Racial Profiling der Polizei in der Silvesternacht 2016/2017


Hausarbeit, 2021

16 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Grundlage: Racial Profiling
2.1 Definition
2.2 Urteil

3. Silvesternacht 2016/2017
3.1. Einordnung der Geschehnisse
3.2. Überprüfung der Kritik
3.3. Alternative Handlungsmöglichkeiten
3.4. Legitimation seitens der Polizei

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Warum ausgerechnet ich?“, fragt Temye Tesfu den Polizisten, der ihn am Bahnhof kontrolliert. Als Antwort erhält er die Begründung: „Naja, Sie passen halt ins Raster“1.

Das angeführte Beispiel stammt aus einem Interview des Onlinemagazins „Jetzt.de“ das zwei junge Menschen zu ihren Erfahrungen mit Racial Profiling befragt. Es kann exemplarisch für die beinahe alltäglich erscheinenden Kontrollen von Menschen mit mutmaßlichem Migrationshintergrund dienen. Der Polizist verweist nicht ohne Grund auf vermeintliche Raster. Doch was sind diese Raster, die für ihn eine legitime Verdachtsgrundlage herbeiführen? Die „Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ möchte auch begründet durch die genannte Fragestellung herausfinden, ob es tatsächlich verbreitete Raster und Muster gibt, anhand derer die Polizisten2 verstärkt Menschen mit einem bestimmten Profil, in diesem Fall einem ausländischen Aussehen, kontrollieren und unter Verdacht stellen. Sie fordert daher in ihrem Bericht die „Behörden auf, eine Studie durchzuführen, die die aktuelle Überprüfungspraxis analysiert und zu Empfehlungen führt, die nachhaltig Racial Profiling verhindert und die Zahl der unbegründeten Polizeikontrollen reduziert“3. Das Beispiel Tesfus, der in dem Interview noch auf weitere und dieser Kontrolle ähnelnde Erfahrungen hinweist, lässt grundsätzlich annehmen, dass diese Studie gerade in unserer immer diverser werdenden Gesellschaft durchaus Relevanz besitzt.

Innenminister Seehofer lehnt eine derartige Evaluation jedoch im Juni 2020 ab. Sie verspreche keine gesellschaftlich relevanten Erkenntnisse, da Racial Profiling ohnehin bereits verboten sei. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass es bisher kein Gesetz gegen die Anwendung von Racial Profiling gibt, das diese Praxis eindeutig und für die Ausführenden explizit nachvollziehbar verbietet. Die Polizei hat bei der Kontrolle großen „Interpretations- und Ermessensspielraum“4. Dieser Ermessenspielraum wird durch das folgende Spannungsfeld geprägt. Auf der einen Seite muss eine Selektion der zu Kontrollierenden stattfinden, da nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung stehen, um alle Menschen ohne Rücksicht auf individuelle Merkmale, zu kontrollieren. Auf der anderen Seite darf solch eine Selektion jedoch nicht nur anhand der Hautfarbe erfolgen.5 Die Polizei stößt also ihrerseits auf eine Problematik zwischen der Wahrung des Grundrechtes der Gleichheit und der Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben. Sie sind in dieser Hinsicht auf sich allein gestellt und müssen nach ihrem eigenen Ermessen eine Art Mittelweg finden, diese teils konträr erscheinenden Anforderungen miteinander zu verbinden. Dies als Konflikt wahrzunehmen, scheint allerdings den Kern der Problematik zu treffen. Es zeigt sich also, dass eine nähere Betrachtung der Polizeiarbeit im Hinblick auf den Vorwurf des Racial Profilings, stattfinden sollte.

Beginnend mit einer begrifflichen Grundlage von Racial Profiling, auf der im späteren Verlauf die Beurteilung, in welchen Fällen es sich um Racial Profiling handelt, basieren soll. Anschließend wird ein beispielhaftes Gerichtsurteil zu einem Racial Profiling-Fall des Oberlandesgerichts Koblenz zu Racial Profiling angeführt, um die rechtliche Situation beispielhaft darzustellen.

Auf diesen Ausführungen baut schließlich die konkrete Fallanalyse der Polizeikontrollen in der Silvesternacht 2016/2017 auf, die zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit erklärt werden. Es handelt sich bei diesen um eine Folgereaktion auf die Geschehnisse des Vorjahres, die dadurch begründet ebenfalls einer kurzen Darstellung bedürfen. Es gilt zu überprüfen, ob die von Amnesty International geäußerte Kritik, es habe sich 2016/2017 um Racial Profiling gehandelt, zu unterstützen ist.

Des Weiteren werden etwaige Handlungsalternativen der Polizei aufgezeigt, die die Berechtigung der Aktionen entweder unterstützen oder zurückweisen. Um ein differenziertes Meinungsbild zu schaffen, wird auch die Legitimation der Handlungen durch die Polizei angeführt.

Abschließend wird ausgehend von der vorherigen Auseinandersetzung ein Fazit gezogen, in dem beurteilt wird, ob es sich bei den Polizeikontrollen in der Silvesternacht 2016/2017 um Racial Profiling handelte.

2. Begriffliche Grundlage: Racial Profiling

Die Auseinandersetzung mit Racial Profiling rückt immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Für eine reflektierte Betrachtung des Diskurses gilt es zunächst, eine theoretische Grundlage zu schaffen, die sich aus der Etablierung eines Begriffsverständnisses und einem exemplarischen Gerichtsurteil zusammensetzt.

2.1 Definition

Racial Profiling wird als „eine polizeiliche Praxis [beschrieben], bei der Menschen in diskriminierender Weise einer Andersbehandlung ausgesetzt sind.“6

Raphael Behr setzt sich ebenfalls mit dem Begriff des Racial Profiling und seinen motivatonalen Hintergründen auseinander und beschreibt diese Praxis als Reaktion auf eine „kollektive Angst vor gefährlicher Fremdheit“7. Racial Profiling ist eng mit dem Begriff der Diskriminierung verbunden. Denn es handelt sich um eine klare Form der „Ausgrenzung“8 und „Verachtung“9 Anderer, nur das diese vor dem Hintergrund einer institutionell etabliert scheinenden Praxis stattfindet. Die Personen, gegen die sich Racial Profiling richtet, werden aufgrund ihrer vermeintlichen Andersartigkeit durch die Polizisten als fremd wahrgenommen, wodurch die bereits angesprochene kollektive Angst entsteht. Diese Angst äußert sich insbesondere in der betonten Unterscheidung zwischen „Wir und Anderen“10. Der psychologische Prozess, der sich hinter dieser oberflächlichen Zuweisung verbirgt, resultiert darin, dass „das eigene Vertraute höher bewertet und das Fremde gleichzeitig abgewertet“11 wird. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass die Polizeibeamten im Laufe der beruflichen Praxis lernen, dass sie durch häufige Kontrollen bestimmter Personengruppen, Erfolge erzielen. Dies hat weniger damit zu tun, dass andere Personengruppen weniger straffällig werden würden. Die knappen Ressourcen der Polizei zwingen die Polizeivollzugsbeamten allerdings dazu, Selektionen vorzunehmen, die darin münden, dass sie ihre „Kontroll- und Sanktionsmacht“12 vorzugsweise gegenüber Minderheiten ausnutzen. Diese Kontrolle darf zwar offiziell nie ziel- und planlos sein, ist in diesem Fall jedoch scheinbar am erfolgversprechendsten. Durch diese Erfolge entstehen erlernte Verhaltensmuster, die nur schwer zu durchbrechen sind. Es handelt sich hier offenbar um eine Institutionalisierung von Verhalten. Die Polizeivollzugsbeamten entwickeln in deren Folge eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf die Andersartigkeit der zu Kontrollierenden, die in einer sich ständig bewahrheitenden Verachtung resultiert.

2.2 Urteil

Der Verdacht einer rein auf Andersartigkeit abzielende Kontrolle entstand auch in dem beispielhaft zu untersuchenden Fall des Oberlandesgerichts Koblenz, in dessen Urteil der Vorwurf des „Racial Profilings“ bestätigt wurde. Im Folgenden wird sich auf Schneider und Olks Darstellung des Falls bezogen13. In dem vorliegenden Fall handelt es sich um eine dreiköpfige Familie mit dunklen Teint, die auf einer Zugfahrt innerhalb Deutschlands durch die Bundespolizei kontrolliert wurden. Die Betroffenen haben diesen Vorfall als diskriminierend empfunden, da sie die einzigen Personen waren, die durch die Polizei kontrolliert wurden und außerdem keinen Grund für eine Überprüfung erkennen konnten. Deshalb brachten sie diesen Vorfall zur Anzeige. Auf ihre an die leitende Polizistin gerichtete Nachfrage, auf welcher Grundlage die Handlungen erfolgten, führte diese das „Gesamtbild der Familie“14 als Begründung an. Die Familie sah sich wenig überraschend in ihrer Annahme bestätigt, dass ihre Hautfarbe das einzige Kriterium war. Die Polizistin wies diesen Vorwurf zurück. Auslöser für die Kontrolle seien mitgeführte Sachen und auffälliges Verhalten gewesen.

Aus rechtlicher Perspektive liegt an dieser Stelle ein Verstoß gegen Art.3 III S.1 des Grundgesetzes vor, welcher lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.“15 Die Interpretation, inwiefern in dieser Kontrolle eine Benachteiligung stattfindet, obliegt dabei den beteiligten Polizisten. Art. 3 III GG befindet sich dadurch in der Ermessensgrenze der Polizei. Denn sie dürfen zwar selektieren, doch darf diese Selektion nicht gegen das Grundrecht der Gleichheit verstoßen. Das Oberlandesgericht Koblenz legte fest, dass „gemäß einem Verständnis des Art.3 III GG im Sinne eines Begründungsmodells, demzufolge die Ungleichbehandlung begründet werden können muss, ohne dass auf die genannten Merkmale als Kriterien abgestellt wird.“16

Die Kontrolle offenbart sich als rechtswidrig, wenn das Merkmal conditio-sine- qua-non, also die notwendige Bedingung, für die Kontrolle und somit die Ungleichbehandlung war. Das heißt, wenn dieses Merkmal nicht vorliegen würde, fände die Polizeikontrolle nicht statt. In dieser konkreten Situation ist es fragwürdig, ob die Kontrolle auch durchgeführt worden wäre, wenn die Familie keinen dunklen Teint hätte. Ansonsten wäre das Merkmal der Hautfarbe kausal für eine polizeiliche Maßnahme und somit rechtswidrig.

Das Oberlandesgericht Koblenz kam zu eben dem Entschluss, dass die beschriebene Polizeikontrolle rechtswidrig aufgrund des Auswahlermessens der Bundespolizei war. Sie hätten nämlich noch die Zeit gehabt, andere Personen im Zug zu kontrollieren. Das dies nicht erfolgte, beweist die Zentrierung auf die spezifische Familie. Die Kontrolle war damit unverhältnismäßig.17

Auch wenn es sich in dem Fall aus der außenstehenden Perspektive eindeutig um Racial Profiling handelte und dieser Eindruck auch durch das Oberlandesgericht Koblenz bestätigt wurde, offenbart die Fallbeschreibung auch die Problematik der polizeilichen Praxis. Diese besteht in der Beurteilung der benannten Ermessensentscheidung. Damit geht immer auch ein gewisser Spielraum einher, der von den beteiligten Polizisten, aber auch von dem urteilenden Gericht, subjektiv auslegt wird.

Gerade wenn Racial Profiling zum Alltag von Menschen mit Migrationshintergrund gehört und somit ihre „Lebensrealitäten“18 formt, ist ein derartiger Spielraum jedoch absolut kritisch zu bewerten. Eine Studie, wie sie in der Einleitung beschrieben und von der „Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ gefordert wurde, gewinnt vor diesem Hintergrund an Relevanz.

3. Silvesternacht 2016/2017

Um die Problematik des Racial Profilings anhand eines konkreten Beispiels nachzuvollziehen, wird die organisierte Polizeikontrolle in der Silvesternacht 2016/2017, die als Reaktion auf die Geschehnisse der Silvesternacht 2015/2016 stattgefunden hat, in Augenschein genommen. Wieso sich gerade dieses Beispiel für eine nähere Betrachtung eignet, wird die Einordnung in die Geschehnisse zeigen. Darauffolgend werde ich die von „Amnesty International“ geäußerte Kritik, es habe sich bei dieser Kontrolle eindeutig um einen Fall von „Racial Profiling“ gehandelt 19, auf ihre Gültigkeit hin überprüfen. Im Anschluss werden alternative Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, wie die Polizei in dieser Silvesternacht hätte anders reagieren und damit den Vorwürfen des Racial Profilings entgegenwirken können.

3.1 Einordnung der Geschehnisse

In der Silvesternacht 2015/2016 wurden in Köln zahlreiche Straftaten, darunter vor allem Sexual- und Eigentumsdelikte, verübt. Die Täter wurden von den meisten Opfern als „nordafrikanisch-arabisch oder südländisch“20 aussehend beschrieben. Trotz oder gerade wegen ihrer Anzahl wurden jedoch kaum Straftaten aufgeklärt. Auf diese Übergriffe folgten umfangreiche gesellschaftliche und politische Diskussionen. Besonders in der Kritik stand das Verhalten der Polizei in dieser Nacht. Nach Meinung der Bürger gab es viel zu wenig Polizeipräsenz und die Opfer sexueller Übergriffe fühlten sich hilflos und von der Polizei allein gelassen. Ein Opfer berichtet beispielsweise: „Ich habe einem Polizisten geschildert, was mir passiert ist und habe ihm auch die Männer gezeigt, die dies waren. Ich habe ihn aufgefordert, hier einzugreifen, was er allerdings nicht getan hat. Er sagte zu mir persönlich: Da kann ich nichts machen“21. Dies ist nur eine von vielen Anzeigen, die explizit das Verhalten, bzw. Das Nicht-Eingreifen der Polizei kritisierten.22

Wahrscheinlich maßgeblich begründet durch diese Vorwürfe, setzte die Polizei im Folgejahr auf eine deutlich erhöhte Präsenz und den vermehrten Einsatz von Polizeikontrollen. Diese führten jedoch erneut zu hoher Aufruhe in der Bevölkerung.

[...]


1 vgl. Schlüter/ Haunhorst 2017

2 Soweit Personen- und Funktionsbezeichnungen aus Gründen der Lesbarkeit nur in der männlichen Form verwendet werden, gelten sie gleichermaßen für alle Geschlechter.

3 European Commission against Racism and Intolerance 2019, S.39

4 Schohreh 2019, S.180

5 vgl. Behr 2017, S.303

6 Plümecke/ Wilopo 2019, S.151

7 Behr 2017, S.302

8 ebd., S.305

9 ebd., S.305

10 ebd., S.305

11 ebd., S.305

12 Behr 2017, S.302

13 vgl. Schneider/ Olk 2018, S.936-948

14 vgl. ebd., S.936

15 Art. 3 III GG, Grundgesetz

16 Schneider/ Olk 2018, S.944

17 vgl. ebd., S. 946 ff.

18 Schohreh 2019, S.177

19 vgl. Amnesty International 2017

20 Egg 2017, S.1

21 ebd., S.301

22 vgl. ebd., S.296-303

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Racial Profiling der Polizei in der Silvesternacht 2016/2017
Note
1,0
Jahr
2021
Seiten
16
Katalognummer
V1045217
ISBN (eBook)
9783346474070
ISBN (Buch)
9783346474087
Sprache
Deutsch
Schlagworte
racial, profiling, polizei, silvesternacht
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Racial Profiling der Polizei in der Silvesternacht 2016/2017, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045217

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