Ravels Orientalismus und der Kulturtransfer der fremden Musik im Zyklus der Orchesterlieder


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorgeschichte
2.1 Die geschichtlichen Grundlagen Russlands und die russische Musik im 19. Jahrhundert
2.2 Die Aufnahme der russischen Musik in Frankreich und die Strömung des Antigermanismus in der französischen Musikwelt

3 Maurice Ravel: die Begegnungen und die Realisierungen
3.1 Ravel und die russische Musik und die Apachen
3.2 Ravels exotische Erfahrungen und der Exotismus in seinem Musikschaffen
3.3 Ravel und die Gründung der Sociéte Musicale Independante

4. Shéhérazade 1903: die Werkgeschichte und die Analysen
4.1 Analyse von Shéhérazade auf der literarischen Ebene: Reisen und Sehnsüchte nach dem exotischen und erotischen Orient
4.2 Musikalische Analyse des Orchesterzyklus Shéhérazade

5. Fazit: Ravels Orientalismus und Shéhérazade als eigentümliches Kulturproduk

Anhang

Abbildungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: C-lydische Skala in der Melodie der Solo-Flöte in La flute enchantée aus dem Orchesterzyklus Shéhérazade

Abbildung 2: Hexatonische Skala (Tritonus-Skala) in der Melodie der Solo-Flöte in La flute enchantée aus dem Orchesterzyklus Shéhérazade

Abbildung 3: Der unaufgelöste Leitton dis in der Melodie der Solo-Flöte am Ende des Liedes L'indifférent aus dem Orchesterzyklus Shéhérazade

1. Einleitung

Die europäische Musikwelt im 19. Jahrhundert ist durch ihre vielfältigen Strömungen gekennzeichnet; zunächst war der Anfang dieser Epoche die Fortsetzung der im vorherigen Jahrhundert entstandenen Romantik. Das immer verstärkende National-Bewusstsein jeweiliger europäischen Länder drang ebenfalls in die musikalische Kunst ein, in der die Zeitgenossen den Ausdruck zu dem nationalen Stolz und zur nationalen Identität fanden. Die national-russische Musik wurde durch eine Gruppe von Musikern namens das Mächtige Häuflein gefördert und geschafft; die wesentlichen Materiale zur Gründung einer national-russischen Schule waren nicht nur die volkstümlichen Melodien, sondern auch die klanglichen Inhalte aus den Fernosten, die Russland schon erobert und seine Fremdherrschaft gegründet hatte.

Allein war das 19. Jahrhundert keineswegs eine leise Epoche für Frankreich, da die Zeitgenossen nacheinander von der Bedrohung der Romantik und dem enormen Einfluss des Germanismus erfuhren. Die von Frankreich und Deutschland unterschriebenen Waffenstillstandsvereinbarung des Deutsch-Französischen Kriegs kennzeichnete sich als die Zeitwendung der französischen Musikgeschichte. Seither ging die Bewunderung der deutschen Musikwerke aus der französischen Seit herunter; die Franzosen sahen die deutsche Musikmacht als den riesigen Unterdruck ihrer Nationalität und eigener Musikkultur. Aus diesem Grund zeigte sich eine Strömung zur Realisierung eigentümlicher Musikkultur mit selbstständigen Musiksprache in Frankreich.

Berührt auf solchen historischen Grundlagen waren die in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts in Frankreich eingedrungene russische Musik sowie die durch die Weltausstellungen verbreiteten exotischen bzw. orientalischen Kulturen für diese musikalische Entfaltung von großer Bedeutung. Aus den fremden Musikkulturen fanden die französischen Musiker und Komponisten viele nützlichen Elemente zur Schaffung ihrer eigenen Musik heraus. Daher ist es ohne Zweifel zu sagen, dass die zu jener Zeit entstandenen Musikwerke der französischen Komponisten ein hervorragendes Ergebnis des Transfers der fremden Musikkultur sind.

Ravel, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geborene französische Komponist, war von dem Unterdruck der Romantik gemieden;1 seine Musikentfaltung folgte auf jeden Fall den Spuren seiner Zeitgenossen wie etwa Debussy und einigermaßen die russischen Komponisten. Seine Lebzeiten waren definitiv mit den fremdartigen Kulturen sowie vielfältigen Materialen gefüllt, die man die Evidenzen in seiner Musik finden kann. Die arabische Fantasie ist kein fremdes Thema in der Musik zu Lebzeiten Ravels geworden; gerade wurde das arabische Märchen Tausendundeine Nacht in den Opern sowie in orchestraler Musik dargestellt. Die nacheinander entstandenen Musikwerke Ravels mit dem Titel Shéhérazade sind ebenfalls die durch die Inspiration des Orients erzeugten Schaffen.

Diese Arbeit fokussiert sich auf den im Jahr 1903 vollendeten Zyklus der Orchesterlieder Shéhérazade und die Analyse des Orientalismus sowie des Kulturtransfers der fremden Musik in diesem Werk. Im zweiten Kapitel wird zunächst ein kurzer Überblick die Entstehung der national­russischen Musik mit exotischem Geschmack und dessen Invasion und Rezeption in Frankreich geworfen, danach wird es über die antigermanische Haltung der französischen Musikwelt erörtert. Im dritten Kapitel werden die Erfahrungen Ravels sowohl mit der Fremdenkultur als auch mit der französischen Musikentfaltung thematisiert, um die grundlegenden historischen Sachverhalte über Ravel zu geben.

Im vierten Kapitel ist zunächst eine kurze Werkgeschichte zu erwarten, danach wird der Zyklus anhand der Postkolonialtheorie Saids auf der literarischen Ebene analysiert, um herauszufinden, inwieweit die stereotypischen Verständnisse des Orients aus der Sicht der damaligen Europäer in dem Werk gehen und welche Auffassungen vermutlich durch Ravel sowie den Verfasser der Gedichte rezipiert wurden. Anschließend ist eine ausführliche Musikanalyse zu geben, um die folgenden Fragen versucht zu beantworten: Welche fremden Musikelemente Ravel benutzt, um den Orient darzustellen; Welche europäischen Musikmateriale zur Erzeugung des Orients und Fremden dienen; Welche verwendeten Bestandteile auf die Erfahrungen Ravels zurückführen können.

Mit den beiden Analysen wird eine Schlussfolgerung gezogen, die ebenfalls das endliche Ziel dieser Arbeit ist: Der Zyklus der Orchesterlieder Shéhérazade 1903 ist einerseits die Realisierung des Komponisten zum musikalischen Orientalismus, andererseits ein aus dem Kulturtransfer resultierendes eigentümliches Kulturprodukt.

2. Vorgeschichte

2.1 Die geschichtlichen Grundlagen Russlands und die russische Musik im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert in Russland war durch eine Reihe von politischen bzw. gesellschaftlichen Reformen, die Entstehung der neuen Strömungen sowie das immer stärkere Nationalbewusstsein gekennzeichnet, insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Nach der Niederlage des Krimkriegs im Jahr 1855 konnten die damaligen russischen Zeitgenossen nicht mehr verweigern, dass die jahrhundertlang andauernde Leibeigenschaft sowie die bis dahin gebliebene Sozialsystem nichts zur Weiterentwicklung und Verstärkung ihres Landes einen wesentlichen Beitrag leisten konnten. Berührt auf diesen Bedürfnissen wurde die Leibeigenschaft endlich 1861 abgeschafft; diese geschichtliche Hinwendung war ohne Zweifel das Ergebnis der Bemühungen der Regierung sowie der Bürger. Gerade seit dem Anfang desselben Jahrhunderts brachen viele Aufstände zur Befreiung der Bauern in Russland aus, jedoch waren sie erfolglos geblieben.

Die Aufhebung der Leibeigenschaft war lediglich ein wichtiges Ereignis dieser Epoche, darauf folgten noch weitere Rekonstruierung der gesellschaftlichen Systeme wie etwa die Veränderung des Bildung- sowie Gesundheitswesens. Dieser historische Wendepunkt war nicht durch die abgeschaffte Leibeigenschaft ausgelöst, sondern durch die zu jener Zeit entstandenen geistlichen Strömungen erregt. Schon am Ende der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts tauchte der sogenannte russische Nihilismus auf; nach einem Historiker ist Nihilismus keineswegs ein endgültiges Konzept an sich, viel mehr eine Art der Haltung sowie der Anschauung angesichts der politischen bzw. sozialen Kontexte.2 Die russische Literatur zu jener Zeit wurde ebenfalls durch diesen neu entstandenen Gedanken beeinflusst, daraus resultierte ein neuartiger Stil und dessen entsprechende Ausdruckweise in der russischen Literaturwelt - der Realismus.3 Die durch den Nihilismus sowie den Realismus geprägten russischen Schriftsteller stellten das Leben ihrer Landleute in ihren Werken vor und kritisierten die sozialen Zustände. Diese literarischen Werke mit realistischen Darstellungen des bürgerlichen Lebens und ironischen bzw. kritischen Ausdrücken wurden dann als der Russland repräsentierte Type auf der Bühne der Welt bekannt und hoben das russische Nationalbewusstsein hervor.

Die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entstandene Gruppe der russischen Komponisten - das Mächtige Häuflein4, die durch Balakirev als der Anführer geleitet wurde, leistete einen Beitrag zur Gründung des national-russischen Musikstils. Glinka, ein Vorfahre dieses Kreises, wurde als der Vater der national-russischen Musik betrachtet; ihm folgte das Mächtige Häuflein nach, welches den national-russischen Stil weiterentwickelte und sich diese musikalische Strömung europaweit verbreiten ließ. Obwohl Glinka seine musikalische Ausbildung in Deutschland erhielt und die musikalische Sprache der Werke aus der früheren Phrase seines Lebens auf stets der typischen europäischen Ebene bleibt, widmete er sich später der national­russischen Musik. Seine Hingabe an die nationale Musik führt auf die Verwendung der volkstümlichen Elemente wie etwa die russischen Volksmelodien in den Werken zurück, z.B. Sinfonie über zwei russische Volkslieder. Als eine Gruppe, die aus den Musik-Dilettanten zusammensetzte und die meisten Mitglieder davon erhielten keine systematische Musikausbildung, kennzeichnete sich das Mächtige Häuflein durch dessen abgelehnte und distanzierte Haltung gegen die westliche Musiktradition.

Bei den typischen Eigenschaften der russischen Musik handelt es sich um die fallende Bewegung der Melodien bzw. Intervalle (Terz, Quart usw.). Außerdem wird der russische Musik­Geschmack durch den chromatischen Tonverlauf (nega5 ) und die Kombination der Rhythmik gekennzeichnet. Abgesehen davon werden die kirchlichen Tonarten und die pentatonische Skala zum Einsatz gekommen, die ebenfalls dem national-russischen Stil zugeordnet sind.6 Die Pentatonik ist eine auffällige Evidenz dafür, dass die musikalischen Materiale aus Asien und Fernosten ebenfalls die wesentlichen Bestandteile zur Gründung der russischen Musikschule sind. Seit jahrhundertlang hatte Russland viele Gebiete in Asien sowie in Fernosten erobert und dessen Kolonial-Fremdherrschaft gegründet; die Musikkultur aus diesen Gebieten diente als eine Inspiration für die russischen Komponisten zur Schaffung einer neuartigen Musik mit eigenartigem Geschmack. Überdies bleibt die Realisierung dieser Inspiration nicht nur auf die Anwendung der musikalischen Elemente beschränkt, sondern sind diese Länder mit exotischer Eigenschaft ebenfalls wunderbare und eindrucksvolle Themen zum Komponieren, ein Beispiel dafür dient das Werk Eine Steppenskizze aus Mittelasien Borodins. Aus diesem Grund wird die Anteilnahme der orientalischen bzw. exotischen Elemente an der Entwicklung der national­russischen Schule als St. Petersburg Orientalismen bezeichnet.7

2.2 Die Aufnahme der russischen Musik in Frankreich und die Strömung des Antigermanismus in der französischen Musikwelt

Nach der Niederlage des Deutsch-Französischen Kriegs im Jahr 1871 entstand auf der französischen Seite eine starke Abneigung gegen Deutschland; diese politische Haltung drang ebenfalls in die kulturelle Entwicklung zu jener Zeit ein - in der damaligen französischen Musikwelt zeigte sich zum ersten Mal der Widerwillen gegen Wagner8 bzw. deutsche Musik.9 Gerade berührt auf diesem historischen Hintergrund wurde eine musikalische Organisation namens Société Nationale de Musique10 mit dem Motto Ars gallica in demselben Jahr gegründet; bei den Hauptzwecken dieser Vereinigung handelte es sich um die Bewegung zur Abweichung von der deutschen Musikkultur, die Schaffung der französischen Musik mit eigentümlicher Sprache und die Verbreitung der französischen Musik. Die Repertoires der Konzerte dieser Organisation umfassten die orchestralen Stücke von französischen Musikern und ebenfalls deren künstliche Lieder.11

Im Vergleich zu Deutschland wurden die russischen Musikwerke eher später in Frankreich rezipiert und sie zeigten sich nur allmählich zunehmend in den Aufführung-Repertoires in den Konzerten seit den 1860er Jahren.12 Die in der Weltausstellung 1878 stattgefundenen Konzerte der russischen Musik13 gelten als die Anfangsphase der Bewegung des Anti-Germanismus in der französischen Musikwelt; seither wurde immer mehr russische Musik in Frankreich aufgeführt und die Weltausstellung 1889 war eine auffällige Zeitwendung der Assoziation der russischen Musik mit der französischen Musikentwicklung - fortan wurden die musikalische Sprache der russischen Musikwerke und ihre Musikelemente die verwendbaren Bestandteile bzw. die Inspiration der Musikwerke von den französischen Komponisten.

Die hervorstechend nach dem Model der russischen Musik gestalteten französischen Kompositionen scheinen in den Zügen der Rezeption nur geringe Anzahl; wenn es sich bei den unter dem russischen Einfluss entstandenen Stücke handelt, dann zeigen diese Kompositionen eher die der russischen Musik entsprechenden Eigenschaften wie etwa Modale und volkstümliche Musikmateriale, anstatt die authentische Nachahmung der russischen Repertoires zu sein.14 Ebenfalls haben die französischen Liedkompositionen die gleiche Eigenschaft im Besitz, dass die deutliche Bezüge der russischen Musik in diesen Werken nur vage erscheinen; die Aufnahme der russischen Musik hier wird durch die französische Übersetzung der russischen Textvorlage sowie die dem nationalrussischen Geschmack zugeordneten Volksmelodien und modalen Tonarten realisiert, jedoch die zugrundeliegende Musiksprache dieser Stücke bleibt auf der französischen Ebene, die sich Debussy sowie anderen französischen Komponisten annähert.15

Die in den 1890er Jahren immer zunehmende politische Annäherung Frankreichs an Russland trug nicht nur zur Verstärkung der politischen Stellung Frankreichs in Europa bei, sondern übte sie einen gewissen Einfluss auf die kulturelle Entfaltung aus, wie in der französischen Musikwelt. Die augenfällige Annäherung an Russland konnte durch das in den Jahren 1893/94 stattgefundene Festival russe bewiesen, in dem zahlreiche russischen Musikstücke aufgeführt wurden.

Die Rezeption der russischen Literatur in Frankreich vollzog sich früher als die der Musikwerke; gerade wurde die russische Literatur aus der französischen Sicht als „die Andere“ angesehen sowie die später im Land angekommene russische Musik. Die durch den orientalischen Geschmack, die neuartige Sprache und die entsprechenden Musikelemente gekennzeichnete russische Musik dient der Etablierung der französischen Identität zur Hilfe, um sich einerseits als die Alternative der deutschen Modelle zu entfalten, andererseits parallel einen ihrer Nationalität zugeordneten Musikstil zu gründen. Überdies wurden die in den Pariser Weltausstellungen zur Schau gestellten künstlerischen Produkte sowie die aufgeführten Musikrepertoires der fremden Länder keineswegs von diesem Prozess ausgeschlossen.

3 Maurice Ravel: die Begegnungen und die Realisierungen

3.1 Ravel und die russische Musik und die Apachen

Die Konzerte der russischen Musik wurden nicht zufällig in der Pariser Weltausstellung 1889 unter dem Taktstock Rimsky-Korsakows aufgeführt; Ravel, der damals nur 14-jährige Student aus dem Pariser Konservatorium nahm ebenfalls gemeinsam mit einem Freund an der Weltausstellung teil und kam in Berührung mit der russischen Musik. Der Junge war zweifellos von der russischen Musik beeindruckt und diese Inspiration übte einen lebenslangen Einfluss auf ihn und seine künstlichen Leistungen aus; seither war das Schicksal des Komponisten mit der russischen Musikkultur verbunden.

Die Zeitgenossen von seiner Umgebung konnten ebenfalls diese Musik mit eigenartigem Geschmack nicht übersehen, aus diesem Grund zeigte sich eine Gruppe namens der Apachen16 (des Apaches) am Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris, in der Ravel als die zentrale Figur wirkte. Dem Kreis liegt verschiedene Zeitgenossen Ravels aus vielfältigen Bereichen zugrunde, dabei handelte es sich um Musiker, Musikwissenschaftler, Schriftsteller und so weiter. M.D. Calvocoressi gehörte zum Kreis, er war ein hervorragender Musikhistoriker und Musikwissenschaftler, der viele Fachbücher über Mussorski, Liszt und Schumann verfasste. Als der sehr enge Freund Ravels war Ricard Vines auf keinen Fall von dieser Gruppe ausgeschlossen, seine Beteiligung an der Versammlung trug zur privaten Aufführung der Musikwerke bei. Eine andere nicht zu unterschätzende Figur dieses Kreises war Léon Leclère, welcher wegen der Liebe der Oper Wagners selbst unter dem Pseudonym Tristan Klingsor nannte. Seine Gedichte waren auch die Textvorlagen der Vokalmusik Ravels.

Wegen des enormen Interesses an der russischen Musik, der orientalischen Kunst sowie der Literatur versammelten sich die Mitglieder dieser Gruppe jeden Samstagabend in einer gemieteten Wohnung,17 um über Musik, Kunst und Literatur zu diskutieren und sich ihre Gedankengänge darüber auszutauschen. Die damals in Frankreich schon bekannten Werke der russischen Komponisten wie etwa Mussorgski und Borodin waren keineswegs in solcher Gelegenheit abwesend; ohne Zweifel spielte Ravel nicht selten die russischen Musikwerke vom Blatt und die russische Musik mit exotischer bzw. orientalischer Aroma gefiel den Mitgliedern der Apachen allzu sehr; Ravel selbst wurde großmaßen durch den exotischen Geschmack der russischen Musik beeindruckt, wie z.B. Balakirevs Islamey. Ein interessantes Phänomen zu damaliger Zeit war, dass ein acht-töniges Motiv aus der zweiten Symphonie Borodins als das geheimnisvolle Passwort zur Kommunikation sowie zur Erregung der Aufmerksamkeit der Mitglieder benutzt wurde. 18 Die Angehörigen der Apachen waren nicht auf Franzosen beschränkt; Igor Strawinsky, der damals ebenfalls in Paris sehr bekannt war, nahm auch an dieser Gruppe teil. Die Diskussionen sowie der Austausch der Gedanken über die literarischen sowie künstlerischen Werke und die Inspiration von der japanischen Kunst führten zur Entstehung eines Orchesterzyklus Stravinskys - Trois poésies de la lyrique japonaise. 19 Überdies unterstützten auch die Mitglieder der Apachen die Aufführung der russischen Musik sowie der Werke Strawinskys in Paris. Die kulturelle Assoziation zwischen Russland und Frankreich wird durch diese Assoziation und ihre Zusammenarbeit augenfällig erkannt. Leider setzten sich die Aktivitäten der Apachen wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht in den folgenden Jahrzehnten durch.

Wegen der Entstehung der von Sergei Djagilew gegründeten Ballets Russes drangen die russischen Ballette in die Pariser Kulturwelt ein, deren Golden-Zeit von 1909 bis 1914 dauerte. 20 Die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Russland und Frankreich im 20. Jahrhundert erweiterte sich zur Verknüpfung der russischen Ballette mit der französischen Musik. Debussys symphonische Dichtung Prélude â l'après-midi d'un faune wurde von Vaslav Nijinsky choreographiert; Ravel vertonte ebenfalls ein russisches Ballett, so entstand Daphins et Chloé im Jahr 1912.

[...]


1 Vgl. Stuckenschmidt, H.H., Maurice Ravel. Variationen über Person und Werk, Frankfurt am Main 1966, S. 8.

2 Die Verfechter des Nihilismus weigerten alle bereits existierten Systeme, alle konventionellen Regellungen sowie Einschränkungen. Vgl. Laurice Sherman, Nineteenth-Century Literature Criticism, Detroit 1990, S. 403.

3 Die Spuren des russischen Realismus waren nicht auf die literarische Welt beschränkt, sondern kann man ebenfalls die dem Realismus zugeordneteb Ausdrücke und Gedankengänge in der Malerei bzw. in der Musik finden. Modest Mussorgki war auf jeden Fall ein wesentlicher Vertreter des musikalischen Realismus in der Geschichte.

4 Bei den Angehörigen dieser Gruppe handelt es sich um Balakirew, Mussorgki, Rimsky-Kosarkow, Borodin und Cui. Außer Balakirew waren die übrigen Mitlieder als Musik-Dilettanten zu ihren Lebzeiten geblieben; es könnte auch der Grund dafür, dass sie die von der westlichen Tradition und den Musikgesetzmäßigkeiten entfernte Musiksprache schaffen konnten, um gleichfalls der deutschen Musikmacht entgegenzustehen.

5 Als eine Bezeichnung hat nega eine erotische und sexuell-orientierte Bedeutung in der russischen Musik, die im musikalischen Kontext durch Melismen, Chromatik sowie Bordun realisiert; diese erotische Eigenschaft wird in der russischen Musik dem Orient zugeordnet. Vgl. Richard Taruskin, “Entoiling the Falconet”: Russian Musical Orientalism in Context, in: The Exotic in Western Music, hrsg. von Jonahthan Bellman, Northeastern University Press 1998, S. 202.

6 Vgl. Wieland Schmid, Nationale Schulen, Helbling, Innsbruck 2019, S. 17.

7 Als der Vater des St. Petersburg Orientalismen lief Glinka auf dem exotischen Weg voraus; die ausgeliehenen Musikmaterialen aus den fremden Kulturen wurden sowohl authentisch als auch variiert in den Werken angewandt, während die originale Herkunft der verwendeten Elemente nur schwer zurückgeführt werden, die Authentizität des einzelnen Materials ist dahingegen ausschlaggebend. Jeder Komponist von dem Mächtigen Häuflein zeigt seine eigene Aneignung zur einer bestimmten Musikkultur. Vgl. Kiril Georgiev, Das Mächtige Häuflein: Nationale Musik des 19. Jahrhunderts in Russland, Berlin 2020, S. 79.

8 Die Haltung der Franzosen gegen Wagner stimmte keineswegs überein; er erhielt hervorragende Reputation in der französischen Musikwelt in dem Zeitraum von 1875 bis zum 1900. Obwohl sich die französischen Opern seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Wagnerismus emanzipierten, jedoch schätzten noch viele Franzosen Wagner hoch. Vgl. Elaine Brody, Paris: The Musical Kaleidoscope, 1870-1925, New York 1987, S. 58.

9 Die Zeitgenossen ärgerten sich über die deutsche Musik, die schon für eine lange Zeit die französische Musik in den Aufführungsrepertoires der Konzerte ersetzte. Vgl. ebd., S. 17.

10 Diese Organisation wurde seither ein vitales Zentrum zur Entfaltung der französischen Musik, aufgrund des Ersten Weltkriegs erfuhr sie von einer dreijährigen Unterbrechung bis zum Jahr 1917. Vgl. ebd., S. 17.

11 Vgl. Christy Jo Talbot, The French Art Song Style in Selected Songs by Charles Ives (Dissertation), University of South Florida 2004, S. 7, <https://scholarcommons.usf.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2264&context=etd> heruntergeladen am 11.03.2021.

12 Inga Mai Groote & Stefan Keym, Einführung: Russische Musik in Westeuropa, in: Russische Musik in Westeuropa bis 1917: Ideen Funktionen Transfers, München 2018, S. 10f.

13 Die in der Weltausstellung 1878 aufgeführten russischen Repertoires wie etwa die Stücke von Rubinstein wurden schon aus der französischen Sicht als orientalisch und exotisch bezeichnet. Vgl. Inga Mai Groote, Östliche Onvertüren: Russische Musik in Paris 1870-1913, Kassel 2014, S. 83.

14 Vgl. ebd., S. 214ff.

15 Vgl. ebd., S. 216f.

16 Die Abstammung des Namens dieser Gruppe basiert auf einer lustigen Geschichte; das Wort Apache hat eine negative und schnöde Bedeutung in der französischen Sprache, jedoch fanden Ravel und Vines den Namen interessant und nannten sie ihren Kreis so. Vgl. Natalie Morel Borotra, Ravel et le Groupe des Apaches, in : Cuademos de Seccion. Musica 8. (1996) S. 145-158, hier: S. 149f, <https://core.ac.uk/download/pdf/11502356.pdf> heruntergeladen am 23.02.2021.

17 Das von Maurice Delage gemietete Studio ermöglichte die Mitlieder zum Spielen der Musik die ganze Nacht hindurch.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Ravels Orientalismus und der Kulturtransfer der fremden Musik im Zyklus der Orchesterlieder
Hochschule
Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar
Veranstaltung
Klänge des Fremden
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
31
Katalognummer
V1043053
ISBN (eBook)
9783346463425
ISBN (Buch)
9783346463432
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ravels, orientalismus, kulturtransfer, musik, zyklus, orchesterlieder
Arbeit zitieren
Zhe Yuan Lim (Autor:in), 2021, Ravels Orientalismus und der Kulturtransfer der fremden Musik im Zyklus der Orchesterlieder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043053

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