Vertrauensschutz und Offenbarungspflicht - ein Spagat für die Soziale Arbeit im Strafvollzug


Dossier / Travail, 2001

11 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0 VORWORT

1 RECHTLICHE GRUNDLAGEN
1.1 SCHWEIGEPFLICHT FÜR SOZIALPÄDAGOGEN
1.2 OFFENBARUNGSBEFUGNIS UND OFFENBARUNGSPFLICHT
1.3 GESETZLICHER AUFTRAG DES STRAFVOLLZUGS

2 DER INTERESSENSKONFLIKT DER SOZIALEN ARBEIT IM STRAFVOLLZUG ..
2.1 AUFGABEN DES SOG. SOZIALDIENSTES IM VOLLZUG
2.2 HINDERNISSE FÜR DIE ZUSAMMENARBEIT VON SEITEN DER INSASSEN
2.3 VERPFLICHTUNGEN GEGENÜBER DEM EINZELNEN INSASSEN
2.4 ... GEGENÜBER DER VOLLZUGSANSTALT
2.5 ... UND GEGENÜBER DEN ANDEREN INSASSEN

3 KONSEQUENZEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT IM STRAFVOLLZUG
3.1 TRANSPARENZ GEGENÜBER DEM EINZELNEN KLIENTEN
3.2 ABWÄGUNG DER UNTERSCHIEDLICHEN INTERESSEN
3.3 ZUSAMMENARBEIT DER VOLLZUGSBEDIENSTETEN

4 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

5 VERWENDETE LITERATUR

0 Vorwort

Die mit dem vierten Strafvollzugsänderungsgesetz in Kraft getretene Neuformulierung des §182 StVollzG (von Offenbarungsbefugnis hin zu Offenbarungspflicht) und vor allem die sehr offene Formulierung der „Gefährdung des Vollzugsziels“ stellt meiner Ansicht nach ein praktisches Beispiel für einen Werte- und Normenkonflikt dür die Soziale Arbeit in einem bestimmten Berufsfeld dar. Der persönliche Bezug wurde für mich durch die dauerhafte Beschäftigung mit dem Tätigkeitsbereich Resozialisierung gegeben, und es hat mich betroffen gemacht, daß es hierzu zwar eine Reihe von Veröffentlichungen gibt, die dieses Problem von der Seite der im Vollzug tätigen Psychotherapeuten gibt (beispielsweise BÖLLINGER 2000), aber meines Wissens noch keine Abhandlung über die spezifischen Probleme für den Sozialdienst von Vollzugsanstalten. Dies gab den Ausschlag, meine Studienarbeit im Fach „Werte und Normen“ zu diesem Thema zu schreiben.

Abschließend noch ein Hinweis an alle Leserinnen und Leser: In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nachfolgend bei Berufsbezeichnungen u.ä. - mit der Ausnahme wörtlicher Zitate - ausschließlich die maskuline Form des Substantivs verwendet. Selbstverständlich werden dabei aber stets die Vertreter beider Geschlechter gemeint.

1 Rechtliche Grundlagen

1.1 Schweigepflicht für Sozialpädagogen

Bevor auf die speziellen Vorschriften für Sozialpädagogen im Strafvollzug eingegangen wird, sollen an dieser Stelle zunächst die allgemeinen Rechtsnormen zu Schweigepflicht und Offenbarungsbefugnis ausgeführt werden.

Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen in Deutschland das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art.2 GG). Durch die technische Möglichkeit, personenbezogene Daten elektronisch zu speichern und beliebig zu vervielfältigen, zählt die Rechtssprechung seit den 80er Jahren zum Art.2 GG auch das Recht auf informelle Selbstbestimmung, d.h. das Recht des Individuums auf den Schutz seiner personenbezogenen Daten. Sozialpädagogen ist es daher konsequenterweise untersagt, Einzelheiten aus dem Leben von Klienten weiterzugeben, die sie in der Ausübung ihres Berufs erfahren, die erkennbar nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und die eindeutig einer bestimmten Person zuzuordnen sind. Eine Verletzung der Schweigepflicht wird nach §203 Abs.1 Nr.5 StGB strafrechtlich verfolgt.

Darüber hinaus versteht es sich für Sozialpädagogen von selbst, die im persönlichen Gespräch von den Klienten erhaltenen Informationen aus berufsethischen Gründen nicht ohne dessen Einverständnis an Dritte weitergeben. Die Verletzung der Schweigepflicht zerstört die Voraussetzung von erfolgversprechender Sozialen Arbeit - das Vertrauensverhältnis zwischen Sozialpädagogen und Klient.

1.2 Offenbarungsbefugnis und Offenbarungspflicht

Zum Wohle und mit Einverständnis des Klienten dürfen personenbezogene Daten an Mitglieder von Berufsgruppen weitergegeben werden, die selbst der Schweigepflicht nach §203 StGB unterliegen (z.B. Ärzte oder Psychologen), z.B. beim Arbeiten im Team oder der Überweisung des Klienten an eine weitere Institution bzw. der Mitarbeit einer anderen Institution am selben Fall. Generell kann die Schweigepflicht nur durch den Klienten aufgehoben werden.

Die Schweigepflicht wird nur in wenigen Ausnahmefällen übergeordneten Interesses durch bestehende Gesetze aufgehoben. Beispielsweise besteht Offenbarungspflicht personen-bezogener Informationen nach bestimmten Gesetzen - z.B. nach §§48, 48a BSeuchenG im Falle der Kenntnis einer ansteckenden Krankheit oder nach §138 StGB bei der Kenntnis von bestimmten (geplanten) Straftaten wie beispielsweise Raub, Totschlag oder Brandstiftung.

Für die Bediensteten im Strafvollzug besteht noch die besondere Regelung des §182 Abs.2 StVollzG. Seit Ende 1998 besteht Offenbarungspflicht für personenbezogene Informationen von Inhaftierten im Falle der Gefährdung des Vollzugsziels (dies wird in Kap. 1.3 näher ausgeführt) oder im Falle der Gefährdung des Inhaftierten oder Dritter.

1.3 Gesetzlicher Auftrag des Strafvollzugs

Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe soll der Gefangene resozialisiert, d.h. zur Legalbewährung befähigt und auf diese Weise wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden (§2 Abs.1 StVollzG). Darüber hinaus soll durch den Strafvollzug der Schutz der Allgemeinheit gewährleistet sein (§2 Abs.2 StVollzG). Da in der Öffentlichkeit unter dem Schutz der Allgemeinheit vielfach nicht die Resozialisierung, sondern die sichere Verwahrung des Täters verstanden wird, stand und steht der Strafvollzug unter dem Druck der Politik, die sichere Verwahrung des Täters zu gewährleisten.

Unter diesem Aspekt muß der Inhalt des StVollzG von 1977 gesehen werden: das Gesetz beinhaltet nur einige wenige vage und mittelbare Vorschriften für die Behandlungs- bzw. Sozialisationsaufgabe des Vollzugs, aber sehr differenzierte und detaillierte Bestimmungen hinsichtlich ´des Ziel der Sicherung der Gefangenen und der Aufrechterhaltung der Ordnung im Vollzug. Von daher kann das StVollzG als „Organisationsprogramm“ zum reibungslosen Ablauf des Vollzugs im Sinne von Sicherheit und Ordnung verstanden werden (WAGNER 1984, S.49 ff.).

Da der gesetzliche Auftrag des Strafvollzug hinsichtlich Sicherheit und Ordnung im Vollzug sehr ausführlich und ins Detail gehend beschrieben ist, betrifft eine Gefährdung des Vollzugsziels - bei entsprechender Auslegung durch die Vollzugsleitung oder das Ministerium - viele Alltagsbereiche der Gefangenen (vgl. DAMIAN 1999, S.29). Insbesondere fallen viele alltägliche Regelverstöße vieler Insassen wie Drogenkonsum oder (illegales) Geschäfte- und Schulden-Machen unter den Tatbestand der Gefährdung des Vollzugsziels. Die gültige Fassung der Offenbarungspflicht gegenüber der Anstaltsleitung nach §182 StVollzG hebt somit die Schweigepflicht aller pädagogisch-therapeutisch Beschäftigten im Vollzug weitgehend auf und greift erheblich in das Vertrauensverhältnis zwischen den Inhaftierten und den Fachdiensten ein (die einzige Ausnahme ist der Anstaltspriester). Diese Problematik soll im Folgenden näher ausgeführt werden.

2 Der Interessenskonflikt der Sozialen Arbeit im Strafvollzug

2.1 Aufgaben des sog. Sozialdienstes im Vollzug

Der Sozialdienst als Teil der Strafvollzugsanstalt arbeitet an der Resozialisierung der Gefangenen mit. Dies geschieht insbesondere durch

- Hilfe bei der Aufnahmephase (Sicherung des Rechts- und Besitzstandes des Gefangenen durch geeignete Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt und den zuständigen Behörden);
- Hilfestellung für die Bewältigung der Haftsituation durch persönliche Beratung und Betreeung; · Vorbereitung auf die Zeit nach der Entlassung;
- Schaffung eines Problembewußtseins beim Klienten;
- Reflexion des (Delinquenz-)Verhaltens und Mithilfe bei der Erarbeitung alternativen Verhaltens durch Gruppenarbeit und Soziales Training;
(vgl. SIMECEK ET AL. 1998, S.43 f. und 74 ff.)..

Da der sozialpädagogische Rahmen im Strafvollzug durch die institutionellen Gegebenheiten einen hohen Zwangscharakter hat, ist eine positive Beziehung zwischen dem Klienten und dem Sozialpädagogen nur sehr schwer aufzubauen und erfordert ein hohes Maß sowohl an Akzeptanz und Empathie vom Sozialpädagogen als auch an Vertrauen vom Inhaftierten.

2.2 Hindernisse für die Zusammenarbeit von Seiten der Insassen

Ein grundlegendes Problem für die soziale Arbeit im Vollzug ist ein Charakteristikum sog. „totaler Institutionen“ (GOFFMAN 1961/1972) - es handelt sich dabei um die extrem bipolare Mitgliederstruktur (Insassen - Anstaltsbedienstete). Diese Struktur fördert nach TROTHA (1983) Mißtrauensstrukturen und Ressentiments zwischen der Gruppe der Gefangenen und der Gruppe des Personals (a.a.O, S.14 ff.).

Ein weiteres Problem für die Arbeit mit einem oder mehreren Gefangenen ist die sog. Insassensubkultur (HARBORDT 1967). Diese ist geprägt von einem Satz z.T. abweichenden Werten und Normen und kollektiven Einstellungen, einem hierarchisch gegliederten Sozialsystem mit festgeschriebenen Rollen und einem illegalen ökonomischen Subsystem (a.a.O.; auch MEIER 2001, S.59-80). Phänomene der Insassensubkultur bringen die Gefangenen in permanenten Konflikt mit den Anstaltsnormen, weshalb unter den Gefangenen die Norm herrscht, nicht mit den Bediensteten zusammenzuarbeiten. Wer das doch tut, gilt als „Zinker“ 1 und „hat kein schönes Leben im Gefängnis“ (Insasse einer bayerischen JVA, aus: MEIER 2001, S.66). D.h. er wird von anderen Insassen viktimisiert und hat in der Gruppe der Gefangenen keinerlei Schutz zu erwarten.

Kurz gefaßt, hat es der einzelne Gefangene doppelt schwer, zum Sozialpädagogen eine Vertrauensbeziehung aufzubauen: Er sieht sich täglich mit kollektiven Vorurteilen gegenüber den Vollzugsbediensteten konfrontiert (denen er sich nur schwer entziehen kann) und muß beim Gespräch aufpassen, daß er dem Pädagogen nichts über illegale Aktivitäten der Mitgefangenen erzählt. Vor allem bei Viktimisierung und Bedrohung durch andere Insassen steht der Klient in der Zwickmühle zwischen Hilfesuche und Erfüllung des Insassenkodes.

2.3 Verpflichtungen gegenüber dem einzelnen Insassen ...

Dem einzelnen Klienten gegenüber steht der Sozialpädagoge natürlich in der Pflicht, daß die Inhalte von Einzelgesprächen vertraulich bleiben bzw. nur mit Einverständnis des Klienten weitergegeben werden dürfen. Darüber hinaus natürlich auch dessen Schutz vor Mitgefangenen, wenn zu befürchten ist, daß er aufgrund der Enthüllung von deren Regelverstößen akut bedroht wird. Auch im Falle der Kenntnis von Mechanismen und Exponenten des illegalen Subsystems (Bedrohung eines Insassen wegen Schulden bei Mitgefangen, Kenntnis von Drogenschmuggel durch Drogenberatung eines Klienten) muß im Interesse des Klienten eigentlich Stillschweigen bewahrt werden, damit dieser nicht von anderen Insassen viktimisiert wird.

Desweiteren ist ein Vertrauensverhältnis mit dem Klienten natürlich die Arbeitsgrundlage für die Soziale Arbeit. Wenn der Klient - aus welchem Grund auch immer - Informationen zu seiner persönlichen Problemsituation verschweigt, wirkt sich das negativ auf die gemeinsame Bewältigung des Problems mit dem Sozialdienst aus. Eine besondere Rolle nimmt hierbei die Drogenberatung in Haft ein. (Illegal in die Anstalt geschmuggelte) Drogen sind Alltag in jedem Gefängnis, obwohl dieses Phänomen von Seiten der Anstalt bekämpft wird. Da Drogenkonsum z.B. in Bayern unter die Formulierung „Gefährdung des Vollzugsziels“ nach §182 Abs.2 StVollG fällt, muß ein Sozialpädagoge dies der Vollzugleitung melden, sobald ein Gefangener ihm erzählt, daß er ein Drogenproblem hat. Die übliche - für den Gefangenen unerfreuliche - Maßnahme ist dann ein Drogenscreening, das bei positivem Ergebnis sanktioniert wird (vgl. MEIER 2001, S.68).

In Verbindung mit den o.g. Vertrauensschwierigkeiten zwischen Personal und Insassen erhöht die Neufassung des §182 Abs.2 StVollzG die Schwierigkeiten für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Spzialpädagogen und Klient.

2.4 ... gegenüber der Vollzugsanstalt ...

Die im Vollzug beschäftigen Sozialpädagogen sind natürlich Teil des institutionalisierten staatlichen Vollzugs von Freiheitsstrafe und somit dem Vollzugsziel verpflichtet. Hierbei gibt es - insbesondere mit dem allgemeinen Vollzugsdienst und Sicherheitsbeamten - einen latenten Konflikt, v.a. was das Verhältnis von Verwahrung (Schutz der Allgemeinheit) und Erziehung (Resozialisierung) betrifft. Alle Vollzugsbedienstete müssen hier im Sinne einer guten Zusammenabeit Kompromisse schließen. Trotz der berechtigten berufsspezifischen Tendenz von Sozialpädagogen, der Erziehung Vorrang vor Sicherheitsbelangen zu geben, sind sie Teil des staatlichen Strafsystems und sollten sich auch mit diesem identifizieren können (vgl. SIMECEK ET AL. 1998, S.94.)

Die Formulierung des §182 Abs.2 StVollzG, daß bei „Gefährdung des Vollzugsziels“ Offenbarungspflicht besteht, liefert hier Konfliktstoff für die verschiedenen Berufsgruppen. Diese Formulierung ist in der Tat so abgefaßt, daß man sie individuell sehr unterschieldich auslegen kann. Noch einmal das Beispiel Drogenmißbrauch in der Anstalt: In Bayern werden Drogen im Vollzug als „Gefährdung des Vollzugsziels“ gesehen, in anderen Bundesländern nicht. Da ein Verstoß gegen die Offenbarungspflicht für alle Vollzugsbedienstete disziplinarrechtlich geahndet werden kann, birgt die relativ offene Formulierung, die man „drehen und wenden kann, wie man sie braucht“ einigen Sprengstoff für die verschiedenen Berufsgruppen im Vollzug.

Ein weiteres Pardoxon ist, daß die Eindämmung der Insassensubkultur durchaus dem Vollzugsziel entspricht - eine aktive Subkultur erschwert die Resozialisierung in hohem Maße (vgl. OTTO 2001). Nun kann die Insassensubkultur nur durch eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Bediensteten und Insaasen bekämpft werden (vgl. REINDL 1991, S.203 ff. und 216 ff.; OTTO 2001). Dieser Widerspruch - daß eine Mißtrauensatmosphäre als Folge der Offenbarungspflicht bei Gefährdung des Vollzugsziels ebenfalls dem Vollzugsziel entgegensteht, weil die Insassensubkultur „blüht und gedeit“ - soll hier ausdrücklich betont werden.

2.5 ... und gegenüber den anderen Insassen

Unter den Gefangenen gibt es die unschöne Verhaltensweise, daß illegale Aktivitäten der anderen Gefangenen nicht aus Rechtsbewußtsein, sondern aus Neid oder zum persönlichen Vorteil gemeldet werden. Diese Unsitte wird durch die Offenbarungspflicht nach §182 Abs.2 StVollzG unterstützt, und dies erklärt auch die teilweise drastischen Sanktionen unter den Gefangenen für „zinken“. Durch die Offenbarungspflicht, die wie oben erwähnt auf alltägliche Verhaltensweisen der Gefangenen zutreffen kann, werden hier natürlich die Mißtrauens-strukturen zwischen Personal und Insassen erheblich gestärkt. Darüber hinaus haben die anderen Gefangenen das Recht, gegen Verleumdung und „Verpfeifen“ zum persönlichen Vorteil des „Zinkers“ geschützt zu werden.

Auch werden, wie oben erwähnt, durch Vorurteile und Mißtrauen zwischen der Gruppe der Insassen und der Gruppe des Personals, subkulturelle Strukturen gestärkt. Im Sozialgefüge der Subkultur gibt es immer Gefangene, namentlich resozialisierungswillige und körperlich schwächere Gefangene, für die von den anderen viktimisiert werden. Diese können auch nur durch Bekämpfung der Subkultur - also durch eine klare, einheitliche, nicht repressive Linie des Personals und durch eine vertrauensvolle Atmosphäre innerhalb der Anstalt - wirkungsvoll geschützt werden.

3 Konsequenzen für die Soziale Arbeit im Strafvollzug

3.1 Transparenz gegenüber dem einzelnen Klienten

Als Konsequenz aus der Offenbarungspflicht nach §182 Abs.2 StVollzG sollte für die Soziale Arbeit im Vollzug eine vollständige Transparenz gegenüber dem einzelnen Klienten durchgezogen werden. Das heißt, im Vorfeld Transparenz darüber, welche Informationen aus Gesprächen der Sozialpädagoge an die Anstaltsleitung weitergeben muß, Transparenz darüber, was mit den Informationen geschieht, und schließlich, welche Konsequenzen dies für den einzelnen Gefangenen hat. Die Entscheidung über die zu gebenden Informationen wie auch die Entscheidung über das (mögliche) Risiko liegt dann bei dem Gefangenen selbst. Darüber hinaus sollten Berichte o.ä., in denen Informationen über den Gefangenen weitergegeben werden (z.B. ein Sozialbericht als Gutachten über eine Aussetzung des Reststrafe auf Bewährung), dem Gefangenen ausgehändigt und mit diesem besprochen werden (vgl. KEICHER & MEHL 1999). Nur durch vollständige Transparenz kann unter den strukturellen Bedingungen der Offenbarungspflicht ein Vertrauensschutz gegenüber dem Klienten gewährleistet werden.

Darüber hinaus sollte der Sozialpädagoge eine gewisse Wachsamkeit gegenüber subkulturellen Aktivitäten an den Tag legen und sich den unterschiedlichen Verpflichtungen, die in 2.3 bis 2.5 ausgeführt wurden, bewußt sein.

3.2 Abwägung der unterschiedlichen Interessen

Bei der Abwägung unterschiedlicher und widersprüchlicher Interessen sollte der Sozialpädagoge von vorne herein eine sinn- und verantwortungsvolle Priorisierung vornehmen. Natürlich stehen die Interessen des Klienten primär im Vordergrund - dies muß aber nicht zwangläufig im Konflikt mit der Offenbarungspflicht nach §182 Abs.2 StVollzG stehen. Geht es um die Gefährdung von Leib und Leben des Gefangenen oder dritter, muß schon aus ethischen Gründen der Verantwortbarkeit die Vollzugsleitung mit eingeschaltet werden. Ansonsten können die Interessen des Klienten nur geschützt werden, wenn sie mit dem Vollzugsziel in Einklang zu bringen sind. Konflikt gibt es hier bei der Definition „Gefährdung des Vollzugsziels“ (Beispiel: Drogenkonsum). Hier steht die Soziale Arbeit in der Pflicht, den pädagogischen Anteil am Erreichen des Vollzugsziels zu betonen, insbesondere wo Konflikte mit dem Ziel der sicheren Verwahrung gegeben sind: so arbeitet die Pädagogik auf Verantwortungsübernahme hin (mit der Möglichkeit des Scheiterns), während für die sichere Verwahrung der Gefangenen ein möglichst totale Kontrolle notwendig ist.

Diesen Konflikt gilt es unter Beteiligung aller am Vollzug beteiligten Berufsgruppen, anstaltsexterner Therapeuten und ehrenamtlichen Betreuern, fair auszuhandeln.

3.3 Zusammenarbeit der Vollzugsbediensteten

Da insbesondere Konflikte zwischen den unterschieldichen Berufsgruppen im Vollzug das Resozialisierungszeil gefährden, indem sie die Gefangenen dazu „einladen“, das Personal gegeneinander auszuspielen, sollte die Zusammenarbeit der Vollzugsbediensteten selbstverständlich sein. Da dies nur im Konsens geschehen kann, sollten alle beteiligten Berufsgruppen an Entscheidungen beteiligt sein und Respekt vor der Arbeit der anderen haben. Für den Sozialdienst und andere sog. Fachdienste bedeutet das konkret, Verständnis für sicherheitsrelevante Aufgaben des uniformierten Dienstes zu entwickeln, und umgekehrt Verständnis des aVD/mWD2 für sozialpädagogische Aktivitäten (vgl. SIMECEK ET AL. 1998, S.84 ff.). Auch muß innerhalb der Vollzugsbediensteten ein Konsens über den Umgang mit sensiblen Informationen nach §182 StVollzG gefunden werden. Wenn hier Transparenz geschaffen wird und eine einheitliche Linie besteht, im Zweifelsfall die Informationen nicht zum Nachteil von Gefangenen zu verwenden, können im Sinne der Zusammenarbeit auch Informationen z.B. über Probleme, Persönlichkeit und Verhaltensauffälligkeiten von Gefangenen ausgetauscht werden.

4 Zusammenfassung und Ausblick

In den vorausgegangenen Kapiteln wurden nun eingehend die rechtlichen Grundlagen und die Änderung seit 1998 für die Schweigepflicht in der Arbeit im Strafvollzug, sowie die daraus folgenden Konsequenzen und Probleme für die Soziale Arbeit und die Zusammenarbeit der Vollzugsbediensteten besprochen. Was wäre also nun zu tun?

E steht nicht zu erwarten, daß der §182 StVollzG wieder hin zu einer Offenbarungsbefugnis geändert wird - das wäre auch nicht die sauberste Lösung, da die Entscheidung dann subjektiv vom einzelnen Vollzugsbediensteten zu treffen wäre und für die Gefangenen keine Verhaltenssicherheit resultieren würde. M.E. läßt sich das Problem nur durch eine verstärkte Mitarbeit der Vollzugsbediensteten einerseits und durch Transparenz gegenüber den Gefangenen andererseits gelöst werden.

Hier soll nur deutlich gemacht werden, daß für Berufsgruppen, deren Arbeit mit dem Vertrauen der Gefangenen steht und fällt (wie Sozialpädagogen und Psychologen), zwar am stärksten vom im Titel erwähnten „Spagat“ betroffen sind, aber die Konsequenzen und die Lösung dieses Dilemmas die gesamte Arbeit im Strafvollzug betrifft und von daher auch unter Einbeziehung aller Beteiligten diskutiert und ein Kompromiß ausgehandelt werden muß.

Nürnberg, im Juni 2001

5 Verwendete Literatur

BÖLLINGER, LORENZ, 2000: Offenbarungspflicht der Therapeuten im Strafvollzug - ein Schlag gegen die forensische Psychotherapie, aus: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1/2000, S.11-22

DAMIAN, H., 1999: Das vierte Strafvollzugsänderungsgesetz - Datenschutz und Schweige- pflichten im Strafvollzug, aus: EVANGELISCHE KONFERENZ FÜR STRAFFÄLLIGENHILFE (HG.): „Offenbar Pflicht?“- Zur Offenbarungspflicht nach§182 Abs.2 StVollzG, Dokumentation der Arbeitstagungen 1999 in Düsseldorf und Leipzig, S.13-35

GOFFMAN, ERVING, 1972 (orig.1961): Asyle -Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, 1.Aufl.dt, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag

HARBORDT, STEFFEN, 1967: Die Subkultur des Gefängnisses, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag KEICHER, R / MEHL, M., 1999: Vorwort, aus: EVANGELISCHE KONFERENZ FÜR STRAF- FÄLLIGENHILFE (HG.): „Offenbar Pflicht?“- Zur Offenbarungspflicht nach§182 Abs.2 StVollzG, Dokumentation der Arbeitstagungen 1999 in Düsseldorf und Leipzig, S.2-3

MEIER, ANDREAS, 2001: Subkultur im Jugendstrafvollzug im Kontext von Jugendlichen- biographien, Diplomarbeit im Studiengang Soziale Arbeit, Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg

OTTO, MANFRED, 2001: Gefährliche Gefangene - Mitarbeitsbereitschaft und subkulturelle Haltekräfte im Strafvollzug, aus: REHN, GERHARD ET AL. (HG.): Behandlung„gefährlicher Straftäter“- Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse, Herbolzheim: Centaurus Verlag, S.218-228

REINDL, RICHARD, 1991: Offener Jugendstrafvollzug als Sozialisationsorganisation, Pfaffenweiler: Centaurus Verlag

SIMECEK, SABINE / WIEDENMANN, NORBERT / WOLFRUM, MARTIN, 1998: Begriffe aus dem Vollzugsalltag von A-Z. Ein Leitfaden von Sozialpädagogen (nicht nur) für Einsteiger im Strafvollzug, Nürnberg: Landesarbeitsgemeinschaft der SozialarbeiterInnen / Sozialpäda- gogInnen bei den Justizvollzugsanstalten in Bayern

TROTHA, TRUTZ VON, 1983: Strafvollzug und Rückfälligkeit, Heidelberg: C.F.Müller Verlag WAGNER, GEORG, 1984: Das absurde System, 2.Aufl, Heidelberg: C.F.Müller Verlag

Gesetzestexte:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Zinker: „Bezeichnung für einen Gefangenen, der (in der Regel unerlaubte) Aktivitäten anderer Gefangener anBedienstete weiterleitet (verrät), um sich eventuell dadurch Vorteile im Vollzug verschaffen zu wollen. Er mußinnerhalb der Subkultur mit erheblichen Sanktionen seitens der Mitgefangenen rechnen und stellt sichaußerhalb jeglicher Hierarchie.“ (SIMECEK ET AL. 1998, S.125).

2 aVD: allgemeiner Vollzugsdienst (Wärter), mWD: mittlerer Werkdienst (Arbeits- und Ausbildungsanleiter), vgl. SIMECEK ET AL. 1998, S.34 ff.)

Fin de l'extrait de 11 pages

Résumé des informations

Titre
Vertrauensschutz und Offenbarungspflicht - ein Spagat für die Soziale Arbeit im Strafvollzug
Université
University of Applied Sciences Nuremberg
Cours
Werte und Normen in der Sozialen Arbeit
Note
1
Auteur
Année
2001
Pages
11
N° de catalogue
V104062
ISBN (ebook)
9783640024346
Taille d'un fichier
359 KB
Langue
allemand
Mots clés
Vertrauensschutz, Offenbarungspflicht, Spagat, Soziale, Arbeit, Strafvollzug, Werte, Normen, Sozialen, Arbeit
Citation du texte
Andreas Meier (Auteur), 2001, Vertrauensschutz und Offenbarungspflicht - ein Spagat für die Soziale Arbeit im Strafvollzug, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104062

Commentaires

  • invité le 11/9/2002

    Fehlende Wissenschaftlichkeit.

    Der Arbeit fehlt jede Wissenschaftlichkeit!

  • invité le 19/2/2002

    FH-Niveau.

    Die Arbeit kommt leider über FH-Niveau nicht hinaus.

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Titre: Vertrauensschutz und Offenbarungspflicht - ein Spagat für die Soziale Arbeit im Strafvollzug



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