Fama- Das Gerücht bei Vergil


Thèse Scolaire, 2001

18 Pages, Note: 14 Punkte


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einleitung

2.0 Textgrundlage und Übersetzung

3.0 Einordnung der Szene in den Kontext
3.1 Sprachanalyse und Interpretation Seite
3.2 Deutung des Textes

4.0 Vergleich mit Ovid (Metamorphosen, 12. Buch; Verse 39- 63)

5.0 Vergleich mit der Lithographie „Das Gerücht“ (1943) vo n A. Paul Weber
5.1 Interpretation der eigenen Bilddarstellung

6.0 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis und Anhang

1.0 Einleitung

„Fama“ - das Wort in seiner Bedeutung „Sage, Gerücht, Gerede“ verbindet uns offensichtlich sofort mit Alltagserfahrungen menschlichen Zusammenlebens. 1

Jedoch wirkt sich dieses Miteinander auch negativ aus. So ist es nur verständlich den Begriff „Fama“ zu differenzieren, da er in der lateinischen Sprache auch als „übler Ruf“ oder „Nachrede“ aufgefasst werden kann. 2

In der vorliegenden Facharbeit „Fama“ möchte ich nicht nur lediglich erarbeiten, wie und warum Vergil die „Fama“ in sein wohl bekanntestes Werk, die Aeneis, integriert hat. Vielmehr will ich erforschen, inwiefern es Vergil gelungen ist, die Grundbedeutungen des zweischneidigen Begriffes „Fama“ und ihre Eigenschaften in sprachlich- stilistischen Mitteln widerzuspiegeln.

Zu Beginn des Werkes soll nach einer angemessenen Übersetzung die Einordnung der Textvorlage in den Kontext erfolgen, um darauf Vergils Darstellung der „Fama“ anhand einer Sprachanalyse zu untersuchen. Denn Gestaltung und Inhalt der Aeneis müssen zusammen beobachtet werden, da Vergil bewusst Sprache und stilistische Mittel verknüpft hat, um Ausdruck und Inhalt zu verstärken.

Die erzielte Deutung des Textes möchte ich im weiteren Teil der Facharbeit kurz und treffend mit der Famadarstellung von Ovid (Met, 12. Buch; Verse 39-59) vergleichen, indem ich versuche, die wichtigsten Vergleichspunkte herauszuarbeiten. In einer Weiterführung des Themas möchte ich in einem zweiten, künstlerischen Vergleich mit der Lithographie „Das Gerücht“ (1943) von A. Paul Weber Unterschiede in ihren Aussagen herausstellen. Dem Beispiel einer Rezeption in der Kunst folgend, entwerfe ich eine eigene visuelle Darstellung der „Fama“, wobei ich mich an die Famadarstellung bei Vergil und die doppelte Bedeutung der „Fama“ lehnen möchte. Damit möchte ich versuchen, mich noch persönlicher und eingehender mit dem Thema „Fama“ auseinander zu setzen, um Vergils emotionale Ausdrucksstärke zu reflektieren. Des Weiteren werde ich meine Famadarstellung in einem kurzen Text nochmals erläutern.

2.0 Textvorlage

Die Fama

(Vergil, Aeneis 4.Buch, Verse 173- 194)

Extemplo Libyae magnas it Fama per urbes, Fama, malum qua non aliud velocius ullum: mobilitate viget virisque adquirit eundo, parva metu primo, mox sese attollit in auras ingrediturque solo et caput inter nubila condit.

illam Terra parens, ira inritata deorum, extremam, ut perhibent, Coeo Enceladoque sororem progenuit pedibus celerem et pernicibus alis, monstrum horrendum, ingens, cui quot sunt corpore plumae, tot vigiles oculi subter - mirabile dictu - tot linguae, totidem ora sonant, tot subrigit auris.

nocte volat caeli medio terraeque per umbram stridens nec dulci declinat lumina somno; luce sedet custos aut summi culmine tecti turribus aut altis, et magnas territat urbes, tam ficti pravique tenax quam nuntia veri.

haec tum multiplici populos sermone replebat gaudens et pariter facta atque infecta canebat : Venisse Aenean Troiano sanguine cretum, cui se pulchra viro dignetur iungere Dido; nunc hiemem inter se luxu, quam longa, fovere regnorum inmemores turpique cupidine captos.

Übersetzung

Augenblicklich geht durch Libyens große Städte Fama, Fama, kein anderes Übel ist schneller als sie:

Durch Beweglichkeit ist sie stark und Kräfte gewinnt sie sich beim Umhergehen, klein anfänglich aus Furcht, bald darauf schwingt sie in die Lüfte und geht am Erdboden einher und verbirgt ihren Kopf zwischen den Wolken.

Mutter Erde (Terra) hat, im Zorn auf die Götter aufgestachelt, wie sie erzählen, für Koeos und Encalados jene zuletzt als Schwester geboren, die mit ihren Füßen und mit verderbenbringenden Flügeln schnell ist, ein Ungeheuer, schrecklich, unmenschlich groß, an dem so viele Federn sind, so viele wachsame Augen sind darunter - „so erstaunlich es klingt“3 - so viele Zungen, ebenso viele Münder ertönen, so viele Ohren spitzt sie. In der Nacht fliegt sie in der Mitte von Himmel und Erde, durch die Finsternis zischend, und wendet niemals ihre Augen zum süßen Schlafe ab; tagsüber sitzt sie als Wächterin entweder auf dem höchsten Dachgipfel oder auf hohen Türmen, und sie erschreckt die großen Städte, so haltfähig auf Erfundenem und Verkehrtheit wie die Botin der Wahrheit.

Diese erfüllte damals im vielfachen Gespräch die Völker, freute sich und besang in gleicher Weise Wahrheit und Dichtung: gekommen sei Aeneas, von trojanischem Blute abstammend, diesen Manne zu heiraten, halte Dido, die Schöne, für würdig; nun unter sich durchschwelgten sie den Winter, wie lang er auch sei, ohne Rücksicht auf ihre Herrschaft und seien von schändlicher Begierde erfasst.

3.0 Einordnung der Szene in den Kontext

In dem aus 12 Büchern bestehenden mythologisch, historischem Nationalepos „Aeneis“ werden Aeneas und seine Gefährten durch den Zorn der Iuno an die afrikanische Küste Karthagos verschlagen, worauf er Dido, der Königin Karthagos, begegnet.

In der Ausgangssituation des 4. Buches (Vers 1 - 172) verliebt sich Dido in Aeneas, steht aber zunächst im Zwiespalt ihrer Gefühle, da sie noch dem Tod ihres Mannes Sycheus nachtrauert. Ihre Vertraute und Schwester Anna ermutigt sie aber in ihrer Liebe, so dass Dido fortlaufend in ihrer Liebe schwelgt. Und es schließt sich eine für Dido glückliche, eheliche Vereinigung coniugium mit Aeneas in der Höhle an.4 In dieser Zeit vernachlässigt sie ihre Regierungsaufgaben und den Aufbau ihrer Stadt Karthago.5

Mit den Versen 173- 295 setzt eine Gegenentwicklung ein, in denen die Szene der berühmten Famadarstellung eingegliedert ist (Verse 173- 194). Fama verbreitet das Gerücht über Didos Liebe überall in der Bevölkerung. So gelangt diese Nachricht auch zum König Iarbas, der in Dido verliebt ist und ihr zuvor Land geliehen hat. Empört betet Iarbas wiederum Jupiter an, dass dieser Merkur schicken solle, um Aeneas an sein Schicksal zu erinnern. Aeneis will an sein fatum erinnert , auch auf Didos Betteln hin sofort nach Italien aufbrechen. Das Liebespaar trennt sich, nachdem die Fama Dido von Aeneas` geplanter Abreise berichtet hat. 6 Dido begeht nach Aeneas` Abreise Selbstmord und auch diese Nachricht verbreitet die Fama (4. Buch, Vers 666) in der Stadt.7

Indirekt trennt Fama somit grausam beide Hauptfiguren voneinander, erinnert sie aber auch an ihre Pflichten. Fama ist also für die Handlungsänderung und indirekt für Didos Tod verantwortlich. Wie Vergil jedoch die Fama darstellt, soll im nächsten Gliederungspunkt untersucht werden.

3.1 Sprachanalyse

Vergil beschreibt in der bekannten Famadarstellung des 4. Buches deren Aussehen und ihr Wirken, so dass es nötig ist, Inhalt und sprachliche Gestaltung verknüpfend zu beobachten. Denn dadurch steigert er bewusst die Aussagekraft der Szene. So verfasste Vergil (70- 19. v. Chr.) die Aeneis auch durchgehend im daktylischen Hexameter und gab ihm seine endgültige Form.8

Die Szene beginnt zunächst in den Versen 173-174 mit einer kurzen, allgemeinen Vorstellung der Fama. Bereits mit dem ersten Wort extemplo veranschaulicht Vergil, dass eine Schnelligkeit die Eigenschaften der Fama bestimmt. Hier verleiht auch gleich der eindringliche Spondeus zum Versbeginn diesem Wort mehr Bedeutung, da die folgenden Verse den Leser emotional mit Eile und Schrecken konfrontieren. Durch das Hyperbaton in magnas it Fama per urbes, das gleichzeitig auch als abbildende Wortstellung aufgefasst werden kann, wird verdeutlicht, wie „das Gerücht“ durch die Städte geht. Fama nimmt sehr viel Platz ein und spaltet große Städte. Vergil benutzt urbes im Plural (Pluralis Maiestatis) , um nochmals auf die Größe Karthagos hinzuweisen, die dennoch von der Fama zerstört wird. Dabei wird auch das Wort Libyae an die zweite Stelle des Verses geschoben, so dass Spannung beim Leser erzeugt wird. Denn es wird noch nicht deutlich, wer Fama ist und was sie erzählt. Aber schon hier benutzt Vergil die Personifizierung durch das Verb it. Er bindet somit „Gerücht“ und Mensch aneinander, da Fama ohne den Menschen nicht existieren kann.

Im folgenden Vers wird das Wort Fama wiederholt und sogar an den Anfang des Verses gesetzt, um ihr noch mehr Bedeutung zu verleihen. Der Vers leitet die Begründung für das Urteil ein, das Vergil mit den Worten malum qua non aluid velocius ullum festsetzt. Hier wird durch den Gleichklang des Homoioteleutons auf - um deutlich, dass sich dem Leser ein unnatürliches Wesen oder Geschehen erschließen wird. Malum und ullum umklammern wiederum als Hyperbaton den Satzinhalt, denn kein Wesen ist schneller als sie. 9 So umfassend und einnehmend ist Fama, die Vergil als „bösartige Erscheinung“malum kennzeichnet .10 Die Verse 175- 190 befassen sich mit dem Verhalten, der Herkunft und dem Aussehen der Fama. Durch ihre Beweglichkeit mobilitate und das Umhergehen eundo strömen Kräfte in Vers 175 „dem Grücht“ zu, die durch die Anfangs- bzw.

Endstellung im Vers betont werden. Dadurch, dass viget und viris(que) nebeneinander stehen, wird die sich bündelnde Kraft hervorgehoben. Auch die Alliteration auf v bekräftigt in erster Linie den Ausdruck von Energie. Sekundär lässt sich erkennen, dass die Inhalte der beiden Satzteile identisch sind und somit auch als Hendiadyoin aufgefasst werden können. Durch Bewegung und das Umhergehen ist sie stark und erwirbt sich Stärke. Beide Handlungen sind also gleichrangig und überkreuzen sich. Die langatmige Kraftentwicklung der Fama hebt sich aber auch durch die Synaloephe virisque adquirit hervor, die durch die drei Spondeen nochmals betont wird. Dadurch verleiht Vergil den Worten noch mehr Nachdruck. Der Vers 176 befasst sich darauf näher mit Fama und ihren Kräfte: Zunächst ist sie aus Furcht klein. Dass diese Furcht auch nur gering zu bewerten ist, veranschaulicht die abbildende Wortstellung bzw. das Hyperbaton parvametuprimo. Die harte, „umklammernde“ Alliteration auf -p stellt die Furcht metu in den Hintergrund. Denn bald darauf hebt sie sich nach einer Zäsur (Penthemimers) erschreckend schnell in die Lüfte empor moxsese attollit in auras. Dieses schwungvolle Aufsteigen wird nochmals durch die weiche Alliteration auf a und die Synaloephe sese attollit untermalt. Vergil verdeutlicht, dass Gerüchte zunächst aus Ungewissheit klein sind.

Mit der Weitergabe schwindet jedoch die Wahrheit der Aussagen, so dass sie ins Unermessliche wachsen können und unkontrolliert weitergegeben werden. Die Fama ist auch ein Wesen, dass sich in die Höhe erhebt und am Boden einhergeht, wie es der folgende Vers 177 zeigt: Diese Aussage scheint durch das Enjambement hervorgehoben zu werden, da es eine schnelle Mitteilung in eine m Atemzug ermöglicht. So stehen Auras und ingreditur durch den Zeilensprung (176- 177) nebeneinander. Der Gang am Boden und das Wachsen in die Höhe geschehen gleichzeitig. In einem Atemzug wird der Inhalt zum Geschehen, denn nun befindet sich schon der Kopf der Fama zwischen den Wolken. 11 Dies verdeutlicht die Synaloephe solo et, denn alles passiert unverständlich schnell. Sogar die Wolken werden durch das Hyperbaton bzw. durch die abbildende Wortstellung zwischen caput und condit eingeengt und kleiner - Fama nimmt unermessliche Formen an. Die Verse 178- 183 gehen im folgenden auf ihre Genealogie und ihr Aussehen ein; Vergil hält somit nach der schrecklichen Vorstellung inne: Fama wurde im Zorn der Mutter Erde geboren, da ihre anderen Kinder Coeus (Titan) und Enceladus (Gigant) von den Göttern des Olymps niedergekämpft wurden (Vers 178- 179).12 Somit hat auch „das Ungeheuer Fama“ eine natürliche Abstammung und Erklärung.13 Nach einer kurzen inhaltlichen Zäsur (Penthemimeres) erwähnt Vergil den Zorn der Mutter Erde (Vers 178) ira inritata, den die Alliteration auf i sowie durch das Homoioteleuton auf -a hervorheben. Die Synaloephe der beiden Vokale - i und -a in der Metrik ziehen Zorn und Erregung noch enger zusammen, wodurch eine Ballung der Wut hervorgerufen wird. Hier tritt eine Wiederholung des i- Vokals ein, der die giftige Wut der Mutter Erde sehr gut reflektiert.

Aber auch das illam am Anfang des Verses 178 greift eindringlich auf die Fama zurück, die als Schwester für Coeus (Titan) und Enceladus (Gigant) geboren wird.14 Beide Begriffe illam und sororem umschließen den Versinhalt, und bedeuten, dass Fama den Zorn ihrer Mutter für ihre gefallenen Geschwister ebenso in sich trägt (abbildende Wortstellung). Dabei werden Coeo Encaladoque durch die Synaloephe in der Metrik zusammengezogen, so dass Titanen- und Gigantengenerationen eins werden. Somit verstärkt sich der Hass auf Jupiter/Zeus, der in den Kämpfen als Sieger hervorging und den „das Gerücht“ immer in sich trägt. Fama ist selbst zu einer Gigantin geworden. Des Weiteren versucht Vergil seine Mythoserfindung durch das ut perhibent, das den Vers unterbricht, noch mehr der natürlichen Abstammung uns Erschaffung anzugleichen. Diese eigenständige Aussage unterstützt er durch die Umklammerung von ut perhibent durch zwei Zäsuren (Trithemineres und Hephtemineres).15 Denn Fama bekommt in den folgenden Versen 180- 185 ein Aussehen, das als eine wohl atemberaubende Allegorie und Pesonifizierung aufgefasst werden muss: Schon der Zeilensprung zwischen den Versen 180- 179 bewirkt, dass der Text an Dynamik und einer langhaltigen Beschreibung gewinnt. Der Versanfang betont progenuit, und mit welchem Aussehen Fama geboren wurde. Progenuit bezieht sich so auf beide Verse. Die hart klingende Alliteration auf -p bei progenuit pedibus pernicibus untermalt das grauenhafte Antliz. Fama hat viele Füße und Flügel, mit denen sie schnell ist. Diese werden vor allem durch das Homoioteleuton auf -bus hervorgehoben, und können sofort vom Leser zur Kennzeichnung der Fama aufgenommen werden. Celerem steht hier in der Versmitte und verdeutlicht, dass sowohl Füße als auch Flügel schnell sind. Asyndetisch reiht Vergil noch mehr Kennzeichen einander an und benutzt erst zum Ende des Verses 181 ein Verb, um die Vielfältigkeit ihres Wesen zu betonen. Fama ist ein ungeheuerliches und riesiges Scheusal monstrum horrendum, ingens, das durch die Wortstellung am Versanfang und durch das Homoioteleuton auf -um in den Vordergrund gestellt wird. 16 Ihre wahnsinnige Größe ingens hebt die Umklammerung der Zäsuren Trithemimeres und Hephtemimeres hervor. Dazu bedecken viele Federn Fama, wobei plumae am Ende des Verses steht, um noch mehr sowohl die Spannung des Lesers zu erhöhen, als auch die Federanzahl quot zu betonen. Auch in den nächsten beiden Versen 182/183 greift Vergil wieder Asyndeta auf (Andeutung von Hektik, unendlicher Vielfalt). So viele wachsame Augen besitzt sie, wobei die Anapher tot ihre Vielfalt und Unbestimmbarkeit nur noch mehr untermauert. Und so endet Vers 182 mit Worten, die den Leser wohl direkt ansprechen: - mirabile dictu -. Denn alles Geschehene und alles, was noch in Zukunft geschieht, kann der Mensch nur schwer begreifen. Vergil setzt hier ein Pausenzeichen, um den Leser eine Vorbereitungszeit für das zu geben, was im nächsten Vers ge schehen wird: In Vers 183 erwähnt Vergil, dass unzählbar viele Münder und Zungen ertönen. Aber auch die vielen Ohren spitzt sie. Die Vokalvielfalt - o spiegelt die dunkle, böse Situation wider. Damit entsteht aus „dem Gerücht“ eine eigenständige Persönlichkeit, die sich dauernd verändert. Fama nimmt für sich Personen ein und wird größer. Rhythmus und Klang unterstreichen hier ihre Grauenhaftigkeit. Vergil ist somit zu einem Höhepunkt der Famadarstellung gelangt, aber noch immer weiß der Leser über den Inhalt „des Gerüchts“ nichts.

In den nächsten Versen 184- 190 erfährt man mehr über das Verhalten der Fama, die in der Nacht zwischen Himmel und Erde fliegt. Die Tageszeit nocte wird durch die Wortstellung am Versanfang des Verses 184 betont und bildet mit dem Versanfang des Verses186 luce eine Antithetik. Diese macht den Leser darauf aufmerksam, dass etwas Ungewöhnliches geschieht. Denn im Gegensatz zu den Menschen sitzt die Fama bei Tage und fliegt in der Nacht. Die abbildende Wortstellung caeli medio terraeque (Vers 184) veranschaulicht bildlich die Flugweise der Fama, denn Himmel und Erde liegen genau zwischen ihr (medio). Das Enjambement der Verse 184/ 185 betont das Zischen durch die Finsternis per umbam stridens. Fama ist wie ein Pfeilschuss.17 Vergil macht deutlich, dass Fama nie schläft (Vers 185), denn das nec schließt diese Möglichkeit sofort aus. Der Klang der vier Spondeen unterstützen ihre Willensstärke und innere Ausgeglichenheit, obwohl sie nicht schläft.

Auch die Verse 186/187 verbindet ein Enjambement miteinander. Dadurch treten besonders tecti (186) und turribus (187) ins Auge des Lesers, denn Fama thront sowohl auf den Dächern der Bürger culmine tecti und auf den Türmen der Adligen. Dadurch wird deutlich, dass „das Gerücht“ sich an alle Menschen wendet. Der Vers 187 zeigt aber auch, dass Fama als Ergebnis ihrer Überwachung aus der Höhe die Städte (Karthago) erschreckt. Mit einem Penthemimeres macht Vergil eine inhaltliche Pause, um dann durch das Hyperbaton bzw. durch die abbildende Wortstellung magnas territat urbes die großen entzweiten Städte zu untermalen. Sinnbildlich „steht“Fama „in der Mitte“ und verbreitet Schrecken.18

Der Vers 188 offenbart das doppelte Gesicht des „Gerüchts“, das Lügen mit Wahrheit mischt. Bewusst stellt Vergil ficti pravique nebeneinander und hebt sie durch das Homoioteleuton auf -i hervor. Denn Lügen und erfundene Geschichten stehen immer in einer engen Beziehung zueinander. Fama ist so gierig auf Erfundenes und Verkehrtes wie auf Wahrheit.19 Sie erfüllt die Völker schon damals im vielfachen Gespräch und findet dabei Befriedigung, indem sie Geschehenes und Ungeschehenes besingt (Vers 189- 190). Auch hier zeigt Vergil eine hohe Sensibilität für die Textgestaltung, denn er betont die Völker populos, die von dem Gespräch multiplici sermone umschlossen werden. Durch diese abbildende Wortstellung bzw. durch das Hyperbaton wird deutlich, dass die Menschen sich völlig den Gesprächen und Gerüchten hingeben. Durch die Synaloephe tum multiplici spiegelt Vergil die Eile des Gespräches wider. Er macht auch den Leser zum Bestandteil der Unterredungen, weil Fama die Textvorlage völlig bestimmt und der Leser im Angesicht des ungewöhnlichen Schreckens ein tragisches Ende erwartet. Aber auch der Klang der Daktylen ist in diesem Vers eine Untermalung, der die Schnelligkeit des Vorgangs widerspiegelt.

Das Imperfekt in replebat (189) und canebat (190) betont die andauernden, wiederholten Gespräche (Personifizierung), die „das Gerücht“ erfreuen: Durch das Enjambement der Verse 189 und 190 werden alle Reaktionen der Fama auf eine Stufe gestellt, denn während die Menschen von ihr sprechen, freut sie sich gleichzeitig und erzählt Realität und Fiktion. Nochmals heben die beiden Synaloephen und das Homoioteleuton auf -a das Mischen von Geschehenem und Ungeschehenem facta atque infecta hervor. Denn nach diesen schnellen, umfassenden Schilderungen erreicht der Leser den „Inhalt“ der Fama, von dem man nicht wissen kann, was wahr oder erlogen ist. In den letzten Versen 191- 194 erzählt Vergil von dem Inhalt des „Gerüchtes“. Somit kann die Textvorlage als eine umfassende Klimax empfunden werden, die Spannung erzeugt und deren Ende von großer Bedeutung sein muss.

Vergil benutzt angemessen für diese Verse indirekte Rede: Aeneas sei gekommen, Dido wolle ihn heiraten. Auch hier wird die Windeseile des „Gerüchtes“ durch eine Synaloephe venisse Aenean am Versanfang 191 betont. Die vier Spondeen (Venisse Aenean Troiano) stellen Aeneas in den Vordergrund des letzten Verses. Denn Fama ist über die Vereinigung von Dido und Aeneas nicht erfreut (inmemores turpi). Im nächsten Vers erwähnt Fama, dass die schöne Dido ihn heiraten wolle. Diese einnehmende, bedingungslose Liebe veranschaulicht die abbildende Wortstellung pulchra Dido. Ihre unbeschreibliche, aufopfernde Liebe bestimmt die Bindung zu Aeneas.

Des Weiteren erwähnt Fama, dass sie auch den Winter unter sich allein und verliebt verbringen würden. Durch den Versanfang nunc hebt Vergil die Aktualität des Gerüchtes hervor, das sich schnell verbreitet (hat). Diese Schnelligkeit betont nochmals die Synaloephe hiemem inter. Erst nach einem Hephtemimeres fügt Vergil quam longa an, wodurch deutlich wird, dass diese Aussage ungewiss ist. Denn der folgende Winter wird nicht lang sein, da Dido und Aeneas sich trennen werden. Schon wieder machen ein Enjambement (193-194) und die Synaloephe bei regnorum inmemores deutlich, dass sich durch die schnelle Verbreitung des Gerüchtes auch Wahrheit mit Lügen mischen. Der Versanfang betont regnorum, da angeblich sowohl Dido als auc h Aeneas ihre herrschaftlichen Pflichten nicht berücksichtigen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da Aeneas sich im weiteren Verlauf der Aeneis dem Schicksal fügt, um Rom zu gründen. Dabei wird turpi in die Versmitte gesetzt, um anzudeuten, dass sowohl ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber Volk bzw. Schicksal und ihre Leidenschaft schändlich sind. Somit entspricht aber auch cupidine captos nicht der Wahrheit, da Aeneas sich von Dido trennt und sie verlässt. 20

3.2 Deutung des Textes

Vergil hat mit seiner grotesken Darstellung, die als eine große Personifizierung und Allegorie aufgefasst werden muss, eine erschreckend unheimliche Fama erschaffen, die im Zusammenhang als Gerücht fungiert. Durch die Synaloephen, den Rhythmus und die Zeilensprünge gestaltete Vergil ausdrucksstark die mächtige und einnehmende Dynamik der schrecklichen Fama. Diese Unglaublichkeit und die damit verbundene Tragik hebt Vergil auf emotionaler Ebene hervor. Fama darf jedoch nicht einseitig interpretiert werden, obwohl sie in der Textstelle grausam dargestellt wird. Fama hat ein doppeltes Gesicht.

Textstellen zuvor bezeugen, dass Fama zunächst als guter Ruf Bestandteil von Dido ist. Auch ihr Sinn für pudor (Ehre und Scham) begeistert das Volk. Fama unterstützt hier ihr Ansehen und ihre amtlichen Aufgaben.21 Dies ändert sich jedoch mit der beginnenden Liebe zu Aeneas. Denn als Dido und Aeneas in der Höhle sind und heiraten, vernachlässigen sie ihre Aufgaben. Dido vernachlässigt ihre amtlichen Aufgaben als Königin und ihren Ruf (Fama), so dass ihr öffentliches Ansehen sinkt. Aeneas vergisst, dass er eine Stadt gründen muss. Darauf verliert Dido ihre positive Fama, die nun als „als unentrinnbar wachsende dämonische Macht“ die Menschen erfüllt und zur Katastrophe führt.22 Merkur erinnert Aeneas an sein Schicksal, worauf dieser zur Weiterfahrt aufbricht. Dido begeht Selbstmord. Fama ist somit ein Wesen, dass nicht grundsätzlich böse ist. Vergils Famadarstellung ist zwar erschreckend und grausam, aber Fama handelt grundsätzlich in einer guten Absicht. Als Auslöser sorgt sie dafür, dass Aeneas schließlich aufbricht, um Rom zu gründen. Dieser Aspekt scheint Vergil wohl am wichtigsten zu sein. Dido vergisst ihre Fama, ihr Pudor (Sittsamkeit, Ehre) und die Treue zu ihrem verstorbenen Gatten23. Deshalb wird sie bestraft. Es wird einerseits deutlich, dass das doppelte Gesicht der Fama sich in der vorliegenden Textvorlage zu einer gewaltigen, bösen Macht entwickelt hat. Andererseits ist Fama zu einem Spiegelbild des Volkes geworden, das Dido vernachlässigt hat.

Allgemein betrachtet ist der Szeneninhalt der Famadarstellung zwar vom umliegenden Geschehen getrennt (Ekphrasis), hat aber somit funktional eine um so wichtigere Bedeutung für die Aeneis.

4.0 Vergleich mit Ovids Famadarstellung

Ovids Fama ist fast gestaltlos, sie sitzt fest an ihrem Ort und hat eine unendlich weite Seh- und Hörkraft (Vers 42: inspicitur, ... vox omnis ad aures), und wirkt daher weniger bedrohlich. Während der überall gegenwärtige Aufenthaltsort der Fama bei Ovid Tag und Nacht offen ist (Vers 46: nocte dieque patet), bezieht sich Vergil auf die Fama als Person selbst (Vers 184: nocte volat / Vers 186: luce sedet). Alles was Vergil auf Fama selbst überträgt, allegorisiert Ovid mit der Beschreibung des Ortes.24 Ovid löst dabei sogar Leicht gläubigkeit Credulitas und Irrtum error ( Vers 59 ) von Fama, wodurch er im Vergleich zu Vergil nicht die groteske, wachsende, dämonische Darstellung erreicht.25 Ihm geht es lediglich um die schlechte Nachricht, dass die griechischen Flotten wieder zum Schrecken der Trojaner aufgebrochen sind.26

Als Kernunterschied beider Famadarstellungen sticht also besonders die Art der Übertragung der Metapher hervor: Denn während Vergil ihr großartigesAussehen und Wesen spitzfindig beschreibt (Vers 181: monstrum horrendum, ingens) allegorisiert Ovid Fama lediglich durch den Ort, den sie bewohnt (Vers 43: Fama tenet). Dabei spielt Ovid in seiner Ortdarstellung (Verse 39 und 40) teilweise auch auf das Verhalten von Fama bei Vergil an (Vers 184: caeli medio terraeque). Als Herrin des offenen Hauses ermöglicht Fama die Gespräche (Vers 45: et mullis inclusit limina portis), in dem sich Lüge und Wahrheit mischen (Vers 55: rumorum).27 Auch ihre Wachsamkeit ist eine typische Eigenschaft in beiden Texten.

5.0 Vergleich mit der Lit hographie „Das Gerücht“ (1943) von A. Paul Weber

Der Künstler und Zeitkritiker Andreas Paul Weber wurde am 01.11.1893 in Arnstadt geboren und starb am 09.11.1980 in Ratzeburg. 1937 inhaftierte man ihn wegen seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.28 Der kritische Künstler wurde vor allem durch seine Karikaturen berühmt, und seine Werke werden noch nach seinem Tode im Weber- Haus ausgestellt.29

In seiner Lithographie fliegt das „Gerücht“ als ein „schlangenartiges Wesen“ vom rechten, oberen Bildviertel diagonal in das linke, untere Bildviertel, wodurch er die Raumwirkung unterstützt.30 Fama wird hier von zwei Hochhaüsern umgeben. Während das Hochhaus am rechten Bildrand sich als Senkrechte von der Dunkelheit und den „fliegenden Menschenmassen“ abhebt, geht das Hochhaus auf der linken Bildhälfte beginnend, in der „Menschenmasse“ unter. Aus den vielen Fenstern strecken die „Menschen“ ihre Köpfe, wobei die „Menschen“ in dem oberen Bildviertel schon aus den Fenstern stürzen, in der Luft schweben und sich dem „Gerücht“ anhängen. Dass es sich hierbei um eine Karikatur handelt, erkennt man an den Kopfdarstellungen. Weber verformt die „Menschen“ zu Tieren: Sie besitzen Hörner, Schnäbel, Schwänze, spitze Nasen oder riesige Ohren.

Das Hauptmotiv der Lithographie, das „Gerücht“, dessen schlangenartiger Körper aus vielen Zungen und Augen besteht und die „Menschen“ im oberen, rechten Bildviertel einnimmt, besitzt einen Kopf, der von übernatürlichen Formen geprägt ist. Zwei große, spitze Ohren, eine lange - an Pinocchio erinnernde - Lügennase, eine spitze Zunge und ein langer Mund bis zum Hals bestimmen den Kopf. Die Augen werden durch eine große „Kurzsichtigenbrille“ verdeckt31. Diese deutet darauf hin, dass das „Gerücht“ ohne Brille nur verzerrt sehen könnte. Hinter dieser Brille steckt also ein Wesen, dass unfähig ist, Dinge zu ergründen.

Im Vergleich mit Vergil übertreibt Weber in seiner Menschendarstellung, die bei Vergil nur eine untergeordnete Rolle spielt (Vers 189: multiplicipopulossermone replebat). Denn bei Vergil erfüllt Fama die Menschen, während die Bildvorlage ein Gerücht zeigt, dass durch die animalischen „Menschen“ erfüllt wird. Doch Webers grotesker Gerüchtsdämon weist auch zahlreiche Parallelen zur vergilischen Fama auf, so dass man davon ausgehen muss, dass auch Weber sich mit ihr beschäftigte. Der Dämon erscheint auch in der Lithographie als ein riesiges, unmenschlich großes Ungeheuer (vgl. Vers 181: monstrum horrendum, ingens), das aber im Gegensatz zu Vergil keine Federn besitzt (vgl. Vers 181: corpore plumae), aber trotzdem fliegt.

Beide Fama darstellungen haben viele Zungen (vgl. Vers 183: linguae) und Augen (vgl. Vers 182: vigiles oculi). Vergils Fama hat zwar keinen Kopf, aber Weber wählt hier vermutlich eine recht gute Personifizierung: Spitze Ohren (vgl. Vers 183: subrigit auris) schmücken den Kopf, die Brille verstärkt den Blick. Die überdimensionalen Gesichtsmerkmale ermöglichen dem „Gerücht“ die Aufnahme von allen Informationen. Dadurch, dass das „Gerücht“ die „Menschen“ wächst, zeigt Weber, dass verschiedene Meinungen und Ansichten das Gerücht im Fliegen vergrößern. Diese Karikaturen stehen hier als Vertreter von Wahrheit und Lüge, die sich in dem „Gerücht“ mischen. Sie sind kleinteilige Informationsträger ohne Realitätsbezug. Bei Vergil geschieht diese Mischung jedoch aktiv (vgl. Vers 190: facta atque infecta canebat). Weber hat Fama in dem Moment aufgegriffen, als sie durch die Stadt fliegt (vgl. Vers 173: it Fama per urbes). Dies macht sie in der Mitte zwischen Himmel und Erde (vgl. 184: volat caeli edio terraeque). Grundsätzlich personifizieren Vergil und Weber Fama in ähnlicher Art und Weise; aber Kernunterschied beider Allegorien ist ihre jeweilige Aussage: Vergil interpretiert Fama als Wesen mit doppeltem Gesicht, da sie zwar auf grausame Weise Dido und Aeneas trennt, aber indirekt Aeneas dazubringt, nach Italien zu reisen, um Rom zu gründen. Fama erinnert beide Personen an ihre Pflichten, bringt ihnen die „Realität“. Die Darstellung von Paul Weber berührt zwar auch, wie Vergil, durch seine unfassbare Darstellung die Emotionen des Betrachters, übernimmt jedoch nicht die gespaltene Persönlichkeit der Fama.32 Die Lithographie erscheint als eine schreckliche, witzige Allegorie des Gerüchtes. Fama wurde und konnte im Vergleich mit Vergil nicht in einen „Kontext“ eingeordnet werden, der sie als rechtfertigende Persönlichkeit darstellt. Das „Gerücht“ hat bei Weber nicht die Bedeutung der Wahrheit, indem sie wie Fama die Fehler von Dido und Aeneas wiedergibt. Weber beabsichtigte vielmehr das Wachsen eines „Gerüchtes“ zu personifizieren, um an den Betrachter zu appellieren.

Der Betrachter sollte in dem „Gerücht“ die bestehende, schädigende und verkannte Gefahr eines sich schnell potenzierenden Gerüchtes (Mischung von Wahrheit und Lüge) erkennen. Das „Gerücht“ beeinflusst die Menschen, macht sie unmündig, charakterlos und auch lächerlich.

5.1 Interpretation der eigenen Bilddarstellung

(„Fama“ (2001), Pastell- Ölkreide: 49,7 * 69,1 cm)

Im geometrischen Mittelpunkt des Bildes liegt die abstrahierte Erde, die von den Armen (geschlossene, zentrale Kreiskomposition) der Fama umrahmt wird. Das obere Drittel des Bildes bestimmt die Gestalt der Fama, die mit unnatürlich großen, spitzen Ohren (vgl. Vers 183: subrigit auris), einer großen Nase, zahlreichen Augen in den Haaren (vgl. Vers 182: vigiles oculi) und Federflügeln (vgl. Vers 181: corpore plumae) über das Geschehen wacht. Sie besitzt am rechten Arm eine Kralle und am linken eine Menschenhand. Das untere Drittel des Bildes stellt die Münder und Zungen dar (vgl. Vers 183: totlinguae, totidem ora sonant), die sich im hängenden Gewand der Fama befinden.

Um auf die natürliche, erdverbundene Genealogie (vgl. Vers 178- 179) hinzuweisen, gestaltete ich das Bild ausschließlich in schwarzen, braunen und gelben Farbtönen. Fama ist hier ein riesiges Ungeheuer (vgl. Vers 181: monstrum horrendum, ingens), das durch seine Haltung göttliche Züge aufnimmt. So umfasst Fama die gesamte Welt und das Universum. Diese werden in Anspielung auf die Aeneis von dem Gerücht (siehe: lateinischer Text auf den Armen) beeinflusst. Fama wirkt beim ersten Anblick nur leicht bedrohlich (siehe Mimik), aber ihre schlechten Auswirkungen auf der Erde sind anhand der Trümmerstadt (schwarze Konturen) zu erkennen (vgl. Vers 187: magnas territat urbes). Dabei verschwimmen die Konturen der Stadt mit den Kontinenten (siehe: Erdkugel) und werden durch die Linien mit Fama verbunden. Damit möchte ich ausdrücken, dass Fama ihre zerstörende Kraft weltweit verbreitet. Ich entwarf Fama mit einer Menschenhand, um zu zeigen, dass Fama in der Aeneis ursprünglich von einem Menschen stammt (vgl. Dido) und in einer engen, abhängigen Beziehung mit den Menschen steht. Ihre Kralle ist eine Anspielung auf ihre Fähigkeit auf Dächern zu sitzen (vgl. Vers 184/ 186). Fama ist in meiner Darstellung zu einer zu einer Art überragender, göttlicher Dämon geworden. Dabei habe ich zwar nicht aktiv ihren Wachstumsprozess dargestellt (vgl. Vers 175: virisque adquirit eundo), sondern ihren Körper in den Hintergrund einfließen lassen, um auf ihre unendliche Dimension hinzuweisen. In meinem Bild habe ich Vergils Kernaussage so umgesetzt, dass Fama schon zur unsterblichen Macht wird. Fama bestimmt die Erde durch ihr doppeltes Gesicht. Sie verkörpert Ruhm und Ehre, verhält sich aber grausam (s. Weltdarstellung). Vergils Auffassung der Schnelligkeit habe ich in grenzenlose Unendlichkeit umgewandelt.

6.0 Schlussbeobachtung

Vergil hat in seiner Famadarstellung ein zunächst schreckliches, dämonisches Wesen erschaffen, dass sich - zu meinem Erstaunen - erst in Anbetracht des Kontextes von einer guten Seite zeigt. Fama ist ein Gerücht, dass zeigen soll, wie wichtig die öffentliche Meinung ist, die Didos Ansehen bestimmt. Denn mit der Liebe zu Aeneas entweicht die „gute Fama “ von Dido und entwickelt sich zu einem ungeheuerlichen, bösen Wesen.

Während meiner Arbeit an und mit dem Text habe ich festgestellt, dass Vergil nichts willkürlich oder unüberlegt geschrieben hat. Fama wird durch Wortwahl, Metrum und den zahlreichen Stilmitteln zu einer schrecklichen, begreifbaren Person, die dennoch in ihrem Ausmaß dem menschlichen Vorstellungsvermögen unvorstellbar bleibt. Mir ist bewusst geworden, dass ein gutes Textverständnis nicht nur durch Lesen allein zu erzielen ist. Erst eine genaue Textuntersuchung ermöglicht den eindringlichsten Zugang zur Textaussage.

Auch Ovid hat mit seiner Metapher eine gute Verkörperung des Gerüchtes gewählt, die jedoch nicht so dramatisch wie Vergils lebendige Darstellung ist. Ovid ist es gelungen, dem Gerücht einen allgemein gegenwärtigen Raum zu geben, der jedoch nicht die Entwicklung der doppelten Bedeutung von Fama wiederspiegeln kann. Begeistert konfrontierte ich mich nochmals im künstlerischen Bereich persönlich mit der Darstellung der Fama. Denn während Weber lediglich die böse Macht des Gerüchtes karikierte, wollte ich mit der Anfertigung eines eigenen Bildes beide Gesichter der Fama - den Ruhm bzw. Ruf und die schreckliche Macht - darstellen.

Dabei habe ich gemerkt wie schwierig es ist, Fama zu erfassen, um der Textstelle von Vergil gerecht zu werden. Doch während meiner gestalterischen Arbeit spürte ich, dass ich mich mit Vergil auf einer noch besseren Weise identifizierte, wobei die Grundlage dieser Identifikation die notwendige Textanalyse war. Dennoch konnte ich besonders durch mein eigenes Bild die Gefühle und Anregungen, die mir Vergil durch seinen Text gegeben hatte, nochmals in mir aufleben lassen und wiedergeben. Dabei war die Malerei für mich ein entscheidendes Medium. Vergils Textpassage lehrt mich auch, bewusster mit Gerüchten im Alltagsleben umzugehen, da man ihren Wahrheitsgehalt und gefährlichen Einfluss nicht abschätzen kann. Somit schuf ich mir mit meiner Facharbeit und dem Bild eine lebenslange, mahnende Erinnerung, die mich bei den Worten „Fama“, „Gerücht“ oder „Ruf“ einholen wird.

[...]


1.Der Kleine Stowasser, Schulwörterbuch/ S.176. München 1980.

2 Ebd., S.177

3 Glücklich, Hans- Joachim: Exempla - Lateinische Texte, Vergil- Aeneis. Göttingen 1994/ 4. Auflage; S. 43, Ü- Vers (178).

4 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 61

5 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Exempla - Lateinische Texte, Vergil - Aeneis“. Göttingen 1994/ 4. Auflage; S. 39

6 Vgl. Kraft, Margarete: „Die Gestalt der Fama bei Vergil - bei Ovid - in europäischer Literatur“, Altsprachlicher Unterricht 1986, Heft 3. S. 25

7 Vgl. Wissowa, Georg: „Paulys Realencyclopädie“ Stuttgart 1894. Band 6, S. 1978

8 Vgl. Halphorn, J.W. und M. Ostwald: Lateinische Metrik. Hrsg. Snell, Bruno und Erbse, Hartmut. Studienhefte zur Altertumswissenschaft. Heft 8. Göttingen 1962. S. 14- 15

9 Diese Textstelle lässt sich auch als abbildende Wortstellung interpretieren, da Fama alles andere durch ihre Dynamik einnimmt.

10 Kraft, Margarete: „Die Gestalt der Fama bei Vergil - bei Ovid - in europäischer Literatur“, Altsprachlicher Unterricht 1986, Heft 3. S. 23

11 (Personifizierung)

12 Vgl. Preisendanz, Karl und Meister, Karl: „P. Vergilius Maro/ Bucolica - Georgica - Aeneis in Auswahl“. Heidelberg 1971/ 4. Auflage. S.249

13 Vgl. ebd., S.249

14 sorrorem wird durch die Stellung am Ende des Verses 179 betont.

15 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 62

16 Vergil greift hier auf Vers 174 zurück, in dem er schon zuvor erwähnte, dass es sich bei Fama um ein schreckliches Unheil handelt malum ullum.

17 Kraft, Margarete: „Die Gestalt der Fama bei Vergil - bei Ovid - in europäischer Literatur“, Altsprachlicher Unterricht 1986, Heft 3. S. 24

18 Somit hat sich der Gang der Fama (vgl. Vers 173 (it)) zum erschreckenden Terror verwandelt (territat).

19 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 62

20 Cupidine captos wird durch die Alliteration auf -c hervorgehoben. Dadurch hebt Fama die umfassende, fesselnde Leidenschaft hervor, die Aeneas und Dido angeblich zusammenhält.

21 Vgl. Kraft, Margarete: „Die Gestalt der Fama bei Vergil - bei Ovid - in europäischer Literatur“, Altsprachlicher Unterricht 1986, Heft 3. S. 25

22 Pöschl, Viktor: „ Die Dichtkunst Virgils. Bild u. Symbol in d. Äneis“. - 3., überarb. U. erw. Aufl. - Berlin, New Yo rk : de Gruyter, 1977. S. 107

23 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 53

24 Vgl. Bömer, Franz: „P. Ovidius Naso, Metamorphosen: Kommentar von Franz Bömer, Buch 12- 13“. Heidelberg 1982. S. 24

25 Vgl. Kraft, Margarete: „Die Gestalt der Fama bei Vergil - bei Ovid - in europäischer Literatur“, Altsprachlicher Unterricht 1986, Heft 3. S. 26

26 Ebd. S. 26

27 Dies ist bei Vergil ein aktiver Vorgang der Fama (vgl.Vers 190: facta atque infecta canebat).

28 Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH/ Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH: „Bertelsmann Neues Lexikon“. Gütersloh 1995/ Band 10. S. 228

29 vgl. Anhang/ Zeitschrift “Der Stern“. S.42

30 Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 62

31 Ebd. S. 62

32 Vgl. Glücklich, Hans- Joachim: „Interpretationen und Unterrichtsvorschläge zu Vergils Aeneis“, Consilia 6, 2. Auflage. Göttingen 1984. S. 63

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Fama- Das Gerücht bei Vergil
Cours
keine
Note
14 Punkte
Auteur
Année
2001
Pages
18
N° de catalogue
V104066
ISBN (ebook)
9783640024384
Taille d'un fichier
379 KB
Langue
allemand
Annotations
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Mots clés
Fama-, Gerücht, Vergil
Citation du texte
Christian Lindemann (Auteur), 2001, Fama- Das Gerücht bei Vergil, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104066

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