Overtourism und dessen Vermeidungsmöglichkeiten. Handlungsempfehlungen für den alpin-urbanen Raum am Beispiel der Destination Innsbruck


Masterarbeit, 2020

168 Seiten, Note: 88/100


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Kurzfassung

Abstract

1 Einleitung
1.1 Ausgangslage, Relevanz und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und konkrete Forschungsfrage
1.3 Aktueller Forschungsstand, Forschungslücke und theoretischer Rahmen
1.4 Methodische Vorgehensweise
1.5 Aufbau der Arbeit

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Tourismus
2.1.1 Einführung und Begriffsdefinition
2.1.2 Tourismus als System
2.1.3 Auswirkungen des Tourismus
2.1.4 Tourismusentwicklung
2.2 Overtourism
2.2.1 Einführung und Begriffsdefinition
2.2.1.1 Aktuelle Diskussion
2.2.1.2 Ursprünge
2.2.2 Ursachen und Auswirkungen
2.2.2.1 Ursachen
2.2.2.2 Auswirkungen
2.2.3 Indikatoren und Messgrößen
2.2.4 Tourismusakzeptanz
2.3 Nachhaltige Destinationsentwicklung
2.3.1 Einführung und Begriffsdefinition
2.3.1.1 Begriff Nachhaltigkeit
2.3.1.2 Begriff Destination
2.3.1.3 Nachhaltige Destinationsentwicklung
2.3.2 Interessengruppen in Destinationen
2.3.2.1 Einführung und Begrifflichkeit
2.3.2.2 Relevante Stakeholder im Sinne einer nachhaltigen Destinationsentwicklung
2.3.3 Destinationslebenszyklus nach Butler
2.3.4 Visitor Management
2.3.4.1 Einführung und Begriffsdefinition
2.3.4.2 Modell Limits of Acceptable Change (LAC)
2.3.4.3 Handlungsmaßnahmen

3 Falldestination Innsbruck
3.1 Einführung
3.2 Geographische Lage und Erreichbarkeit
3.3 Wirtschaftliche Situation
3.4 Tourismussituation
3.4.1 Freizeitinfrastruktur und Sehenswürdigkeiten
3.4.2 Tourismuskennziffern
3.4.2.1 Ankünfte
3.4.2.2 Übernachtungen
3.4.2.3 Herkunftsländer der Touristen
3.4.2.4 Beherbergungssektor
3.4.3 Auswertung Tourismusindikatoren
3.4.3.1 Tourismusintensität und Tourismusdichte
3.4.3.2 Touristisches Wachstum
3.4.4 Interessengruppen
3.4.4.1 Überblick
3.4.4.2 Relevante Stakeholder im Sinne einer nachhaltigen Destinationsentwicklung

4 Methodisches Vorgehen
4.1 Zielsetzung
4.2 Empirische Sozialforschung
4.2.1 Einführung
4.2.2 Methodenwahl
4.3 Forschungsablauf
4.3.1 Überblick
4.3.2 Vorbereitung
4.3.2.1 Expertenwahl
4.3.2.2 Interviewleitfaden
4.3.3 Datenerhebung
4.3.4 Datenerfassung und Datenaufbereitung
4.3.5 Datenauswertung
4.4 Forschungsethik
4.5 Gütekriterien

5 Darstellung der Ergebnisse

6 Diskussion der Ergebnisse
6.1 Begriffsbestimmung Overtourism
6.2 Overtourism in Innsbruck
6.2.1 Aktuelle Situation
6.2.2 Relevanz präventiver Handlungsmaßnahmen
6.3 Touristen
6.3.1 Schwächen, Risiken und Herausforderungen
6.3.1.1 Touristisches Wachstum
6.3.1.2 Busreisegruppen und Tagestouristen
6.3.1.3 Geballtes punktuelles Touristenaufkommen
6.3.1.4 Fremde Kulturen
6.3.1.5 Verhalten der Touristen
6.3.2 Handlungsmaßnahmen
6.3.2.1 Besucherlenkung durch räumliche Verteilung der Touristen
6.3.2.2 Keine zeitliche Verteilung der Touristen
6.3.2.3 Fokussierung auf Qualitätstourismus
6.3.2.4 Verlängerung der Aufenthaltsdauer
6.3.2.5 Demarketing
6.3.2.6 Regulierung und Lenkung der Busreisegruppen
6.3.2.7 Vermittlung und Information
6.4 Destinationsübergreifendes System
6.4.1 Schwächen, Risiken und Herausforderungen
6.4.1.1 Interessenkonflikte
6.4.1.2 Stadtteilgespräche
6.4.1.3 Vernetzung des TVB und der Stadt Innsbruck
6.4.1.4 Wenig partizipativ und stark hierarchisch
6.4.2 Handlungsmaßnahmen
6.4.2.1 Einbindung aller relevanten Interessengruppen
6.4.2.2 Zukunfts-Think-Tank
6.4.2.3 Dialogrunden
6.4.3 Verantwortung zur Umsetzung der Maßnahmen

7 Fazit und Ausblick

8 Literaturverzeichnis

Anhang

Gender Erklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Masterarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Interviewpartnern bedanken, die mir ihre Zeit gewidmet haben und ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ein besonderer Dank gilt dabei dem Tourismusverband Innsbruck und insbesondere Herrn Dr. Gostner, der dem Thema von Anfang an sehr offen und interessiert begegnete und verschiedenes Datenmaterial zur Verfügung stellte.

Mein größter Dank gilt meiner Familie für ihre uneingeschränkte und liebenswerte Unterstützung, die es mir ermöglicht hat, diesen Weg einzuschlagen und erfolgreich abzuschließen.

Einen ganz herzlichen Dank möchte ich zudem an meine Betreuerin Bettina Anker aussprechen, die mir bei allen Fragen stets persönlich und fachlich tatkräftig unterstützend zur Seite stand.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Tourismus als System

Abbildung 2: Tragfähigkeitsgrenze

Abbildung 3: Anti-touristisches Plakat in Barcelona

Abbildung 4: Anti-touristisches Graffiti in Barcelona

Abbildung 5: Ursachen-Auswirkungen-Kreislauf

Abbildung 6: Triple-Bottom-Line Ansatz

Abbildung 7: Das System Destination mit relevanten Interessengruppen

Abbildung 8: Relevante Stakeholder beim Thema Overtourism

Abbildung 9: Destinationslebenszyklus

Abbildung 10: Lage Innsbruck innerhalb Österreichs

Abbildung 11: Sehenswürdigkeiten in Innsbruck

Abbildung 12: Ankünfte in Innsbruck seit 1998/99

Abbildung 13: Übernachtungen in Innsbruck seit 1998/99

Abbildung 14: Ankünfte in gewerblichen Beherbergungsbetrieben nach ausgewählten Herkunftsländern im Tourismusjahr 2018/19

Abbildung 15: Verteilung der Übernachtungen nach Beherbergungsarten im Tourismusjahr 2018/19

Abbildung 16: Wichtige Akteure in Bezug auf den Tourismus in Innsbruck

Abbildung 17: Marke Innsbruck

Abbildung 18: Überblick Forschungsablauf

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Positive und negative Auswirkungen des Tourismus

Tabelle 2: Übergeordnete Maßnahmen zur Vermeidung von Overtourism

Tabelle 3: Kennzahlen zur Berechnung der Tourismusintensität und Tourismusdichte in Innsbruck im Tourismusjahr 2018/19

Tabelle 4: Übersicht der finalen Experten

Tabelle 5: Darstellung der Ergebnisse der qualitativen Erhebung

Tabelle 6: Maßnahmenkatalog A

Tabelle 7: Beispielsauszug strukturierende Inhaltsanalyse A

Tabelle 8: Beispielsauszug zusammenfassende Inhaltsanalyse A

Abkürzungsverzeichnis

AirBnB AirBedandBreakfast

BIP Bruttoinlandsprodukt

bspw. beispielsweise

bzw. beziehungsweise

CEO Chief Eexecutive Officer

CSR Corporate Social Responsibility

d.h. das heißt

ebd. ebenda

etc. et cetera

EU Europäische Union

ff. fortfolgend

Hrsg. Herausgeber

insb. insbesondere

km Kilometer

km² Quadratkilometer

KPI Key Performance Indicator

LAC Limits of Acceptable Change

MCI Management Center Innsbruck

MICE Meetings Incentives Conventions Exhibitions

o.J. ohne Jahr

TALC Tourist Area Life Cycle

TCC Tourism Carrying Capacity

TVB Tourismusverband

u.a. unter anderem

UK Unterkategorie

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UNWTO World Tourism Organization

usw. und so weiter

z.B. zum Beispiel

Kurzfassung

FH Kufstein

Studiengang: Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement

Titel: Wie viele Touristen sind zu viele? Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Overtourism im alpin-urbanen Raum am Beispiel der Destination Innsbruck

Verfasserin: Luzie Halbach

Das globale Tourismusaufkommen ist in den letzten Jahrzehnten konstant gestiegen und stellt mittlerweile für viele Destinationen eine große Herausforderung dar. Vor allem klassische Overtourism Destinationen wie Venedig, Barcelona oder Dubrovnik haben mit den schwerwiegenden Folgen der steigenden Touristenzahlen zu kämpfen. Die vorliegende Arbeit möchte daher aufzeigen, wie sich Destinationen, die momentan (noch) nicht von diesem Phänomen betroffen sind, im Sinne einer nachhaltigen Destinationsentwicklung durch präventive Maßnahmen schützen können, damit diese Problematik erst gar nicht – oder zumindest nicht in diesem Umfang – resultiert. Dies soll anhand der Destination Innsbruck dargestellt und wissenschaftlich beleuchtet werden. Dabei ist es das Ziel dieser Arbeit, Stärken und Chancen als auch Schwächen, Risiken und Herausforderungen in Innsbruck zu erkennen, um daraufhin konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen. Dafür wurden insgesamt acht Experteninterviews mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt in Innsbruck geführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Innsbruck zwar momentan noch nicht akut vom Overtourism betroffen ist, in Zukunft aber durch das stetig steigende Touristenaufkommen sowie durch verschiedene, bereits jetzt sichtbare, Konfliktpotentiale in Zukunft gefährdet sein könnte. Um dieser Gefährdung entgegen zu wirken, sind die Experten mehrheitlich der Meinung, dass es von hoher Bedeutung sei, präventive Maßnahmen zu implementieren. Mit Hilfe der Expertenaussagen konnten umfangreiche Handlungsempfehlungen, wie bspw. Maßnahmen zur Regulierung und Lenkung der Busreisegruppen, das Demarketing oder die Etablierung von Dialogrunden herausgearbeitet werden. Mit diesen kann an bereits bestehende Maßnahmen des Tourismusverbandes und der Landeshauptstadt Innsbruck angeknüpft werden.

Abstract

FH Kufstein

Degree program: Sports, Culture and Events Management

Titel: How many tourists are too many? Recommendations to avoid overtourism in the alpine-urban region using the example of the destination Innsbruck

Author: Luzie Halbach

The volume of global tourism has been increasing over the past decades and is beginning to pose a major challenge for heavily affected destinations. Especially traditionally overfrequented destinations like Venice, Barcelona or Dubrovnik are struggling to deal with the severe consequences resulting from continuously rising numbers of tourists. This thesis aims to show, how destinations which are currently (still) unaffected by this phenomenon can apply preventive and sustainable development strategies in order to avoid or weaken the negative effects of overtourism. This will be scientifically discussed based on the example of the city of Innsbruck. The aim of this thesis is to recognize, which strengths and opportunities Innsbruck can build on, as well as which risks and challenges it might face. These findings will then be used to develop specific recommendations for action. For this matter, eight experts from Innsbruck who work in the field of politics, economics, science and environment, were interviewed.

The results show that Innsbruck is not currently affected by overtourism, however it could be at risk in the near future, due to continuously rising numbers of tourists and already emerging conflicts. In order to counteract this development, the majority of experts consider preventive measures to be necessary. Based on the experts’ statements, a number of comprehensive recommendations, such as the regulation of coach tour groups, demarketing strategies or the establishment of dialogue rounds, could be derived. These can be tied in with the measures that have already been implemented by the tourism association and the city administration of Innsbruck.

1 Einleitung

Zu Beginn dieser Arbeit wird die Ausgangslage, Relevanz und Problemstellung dargestellt, aus welcher sich die Zielsetzung und konkrete Forschungsfrage ergibt. Anschließend werden der aktuelle Forschungsstand und die Forschungslücke beleuchtet und es wird dargelegt, welche Theorien und Modelle als theoretischer Rahmen in dieser Arbeit herangezogen werden. Zudem wird die methodische Vorgehensweise beschrieben und der Aufbau dieser Arbeit vorgestellt.

1.1 Ausgangslage, Relevanz und Problemstellung

Lange Warteschlangen, Menschenansammlungen und Müllverschmutzungen? In beliebten Urlaubsdestinationen oftmals keine Seltenheit mehr. Urlaubsreisen werden in den Industriestaaten mittlerweile als fast selbstverständliches Konsumgut angesehen und von Jahr zu Jahr stärker nachgefragt (Statista, 2020b; Stiftung für Zukunftsfragen, 2020). So wächst der Tourismus kontinuierlich und ist heutzutage einer der am schnellsten wachsenden und zugleich diversifiziertesten Wirtschafssektoren weltweit (Marcher, 2019). Waren es vor 10 Jahren noch 892 Millionen internationale Reiseankünfte, so wurden im Jahr 2019 1,46 Milliarden internationale Reiseankünfte weltweit gemeldet, eine Zahl so hoch wie noch nie zuvor (Statista, 2020b). Auch Österreich, das vor allem aufgrund des breiten Wintersportangebotes, der Berglandschaft, sowie der einzigartigen Natur bei Touristen beliebt ist, kann stetig steigende Zahlen verzeichnen (Statista, 2020a; Statistik Austria, 2019; Wirtschaftskammer Österreich, 2018).

Dieser Reisetrend bringt für die beteiligten Destinationen und die betroffenen Akteure sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. So gehen mit dem Tourismus bspw. ein höherer Wohlstand sowie eine verbesserte (Freizeit-) Infrastruktur einher. Als Nachteile hingegen können z.B. die Müllverschmutzung, die Zerstörung der natürlichen Lebensräume durch die Verbauung, die sich zuspitzende Verkehrssituation, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus oder die Entfremdung der Region benannt werden (Freyer, 2015). Mittlerweile steht dadurch der Tourismus – und insbesondere der Übertourismus (‚Overtourism‘) – immer öfter in der Kritik. Vor allem Destinationen wie Venedig, Barcelona oder Dubrovnik werden momentan medial, als auch wissenschaftlich, stark diskutiert (Bouchon & Rauscher, 2019; Papathanassis, 2017). Auch im alpinen Raum werden die negativen Folgen des überhöhten Touristenaufkommens sichtbar und auch dort kommen erste negative Berichterstattungen auf („Massentourismus in den Bergen – die Alpen werden zum Freizeitpark“; Ischgl – Ballermann der Alpen“ oder „Höher, weiter, schneller – wie der Massentourismus den Alpen schadet“ (Hofer & Siebenhaar, 2015; Mader & Tillack, 2019; Makowsky, 2017)).

Diese Masterarbeit möchte sich daher mit dem Thema befassen, welche Maßnahmen Destinationen, die momentan (noch) nicht negativ im Diskurs stehen, frühzeitig implementieren können, um Chancen zu stärken und Risiken des wachsenden Tourismusaufkommens zu minimieren, damit der Tourismus in Zukunft nicht zu einer unüberwindbaren Herausforderung wird. Da jede Destination durch unterschiedliche Gegebenheiten und Besonderheiten charakterisiert ist und daher Handlungsempfehlungen nicht pauschal ausgesprochen werden können (Postma, Papp & Koens, 2018), soll dies anhand der Falldestination Innsbruck näher untersucht und wissenschaftlich beleuchtet werden.

Innsbruck liegt im Bundesland Tirol im Westen Österreichs und besticht vor allem durch sein alpin-urbanes Flair (Landeshauptstadt Innsbruck, o.J.a, 2020g). Die Stadt wurde als Falldestination gewählt, da sie nach ersten Recherchen keine klassische Overtourism Destination dargestellt, aber dennoch bereits erste Hot Spots mit starkem Besucheraufkommen aufweist. Zudem verzeichnete die Stadt in den letzten Jahren ein konstantes touristisches Wachstum: Waren es bspw. im Tourismusjahr 1998/1999 insgesamt 661.511 Ankünfte, ist diese Zahl innerhalb der letzten 20 Jahren um 52,4 % auf 1.008.586 Ankünfte im Jahr 2018/19 gestiegen (Landeshauptstadt Innsbruck, 2020j). Damit liegt Innsbruck nach Sölden auf Platz zwei der Top 50 Tourismusgemeinden in Tirol im Tourismusjahr 2018/19 (Land Tirol, 2020d).

1.2 Zielsetzung und konkrete Forschungsfrage

Damit dieses Wachstum in Zukunft nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt geht, ist es das Ziel dieser Arbeit Schwächen, Risiken und Herausforderungen des steigenden Tourismusaufkommens in Innsbruck zu erkennen und zu bewerten, um daraufhin strategische Maßnahmen bzw. Handlungsempfehlungen auszuarbeiten. Unter Berücksichtigung der drei Dimensionen – Ökonomie, Ökologie und Soziales – sollen von diesen konstruktiven Lösungsvorschlägen alle beteiligten Akteure bestmöglich profitieren. Die Forschungsfrage kann somit wie folgt definiert werden:

Welche Maßnahmen sollte Innsbruck in Zukunft implementieren und umsetzen, um den Herausforderungen des wachsenden Tourismusaufkommens unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessengruppen zu begegnen?

Um diese Frage beantworten zu können, sollen neben der Einbeziehung aktueller Literatur die Ansichten von Experten aus unterschiedlichen Interessengruppen in Innsbruck erfasst, ausgewertet und im Sachzusammenhang interpretiert werden. Ziel ist es, ein ganzheitliches Bild über die aktuelle touristische Situation zu erhalten und daraus anschließend Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

Dabei sind folgende Teilfragen für die Beantwortung der Forschungsfrage essentiell:

- Wie entsteht Overtourism und welche Auswirkungen gehen damit einher?
- Gibt es bereits Konzepte zur Vermeidung oder Reduzierung der negativen Auswirkungen und wenn ja, welche?
- Wie ist die aktuelle Tourismussituation in Innsbruck? Wo sehen Experten Stärken und Chancen, aber auch Schwächen, Risiken und Herausforderungen und mit welchen Maßnahmen kann darauf eingegangen werden?
- Wie schätzen Experten den Tourismus in Innsbruck in Zukunft ein?

Auf diese Fragen wird im Laufe dieser Arbeit eingegangen, um die Forschungsfrage im Fazit final beantworten zu können.

1.3 Aktueller Forschungsstand, Forschungslücke und theoretischer Rahmen

Über die Auswirkungen des steigenden Tourismusaufkommens wurde in der Wissenschaft schon früh diskutiert. Bspw. veröffentlichte Doxey bereits 1975 den Irritation Index, in welchem er darstellt, wie sich die Einstellung der Einheimischen gegenüber dem Tourismus bei steigenden Touristenzahlen verändert. Auch andere Autoren wie Krippendorf (1975, 1987, 1988), Jungk (1980) oder Butler (1980) setzten sich bereits früh mit dieser Thematik auseinander und übten Kritik an der starken Zunahme der Touristenströme. Auch wenn sich die Ursprünge somit bereits Endes des 20. Jahrhunderts als Antwort auf den Reiseboom der 1950er Jahre finden lassen, ist die Begrifflichkeit Overtourism noch relativ neu. So lassen sich erst seit 2017 unter dieser Terminologie wissenschaftliche Veröffentlichungen im nationalen als auch internationalen Raum finden, u.a von Koens, Postma und Papp (2018), Bouchon und Rauscher (2019), Gowreesunkar und Seraphin (2019a, 2019b), Goodwin (2017) oder Dodds und Butler (2019). Diese beziehen sich jedoch fast ausschließlich auf Destinationen, die von den Auswirkungen des geballten Tourismusaufkommens bereits stark betroffen sind. Eine Forschungslücke besteht daher hinsichtlich Destinationen, bei denen es langsam unter der Oberfläche ‚zu brodeln beginnt‘. Diese Destinationen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zwar momentan noch nicht flächendeckend von negativen Auswirkungen des Tourismusaufkommens betroffen sind, in Zukunft aber gefährdet sein könnten (Kagermeier & Erdmenger, 2019b). Die folgende Arbeit wird daher mit oben genannter Forschungsfrage diese Thematik untersuchen und für Innsbruck herausarbeiten, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um die Destination zukünftig bestenfalls präventiv vor negativen Auswirkungen des Overtourism zu schützen. Da noch keine abschließenden wissenschaftlichen Theorien über die Vermeidung von Overtourism vorliegen, bezieht sich diese Arbeit auf Konzepte und Modelle aus benachbarten und zusammenhängenden Bereichen und Teildisziplinen, welche im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Zunächst wird in der vorliegenden Arbeit auf den Tourismus per se eingegangen. Das Reisen bzw. der Tourismus ist an sich kein neues Phänomen; dementsprechend wurde in diesem Bereich schon viel geforscht und es findet sich unzählige Literatur zu allgemeinen Tourismusthemen (Bieger, 2002; Bieger & Beritelli, 2013; Freyer, 2015; Haedrich, Kaspar, Klemm & Kreilkamp, 1998; Kaspar, 1986, 1998). Interessant im Zusammenhang mit dem Phänomen Overtourism, ist das Tourismusmodell von Kaspar (1986), welches unter Bezugnahme auf weitere Autoren von Freyer (2015) dargestellt wurde. Aus diesem ist ersichtlich, wie viele verschiedene Systeme und Bereiche einen Einfluss auf den Tourismus haben und dass es bei Begegnungen zwischen Reisenden und Bereisten immer auch zu Konflikten kommen kann (siehe Kapitel 2.1.2). Zudem ist in diesem Zusammenhang die aktuelle Studie von Kagermeier und Erdmenger (2019b) zur Tourismusakzeptanz aufschlussreich, die sich auf das Resilienzmodell von Turner aus dem Jahr 2003 bezieht (siehe Kapitel 2.2.4).

Um mögliche Lösungsansätze zur Vermeidung von Overtourism herauszuarbeiten, wird auf Konzepte aus den Bereichen nachhaltiger Tourismus sowie Destinationsmanagement zurückgegriffen, welche unter dem Überpunkt nachhaltige Destinationsentwicklung in Kapitel 2.3 zusammengeführt werden. Als theoretischer Bezugsrahmen werden dabei v.a. die Stakeholdertheorie von Freemann (1984), der Destinationslebenszyklus von Butler (1980) sowie Erkenntnisse aus dem Visitor Management als relevant angesehen.

Die Stakeholdertheorie ist insofern zur Beantwortung der Forschungsfrage hilfreich, da sie besagt, dass in einem Unternehmen die Bedürfnisse und Interessen der verschiedenen Interessengruppen analysiert und in der Strategie berücksichtigt werden müssen, damit dieses langfristig erfolgreich agieren kann. Da Destinationen unternehmensähnliche Strukturen aufweisen (Bieger & Beritelli, 2013), kann diese Theorie auch auf Destinationen übertragen werden. In Kapitel 2.3.2 wird darauf näher eingegangen und es wird aufgezeigt, welche Interessengruppen im Sinne einer nachhaltigen Destinationsentwicklung von Bedeutung sind.

Ein weiterer theoretischer Bezugsrahmen ist der Destinationslebenszyklus von Butler (siehe Kapitel 2.3.3). Butler stellte bereits 1980 sehr anschaulich dar, wie sich Destinationen bei steigendem Tourismusaufkommen entwickeln. Dieses Konzept ist für die vorliegende Arbeit insofern relevant, da daraus abgeleitet werden kann, wie es überhaupt zum Phänomen Overtourism kommt und welche Phase in der Entwicklung einer Destination dabei als kritisch erachtet wird.

Zur Vermeidung dieser kritischen Phase, wird in Kapitel 2.3.4 auf das Konzept Visitor Management eingegangen. Darin wird unter anderem ein umfangreicher Maßnahmenkatalog vorgestellt. Dieser gibt mit seinen 17 übergeordneten Lenkungs- und Regulierungsmaßnahmen einen guten Überblick und erste Anhaltspunkte über mögliche Handlungsbereiche. Auch wenn diese für Destinationen sind, die bereits vom Overtourism betroffen sind, können daraus Schlüsse gezogen werden, welche Maßnahmen eventuell bereits präventiv umgesetzt werden können und welche Bereiche bei der Vermeidung von Overtourism forciert werden sollten.

1.4 Methodische Vorgehensweise

Zur Beantwortung der Forschungsfrage, ist ein umfangreicher Forschungsprozess notwendig, der sich in die drei Abschnitte theoretische Hintergründe, Vorabanalyse der Falldestination Innsbruck und Empirie unterteilen lässt.

Im ersten Abschnitt des Forschungsprozesses wird der aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand innerhalb der Bereiche Tourismus, Overtourism und nachhaltige Destinationsentwicklung dargestellt. Dabei werden relevante Aspekte, die in Bezug auf die Forschungsfrage wichtig sind, aufbereitet und der eben erwähnte theoretische Rahmen wird dargelegt und diskutiert.

Anschließend wird die Falldestination Innsbruck in einer Vorabanalyse untersucht. Dabei werden u.a. verschiedene Tourismuskennziffern ausgewertet, um einen ersten Überblick über die aktuelle touristische Situation zu erhalten.

Diese beiden Teile stellen die Basis für den anschließenden empirischen Forschungsteil dieser Arbeit dar. Da eine Forschungslücke bezüglich präventiver Handlungsmaßnahmen besteht und diesbezüglich keine Theorien oder allgemeine Modelle vorliegen, wurde als Forschungsmethode die qualitative Sozialforschung gewählt. Diese eignet sich nach Flick, Kardorff und Steinke (2000) vor allem für Forschungsfelder, die noch relativ unerforscht sind. Mit Hilfe dieser Forschung können neue Erkenntnisse generiert und neue Aspekte aufgedeckt werden (Döring & Bortz, 2016). Innerhalb der qualitativen Sozialforschung steht in der Regel die Konstruktion von Theorien im Vordergrund, weshalb meist induktiv vorgegangen wird. Das bedeutet, dass – im Gegensatz zur Deduktion – von der Beobachtung ausgegangen wird und daraufhin erklärende Prinzipien gebildet werden (Lamnek & Krell, 2016). Dafür wurden problemzentrierte Experteninterviews mit insgesamt acht Vertretern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt im März und April 2020 durchgeführt. Die Experten wurden dabei gezielt innerhalb sechs verschiedener Bereiche über Stärken und Chancen sowie Schwächen, Risiken und Herausforderungen zur aktuellen touristischen Situation in Innsbruck sowie zu möglichen Maßnahmen befragt. Das dabei gewonnene Datenmaterial wurde anschließend systematisch und strukturiert nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) ausgewertet.

1.5 Aufbau der Arbeit

Der Aufbau der Arbeit orientiert sich am methodischen Vorgehen und ist in die drei Abschnitte Theorie (Kapitel 2), Vorstellung der Falldestination Innsbruck (Kapitel 3) und Empirie (Kapitel 4-6) aufgeteilt. Abgerundet wird die Arbeit durch ein Fazit und einen Ausblick (Kapitel 7).

Zunächst werden in dieser Arbeit in Kapitel 2 die theoretischen Hintergründe aus den drei Bereichen Tourismus, Overtourism und nachhaltige Destinationsentwicklung dargestellt. Innerhalb jedes dieser Unterkapitel werden zu Beginn relevante Begrifflichkeiten diskutiert; anschließend werden verschiedene Konzepte, Modelle und sonstige relevante Inhalte vorgestellt.

In Kapitel 3 wird die Falldestination Innsbruck vorgestellt und näher analysiert. Nach einer kurzen Einführung wird dabei vor allem der Darstellung und Auswertung der aktuellen Tourismussituation ein Augenmerk geschenkt.

Die anschließenden Kapitel 4 bis 6 stellen den empirischen Teil dieser Arbeit da. In Kapitel 4 wird dabei zunächst das methodische Vorgehen transparent und im Sinne einer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit vorgestellt. Anschließend werden die Ergebnisse der Experteninterviews in Kapitel 5 übersichtlich und in Form einer Tabelle präsentiert. Diese werden in Kapitel 6 ausschnittsweise diskutiert und unter Bezugnahme auf die in Kapitel 2 vorgestellten Konzepte kritisch reflektiert.

Zum Abschluss werden in Kapitel 7 die Kernergebnisse, die in Form von konkreten Handlungsempfehlungen vorliegen, final dargestellt, wodurch eine Antwort auf die oben definierte Forschungsfrage geben wird. Zudem werden Limitationen der Arbeit reflektiert und es wird in einem Ausblick aufgezeigt, mit welchen weiteren Forschungsmethoden an diese Forschung angeknüpft werden könnte.

2 Theoretischer Hintergrund

Im folgenden Kapitel werden die theoretischen Hintergründe zu den drei Themenbereichen Tourismus, Overtourism und nachhaltige Destinationsentwicklung dargestellt. Dabei werden zunächst wichtige Begrifflichkeiten diskutiert; anschließend wird Bezug auf relevante Modelle genommen und wichtige Zusammenhänge werden erläutert.

2.1 Tourismus

Nach einer Begriffsdefinition wird in diesem Unterkapitel aufgezeigt, wie sich der Tourismus anhand der Systemtheorie greifbar darstellen lässt. Anschließend werden die Auswirkungen des Tourismus dargelegt und es wird kurz auf die touristische Entwicklung eingegangen.

2.1.1 Einführung und Begriffsdefinition

Der Begriff Tourismus sich in den letzten Jahren immer wieder weiterentwickelt und wurde von unterschiedlichen Autoren verschieden aufgefasst und definiert. Eine einheitliche Definition dieses Phänomens gibt es nicht. Verschiedene Autoren, wie bspw. Bieger und Beritelli (2013), Baumgartner und Röhrer (1998) und Bieger (2002), beziehen sich bei der Begriffsbestimmung auf Kaspar (1986, S. 18), der Fremdenverkehr als „[…] Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher und dauernder Wohn- noch Arbeitsort ist“ bezeichnet. Ausschlaggebend für Kaspar ist somit, dass die Reise außerhalb des alltäglichen Freizeit- und Arbeitsumfeldes stattfindet (wodurch bspw. auch Zweitwohnsitze ausgeschlossen werden) und mit einer Reise bzw. – wie aus der weiterentwickelten Definition aus dem Jahr 1998 abgeändert ­­­– einem Ortswechsel einhergeht (Kaspar, 1998). Somit ist die Reise selbst Teil des touristischen Prozesses. Die Motivation der Reise, d.h. ob diese privater oder geschäftlicher Natur ist, spielt hingegen nach Kaspar keine Rolle. Wichtig ist ihm jedoch die ganzheitliche Betrachtung der ökonomischen, politischen, technologischen und ökologischen Umwelt (Gesamtheit der Beziehungen). Er sieht Tourismus somit als ein System an, das diese Umwelt beeinflusst und wiederrum selbst von ihr beeinflusst wird (Kaspar, 1986).

Auch Freyer (2015, S. 1), der Fremdenverkehr bzw. Tourismus als „[…] Verkehr von Reisenden (oder Touristen) zwischen Heimatort und Reiseziel, den vorübergehenden Aufenthalt (Orts-) Fremder am Reiseziel sowie die Organisation der Reisevorbereitung und Reisenachbereitung am Heimatort“ definiert, geht auf den Ortswechsel als wichtiges touristisches Merkmal ein. Er erweitert den touristischen Prozess jedoch um die Komponente Reisevor- und nachbereitung. Zudem hebt er in seiner Definition hervor, dass der Aufenthalt nur vorübergehend ist. Laut der Definition der World Tourism Organization (UNWTO, 1993) fallen darunter Tourismusaufenthalte, die bis zu einem Jahr ohne Unterbrechung dauern. Dies ist in Anbetracht der durchschnittlichen Reisedauer in Österreich von 8,1 Tagen1 (Statista, 2019) sehr weit gefasst und umschließt somit nicht nur die klassischen Erholungs-, Freizeit und Urlaubsreisen sondern auch längere und dauerhaftere Aufenthalte an anderen Orten.

Bieger und Beritelli (2013) greifen die Definitionen von Kaspar und der UNWTO auf. Auch sie sind der Meinung, dass zum Tourismus nur Reisen zählen, die außerhalb des gewohnten Wohn- und Arbeitsumfeldes stattfinden. Während Freyer (2015) Geschäftsreisen und Tagestouristen zum touristischen Randbereich zählt, können diese Reiseformen jedoch nach ihrer Auffassung auch miteingeschlossen sein. Zudem weisen sie darauf hin, dass eine ganzheitliche Betrachtung alle involvierten Bereiche wichtig ist, d.h. der Tourismus darf nicht nur auf die verschiedenen Angebote, wie bspw. die Hotels oder Sehenswürdigkeiten, beschränkt werden, sondern muss auch die damit einhergehenden Folgen in den unterschiedlichen Bereichen (wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und ökologisch) involvieren. Diese ganzheitliche Betrachtung ist vor allem in Anbetracht dessen, dass der Tourismus mittlerweile für viele Menschen neben einem wichtigen Wirtschaftsbereich auch ein wichtiger Lebensbereich ist, in dem sie immer mehr Zeit verbringen, essentiell (Bieger & Beritelli, 2013).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass – obwohl es keine einheitliche Definition des Begriffes Tourismus gibt – folgende Elemente in den Definitionen immer wieder auftauchen und somit bei der Begriffsbestimmung als konstitutive Merkmale angesehen werden können:

- Tourismus ist durch einen Ortswechsel gekennzeichnet
- Die Zieldestination ist außerhalb der gewohnten Wohn-, Freizeit- und Arbeitswelt
- Der Aufenthalt in der Zieldestination ist nur vorübergehend

Auch wenn diese Merkmale sehr vage und teilweise unpräzise sind (bspw. bleibt offen, ab wann von einem fremden Ort außerhalb des gewohnten Umfeldes gesprochen werden kann), geben sie einen ersten Überblick und lassen das Phänomen Tourismus greifbarer werden. Wie dieses in sich sehr verstrickte und komplexe System mithilfe eines Modells vereinfacht dargestellt werden kann, zeigt das folgende Unterkapitel.

2.1.2 Tourismus als System

Verschiedene Autoren haben versucht, die komplexen touristischen Strukturen mithilfe eines Modelles abzubilden. „Modelle dienen der (gedanklichen) Erfassung komplexer Vorgänge und der Analyse und Erklärung von Wirkungszusammenhängen innerhalb der Modellstruktur“ (Freyer, 2015, S. 40). Auf den Tourismus bezogen gibt es verschiedene Ansätze, wie bspw. das touristische Raummodell, das touristische Zeitmodell oder das modulare Tourismusmodell. Keines dieser Modelle hat sich jedoch durchgesetzt (Freyer, 2015, 39 ff.). Die meisten dieser Modelle beziehen sich dabei auf die Systemtheorie von Ulrich aus dem Jahr 1968. Demnach ist ein System eine „[…] geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder herstellt werden können“ (Ulrich, 1968, S. 105). Wie bereits erwähnt, sieht bspw. Kaspar das Phänomen Tourismus als ein System an, welches die Umwelt beeinflusst und selbst von ihr beeinflusst wird. Nach ihm ist es essentiell, dass man sich vom eindimensionalen Denken löst und den Fremdenverkehr – mit den draus resultierenden Problemen – mehrdimensional betrachtet (Kaspar, 1986). Er greift damit den Gedanken von Ulrich auf und überträgt ihn erstmals auf den Tourismus. Nach Kasper wirken insgesamt fünf externe, übergeordnete Faktoren – die ökonomische, soziale, technologische, politische und ökologische Umwelt – auf das touristische System und werden im gleichen Zug auch von diesem beeinflusst. Bspw. wirkt sich die wirtschaftliche Lage (Wirtschaftskrise, Einkommenssituation etc.) stark auf den Tourismus aus; im Gegenzug hat aber der Tourismus auch einen bedeutenden Einfluss auf die Wirtschafssituation einer Destination, z.B. durch die Schaffung von Arbeitsplätzen (Kaspar, 1986).

Eine Weiterentwicklung dieses Modells ist das industriegesellschaftliche Lebensmodell. Dieses wurde in Anlehnung an Krippendorf (1984), Müller (2002) und Kaspar (1996) aufgestellt (Freyer, 2015). Demnach wirken sich die vier Systeme Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft und Staat auf das Zielgebiet, sowie auf das Quellgebiet aus, in welchem sich der Mensch in seiner Wohn-, Freizeit- und Arbeitswelt bewegt. Durch Reisen kommen Menschen in ihrer Freizeitwelt in Begegnung und Kontakt mit Menschen aus dem Quellgebiet, was wiederrum Rückwirkungen auf den Reisenden selbst, als auch auf den Bereisten hat (ebd.). Die folgende Abbildung zeigt dieses Modell, wurde jedoch in Anlehnung an Krippendorf (1988) leicht modifiziert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Tourismus als System

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Freyer (2015) und Krippendorf (1988)

Bereits hier wird ersichtlich, dass es beim Reisen immer zu Begegnungen zwischen den Reisenden und den Bereisten kommt und dass diese Kontakte auch zu Konflikten führen können. Zudem wird deutlich, dass es sich beim Tourismus um eine Querschnittsdisziplin handelt und sehr viele verschiedene Interessengruppen aus unterschiedlichen Bereichen den Tourismus beeinflussen und selbst von ihm beeinflusst werden. Die Vielzahl an Stakeholdern macht das Phänomen Tourismus sehr vielschichtig und komplex und führt zu verschiedenen Auswirkungen in unterschiedlichen Bereichen und Ebenen. Diese Auswirkungen werden im folgenden Kapitel dargestellt.

2.1.3 Auswirkungen des Tourismus

Der Tourismus bringt verschiedene Änderungen für die Destination als auch für alle beteiligten Akteure mit sich. Herle (2008) greift in diesem Zusammenhang die Veränderung der Kultur und Tradition, der natürlichen Attraktionen, der touristischen Infrastruktur, des Ortscharakters und der Bevölkerung auf. Diese Veränderungen können sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen werden, bzw. wie Dodds und Butler (2019, S. 522) es ausdrücken: „It has been long recognised that in any location, there will be winners and losers from tourism development […]“. Daher wird auch vom janusköpfigen Charakter der Tourismusbranche gesprochen (Gowreesunkar & Seraphin, 2019b). Welche Auswirkungen eine Destination hauptsächlich betreffen, lassen sich nicht verallgemeinern und können aufgrund der verschiedenen Gegebenheiten vor Ort stark variieren (Manzo et al., 2017). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick, welche ökonomischen, ökologischen und sozio-kulturellen Tourismusauswirkungen für die einheimische Bevölkerung bzw. die Destination einhergehen können.

Tabelle 1: Positive und negative Auswirkungen des Tourismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bieger (2002), UNWTO (2018), Goodwin (2017), Postma und Schmuecker (2017), Koens und Postma (2015) und Peeters et al. (2018)

2.1.4 Tourismusentwicklung

Das Reisen wird häufig als ein relativ neues Phänomen wahrgenommen. Die Ursprünge des Reisens lassen sich jedoch bereits im Altertum finden. Hauptmotive damaliger Reisen lagen vor allem im Handel, der Bildung, Religion und Forschung (Freyer, 2015). Im Mittelalter wurden bspw. Reisen zu Wallfahrten und Göttertempeln unternommen oder es wurde zu Heilzwecken gereist. Reisen war dabei zunächst nur einem kleinen Kreis der gesellschaftlichen und finanziellen Oberschicht vorbehalten (Kaspar, 1986). So reisten neben Geschäftsleuten vor allem Adlige. Ein bekanntes Beispiel ist die Grand Tour im 17. und 18. Jahrhundert von jungen Adligen, die vor allem Bildungs- und Forschungszwecke beabsichtigte (Herle, 2008). Einen entscheidenden Auftrieb gab es seit Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Verbesserung des Verkehrssystems und das Aufkommen neuer Verkehrsträger, wie Dampfschiffe oder Eisenbahnen, im Zuge der Industrialisierung (Kaspar, 1998). So waren bspw. Ende des 19. Jahrhunderts, in der sogenannten Belle-Epoque-Phase (1880-1914), schon zahlreiche Gebiete der Alpen mit der Eisenbahn erschlossen, wodurch die Gästezahl in manchen Orten vor allem in den Sommermonaten erheblich anstieg (Bätzing, 2003). Einen ersten Tiefschlag gab es durch den Ausbruch des ersten Weltkriegs, der einen Zusammenbruch des sich bereits langsam entwickelten Tourismus nach sich zog. Insbesondere die Hotellerie konnte sich nur sehr schwer davon erholen (Kaspar, 1986). Erst nach dem wirtschaftlichen Aufschwung nach Beendigung des zweiten Weltkriegs, etablierte sich das Reisen wieder und eine immer breitere Bevölkerungsschicht konnte in den Urlaub fahren. Die touristische Infrastruktur entwickelte sich in dieser sogenannten Hochphase ab ca. 1950 rapide (Freyer, 2015; Kaspar, 1998). In Österreich wurde in dieser Zeit bspw. die Gebirgslandschaft durch den Bau zahlreicher Autobahnen, Tunnel, Brücken und Liftanlagen weitreichend technisch erschlossen. Rückständige Bergregionen versuchten Anschluss an den Standard der urbanen und industriellen Zentren in Österreich zu finden und zahlreiche Privatunterkünfte eröffneten (Bachleitner & Penz, 2000). Zunächst gab es dabei kaum eine Zusammenarbeit der verschiedenen touristischen Betriebe. Dies änderte sich nach und nach in den 1960er und 1970er Jahren, in welchen die ersten Tourismusvereine gegründet und Werbegemeinschaften entstanden (Herle, 2008). Diese „euphorische Fortschritts- und Wachstumsmentalität“ (Bachleitner & Penz, 2000, S. 70) ebbte Ende der 1970er Jahre langsam ab und erste Kritik an den Folgen der Technisierung, des Energieverbrauchs und Raubbaus kam auf. In den 1980er Jahren kam es in Folge dessen zu zahlreichen Ökologiedebatten und erste internationale Umweltschutzorganisationen, wie bspw. Greenpeace, etablieren sich in Österreich. Zudem kamen weitere Aktionen und Initiativen wie z.B. „Schützt Salzburgs Landschaft“ auf (Bachleitner & Penz, 2000). Demgegenüber standen viele Befürworter des Tourismus, die darin vor allem ein starkes wirtschaftliches Potential sahen. So wurden in der sogenannten alpinen Goldgräberzeit (1985-1995) Skilifte gebaut und vergrößert und Tourismusorte durch den Wintertourismus zu zwei-Saison-Orten erweitert (Bätzing, 2003). Zeitgleich etablierte sich in den 1990er Jahren die Erlebnisgesellschaft und es kam immer mehr der Wunsch der Gäste und Konsumenten nach Entertainment, Thrill, Abwechslung und Vergnügen auf. Im Zuge dessen eröffneten zahlreiche Resorthotels, Freizeitparks oder Erlebnisbäder und das touristische Angebot wurde immer stärker künstlich inszeniert und als Erlebnis vermarktet (Steinecke, 2001; Wöhler, 2001). Neben der Eröffnung zahlreicher neuer touristischer Betriebe wurde in dieser Zeit die touristische Planung und Koordination immer professioneller und der Begriff Destinationsmanagement wurde eingeführt (Herle, 2008). Die zunehmende Vermarktung touristischer Orte und weiterer sogenannter Boomfaktoren (siehe auch Kapitel 2.2.2.1) führten in den letzten Jahren schließlich zu einem enormen Anstieg der internationalen Reisezahlen. Auch in Österreich sind die Auswirkungen dieses Reisebooms erkennbar. So gab es bspw. 2018 44,85 Millionen Ankünfte in Österreich, was einem Zuwachs von 32,4 % innerhalb von 10 Jahren entspricht (Statistik Austria, 2009, 2019).

Nach der UNWTO (2018) ist auch in Zukunft von einem starken Wachstum der Reisezahlen auszugehen. So ist damit zu rechnen, dass zusätzlich zu der steigenden Tourismusnachfrage in den westlichen Ländern neue Tourismus- und Reisemärkte hinzukommen. Gemeint ist damit vor allem eine zunehmende Reiseintensität bevölkerungsstarker Entwicklungs- und Schwellenländer wie Indien oder China (Herntrei, 2019). Bspw. werden in diesen beiden Ländern zwischen 2015 und 2025 mehr als 900 Millionen neue ‚Mitglieder‘ der Mittel- oder Oberschicht erwartet, die auch in Zukunft reisen werden (Manzo et al., 2017). Insgesamt prognostiziert die UNWTO (2018, 2020) bis 2030 1,8 Millionen internationale Ankünfte weltweit, das entspricht knapp 23,3 % mehr als im Jahr 2019.

2.2 Overtourism

Das stetig steigende Tourismusaufkommen zieht enorme Veränderungen für die Destinationen und alle beteiligten Akteure mit sich. Neben positiven Aspekten wie bspw. der Schaffung von Arbeitsplätzen, gehen damit auch viele negative Auswirkungen einher (Bieger, 2002). Vor allem Destinationen, in denen das Tourismusaufkommen deutlich zu hoch ist, haben mit verschiedenen Problematiken auf allen Ebenen (ökonomisch, ökologisch und sozio-kulturell) zu kämpfen. In diesen Destinationen wird auch oftmals von Overtourism gesprochen (Gowreesunkar & Seraphin, 2019b; Milano, 2018). Was sich hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt, welche Ursachen für ihr Entstehen verantwortlich sind und vor welchen Herausforderungen diese Destinationen stehen, wird in diesem Kapitel beleuchtet. Zudem wird darauf eingegangen, welche Indikatoren und Messgrößen zur Quantifizierung des Phänomens angeführt werden und durch welche Faktoren die Tourismusakzeptanz gesteigert werden kann. Mögliche Maßnahmen zur Vermeidung von Overtourism werden in Kapitel 2.3.4 Visitor Management dargestellt.

2.2.1 Einführung und Begriffsdefinition

2.2.1.1 Aktuelle Diskussion

Die Begrifflichkeit Overtourism ist hauptsächlich in den Medien entstanden. Dort wird vor allem in den letzten Jahren vermehrt darüber diskutiert und es gibt weltweilt unzählige Beiträge, die diese Thematik – oftmals auch unter sehr provokanten Schlagzeilen wie „Tourists loving tourism destinations to death“ oder „Acht Orte, an denen Touristen am meisten gehasst werden“ (Arlt, 2018, S. 64) – aufgreifen. Destinationen, die dabei immer wieder genannt und zitiert werden sind bspw. Venedig, Dubrovnik, Barcelona, Amsterdam und Berlin (Arlt, 2018; Bouchon & Rauscher, 2019; Innerhofer, 2019). Diese Destinationen stellen nach Kagermeier und Erdmenger (2019b, S. 3) die „Spitze des Eisbergs“ dar. Aber auch kleinere Städte oder alpine (Winter-) Destinationen, wie Bad Ischl, sind davon geprägt und weisen erste negative Berichterstattungen auf (Innerhofer, 2019). Zudem ist das Phänomen nicht nur im europäischen Raum vorhanden, sondern betrifft Destinationen weltweit, wie bspw. die Maya Bay in Thailand oder der Machu Picchu in Peru (Avond et al., 2019).

Im wissenschaftlichen Kontext ist die Terminologie Overtourism noch relativ neu und wird erst seit 2017 unter diesem Begriff von verschiedenen Autoren aufgegriffen. Innerhalb dieser kurzen Zeit hat die Thematik jedoch stark an Präsenz gewonnen (Papathanassis, 2017). So wurden aktuell viele wissenschaftliche Beiträge in Journals veröffentlicht, wie bspw. von Koens et al. (2018), Bouchon und Rauscher (2019), Gowreesunkar und Seraphin (2019b), Postma und Schmuecker (2017), Kagermeier und Erdmenger (2019a), Goodwin (2017), Dodds und Butler (2019). Die meisten Studien und Veröffentlichungen beziehen sich dabei auf Destinationen, die bereits deutlich von den Auswirkungen des Overtourism betroffen sind, während noch relativ wenig bekannt ist über die Destinationen, bei den es langsam unter der Oberfläche ‚zu brodeln beginnt‘ (Kagermeier & Erdmenger, 2019b, S. 6).

Eine recht umfangreiche Definition vom Overtourism bietet Goodwin vom Responsible Tourism Partnership. Demnach bezieht sich Overtourism auf „[…] destinations where hosts or guests, locals or visitors, feel that there are too many visitors and that the quality of life in the area or the quality of the experience has deteriorated unacceptably“ (Goodwin, 2017, S. 1). Er greift damit, im Unterschied zu anderen Definitionen, – wie bspw. von Herntrei (2019, S. 108), der Overtourism als ein Resultat der wachsenden Reiseströme, die „[…] aus der Sicht der Einheimischen ihre Lebensqualität gefährden oder sie beeinträchtigen […]“ sieht, – nicht nur die Perspektive der Einheimischen, sondern auch die der Touristen auf. Auch die UNWTO spricht von Overtourism, wenn die Auswirkungen des Tourismus die Destination selbst oder die Erlebnisqualität der Touristen negativ beeinflussen und geht in diesem Kontext auf die Tragfähigkeitsgrenze, auch bekannt unter der Carrying Capacity, ein (UNWTO, 2018). Das Prinzip der Carrying Capacity kommt ursprünglich aus der Tierreich und bedeutet, dass der Tierbestand nur so groß sein sollte, wie verfügbare Ressourcen, wie z.B. Futter, vorhanden sind (Heidbreder, 2009). Dieses Prinzip wird Mitte der 1980er Jahre auf den Tourismus übertragen mit dem Ziel, messbare Grenzwerte für jede Destination zu ermitteln (Baumgartner & Röhrer, 1998). So versteht bspw. die UNWTO (1981, S. 4) unter der Tourism Carrying Capacity (TCC) „[…] the maximum number of people that may visit a tourist destination at the same time, without causing destruction of the physical, economic and sociocultural environment and an unacceptable decrease in the quality of visitors satisfaction“. Die TCC stellt somit eine Schwelle da, die – sofern sie überschritten wird – die Balance zerstört und zu negativen Auswirkungen führt bzw. führen kann. Auch Peeters et al. (2018) greifen in ihrer Definition von Overtourism die Tragfähigkeitsgrenze auf. Sie erweitern die genannten Bereiche der UNWTO jedoch noch um eine ökologische, psychologische und politische Tragfähigkeitsgrenze. Nach ihnen entsteht Overtourism demnach, wenn eine oder mehrere Grenzen erreicht sind und die Auswirkungen des Tourismus zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort durch die verfügbaren Ressourcen nicht mehr getragen werden können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Tragfähigkeitsgrenze

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Weber et al. (2017)

Anhand der oben aufgeführten Definitionen ist kritisch zu hinterfragen, ob es überhaupt möglich ist, dass der Tourismus keinerlei Schäden („[…] without causing destruction […]“ (UNWTO, 1981, S. 4)) verursacht. Jedes menschliche Handeln hat letztendlich immer Auswirkungen auf die Destination und die dazugehörigen Akteure, die nicht immer nur positiv sind. Zudem ist es sehr schwer zu messen, wann diese Tragfähigkeitsgrenzen erreicht sind, da dies teilweise – wie bspw. auf der sozio-kulturellen Ebene – nicht quantitativ messbar ist. So kann z.B. die subjektive Wahrnehmung, ob bereits zu viele Touristen in der Destination sind, von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen (Brida, Osti & Faccioli, 2011). Diesbezüglich spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Welche Faktoren das sind und mit welchen Indikatoren versucht wird, die Grenzen quantifizierbar und beschreibbar zu machen, wird in Kapitel 2.2.3 und 2.2.4 detailliert dargestellt.

2.2.1.2 Ursprünge

Auch wenn die Begrifflichkeit Overtourism erst relativ neu ist und aufgrund der stark ansteigenden Touristenzahlen in den letzten Jahren medial als auch wissenschaftlich vermehrt diskutiert wird, ist Overtourism an sich kein neues Phänomen. Neben der bereits vorgestellten Tragfähigkeitsgrenze lassen sich weitere Publikationen in den 1970er und 1980er Jahren finden, die diese Problematik aufgreifen. Nach Dodds und Butler (2019, S. 519) kann Overtourism kann somit als „a new term for an old problem“ verstanden werden.

Einer der ersten wissenschaftlichen Beiträge, die sich mit den negativen Reaktionen der einheimischen Bevölkerung in Bezug auf ein Übermaß an Touristen auseinandersetzt, ist der Irritation Index von Doxey (1975). Nach ihm durchlaufen Einheimische während des touristischen Wachstums vier Entwicklungsstufen: Euphorie, Apathie, Irritation und Antagonismus. Auch heute noch wird oftmals auf dieses Modell im Zusammenhang mit der Tourismusakzeptanz zurückgegriffen (siehe Kapitel 2.2.4). Auch Pizam (1978) hat die Auswirkungen eines zu hohen Tourismusaufkommens auf die Einheimischen untersucht und dabei erstmals neben den ökonomischen und ökologischen auch die sozialen Auswirkungen mit aufgegriffen. Er hat herausgefunden, dass ein zu hohes Tourismusaufkommen negative Auswirkungen auf die Einstellung der einheimischen Bevölkerung gegenüber dem Tourismus per se und den Touristen hat. Mit der Frage, welche Veränderungen Destinationen durch ein wachsendes Tourismusaufkommen erfahren, beschäftigten sich auch Krippendorf (1988) und Butler (1980). Sie sprechen zwar beide nicht von Overtourism in diesem Sinne, machen aber die Auswirkungen wachsender Tourismusankünfte deutlich. Auf diese Konzepte wird in Kapitel 2.3.1.1 und 2.3.3 näher eingegangen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass

- Overtourism durch ein erhöhtes Besucheraufkommen gekennzeichnet ist, das die Kapazitäten der Destination überschreitet und dadurch negative Begleiterscheinungen, für die Destination und die Einheimischen als auch die Touristen, mit sich bringt
- Im wissenschaftlichen Kontext schon seit 1975 über die Auswirkungen des (Massen-) Tourismus diskutiert und geforscht wird, der Begriff Overtourism dennoch erst in Folge der starken medialen Präsenz 2017 geprägt wurde
- Das Phänomen ganzheitlich, d.h. unter Einbeziehung aller betroffenen Ebenen und relevanten Stakeholder betrachtet werden muss und aufgrund dessen sehr komplex und vielschichtig ist

2.2.2 Ursachen und Auswirkungen

2.2.2.1 Ursachen

Die Ursachen zur Entstehung von Overtourism sind umfangreich und können sowohl nachfrage- als auch angebotsbedingt sein. Eine wichtige Ursache ist wie bereits erwähnt, das wachsende Tourismusaufkommen in vielen Destinationen (Dodds & Butler, 2019). Dieses ist auf verschiedene Faktoren – auch Boomfaktoren genannt – zurückzuführen. Beispiele hierfür sind nach Dodds und Butler (2019), Goodwin (2017), Gowreesunkar und Seraphin (2019b), Koens et al. (2018) und Manzo et al. (2017):

- Die wachsende Weltbevölkerung, die sich seit 1950 verdreifacht hat
- Der steigende Wohlstand, der es immer mehr Menschen ermöglicht, Reisen zu unternehmen
- Die stärkere Vermarktung vieler Destinationen von Seiten der Destination Management Organizations (DMO‘s)
- Die verbesserte Zugänglichkeit durch den Ausbau der Infrastruktur und die Schaffung günstiger Transportmittel, wie z.B. Billigairlines
- Die Vereinfachung der Reisebuchung durch online-Buchungsportale
- Das vermehrte Teilen von Reiseerfahrungen über soziale Netzwerke
- Die veränderten Bedürfnisse, in welchen bspw. Urlaub und Freizeit einen höheren Stellenwert einnehmen

Neben diesen oftmals zunächst positiven Aspekten, die in den letzten Jahren zu einer verstärkten Reisenachfrage geführt haben, spielen aber auch noch weitere Faktoren für die Entstehung von Overtourism eine Rolle. So kann bspw. die Urbanisierung und die damit einhergehende Verdichtung von Lebensräumen in Städten dazu führen, dass es nicht genug Raum für Einheimische und Touristen gibt (Bouchon & Rauscher, 2019; Koens & Westerbeek, 2018). Zudem wird die Sharing-Economy, und insbesondere Plattformen wie AirBnB, oftmals als Mitverursacher des Overtourism gesehen. Während der Beherbergungssektor meist rechtlich reguliert und durch limitierte Zonen genau vorgegeben ist, kann sich die Sharing Economy – sofern keine expliziten Gegenmaßnahmen getroffen werden – frei ausweiten (Bouchon & Rauscher, 2019). Darüber hinaus kann eine fehlende strategische Ausrichtung der Destination, sowie eine mangelnde Kommunikation zwischen den Stakeholdern, die Overtourism-Problematik aus Angebotssicht verschärfen (Goodwin, 2017; Koens et al., 2018). So hebt Papathanassis (2017, S. 292) bspw. hervor: „[…] ‘over-tourism‘ is mainly about ‚under-management‘ of tourism and the subsequent plea to tourism policy-makers is: `Manage destinations and educate tourists; not vice versa!` “.

2.2.2.2 Auswirkungen

Wie in Kapitel 2.1.3 dargestellt, bringt der Tourismus sowohl negative als auch positive Auswirkungen mit sich. Wenn das Tourismusaufkommen in Anbetracht der oben genannten Ursachen jedoch zum Overtourism führt, werden die positiven Aspekte oftmals von den negativen überschattet, wodurch verschiedene Problematiken entstehen können (Avond et al., 2019).

Betroffen von diesen Problemen ist zunächst die lokale Bevölkerung. So kommt es so oftmals zu tourismusbedingten Konflikten, wodurch die Lebensqualität der Einheimischen drastisch sinken kann (Tallinucci, 2019). Nach Postma und Schmuecker (2017) werden diese Konflikte unter anderem hervorgerufen durch:

- Überfüllung (Gastronomie, Museen, Einkaufsstraßen, öffentliche Transportmittel, Events etc.)
- Preissteigerungen (Mieten, öffentliche Transportmittel, Freizeiteinrichtungen, Gastronomie, Events etc.)
- Unangepasstes Verhalten der Besucher (Lärm, Verschmutzung, Gewalt, Drogenkonsum, Vandalismus etc.)
- Entfremdung (Verlust Authentizität, Touristifizierung etc.)
- Gentrifizierung (steigende Mietpreise und damit einhergehende Umsiedlung der einheimischen Bevölkerung, Knappheit an Mietraum)

Bspw. hat die in Kapitel 2.2.2.1 erwähnte Zunahme der Sharing Economy in den letzten Jahren in vielen Städten dazu geführt, dass Eigentümer ihre Wohnungen und Häuser nicht mehr dauerhaft an die einheimische Bevölkerung, sondern – aufgrund der lukrativeren Einnahmen – an Touristen für Kurzaufenthalte vermietet haben. Durch das explosive Wachstum dieser online-Plattformen, gibt es somit immer weniger dauerhaft zur Verfügung stehenden Wohnraum für Einheimische. Dies hat in manchen Städten, wie bspw. Berlin oder Barcelona, zahlreiche Proteste seitens der Anwohner ausgelöst (Bouchon & Rauscher, 2019; Koens et al., 2018; Peeters et al., 2018; Postma & Schmuecker, 2017; Postma et al., 2018). Aber auch aufgrund der anderen oben genannten Konfliktbereiche, kam es bereits zu zahlreichen Protesten in unterschiedlichen Städten, die zum Teil sehr radikal und vandalisch waren. In Barcelona bspw. stoppten maskierte Personen einen Reisebus, beschmierten die Scheiben des Busses mit tourismusfeindlichen Parolen und zerstachen die Reifen (Herntrei, 2019). Zudem lassen sich in verschiedenen Städten, wie bspw. Hamburg, Palma oder Barcelona, anti-touristische Plakate oder Graffitis mit Aufschriften wie „ Tourist Go Home “, „ Tourists = Terrorists “, „ No Tourist allowed, thanks for your collaboration “ finden (Herntrei, 2019, S. 110; Kagermeier & Erdmenger, 2019b, S. 5; Martins & Marco, 2018, S. 5). Diese anti-touristischen Bewegungen, werden auch als Tourismphobia bezeichnet (Gowreesunkar & Seraphin, 2019b; Martins & Marco, 2018).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Anti-touristisches Plakat in Barcelona

Quelle: Pontegnie (2019)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Anti-touristisches Graffiti in Barcelona

Quelle: Nadal (2016)

Teilweise drückt sich der Unmut der lokalen Bevölkerung neben Protesten und/oder Vandalismus auch durch eine starke Abwanderung aus. In Venedig hat bspw. die große Anzahl der Touristen – und insbesondere der Tagestouristen durch die Kreuzfahrtschiffe – soweit geführt, dass viele Einheimische ins Inland geflohen sind und sich daher die Stadtbevölkerung innerhalb der letzten 30 Jahren halbiert hat (Goodwin, 2017).

Wie bereits in den Definitionen von Overtourism erkennbar, betreffen die Auswirkungen jedoch nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Touristen selbst. So können bspw. Menschenansammlungen und lange Warteschlangen dazu führen, dass das Urlaubserlebnis nicht als authentisch wahrgenommen wird, was einen Rückgang der touristischen Erfahrung zur Folge haben kann (Manzo et al., 2017).

Zudem können weitere Problematiken und Herausforderungen wie Umweltschäden durch Verschmutzung, Übernutzung der natürlichen Ressourcen oder einem schlechtem Müllmanagement sowie Risiken für Kultur- und Naturerbestätten (z.B. durch ein rücksichtsloses Verhalten der Touristen etc.) entstehen (Manzo et al., 2017).

Diese Auswirkungen – die sowohl die sozio-kulturelle als auch die ökonomische und ökologische Ebene betreffen – ziehen Reaktionen nach sich, welche wiederrum einen Einfluss auf die Ausgangsbedingung haben. Bspw. kann es durch die oben genannten Konfliktpotentiale zu einer Touristenfeindlichkeit seitens der Einwohner kommen, welche wiederrum Einfluss auf die touristische Nachfrage haben kann (Bachleitner & Penz, 2000). Die folgende Abbildung stellt diesen in sich verstricken Kreislauf dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Ursachen-Auswirkungen-Kreislauf

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bachleitner und Penz (2000) und Koens und Postma (2015)

Dodds und Butler (2019) prognostizieren, dass die Situation in Zukunft noch problematischer wird und die negativen Auswirkungen noch weiter ansteigen werden, bis angemessene Gegenmaßnahmen unternommen werden.

2.2.3 Indikatoren und Messgrößen

Ein erster Schritt, um präventive Maßnahmen bzw. Gegenmaßnahmen zur eben genannten Problematik zu entwickeln, besteht in der Analyse der aktuellen Tourismussituation (Postma & Schmuecker, 2017). Dafür werden im folgenden Kapitel verschiedene Indikatoren zusammengetragen und reflektiert.

Müller und Seiler (1998) haben Kennziffern erarbeitet, um zu überprüfen, wie sanft bzw. hart die touristische Entwicklung ist. Dabei haben sie aus verschiedenen Messwerten, die sie nach einem Ampelsystem bewerten haben, ein Chancen- und Warnprofil erstellt. Unter anderem waren dabei folgende Indikatoren von Bedeutung:

- Anteil der überbauten Bauzone von der gesamten Bauzone
- Das Bettverhältnis der Hotellerie und der Parahotellerie
- Die kulturelle Identität (Anteil der Betten im Bezug zur Zahl Ortsansässiger)

Im Zuge der Overtourism Debatte in den letzten Jahren kamen zudem verschiedene Faktoren und Messgrößen dazu bzw. wurden durch andere ersetzt. Manzo et al. (2017) von der McKinsey & Company und dem World Travel & Tourism Council haben in ihrer Studie bspw. anhand von 68 Städten weltweit ein Frühwarnsystem entwickelt. Dabei haben sie in diesen Städten neun verschiedene Faktoren untersucht und die Destinationen anschließend in fünf verschiedene Cluster bzw. Risikostufen (1=sehr hohes Risiko2, 5=sehr geringes Risiko3 ) eingeteilt. Begutachtet wurden z.B. die Faktoren Anteil des Tourismus am BIP, Zunahme der Ankünfte in Prozent, Anzahl der Touristen pro Quadratkilometer und Einwohner, Anteil der schlechten Bewertungen unter den Top 10 Attraktionen auf Tripadvisor oder die Unterschiede ankommender Touristen mit dem Flugzeug in der Haupt- und Nebensaison (Manzo et al., 2017).

Arlt (2018) kritisiert in dieser Studie, dass versucht wird, statistische Instrumente zur Messung von Overtourism auszuarbeiten und dies seiner Meinung nach – wie bei der Anwendung am Beispiel von Barcelona ersichtlich ist – komplett scheitert. Auch Peeters et al. (2018) sind der Meinung, dass ein Frühwarnsystem nicht entwickelt werden kann, da die Ursachen für den Overtourism sehr komplex und vielschichtig sind. Sie schenken dennoch den folgenden fünf statistischen Indikatoren

- Tourismusdichte (Anzahl Übernachtungen pro Quadratkilometer)
- Tourismusintensität (Anzahl Übernachtungen pro Einwohner)
- AirBnB Bettenkapazität im Verhältnis zur Booking.com Bettenkapazität
- Anteil Tourismus am BIP
- Luftverkehrsintensität (Flugzeugankünfte/Einwohnerzahl)

zur Überwachung der touristischen Entwicklung eine Bedeutung, sind jedoch der Meinung, dass Schwellenwerte4 innerhalb dieser Indikatoren nicht ausgesprochen werden können. Zudem bringen sie die Faktoren Nähe zu Flughäfen (bis zu 30 km Entfernung), Nähe zu Kreuzfahrthäfen (bis zur 15 km Entfernung) und Nähe zu UNESCO Weltkulturerbestätten (bis zu 20 km Entfernung) in Verbindung mit dem Phänomen Overtourism. Aus ihren Erkenntnissen stellen sie eine Checkliste zusammen, die es ermöglichen soll, potentielle Risiken zu erkennen. Neben der Nähe zu den genannten Einrichtungen, enthält diese auch weiche Faktoren, bspw. welche Reisemärkte mit der Marketingstrategie der Destination angesprochen werden sollen, ob die Ansichten der Einwohner in der Planung berücksichtigt werden und ob die touristische Entwicklung regelmäßig überwacht wird (Peeters et al., 2018).

Für die vorliegende Arbeite werden sowohl weiche als auch harte Indikatoren und Messgrößen als wichtig erachtet. Harte Faktoren, die in verschiedenem wissenschaftlichem Kontext immer wieder angeführt werden, sind die Tourismusdichte und Tourismusintensität (siehe u.a. Herntrei (2019), Kagermeier und Erdmenger (2019b), Bouchon und Rauscher (2019), Peeters et al. (2018)). Im Gegensatz zur Kritik von Arlt (2018) werden diese Faktoren als sinnvoll erachtet, um sich einen ersten Überblick über die aktuelle Situation zu verschaffen und sollen daher als Richtwerte für die Analyse der Tourismussituation in Innsbruck miteingebunden werden. Dabei sollen die Ergebnisse jedoch nicht – wie Peeters et al. (2018) betonen – anhand von Schwellenwerten bewertet werden (Auswertung siehe Kapitel 3.4.2). Weiche Faktoren, wie bspw. die Tourismusakzeptanz, sind hingegen deutlich schwieriger in der Erhebung und Auswertung. Hier wird versucht, im qualitativen Forschungsteil dieser Arbeit mithilfe von Experteninterviews zu Erkenntnissen – z.B. zu den von Peeters et al. (2018) aufgeführtem Faktor Einbindung der lokalen Bevölkerung – zu gelangen. Welche weiteren Faktoren eine Rolle bei der Tourismusakzeptanz spielen und welche Studie es diesbezüglich gibt, zeigt das folgende Kapitel.

2.2.4 Tourismusakzeptanz

Im Kapitel Auswirkungen des Overtourism wurde ersichtlich, dass durch das vermehrte Tourismusaufkommen oftmals Konflikte auftreten. Bereits 1975 hatte Doxey dargestellt, wie sich im Zeitverlauf die Einstellung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Touristen entwickelt und dabei vier Stufen herausgearbeitet. Nach ihm kommt es nach einer anfänglichen Euphorie zu einer Apathie, die schließlich in einer Irritation und letztendlich in einem Antagonismus endet (Doxey, 1975). Während in manchen Destinationen Konflikte bei steigenden Touristenzahlen sehr schnell aufkommen, sind andere Destination hingegen deutlich resistenter (Kagermeier & Erdmenger, 2019b). Demnach sind wie bereits erläutert nicht nur quantitative Faktoren, wie bspw. die Tourismusintensität, von Bedeutung. Kagermeier und Erdmenger (2019b) haben bspw. in ihrer Studie herausgefunden, dass München – trotz ähnlicher Tourismusintensität wie Berlin, Barcelona oder Hamburg im Gegensatz zu diesen Städten – kaum Probleme mit Overtourism hat. In ihre Studien wurden zunächst 180 Face-to-Face Befragungen mit Bewohnern und Besuchern in Münchens Innenstadt zur aktuellen Tourismussituation durchgeführt. Anschließend wurden die Meinungen von sechs professionellen Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Tourismus in Form von Experteninterviews hinzugezogen. Bei der Auswertung beziehen sich Kagermeier und Erdmenger (2019b) auf das Vulnerabilitäts- bzw. Resilienzmodell von Turner aus dem Jahr 2003, das darstellt, warum ein gleiches Ergebnis verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen kann. Neben den Variablen Gefährdung und Empfindlichkeit, spielt dabei auch die Resilienz, d.h. die „[…] Fähigkeit eines Systems, auf ein externes Ereignis selbstorganisiert zu reagieren, dieses zu bewältigen sowie sich entsprechend anzupassen“ (Kagermeier & Erdmenger, 2019b, S. 7–8) eine wichtige Rolle. Laut ihrer Studie begünstigen speziell in München verschiedene Faktoren eine höhere Resilienz bzw. beeinflussen die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung, sodass sich diese von anderen klassischen Overtourism Destinationen unterscheidet. Bspw. verzeichnet die Stadt kein rapides, sondern lediglich ein moderates Wachstum, was zu einer Art Gewöhnungseffekt bei der Bevölkerung geführt hat. Zwar kommt es während des Oktoberfests zu intensiven Touristenströmen, da diese jedoch zeitlich als auch räumlich begrenzt sind und es gleichzeitig eine hohe Identifikation der Einheimischen mit dem Themenfeld Bierkultur gibt, ist das Toleranzniveau recht hoch. Zudem gibt es durch den flächenmäßig großzügigen Grundriss der Stadt genug Rückzugsraum für die Einheimischen, was sich zusätzlich positiv auswirkt. Ebenfalls führt die bewusste Zielgruppenansprache (gehobenes Preissegment) zu einem geringen Lebensstil-Gap zwischen Bewohner und Besucher (Kagermeier & Erdmenger, 2019b). Durch verschiedene Faktoren können somit die Resilienz und dadurch auch die Akzeptanz der Bevölkerung positiv beeinflusst werden, wodurch die in Kapitel 2.2.2.2 genannten Konfliktbereiche als weniger störend wahrgenommen werden. Hierbei wird deutlich, dass Massentourismus nicht das gleiche wie Overtourism ist und Overtourism dadurch auch nicht zwangsläufig (nur) ein Mengenproblem ist. Zwar sind die steigenden Touristenzahlen eine Hauptursache für Overtourism, es gibt jedoch auch Destinationen, die in der Lage sind, die großen Mengen an Touristen mit den verfügbaren Ressourcen zu bewältigen. In diesen Destinationen ist zwar dann von Massentourismus die Rede, nicht jedoch von Overtourism in diesem Sinne (Koens et al., 2018). Wie es für Destinationen möglich ist, die Tourismusakzeptanz zu steigern und negative Begleiterscheinungen der wachsenden Tourismusankünfte zu minimieren, zeigt das folgende Kapitel nachhaltige Destinationsentwicklung.

2.3 Nachhaltige Destinationsentwicklung

Nach Goodwin (2017, S. 1) ist Overtourism „[…] the opposite of Responsible Tourism which is about using tourism to make better places to live in and better places to visit“. Inwiefern durch eine ganzheitliche und nachhaltige Ausrichtung der Tourismusstrategie innerhalb einer Destination auf die Herausforderungen der wachsenden Tourismusankünfte eingegangen und somit langfristig eine maximale Wertschöpfung für die Destination als auch ein nachhaltiger Nutzen für alle Beteiligten erreicht werden kann (Bieger, 2002), soll das folgende Kapitel aufzeigen. Dafür wird zunächst auf die hierfür wichtigen Begrifflichkeiten – Nachhaltigkeit und Destination – eingegangen. Anschließend wird dargestellt, welche Interessengruppen es in Destinationen gibt und welche Rolle diese für eine nachhaltige Entwicklung spielen. Zudem wird anhand des Destinationslebenszyklus von Butler vorgestellt, welche Phase eine Destination durchläuft und welche Stufen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung hierbei als kritisch eingestuft werden. Um zu verhindern, dass diese kritischen Phasen erreicht werden, werden abschließend ein Modell des Visitor Managements sowie konkrete Handlungsmaßnahmen präsentiert.

2.3.1 Einführung und Begriffsdefinition

2.3.1.1 Begriff Nachhaltigkeit

Das Thema Nachhaltigkeit wird seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen intensiv diskutiert und es lassen sich diesbezüglich zahlreiche wissenschaftliche Publikationen finden (Baumgartner & Röhrer, 1998; Elkington, 1998; Hamberger, 2013; Hauff, 1987). Der Ursprung des Nachhaltigkeitsgedankens kann auf Carlowitz im Jahr 1713 zurückgeführt werden, der in seinem Buch „Sylvicultura Oeconomica“ von einer nachhaltenden Holzwirtschaft spricht, in welcher nur so viel Holz entnommen werden darf, wie nachwachsen kann (Baumgartner & Röhrer, 1998). Vor allem seit Ende des 20. Jahrhunderts – unter anderem als Folge auf die Veröffentlichung „Grenzen des Wachstums“ des Club of Roms im Jahr 1972 – wurde dieser Leitgedanke bei diversen Tagungen, Kongressen und Konferenzen aufgegriffen (Baumgartner & Röhrer, 1998). Bspw. fand 1972 die erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm statt, 1987 wurde der Brundtlandbericht „Our common future“ aufgestellt, 1992 tagte die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio der Janeiro und im Jahr 1998 wurde das Kyoto-Protokoll verfasst (UN, 1972, 1987, 1992, 1998). Eine Definition von Nachhaltigkeit, die auch heute noch oftmals angeführt und zitiert wird, stammt aus dem eben erwähnten Brundtlandbericht im Jahr 1987, in dem unter Nachhaltigkeit eine „[…] Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ verstanden wird (Hauff, 1987, S. 15). Bereits hier wird ersichtlich, dass es sich beim Thema Nachhaltigkeit nicht um einen Zustand, sondern um einen Prozess bzw. eine Entwicklung handelt und der Aspekt der Gerechtigkeit (kein Handeln auf Kosten anderer) eine bedeutende Rolle spielt.

In der Tourismuswissenschaft kam das Thema Nachhaltigkeit vor allem in Folge der oftmals negativen Auswirkungen des in Kapitel 2.1.4 dargestellten Reisebooms der 1950er Jahre auf. Bspw. veröffentlichte der Zukunftsforscher Robert Jungk im Jahr 1980 den Artikel „Wieviel Touristen pro Hektar Strand“ und prägte darin den Begriff des sanften Tourismus, den er als neue Tourismusform dem harten Tourismus gegenübergestellte. Damit ist er laut Baumgartner und Röhrer (1998, S. 10) zum „ Innbegriff einer tourismuspolitischen Alternative“ geworden. Als Vater des nachhaltigen Tourismus wird Jost Krippendorf (1975) gesehen, der ist seiner Veröffentlichung „Die Landschaftsfresser“ vor allem vor den ökologischen Folgen der Tourismusentwicklung warnt (Baumgartner & Röhrer, 1998; Responsible Tourism Partnership, 2019). In seiner Publikation „The Holiday Makers“ im Jahr 1987 geht er noch einen Schritt weiter und fordert eine neue Form des Tourismus, die einen größtmöglichen Nutzen für alle Beteiligten, d.h. für die Reisenden, die Bereisten und den Tourismussektor, mit sich bringt. Dabei sollen vor allem die Bedürfnisse und Anliegen der Menschen, Gastgeber und Gäste berücksichtigt werden (Goodwin, 2017; Krippendorf, 1987).

[...]


1 Nur Reisen mit mindestens 4 Übernachtungen (d.h. keine Kurzreisen) wurden berücksichtigt

2 Innerhalb der Kategorie unter den 20 % aller untersuchten Städten mit dem höchsten Risiko

3 Innerhalb der Kategorie unter den 20 % aller untersuchten Städten mit dem geringsten Risiko

4 Damit ist gemeint, dass Werte festgelegt werden, die z.B. definieren, ab welcher Tourismusintensität die Destination von Overtourism betroffen ist

Ende der Leseprobe aus 168 Seiten

Details

Titel
Overtourism und dessen Vermeidungsmöglichkeiten. Handlungsempfehlungen für den alpin-urbanen Raum am Beispiel der Destination Innsbruck
Hochschule
Fachhochschule Kufstein Tirol
Note
88/100
Autor
Jahr
2020
Seiten
168
Katalognummer
V1039184
ISBN (eBook)
9783346460455
ISBN (Buch)
9783346460462
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tourismus, Massentourismus Overtourism Destinationsmanagement Nachhaltigkeit, Destination Visitor Management, Innsbruck Experteninterview, Handlungsmaßnahmen, Interessenkonflikte
Arbeit zitieren
Luzie Halbach (Autor:in), 2020, Overtourism und dessen Vermeidungsmöglichkeiten. Handlungsempfehlungen für den alpin-urbanen Raum am Beispiel der Destination Innsbruck, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039184

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