Thomas Hobbes und Jean-Jaques Rousseau - Ein Vergleich


Dossier / Travail, 2001

14 Pages, Note: 2,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Thomas Hobbes

3. Jean Jacques Rousseau

4. Thomas Hobbes und Jean Jacques Rousseau im Vergleich

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Aristoteles sah den Menschen als ein politisches Lebewesen (zoon politikon), das von Natur aus in Gemeinschaften lebt. Er unterscheidet zwischen häuslicher und po- litischer Gemeinschaft. Die häusliche Gemeinschaft dient der Erhaltung des natürli- chen Lebens, während die politische eine Gewährleistung des guten Lebens bedeu- tet. Die politische Philosophie der Neuzeit geht auf den Menschen als vor- und unpo- litisches Wesen zurück und fragt, wessen es bedarf, das Zusammenleben mit ande- ren Menschen zu regeln. Im Unterschied zu Aristoteles, der eine natürliche Ungleich- heit der Menschen annimmt, geht die Neuzeit davon aus, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind. Während Aristoteles das gute Leben der Menschen als Zweck des Staates bestimmt, so besteht in der Neuzeit das Ziel, „die Sicherung der indivi- duellen Selbsterhaltung" und „die Sicherung des Friedens" in einer staatlich organi- sierten Form zu gewährleisten (Braun et al. 1998: 118). Ausgehend von einem Ge- dankenexperiment, wird der Mensch in einen Zustand ohne Staat, den Naturzustand, versetzt. In diesem Zustand verhält sich der Mensch frei von allen staatlichen Be- schränkungen und Zwängen. Sein einziges Ziel ist das Streben nach Selbsterhal- tung. Wenn nun aber alle Menschen ohne jegliche Beherrschung nach ihrer Selbst- erhaltung streben, so entsteht eine Situation völliger Unsicherheit und Gefahr. Um nun diesen unangenehmen Zustand zu verlassen und schließlich Sicherheit und Frieden herzustellen, ist eine geregelte, staatliche Form notwendig. Der Übergang vom Naturzustand in den Staatszustand erfolgt nun durch Abschluss eines Vertrages (vgl. Braun et al. 1998: 107ff.).

Ausgehend von der Vertragskonzeption Thomas Hobbes´ in seinem „Leviathan“, werde ich auf die Vertragstheorie von Jean Jacques Rousseau in dessen „Gesellschaftsvertrag“ eingehen, um dann in einem dritten Teil diese beiden Vertragstheorien zu vergleichen. Ich werde die beiden Theorien anhand des Schemas „Naturzustand - Vertrag - Staat“ kritisch durchleuchten. Besondere Aufmerksamkeit lasse ich vor allem den Menschenbildern, die beiden Staatstheorien als Grundlage dienen sowie dem Begriff der Freiheit zukommen.

2. Thomas Hobbes (1588- 1679)

Das Menschenbild, das Hobbes´ Vorstellung vom Naturzustand zu Grunde liegt, zeichnet sich durch eine relative Gleichheit aller Menschen aus: „Die Natur hat die Menschen sowohl hinsichtlich der Körperkräfte wie der Geistesfähigkeiten unterein- ander gleichmäßig begabt; und wenngleich einige mehr Kraft oder Verstand als an- dere besitzen, so ist (...) der Unterschied (...) dennoch nicht so groß, dass der eine sich diesen oder jenen Vorteil versprechen könnte, welchen der andere nicht auch zu erhoffen berechtigt ist“ (Hobbes 1996: 112f). Außerdem stellt sich der Mensch in den Augen von Hobbes sachlich und mechanisch begründet als ein unkommunikativer, stets kriegsbereiter Zeitgenosse dar, erfüllt von ständiger Todesfurcht, welche von einem dominanten Selbsterhaltungstrieb verursacht wird. Anders als bei Aristoteles liegen Konkurrenzdenken, Misstrauen und Ruhmgier in der Natur des Menschen1 und prägen den Alltag im Naturzustand (Hobbes 1996: 115).

Ausgehend von der Gleichheit der menschlichen Fähigkeiten und dem negativen Menschenbild (homo homini lupus) lebt hier jeder Mensch in ständiger Angst um sein Leben und sein Eigentum, denn die Konkurrenz um knappe Güter führt nicht zu der Feststellung der Überlegenheit des einen über den anderen und der Beilegung von Feindseligkeiten durch Abhängigkeit, sondern mündet in dauernder Feindschaft und wechselseitiger Furcht (Nida-Rümlein 1996: 112). Denn es gibt keine Gerechtigkeit, da es keine Gesetze gibt, und kein Eigentum in dem uns bekannten Sinne, da jeder etwas nur solange besitzt, bis ein Stärkerer es ihm wegnimmt. Das Naturrecht ist die Freiheit, alles zu tun, was zur Selbsterhaltung zweckmäßig ist. Diese Freiheit ist je- doch schlicht die Abwesenheit von Hindernissen (Reinhard 1987: 319). Diese Aus- sage entwertet sich selber im Kontext von Hobbes Bild des Naturzustands: „Der Wolfsmensch des Urzustandes bewegt sich im Spannungsfeld von Furcht und Be- gierde, von Macht und Ohnmacht. Nicht Recht oder Unrecht, sondern Macht oder Ohnmacht ist die existentielle Grundfrage der Vorstaatlichkeit“ (Mayer-Tasch 1991: 11).

Da niemand, weder Gesetze noch eine staatliche Ordnung, dem niederen, destrukti- ven Treiben der Menschen Einhalt gebietet, fallen die Menschen übereinander her, um sich gegenseitig auszuplündern, zu unterwerfen und zu töten. Es kommt zu ei- nem „Krieg aller gegen alle“ (Hobbes 1996: 115). Die Folge dieses Krieges ist, „dass es weder Recht noch Unrecht, weder Mein noch Dein gibt; aber auch, dass die To- desfurcht die Menschen friedlich macht“ (Reinhard 1987: 319).

Das Naturrecht, das Recht, welches im Naturzustand herrscht, „ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann“ (Hobbes 1996: 118). Im Gegensatz zum Naturrecht ist das Naturgesetz eine allgemeine Vernunftregel, die gebietet, das eigene Leben zu erhalten (Reinhard 1987: 319). Daraus lassen sich nun zwei natürliche Gesetze ableiten. Nach dem ersten solle jeder Frieden suchen und ihm nachjagen (Hobbes 1996: 119) und nach dem zweiten solle man andere so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte (Hobbes 1996: 119). Wenn diesen Gesetzen Beachtung geschenkt würde, so wäre der Naturzustand bereits überwunden. Es besteht jedoch keine Verbindlichkeit und kein Zwang zur Einhaltung der Gesetze. Sie können nur Gültigkeit erlangen, wenn es eine Staatsgewalt gibt, die für ihre Einhaltung sorgt.

Der Gründung des Staates muss allerdings die Erkenntnis der Menschen vorausge- hen, auf ihre Rechte, ihre Freiheiten zu verzichten und sie in Form eines Vertrages einem Souverän, dem „Leviathan“, zu übertragen (Hobbes 1996: 155), nach dem Hobbes auch sein Hauptwerk von 1651 benannt hat. Dieser ist zwar von den Men- schen autorisiert, kann aber faktisch und rechtlich unabhängig von ihnen regieren, solange er ihnen Sicherheit garantiert. Die Definition des Wesens eines Staates be- schreibt Hobbes wie folgt: „Staat ist eine Person, deren Handlungen eine große Menge Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf dass dies nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende“ (Hobbes 1996: 155f).

3. Jean Jacques Rousseau (1712- 1778)

Der Naturzustand in Rousseaus Gesellschaftsvertrag („Contrat social“) von 1762 zeichnet sich durch die natürliche Freiheit, der Unabhängigkeit der Menschen aus, die aber nur, und auch er steht hiermit im Gegensatz von Aristoteles, auf den fehlen- den sozialen Beziehungen gründet (Rousseau 1998: 36). Körperliche Triebe, in- stinktgelenktes Handeln und mangelnde Sittlichkeit stehen im Vordergrund. Der Mensch hat das Recht auf alles, wonach ihn gelüstet (Rousseau 1998: 22), und so- gar „die Macht anderen zu schaden“ (Rousseau 1998: 36). Dennoch sind alle Men- schen gleichgestellt, ethisch neutral und verfügen über eine unbegrenzte Willens- kraft.

Rousseau schließt in seinem „Diskurs über die Ungleichheit“ aus der moralischen Interpretation des Menschen im Naturzustand sogar, dass nicht der Verstand den Menschen vom Tier unterscheidet, „...als vielmehr seine Eigenschaft ein frei Han- delnder zu sein.“ Das Tier gehorche nur der Natur, „der Mensch empfindet den glei- chen Eindruck, aber er erkennt sich frei, nachzugeben oder zu widerstehen, und vor allem im Bewusstsein dieser Freiheit zeigt sich die Geistigkeit seiner Seele“ (Rous- seau 1990: 101). Die schon erwähnte Freiheit und die Option diese Freiheit auch zu leben, leiten das malerische Bild des Naturzustands. Es ist friedlich, der zwar unge- sellige, aber auch nicht streitbare Mensch existiert glücklich, faktisch wie emotional unabhängig von seinen Mitmenschen und der ebenso wie bei Hobbes vorhandene Selbsterhaltungstrieb wird durch das natürliche Mitgefühl gegenüber seinen Artge- nossen in Grenzen gehalten (Mayer-Tasch 1991: 13f). Die Natürlichkeit des Men- schen ist durch keine Vernunft gebrochen, er ist weder gut noch böse und vorwie- gend mit dem Erhalt und der Sicherung seines eigenen Lebens befasst. Da die Menschen nun aber, durch die Entstehung von Privateigentum (Rousseau 1998: 22), Geldwirtschaft und Arbeitsteilung in soziale Beziehungen miteinander tre- ten, und sich daraus eine Gesellschaft entwickelt, kommt die Gier nach Besitz und Macht auf. Dies beendet die Freiheit des Naturzustands (Zwerger 1988: 170).

Von diesem Zeitpunkt an beginnen die Handlungsmotoren der Menschen, Trieb, Be- gehren und Instinkt eine Gefahr für das Leben und die Freiheit der Menschen zu werden: „Ich unterstelle, dass die Menschen jenen Punkt erreicht haben, an dem die Hindernisse , die ihrem Fortbestand im Naturzustand schaden, in ihrem Widerstand den Sieg davontragen über die Kräfte, die jedes Individuum einsetzen kann, um sich in diesem Zustand zu halten“ (Rousseau 1998: 16). Um den Ungleichheiten entgegenzuwirken, müssen die Menschen eine Form des Zusammenlebens finden, „die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie zuvor“ (Rousseau 1998: 17). Genau das leistet der Gesellschaftsvertrag, durch den jeder sich vollständig der Gemeinschaft übereignet. Da dies durch alle in gleicher Weise geschieht, hat keiner meinschaft übereignet. Da dies durch alle in gleicher Weise geschieht, hat keiner dadurch einen Nachteil. Es entsteht eine Rechtsperson mit gemeinsamem Ich, Leben und Willen - der Souverän. Die entstandene Kollektivperson ist gegenüber sich selbst an keinerlei Gesetz gebunden. Jeder Bürger, wie die einzelnen Mitglieder des Staa- tes heißen, ist mit dem Staat identisch und der Staat kann somit der Gesamtheit sei- ner Angehörigen nie schaden wollen, denn der Gemeinwille (volonté générale) kann sich nicht zu sich selbst im Widerspruch befinden. Hätte er ganz andere Ziele im Au- ge oder etwas würde irrtümlich für das Gemeinwohl gehalten, was den Interessen des Staates widerspricht, so handelt es sich nicht um den Gemeinwillen, sondern um den Gesamtwillen (volonté de tous), der die Summe aller Partikularinteressen dar- stellt (vgl. Reinhard 1987: 342).

Dem Vertragsantritt muss eine Wesensänderung der Menschen vorausgehen, in der sich nun jedes Mitglied aller seiner Rechte für das Gemeinwesen entäußert. Anstelle des Instinkts treten nun die Vernunft und die Gerechtigkeit. Dieser Vertrag sichert den Menschen einen Zustand staatlicher Existenz. Indem die Menschen diesen Ver- trag eingehen, begründen und legitimieren sie auch gleichzeitig den Staat als politi- schen Körper. Die Menschen verzichten auf ihr Naturrecht, gewinnen aber die Garantie der bürgerlichen Freiheit und ihres Eigentums durch den Staat. Der neugebildete Körper stellt den Ausdruck des Gemeinwillens dar. Jeder Mensch muss als Staatsbürger am Gemeinwillen partizipieren und ihm seine Einzelinteressen unterordnen, was auch mit Zwang geschehen kann. Dass heißt, man kann die Menschen zur Freiheit zwingen (Rousseau 1998: 21). Ein nach diesem Prinzip zum Staatsbürger gewordener Mensch ist Untertan und Souverän in einer Person. Die Staatsgewalt ist nicht übertragbar, da nur das Volk als Souverän sie ausübt.

4. Thomas Hobbes und Jean Jacques Rousseau im Vergleich

Wenn man die zeitgeschichtlichen Hintergründe und die Erfahrungen, die Hobbes gemacht hat, betrachtet, so kann man erahnen, was die Entwicklung seines Staats- konzeptes beeinflusst haben könnte. Hobbes, der die Wirren, die Unordnung und die Schrecken eines Bürgerkrieges miterleben musste, geht es „vor allem anderen um das Überleben in Frieden, Ruhe und Ordnung“ (Schwan 1991: 180). Er zeichnet den Menschen als das „räuberischste, klügste, gefährlichste, mächtigste Tier“ (Schwan 1991:182). Auf dieses negative Menschenbild gründet auch seine Staatstheorie der Notwendigkeit einer absoluten Macht zur Friedenssicherung. Rousseau jedoch verur- teilt Hobbes Sichtweise, nach der der Mensch von Natur aus schlecht und böse ist. Rousseaus friedvolles Natur- und Menschenbild sowie seine Vorstellung von einem Gemeinwillen in einer Republik (als res publika) sind sicherlich von seiner kleinbür- gerlichen Herkunft in dem überschaubaren Kleinstaat Genf geprägt.2 Er meint „erst die Gesellschaft bringt den in ihm schlummernden Keim des Bösen zur Entfaltung und ermöglicht so den Amoklauf zur Selbstsucht“ (Mayer-Tasch 1991: 21).

Abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden in der Auffassung über die An- fänge der menschlichen Zivilisation bis zu dem Beginn einer Vergesellschaftung, un- terscheidet sich auch der Freiheitsbegriff von Hobbes und Rousseau entscheidend: Hobbes „Freiheit“ des Menschen beschränkt sich auf das „Recht auf alles“, welches in erster Linie für die Erhaltung des eigenen Lebens einzusetzen ist. Der Mensch ist zwar „frei“ im Sinne des Wortes, doch offerieren ihm die Umstände keine Möglichkeit diese Freiheit zu genießen. Seine Freiheit ist immer durch die Stärke der anderen begrenzt. Im Gegensatz hierzu lebt und genießt Rousseaus Urmensch anfangs un- gestört die Freiheit des friedlichen Lebens. Die Entwicklung der Lebenssituation führt bei Rousseau dann aber doch auch jene Notwendigkeit des Austritts aus dem Natur- zustand herbei, die auch Hobbes in seiner Fiktion verdeutlicht.

So entstehen zur Erhaltung des Lebens und der Freiheit die jeweiligen Staatskon- zepte, und darin findet sich eine weitere Gemeinsamkeit der Denker: „Hier wie dort weist der fundamentale Wille zur Selbsterhaltung den Weg zum Frieden, drängt die Furcht vor wechselseitiger Vernichtung in die schützende Burg der Staatlichkeit“ (Mayer-Tasch 1991: 23). Hobbes macht den Menschen als Wesen fest, das nach Selbsterhaltung strebt. Dieses Streben bleibt im Staatszustand das selbe wie im Na- turzustand; es ändert sich lediglich die Form, in der dies realisiert wird. Der Staat ist dann das Werkzeug, das friedliche Selbsterhaltung sichert. Braun, Heine und Opolka sprechen von einer „instrumentellen Staatsauffassung“. Rousseau dagegen vertritt die These, dass sich der Mensch im Übergang vom Naturzustand in den Staatszu- stand von Grund auf ändere. Über die bloß natürliche Freiheit hinaus erwerbe er eine ganz neue Qualifikation: die politische Freiheit. Das heißt, der Mensch handelt nicht mehr allein als Bourgeois (Wirtschaftsbürger) im Interesse seiner Selbsterhaltung, sondern er stellt sich vielmehr als Citoyen (Staatsbürger) in den Dienst des öffentli- chen Interesses, des Gemeinwohls: Man könnte diese Position als „ethische Staatsauffassung“ bezeichnen (vgl. Braun et al. 1998: 121).

Der Hauptunterschied der beiden Staatskonstruktionen ist offensichtlich: Während der Gesellschafts- bzw. Unterwerfungsvertrag von Hobbes einen absoluten Rechts- verzicht jedes Einzelnen zum Inhalt hat, umfasst der von Rousseau eine moralische Selbstverpflichtung jedes Einzelnen. Rousseau nimmt eine Teilung des Freiheitsbeg- riffs in die beim Verlassen des Naturzustands aufgegebene „natürliche“ und die durch Antritt des Gesellschaftsvertrags neugewonnene „bürgerliche“ Freiheit. Dem gegen- über erreicht Hobbes sein Ziel mit der Gewährleistung der Sicherheit durch die Rechtsübertragung auf den absoluten Herrscher. Laut Hobbes hat sich die natürliche Freiheit als unökonomisch erwiesen und es war daher notwendig daraus Konse- quenzen zu ziehen. In diesem Rechtsverzicht werden nur jene Segmente des Rechts auf alles, der als Recht bestimmten natürlichen Freiheit, aufgegeben, die das friedli- che Zusammenleben der Menschen gefährden. In dem absolutistischen Staatsbild von Hobbes existiert die Freiheit des Bürgers in festgelegten, größtenteils unpoliti- schen Teilen weiter. Die Gesetze dienen im Sinne des Rechtspositivismus dem Schutz der bürgerlichen Sicherheit. Der Bürger hat uneingeschränkte Gedanken- und Glaubensfreiheit und ist autonom in allen gesetzlich nicht geregelten Bereichen: „denn da die Gesetze unmöglich auf alle und jede Handlung ausgedehnt werden können, schreibt man dem Bürger eine Freiheit (...) hinsichtlich derjenigen Handlung zu, über welche die Gesetze nicht bestimmen“ (Hobbes 1996: 189f). Hier zeigt sich die Bedeutung der Teilung des Rechts in Rechte, also in Freiheit , und Gesetze, also in Zwang (Hobbes 1996: 118f). Mit Hilfe dieser Rechtsteilung ermöglicht Hobbes die Sicherung gewisser Freiheiten für den Untertan, die Rousseau im Rahmen seiner bürgerlichen Freiheit nicht mehr als nötig erachtet.

Außerdem sind nach Hobbes die Untertanen dem Souverän nicht wehrlos ausgelie- fert. Im Gegensatz zu Rousseau bietet er dem Bürger trotz der Unterwerfung unter einen autorisierten Herrscher noch ein Widerstandsrecht zum Schutz des Bürgers vor der Willkür eines sich nicht an den Vertrag haltenden Souveräns. Der vertraglich vereinbarte Verzicht auf das „Recht auf alles“ findet seine Grenzen in der Notwendig- keit der Gewährleistung gewisser Komponenten: „Unverzichtbar sind vor allem die (...) Rechtsgüter Freiheit, Leib und Leben“ (Mayer-Tasch 1991: 67). Kann der Souve- rän dieses nicht mehr garantieren oder sichern, so verfällt seine Legitimation und die Bürger haben das Recht ihn zu stürzen.

Diese Möglichkeit bietet sich bei Rousseau schon allein aus der Zusammensetzung des Souveräns nicht. Seine „volonté générale“ ist die Grundlage für eine gemein- schaftliche Verkörperung aller. So schafft „dieser Akt des Zusammenschlusses (...) augenblicklich anstelle der Einzelperson jedes Vertragspartners eine sittliche Ge- samtkörperschaft, die aus ebenso vielen Gliedern besteht, wie die Versammlung Stimmen hat, und die durch eben diesen Akt ihre Einheit, ihr gemeinschaftliches Ich, ihr Leben und ihren Willen erhält“ (Rousseau 1998: 18). Nicht nur die Lebensum- stände haben sich geändert, sondern auch das Wesen des Menschen. Er ist zu sei- ner Vervollkommnung verstümmelt worden, und hat sich zu einem Teil der gemein- samen Körperschaft gewandelt. Für diejenigen, die sich nicht dem Gemeinwillen an- schließen wollen besteht immer noch die Möglichkeit der Auswanderung, da dieses Staatskonzept nur funktionieren kann, wenn sich alle fügen. Spätere Gesinnungsän- derungen nach der Entstehung des Staates mit dem Souverän des Gemeinwillens können ob der Glaubwürdigkeit und der Durchsetzungskraft des Gesellschaftsvertra- ges nicht toleriert werden. Die Menschen müssen im Notfall sogar gezwungen wer- den „frei zu sein“ (Rousseau 1998: 21). Von nun an gibt es kein Zurück mehr. Es be- steht keine Möglichkeit aus dem Gesellschaftsvertrag, wie Rousseau ihn beschreibt, auszubrechen und eventuell in den Naturzustand zurückzukehren, da dieser durch die Evolution unabänderlich zerstört wurde. Durch den Vertrag treten die Individuen ihre Rechte an die Gemeinschaft ab und diese weist ihnen dann wieder Rechte zu. Denn „auf eigene Rechte weiterhin pochen zu wollen, bedeutet den Rückfall in Selbstsucht, Egoismus, Entfremdung, Verderbnis“ (Schwan 1991: 224). Diese Be- weisführung brachte Rousseau auch den Vorwurf des Totalitarismus ein.3 Denn schließlich steht nur die Wahl zwischen dem isolierten Urmenschen des Naturzu- stands oder dem geistig annektierten bürgerlichen Menschen unter völliger Aufgabe des vorherigen Wesens zur Debatte. Dass Rousseau jedoch keine totalitäre Absicht verfolgt, beweist er in dem zweiten Buch des Gesellschaftsvertrages: „Außer der öf- fentlichen Person haben wir aber die Privatperson zu betrachten, die diese bilden und deren Leben und Freiheit von Natur aus von ihr unabhängig sind“ (Rousseau 1998: 32). Er verstrickt sich in seiner Wesensenteignung zugunsten der „volonté générale“, bei dem Versuch eben diese zu relativieren, in einem Widerspruch, für den er gleich folgend die Erklärung vorlegt. Rousseau bestreitet eine wirkliche „Ent- sagung“, da der Mensch durch die Denaturierung seines Wesens nur Vorteile erhal- ten hat und sich und seine Freiheit in Sicherheit genießen kann.4 Doch auch bei Rousseau räumt seinen Bürgern einige Individualrechte, wie z.B. das Stimmrecht: „Die der unumschränkten Souveränität des gemeinen Willens zugrunde liegende Re- duktion der politischen Freiheit auf die Teilhabe an der kollektiven Gesetzgebungsau- tonomie ruht in der Logik unbedingter Wechselseitigkeit“ (Mayer-Tasch 1991: 90).

Wie zuvor ausgeführt begründet Rousseau mit der fehlgeleiteten Entwicklung des Menschen die Entsagungspflicht jeglicher Gedankenfreiheit zu Gunsten der „volonté générale“. Hier gewährt Hobbes dem Bürger mehr Spielraum. Er sieht sogar die Notwendigkeit dem Bürger Gedankenfreiheit zuzugestehen, um „Zielstrebigkeit“ und „Lebhaftigkeit“ des Geistes zu erhalten. „Birgt absolute Selbstbestimmung die Gefahr der Selbstzerfleischung und des Chaos, so impliziert absolute Fremdbestimmung die Gefahr der Lähmung und der Sterilität“ (Mayer-Tasch 1991: 71). Zwar kann man Rousseaus moralische Entsagung nicht als „Fremdbestimmung“ deklarieren, da sich jeder Bürger zu einem Teil selbst mitbestimmt, aber er kann auch die Freiheit der Gedanken mit seiner Theorie nicht mehr zugestehen.

Gemeinsam ist den beiden Theoretikern, dass sie von einem vorstaatlichen, vorrechtlichen Zustand ausgehen, in dem jeder für sich lebt und nur für sich sorgen muss. Außerdem müssen die Menschen erkennen, dass ein Verweilen in diesem Zustand, aus verschiedenen Gründen, nicht möglich ist und dass ein geregeltes Mit- einander der Wohlfahrt und Sicherheit aller am besten diene. Der daraufhin von allen mit allen geschlossene Vertrag steht am Beginn einer sich an seinen Zielen ausrich- tenden Staatlichkeit. Die Mittel der verschiedenen Gesellschaftsverträge variieren zwar von Denker zu Denker erheblich, beiden gemeinsam ist jedoch das Ziel des Friedens und der Sicherheit. An das Erreichen dieser Ziele ist deshalb die Legitimität der staatlichen Herrschaft gebunden.

5. Schluss

Ich habe mich für diese beiden Staatstheoretiker entschieden, weil durch beide je- weils ganz neue Denkansätze und Ideen und damit neue Bewegung in die Diskussi- on politischer Theorien kam. An der Konzeption des Gesellschaftsvertrages von Hob- Hobbes ist - im Vergleich zum Mittelalter - neu, dass die Legitimation der Macht nicht mehr von Gottes Gnade abgeleitet wird, sondern von den Menschen. Er glaubt, „als erster den absoluten Frieden zum Zentrum der Begründung des Staates zu machen, darum auch als erster politisches Wissen als Wissenschaft entwickeln und eine ihr angemessene Methode explizieren zu können“ (Schwan 1991: 180). Die Staatstheorie bis dato hat Hobbes zufolge vor dieser Aufgabe versagt. Allerdings hat er mit seinen Ideen dem Absolutismus eine theoretische Begründung gegeben.

Rousseau dagegen geht als Verfechter der Republik und einer radikalen Demokratie erstmals von der Idee der Volkssouveränität aus, die heute, wenn auch in anderer Form, allen Demokratien zu Grunde liegt. Da in der Republik das Volk nur als Gan- zes und als Einheit den Gemeinwillen zum Ausdruck bringt muss das Volk auch als Ganzes und als Einheit versammelt sein, wenn legitime Gesetze zustande kommen sollen. Diese gesetzgebende Körperschaft und damit zugleich das Staatsoberhaupt ist daher die Volksversammlung als Vollversammlung aller stimmfähiger Bürger. „Das Modell hierfür stellt die kantonale Versammlung des ganzen Volks dar, wie es die Schweiz kannte (und in wenigen Kantonen noch heute kennt) und wie es Rousseau auch in der griechischen Polis gegeben sieht“ (Schwan 1991: 225). Sein Freiheits- begriff und seine Idee einer Demokratie stellen ihn in die Tradition eines liberalen Denkers (Zwerger 1988: 171). Die direkte Demokratie hat im Sinne eines Identitäts- modells ihre Ausprägung im Rätegedanken gefunden, der sich allerdings in der Rea- lität zum Totalitarismus pervertiert hat. Der einer Gewaltenteilung widersprechende Gedanke vom Gemeinwillen mag dazu beigetragen haben.

1 Der Mensch ist lediglich von seinem Privatinteresse geprägt, im Gegensatz zu dem „zoon poitikon“ von Aristoteles empfindet er kein Gemeininteresse.

2 „Kritiker halten dies für eine kleinbürgerlich-idyllische Vorstellung, die schon zu Rousseaus Zeiten anachronistisch (...) war“ (Zwerger 1988: 171).

3 „Zufolge dieses Denkmodells konnten die radikalen Jakobiner die wesentliche Er- rungenschaft der ersten, liberalen Phase der französischen Revolution (...) aufs Spiel setzen und im Namen von Vernunft und Sittlichkeit ihre Schreckensherrschaft errich- ten. Das gleiche Denkmodell hat im Marxismus weitergewirkt und den kommunisti- schen Totalitarismus begründen helfen“ (Schwan 1991: 224).

4 siehe hierzu: „Es ist um so falscher, dass es beim Gesellschaftsvertrag für die ein- zelnen irgendeine wirkliche Entsagung gäbe, als sie sich durch diesen Vertrag in ei- ner der früheren wirklich vorzuziehenden Lage befinden und als sie, statt einer Ent- äußerung, für eine unsichere und schwankende Seinsweise eine bessere und siche- rere eingetauscht haben: für die natürliche Unabhängigkeit die Freiheit, für die Macht, anderen zu Schaden, die eigene Sicherheit, und für ihre Stärke, die die ande- ren übertreffen konnte, ein Recht, das durch die gesellschaftliche Einigung unüber- windlich wird“ (Rousseau 1998: 36).

6. Literaturverzeichnis:

Braun, Eberhard / Heine, Felix / Opolka, Uwe (1998): Politische Philosophie. Ein Lesebuch. Texte, Analysen, Kommentare. Reinbek bei Hamburg.

Hobbes, Thomas (1996): Leviathan. Stuttgart: Reclam.

Mayer-Tasch, Peter Cornelius (1991): Hobbes und Rousseau. Aalen: Scientia.

Nida-Rümlein, Julian (1996): Bellum omnium contra omnes. Konflikttheorie und Naturzustandskonzeption im 13. Kapitel des Leviathan. S.109-130 in: Wolfgang Kerstings (Hrsg.) Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates. Berlin: Akademie.

Reinhard, Wolfgang (1987): Vom italienischen Humanismus bis zum Vorabend der Französischen Revolution. S. 241-378 in: Hans Fenske et al. Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M.: Fischer.

Rousseau, Jean Jacques (1990): Diskurs über die Ungleichheit. Paderborn / München / Wien / Zürich: Schöningh.

Rousseau, Jean Jacques (1998): Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Stuttgart: Reclam.

Schwan, Alexander (1991): Politische Theorien des Rationalismus und der Aufklä- rung. S.157-258 in: Hans-Joachim Liebers (Hrsg.) Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Band 299. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Zwerger, Armin (1988): Kompendium Gemeinschaftskunde. Didaktischer Grundriss zu Böhnert u. a., Gemeinschaftskunde. Paderborn: Schöningh.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Thomas Hobbes und Jean-Jaques Rousseau - Ein Vergleich
Université
University of Constance
Cours
Politische Theorie
Note
2,7
Auteur
Année
2001
Pages
14
N° de catalogue
V104281
ISBN (ebook)
9783640026340
Taille d'un fichier
371 KB
Langue
allemand
Mots clés
Thomas, Hobbes, Jean-Jaques, Rousseau, Vergleich, Politische, Theorie
Citation du texte
Daniel Krupka (Auteur), 2001, Thomas Hobbes und Jean-Jaques Rousseau - Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104281

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