppositionellen am 7. Januar 1917 und der „Unvereinbarkeitsbeschluss der Mehrheitssozialdemokratie vom 12. Januar 1917“ führten zur Notwendigkeit, sich als eigenständige Partei im Reichstag und in der Öffentlichkeit zu positionieren. Nach dem ‚Rauswurf‘ aus der Sozialdemokratie war die Notwendigkeit gegeben, sich neu zu gruppieren, auch auf die Gefahr hin, nur als kleine Parteiorganisation zumindest während des Weltkrieges existieren zu können. In einem Kommentar berichtet die Leipziger Volkszeitung von der Januarkonferenz der Opposition unter der Überschrift „Eine Etappe“ (24. Jg., Nr.5, (8.1.1917), S.1.f): „Im Reichstagsgebäude hat die Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft [SAG] unter Zuziehung von Vertrauensleuten der Opposition aus allen Teilen des Reichs getagt, um einen festeren Zusammenschluss unter den einzelnen Gliedern der Bewegung herbeizuführen und über ihre nächsten Aufgaben zu beraten.“ (S.1.) Und zum Ende des Kommentars: „Es geht daraus [aus dem Bericht über die Konferenz] hervor, dass es an scharfen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Richtungen in der Opposition nicht gefehlt hat, und dass die - von uns übrigens von vornherein nicht geteilte - Hoffnung auf einen engeren dauernden Zusammenschluss der gesamten Opposition nicht erfüllt worden ist. Dennoch stehen wir nicht an, das Ergebnis der Konferenz im Ganzen als erfreulich zu bezeichnen. Sie hat das stetige Anwachsen der Opposition gezeigt, sie ließ ihre achtbare Stärke erkennen und sie zeigt, dass der sich um die Arbeitsgemeinschaft gruppierende Teil der Opposition bei eifriger Arbeit und tatkräftigen Wirken immer mehr zum Sammelpunkt der Genossen wird, die sich gegen die Politik des 4. August zur Wehr setzen. Die Genossen von der Spartakusgruppe und die Internationale Sozialisten Deutschlands sind, gemessen freilich mit dem Hauptteil der Opposition sehr unzufrieden, aber bei aller Schärfe ihrer Angriffe haben sie doch den Rahmen sachliche Kampfes nicht überschritten. […] Wir vertrauen darauf, dass der Streit der Meinungen schließlich zur Klärung und zur Annäherung führen wird. Solange dieser Prozess noch nicht beendet ist, ist die Scheidung nicht zu beseitigen und ist ein Schutz- und Trutzbündnis kaum zu erreichen.“ (S.2) Die Tatsache, dass die Leipziger Volkszeitung das Friedensmanifest groß herausbrachte, die Information über die Tagung dagegen fast versteckte, mag mit der Vorsicht gegenüber den Zensurbehörde zusammenhängen.

16 Auch abgedruckt bei Prager (1922), Geschichte der USPD, S.127f.

17 Von Richard Lipinski (Leipzig) eingebracht: 111 Stimmen dafür 41 Stimmen für andere Resolutionen – für Borchardt (Teltow-Beeskow) 7 Stimmen, für Meyer (Spartakus) 34 Stimmen. (Vgl. USPD-Protokoll Gotha 1917, S.118)

18 Hier wendet sich diese Resolution gegen die Spartakusgruppe, die genau dies in ihrer „Resolution Meyer“ unter Punkt 2 gefordert hatte. (Vgl. USPD-Protokoll Gotha 1917, S.99).

19 Von Eisner beantragt, einstimmig angenommen.

20 Das ‚Friedensangebot‘ konstatiert: „Zur Verteidigung ihres Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit wurden die vier verbündeten Mächte [das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Bulgarien] gezwungen, zu den Waffen zu greifen. [… und am Ende:] Wenn trotz dieses Anerbietens zum Frieden und zur Versöhnung der Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu führen. Sie lehnen aber feierlichst jede Verantwortung dafür vor der Menschheit und der Geschichte ab.“ („Das Friedensangebot der Mittelmächte“, in, Vorwärts 33. Jg., Nr. 342 (13.12.1916), S.1.) – Deutschland und die anderen Staaten seien also angegriffen worden und trotzdem friedensbereit. Die Leipziger Volkszeitung weist in einer ersten Reaktion mit Recht auf die Probleme des deutschen ‚Friedensangebot‘ hin, weil das Wichtigste fehle, „was erst einen dauernden Frieden gewährleisten kann: der deutlich ausgesprochene Verzicht auf Annexionen, auf die Vergewaltigung fremder Nationen, der fest Wille, an der Abrüstung und an dem Ausbau schiedsgerichtlicher Institutionen zur Vermeidung künftiger Kriege mitzuarbeiten.“ („Das Friedensangebot“, in, Leipziger Volkszeitung 23. Jg., Nr.279 (13. 12.1916), S.1. Dieses ‚Angebot‘ wird am 30. Dezember 1916 von Wilson abgelehnt. („Die Antwortnote der Entente“, in, Leipziger Volkszeitung, 24. Jg., Nr.1 (2.1.1917), S.1.).

21 In diesem Dokument, noch im Januar 1917 veröffentlicht, wird der Ton deutlicher: jetzt wird von einem „großen grundsätzlichen Widerstreits zweier Weltanschauungen “ gesprochen, der ausgetragen werden muss. Jetzt werden die Parteigenossen aufgefordert, für ihre abweichenden Ideen offensiv aufzutreten. Hier scheint bereits bei vielen Opponenten die Überzeugung um sich zu greifen, dass es kein „zurück zur alten Partei“ mehr geben kann.

22 Siehe Bericht im Vorwärts vom 19. Januar 1917 (34. Jg., Nr. 18), S.1, der die Auseinandersetzung nur weiter anfachte.: „Klarheit in der Partei. Der Parteiausschuss zur Reichskonferenz der Opposition“: „Das Disziplinwidrige, jeder Demokratie hohnsprechende Treiben dieser Sonderbündler hat mit seinen hässlichen Begleiterscheinungen eine zunehmende Zerrüttung der Partei herbeigeführt. Sonderorganisationen, gegen die Politik der Partei gerichtete Kundgebungen und schließlich auch Gegenkandidaten gegen die Kandidaten der sozialdemokratischen Partei bei Wahlen waren die unvermeidlich Folge dieses verderblichen Vorgehens der anarcho-syndikalistischen Opposition und der mit diesen Verbündeten Arbeitsgemeinschaft.“ Der Beschluss des Parteiausschusses, der mit 29 gegen 10 Stimmen angenommen wurde, ist nicht weniger klar. Hier heißt es: „Das ist die Gründung einer Sonderorganisation gegen die Partei und die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wie ihre Anhänger haben sich nunmehr auch von der Partei selbst getrennt. Die Schaffung dieser Sonderorganisation und die Zugehörigkeit zu ihr ist unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Gesamtpartei.“ (Ebd.). Vgl. Krause (2021): Geschichte der USPD, S.53f.

23 Teilabdruck bei Prager (1922): Geschichte der USP, S.130.

24 Mit diesem Aufruf wird der Gründungsparteitag der USPD vorbereitet. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt ein Datum für diese Konferenz noch nicht feststeht, werden die Kreisorganisationen aufgefordert, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Prager erklärte diesen Aufruf als „Abwehrmaßnahme“ (Prager (1922): G eschichte der USPD, S.133) gegen die Politik des Rauswurfe seitens der Sozialdemokratie. In dem in der Leipziger Volkszeitung veröffentlichten Aufruf vom Februar 1917 wird die beabsichtigte Trennung von der Mutterpartei deutlich formuliert. Der alten Mehrheit wird eine „Parteispaltung“ vorgeworfen, gegen die sich die Oppositionsgruppen zusammenschließen sollten, um für die „Gesundung der sozialdemokratischen Bewegung“ zu kämpfen. Nachdem die alte Sozialdemokratie in den Wahlkreisen, in denen die Opposition die Mehrheit hatte, neue parallele Parteigruppierungen aufgebaut hatte, blieb der Opposition nichts anderes übrig als ebenfalls eine eigenständige Partei aufzubauen.

25 Noch vor der Gründung der USPD werden in Form eines Reichstagsantrag zum Wahlgesetz, zur Gleichberechtigung Grundelemente der neu zu schaffenden Partei als Antrag an die Reichsregierung zusammengestellt, die noch im Geist der alten Sozialdemokratie formuliert sind.

26 Die Begründung im Reichstag wurde von Georg Ledebour am 30. März 1917 vorgetragen Er führte u.a. im Widerspruch zu den bürgerlichen Parteien aus: „Mittlerweile haben wir die russische Revolution bekommen, da ist eine der stärksten Monarchien glücklicherweise ohne weiteres hinweggefegt worden durch den Unwillen des Volkes. Deutschland zeichnet sich allerdings durch eine Geduld aus, für die sich schwer Beispiele sonst in der Geschichte erbringen lassen. (Große Unruhe und Zurufe rechts.) - Ja, durch eine übergroße Geduld. (Anhaltende große Unruhe.) Aber ich bin fest überzeugt, wenn die Geschichte so weiter geht, dann wird es auch in Deutschland gehen wie in Rußland, verlassen Sie sich darauf. (Erneute große Unruhe. — Zurufe. — Glocke des Präsidenten.). (Verhandlungen des Reichstag, 96. Sitzung, Bd.309, Berlin 1917, S.2923f.)

27 Abdruck auch in Prager (1922): Geschichte der USPD, S. 142f.

28 Das beschlossene Manifest macht sich fast ausschließlich an der Kritik der ‚nationalsozialen‘, alten Sozialdemokratie fest, indem es ausführlich begründet, warum die jetzt gegründete USPD der eigentliche Erbe der alten, erfolgreichen Sozialdemokratie ist. In der USPD lebt „der alte Geist“ wieder auf, der Geist des ‚internationalen Sozialismus‘. Jetzt sei die Hauptaufgabe der Kampf um den Frieden ohne Annexionen neben den Amnestieforderungen für politische Inhaftierte, den demokratischen Freiheitsrechten. Reizbegriffe wie ‚Räte‘, ‚Diktatur des Proletariats‘ erscheinen im Gründungsaufruf nicht. Allgemein zum Gründungskongress der USPD siehe Krause (2017); Die Gründung; Krause (2021): Geschichte der USPD, S. 79f.

29 Wiederabdruck auch bei Prager (1922): Geschichte der USPD, S.148f.

30 Nach dem Gründungsparteitag der USPD wandte sich die neu gegründete Partei in verschiedenen oppositionellen Zeitungen an die Arbeiterschaft, um sie zu informieren und für die Ziele der USPD zu begeistern. Durch die Namensnennungen und Herkunftsorte der Zentrale-Mitglieder wird die reichsweise Unterstützung der neuen Partei deutlich.

31 Auch veröffentlicht in: Mitteilungsblat t Jg. 12, Nr. 4 (12. April 1917), S.1f.; Prager (1922), Geschichte der USPD, S. 152f.

32 Prager verwies auf die Tatsache, dass Haases Rede über das Manifest der Stockholmer Konferenz „während des Krieges nur einmal durch Hugo Haase von der Tribüne des Reichstages aus verlesen wurde, sonst aber nicht veröffentlicht werden konnte“. (Teilwiedergabe in: Prager (1922): Geschichte der USPD, S.157f.) In der ausführlich zitierten Reichstagsrede vom Juli 1917 legt der USPD-Vorsitzende Hugo Haase (1911-1916 Vorsitzende der alten SPD) die Position seiner Partei ausführlich dar. Sie wird hier ungekürzt wiedergegeben, da sie alle Elemente der jungen USPD in einer Rede bündelte: zunächst die wichtigsten Ergebnisse der Stockholmer Friedenskonferenz, die in der Presse nicht wiedergegeben werden durfte: Die Forderung der gleichen Rechte für alle. Von Staat wird gefordert, keine Geheimverträge; über Frieden und Krieg darf nicht der Kaiser entscheiden, sondern die Verträge müssen im Reichstag behandelt und beschlossen werden. Innenpolitisch: wirkliche Parlamentarisierung, Presse- und Demonstrationsfreiheit, Frieden ohne Annexionen, Befreiung aller politischen Häftlinge. Mit vielen konkreten Einzelbeispielen wird von Haase die politische Gesamtlage und die Notwendigkeit der völligen Neuorientierung beschrieben.

33 Bis hierhin auch in Prager (1922): Geschichte der USPD, S.157-160.

Ende der Leseprobe aus 249 Seiten

Details

Titel
Aufrufe und Manifeste der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD)
Autor
Jahr
2021
Seiten
249
Katalognummer
V1037863
ISBN (eBook)
9783346421968
ISBN (Buch)
9783346421975
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeiterbewegung - soziale Frahe - Neuere Geschichte - Politikwissenschaften
Arbeit zitieren
Dr. Hartfrid Krause (Autor:in), 2021, Aufrufe und Manifeste der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1037863

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