Degrowth. Eine Konzeption für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft?


Bachelorarbeit, 2020

51 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Wirtschaftswachstum
2.1 Wachstumstreiber
2.2 Wirtschaftswachstum und Umwelt

3. Degrowth

4. Methodik

5. Analyse
5.1 Organisation von Austausch über den Markt
5.2 Investitionen
5.3 Finanzwesen
5.4 Konsumgesellschaft
5.5 Eigentum
5.6 Rolle des Staats

6. Fazit und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Spätestens seit der „Fridays for Future“-Bewegung, die seit 2018 viele tausende junge Menschen auf der ganzen Welt für besseren Klima- und Umweltschutz auf die Straße gebracht hat, ist das Bewusstsein gestiegen, die Auswirkungen des bereits voranschreitenden Klimawandels so stark wie möglich begrenzen zu müssen. Die Art und Weise, wie wir heute leben, zeigt sich unvereinbar mit den ökologischen Grenzen unseres Planeten: Steffen et al. nennen den „Klimawandel (climate change)“, die „Auswirkungen auf die Stabilität der Biosphäre (impacts in biosphere integrity)“, die „Veränderung des Landsystems (land-system change)“ und „veränderte biochemische Abläufe (altered biochemical flows)“ als vier der insgesamt neun Bereiche, in denen bereits die planetaren Grenzen überschritten wurden (Steffen et al. 2015). Die bisherige Umweltpolitik hat trotz wichtiger Fortschritte, wie dem internationalen Klimaabkommen von Paris, welches zum Ziel hat, die globale Erwärmung auf maximal 2° gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen, noch keinen Weg finden können, der einen Ausweg aus der eingeschlagenen Richtung bietet und die Erreichung des 2°-Ziels ermöglicht. Viele fordern deshalb ein Umdenken der bisherigen Herangehensweise. Ein Teil der Debatte sieht dabei schon länger das Wirtschaftswachstum als wichtigsten Grund für die zunehmende Umweltbelastung.

Wachstumskritik findet sich in allen politischen Spektren und reicht über die ökologische Kritik hinaus. In der Mitte der Gesellschaft angekommen, ist sie dabei aber noch lange nicht: Vor allem zu Zeiten der COVID19-Pandemie wird deutlich, wie allgegenwärtig die Sorge vor einem Wachstumseinbruch ist. Als Kennzahl wird in vielen Ländern und auch in Deutschland auf das Bruttoinlandsprodukt geblickt, welches aussagen soll, in welchem Maße die Wirtschaft durch die Krise beschädigt wird (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2020, S.1). Auch in Hinblick auf die Bekämpfung der Klimakrise wird weiteres Wachstum angestrebt, wodurch neue, klimaschonende Technologien hervorgebracht und so ein Leben in materiellem Wohlstand für möglichst viele ermöglicht werden soll. So basiert auch der Green Deal der EU auf der Idee eines nachhaltigen Wachstums und internationale Organisationen propagieren die Idee einer wachstumsorientierten Green Economy (Europäische Kommission 2019, UNEP 2011). Das Wachstumsparadigma scheint also trotz Klimakrise ungebrochen und wird nicht als Problem, sondern als Lösung dargestellt. Ganz anders sehen dies wachstumskritische Stimmen: Sie weisen auf den ungebrochenen Zusammenhang zwischen steigendem Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung hin und glauben nicht an propagierte Entkopplungsstrategien. Stattdessen wird Postwachstum, im internationalen Raum auch Degrowth genannt, angestrebt.

Diese Begriffe stehen für „eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält“ (Degrowth Webportal). Um dies zu erreichen, sehen sie zwangsweise ein Ende des Wirtschaftswachstums als nötig an. Dies steht im klaren Widerspruch zu unserem gegenwärtigen System: In diesem ist nicht nur politisch Wachstum erwünscht, sondern auch das Wirtschaftssystem der kapitalistischen Marktwirtschaft und damit auch unsere Lebensweise beruht auf stetigem Wachstum. Es ermöglicht im jetzigen System die Bewahrung und Steigerung des materiellen Wohlstands und des Lebensstandards, Investitionen in Bereiche wie Bildung und Gesundheit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und von sozialen Sicherungssystemen (Grunwald u. Kopfmüller 2012, S.69). Doch das steigende Bewusstsein und die sich mehrenden Beweise, dass die Klimakrise nicht in ferner Zukunft liegt, sondern bereits jetzt zu verheerenden Folgen rund um den Globus führt, verlangen eine konsequente Befassung mit alternativen Lösungsansätzen. Die wachstumskritische Bewegung erhebt den Anspruch, diese Alternative zu bieten. Unter dem Begriff Degrowth hat sich inzwischen eine internationale Forschungsgemeinschaft entwickelt, die für eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsform ganz ohne Wachstum plädiert (Kallis 2019, D’Alisa et al. 2016, Paech 2009, Brand 2017, Latouche 2010, Demaria et al. 2013). Dabei reichen die Vorschläge von individuellem Konsumverzicht über marktbasierte Steuerungsinstrumente bis hin zu einer radikalen Transformation des kapitalistischen Systems (Paech 2011, Seidl u. Zahrnt 2010, Schmelzer u. Passadakis 2011). Diese Arbeit beschäftigt sich deshalb mit folgender Frage: Bietet Degrowth einen Lösungsvorschlag für eine nachhaltige, nicht auf Wachstum basierte Ausgestaltung des Wirtschaftssystems? Dafür soll im ersten Teil der Arbeit herausgearbeitet werden, wie Wirtschaftswachstum entsteht, warum es problematisch in Hinblick auf Klima und Umweltbelastung ist und anhand dessen begründet, wieso die Auseinandersetzung mit Degrowth von großer Relevanz ist. Die in diesem Kapitel identifizierten wachstumstreibenden Elemente unseres Systems werden dann in der Analyse als analytische Kategorien verwendet, um zu ermitteln, ob Degrowth wirklich eine Lösung für ein wachstumsunabhängiges und nachhaltiges Wirtschaftssystem bietet. Um die große Bandbreite der verschiedenen Meinungen und Vorschläge innerhalb von Degrowth abbilden zu können, werden die verschiedenen Lösungsansätze basierend auf von Schmelzer u. Vetter definierten „Strömungen“ einzeln betrachtet, um ein ganzheitlichen Überblick über die Degrowth-Bewegung zu erhalten (Schmelzer u. Vetter 2015). Diese Strömungen werden dabei mithilfe von Werken prominenter VertreterInnen, die die jeweilige Strömung möglichst idealtypisch abbilden, dargestellt. Für die suffizienzorientierte Strömung ist dies maßgeblich Niko Paech, der mit seiner Postwachstumsgesellschaft vor allem an den Konsumgeist der einzelnen Individuen appellieren möchte (Paech 2008, 2009, 2010, 2012, 2013). Die commonsorientierte/alternativökonomische Strömung bietet sehr viele verschiedene Ansichten und entsprechend viele Veröffentlichungen zum Thema, weswegen sich in erster Linie auf einen Sammelband von Silke Helfrich bezogen werden soll, welcher verschiedene Positionen aus unterschiedlichen Ländern mit einbezieht (Helfrich 2012). Außerdem soll ein Werk von Friederike Habermann betrachtet werden, die vor allem im deutschsprachigen Raum bekannt für ihre Sichtweise auf die Ökonomie der Commons ist (Habermann 2016). Für die kapitalismus- und globalisierungskritische Strömung wird zum einen Ulrich Brand zitiert, zum anderen aber vor allem auf ein Werk zurückgegriffen, welches konkrete makroökonomische Vorstellungen benennt (Brand 2017, Schmelzer u. Passadakis 2011). Im institutionenorientierten Ansatz wird erstens ein viel zitiertes Sammelband betrachtet, um möglichst viele Positionen der Strömung abzudecken (Seidl u. Zahrnt 2010), und zweitens Tim Jacksons „Wohlstand ohne Wachstum“ als Klassiker in der Degrowth-Debatte zitiert (Jackson 2019). An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass diese Arbeit allenfalls einen Einblick in die große Bandbreite von Positionen und Meinungen innerhalb des Spektrums von Degrowth abbilden kann. Es wurden aber bewusst Werke gewählt, die unterschiedlichen Richtungen angehören, um eine Vielzahl an Ansätzen sammeln und diskutieren zu können und so eine differenzierte Kritik üben zu können. Auf Grundlage dessen wird eine abschließende Beurteilung, ob Degrowth als alternative, nachhaltige Ausgestaltung des Wirtschaftssystems wirklich in Betracht gezogen werden kann, vorgenommen. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird dabei im Kontext dieser Arbeit auf den ökologischen Aspekt bezogen sein. Damit ist gemeint, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße, wie sie sich regenerieren können, beansprucht werden dürfen. Somit wird die Arbeit auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung eingegrenzt. Weitere Aspekte, wie zum Beispiel die Auswirkung von Wirtschaftswachstum auf soziale Nachhaltigkeit, werden nicht betrachtet. Die Arbeit beschränkt sich des Weiteren auf die Analyse grundsätzlicher wachstumstreibender Elemente, ohne dabei einzelne Maßnahmen konkret zu beurteilen.

2. Wirtschaftswachstum

Die wirtschaftliche Entwicklung oder das Wirtschaftswachstum kann mithilfe des Bruttoinlandsprodukts (im Folgenden: BIP) dargestellt werden. Das BIP misst den „Gesamtwert aller in einem Zeitraum produzierten Güter und Dienstleistungen innerhalb einer Volkswirtschaft“ und wird oft für den Vergleich von nationalen Volkswirtschaften und als Indikator zur Wohlstandsmessung genutzt (Hauff u. Jörg 2015, S.18). Steigt das BIP, wird von einer wachsenden Wirtschaft ausgegangen. Die Form des Wirtschaftswachstums, wie wir es heute verstehen, findet erst seit der industriellen Revolution statt. Zuvor gab es nur ein marginales Wachstum des BIPs, dem keine große Bedeutung beigemessen wurde (Wagener 2010, S.21f.). Heutzutage sieht das Bild deutlich anders aus: Von der Bevölkerung über den Energieverbrauch bis hin zum BIP unterliegt alles einem stetigen Wachstum, welches sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts rasant beschleunigt hat (Schmelzer u. Vetter 2019, S.46f.). Das BIP ist dabei trotz Kritik zu einer der wichtigsten Messgrößen aufgestiegen. Während der Corona-Pandemie ist dieses einer der Hauptindikatoren für die wirtschaftlichen Folgen innerhalb einer Volkswirtschaft (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2020). Auch bei der Einordnung des Entwicklungsstands eines Landes wird häufig auf das BIP als Kenngröße zurückgegriffen. Obwohl das BIP als einzeln betrachtete Kenngröße veraltet ist, basieren auch heute noch politische Entscheidungen auf dessen Entwicklung. So setzen EU­weite Strategien im Kampf gegen den Klimawandel wie der Green Deal weiterhin ein steigendes BIP voraus (Europäische Kommission 2019). Schmelzer u. Vetter sehen Wachstum über Ländergrenzen und politische Spektren hinweg als Leitmotiv politischer Debatten und bezeichnen Wirtschaftswachstum als „ideologische Konstruktion, deren Hegemonie eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung moderner Gesellschaften spielt“ (Schmelzer u. Vetter 2019, S.42f.). In dieser Arbeit soll Wirtschaftswachstum deshalb im Sinne einer Steigerung des BIPs verstanden werden.

2.1 Wachstumstreiber

Wie eingangs beschrieben, findet Wirtschaftswachstum im großen Stil bereits seit vielen Jahrzehnten statt. Dies wirft die Frage auf, wodurch das anhaltende Wachstum generiert wird. Um dies beantworten zu können, muss ein Blick auf das seitdem dominierende Wirtschaftssystem geworfen werden. Das heute vorherrschende Wirtschaftssystem wird gemeinhin als Kapitalismus oder kapitalistische Marktwirtschaft bezeichnet und ist der Haupttreiber für das Wachstum der weltweiten Wirtschaft. Im Folgenden sollen nun die Funktionsweise und Hauptcharakteristika von Kapitalismus beschrieben werden, um zu zeigen, wie dieses Wachstum entsteht. Es folgt eine volkswirtschaftliche Abbildung des erweiterten Wirtschaftskreislaufs, die die wichtigsten Akteure und Güter- und Geldbewegungen miteinschließt und deren Beziehung vereinfacht darstellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Erweiterter Wirtschaftskreislauf (Bundeszentrale für politische Bildung 2016)

Den Unternehmen wird, wie in der Abbildung gezeigt, eine zentrale Rolle im kapitalistischen System zugeschrieben. Sie beschäftigen Menschen mit Arbeit und produzieren Güter und Dienstleistungen, die als Basis unserer Lebensgrundlage dienen. Die Haushalte konsumieren die hergestellten Waren und arbeiten für ebendiese Unternehmen. Dafür zahlen diese den Haushalten ein Einkommen. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen wird über Märkte organisiert (Frieden 2012, S1). Diese finden sich in der heutigen Zeit überall auf der Welt, werden nur teilweise durch Landesgrenzen einschränkt und laufen sowohl physisch als auch digital ab. Neben alltäglichen Produkten und Dienstleistungen werden auch Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital über die Märkte organisiert. Die Preise entstehen dabei durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, welches auf dem freiwilligen Tauschverhältnis basiert. Diese Organisation von Austausch ist heutzutage für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, da sie nach dem Prinzip der Arbeitsteilung nicht mehr das produzieren, was sie konsumieren, und somit auf Waren und Dienstleistungen anderer Personen angewiesen sind (Fulcher 2011, S.26). Die Märkte sind also der zentrale Austauschpunkt für die Haushalte, den Staat und die Unternehmen. Letztere stehen beim Versuch, ihre Waren und Dienstleistungen auf dem Markt zu verkaufen, in Konkurrenz zueinander, da die KonsumentInnen die Möglichkeit haben, sich für das beste oder günstigste Angebot ihrer Wahl zu entscheiden. Dadurch versuchen Unternehmen, ihre Preise möglichst niedrig zu halten und ihre Produkte durch technischen Fortschritt beständig weiterzuentwickeln oder sogar neue Dinge auf den Markt zu bringen, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren KonkurrentInnen zu haben und nicht selbst aus dem Markt verdrängt zu werden. Andersherum haben die Unternehmen bei geringem Angebot, wie zum Beispiel im Falle einer Monopolstellung, mehr Macht über die Preisbildung. Ohne Konkurrenz kann dann ein einzelnes Unternehmen den Preis festlegen. So bildet sich auf dem Markt, wie oben erwähnt, durch das Angebot der Unternehmen und die Nachfrage der Konsumentinnen der Preis heraus. Laut Asbach sind Marktwirtschaften durch ihre Beschaffenheit damit Antriebskraft für Produktivität und Fortschrittsdynamik und somit entscheidend für Wachstum (Asbach 2014, S.17). Durch die Organisation in Marktbeziehungen und die dadurch entstehende Konkurrenz zwischen Unternehmen wird also technischer Fortschritt und Innovation angeregt und dauerhaftes Wirtschaftswachstum befähigt.

Auf der anderen Seite des Marktes stehen die Konsumentinnen (in der obigen Abbildung die Haushalte, das Ausland und der Staat). Sie generieren die Nachfrage auf dem Markt und sind damit unerlässlich für das Wachstum der Wirtschaft. Ohne stetig steigende Nachfrage nach immer mehr Gütern und Dienstleistungen könnten die Unternehmen ihre Produktion nicht weiter ausweiten und damit wachsen. Dabei werden sowohl die Konsumentinnen als auch die Unternehmerinnen als Individuen gesehen, die in erster Linie im Sinne ihrer eigenen Interessen handeln, aber dadurch gleichzeitig die Bedürfnisse der Gemeinschaft erfüllen (Hintze S.170). In der liberalen Wirtschaftstheorie wird dabei von dem sogenannten „Homo oeconomicus“ ausgegangen, einem idealtypischen Menschen, der durch sein Handeln nur seinen eigenen Nutzen maximieren möchte und rein rational handelt (Konzeptwerk neue Ökonomie 2016, S.1). Durch das Handeln zum eigenen Nutzen werden laut dem Menschenbild des Neoliberalismus zugleich die Bedürfnisse der Gemeinschaft am besten gestillt. Schon Adam Smith sah das Handeln zum eigenen Vorteil als Grundlage an und basierte darauf sein berühmtes Prinzip der unsichtbaren Hand, welche die Wirtschaft wie von selbst nur durch das Streben nach Eigeninteressen lenkt und so dem Allgemeinwohl dient (Jackson 2019, S.197). Während Individuen also frei nach ihrem eigenen Interesse ungeachtet anderer konsumieren, wird laut diesem Blickwinkel so das Allgemeinwohl befördert, weil sie die Konkurrenz und damit die Innovation und das Wachstum von Unternehmen begünstigen.

Das eingangs erwähnte Merkmal des Güteraustausches über den Markt deckt aber nur einen Teil der kapitalistischen Marktwirtschaft ab. Wie der Name schon vermuten lässt, steht im Zentrum des Kapitalismus außerdem das Kapital. Dieses wird in der Volkswirtschaftslehre neben Boden und Arbeit als eines der drei Produktionsmittel als Ausrüstung und Anlagen definiert, die genutzt werden, um ein Gut zu produzieren (Mankiw u. Taylor 2018, S.2). Ein zentrales Merkmal des Kapitalismus ist das Faktum, dass diese Produktionsmittel in privater Hand liegen (Frieden 2012, S.1). Dies ist von besonderer Bedeutung, da nach der Anreiztheorie des individuellen Eigentums Menschen nur innovativ und effizient wirtschaften, wenn sie die Früchte ihrer Arbeit ernten können (Nuss 2020). Das bedeutet also, dass Privateigentümer dann besonders viel produzieren, wenn die Möglichkeit besteht, ihr Eigentum zu vergrößern. Da Eigentümer im Kapitalismus daran interessiert sind, ihr Eigentum zu vermehren, werden sie nach dem Prinzip der Konkurrenz permanent ihr Kapital reinvestieren, um auf dem Markt bestehen zu können, und sorgen so für weiteres Wachstum.

Für Fulcher ist Kapital außerdem als finanzielle Rücklagen entscheidend, da die Akkumulation von Kapital die Möglichkeit eröffnet, neue Investitionen zu tätigen, sich gegenüber Konkurrentinnen durchzusetzen und den Profit zu steigern (Fulcher 2011, S.23). Auch Kocka sieht in Kapital vor allem den Vorteil der Reinvestition und beschreibt „die Akzeptanz von Profit als Maßstab sowie die Akkumulation mit den Perspektiven Wandel, Wachstum und dynamische Expansion“ als wesentliche Merkmale der kapitalistischen Marktwirtschaft (Kocka 2013, S.21). Hier wird deutlich, dass im kapitalistischen Wirtschaftssystem die Profitsteigerung, also die Akkumulation von Kapital, zum Selbstzweck wird. Das Gewinnstreben befördert die Konkurrenz am Markt und bringt Unternehmen dazu, in Hoffnung auf steigende Rendite beständig zu investieren. Die Unternehmen haben zwei Möglichkeiten, durch Investitionen mehr Kapital zu erwirtschaften: Zum einen können sie die Kosten durch effizientere Organisation, technischen Fortschritt oder günstigere produktivere Arbeitskräfte möglichst gering halten, was aber nur bis zu einem gewissen Punkt weiter zu optimieren ist (Niessen 2007, S.48). Zum anderen können die Erlöse gesteigert werden, indem entweder ein höherer Preis verlangt wird, was durch die Konkurrenz der anderen Markteilnehmer ebenfalls eingeschränkt ist, oder indem mehr produziert und somit die Gütermenge im klassischen Sinne des Wirtschaftswachstums gesteigert wird. Durch eine anhaltend hohe Nachfrage von der Seite der Konsumentinnen, die Erschließung neuer Märkte sowie ständigen technischen Fortschritt kann die Produktionsmenge und damit die Kapitalakkumulation immer weiter gesteigert werden, was sich ebenfalls mit einem einfachen Wort beschreiben lässt: Wirtschaftswachstum. Besonders bedeutend für die Erlössteigerung und Kostensenkung sind also die Investitionen, ohne die ein Unternehmen schnell nicht mehr konkurrenzfähig wäre (Jackson 2019, S.168). Erst durch sie kann es wachsen und so zu einer Steigerung des BIP beitragen.

Daneben spielt das Finanzsystem, in der Abbildung 1 als Vermögensänderung betitelt, vor allem für die Möglichkeit, Investitionen zu tätigen, eine große Rolle. Da Haushalte nie ihr ganzes Einkommen für Konsum ausgeben, sondern einen Teil an die Banken als Ersparnisse abgeben, können diese wiederum, zum Beispiel über Kredite, den Unternehmen mehr finanzielle Mittel ermöglichen, die sie in ihre Produktion investieren können. Der kapitalismuskritische Autor Binswanger betont in diesem Kontext, wie wichtig die Finanzmärkte und Banken im Kapitalismus sind, da sie durch ihre Geldschöpfungstätigkeit den Unternehmen liquide Mittel für Investitionen zur Verfügung stellen und so die Kapitalakkumulation weiter steigern (Binswanger 2019, S.54f.). Da Banken allerdings nur in sichere und erfolgreiche Unternehmen investieren, sind jene darauf angewiesen, Gewinne zu generieren und zu wachsen. Dies führt zu einem in sich verketteten Kreislauf: Die Banken können Kredite nur durch eine wachsende Wirtschaft vergeben und befördern dieses Wirtschaftswachstum durch die Vergabe von zusätzlichen finanziellen Mitteln.

Als letzter hier dargestellter Akteur ist der Staat in die Geldflüsse einer Volkswirtschaft involviert. Unternehmen und Haushalte müssen Steuern und Beiträge an diesen zahlen. Im Gegenzug erhalten erstere Zahlungen für Güterkäufe und Subventionen an Unternehmen und die Haushalte erhalten Einkommen und Transferleistungen. Banken verwalten das Haushaltsbudgets des Staats und können beispielsweise mithilfe von Krediten Defizite ausgleichen. Der Staat kann somit durch die Aufnahme neuer Schulden oder mithilfe neuer Regularien und Gesetze sowie Steuern und Subventionen stark in die Wirtschaft eingreifen und trägt entscheidend zum Erfolg oder Misserfolg des Wirtschaftssystems bei. Wie groß der Einfluss des Staats auf die Wirtschaft sein sollte, war und ist weiterhin hart umstritten. Oft wurden die Vorzüge des freien und offenen Marktes mit dem Bild der unsichtbaren Hand begründet. Andere Stimmen legten ihren Glauben in die Worte von Keynes, der den Staat als Verantwortlichen für die wirtschaftliche Stabilität sah (Jackson 2019, S.284f.). Unabhängig davon, wie weit der Einfluss des Staates reichen sollte, ist wirtschaftliche Stabilität für ihn entscheidend, um beispielsweise durch den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen soziale Stabilität garantieren zu können. Da die kapitalistische Marktwirtschaft auf stetigem Wachstum beruht, ist auch der Staat dementsprechend daran interessiert, das Wachstumsparadigma aufrechtzuerhalten. Er hat durch verschiedenste Hebel die Möglichkeit, die Wirtschaft in diesem Sinne zu beeinflussen: Vor allem der Einsatz von Investitionen und Steuern ermöglichen ihm eine Förderung bestimmter politischer und wirtschaftlicher Zielsetzungen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Innovationsprämie der Bundesregierung, mit der der Kauf von Elektroautos bezuschusst wird, um diese im Vergleich zu Verbrennungsmotoren wettbewerbsfähig auf dem Markt zu etablieren (BAFA 2020). Aber auch durch die Strukturierung des Bildungssystems, öffentlicher Infrastrukturen und der Beschäftigungspolitik, die Regulierung von Werbung und Medien und weitere Einflussmöglichkeiten kann der Staat bedeutende Akzente setzen, die die Produktion und den Konsum und damit das Wachstum fördern oder hemmen können (Jackson 2019, S.272).

Damit ist der Staat nicht die Ursache für eine immer weiter expandierende Wirtschaft, aber er kann Entscheidungen fällen, die die Wachstumsdynamik weiter antreibt und so für mehr Arbeit und zumindest materiellen Reichtum sorgt.

Außen vor bleibt bei dieser Darstellung das Ausland, soll für die Erklärung der Wachstumsdynamik aber vernachlässigt werden, da sich die Arbeit hauptsächlich auf die innerstaatlichen Abläufe konzentriert.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch das Profitstreben und die Konkurrenz die gesamte Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft auf Wachstum basiert. Wichtige herausgearbeitete Strukturmerkmale sind die Organisation von Austausch über den Markt, Investitionen, die Rolle des Privateigentums, der Konsum sowie die Rolle des Finanzsystems bzw. der Banken und des Staats. Diese Merkmale tragen alle dazu bei, dass dem Kapitalismus eine einmalige Dynamik des Wachstums innewohnt, ohne die das System nicht funktionieren würde.

2.2 Wirtschaftswachstum und Umwelt

Im vorangegangenen Abschnitt wurde die grundlegende Struktur der kapitalistischen Marktwirtschaft und der daraus hervorgehenden Wachstumsdynamik erläutert. Dass diese Dynamik unleugbar von Erfolg gekrönt ist, zeigt der andauernde Trend des Wirtschaftswachstums in Europa, der sich zwar zwischenzeitlich verlangsamt hat, aber seit der industriellen Revolution beständig anhält (Maddison 2003). Anhänger der liberalen Wirtschaftstheorien sehen genau hierin den Erfolg des Kapitalismus: Sein anhaltendes Wachstum produziere Wohlstand, schaffe Arbeitsplätze und ermögliche einer immer größer werdenden Bevölkerung ein gutes Leben (Kromphardt 2006, S.12f.). Fakten wie die seit der Industrialisierung gestiegene Lebenserwartung (statista 2018) und die stetige Verringerung der in Armut lebenden Menschen belegen diese Vorteile zur Genüge (Fink u. Kappner 2019). An dieser Sichtweise mehrten sich aber spätestens seit dem Bericht des Club of Rome „Limits to Growth“ Zweifel. Dieser machte bereits im Jahr 1972 auf die natürlichen Wachstumsgrenzen der Erde aufmerksam und rückte somit die Umwelt als Leidensträger der Wachstumsgesellschaft ins Zentrum neuer Debatten (Meadows et al. 1972). Die wachstumskritischen Stimmen äußern unterschiedliche Befürchtungen bezüglich eines andauernden Wachstums: von der Klimakrise über die Gefährdung der Ökosysteme hin zu sozialen Problemen. Sie alle eint aber die Sorge vor irreparablen Umweltschäden, die früher oder später zu sogenannten Kipppunkten führen, die einen ökologischen Prozess auslösen, der nicht mehr umkehrbar ist und sich verselbstständigt.

Der oben erwähnte Bericht geht davon aus, dass steigendes Wirtschaftswachstum an einen steigenden Verbrauch von nicht regenerativen Ressourcen und Energie gebunden ist, was zwangsläufig zu einer Verknappung ebenjener und einer Akkumulation von Abfall und Müll führen muss (Hauff 2015, S.44). Dies wiederum resultiert in einer sinkenden Umweltqualität. Als eines der drängendsten Probleme gilt dabei der anthropogene Klimawandel, bedingt durch Treibhausgase wie CO2 und Methan, die durch ihre steigende Konzentration in der Atmosphäre zu einer langfristigen Erwärmung der Erde führen. Durch rasantes, auf fossilen Energieträgern basierendes Wachstum der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten haben die Emissionen weltweit zugenommen (Guttman 2019 S.10). Die kontinuierlich steigenden Konsumbedürfnisse und die damit einhergehenden Energie -und Ressourcenverbräuche wirtschaftsstarker Industrienationen sowie aufstrebender und wachstumsstarker Schwellenländer übersteigen bei weitem die globalen Belastungsgrenzen. So liegt der durchschnittliche Wert der ausgestoßenen CO2-Emissionen für deutsche Bürger bei circa acht Tonnen anstelle der vom Weltklimarat berechneten, für die Klimaziele des Pariser Abkommens vertretbaren, zwei Tonnen (Becker u. Reinicke 2018, S.124). Auch das immer früher fallende Datum des „Earth Overshoot Day“, welches den Tag markiert, an dem die Nachfrage der Menschheit nach ökologischen Ressourcen und Dienstleistungen in einem bestimmten Jahr die Menge übersteigt, die die Erde selbst regenerieren kann, zeigt die stetig steigende, menschengemachte Belastung der Umwelt deutlich.

Neben der Notwendigkeit einer drastischen Senkung der Emissionen hat der Mensch starke Eingriffe in die Biosphäre der Erde bewirkt. Die wachsende Bevölkerung und die Wirtschaft benötigen immer mehr Fläche und Ressourcen, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Dies hat große Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die mit hoher Geschwindigkeit schrumpft (WBGU 2011 S.41). Weitere Auswirkungen der wachsenden Umweltbelastung sind zunehmende Bodendegradation und Desertifikation, Wassermangel- und Verschmutzung, die Verknappung wichtiger Ressourcen und ein Anstieg von Schadstoffen in der Umwelt (WBGU 2011, S.43ff.). Auch aktuellere Berichte belegen den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen: So schließt der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zum Thema Klimawandel und Landsysteme, dass der Klimawandel bereits „sowohl negative Folgen für die Ernährungssicherheit und terrestrische Ökosysteme gehabt als auch zu Desertifikation und Landdegradierung in vielen Regionen beigetragen“ hat (Deutsche IPCC- Koordinierungsstelle 2020, S.7). Weiter heißt es: „Der Klimawandel erzeugt zusätzliche Belastungen für Landsysteme, was bestehende Risiken für Lebensgrundlagen, die biologische Vielfalt, die Gesundheit von Mensch und Ökosystemen, Infrastruktur und Ernährungssysteme verschärft“ (Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle 2020, S.15). Im Sonderbericht zum Klimawandel von bis zu 1,5° und seinen Folgen bestätigt der IPCC einen menschengemachten Temperaturanstieg von 1,0° gegenüber vorindustriellem Niveau sowie die wahrscheinliche Erreichung der 1,5°-Marke zwischen 2030 und 2052 und fällt das Urteil, dass die momentanen nationalen Ziele zur Treibhausgasverminderung nicht ausreichen, um die globale Erderwärmung auf 1,5° zu begrenzen (Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle 2019).

Die Befürchtung der Wachstumskritiker, dass stetiges Wachstum im konventionellen Verständnis und eine Bewahrung der Umwelt und natürlicher Ressourcen nicht zusammenpassen, hat sich in den letzten Jahren also bestätigt. Der Trend der ständig steigenden Umweltbelastung zugunsten einer immer größer werdenden Wirtschaft, sowohl auf ProduzentInnen- als auch auf KonsumentInnenseite, scheint sich trotzdem unaufhaltsam fortzusetzen. Für die Lösung dieses Wachstumsdilemmas finden sich je nach Sichtweise ganz unterschiedliche Antworten. Ein entscheidender Unterschied zwischen den verschiedenen Positionen ist die Rolle des Wirtschaftswachstums: So meinen die einen, dass dieses unabdingbar bei der Überwindung der Klimafragen sei. Sie plädieren für das sogenannte Green Growth, welches nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09 größere Bekanntheit erlangte, als die OECD mit einer Green-Growth-Initiative die Folgen der Krise abfedern und das eingebrochene Wirtschaftswachstum anregen wollte (Statistisches Bundesamt 2012, S.8). Durch die Entwicklung öko-effizienter Technologien und Investitionen in erneuerbare Energien soll das Wirtschaftswachstum von der Umweltbelastung und steigenden Emissionen entkoppelt werden (A§ici u. Bünül 2012, S.301). Sprich, Wachstum ja, steigende Umweltbelastung nein. Kritikerinnen werfen Green Growth jedoch vor, dass unendliches Wachstum in einer Welt mit endlichen Ressourcen nicht möglich sei und sich die propagierten Entkopplungsstrategien unter anderem aufgrund von Rebound-Effekten1 bisher nicht durchgesetzt hätten (Hickel u. Kallis 2019, S.4). Deshalb entwickelten sich neben dieser mit dem kapitalistischen System im Einklang stehenden Green Growth Strategie neue kritische Blickwinkel auf die Wachstumsdynamik des Kapitalismus. Sie kritisieren den fortwährenden Glauben in das Wachstumsparadigma, fordern eine Transformation hin zu einer neuen Wirtschaftsform und entwerfen utopische bis pragmatische Ideen für alternative Gesellschaftsformen, die durch eine Abkehr vom weltweiten Wirtschaftswachstum das Wachstumsdilemma zwischen endlichen Umweltressourcen und stetig steigender Wirtschaftsleistung lösen sollen. Bekannt wurden diese Ideen unter dem Namen Postwachstum und unter dem international geprägten Begriff Degrowth, der im Folgenden aufgrund seiner akademischen Relevanz auch im internationalen Raum weiter verwendet werden soll.

Neben der Missachtung der natürlichen Grenzen der Umwelt, sowohl in Hinblick auf Emissionen als auch auf die Übernutzung der Ressourcen, prangert die Degrowth Bewegung (im Folgenden auch Degrowth) die daraus entstandene Konsumgesellschaft an, die trotz immer neuer Erfindungen und steigendem materiellen Reichtum nicht glücklicher oder gerechter wird (Jackson 2019, S.37). Weiteres quantitatives Wachstum wird also abgelehnt, da einerseits die Ökosysteme immer mehr an ihre Belastungsgrenzen stoßen und andererseits die Lebensqualität in weit entwickelten Ländern durch weiteres Wachstum kaum noch gesteigert werden kann (Hauff et al 2017, S.20f.). Anstelle des alten Wachstumsparadigmas soll eine neue, gerechtere, glücklichere Gesellschaft entstehen, die im Einklang mit der Umwelt ein gutes Leben führt (Jackson 2019, S.92). Folgendes Zitat fasst die Meinung von Degrowth-VertreterInnen gut zusammen: „Der Glaube an die Grenzenlosigkeit menschlicher Expansion und Bedürfnisse und das Vertrauen in die technische Machbarkeit blockieren die Einsicht, dass die natürlichen Ressourcen endlich und die Ökosysteme verletzlich sind und immer mehr Konsum kaum glücklicher macht“ (Seidl u. Zahrnt 2011 zitiert nach Hauff et al. 2017, S.135). Degrowth steht also im Gegensatz zum bisherigen politischen Konsens, dass Wachstum unabdingbar für die Wohlstandsmehrung -und Erhaltung sei, und bestreitet die Aussage von Green Growth-AnhängerInnern, dass Wirtschaftswachstum auch im Kampf gegen den Klimawandel von essenzieller Bedeutung sei. Im nächsten Kapitel folgt eine kurze Einführung in Degrowth und seine vielfältigen Strömungen.

3. Degrowth

Degrowth hat seinen Ursprung in der französischen Décroissance-Bewegung, deren Name erstmalig in dem Zusammenhang mit Meadows Bericht des Club of Rome „Limits to Growth“ auftauchte, sich jedoch erst Anfang des neuen Jahrtausends in Lyon im Zuge von Demonstrationen für autofreie Städte, freie Mahlzeiten auf der Straße, gegen Werbung und für Lebensmittelkooperativen als soziale Bewegung entwickelte (Demaria et al. 2013, S.195). Infolgedessen fanden mehrere größere Konferenzen zum Thema statt, bis der Begriff „Degrowth“ bei einer Konferenz im Jahr 2008 in Paris offiziell vorgestellt wurde und sich diese damit auch im internationalen akademischen Raum etablierte. Degrowth bezeichnet die wachstumskritische Bewegung, welche vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den Klimawandel und der steigenden Umweltbelastung in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewann und auf den Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit deutlich hinweist. Als Projekt der freiwilligen gesellschaftlichen Verringerung von Produktion und Konsum mit dem Ziel der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit gestartet, versteht sich Degrowth inzwischen als soziale Bewegung für eine Abkehr vom Wachstumsparadigma, die sowohl in akademischen Kreisen als auch in etablierten Zeitungen auf internationaler Ebene diskutiert wird. Die Kritik an der fehlenden Einsicht, dass die natürlichen Ressourcen endlich und die Ökosysteme verletzlich sind und unser immer weiter steigendes Konsumbedürfnis die Lebensqualität nicht steigert, wird lauter (Hauff et al. 2017, S.139). Die Bewegung fordert deshalb einen radikalen gesellschaftlichen Wandel und eine Re-Politisierung der Debatte um eine sozio-ökologische Transformation (Demaria et al. 2013, S.192). Das Hauptziel von Degrowth ist eine demokratische, umverteilende Reduzierung der Produktion und des Konsums in den Industrieländern als Mittel zur Erreichung ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und zur Steigerung des Wohlbefindens aller (Demaria et al. 2013, S.209). Deutlich herauszustellen ist, dass keine Wirtschaftsschrumpfung durch Rezessionen, die soziale Bedingungen verschlechtern, gefordert ist (Latouche 2010, S.54). Es geht also nicht ausschließlich um die Senkung des BIP oder um die reine Reduzierung des Materialflusses, sondern um die eben erwähnte sozio- ökologische Transformation (Asara et al. 2015, S.377). Diese soll durch neue Gesellschaftskonzepte wie Öko-Gemeinschaften, Genossenschaften, ethische Banken, städtische Gärten, Gemeinschaftswährungen, bedingungsloses Grundeinkommen, Ökosteuern, Umverteilungspolitik, Arbeitsplatzgarantie, Sozialisierung der Pflege, öffentliche Kontrolle über die Geldschöpfung, Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsteilung erreicht werden (Asara et al. 2015, S.378). Damit hat sich Degrowth von einer ökonomischen und kulturellen Kritik an der Hegemonie des Wirtschaftswachstums weiterentwickelt und diskutiert inzwischen auch über Demokratie, Gerechtigkeit, Well-Being und den Sinn des Lebens (Asara et al. 2015, S.377).

[...]


1 Rebound-Effekte beschreiben die Schmälerung der Wirkung von Effizienzmaßnahmen und können verbunden mit weiterem Wachstum dazu führen, dass es trotz vermeintlicher effizienterer Produktion schlussendlich sogar zu einer stärkeren Umweltbelastung kommt, wenn im gleichen Zug die Nachfrage steigt und die Produktion weiter wächst. Für mehr Informationen zu Rebound-Effekten siehe Umweltbundesamt 2019.

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Degrowth. Eine Konzeption für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft?
Hochschule
Universität Hamburg  (Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
51
Katalognummer
V1040055
ISBN (eBook)
9783346457226
ISBN (Buch)
9783346457233
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Degrowth, Wachstumskritik, Wirtschaftswachstum Nachhaltigkeit
Arbeit zitieren
Nele Bauerschäfer (Autor:in), 2020, Degrowth. Eine Konzeption für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1040055

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Titel: Degrowth. Eine Konzeption für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft?



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