Der Körper und Biopolitik. Welche Rolle spielt der Körper in Agambens Genealogie der totalen Biomacht?


Seminararbeit, 2020

14 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Agambens Genealogie der totalen Biomacht

Der Körper als Träger des nackten Lebens

Der Körper als souveränes Subjekt

Der biopolitische Körper als Identität von Leben und Politik

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Im dritten Teil seines Werkes Homo Sacer beschäftigt sich Agamben unter anderem mit der Frage, wie die im 20. Jahrhundert entstandenen totalitären Mächte zu erklären seien. Hierfür bedient er sich Foucaults Konzept der Biopolitik, welche sich für ihn durch den Einbezug des natürlichen Lebens in den politischen Raum auszeichnet. In Bezug hierauf geht er mit Foucault mit, doch argumentiert er dafür, dass nur ein Verständnis von Biopolitik, bei dem diese ebenso den Tod wie das Leben zum Fokus hat, einen Einblick in ihre am stärksten ausgeprägte Form als totale Biomacht geben kann. Agambens Anspruch an die Biomacht ist, dass sie als Leitkonzept Erklärungen für die westlichen politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts liefern soll, wobei es in dem Kapitel, das hier betrachtet werden soll, vor allem um die Entstehung und Funktionsweisen der totalitären Staaten geht. Die Biopolitik ist für ihn eine Chance diese zu verstehen, aber auch um die politische Ordnung der Zukunft vor Irrwegen in ähnliche Richtungen zu bewahren.

Diese Hausarbeit wird sich damit beschäftigen, an welchen Stellen nun der Körper in Agambens Genealogie einer solchen totalen Biomacht zum Einsatz kommt, und sich kritisch damit auseinandersetzen, inwiefern diese Art der Thematisierung des Körpers das Konzept der Biopolitik bereichert. Als Leitfrage der Arbeit gilt nun also: Welche Rolle spielt der Körper in Agambens Genealogie der totalen Biomacht?

Im Angesicht aktueller Debatten um Körperpolitik, wie zum Beispiel der globalen Pandemiemaßnahmen und dem amerikanischen Rechtsstreit um Schwangerschaftsabbrüche, zeigen sich die Ansätze der Biopolitik, die eben die Politisierung des natürlichen Lebens und damit des Körpers zum Thema hat, als durchaus aktuell und treffend. Außerdem ist der Körper aber auch aus dem ideengeschichtlichen Diskurs nicht wegzudenken. Unter den folgenden Betrachtungen wird sich also nicht nur ein stückweit feststellenlassen, welche Rolle der Körper in der Konzeption von Biopolitik spielt, sondern auch wie sich Agamben in die lange Geschichte der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Körper eingliedert.

Der Fragestellung dieser Arbeit geht die Annahme voraus, dass Agamben in seinem Werk unter anderem eine Genealogie einer Biomacht vornimmt, die sich in ihrer ausgeprägtesten Form als eine totale Macht manifestiert. Zuerst also möchte ich auf diese Annahme eingehen und eine kurze Interpretation des Kapitels unter diesem Gesichtspunkt vornehmen (Agambens Genealogie der totalen Biomacht). Dabei werden auch die Momente aufzuzeigen sein, bei denen der Körper zu tragen kommt, welche sich dann nochmals in zwei Fälle einteilen lassen. Zum Einen analysiert Agamben den Körper als Subjekt unter der biopolitischen Macht (Der Körper als Träger des nackten Lebens), zum Anderen zeigt sich bei ihm aber auch die Rolle des Körpers in der Entwicklung der Biopolitik zu ihrer modernen Form (Der Körper als souveränes Subjekt). Wie dieser doppelte Einsatz des Körpers in dem Konzept der Biomacht wirkt, soll dann am Schluss dieser Hausarbeit herausgestellt werden (Der biopolitische Körper als Identität von Leben und Politik).

Agambens Genealogie der totalen Biomacht

Zunächst ist zu beachten, dass dieser Abschnitt nur ein Bruchstück dessen ist, was sich Agamben in einer Reihe von neun Werken zur Aufgabe gemacht hat. Allerdings schildert er in dem Kapitel das, was er selbst als „biopolitisches Paradigma“ bezeichnet, womit auch dieser Textauszug einen gewissen repräsentativen oder auch grundlegenden Status innerhalb Agambens biopolitischen Projekts innehat.

Das biopolitische Paradigma ist für Agamben das, was er „das Lager“ (131) nennt. Damit meint er die diversen Räume, die den verschiedenen totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts als politische Instrumente und Institutionen gedient haben. Explizit meint er damit die Vernichtungslager des nationalsozialistischen Regimes im Dritten Reich. Agamben entwickelt demnach eine Theorie der Biopolitik, die im engen historischen Zusammenhang zu den totalitären Staaten steht, in welchen „Politik […] vollständig Biopolitik geworden ist“ (128), die Biomacht also die Alleinherrschende ist. Diesen Zusammenhang will Agamben in dem Kapitel offenlegen. Dass ein Prozess angedeutet wird, bei dem Politik immer mehr zu Biopolitik wird, vermittelt, dass die Biopolitik keine plötzliche Erscheinung war, sondern sich über längere Zeit entwickelt hat. Diese Andeutung verfestigt Agamben mit der These, dass die Biopolitik schon immer im Untergrund Teil der westlichen Politik war und wir sie also nicht als „plötzlichen Umschlag[-]“ (Agamben 129) verstehen sollen. Folglich ist der Ansatz dieses Kapitels, der Biopolitik im historischen Sinne nachzugehen.

Obwohl hier der dritte Teil von Agambens Werk, in welchem es um die biopolitischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert geht, im Fokus liegt, müssen der Vollständigkeit halber einige Grundlagen, die Agamben der Antike entnimmt, angebracht werden. Nach dem Vorbild von Foucault und seinen Überlegungen zur Biopolitik, bringt Agamben die antike Trennung zwischen dem qualifizierten und dem natürlichen Leben an, welche nach Aristoteles Begriffen die Trennung zwischen „bíos“ und „zoé“ (Agamben 11) ist . Dies ist einmal als historischer Fakt festzuhalten, doch auch als konzeptuelle Trennung, mit der Agamben weiterarbeitet, nämlich in Bezug auf genau die Momente, wo eine solche Trennung faktisch nicht existiert. In diesem Raum siedelt er die historische Figur an, die auch das Werk betitelt, den homo sacer. Diese archaische Figur des römischen Rechts beschreibt denjenigen, der außerhalb des Rechts und damit nicht unter ihrem Schutze steht und getötet werden kann, aber sich so auch ihrer Bewertung entzieht und nicht geopfert werden kann. Was diese für Agamben zu dem passenden „Protagonist[en]“ (Agamben 18) seiner Abhandlung macht, ist der Ausnahmezustand, in der sie sich befindet, sowohl vom Recht ausgeschlossen, gleichzeitig somit aber zum Thema des Rechts gemacht zu werden. Das Leben des homo sacer, bezeichnet er als „das nackte Leben“ (Agamben 18), auf das er immer wieder zurückkommt.

Agamben findet das nackte Leben im 20. Jahrhundert dort wieder, wo mit der Demokratisierung das Recht auf Leben, Gesundheit, individuellem Glück und Freiheit einhergingen. Dies hatte nach Agamben zum Resultat, dass nun diese Bereiche in den politischen Raum fielen und damit eine „Einschreibung des Lebens in die Staatliche Ordnung“ (Agamben 129) stattfand. Dieser Prozess ist auschlaggebend in seiner These, dass die Demokratisierung, indem sie diese Einschreibung hervorruft, in einem direkten Zusammenhang mit der Entstehung totalitärer Staaten steht, da totale Macht eine Macht ist, die sich auf möglichst viele Lebensbereiche ausweitet. Agamben sieht also eine kausale Linie zwischen der Ermöglichung der Mitbestimmung der Politik durch alle und der Politisierung aller bis in ihre privatesten Bereiche. Genau dort ist das nackte Leben anzutreffen, nämlich da, wo immer wieder das, was eigentlich außerrechtlich und apolitisch ist, unter die Souveränität gerät. In Bezug auf meine Fragestellung wird herauszustellen sein, wie sich damit der Umgang mit dem menschlichen Körper ändert, da er in den Raum des natürlichen Lebens einzuordnen ist.

Konkrete Ereignisse, die für Agamben von der Einschreibung des Lebens in die Politik zeugen, sind zum Beispiel die Erklärung der Menschenrechte und die Integration von Medizin und Politik. Die Erklärung der Menschrechte stellt für Agamben eine nicht selbstverständliche Verknüpfung von der bloßen Tatsache einer menschlichen Existenz und der Erteilung von Rechten dar. Schlicht die Geburt eines Menschen, also das Eintreten des Körpers in die Welt, macht ihn also schon zu einem politischen Subjekt. Es ist somit wieder eine „Einschreibung des natürlichen Lebens in die juridisch-politische Ordnung“ (Agamben 136). Auch dass sich der Staat zunehmend der Medizin und damit der Pflege des Lebens angenommen hat, bringt Agamben an.

Worauf die Genealogie Agambens hinaus will, ist zu erklären wie sich die Biopolitik im 20. Jahrhundert so zuspitzen konnte, dass sie zur Thanatopolitik wurde. Damit meint er, dass eine aus der Politisierung des Lebens letztliche eine Politisierung des Todes wurde und der Souveränität so die Entscheidung über Leben und Tod auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene ermöglicht wurde. Diese Entscheidungsmacht, die vorher eine Ausnahme gewesen sei, wird nach Agamben dadurch zu Norm, wenn das Leben vollständig politisch wird, aber auch umgekehrt. Unter dieser Voraussetzung ist für Agamben auch die Unterscheidung zwischen dem politischen Körper und dem biologischen Körper nicht mehr möglich.

Da die Thematisierung des Körpers in dieser Genealogie auf unterschiedliche Weisen vorkommt, ist es hilfreich, diese Weisen nochmals genauer zu bestimmen und zunächst getrennt zu betrachten. Zum einen geht es um den Prozess, durch welchen der menschliche Körper zum Hauptinteresse der Macht wird, zum anderen darum, wie sich Vorstellungen vom Körper in den Grundsätzen der modernen politischen Organisation wiederfinden.

Der Körper als Träger des nackten Lebens

Für Agamben zeichnet ein politischer Bezug auf den menschlichen Körper die Biopolitik schlechthin aus. Macht, bei welcher der menschliche Körper im Mittelpunkt steht, ist für ihn eine Macht, die sich das nackte Leben zum Subjekt gemacht hat und demnach Biomacht ist. Agamben geht nicht viel näher darauf ein, weshalb er diese direkte Verbindung zwischen dem Körper und dem nackten Leben herstellt. Einleuchtend wäre, dass der Körper im Gegensatz zum Menschen als Ganzes, sowohl mit einer Natürlichkeit, als auch Neutralität behaftet ist, das heißt unberührt von Kultur und Politisierung ist. Er wäre also als Bezeichner des Menschen als rein biologisches Wesen zu verstehen. Diese Interpretation liegt nahe, da Agamben die Figur, die in die politische Ordnung eingeschrieben wird, auch des Öfteren als „natürliches nacktes Leben“ (136) bezeichnet. Unter diesen Bestimmungen wäre der Körper als vorpolitisch zu betrachten, oder, wie es Agamben vielleicht benennen würde, als eigentlich außerhalb des politisch-rechtlichen Raumes stehend. So ließe sich die Parallele zur Nacktheit erschließen, doch auch als Stellvertreter des Lebens ist der Körper nicht unpassend, denn er ist es, der die Lebendigkeit gewissermaßen trägt. Der Körper kann hier also als konkretes, materialisiertes Moment des nackten Lebens verstanden werden. Ist nun jeder Körper in einer vollständig biopolitischen Ordnung Träger des nackten Lebens, dann bedeutet das, dass der Homo sacer, als Figur der Ausnahme, in jedem steckt und nicht länger eine Ausnahme ist. So schreibt Agamben: „Das nackte Leben ist nicht mehr an einem besonderen Ort oder einer definierten Kategorie eingegrenzt, sondern bewohnt den biologischen Körper jedes Lebewesens.“ (148)

Dass diese Entwicklung, in welcher der Körper zum Hauptinteresse der Macht wird, mit der Demokratisierung der Politik einherging, versucht Agamben anhand des Sprachgebrauchs einiger Dokumente, die der modernen Demokratie zugrunde liegen, zu veranschaulichen. Er stellt einen Vergleich zwischen drei Klauseln auf, die sich auf das Recht auf Freiheit und einen fairen Prozess beziehen – doch unterscheidet sich jeweils die verwendete Terminologie. Hier stellt sich heraus, dass während das Subjekt in Artikel 29 der Magna Charta um 1215 noch „der freie[-] Mensch [homo liber]“ ist und in dem Gesetztesabschnitt de homine replegiando aus einem Freiheits-Writ der Commonwealth auch noch von einem Menschen die Rede ist, der Habeas corpus von 1679, welcher die gleichen Rechte, wie das de homine replegiando sichern soll, von einem Körper spricht. Nun ist es eben der Habeas corpus, der in den modernen westlichen Staaten als Gesetz verfestigt wurde. Agamben räumt zwar selber ein, dass dies ein Zufall sein mag, dennoch zeugt es für ihn von der Einschreibung des nackten Lebens in das Gesetz und dass „ corpus [-] das neue Subjekt der Politik [ist]“ (Agamben 132). Festzuhalten ist hier, dass das Recht sich also mit dem eigentlich Rechtlosen, im Sinne von eigentlich nicht im Raum des Rechts Stehenden, befasst. Steht also das nackte Leben im Zentrum der Macht, dann ist es die Ausnahme vom Recht, die im Zentrum der Macht steht.

In der Beobachtung, dass der Körper, also das Privateste des einzelnen Menschen, in der modernen Politik in den Mittelpunkt rückt, stimmt Agamben mit Foucault überein. Allerdings bezieht sich Foucault mit der Biopolitik, einem Konzept, welches er selber eingeführt hat, zunächst nicht auf den Bezug der Macht auf den einzelnen Körper, sondern auf die Regulierung der Gesellschaft als Ganzes. Er unterscheidet diese Machtform damit begrifflich von der, die sich auf den einzelnen Körper bezieht, welches er die Disziplinierung nennt, lässt jedoch beide als „Biomacht“ (Foucault 135) zusammenkommen. Sie seien zwei Stränge politischer Technologien, die nach und nach ihre Techniken kombiniert hätten (Foucault 141). Diese Unterscheidung macht Agamben nicht, welches wahrscheinlich vor allem darauf zurückzuführen ist, dass er das traditionelle Bild einer juridisch souveränen Macht beibehält. Das heißt, dass bei ihm der Staat, die Souveränität und die juridische Ordnung der Gesellschaft, das bilden, was er unter dem politischen Raum versteht. Deshalb arbeitet Agamben auch weiter mit der Unterscheidung zwischen dem natürlichen Leben und der Politik oder Macht, anstatt von verschiedenen Bereichen der Macht zu sprechen. Betrachtet man nun den Körper innerhalb dieser Unterscheidung, ist dieser nicht nur im Raum des natürlichen Lebens anzusiedeln, wie sich in seinen Ausführungen herausstellt. Das Konzept des Körpers findet sich nämlich auch in dem wieder, was rein politisch zu sein scheint, nämlich in der Organisation der Gesellschaft als Volkskörper. Damit deutet der Körper, wie ein Vermittlungsglied, ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem natürlichen Leben und der Politik an, die über die Einschreibung des einen in das andere hinausgeht. In den nächsten Teilen der Hausarbeit möchte ich auf dieses Verhältnis eingehen und darstellen, weshalb diese Spiegelung für Agambens These zur Biomacht als totale Macht eine tragende Rolle spielt.

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Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der Körper und Biopolitik. Welche Rolle spielt der Körper in Agambens Genealogie der totalen Biomacht?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V1039465
ISBN (eBook)
9783346455642
ISBN (Buch)
9783346455659
Sprache
Deutsch
Schlagworte
körper, biopolitik, welche, rolle, agambens, genealogie, biomacht
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Der Körper und Biopolitik. Welche Rolle spielt der Körper in Agambens Genealogie der totalen Biomacht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039465

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