Beitrag der Ergonomie zur Gestaltung sozialverträglicher Informatikanwendungen


Seminararbeit, 2001

9 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffe
2.1 Ergonomie und Sozialverträglichkeit
2.2 Software -Ergonomie

3. Software-Ergonomie
3.1 Relevanz- Warum gibt es Software -Ergonomie?
3.2 Beteiligte Disziplinen
3.3 Sachproblem und Interaktionsproblem

4. Wann ist Software „ergonomisch“?

5. gebrauchstaugliche Software
5.1 Prinzipien zur Gestaltung gebrauchtauglicher Software
5.2 Beispiel: Dialoggestaltung
5.3 Mangelnde Partizipation
5.4 Prototyping

6. Warum sollte Software gebrauchstauglich sein?
6.1 Anwender und Betreiber
6.2 Hersteller

7. Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Ziel dieser Arbeit soll es sein, zu zeigen, inwieweit die Ergonomie dazu beitragen kann, unter Berücksichtigung des besondern Verhältnisses von Softwaresystemen und ihren Benutzern, Informatikanwendungen sozialverträglicher zu gestalten.

Um dies zu erreichen ist es zunächst von Nöten, sich Klarheit über die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu verschaffen.

2. Begriffe

2.1 Ergonomie und Sozialverträglichkeit

Die Ergonomie ist ein Bereich der Arbeitswissenschaft, der sich mit den Leistungsmöglichkeiten, den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsplatzgestaltung des arbeitenden Menschen befasst und die Technik seiner Arbeit anzupassen versucht. In diesem Fall verstehen wir unter Technik die Informatikanwendungen bzw. Software(produkte). Diese gilt es dem Menschen anzupassen, und nicht umgekehrt (!).

Mit Sozialverträglichkeit ( in diesem Kontext ) ist gemeint , dass die Technikgestaltung und - anwendung ( hier speziell Softwaregestaltung, und nicht Technikfolgenabschätzung ) mit sozialen Gesichtspunkten verträglich ist und sich nicht nachteilig auf die Betroffenen auswirkend.

2.2 Software-Ergonomie

Welche Bedeutung die Fragestellung nach sozialvertraglicher Softwaregestaltung hat, zeigt allein die Tatsache, dass sich ein eigenes Forschungsfeld zu diesem Thema entwickelt hat, das Feld der Software-Ergonomie. Aus den allgemeinen Betrachtungen der Ergonomie zu Mensch-Maschine-Systemen entwickelte sich mit dem Aufkommen des Computers ein spezialisierter Themenkreis, das Problemgebiet der Mensch-Computer- Interaktion (MCI). Dieses ist ein umfassenderes Gebiet, weil es sich auch um andere Fragestellungen, wie z.B. Gestaltung von Tastaturen oder flimmerfreie Bildschirme kümmert ( Hardware-Ergonomie). Die Software- Ergonomie thematisiert diejenigen Aspekte der MCI, die sich aus der Gestaltung von Software ergeben. Dieses Themengebiet kann sich sehr weit spannen- z.B. von Menühierarchien und Fenstersystemen über Ursachen für Beanspruchung und Belastung bis hin zur Funktionsaufteilung zwischen Mensch und Computer. Insbesondere das Verhältnis von benutzerfreundlicher Schnittstellengestaltung und bereitgestellter Funktionalität rückt immer mehr ins Zentrum der Betrachtung, aufgrund der Tatsache, dass die dabei erzielten Lösungen unmittelbare Rückwirkungen auf die Arbeitsgestaltung haben. Dies hat auch schon Hacker formuliert, indem er herausstellt, dass Softwaregestaltung als Arbeitsgestaltung zu begreifen ist. Daher werden sich Fragen der Software- Ergonomie nicht auf die Schnittstellengestaltung beschränken lassen, sondern müssen zusätzlich die Gestaltung der zu unterstützten Arbeitstätigkeiten einschließen.

3. Software -Ergonomie

3.1 Relevanz - Warum gibt es Software-Ergonomie?

Orientiert man sich allein an den Zahlen, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es 10 Millionen Bildschirmarbeitsplätze, so muss das starke Interesse an diesem Thema auf tieferliegende Ursachen als die zahlenmäßige Verbreitung dieses Arbeitsmittels zurückzuführen sein. Schließlich gibt es kein eigenständiges Forschungsgebiet „Mensch-Fahrrad-Interaktion“, obwohl es alleine in Deutschland 35 Millionen Fahrräder gibt. Der Unterschied liegt in dem speziellen Charakter der Mensch-Computer-Interaktivität, der vor allem auf den dynamischen Reaktionen des Computersystems, als Reaktion auf das Verhalten des Benutzers basiert. Die Reaktionen der Softwaresysteme sind zwar algorithmisch festgelegt und damit im Prinzip auch vorhersehbar, aber die Fülle an Funktionen und Situationen führen zu einer Komplexität, die einer Mensch-Mensch-Interaktion durchaus vergleichbar ist. Während die Benutzung eines Fahrrades eine rein mechanische Interaktion darstellt, ein ( herkömmliches ) Radio eine ziemlich begrenzte Anzahl von Optionen zur Auswahl anbietet, kann bereits ein Anwendungsprogramm mit mittlerem Funktionsumfang in seinen Reaktionen für einen normalen Benutzer nicht in jedem Moment vorhersehbar und damit problemlos bedienbar sein. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem „warum“ einfach zu beantworten. Die Antwort basiert auf der Beobachtung, dass Computersysteme und Menschen - hier in der Rolle als Benutzer dieser Systeme sich in wesentlichen Punkten voneinander unterscheiden. Beide Systeme verarbeiten zwar die Informationen, aber auf der Basis unterschiedlicher Wissensbasen und insgesamt auf sehr verschiedene Art und Weise. Diesem Umstand muss bei der Gestaltung von Computersystemen Rechnung getragen werden, um eine unvollständige , nicht effektive oder sogar fehlerhafte Nutzung zu verhindern. Dies wiederum setzt Kenntnisse über Arbeitsabläufe und Aufgabengestaltung sowie über Prinzipien der menschlichen Informationsverarbeitung ( Gedächtnis, Denken, Handeln ) voraus, um Softwaresysteme zu gestalten, die Rücksicht nehmen auf die zu unterstützenden Arbeitsinhalte und auf die Bedürfnisse und Vorraussetzungen der sie benutzenden Menschen. Genau diesen Problemkreis macht die Software-Ergonomie zu Gegenstand ihrer Untersuchungen.

3.2 Beteiligte Disziplinen

Aus den bisher gemachten Ausführungen ist unmittelbar ersichtlich, dass die Fragestellungen der SoftwareErgonomie verschiedene wissenschaftlich Disziplinen berühren.

Computersysteme können zunächst einmal aus der rein technischen Perspektive betrachtet werden. Die Informatik stellt eine Reihe von Ansätzen zum Entwurf und zur Realisierung von Software-Systemen bereit.

Die Tatsache, dass diese Systeme von Menschen benutzt werden, macht die Bedeutung der Psychologie - als Wissenschaft vom menschlichen Verhalten - für den Systementwurf unmittelbar deutlich. Sie übernimmt für die Einlösung der Forderung nach benutzerorientiertem und aufgabenzentriertem Systementwurf eine entscheidende Rolle, insbesondere wenn es um die kognitiven (das Wahrnehmen, Denken, Erkennen betreffend ) Aspekte der Mensch-Computer-Interaktion geht.

Der Umgang mit Computern erfolgt meistens im Rahmen von Arbeitsaufgaben und in einer bestimmten Arbeitsumgebung. Diese Fragen berühren Ansätze aus den Arbeitswissenschaften.

Damit sind die drei beteiligten Hauptdisziplinen identifiziert. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass nicht immer der gesamte Umfang der jeweiligen Disziplin eine Rolle spielt, sondern immer nur in gewissen relevanten Ausschnitten.

3.3 Sachproblem und Interaktionsproblem

Zwei Anforderungen an ergonomische Software spielen eine zentrale Rolle, nämlich die Benutzerfreundlichkeit/Benutzbarkeit und die Nützlichkeit. Obwohl beide Anforderungen immer gemeinsam betrachtet werden sollten, kennzeichnen sie doch unterschiedliche Aspekte der Gestaltung der Mensch- Computer-Interaktion. Die Verwendung von interaktiven Computersystemen als Arbeitsmittel führt zu einer Aufteilung der Arbeitsaktivitäten in die Arbeit an der inhaltlichen Problemstellung einerseits und die Benutzung der Arbeitsmittel andererseits. Diese Aufteilung kann durch die Unterscheidung in Sachproblem und Interaktionsproblem gekennzeichnet werden. Im folgenden wird das grafisch dargestellt. Diese Darstellung soll veranschaulichen, dass das Sachproblem nicht auf direktem Wege mit dem im Computer repräsentierten Wissen bearbeitet werden kann, sondern erst nach Überwindung des Interaktionsproblems. Dazu muss der Mensch neben der Rolle des Problemlösers (Aufgabenwissen) auch die Rolle eines Benutzers (Werkzeugwissen) übernehmen.

4. Wann ist Software „ergonomisch“?

Um dem Begriffswirrwarr in diesem Forschungsfeld aus dem Weg zu gehen, soll im folgenden anstelle von ergonomisch der, sich am stärksten durchgesetzte Begriff der Gebrauchstauglichkeit verwendet werden.

Dieser Begriff wird in einer eigenen ISO-Norm definiert. Die Gebrauchstauglichkeit wird dort als das Ausmaß beschrieben , in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen. (Norm DIN EN ISO 9241)

Kurz gesagt ist eine Software dann gebrauchstauglich (ugs. ``ergonomisch'') wenn sie an den Benutzer und dessen Aufgaben angepasst ist und für ihn effektiv, effizient und ohne latente Unzufriedenheit zu benutzen ist.

Die Kernbegriffe dabei sind:

- effektiv - Benutzbarkeit

-Genauigkeit und Vollständigkeit in dem das Ziel des Benutzers erreicht wird Es muss sichergestellt sein, dass der Benutzer die vorgesehenen Aufgaben mit der Software erledigen kann und die benötigten Ergebnisse korrekt erreicht werden. Um dies sicherzustellen, muss in den frühen Phasen der Softwareentwicklung eine Analyse der Arbeitsaufträge und der Arbeitstätigkeiten durchgeführt werden.

Beispielsweise muss eine Übersetzungssoftware am Ende eine sachlich richtige Übersetzung des gewünschten Begriffes geben.

- effizient - Nützlichkeit

-Verhältnis von Aufwand zu erreichter Effektivität bei der Zielerreichung Ein Werkzeug macht nur dann Sinn, wenn es die Arbeit erleichtert. Software muss also nicht nur benutzbar sondern auch nützlich sein.

Die Arbeitserleichterung hängt wesentlich von der Senkung des notwendigen Bedienaufwandes insbesondere der aufzuwenden Denkarbeit (``Wie ging das noch?'', ``Wo war noch die Funktion XY?'') ab. Man schätzt, dass in deutschen Büros ca. 20% der wöchentlichen Arbeitszeit aufgrund von Bedienbarkeitsmängeln nicht genutzt werden, also ein ganzer Tag pro Woche. An dieser Stelle bemerkt man den wirtschaftlichen Effekt einer menschen- und aufgabengerechten Gestaltung von Software, aber dazu später mehr.

- zufriedenstellend - Benutzerfreundlichkeit

-Freiheit von Beeinträchtigung und positive Einstellung des Benutzers gegenüber der Nutzung des Produktes Ganz abgesehen davon, dass es eine arbeitspsychologische Binsenweisheit ist, dass unzufriedene Menschen auch weniger produktiv sind, so ist die Benutzerunzufriedenheit auch ein wesentlicher Indikator für eine nicht aufgabengerechte Gestaltung des Werkzeuges Software. Eine mangelnde Zufriedenheit bei den Benutzern ist häufig (aber nicht immer) ein Indiz für Gebrauchstauglichkeitsprobleme der Software. Umgekehrt gibt die subjektive Zufriedenheit der Benutzer keine Gewähr für ein ergonomisch gutes Produkt. Viele Mängel (zum Beispiel wiederholte Abstürze, fehlende Funktionen oder komplizierte Bedienung) werden aus organisatorischen Gründen (Angst um den Arbeitsplatz) nicht bemängelt oder mangels Vergleich gar nicht bewusst wahrgenommen. Die meisten Benutzer haben sich zum Beispiel scheinbar daran gewöhnt, ihren Rechner von Zeit zu Zeit neu starten zu müssen.

- Nutzungskontext

Der Nutzungskontext umfasst die Benutzer, deren Ziele und Aufgaben, die Ausrüstung am Arbeitsplatz sowie die physische und soziale Umgebung, in der das Softwaresystem genutzt wird. Ein kleines Beispiel soll den Nutzungskontext erläutern und zugleich zeigen, wie wichtig die Kenntnis des Nutzungskontextes für die Gestaltung gebrauchstauglicher Software ist.

Herr Huber arbeitet in einen Betonwerk. Jedes Bauteil wird in einer Datenbank erfasst. Die Umgebung ist sehr staubig. Der aufgestellte Computer bietet eine Standardtastatur und eine Maus an. Das Positionieren mit der Maus ist kaum möglich, da der grobe Staub auf dem Tisch ständig die Rollfunktion der Maus stört. Das führt dazu, dass die Eingabefelder von Herrn Huber nur sehr schwer für die Eingabe der Bauteilnummern markiert werden können. Die physikalische Umgebung in der Herr Huber arbeitet erfordert Zeigegeräte, die nicht von einer staubfreien Tischoberfläche abhängen. Beispielsweise wäre das Positionieren mit den Pfeiltasten der Tastatur oder mit einem berührungsempfindlichen Bildschirm für diese Arbeitsumgebung angemessener.

Durch die Bildschirmarbeitsverordnung wurde die ergonomische Gestaltung Softwaresystemen zur verbindlichen Anforderung, aber wie kommt man nun ausgehend von der doch recht schwammigen Definition zu gebrauchstauglichen Softwaresystemen?

5. Gebrauchstaugliche Software

5.1 Prinzipien zur Gestaltung gebrauchstauglicher Software

In diesem Abschnitt soll es darum gehen, was nun im einzelnen beachtet werden muss, um gebrauchstaugliche Softwaresysteme zu erstellen.

Aus der Fülle möglicher Gestaltungsansätze wird hier das empirisch am besten abgesicherte Konzept von Ulich (1991;Ulich et al. 1991) vorgestellt. Ulich(1991:256ff) unterscheidet basierend auf handlungspsychologischen Überlegungen drei Bereiche: Aufgabenorientierung, Kalkulierbarkeit als Voraussetzung für Kontrolle und die Kontrolle selbst.

Mit Arbeitsorientierung ist gemeint, dass in den frühen Phasen der Softwareentwicklung eine Analyse der Arbeitsaufträge und eine Analyse der Arbeitstätigkeiten durchgeführt werden, um die Benutzbarkeit des Softwareproduktes zu gewährleisten.

Analyse der Arbeitsaufträge: Bei der Auftrags- und Bedienungsanalyse wird schrittweise eine vertiefende Analyse von Arbeitsaufträgen durchgeführt. Die Auftragsanalyse dient der Gewinnung von organisationalen Gestaltungsvorschlägen.

Analyse der Arbeitstätigkeiten: Für die Erarbeitung von arbeitsplatzbezogenen Gestaltungsvorschlägen ist es oft unumgänglich, eine Tätigkeitsanalyse durchzuführen. Sie liefert Kenntnisse über Abläufe, Auftrittshäufigkeiten und Zeitanteile der einzelnen Teiltätigkeiten.

Der Bereich Kalkulierbarkeit umfasst die folgenden Kriterien (Ulich 1991:258-259):

Transparenz: Benutzer/innen sollten erkennen können, ob eineingegebener Befehlbehandelt wird oder ob das System auf weitere Eingaben wartet. Bei längeren Vorgängen sollte das SystemZwischenzustandsmeldungenabgeben können.

Konsistenz: DieAntwortzeitendes Systems sollten wenig variieren; wichtiger als kurze Antwortzeiten sind regelmäßige und damit kalkulierbare Intervalle. Das System sowie dessenAntwortverhaltensollten für Benutzer/innen transparent und konsistent sein; ähnliche Aktionen sollten ähnliche Ausführungen bewirken, andernfalls muss dies durchschaubar gemacht werden.

Kompatibilität: Bei derDarstellungsformfür Einzelinformationen sollte ebenso wie für ganze Bilder ggf. auf Übereinstimmung mit entsprechenden gedruckten Vorlagen oder Unterlagen geachtet werden.Spracheund begriffliche Komplexität des Dialoges sollten an den Gepflogenheiten und Kenntnissen des spezifischen Benutzerkreises orientiert sein; anstelle von EDV-Kürzeln sollte mit den jeweils fachspezifischen Begriffen der Benutzer/innen gearbeitet werden können.

Unterstützung:Dialoghilfensowohl zu inhalts-bezogenen wie zu vorhergehensbezogenen Aspekten sollte von den Benutzer/innen während des Dialogs jederzeit abgerufen werden können; das Betätigen einer allfälligen Help-Taste sollte gegenüber anderen Befehlen einen Sonderstatus einnehmen. Das System sollte eine Rückfragemöglichkeitderart bereitstellen, dass auf eine Aufforderung durch die Benutzer/innen hin ggf. ausführlichere Antworten abgegeben werden.

Der Bereich Kontrolle wird durch die folgenden Kriterien beschrieben:

Flexibilität ist die Summe objektiv vorhandener Freiheitsgrade zur selbständigen Setzung und Erreichung von (Teil-) Zielen durch variable Abfolge von (Teil-) Schritten.

Individuelle Auswahlmöglichkeiten: der Benutzer kann das Systemverhalten durch die Einstellung von Systemparametern auf seine individuellen und aufgabenbezogenen Bedürfnisse abstimmen. Individuelle Anpassungsmöglichkeiten ist "die Möglichkeit der eigenständigen Gestaltung und dementsprechend auch der Erweiterung objektiver Tätigkeitsspielräume" (Spinas 1987:177).

Partizipation beinhaltet die verschiedenen Formen und Grade der Benutzerbeteiligung bei der Systementwicklung .

Das waren die allgemein formulierten Erkenntnisse der Software-Ergonomie. Zum Vergleich, inwieweit diese Prinzipien Einfluss auf die tatsächliche Gestaltung haben, sind im folgenden die auch in einer ISO-Norm festgelegten Anforderungen an ein Dialogsystem Computer-Mensch aufgelistet. Wie man schnell erkennt, zeigen sich Parallelen auf, die deutlich machen, dass die software-ergonomischen Forschungsergebnisse direkten Einfluss auf die reale Gestaltung von Software-Anwendungen haben.

5.2 Beispiel: Dialoggestaltung

Laut der ISO-Norm 9241 Teil 10 soll ein Dialogsystem folgenden Anforderungen genügen:

Aufgabenangemessenheit: Ein Dialog ist aufgabenangemessen, wenn er den Benutzer unterstützt, seine Arbeitsaufgabe effektiv und effizient zu erledigen.

Beispiel: Vorgabe von Standardwerten bei Eingabefeldern, die von der Arbeitsaufgabe her sinnvoll sind.

Selbstbeschreibungsfähigkeit: Ein Dialog ist selbstbeschreibungsfähig, wenn jeder einzelne Dialogschritt durch Rückmeldung des Dialogsystems unmittelbar verständlich ist oder dem Benutzer auf Anfrage erklärt wird. Beispiel: Anzeige von Zustandsänderungen des Systems: Wird eine Eingabe erwartet oder ein Kommando ausgeführt?

Steuerbarkeit: Ein Dialog ist steuerbar, wenn der Benutzer in der Lage ist, den Dialogablauf zu starten sowie seine Richtung und Geschwindigkeit zu beeinflussen, bis das Ziel erreicht ist.

Beispiel:

Verschiedene Nutzungsarten (je nach Erfahrungstand des Benutzers): Aufruf von Operationen über Transaktionscodes, Menüführung oder direkte Manipulation per Maus.

Erwartungskonformität: Ein Dialog ist erwartungskonform, wenn er konsistent ist und den Merkmalen des Benutzers entspricht, z.B. seinen Kenntnissen aus dem Arbeitsgebiet, seiner Ausbildung und seiner Erfahrung sowie allgemein anerkannten Konventionen.

Beispiel:

Gleiche Verwendung von Funktionscodes und -tasten in allen Masken und Menüs Fehlertoleranz: Ein Dialog ist fehlertolerant, wenn das beabsichtigte Arbeitsergebnis trotz erkennbar fehlerhafter Eingaben entweder mit keinem oder mit minimalem Korrekturaufwand seitens des Benutzers erreicht werden kann.

Beispiel: Kein undefinierter Systemzustand oder Systemzusammenbruch nach fehlerhaften Eingaben Individualisierbarkeit: Ein Dialog ist individualisierbar, wenn das Dialogsystem Anpassungen an die Erfordernisse der Arbeitsaufgabe sowie an die individuellen Fähigkeiten und Vorlieben des Benutzers zulässt. Beispiel: Abschaltbare bzw. erweiterbare Kommandos und Menüs (definierbare Iconleisten) Lernförderlichkeit: Ein Dialog ist lernförderlich, wenn er den Benutzer beim Erlernen des Dialogsystems unterstützt und anleitet.

Beispiel: Anlehnung an Vorgänge, Bilder, Begriffe aus dem Alltag oder dem Anwendungsgebiet des Dialogsystems Nur die Partizipation wird in diesem Fall durch die ISO-Norm nicht abgedeckt, obwohl dieser Punkt eigentlich der wichtigste ist, um überhaupt eine ergonomische Software-Erstellung zu ermöglichen.

5.2 Mangelnde Partizipation- Ursache für gebrauchsuntaugliche Software

Trotzdem alle oben genannten Prinzipien bekannt sind, kommt es häufig vor, dass die Software mit fachlichen Mängeln entwickelt wird, und ihre Bedienung oft viel zu kompliziert ist, also software-ergonomische Probleme aufweist. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass auch heute noch Software oft nach dem sog. linearen Phasenmodell entwickelt wird, eine Projektphase folgt der anderen ohne Wiederholungen. Die Schnittstellen zwischen den Projektphasen bilden in der Regel dicke Papiere, wie Pflichtenheft oder fachliches Feinkonzept, die das Ergebnis der abgeschlossenen und den Auftrag für die folgende Projektphase enthalten. Da bei diesem Modell keine Rückkopplung eingeplant ist, und die Anwenderbeteiligung nur unzureichend umgesetzt wird, liegt die software-ergonomische Qualität weitgehend in der Verantwortung der Programmierer, und da liegt sie falsch. Denn sie kennen die spätere Nutzungssituation meist nur ungenügend. So kommt es zu Mängeln vor allem beim software-ergonomischen Kriterium der Aufgabenangemessenheit.

Ein Ausweg stellt die Anwendung zyklischer Entwicklungskonzepte, z.B. das Prototyping dar.

5.3 zyklische Modelle - Prototyping

Das Prototyping ein rückgekoppeltes, iteratives Verfahrensmodell. Das zu entwickelnde Programm entsteht innerhalb eines Arbeits-, Lern- und Kommunikationsprozesses aller Beteiligter, der sich über alle Projektphasen erstreckt. Die Qualität des Endprodukts wird zu einem Großteil von der Art und Weise, wie diese Prozesse vollzogen werden, bestimmt. Um Fehlentwicklungen zu vermeiden, muss die Anwenderbeteiligung integraler Bestandteil der Software -Entwicklung sein.

6. Warum sollte Software gebrauchstauglich sein?

Die Tatsache, dass Gebrauchstauglichkeit durch die Bildschirmarbeitsverordung gefordert wird, ist bei weitem nicht der einzige Grund, etwas für die Gebrauchstauglichkeit zu tun. Software entwickelnde Unternehmen haben noch weitere gute Gründe. Hierbei sind die Sichtweisen der Anwender und Betreiber sowie der Hersteller von Software zu unterscheiden.

6.1 Anwender und Betreiber

Für Anwender und Betreiber sind es folgende Argumente, die zur Gestaltung gebrauchstauglicher Software motivieren:

Produktivität: Der Psychologe Felix C. Brodbeck stellte bereits 1991 auf der Basis seiner Studien zu Fehlern von Benutzern bei der Arbeit mit Computern eine einfache Rechnung auf. Es zeigte sich, dass etwa 20% der Arbeitszeit mit der Bewältigung von Fehlern im Umgang mit dem Computer verbracht wurde. Was bedeutet dies für ein Unternehmen? Nehmen wir an ein Unternehmen beschäftigt 300 Mitarbeiter, die an Bildschirmarbeitsplätzen arbeiten. Jeder Mitarbeiter verdient 200,- DM pro Tag und arbeitet im Schnitt 200 Werktage im Jahr. Unter diesen Voraussetzungen werden 1,2 Millionen DM allein für die Bewältigung von Fehlern ausgegeben. Anhand dieser einfachen und eher konservativen Rechnung wird deutlich, das Fehler, die durch mangelnde Gebrauchstauglichkeit einer Software entstehen, erhebliche Kosten verursachen können.

Schulung: Bei der Einführung einer Software werden große Summen Geld für Schulung und Training (Kurse, Trainer und Schulungsmaterial) ausgegeben. Wenn eine Software bereits eingeführt ist, dann übernimmt oft eine Hotline den Part, Fragen zur Bedienung zu beantworten. Auch dies sind erhebliche Kosten. "Schleichende" Schulungskosten werden offensichtlich, wenn man die Zeit mit einbezieht, die Benutzer entweder mit "Selbstschulung" oder erfahrene Kollegen mit der Unterrichtung unerfahreneren Kollegen verbringen Durch unterschiedliche Ursachen, wie etwa steigender Termindruck in Projekten, fallen Schulungen oft weg. Die Benutzer müssen sich dann die Bedienung einer Software selbst beibringen. Dabei sind Benutzer auf leicht erlernbare Software angewiesen.

Sicherheit: Zur Frage der Sicherheit müssen nicht die bekannten Technologiekatastrophen bemüht werden, bei deren Entstehungsgeschichte auch immer mangelnde Gebrauchstauglichkeit eine Rolle spielte (z.B. Tschernobyl, Three Miles Island). Schon ein Datenverlust, der durch das Missverstehen einer Meldung des Computers entsteht, kann hohe Kosten verursachen.

6.2 Hersteller

Hersteller interessieren sich vor allem dafür, wie sie ihr Produkt möglichst gut verkaufen können. Aus dieser Perspektive sind die folgenden Punkte wichtig:

Markdifferenzierung: Es reicht bei weitem nicht mehr aus, dass ein Softwareprodukt eine Fülle von Funktionen zur Verfügung stellt, da es oft schon viele Produkte mit ähnlichem Funktionsumfang auf dem Markt gibt. Gute Gebrauchstauglichkeit wird in diesem Fall bei der Kaufentscheidung eine wichtige Rolle spielen.

Attraktivität: Neuere Studien zeigen, dass die sich die Attraktivität eines Softwareproduktes aus zwei Qualitäten zusammensetzt: der ergonomischen und der hedonistischen Qualität. Die ergonomische Qualität entspricht der Gebrauchstauglichkeit. Das Potential, mit dem ein Softwareprodukt Benutzer begeistern kann wird als hedonistische Qualität bezeichnet.

Kundenbindung: Ein hoher Grad an Gebrauchstauglichkeit erleichtert das Erlernen einer Software und wirkt unterstützend bei der langfristigen Nutzung. Diese Qualität kann dazu führen, dass Benutzer ihrer gewohnten Software treu bleiben oder andere Produkte des gleichen Herstellers kaufen. Gerade für das elektronische Geschäftsleben ("e-commerce") im weltweiten Computernetz (world wide web) ist es wichtig, potentielle Kunden nicht durch mangelnde Gebrauchstauglichkeit zu verlieren.

7.Literaturverzeichnis

1 Ergonomie, Schmitke, H., München/Wien: Hanser 1992

2 Einführung in die Softwareergonomie, Balzert, H., Berlin, de Gruyter 1988

3 Lässt sich Gebrauchstauglichkeit..., Matthias Rauterberg, 22.GDI Jahrestagung 1992

4 Software-Ergonomie bie interaktiven Medien, Thomas Herrmann, Vortrag im Rahmen einer Lehrveranstaltung 1994

5 Homepage RHaug - Advanced Usability Guidance

www.rhaug.de

6 Bildschirmarbeitsverordnung

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Beitrag der Ergonomie zur Gestaltung sozialverträglicher Informatikanwendungen
Autor
Jahr
2001
Seiten
9
Katalognummer
V103971
ISBN (eBook)
9783640023479
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beitrag, Ergonomie, Gestaltung, Informatikanwendungen
Arbeit zitieren
Martin Schultz (Autor:in), 2001, Beitrag der Ergonomie zur Gestaltung sozialverträglicher Informatikanwendungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103971

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