Die Europäische Zentralbank und ihre Maßnahmen in der Coronakrise 2020. Umgang mit der Eurokrise


Bachelorarbeit, 2020

65 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Abstract

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.1 Forschungsfrage
1.2 Aufbau dieser Arbeit

2. Forschungsmethodik

3. Die europäische Zentralbank, EZB
3.1 Die Schaffung der Europäische Zentralbank
3.2 Die Anteilseigner der EZB
3.3 Die Beschlussorgane der EZB: EZB-Rat, der erweiterte Rat und das Direktorium
3.4 Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ihr Mandat
3.4.1 Das Ziel der Preisstabilität
3.4.2 Konkrete Aufgaben der Europäischen Zentralbank zur Umsetzung ihrer Ziele
3.5 Die Instrumente der Geldpolitik der EZB
3.5.1 Mindestreservepolitik
3.5.2 Offenmarktgeschäfte

4. Die Eurokrise
4.1 Finanzierungshilfen und die EZB
4.2 Zinspolitik der EZB
4.2.1 Welche Auswirkung zeigt die Niedrigzinspolitik der EZB?
4.3 Ausweitung der längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte, LTRO
4.4 Security Markets Programme, SMP
4.5 Outright Monetary Transactions Programme, OMT-Programme
4.5.1 Weitere kritische Betrachtung des OMT-Programms
4.5.2 Das OMT-Programme vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof
4.6 Quantiative Easing und das Asset Purchase Programme
4.7 Public Sector Purchase Programme, PSPP
4.7.1 Kritische Betrachtung des PSPP
4.7.2 Gerichtliche Entscheidungen zum PSPP
4.7.3 Reaktionen auf das Urteil vom 5.Mai 2020
4.8 Beurteilung der EZB-Maßnahmen in der Eurokrise
4.9 Nach der Eurokrise

5. Die Coronakrise
5.1 Die wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen der Coronakrise
5.2 Das Pandemic Emergency Purchase Programme der EZB in der Coronakrise
5.2.1 Beurteilung des Pandemic Public Purchase Programmes
5.3 Ausweitung der Longer-Term Refinancing Operations, TLTRO III, PELTRO, LTRO
5.4. Auswirkungen auf die Eurozone unter Betrachtung der geldpolitischen Maßnahmen der EZB in der Coronakrise
5.4.1 Einschätzungen zu weiteren Auswirkungen des Handelns der EZB

6. Ergebnisse
6.1. Interpretation der Ergebnisse

7. Fazit

III Literaturverzeichnis

II Abkürzungsverzeichnis

ABSPP Asset-Backed Securities Purchase Programm

APP Asset Purchase Programme

BIP Bruttoinlandsprodukt

BVerfG Bundesverfassungsgericht

CBPP Covered Bond Purchase Programme

CSPP Corporate Sector Purchase Programme

DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

EFSF Europäische Finanzierungsfaszilität

EFSM Europäischer Finanzierungsstabilitätsmechanismus

ESZB Europäische System der Zentralbanken

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

EUV Vertrag über die europäische Union

EWI Europäisches Währungsinstitut

EZB Europäische Zentralbank

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

HVPI Harmonisierter Verbraucherpreisindex

IFO Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V

LTRO Longer-Term Refinancin Operations

NZB Nationale Zentralbank(en)

OMT Outright Monetary Transactions

PELTRO Pandemic Emergency Longer-Term Refinancing Operations

PEPP Pandemic Emergency Purchase Programme, Pandemic Emergency Purchase Programm, Pandemic Emergency Purchase Programm

PSPP Public Sector Purchase Programme, Public Sector Purchase Programme

QE Quantitative Easing

SARS Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom

SMP Security Markets Programme

SSM Single Supervisory Mechanism

Target 2 Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer System 2

TLTRO Targeted Longer-Term Refinancing Operations

AEUV Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

"Es ist ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt" (Merkel, 2020) sagte Angela Merkel bei einer Fernsehansprache am 18. März 2020 und diese zeigte den Ernst der Lage und formulierte so die Brisanz der Situation. Die Welt wurde zu Beginn des Jahres 2020 von einer Pandemie mit globalen Folgen überrascht. Nachdem Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei gehäuft Lungenentzündungen aufgetreten waren, wurde am 7. Januar 2020 ein eng mit dem SARS-Virus (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom Virus) verwandter Virus erkannt. Von China aus gelangte das Virus zunächst nach Europa, Australien und in die USA. Im Februar 2020 wurde der Erregername Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom Coronavirus-2, kurz SARS-CoV-2 von Experten vorgeschlagen und die Weltgesundheitsorganisation benannte die dadurch ausgelöste Krankheit offiziell COVID-19. (HZI-Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, 2020) Durch die schnelle Ausbreitung veranlasst wurden von Regierungen weltweit Ausgangssperren oder -Beschränkungen, Grenzkontrollen und auch -Schließungen durchgeführt. Für viele Staaten begann ein Kampf gegen die Ausbreitung des Virus und die Folgen der Krise. (BpB-Bundeszentrale für politische Bildung, 2020a) Die Corona- oder Covid-19-Ausbreitung verursachte bisher über 12,4 Millionen Erkrankte und mehr als 559.000 Tote. (Stand 12.Juli 2020) (WHO-World Health Organisation, 2020) In der EU und Großbritannien waren bis zum 10. Juli 2020 1.572.854 Menschen erkrankt und 179.018 an COVID-19 gestorben. (ecdc-European Centre for Disease Prevention and Control, 2020) Einzelne Länder wurden innerhalb der EU sehr unterschiedlich von der Pandemie getroffen. So war beispielsweise vor allem Italien mit mehr als 34.000 Toten und mehr als 240.000 Erkrankten (Stand 30.Juni 2020) besonders stark betroffen, die Abhängigkeit vom Tourismus sorgten und sorgen weiterhin dort für besonders starke Einbrüche der Wirtschaft. (BpB-Bundeszentrale für politische Bildung, 2020b) In Deutschland gab es bis zum 11. Juli 2020 mit 198.566 nachgewiesenen Fällen zwar auch eine hohe Zahl Erkrankter, allerdings mit 9.060 eine vergleichsweise weniger hohe Zahl Verstorbener. (Robert Koch-Institut, 11. Juli 2020) Die Ausbreitung des Virus und dessen Bekämpfung hatte bisher weltweit Auswirkungen auf Wirtschaft, Politik, Religion, Wissenschaft, Kultur und Familie, auf das öffentliche und private Lebend der Menschen, und so zeigt diese globale Katastrophe historische Ausmaße. Die von Staaten verfügten Lockdowns führten zunächst zu weltweiten Kursabstürzen an den Börsen, wirtschaftliche Tätigkeiten wurden sehr umfangreich eingeschränkt oder gestoppt. Die weltweiten Kontakteinschränkungen, welche von zahlreichen Staaten als gutes Mittel gegen eine weitere Ausbreitung des Virus angesehen wurden, lösten eine globale Wirtschaftskrise aus. Die Globalisierung ist ein Grund für weitreichende negative Effekte, die sich in Folge des Lockdowns einstellten. (Berwanger, 2020)

1.1 Forschungsfrage

Die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft innerhalb der EU und des Eurosystems, die dadurch veranlassten geldpolitischen Unternehmungen sowie Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank und deren kritische Betrachtung sind der Kern dieser Arbeit. Die entscheidende Frage lautet: Wie sind die Entscheidungen der europäischen Zentralbank zu bewerten? Der Autor möchte in dieser Arbeit einerseits die angewandten Instrumente samt ihrer Auswirkungen auf die Europäische Union und das Eurosystem vor allem anhand der Eurokrise ab 2012 beleuchten. Die Frage, wie die EZB-Maßnahmen in der Coronakrise zu bewerten sind, steht im Vordergrund. Die umfangreichen Möglichkeiten der EZB und der angestrebte Nutzen sowie mögliche Risiken und Ergebnisse des EZB-Einsatzes aus der Eurokrise sollen dargestellt, Meinungen von renommierten Ökonomen mit einbezogen und die Aussagen und Informationen analysiert werden.

1.2 Aufbau dieser Arbeit

Der Autor hat sich entschieden, den Argumentationsteil in drei Unterteile aufzuteilen. So geht es im Kapitel 2 um die Vorstellung der EZB, ihrer Aufgaben und ihrer üblichen geldpolitischen Instrumente. Im darauffolgenden Kapitel 3 stehen die Betrachtung der Eurokrise und die zu dieser Zeit angewandten geldpolitischen Maßnahmen der EZB sowie deren kritische Betrachtung im Vordergrund. In Kapitel 4 widmet sich der Autor der zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit aktuellen Betrachtung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID 19- Pandemie auf das Eurosystem und den Maßnahmen der EZB in der Coronakrise. Der Autor hält diese Aufteilung für besonders übersichtlich und gut geeignet, um eine Grundlage an Wissen und Erfahrungen aufzuzeigen, mit welchen die aktuellen Maßnahmen der EZB in der Coronakrise fundiert verglichen und dadurch hervorragend beurteilt werden können. Nachdem auch die Eurokrise die EZB und das Eurosystem vor große Herausforderungen stellte, möchte der Verfasser mit Kapitel 3 und 4 insgesamt die weitreichend genutzten Möglichkeiten der EZB zum Krisenmanagement darstellen. Die kritische Betrachtung und das Herstellen von Zusammenhängen zwischen der aktuellen Arbeit der EZB und der Zeit vor der Coronakrise stehen bei der Bewertung der EZB-Coronamaßnahmen in Kapitel 5 im Fokus. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollen im Kapitel 6 dargelegt und diskutiert, im Anschluss soll ein Fazit vorgestellt werden. Im Rahmen des Fazits möchte der Autor noch offene Fragen und mögliche Handlungen der EZB sowie Auswirkungen formulieren.

2. Forschungsmethodik

Der Autor hat sich bei dieser Arbeit für die Literaturrecherche entschieden, so konnten dank des zur Zeit des Schreibens aktuellen Themas der Coronakrise sehr aktuelle Informationen und Meinungen zur Forschung herangezogen werden. Zahlreiche Informationen zur grundlegenden Arbeit und Maßnahmen der EZB sowie zur Eurokrise stammen aus entsprechender Fachliteratur und aus Veröffentlichungen in Fachjournalen, aber auch von Internetseiten oder Veröffentlichungen wie etwa Presseberichten und Ansprachen von Personal der EZB oder auch der Bundesbank. Des weiteren wurden zahlreiche Zeitungsberichte, die verschiedene Aspekte der Arbeit der EZB in der Euro- oder Coronakrise beleuchten, in die Recherche einbezogen. So konnte ein umfassender Überblick über unterschiedliche Sichtweisen zum Thema geschaffen werden. Der Autor war bemüht, Zahlen und Daten stets aus den Primärquellen zu nutzen, in seltenen Fällen waren diese nicht verfügbar, so dass auf Sekundärquellen zurückgegriffen wurde. Bei der Auswahl der Internetseiten, Artikel und weiterer Literatur wurde stets auf zuverlässige und voraussichtlich wieder auffindbare Quellen geachtet. Der Umfang der zum Thema der Arbeit auffindbaren passenden Informationen ist groß, so dass der Verfasser eine große und qualitativ gute Auswahl an Literatur treffen musste, um einen umfangreichen und differenzierten Überblick zu treffen.

3. Die europäische Zentralbank, EZB

3.1 Die Schaffung der Europäische Zentralbank

Die Europäische Zentralbank wurde am 1. Juni 1998 gegründet. Ihre Entstehung wurde in den Verträgen von Maastricht formuliert, die am 7. Februar 1992 beschlossen wurden und die Grundlage der heutigen Währungsunion bilden. Einer der wichtigsten Punkte war nämlich der Beschluss über die Einführung einer gemeinsamen Währung. (Zandonella, 2006, S. 40–42) Der Vertrag wurde von zwölf Ländern - Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Spanien, Vereinigtes Königreich – unterzeichnet und trat am 1. November 1993 in Kraft. Seither sind der Europäischen Union 16 weitere Länder beigetreten, die die Regeln des Vertrags und seiner Nachfolgeverträge anwenden. Schon in den 1960er Jahren kam der Wunsch nach einer einheitlichen Währung auf, um Wechselkursschwankungen und Änderungen der Preisstabilität einzuschränken. 1986 legten europäische Regierungs- und Staatschefs schließlich den Grundstein für eine Währungsunion und einigten sich auf einen dreistufigen Prozess. Dieser sah in einer ersten von 1990 bis 1993 dauernden Phase die Einführung des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten vor. In der zweiten Phase von 1994 bis 1998 stand neben der Annäherung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsstaaten der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Zentralbanken, kurz NZB, auf dem Plan. Von Anfang 1999 bis heute folgten dann die schrittweise Einführung des Euro und die Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik, unter der Verantwortung der EZB. (Europäische Zentralbank, 2017a) Vorgänger der EZB war das europäische Währungsinstitut, kurz EWI. Als institutioneller Vorläufer der EZB wurde es im Rahmen der zweiten Phase auf dem Weg zur Währungsunion gegründet. Das EWI besaß keinerlei operative Verantwortung und Entscheidungshoheit. Es ging lediglich darum, für einen geregelten Übergang zum Euro zu sorgen. So lautete die Aufgabe des EWI die ersten Regeln für die gemeinsame Geldpolitik zu entwerfen und die Verfahren der Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken einzuüben. (Große Hüttmann und Wehling, 2013) Die Einführung des Euro folgte schließlich am 1. Januar 2002 in zwölf europäischen Staaten, darunter Deutschland, mittlerweile ist der Euro in 19 der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, kurz EU, als offizielles eingeführt. Wechselkursrisiken, Wechselkursschwankungen und Geldumtausch entfallen somit innerhalb der Eurozone. (Würz, o.J.) Die Machtübergabe auf verschiedene unabhängige Organe auf europäischer Ebene trat am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft. Zu den unabhängigen Organen gehört neben dem Europaparlament, dem Europarat, dem Rat der Europäischen Union, der e Europäischen Kommission, dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Rechnungshof, dem Ausschuss der Regionen, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den beratenden Ausschüssen auch die Europäische Zentralbank. Durch die zahlreichen Zuständigkeiten der europäischen Organe werden viele Entscheidungen, die früher von nationaler Zuständigkeit waren, heute auf EU-Ebene getroffen. (Statistsiches Landesamt Baden-Württemberg, 2020)

3.2 Die Anteilseigner der EZB

Eine hohe Summe an Kapital und die Möglichkeit der selbstgestalteten Verwendung von erwirtschaften Gewinnen sind die Grundlagen für das eigenverantwortliche Handeln der EZB. Das Gesamtkapital der EZB liegt bei rund 10,8 Milliarden Euro (2020), davon sind 8,8 Milliarden Euro eingezahltes Kapital der am Eurosystem teilnehmenden Zentralbanken. Sie alle haben 100 % ihres gezeichneten Kapitals in die EZB eingezahlt. Die verbleibenden zwei Milliarden Euro sind Einlagen aus EU-Mitgliedsstaaten, die (noch) nicht der Währungsunion angehören und nur 3,75 % ihres Kapitals einzahlen. Die Anteilshöhe der Einzahlungen der Zentralbanken wird nach jeweiliger anteiliger Bevölkerungszahl an der Gesamtbevölkerung und jeweiligem anteiligen Bruttoinlandsprodukt des Gesamtbruttoinlandsprodukt der EU festgelegt. Dabei liegt Deutschland bei den Einlagen mit mehr als 21 % der Anteile und mit mehr als zwei Milliarden Euro deutlich vor Frankreich mit 16,6 %, Italien mit 13,8 % und Spanien mit rund 9,7 % am Gesamtkapital der EU. Die nicht dem Eurosystem angehörenden ZNB beteiligen sich mit ihren Anteilen nur an den Betriebskosten der EZB und werden bei Gewinnen und Verlusten nicht berücksichtigt. Denn wenn die EZB mit ihrem Handeln am Markt Gewinne erzielt, werden diese zunächst mit maximal 20 % des erwirtschafteten Gewinns in den allgemeinen Reservefonds eingezahlt, allerdings nur bis zur Obergrenze des gesamten Kapitals. Der restliche Gewinn wird entsprechend der Anteile der Zentralbanken an der EZB ausgeschüttet. Negative Bilanzen wie Verluste werden vom Reservefonds aufgefangen und von der EZB, falls erforderlich, unter bestimmten Auflagen und nach Beschluss des EZB-Rats aus den monetären Einkünften des jeweiligen Geschäftsjahrs ausgeglichen. (Europäische Zentralbank, 2020b)

3.3 Die Beschlussorgane der EZB: EZB-Rat, der erweiterte Rat und das Direktorium

Oberstes Entscheidungsorgan der EZB ist der EZB-Rat. Diesem gehören neben sechs Direktionsmitgliedern der EZB die 19 Mitgliedsstaaten des Eurosystems an. Hier werden sämtliche geldpolitischen Entscheidungen für die Währungsunion getroffen. Zu den Aufgaben des Rats gehören der Erlass der Leitlinien, wie etwa die Festlegung der Geldpolitik, inklusive der Leitzinssätze des Euroraums sowie weitere Beschlüsse, die zur Erfüllung der vom Eurosystem und von der EZB übertragenen Aufgaben dienen. Nach der Eurokrise wurden der EZB im Rahmen der Bankenaufsicht neue Zuständigkeiten übertragen. Zweimal pro Monat tagt der EZB-Rat am Sitz der EZB in Frankfurt. Alle sechs Wochen werden geldpolitische Beschlüsse erfasst, in denen die wirtschaftliche und monetäre Entwicklung bewertet werden. Ebenfalls im sechswöchigen Rhythmus werden diese Beschlüsse im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert. Außerdem wird vor jeder Ratssitzung eine Zusammenfassung der letzten geldpolitischen Sitzung veröffentlicht. Die Themen aus anderen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen der EZB und jenen, die sich aus dem Eurosystem ergeben, werden jeweils in gesonderten Sitzungen diskutiert, um die Trennung von Aufsichtspflichten der EZB von geldpolitischen und übrigen Aufgaben sicherzustellen. (Europäische Zentralbank, o.J.a) Daneben gibt es noch den erweiterte Rat mit dem Direktor und Vizedirektor der EZB, dem alle anderen Mitgliedsstaaten, auch diejenigen, die den Euro nicht als Zahlungsmittel nutzen angehören. Der Erweiterte Rat hat keine geldpolitischen Befugnisse, aber die Erweiterung der Währungsunion kann hier vorangetrieben werden. Sobald/Falls alle EU-Mitgliedsstaaten den Euro eingeführt haben, wird der Erweiterte Rat aufgelöst. (Deutsche Bundesbank, 2015) Der Erweiterte Rat nimmt die ursprünglichen Aufgaben des europäischen Währungsinstituts wahr. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass nicht alle Mitgliedsländer der EU der Währungsunion beigetreten sind. So verantwortet dieser Rat die Erstellung der Jahresberichte der EZB, die Festlegung des Schlüssels zur Kapitalzeichnung und die Vorarbeiten zur Festlegung der Wechselkurse der EU-Mitgliedsstaaten ohne Euro gegenüber den Mitgliedsstaaten mit Euro. Zudem legt er die Beschäftigungsbedingungen der EZB-Mitarbeiterffest. Der Erlass der notwendigen Vorschriften für die Standardisierung der buchmäßigen Erfassung und der Meldung der Geschäfte der nationalen Zentralbanken fallen ebenfalls in die Verantwortung des erweiterten Rates. (Reinstädler, 2018a) Das Direktorium setzt sich aus dem Präsidenten der EZB, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern zusammen. Der Europäische Rat wählt die Mitglieder des Direktoriums mit einfacher Mehrheit. Vom Direktorium werden die Sitzungen des EZB-Rates vorbereitet. Er erteilt den nationalen Zentralbanken die notwendigen Weisungen, um die Geldpolitik durchzuführen. Auch die Durchführung der laufenden Geschäfte ist Aufgabe der EZB. Die Ausübung bestimmter Befugnisse, normativer Art, wie vom EZB-Rat übertragen, gehört ebenfalls zu ihren Aufgaben. Seit November 2019 ist Christine Lagarde Präsidentin der EZB, Vizepräsident ist Luis de Guindos. Die Amtszeit beträgt für alle Mitglieder des Direktoriums jeweils acht Jahre, eine Verlängerung und Wiederwahl ist ausgeschlossen. (Europäische Zentralbank, o.J.b) Zuvor hatte Mario Draghi als Präsident der EZB das Direktorium angeführt. (Europäische Zentralbank, o.J.)

3.4 Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ihr Mandat

Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei der EZB um eine Zentralbank. Zentralbanken zeichnen sich durch ihre Eigenständigkeit als staatliche Institution aus, der Grad der Unabhängigkeit ist dabei je nach Land verschieden. Sie sind mit der Wahrung der Aufgaben der Geldpolitik betraut. So haben sie in der Regel als einzige Institution das Recht zur Ausgabe der Währungsmittel. (Budzinski, 2018) Die Unabhängigkeit der EZB ist in Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beschrieben. So darf die EZB keine Weisungen von Regierungen oder anderen Organen entgegennehmen, auch die Mitglieder der EZB-Beschlussorgane dürfen bei ihren Entscheidungen nicht beeinflusst werden.

Die EZB erhielt ebenso bewusst ein begrenztes und sehr präzises Mandat, das sie der Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum verpflichtet. Die durchgeführten geldpolitischen Maßnahmen sollen das wirtschaftliche Wachstum in Europa stärken und Arbeitsplätze schaffen. (Europäische Zentralbank, 2017b) Oberstes Ziel ist aber stets die Preisstabilität. Andere Ziele wie die Unterstützung des Wirtschaftswachstums dürfen verfolgt werden, jedoch nur, wenndiePreisstabilität erreicht ist. Diese Aufgaben sind in Artikel 127 (AUEV) aufgeführt, dem auch die Satzung der ESZB und der EZB beigefügt ist. So steht auch in den Artikeln 3 und 4 des Vertrags über die europäische Union (EUV) der grundlegende Gedanke. In Absatz 3 heißt es: „Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft,…“ und „Sie fördert den wirtschaftlichen , sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.“ In Artikel 4 ist die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion näher bestimmt. So wird hier die große, verantwortungsvolle Rolle der EZB und ESZB deutlich. Es soll weiterhin im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft und freiem Wettbewerb gehandelt werden. Gemäß Artikel 119 (AEUV) ist die EU zum Erhalt der Preisstabilität verpflichtet, außerdem soll sie eine einheitliche Währung, den Euro, festlegen sowie eine einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik durchführen. Wie in einem zweigliedrigen föderalen System steht die EZB als zentrale Koordinierungsstelle an der Spitze des Verbunds mit den anderen Zentralbanken des Verbunds. Die EZB führt als supranationale Organisation mit allen Zentralbanken der EU-Mitgliedsstaaten das europäische System der Zentralbanken,(ESZB) an. Die EZB und die nationalen Zentralbanken nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben gemeinsam wahr. Die ESZB wird von den Beschlussorganen der EZB geleitet. Als Eurosystem wird nur der Zusammenschluss der 19 Länder, die bereits den Euro als Zahlungsmittel eingeführt haben, bezeichnet. (Europäische Zentralbank, o.J.d) Aufgrund ihrer zugedachten Unabhängigkeit und zum Schutz vor politischer Einflussnahme verfügt die EZB über einen eigenen Haushalt, der von den Zentralbanken der EU-Mitgliedsstaaten finanziert wird. (Europäisches Parlament, o.J.)

3.4.1 Das Ziel der Preisstabilität

In erster Linie geht es in der Geldpolitik um den Erhalt der Preisstabilität. In der Vergangenheit hat sich das Wechselspiel aus Inflation und Deflation als schädlich für Wirtschaft und Wohlstand erwiesen. Unter Inflation versteht man einen anhaltenden Prozess der Geldentwertung und damit einhergehende Preissteigerungen: Waren verteuern sich, mit einer Geldeinheit kann weniger erworben werden und auch die Lohnkosten steigen. Die Geldmenge spielt bei einer Inflation eine große Rolle, eine zu große Geldmenge steht der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge gegenüber. Menschen wie Rentner und Arbeitslose, die ihr Einkommen nicht an die steigenden Preise anpassen können, sind von den negativen Auswirkungen der Inflation besonders betroffen. (Pollert, Kirchner und Polzin, 2008, S. 104–105)

Unter Deflation versteht man den Geldverfall in einer Volkswirtschaft: Sinkende Preise führen zur Erwartung noch weiter sinkender Preise und zur Zurückhaltung bei Investitionen, zu geschmälerten Gewinnerwartungen, rückläufiger Investitionsgüternachfrage und zum Verlust des Vertrauens in die Geldfunktionen. Im Falle einer fortschreitenden Deflation können viele Kredite nicht mehr bedient werden, es drohen Bankrotte und Insolvenzen. Negatives Wachstum und steigende Arbeitslosenzahlen sind die Folge. (Möller, 2017) Inflation und Deflation haben unkalkulierbare Auswirkungen auf Ersparnisse und Verträge und erzeugen Unsicherheit an den Märkten sowie in der Bevölkerung. Im Falle einer Deflation würden die in den Grundlagen der Europäischen Union so wichtigen Ziele wie die effiziente Verteilung von Wachstum, Mitteln und Investitionen behindert. (Belgische Nationalbank, o.J.) Auch in der Darstellung nach außen wird das kommuniziert: In Presse und Internet findet sich überall das definierte übergeordnete Ziel der Preisstabilität. Für Preisstabilität in der Eurozone respektive die Geldwertstabilität des Euro nutzt die EZB den HVPI, den Harmonisierten Verbrauchspreisindex und misst damit die Inflation. Zur Vorbereitung der Aufnahme weiterer Staaten in die Währungsunion hilft er außerdem dabei, das Konvergenzkriterium zu messen. (Hadeler und Winter, 2000, S. 1041) Der HVPI ist auf den internationalen Vergleich der Verbraucherpreisinflation angelegt, die Preisstabilität wird über die jährliche Veränderungsrate des HVPI definiert. Die Erstellung der HVPI erfolgt anhand harmonisierter Standards aller Mitgliedstaaten. (Schmidt, 2018) Kritisch ist hier zu betrachten, dass Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum nicht in den HVPI einfließen. Gemäß einer Studie von Eurostat aus dem Jahr 2016 sind nämlich die Kosten für Immobilien deutlich stärker angestiegen als andere Verbraucherpreise, so dass der HVPI nicht die realistisch steigenden Kosten für Verbraucher abbildet. Allerdings soll der HVPI auch nur Konsumausgaben abbilden, selbstgenutztes Wohneigentum gilt als Investition und damit ist eine Preisänderung als Vermögenspreisänderung zu betrachten. (Bremus, Dany-Knedlik und Schlaak, 2020) In der Öffentlichkeit ist das Ziel einer angestrebten Inflation knapp unter 2 % bekannt, dieses ist tatsächlich das vorrangige Ziel der EZB, um die Preisstabilität zu sichern. Die Kennzahl von 2 % wurde gewählt, um der Öffentlichkeit das Handeln klarer verständlich zu machen, vor allem aber, um einen stabilen Bezugspunkt für Preiserwartungen zu schaffen: Immer wieder hat die EZB klargemacht, dass sie die Inflationsrate dicht unter 2% wünscht und halten möchte, denn ein nur allmählicher Anstieg gilt als Indikator für insgesamt stabile Preise. (Belgische Nationalbank, o.J.) Für die Marke von 2 % gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze, aber unabhängig davon ist die EZB nur eine von über 60 Notenbanken der Welt, die sich an dieser Marke orientieren. (Siedenbiedel, 2020c)

Weder Deflation noch Inflation sind mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar. So formuliert Hans- Werner Möller in seinem Buch „Versuch und Irrtum“ das anvisierte Ziel von 2 % als „Sicherheitsabstand“ zur Deflation . (Möller, 2017, S. 329) Eine weitere mögliche Begründung für die Wahl des 2-%-Ziels lieferte der Chef der deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, schon 2015. Er hielt das bisherige Ziel für optimal, um die Kosten einer Inflation gesamtwirtschaftlich gering zu halten und um eine 0-%-Zinspolitik zu vermeiden. Diese verringere nach seiner Meinung Möglichkeiten der EZB, stimulierend auf die Wirtschaft einzuwirken. (Braunberger, 2015) Daneben kann eine konkrete Nennung künftiger Preissteigerungen auch der Verankerung in den Köpfen der Öffentlichkeit dienen. Die Erwartungshaltung wird dadurch klar, in diesem Wissen wird gehandelt. (Sorbe und Wollmershäuser, 2007) Auch kann im Abgleich mit einem genannten Ziel die Geldpolitik der EZB bewertet werden. Bis 2003 wurde das Ziel zur Sicherung der Preisstabilität lediglich als „unter 2 %“ formuliert, erst danach wurde es genauer spezifiziert auf „knapp unter, aber nahe 2 %“, um die Inflationserwartungen enger zu begrenzen. Frühere Analysen internationaler Akteure und der deutschen Zentralbank gehen statt von der eigentlich logischen Preisstabilität bei einer Inflation von 0% eher von einer Marge der Veränderung aus, in deren Rahmen nur bedingt von Inflation gesprochen werden kann. (Weeber, 2017)

3.4.2 Konkrete Aufgaben der Europäischen Zentralbank zur Umsetzung ihrer Ziele

Die Aufgaben der EZB umfassen die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik für das Eurosystem, Devisengeschäfte, das Portfoliomanagement der offiziellen Währungsreserven des Eurogebiets sowie die Genehmigung der Euro-Banknoten, die von den jeweiligen Zentralbanken ausgegeben werden. Weitere Verantwortlichkeiten betreffen die Förderung des reibungslosen Zahlungsverkehrs und die Erfassung statistischer Daten. (Bundesfinanzministerium, o.J.) Seit November 2014 kommt der EZB noch eine weitere wichtige Rolle zu: Als Reaktion auf die Eurokrise, die nachfolgend noch detaillierter betrachtet wird, wurde im Rahmen einer EU-Verordnung der einheitliche Aufsichtsmechanismus, Single Supervisory Mechanism , SSM, eingeführt. Es handelt sich dabei um Werkzeug und Aufsichtssystem der Bankenaufsicht, das die Stabilität des europäischen Finanzsystems sichern soll. Der SSM setzt sich zusammen aus den zuständigen Behörden der teilnehmenden Länder und der EZB. (Bundesregierung, 2015) Die EZB übernimmt dabei die Aufgabe, vereinheitlichte Aufsichts- und Korrekturmaßnahmen zu ergreifen und die konsequente Anwendung der Anordnungen sicherzustellen. Die EZB überwacht direkt 115 bedeutende Banken, auf die knapp 82 % der Bankaktiva des Euroraums entfallen. (Europäische Zentralbank, o.J.) Da eine Zentralbank theoretisch unbegrenzt Banknoten ausgeben kann, kommt auch der EZB die Rolle des „Lender of last resort“ zu, der eines Geldgebers in letzter Instanz. Nur Zentralbanken haben das Monopol der Notenausgabe und könnten so auch im Falle einer systemischen Finanzkrise genügend Liquidität zur Verfügung stellen. (Heine und Herr, 2008, S. 74–76) Trotzdem ist die EZB in ihren Aktivitäten an dieser Stelle eingeschränkter als die US-amerikanische Federal Reserve Bank, denn sie verfügt nicht über einen institutionell verankerten fiskalischen Rückhalt und muss ihre Verluste selbst schultern. Dies schränkt theoretisch während einer Krise ihren eigentlichen Spielraum zur Sicherung der Preisstabilität deutlich ein. (Illing und König, 2014, S. 541)

3.5 Die Instrumente der Geldpolitik der EZB

Die Betrachtung der Werkzeuge und der Instrumente, die der EZB zur Verfügung stehen und mit denen sie versucht, ihr übergeordnetes Ziel der Preisstabilität zu erreichen, ist dem Verfasser für diese Arbeit besonders wichtig. Zum Erhalt dieses Ziels und für den Einsatz der geldpolitischen Instrumente ist die Sicherstellung der Liquidität der Banken und deren Abhängigkeit von Geldzuflüssen der EZB eine wichtige Voraussetzung. Durch Bargeldabhebungen und die Verpflichtung von Kreditrückzahlungen müssen Geschäftsbanken stets ausreichend Geld zur Verfügung haben, das meist kurzfristig von der EZB geliehen wird. Sie sind also verpflichtet, Geld zu leihen, um ausreichende Geldmittel vorrätig zu haben, und aufgrund kurzer Laufzeit immer wieder aufs Neue verpflichtet, Kredite von der EZB aufzunehmen. Für Heine und Herr (2013) führt die EZB die Banken „an einer engen Leine“ (Heine und Herr, 2013) , da die Banken nach der Geldvernichtung beim Schuldendienst, auf neues Zentralbankgeld angewiesen sind. (Heine und Herr, 2013) Die drei entscheidenden Werkzeuge der EZB sind dabei die Mindestreservepolitik, Offenmarktgeschäfte und Faszilitäten.

3.5.1 Mindestreservepolitik

Die Mindestreservepolitik ist ein grundlegendes Instrument zur Sicherstellung der Einflussnahme der EZB auf die Banken und damit auf die gesamte Kredit- und Preisentwicklung in der EU. Kreditinstitute/Geschäftsbanken sind in der EU verpflichtet, Mindestreserven von durchschnittlich 2 % (Reservesatz) ihrer Mindestreservebasis bei ihrer jeweiligen nationalen Zentralbank zu hinterlegen. Ab einem Freibetrag von 100.000 € wird zum Leitzinssatz verzinst. Der Reservesatz muss in einem Monat nur durchschnittlich erfüllt werden, so kann die Geschäftsbank auf ihr eigenes, hinterlegtes Geld zugreifen, solange der Durchschnittswert erreicht bleibt. Die Geschäftsbank kann so kurzfristige Liquiditätsengpässe zinslos und kurzfristig ausgleichen, ohne teurere Kredite aufnehmen zu müssen. Man spricht hier von Glättungsfunktion. Durch die Verpflichtung zur Geldeinlage, sind die Banken immer wieder erneut gezwungen, sich Geld bei der EZB bzw. ihren Zentralbanken zu leihen, da dieses Instrument die Liquidität einschränkt. Mit der erzwungenen Nachfrage nach Zentralbankgeld erfüllt die Mindestreservepolitik eine Anbindungsfunktion an das Eurosystem und an die EZB. (Beeker, 2011, S. 77)

3.5.2 Offenmarktgeschäfte

Auch die Offenmarktgeschäfte nehmen eine Schlüsselrolle unter den geldpolitischen Instrumenten nehmen ein. Sie lassen sich in Hauptrefinanzierungsgeschäfte, längerfristige Refinanzierungsgeschäfte, Feinsteuerungsoptionen und strukturelle Optionen unterscheiden. In allen vier Bereichen sind befristete Transaktionen die wichtigsten Instrumente der Offenmarktgeschäfte. Über die Refinanzierungsgeschäfte wird dem Finanzsektor der größte Teil des Refinanzierungsvolumens zur Verfügung gestellt. Der Reiz dieses Instruments liegt vor allem darin, dass Banken Liquidität erhalten, die sie wiederum dem Markt zuführen können. Die EZB kann natürlich durch das Monopol auf die Euroausgabe und den Einfluss auf den Zinssatz, den Zuwachs an den Finanzsektor und damit die Geldmenge auch kurzfristig beeinflussen und ein geldpolitisches Signal setzen. (Europäische Zentralbank, 2004) Der breiten Bevölkerung dürfte wohl am ehesten der Begriff „Leitzins“ bekannt sein. Dieser ist Teil der Offenmarktgeschäfte, unter denen die Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Haupttender) die wichtigste Rolle einnehmen. Bei diesen liquiditätszuführenden Geschäften handelt sich um die Verzinsung von EZB-Geld durch den Verleih an Geschäftsbanken. Diese werden in der Regel einmal wöchentlich durchgeführt. Der Refinanzierungsbedarf der Kreditinstitute richtet sich nach der Mindestreserve (sie wird im nächsten Abschnitt genauer beleuchtet), nach Banknotenumläufen, den Netto-Währungsreserven des Eurosystems und den Einlagen der öffentlichen Haushalte bei den Zentralbanken. Sie alle werden als liquiditätsbestimmende Marktfaktoren bezeichnet. (Deutsche Bundesbank, 2003) Mit einer Laufzeit von lediglich sieben Tagen wird Geld an Geschäftsbanken verliehen, und dies mindestens zum Zinssatz des Leitzinses, der Zinssatz kann aber auch höher sein. Hier sind zwei unterschiedliche Geld-Vergabeverfahren zu betrachten. Wenn die EZB Geld zu einem bestimmten Zinssatz vergeben möchte und den Zinssatz, also den Leitzins, vorab festlegt, können die Geschäftsbanken mitteilen, in welcher Menge sie Geld leihen möchten. Die Gesamtsumme des zu verleihenden Geldes ist vorab festgelegt. Übersteigt nun die angefragte Menge die Gesamtmenge, wird das Geld anteilig der Nachfrage ausgeschüttet. So bekommen alle nachfragenden Banken das Geld kurzfristig zum gleichen Zinssatz. In diesem Fall spricht man vom Mengentender.

Im Gegensatz dazu gibt es auch die Möglichkeit, dass Geschäftsbanken mitteilen, zu welchem Zinssatz sie welche Geldmenge von der EZB leihen möchten. In diesem Falle handelt es sich um einen Zinstender. Zur Verteilung der Geldmenge kann nun entweder zunächst der Höchstbietende bedient werden und nachrangig alle weiteren Bieter (man spricht hier vom amerikanischen Verfahren) oder die EZB teilt das Geld doch wieder zu einem festen Zinssatz zu (holländisches Verfahren). (Heine und Herr, 2008, S. 69–71) Beim Zinstenderverfahren wird also dem Markt die Zinsfestsetzung überlassen, im Gegensatz zum Mengentenderverfahren setzt die EZB kein politisches Signal. (Pollert, Kirchner und Polzin, 2008, S. 155) Seit Mitte Oktober 2008 wird für kurzfristige Refinanzierungen nur noch das Mengentenderverfahren angewandt. (Europäische Zentralbank, 2008). Die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte, longer-term refinancing operations (LTRO), haben in der Regel eine Laufzeit von 3 Monaten, teilweise – vor allem im Rahmen der Eurokrise und danach – auch deutlich länger, und werden außer in Ausnahmefällen einmal monatlich durchgeführt. Hierbei wird das Zinstenderverfahren angewandt. Als Sicherheiten für die EZB-Kredite werden Wertpapiere genommen, die bestimmten Anforderungen an Bonität, Laufzeiten und andere Faktoren, die von der EZB festgelegt sind, genügen müssen. Eine Veränderung der Anforderungen an Sicherheiten kann so zu einem leichteren Zugang zu Krediten der EZB führen. (Görgens, Ruckriegel und Stark, 2008) Beim Geschäftsabschluss stellt die EZB den Geschäftsbanken einen Zinssatz in Rechnung, den Leitzins. Sie kauft also praktisch die Wertpapiere zum Marktpreis an und gibt sie zuzüglich des Leitzinses gegen Rückzahlung des Darlehens wieder frei bzw. zurück. So ist die EZB in der Lage, über niedrigere oder höhere Zinsen einen geldpolitischen Impuls zu geben. Höhere Zinsen geben die Geschäftsbanken im eigenen Interesse an ihre Kunden kurzfristig weiter, bei niedrigeren Zinsen tun sie dies, ebenfalls im eigenen Interesse, häufig mit zeitlicher Verzögerung. (Altmann, 2017) An die Stelle von Wertpapieren können übrigens auch Devisen treten, man spricht dann von einem Devisenswapgeschäft, der Zinssatz wird dann als Swapsatz bezeichnet. (Heine und Herr, 2008, S. 73)

Kurz erwähnt seien hier noch die Feinsteuerungsoperationen als besonders flexibel einsetzbare Instrumente der Offenmarktgeschäfte. Mit ihnen können unerwartete Liquiditätsschwankungen mit Auswirkungen auf die Zinssätze kurzfristig ausgeglichen werden, so dienen sie der Steuerung der Zinssätze und dem Ausgleich von Liquiditätsschwankungen. (Heine und Herr, 2008)

Eine sehr kurzfristige Möglichkeit der Geldbeschaffung bieten Übernachtkredite, die sogenannten Spitzenrefinanzierungsfaszilitäten, die die Geschäftsbanken gegen entsprechende Sicherheiten in beliebiger Höhe bei der EZB kurzfristig bis zum nächsten Geschäftstag abrufen dürfen. Sie dienen häufig zur Einlage der vorgeschriebenen Mindestreserve und zur Liquiditätssicherung. Der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität markiert die obere Begrenzung eines Zinskorridors mit den niedrigsten Zinssätzen der Einlagefaszilitäten (siehe folgender Absatz), die Höhe des Zinssatzes kann von der EZB beliebig gewählt werden. In ihrer Rolle als Lender of last resort ist so jederzeit eine ausreichende Geldversorgung sichergestellt. Die Zinsen sind in der Regel deutlich höher als bei den Hauptrefinanzierungsgeschäften. (Heine und Herr, 2008, S. 75)

Bei den Einlagefaszilitäten handelt es sich um eine Möglichkeit für Geschäftsbanken, ebenfalls bis zum nächsten Geschäftstag über Nacht zu einem bestimmten Einlagesatz Geld anzulegen, und dies in beliebiger Höhe. Das Eurosystem gibt als Gegenwert keinerlei Sicherheiten. (Beeker, 2011, S. 58). Dieser Zinssatz markiert das untere Ende des Preiskorridors für den Spitzenzinssatz der Spitzenrefinazierungsfaszilitäten und es handelt sich wie bei dem Zinssatz für die zuvor beschriebenen Hauptrefinanzierungsgeschäfte, die alle sechs Wochen innerhalb der geldpolitischen Beschlüsse festgelegt werden, um einen der drei Leitzinssätze. (Europäische Zentralbank, 2016) Dieser für die Geschäftsbanken besonders wichtige Zinssatz wurde 2014 von der EZB ins Negative gesenkt, zunächst auf 0,1 %. (Europäische Zentralbank, 2014) Dies bedeutet, dass Banken für die Einlagerung Geld bezahlen müssen. Damit sollen die Banken angehalten werden, Geld lieber über günstige Kredite zu verleihen, statt es zu verlieren. Seit dem 18. September 2019 liegt der Zinssatz bei -0,5 %. (Deutsche Bundesbank, 2020d) Zur Abmilderung der Belastung für die Banken gibt es seit Herbst 2019 einen zinslosen Freibetrag, der der sechsfachen Mindestreserve entspricht. (Ettel und Zschäpitz, 2020b) Eine aktive Kreditaufnahme wird über „Target 2“ bis zu einer bestimmten Tagesfrist online beantragt: Das Trans-European Automated Real-Time Gross Settlement Express Transfer System 2, Target 2, dient der schnellen Abwicklung von Zahlungen und ist das System der Zentralbanken des Eurosystems für Zahlungen in Echtzeit. (Deutsche Bundesbank, 2012) Die Beantragung kann bei technischen Schwierigkeiten ausnahmsweise auch per Fax durchgeführt werden. Die Kontoüberziehung eines Geschäftspartners leitet automatisch die Auszahlung des Kredits in Höhe der Überziehung ein. (Deutsche Bundesbank, 2017b) Über die Target 2 Salden Target-2-Salden wird eine lebhafte Diskussion geführt, vor allem um ihre Bedeutung und die Gefahren, die von ihnen ausgehen könnten. Siedenbiedel, 2019, S. 53 Die Betrachtung und Interpretation der Diskussion würde an dieser Stelle aber zu weit führen.

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Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Zentralbank und ihre Maßnahmen in der Coronakrise 2020. Umgang mit der Eurokrise
Hochschule
IU Internationale Hochschule
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
65
Katalognummer
V1043044
ISBN (eBook)
9783346471772
ISBN (Buch)
9783346471789
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EZB, Coronakrise, Maßnahmen, 2020, BWl
Arbeit zitieren
Sandor Kroenert (Autor:in), 2020, Die Europäische Zentralbank und ihre Maßnahmen in der Coronakrise 2020. Umgang mit der Eurokrise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043044

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