Johnny To: Running out of Time
Wer glaubt, er hätte es hier mit einem gewöhnlichen Ballerfilm à la Hollywood chinoise zu tun, täuscht sich gewaltig, denn Running out of Time kommt zwar nicht ohne ein paar obligatorische Knarren aus, aber erschossen wird hier niemand so einfach.
Ein Mann steigt auf ein das Dach eines Gebäudes hoch über Hongkong. In ästhetischen Bildern bewegt sich die Kamera mit und über ihn, und wir warten auf den Sprung, so wie wir ihn bei Wim Wenders als Einstieg gesehen haben, doch er springt nicht. Als dann jemand sagt, es habe sich viel zu schnell ausgebreitet, glauben wir zunächst die sonnenbeschienene Betonwüste unter uns beschrieben, werden aber sogleich aufgeklärt. Es spricht ein Arzt, denn der junge Mann hat nur noch vier Wochen zu leben, die er sich mit Schmerztabletten erträglich machen wird, und ausgebreitet hat sich der Krebs in ihm.
Szenenwechsel. Ein Banküberfall. Ein einziger Mann ist schlauer als alle anderen Polizisten und rettet durch List, Furchtlosigkeit und mit größtmöglichster Coolness einen Haufen Geiseln und bringt nebenher den Bankräuber zur Strecke, etwas, was außer ihm kein anderer seiner Kollegen geschafft hätte, denn die haben fortwährend Organisations- und Intelligenzprobleme.
Somit haben wir die beiden Protagonisten: Den todkranken und somit kaum noch verletzlichen Wah und den Papierkram hassenden Inspektor Sang. Wah, der erkannt hat, daß Sang ein ebenbürtiger Spielpartner für ihn ist, beginnt den Inspektor auf seine Spur zu locken. Mit einem groß angelegten Überfall auf eine Finanzierungsgesellschaft glauben wir in ihm den skrupellosen Gangster zu erkennen, bis sich das Blut am Kopf der Geisel als rote Farbe und die Bombe als Kekspackung entpuppt. Der Film hält uns eine Weile mit spannenden Risikospielchen zwischen Sang und Wah hin, bevor uns das Licht aufgehen darf, daß Wah keinen eigennützigen Gangstercoup plant, sondern seinen Vater rächen will, der bei einem Diamantenraub auf der Strecke geblieben ist. Und dazu braucht er Inspektor Sang. Wah ermöglicht dafür dem Inspektor, den Diamantenhehler Chan „Glatze“ zur Strecke zu bringen, der Diamant wandert - wie sich am Ende zeigen wird - in Wahs Besitz und somit in gute, aber todgeweihte Hände.
Bis Wahs Zeit aber abgelaufen ist, zerstückelt der Film seine Erzählung auf minutenkurze Spannungseinheiten, in denen sich Wah und Sang ein zwar gefährliches, aber amüsantes Katz- und Maus-Spiel liefern, bei dem keiner von beiden verlieren soll. Immer wieder setzten sie sich gegenseitig neue Zeitlimits, in denen einer von beiden eine Aufgabe lösen muß, um ein Stück weiter weg von der Polizeistation und ein Stück näher zur Verhaftung von Chan zu gelangen. Zeit als treibender Faktor des Films erhält einen bitteren Beigeschmack, wenn Wah sich auf der Fluch im Bus neben einer jungen Frau, die er als Kurzzeitgeisel nimmt, als deren Geliebter tarnt, und die beiden nur für einen Moment Zuneigung empfinden. Die Kamera betrachtet das Paar in Zeitlupe von außen für wenige Sekunden, in denen klar wird, daß Wah für ein Liebesglück die Lebenszeit nicht mehr reicht. Er wird diese jung Frau noch einmal treffen, wieder im Bus, und anschließend mit ihr etwas trinken gehen, aber als er mit dem Blut aus seiner Lunge sein Wasserglas rot färbt, müssen sie sich trennen. Sie wird es sein, die nach seinem Tod einen Diamanten um den Hals hängen hat. Unter Inspektor Sangs Namen wird die Krebshilfe für Kinder 20 Tausend Dollar Spende erhalten, ohne das dieser davon weiß. Mit solch menschlichen Zügen bricht der Film mit der Tradition des harten, wenn auch guten Gangsters, der sich üblicherweise nicht mit solch realen Problemen wie Krankheit herumzuschlagen hat. Und auf gleicher Ebene ironisiert er die Figuren der harten Männer der amerikanischen Action-Filme. Inspektor Sang wird von seinen Kollegen für schwul gehalten, und er darf dann tatsächlich Wah einen Kuß geben, als dieser sich als Frau verkleidet. In gleicher Weise bekommt Pulp Fiction sein witziges Zitat, welches angesichts der Trottligkeit von Chan nur mit einem Grinsen aufgenommen werden kann. „Glatze“ Chan von hinten mit einer Narbe über dem Hals gibt Befehle, aber gefangen wird er trotzdem.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Film "Johnny To: Running out of Time"?
Der Film handelt von Wah, einem todkranken Mann, der nur noch vier Wochen zu leben hat, und Inspektor Sang, einem Polizisten, der Papierkram hasst. Wah lockt Sang in ein Katz- und Maus-Spiel, um seinen Vater zu rächen, der bei einem Diamantenraub ums Leben kam. Es geht um Themen wie Zeit, Rache, Menschlichkeit und das Brechen von Klischees.
Was sind die wichtigsten Handlungsstränge im Film?
Die Haupthandlungsstränge sind Wahs Plan, seinen Vater zu rächen, indem er den Diamantenhehler Chan "Glatze" zur Strecke bringt, das Katz- und Maus-Spiel zwischen Wah und Inspektor Sang und Wahs Umgang mit seiner tödlichen Krankheit.
Welche Rolle spielt die Zeit im Film?
Die Zeit ist ein treibender Faktor, da Wah nur noch kurze Zeit zu leben hat. Er und Sang setzen sich gegenseitig Zeitlimits, um Aufgaben zu lösen. Die begrenzte Zeit wird auch in Wahs kurzer Begegnung mit einer jungen Frau thematisiert, bei der deutlich wird, dass ihm die Zeit für eine Beziehung fehlt.
Wie bricht der Film mit den Klischees des Gangsterfilms?
Der Film ironisiert die harten Männer der amerikanischen Action-Filme und gibt den Figuren menschliche Züge. Wah kämpft mit seiner Krankheit, und Inspektor Sang wird von seinen Kollegen für schwul gehalten. Der Film zeigt auch, dass selbst im Gangstermilieu Witz und Menschlichkeit existieren können.
Wer ist Chan "Glatze"?
Chan "Glatze" ist der Diamantenhehler, den Wah zur Strecke bringen will, um den Tod seines Vaters zu rächen. Er wird als trottelig dargestellt und trotz seiner Befehle gefangen genommen.
Wie werden Frauen im Film dargestellt?
Obwohl es nur wenige Frauen mit Sprechrollen gibt, werden sie als präsenter dargestellt als in vielen Hollywood-Filmen. Sie zeigen Stärke und Unabhängigkeit.
Was ist die Botschaft des Films?
Der Film zeigt, dass auch in einem Gangstermilieu mit Witz, Menschlichkeit und unerwarteten Wendungen gearbeitet werden kann. Er bricht mit den traditionellen Klischees des Genres und stellt menschliche Beziehungen und moralische Fragen in den Vordergrund.
- Citation du texte
- Evamarie Pitz (Auteur), 2001, Johnny To - Running out of Time, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104100