Einfluss ehemaliger Eliten auf ökonomischen Reformerfolg


Term Paper, 2001

17 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Politische und ökonomische Transformation in Osteuropa

Universität Konstanz

Fakultät für Verwaltungswissenschaften

Der Einfluss ehemaliger Eliten auf den ökonomischen Reformerfolg

Hausarbeit von Peter Schottmüller 2001

In den letzten zehn Jahren haben vielerlei politische und ökonomische Transformationsprozesse in osteuropäischen Staaten stattgefunden. Das gemeinsame Ziel war, eine gewisse Wohlstandssteigerung zu verwirklichen und partiell die Übernahme demokratischer Staatsformen zu erreichen. Die Diversität der Transformationen äußert sich unter anderem darin, dass die Wirtschaft einiger Länder zeitlich früher prosperierte als die anderer. Dieser Vorsprung kann auf schnelle und tiefgreifende Reformen zurückgeführt werden, die als Rahmenbedingungen für den Wohlstand des Volkes eine notwendige Voraussetzung darstellen. Unter der Annahme, es sei das Ziel eines jeden Politikers, den Wohlstand seines Landes zu vermehren, stellt sich die Frage, warum verschiedene Reformgeschwindigkeiten auftreten. Im Folgenden wird sich diese getroffene Annahme oftmals als falsch erweisen, denn das Hauptinteresse ehemaliger Eliten gilt primär der eigenen Wohlfahrt.

Die ehemalige Führungselite muss meiner Meinung nach in irgendeiner Form eine programmatische Veränderung zum Erhalt ihres Wohlstands vollziehen. Der ehemalige ideologische Führungsanspruch ist einer Wahl durch das Volk gewichen. Meine Hypothese lautet deshalb: Je größer der Anteil ehemaliger Eliten an der Reformgesetzgebung ist, desto langsamer geht die ökonomische Reform voran. Die Gegenhypothese lautet: Wenn die Option auf einen Beitritt zur EU besteht, gehen die ökonomischen Reformen schneller voran.

Als Ergebnis meiner Untersuchung stellen sich zwei Punkte heraus: Die Gegenhypothese muss dahingehend modifiziert werden, dass eine generelle Westbindung zu schnelleren ökonomischen Reformen beiträgt. Beide Hypothesen besitzen für Polen und die Ukraine Geltung.

Aus der vielgestaltigen Literatur zu Transformation und Transition, denke ich, sind Colomer zu strategischen Verhandlungen im Transitionsprozess, Fish zu Wahlen als Prediktor erfolgreicher ökonomischer Reformen und Kopstein und Reilly zu Entfernung zum Westen als Prediktor ökonomischer Reformen und deren Erfolg in der Literaturdebatte zu berücksichtigen. Josep Colomer zeigt in „Strategies and Outcomes in Eastern Europe“, dass strategisches Verhandeln grundlegend für den Transitionsprozess ist. Er verfolgt den Gedanken, dass Verhaltenstrategien zur Schaffung von Institutionen und Institutionen selbst, aufgrund ihrer fehlenden absoluten Neutralität, den Transformationsprozess beherrschen. Bei der Positionierung der Akteure spielen zwei Variablen eine Rolle: Verhandlungsstärke und der zu erwartende Wahlerfolg. Drei der vier hieraus resultierenden möglichen Kombinationen schaffen pluralistische und gewaltengeteilte Systeme. Somit wird die Opposition die Verhandlungsstrategie verfolgen, sich zu einer potentiellen Regierungskoalition Mehrheiten zu suchen, als auch das System so auszulegen, dass im Falle des später zu erwartenden

Koalitionsbruchs, nach der erfolgreichen Abwehr des gemeinsamen Feindes, die möglichen politischen Konsequenzen zu verschmerzen sind, das heißt durch ein pluralistisches System der Machtverlust nicht in die politische Isolation führt, sondern zum Beispiel durch das System von „checks and balances“ noch weiterhin eine Kontrolle der Regierung besteht. Es zeigt sich im empirischen Teil, dass in beiden untersuchten Fällen eine zu lange Zeit ohne angepasste Verfassung den Reformen hinderlich gegenübersteht. Ein etabliertes System tendiert jedoch nicht zu schnellen Veränderungen aufgrund der damit verbundenen Kosten und Ungewissheiten für beide Akteure. Im Hinblick auf meine Hypothese zeigt Colomer die Entstehung der institutionellen Rahmenbedingungen auf, innerhalb derer die spätere Privatisierung als Gesetz verabschiedet werden muss. Ebenfalls scheint sich die kommunistische Regierung Polens bei den Zugeständnissen an Solidarnosc im Jahr 1989 erheblich verrechnet zu haben. Alle zur Wahl freigegebenen Mandate, mit Ausnahme eines einzigen, wurden von reformierenden Kräften gewonnen.

Fish hingegen beschäftigt sich mit dem Ergebnis der ersten freien Wahlen. In seinem Artikel „The Determinants of Economic Reform in the Post-Communist World“ ist das Ergebnis der ersten demokratischen Wahl ein empirisch gut bestätigter Prediktor für der Erfolg ökonomischer Reformen. Im Zuge einer empirischen Analyse mehrerer Nationen testet Fish den Einfluss von Ökonomie, Kultur, politischen Institutionen und politischen Verbindungen auf die abhängige Variable und erklärt den zugrundeliegenden kausalen Einfluss. Für meine Hypothese relevant sind die Fragen nach dem Einfluss politischer Institutionen und politischer Verbindungen. In Bezug auf die politischen Institutionen spricht Fish davon, dass ein präsidentielles System geeigneter für harte Reformen zu sein scheint, da der Präsident weiter vom Volk isoliert ist, oftmals eine längere Amtszeit besitzt als ein Parlament und keines parlamentarischen Kompromisses zur Entscheidungsfindung bedarf. Im Gegenzug scheinen präsidentielle Systeme jedoch stark von der Führungspersönlichkeit ausgefüllt zu werden. Dies kann zu populistischen und plebiszitären Elementen führen, notwendige Reformentscheidungen können aufgeschoben werden. Möglicher Amtsmissbrauch und Korruption fördern nicht die notwendigen, jedoch schmerzhaften ökonomischen Reformen. Ein ähnlicher Überlegungsansatz findet sich auch bei Kopstein und Reilly (2000). Fish testet empirisch erfolgreich die Hypothese, dass ökonomische Reformen in parlamentarischen und semiparlamentarischen Systemen schneller vorangehen als in präsidentiellen Demokratien. Bei den politischen Verbindungen stellt Fish die Frage nach der Form der Transition. Gab es eine Massenbewegung, gab es Gewalttätigkeiten oder kam es zu etappenweisen Auflösung? All diese Variablen besitzen nach Fish keine große Varianz, sodass er hieraus keine Einflüsse ableitet. Hierauf werde ich im Folgenden noch Bezug nehmen.

Während Fish den prediktiven Charakter der ersten demokratischen Wahlen aufzuzeigen versucht, hinterfragen Kopstein und Reilly hingegen, warum bei freier Volksentscheidung dennoch ein großer Wahlerfolg der ehemaligen Kommunisten zu verzeichnen ist: Reformerfolg ist eine Funktion der geographischen Nähe zum Westen. Sie teilen, anders als bei der Wirkung präsidentieller Systeme, überhaupt nicht Fishs Meinung, sondern ersetzen seinen Prediktor der ersten Wahl durch den Prediktor Entfernung zu Berlin oder Wien. Die Hypothese kann nach empirischen Tests vorläufig aufrechterhalten werden, bedarf aber einer erheblichen Konzeptspezifikation. Die zugrunde liegende Hauptannahme lautet folgendermaßen: „...the spatial location of a country should be considered an important contextual dimension that profoundly changes the natures of postcommunist dilemmas across the region and provides powerful constraints that shape the choices available to transforming elites.“ (Kopstein und Reilly 2000:6) Die expliziten Annahmen für das zugrundeliegende Konzept der Entfernung zum Westen sind der Informationsfluss, Kommunikationsnetzwerke, Einflusshierarchien und die Empfänglichkeit für Veränderungen.

Ich will Fish im Bezug auf die Form der Transition und deren potentiellen Einfluss widersprechen. Dass die Form der Transition keine Varianz aufweist, bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass sie nicht maßgeblich für die abhängige Variable sein könnte. Schon ein längerer Machterhalt alter Eliten kann zu erheblichen Verzögerungen oder gar zu kontraproduktiven Staatshandlungen für ökonomische Reformen führen. Diese Überlegung will ich hier darlegen. Als Grundlage will ich meine Hypothesen kurz erläutern und eine Konzeptspezifikation der verwendeten Begriffe Elite, ökonomische Reformgesetzgebung, Reformerfolg und des j-Curve- Effekts vornehmen. Ebenfalls will ich die Handlungsmotivationen zum Verbleiben ehemaliger Eliten in staatlichen Positionen basierend auf der Rational-Choice-Theory darlegen.

Meine Hypothese lautet: Je größer der Anteil ehemaliger Eliten an der Reformgesetzgebung ist, desto langsamer geht die ökonomische Reform voran. Als alternative Erklärung dient die Gegenhypothese: Wenn die Option auf einen Beitritt zur EU besteht, gehen die ökonomischen Reformen schneller voran.

Eine allgemeine Definition betrachtet Eliten als „eine Gruppe von Menschen, die in der Hierarchie eine exponierte Stellung einnehmen“ (Meyer 1979). Im sozialistischen Sprachgebrauch findet sich oftmals statt des Elitenbegriffs der Begriff Kader, um auf den Umstand hinzuweisen, dass diese Eliten Entscheidungen frei von Kontrollen durch Nicht-Eliten treffen konnten. Nach einer sozialistischen Definition sind Kader Personen, „die aufgrund ihrer

politischen und fachlichen Fähigkeiten und charakterlichen Eigenschaften geeignet und beauftragt waren, Kollektive von Menschen zur Realisierung gesellschaftlicher Prozesse und Aufgaben zu leiten oder dabei als wissenschaftlich gebildeter Spezialist mitzuwirken“ (Heyse und Ladensack 1994). Demnach ist der Begriff Kader für Eliten des Kommunismus anzusehen, der Begriff Elite hingegen für hierarchisch exponierte Stellungen während oder nach der Phase der Transition.

Als die ökonomische Reformgesetzgebung will ich alle legislativen und administrativen Maßnahmen bezeichnen, die auf rechtsstaatliche Grundlagen gerichtet sind, zum Beispiel Garantie der Verfügungsrechte, ein gesetzlich geregeltes Bankensystem und die Bereitstellung der Gesetze und Verordnungen, innerhalb derer sich ein freier Markt entfalten soll. Dieser Begriff der ökonomischen Reformgesetzgebung ist jedoch zu umfassend, um ihn im Zuge dieser Hausarbeit in der Gesamtheit zu erörtern, sodass ich im Folgenden mich nur noch mit der Frage der Privatisierung beschäftigen werde. Ich rechtfertige diesen Schritt damit, dass Fishs gewichteter additiver Index der ökonomischen Reform sich aus nur zwei gleichgewichteten Dimensionen zusammensetzt: Privatisierung und Liberalisierung. Die Privatisierung scheint mir der Kernpunkt einer potentiellen Verzögerung der ehemaligen Eliten zu sein. Als Indikator der Beteiligung an der Gesetzgebung dient mir der Prozentsatz der im Parlament vertretenen Kommunisten.

Bei einer Transition wird ein funktionales Privateigentum angestrebt; alles Vermögen ist grundsätzlich in privater Hand. Es ist wirtschaftlich jedoch effizient, wenn der Staat all jene Güter und Dienstleistungen anbietet, die wichtig sind und die anzubieten für den Unternehmer nicht lohnt, oder deren Produktion durch private Anbieter Gefahren für die Gemeinschaft mit sich bringen. So liegen die Aufgabenfelder der inneren und äußeren Sicherheit, das Rechtssystem, die institutionellen Rahmenbedingungen und Teile der materiellen Infrastruktur beim Staat. (Glisman und Schrader 1993). Privatisierung, das heißt die Überführung staatlich regulierter Betriebe in den freien Markt, ist nach Glisman und Schrader keinesfalls als Selbstzweck anzusehen. Sie dient der Schaffung dezentraler Produktionsanreize beziehungsweise dezentraler Anreize zur Produktivitätssteigerung. Ebenfalls ist sie kein Allheilmittel weiterer Ziele, zum Beispiel für soziale Gerechtigkeit oder für fiskalisch Ergiebigkeit der Privatisierung. Der polnische Präsident Walesa hierzu: „All dies wird nicht die unsichtbare Hand des freien Marktes für uns erledigen. Eine Wirtschaftsordnung entsteht nicht von selbst“ (Keesing 1992). Die Privatisierung dient somit der Verbesserung der Kosten- Nutzen-Funktion sowohl für den Staat als auch für den Unternehmer. Beide profitieren vom neuen System mehr als jeder einzelne vom alten System. Diese Umstände müssen

Berücksichtigung finden, denn es handelt sich bei der Privatisierung um ein wirklich diffiziles und weitgefasstes Aufgabenfeld.

Vor der Frage nach der Privatisierungsart steht zum Beispiel die Frage nach dem augenblicklichen Besitzer. Wem gehört der staatseigene Betrieb, zur Zeit des Sozialismus ehemals als Volkseigentum betrachtet: Dem Land, dem Gau, dem Bezirk, der Stadt, der Betriebsleitung oder der Belegschaft (Gliesmann und Schrader 1993)? Hier findet sich einer von vielen Ansatzpunkten für eine Hemmung der Privatisierung durch den Versuch, die Rechtslage zugunsten der ehemaligen Eliten zu beeinflussen oder durch ein Hinauszögern einer drohenden unvorteilhaften Abänderung der Besitzverhältnisse der Kader.

Die Reformgeschwindigkeit basiert auf den Gesetzen zur ökonomischen und politischen Reform, die in einem gewissen Zeitraum verabschiedet werden. Ich verwende hier einen operationalistischen Ansatz zur Indikatorfindung: Die Reformgeschwindigkeit ist die Summe der gesetzlichen Maßnahmen, ein möglichst schnelles Erreichen des höchstmöglichen Wertes der beiden von der European Bank for Reconstruction and Development herausgegebenen privatisation indices.

Eine hohe Geschwindigkeit ist wichtig, um den j-Curve-Effekt (Hellman 1998) schnellstmöglich zu durchlaufen. Dieser Effekt wird im Folgenden kurz beschrieben. Auch hier richtet sich mein Augenmerk nur auf den Aspekt der Privatisierung in der Gesetzgebung. Der j-Curve Effekt besagt, dass nach ökonomischen Reformen im Zuge der Umstellung zunächst eine Abnahme bei einigen Parametern, zum Beispiel der Kaufkraft, der Industrieproduktion und den Löhnen in der Bevölkerung zu erwarten ist. Wenn keine schnellen Reformen betrieben werden, so kommt es nach Hellman nicht zu einer Regeneration der Wirtschaft, sondern zu einem stetigen Abwärtstrend. Schnelle Reformen und Reformerfolg korrelieren.

Die Vorgehensweise und Handlungslogiken der ehemaligen Führungselite kann anhand eines methodologischen Individualismus unter Zuhilfenahme der Rational-Choice-Theory als jeweilige individuelle Handlungshypothese erklärt werden. Nach dieser Betrachtungsweise lässt sich menschliches Verhalten im individuellen Nutzen-Kosten-Kalkül rational begründen (Rahe 1997). Eine Ausformulierung der Theorie gibt Esser (1986a): „Personen wählen die ihnen vorstellbare Handlungsalternative, die am ehesten angesichts der vorfindbaren Situationsumstände bestimmte Ziel zu realisieren verspricht.“ Wichtig im Hinblick auf das Verhindern und Hinauszögern von Reformen ist, dass in diese Theorie der Blickwinkel des Akteurs hineinspielt. Zum Beispiel kann sich eine Reformverhinderung unter Berufung auf den j-Curve-Effekt als beste Handlungsalternative zur Machterhaltung herausstellen, und zwar dann, wenn der Reformerfolg auf lange Sicht, nach der Durchwanderung der Talsohle der J-Curve, verkannt wird.

Im empirischen Teil stelle ich zunächst eine grundlegende Theorie über den Verbleib ehemaliger Eliten an der Macht auf und erkläre danach die Aussagekraft der privatisation indices. Im Anschluss folgt der deskriptive Ländervergleich der Ukraine mit Polen. Zuletzt präsentiere ich dann die ermittelten Ergebnisse.

Zur Untermauerung meiner Hypothesen muss zuerst einmal aufgezeigt werden, dass die alte Elite, der Kader, nicht im Transformationsprozess plötzlich von der politischen Bühne verschwindet. Ich will kurz auf die Rücktrittsbegründung des stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine, Viktor Pinsenik, verweisen, der 1994 folgendes feststellte: „Seit dem Ende des Kommunismus wurde in der Verwaltung des Landes kaum ein personeller Wechsel vollzogen“ (Keesing 1994). Wir betrachten die Mitglieder des Kaders, die gänzlich ihrer Existenzgrundlage beraubt worden sind: des Machtzugangs a priori mittels „Parteibuch“ und Ausbildung an einer „Kaderschmiede“. Der parteikonforme Werdegang war nahezu Garant des Zugangs zu einer, der persönlichen Wohlfahrt nützlichen Betätigung im Staat. Wenn man nun die Rational-Choice-Theory zugrunde legt, kann das Aufnehmen dieser parteipolitischen Schulung und Indoktrination als beste Grundlage der Schaffung der persönlichen Wohlfahrt angesehen werden. Das bedeutet, die Herrschaft der Ideologie ist nur oberflächlich und steht mit Sicherheit hinter dem Gedanke an das persönliche Wohlergehen, wie ebenso das Wohl des Volkes hintenansteht. Daraus folgt gleichzeitig, dass zum Erhalt der augenblicklich gefährdeten Macht- und Wohlfahrtsposition eine neue Strategie durch die Kader entworfen werden muss. So wird die alte Elite alles daran setzten, auch die neue zu sein. Es darf jedoch auf keinen Fall vergessen werden, dass die Motivation in privater Wohlfahrt bedingt liegt!

Ein Teil der neuen Elite zu werden, kann auf zwei im Ansatz unterschiedliche, in der Folge sich jedoch vernetzende Ausgangslagen erreicht werden. Unter Bezug auf die meine Hypothese kann dies durch den Versuch erreicht werden, die ehemalige wirtschaftlich gute Situation so lange als möglich zu bewahren. Die Handlungsalternative hierzu wäre, im Zuge der Bestätigung durch das Volk mittels Wahlen den Fortbestand der Macht zu sichern, auch in Führungspositionen nichtkommunistischer Parteien. Der Versuch, sich die ehemalige wirtschaftlich gute Situation zu bewahren, kann mit der Sicherung ökonomischer Macht oder deren Schaffung gleichgesetzt werden.

Hier eröffnen sich hauptsächlich zwei große Betätigungsfelder für die ehemalige politische Elite. Zum einen die Reformverzögerung, zum anderen die Positionierung im „rechtsfreien Raum“. Eigentlich dürfte kein Staat diesen Raum zur Verfügung stellen, jedoch kommt es im Zuge der mannigfaltigen Aufgaben während der Transformation sicherlich zu ein paar Gesetzesnischen, oftmals auch beabsichtigten, die dann geschickt durch die alte Elite ausgenutzt werden, zum Beispiel durch Spekulation oder Manipulation bei Eigentumsfragen. 1992 äußert sich der polnische Staatspräsident hierzu: „Das geerbte alte Recht besteht fort, so dass eine gefährliche Grauzone mit Raum für Kriminalität entsteht“ (Keesing 1992). Dies Vorgänge können legal durch die Nutzung des Wissensvorsprungs entstehen, oder illegal durch das Bewegen in einer rechtlichen Grauzone, deren Auslöschung denen aufgetragen ist, die sich darin bewegen. So kommt es in Polen im Jahre 1991 zum Skandal um die Firma „Art B“. Man nutzt das veraltete, langsame System der Kommunikation der Banken aus. Man fliegt das abgehobene Geld per Helikopter durch Polen zu neuen Einzahlungsorten und schafft so eine kurzzeitige aber vor allem legale Doppelverzinsungen, da die alte Bank bis zur postalischen Bestätigung des Geldeingangs bei der neuen Bank weiterhin Zinsen zahlen muss (Keesing 1991).

Die Reformverzögerung kann ebenfalls aus zwei Gründen als eine gute Handlungsalternative der ehemaligen Elite betrachtet werden. Es kann ein direkter Nutzen entstehen, zum Beispiel für Direktoren der Staatsbetriebe, wenn diese so lange als möglich unter einem staatlichen Protektorat weitergeführt werden, und sich so den regulativen Kräften des Marktes nicht zu stellen brauchen. Es kann auch ein indirekter Nutzen entstehen durch rentseeking (Kopstein und Reilly 2000). Die eine Möglichkeit der finanziellen Beeinflussung ist die Abschöpfung staatlicher Subventionsmitteln durch Firmendirektoren, die auch im Einflussbereich der Subventionsvergabe sich aufhalten, die andere ist das rentseeking bei der neuen ökonomischen Elite. Die Schattenwirtschaft der Ukraine erbringt 1996 die Hälfte des BIP (NZZ 16.6.1986), deren augenblicklich prosperierende Geschäfte durch größere Reformanstrengungen ins Wanken geraten könnten. Das folgende Beispiel schließt sich an das Bekanntwerden der Machenschaften der „Art B“ in Polen an: Bei der Suche einer praktikablen Lösung zur Umgehung dieser rechtlich nicht verbotenen Doppelverzinsung setzt die regulierende Behörde den Geldbeträgen Höchstgrenzen. Mit dem Erfolg, dass die Höchstgrenzen durch Tranchierung weiterhin umgangen werden können und die Doppelverzinsung noch weiterhin genutzt werden konnte, bis sie schließlich vollkommen abgeschafft wurde. Ein klarer Fall der vielzitierten „Salamitaktik“: Den augenblicklichen Vorteil so lange als möglich nutzen. Ein Beispiel für Machtmissbrauch zeigt sich beim Chef des polnischen Fonds zur Beendigung der Auslandsschulden. Ein Großteil der Einzahlungen des polnischen Staates fand sich auf seinen Privatkonten wieder; der Schaden wurde auf 800 Mio. US$ taxiert (Keesing 1991).

Das hier verwendete Maß der Privatisierung ist dem Transition Report 1999 entnommen. Die European Bank for Reconstruction and Development erstellt 2 Indices für die Privatisierungsmaßnahmen in einem Transformationsland: die small-scale privatisation und die large-scale privatisation. Die Bewertung der large-scale privatisation erfolgt von 1 bis 4+. 1 hat die Bedeutung einer geringen Quote an privaten Eigentum bei großen Unternehmen, 4+ hingegen bedeutet mindestens 75 vH befinden sich unter privater Führung. Die small-scale privatisation wird ebenfalls von 1 bis 4+ eingestuft. 1 Bedeutet geringer Fortschritt, 4+ entspricht ebenfalls dem „typischen Standard fortschrittlicher industrialisierter Ökonomien“ (Transition Report 1999), demnach kein Staatsbesitz kleiner Wirtschaftsunternehmen. Unter der small-scale privatisation sind Kleinbetriebe benannt, die sich aufgrund ihrer Größe und Marktlage schnell Privatisieren lassen. Ebenfalls ist die neue Schaffung eines Kleinbetriebes nach der Transformation mit weitaus weniger Risiko und Umständen behaftet als die Überführung ehemals staatlicher Produktionsstätten in private Eigentumsverhältnisse. Daher lässt sich auch erklären, dass der small-scale Index stets höhere Werte annimmt als der large- scale Index, da der maximale Wert sich auf alle small-scale Unternehmen bezieht, auch auf Neugründungen. Es handelt sich um kumulative Indices, die nicht die großen Zahlen der Neugründungen berücksichtigen. Nach meiner Meinung misst der Index so nicht mehr exakt, was er messen sollte: Den exakten Fortschritt der Privatisierung. Die large-scale privatisation ist die eigentliche uns interessierende Dimension, da hier die Gesetzgebung unter den augenblicklich schwierigen Bedingungen vermehrt einwirken muss, um den Besitzstatus zu verändern. Mit eine größeren Anzahl von Neugründungen ist hier nicht zu rechnen.

Ich will die Länder Ukraine und Polen im empirischen Teil meiner Hausarbeit miteinander vergleichen. Meine Auswahl ist auf diese beiden Kandidaten gefallen, da sich hier verschiedene Ausgangslagen für die ehemaligen Eliten bieten. In Polen gibt es durch die Auflösung der kommunistischen Partei im Jahre 1990 keine große ideologische Machtbasis, von der aus eine Agitation nach partikulären Interessen möglich wäre. Im Vergleich dazu kommt es in der Ukraine bereits vor den sozialen Härten, die eine Reform nach dem J-Curve Modell zwangsläufig mit sich bringt, zur Wahl eines Staatspräsidenten, der „gemäßigte Reformen“ anstrebt; außerdem gibt es keine Parlamentswahl bis 1994. Während der Umbruch in Polen von Solidarnosc zur ökonomischen Verbesserung der Lage angestrebt wurde, so ist die Ukraine mit einer Abspaltung von der UDSSR in den Reformprozess unter der Prämisse des Nationalismus eingetreten. Meiner Hypothese über den Einfluss ehemaliger Eliten dient der Indikator der Parlamentwahl 1994 in der Ukraine als nachträglicher Beleg der vorherigen Umstände. Ich begründe dies damit, dass in der Zeit von 1991 bis 1994 bereits erhebliche, für meine

Untersuchung relevante Phänomene zu beobachten sind. An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass ich die systematische Überprüfung von Fishs Hypothese über parlamentarische und semiparlamentarische Systeme in meiner Hausarbeit aufgrund des großen Umfangs ausblenden muss. Zuerst will ich die Daten und Hintergründe der Ukraine betrachten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Transition Report 1999

Quelle: Keesing 1994

45 vH postkommunistische

Parlamentsbeteiligung seit dem Jahr 1994. Im Jahr 1994 entspricht der large-scale privatisation Wert des Transition Reports noch der 1 „little private ownership“, im folgenden Jahr 1995 wächst er auf 2 an, „comprehensive scheme almost ready for implementation; some sales completed“ (Transition Report 1999). Nach 1995 gibt es eine geringe Verbesserung auf 2,3. Die NZZ umschreibt die Stagnation der ordnungsgemäßen Privatisierung so: „Die exkommunistische Nomenklatura begnügte sich damit, alles, was sie einigermaßen kontrollierte, zu verkaufen und mit dem Erlös Westkonten zu pflegen.“ (NZZ 8.4.95). Dies kann selbstverständlich nicht als erfolgreiche Privatisierung verstanden werden, in der Realität gestaltet sich die Verzögerung auch als vielschichtiger.

Der schlechte Fortschritt in der Ukraine lässt sich folgendermaßen begründen. „Die Menschen schätzten zwar die neuen Freiheiten, doch wogen diese in ihren Augen geringer als soziale Sicherheiten, für die die neuen Eliten oft nicht mal eine Perspektive zu bieten schienen“

(Ziolkowski 1996). Die ökonomische Situation ist verheerend, das Überleben im materiellen Sinn ein täglicher Kampf. Aus den oben genannten Beweggründen kommt es zu einem Wahlerfolg von Gruppierungen mit langsamen Reformen und „unhaltbaren“ Versprechen von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Leonid Krawtschuk, ein sich als Nationalist gebender ehemaliger kommunistischer Ideologe, wird als „Vertreter“ der Kommunisten im Dezember 1991 zum Staatspräsidenten gewählt. Von einem Führer der Ruch, der Oppositionsbewegung, wird Krawtschuk und das Regierungssystem im Jahre 1992 aus folgenden Gründen abgelehnt: Es besteht die Verflechtung der noch aus kommunistischen Zeiten stammenden Legislative mit dem Apparat, Selbstbereicherung und Privilegiertenwirtschaft der Volksvertreter. Ein demokratischer Rechtsstaat mit einem Mehrparteiensystem ist nicht mit der alten Legislative zu verwirklichen“ (Keesing 1992). Das Parlament ist noch immer das gleiche wie vor der Unabhängigkeitserklärung, mit entsprechender kommunistischer Besetzung! Aus diesem Grunde untersuche ich für die Ukraine primär den Zeitraum vor der ersten freien Parlamentswahl.

Schleppende ökonomische Reformen sind auch noch an einer anderen Stelle des ukrainischen Staatsapparates zu finden. „Bei der Besetzung der Spitzenpositionen fehlt es den Parteien oft an politischen Eliten, so dass sie wohl noch einige Zeit auf Spezialisten angewiesen sein werden, die aus der alten Nomenklatura kommen“ (Ziolkowski 1996). Dieser Satz gilt auch für Parteien, die nicht einer kommunistischen Nachfolgeorganisation zuzurechen sind.

Hier stoßen wir somit auf eine Phänomen, dem mein Forschungsdesign nicht gerecht wird. Ich habe bereits in der theoretischen Herleitung des Machterhalts der Eliten darauf hingewiesen, dass ebenfalls das Erwecken der Gunst des Wählers, hier als „Volksvertreter“ in einer nicht kommunistischen Partei, eine Handlungsalternative darstellt. Das Problem liegt im Indikator der Vertretung ehemaliger Kommunisten im Parlament. Im Zuge dieser Hausarbeit ist es mir jedoch nicht möglich, jeden Parlamentsvertreter oder Behördenleiter auf seine potentielle kommunistischen Vergangenheit zu durchleuchten. Auch wenn dies nach meiner Meinung einen erheblichen Effekt auf eine Verlangsamung ökonomischer Reformen und auf das rentseeking hat, der hier leider aufgrund mir fehlender methodischer Möglichkeiten unberücksichtigt bleiben muss. Ein weiteres Indiz für die nicht zu unterschätzenden Größe dieses Effekts will ich im Folgenden geben: Am 27.8.93 kommt es aus Protest gegen die reformfeindliche Politik des kommunistischen Parlaments und eines großen Teils der Regierung, zum Rücktritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Viktor Pinsenik, dem Hauptverantwortlichen für Wirtschaftsreformen. Der Hauptgrund des Rücktritts ist die Festsetzung des Wechselkurses. Damit werde laut Pinsenik das gesetzeswidrige Vorgehen der ukrainischen Nationalbank gedeckt. „Dass der Devisentausch einer einzigen Bank zustehe, habe eine „unglaubliche Korruption“ gefördert“ (Keesing 93). Es wird nicht nur der Export blockiert, sondern auch ein Indikator für den allgemeinen Grad der Korruption in der Beamtenschaft geliefert. Im Anschluss daran und an eine erneute Ablehnung der parlamentarischen Ausstattung mit Sondervollmachten zur Durchsetzung von Wirtschaftreformen, gibt auch Regierungschef Kutschma seinen Rücktritt bekannt.

Somit sollte es am 27.3.94 zu vorgezogenen Wahlen kommen, den ersten freien Parlamentswahlen, deren Ergebnis als Sieg der Kommunisten bekannt ist. Keesing betitelt diesen Wahlausgang mit 45 vH zugunsten der Kommunisten. Interessant ist der Umstand, dass die ukrainische Botschaft in Wien laut Ziolkowski die kommunistische Nachfolge bei der theoretischen Einstufung der Parlamentsmitglieder mit 35 vH angibt. Ich will hier Keesing aufgrund einer objektiven Distanz Glauben schenken. Die graduelle Veränderung des large- scale Index 1995 und 1997 lassen sich mit einem Blick in das Archiv der NZZ klären: 1995 steht Kutschma an der Stelle des Staatspräsidenten: ein Reformer, der dem Parlament in der ausweglosen Position als Regierungschef den Rücken gezeigt hat, besitzt jetzt die erforderliche präsidiale Macht, um wirksame Reformen anzustreben. Prompt steht schon ein 1,5 Mrd. US$ Kredit des IMF auf Abruf bereit. Nachdem Krawtschuk seit der Unabhängigkeit den geringsten Wert des small-scale Index nicht steigern konnte, kann es sprichwörtlich nur besser werden. Eine Expertise einer deutschen Wirtschaftsberatergruppe bei der ukrainischen Regierung sieht folgende Probleme: Zu häufige Änderung von Gesetzen und unklare Gesetzesimplementierung, schlechtes Reform-Image, verschleppte Privatisierungen, Beschränkung von Privateigentum an Grund und Boden, „konfiskatorische“ Besteuerung, die marode Infrastruktur, eine ausufernde Investitionsprozedur und eine ineffiziente Verwaltung, die auf Grund bescheidener Löhne der Staatsbeamten äußerst korrupt ist (NZZ 3.8.96). Der geringe Anstieg 1997 geht auf die Maßnahmen zur Stabilisierung zurück: eine verabschiedungsreife Verfassung, der Entwurf eines modernen bürgerlichen Gesetzbuches und eine neues Gesetz über Auslandsinvestitionen und Gesetzte zur Vereinfachung bei Investitionen.

Ein anderes Bild zeigt sich in Polen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Keesing

Die large-scale privatisation des Transition Reports verharrt seit 1994 stets bei 3, „more than 25 per cent of large-scale enterprises assets in private hands or in the progress of being privatised (with the process having reached a stage at which the state has effectively ceded its ownership rights), but possibly with major unresolved issues regarding corporate governance.“ Dieser Wert ändert sich erst 1997 marginal auf 3,3. Die small-scale privatisation hingegen hat bereits 1994 den Wert 4 erreicht, „Complete privatisation of small companies with tradable ownership rights“; im Jahr 1995 wird das obere Ende der Skala erreicht, die Angleichung an typische westliche Industriegesellschaften. Wir finden in Polen nach den ersten freien Wahlen der Sejm 1991 20 vH Parlamentssitze im Besitz kommunistischer Nachfolgeparteien, 1993 wächst der Wert auf 36 vH an. Aufgrund der bisherigen Probleme, des j-Curve Effekts und der Skandale um Art B und den Fond zur Beendigung der Auslandsschulden erklärt Fish den Wahlerfolg der ehemaligen, programmatisch jedoch neu einzustufenden Kommunisten folgendermaßen: ”...they advertize themselves not as the most consistent leftist but as the most experienced and pragmatic of political forces”. Laut einem dänischen Radiokommentar zur Wahl ist das hohe Ergebnis 1993 auch darauf zurückzuführen, dass „...mehr als die Hälfte der Nichtwähler durch Stimmenenthalt einen Protest gegenüber der Entwicklung in Polen ausdrücken wollte“ (Keesing 1993).

Die Entwicklung der Indices für Polen ist folgendermaßen zu begründen: Am 4.6.89 kommt es zu freien Wahlen um die nicht für Kommunisten reservierten Teile der Sejm und des Senats. Die Bewegung Solidarnosc gewinnt außer einem Senatsmandat alle zur Verfügung stehenden Mandate. In der Sejm, dem Parlament, ist zu diesem Zeitpunkt der Anteil an Kommunisten von 65 vH. Am 13.7.1990 wird dann ein Gesetz über die Privatisierung geschaffen. Auf Drängen Balcerowicz, er tritt für schnelle und harte Reformen ein, wird in der Sejm der Kompromiss geschlossen, das Ministerium zur Eigentumsänderung dem Parlament zu unterstellen. Der einzige vehemente Kritiker war die den Postkommunisten zugerechnete Partei PSL, die ihre Missbilligung damit begründete, es würde „zu wenig für das Volk“ (Keesing 1990) getan. Diese parlamentarische Kontrolle wird im Folgenden für Polen erhebliche Probleme mit sich bringen, da die überbleibenden Kader sich aus den oben genannten Gründen, stets einer schnellen Privatisierung abgeneigt zeigen werden.

Ein Indiz für die „konservative“ Haltung findet sich in der Sejm im August 91. Die Regierung Bielecki reicht ein Rücktrittsgesuch wegen nicht zuerkannter wirtschaftlicher Sondervollmachten und der blockierenden Haltung der Sejm ein. Ein weiteres Beispiel für die reformverzögernde Haltung der Sejm wird 1995 geboten. Staatspräsident Walesa blockiert ein von der Sejm verabschiedetes Gesetz zur Kommerzialisierung und Privatisierung. Bei der Überführung von ehemals staatlichen Betrieben in Aktiengesellschaften mit 100vH Staatseigentum sollte ein Zeitlimit zur Veräußerung dieser Gesellschaften wegfallen. Walesa, die Opposition und führende Wirtschaftskräfte sahen darin „... in vielen Fällen eine Dauerlösung mit Tausenden von Sitzen für Staatsvertreter in Aufsichtsgremien“ (NZZ 19.07.1995). Eine ebenfalls bremsende Neuerung ist die Unterstellung der Entstaatlichungsprojekte an das Kabinett, Schlüsselindustrien wie Bergbau, Energiewirtschaft und Banken bedürfen sogar der parlamentarischen Zustimmung. Diese Entscheidungen lagen vormals alleinig beim Privatisierungsminister. Es kommt schon aufgrund des längeren Dienstweges jetzt zu Verzögerungen und langen Verfahren, dazu kommt noch die restriktive Vorstellung des postkommunistischen Drittels.

Ein zweiter Grund für das fehlende Erreichen des optimalen Wertes der large-scale privatisation ist der Pakt über Staatsbetriebe von 22.2.1993. Er erfordert das Einverständnis aller, nämlich Staat, Belegschaft und Arbeitgeber, bei der Umstrukturierung staatlicher Unternehmen. Falls die dreimonatige Einigungsfrist nicht eingehalten werden kann, wird der Betrieb als Aktiengesellschaft mit staatlichem Kapital dem Privatisierungsministerium unterstellt. Er scheint privatisiert, befindet sich dann aber noch immer in Staatsbesitz!

Ein gewichtiges Problem stellt auch die späte Verabschiedung der sog. kleinen Verfassung dar. Bis zum 18.11.93 gibt es keine klare Kompetenzzuweisung zwischen Sejm, Präsident und Regierung. Sowohl der Staatspräsident als auch die Regierungen stellen die steten Forderungen nach mehr Befugnissen. Es kommt zu dauernden Kompetenzwirren und Streitigkeiten, die zu viel politisches Engagement binden, das dann bei den großen Fragen um Liberalisierung und Privatisierung fehlt.

Der geringfügige Anstieg 1997 beruht auf folgender Tatsache: Das 1995 durch Walesa gestoppte Privatisierungsgesetz wird nach der Zurücknahme der Zustimmungspflicht bei Schlüsselindustrien von der Sejm und dem Senat verabschiedet. Dies führt zu schnelleren, nicht durch langwierige Entscheidungsprozesse verzögerten Privatisierungsmaßnahmen. Dass die Dinge sich nicht so einfach darstellen, wie ich sie hier betrachte, zeigt eine „Gegendarstellung“ in der NZZ vom 4.3.95. In Polen werden nicht die Großbetriebe in großen Stil verschenkt, wie es zum Beispiel die Czech Republic, mit einem large-scale privatisation Wert von 4 im Jahre 1994, handhabt. Es wird nach Standardmethoden eine transparente Privatisierung langsam, aber stetig vorangetrieben. Da die Privatisierung auf freiwilliger Basis von unten nach oben erfolgt, kommt es manchmal zu mangelnder Initiative oder sogar Widerstand von Management und Arbeitnehmern. Schließlich ist die Eigentumsreform schlicht umstrittener und diffiziler denn andere Reformteile, wie zum Beispiel Handels- und Preisfreiheit. So plädiert die Bauernpartei PSL dafür, „bestimmte Sektoren und Unternehmen nicht oder nur in beschränktem Maß zu privatisieren, im Rahmen von Holdingkonstruktionen schwache Betriebe durch Quersubventionen am Leben zu erhalten und ausländische Einflüsse zu minimieren.“. Wie bereits erwähnt, dürfte die Zusammenfassung der Privatisierungsmaßnahmen in zwei Indices diesen Umständen nur schwer gerecht werden können. Die Indices bleiben somit leider nur ein sehr grober Anhaltspunkt.

Meine Gegenhypothese lehnt sich bekanntermaßen an Kopstein und Reillys Artikel an. Die Autoren fordern Informationsfluss, Kommunikationsnetzwerke, Einflusshierarchien und die Empfänglichkeit für Veränderungen als Grundlage der Hypothese zur Westentfernung. Im Zuge der Forderung nach Relevanz der Empfänglichkeit für Veränderungen eines Landes und der Forderung nach Kommunikationsnetzwerken mit den Nachbarstaaten entsteht auch die von der Europäischen Union in Kopenhagen verabschiedete Grundlage zum Beitritt: “…membership requires that the candidate country has achieved:…the existence of a functioning market economy as well as the capacity to cope with competitive pressure and market forces within the Union; the ability to take on the obligations of membership including adherence to the aims of political, economic and monetary union…” (Erweiterung der Europäischen Union 2001). Die Erfüllung dieser Forderung für den Beitritt könnte dafür verantwortlich sein, dass die Reformen schnell vorangehen. Jedoch gleicht die Frage nach dem Beitrittskandidatenstatus der berühmten Frage nach der Henne und dem Ei.

Ich glaube, die weit vorangeschrittene Privatisierung in Polen ist auf die umgehende Westorientierung zurückzuführen. Noch vor den ersten Wahlen im Jahre 1989 kommt es zu finanzieller und verdeckter politischer Unterstützung der Solidarnosc-Bewegung durch westliche „Gönner“. Im Anschluss findet schon am 1.8.89 eine koordinierende Konferenz westlicher Staaten zur Polenhilfe statt. (Keesing 89), in Januar 1990 wird bereits eine Mitgliedschaft im Europarat angestrebt, im März des selben Jahres wird ein Handels- und Wirtschaftsabkommen mit den USA ratifiziert, im Januar 1991 findet ein Schuldenerlass durch die G7 Staaten für Polen statt. Der Status eines EU Beitrittskandidaten ist somit nur vorläufiger Abschluss einer Kette von Westbindungen, die Polen in Anlehnung an Kopstein und Reillys Hypothese eingegangen ist. Über diese wirtschaftliche Zusammenarbeit lässt sich dann auch der Reformerfolg bei der Privatisierung erklären, der jedoch „vor der Zielgeraden stecken bleibt“.

Der Ukraine hingegen kommt weniger Aufmerksamkeit zu, da sie geopolitisch erst in zweiter Reihe sich befindet und sie im Wirkungs- und Einzugsbereich Russlands liegt. Das Hauptaugenmerk des Westens richtet sich auf die Frage nach den auf ukrainischem Boden stationierten Atomraketen, ein Engagement im wirtschaftlichen Bereich findet nur sporadisch statt. So fließen zwischen 1991 und 1997 2Mrd. US$ ausländischer Direktinvestitionen in die Ukraine, Polen erhält allein 1997 ca. 6 Mrd. US$ (NZZ 7.2.1997).

Ein kurzer Vergleich der Daten im Jahr der jeweiligen Parlamentswahlen würde meine

Hypothese stützen. Ich denke jedoch, das Problem so in seiner Vielschichtigkeit nicht genügend beleuchtet zu haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für die Ukraine lässt sich eine Reformverschleppung durch die Postkommunisten klar belegen, ebenfalls ein Fehlen westlicher Investitions- und Hilfsprogramme. Sowohl die Entfernung als auch die ehemaligen Eliten machen der Privatisierung erheblich zu schaffen. Im Vergleich hierzu findet sich in Polen eine andere Ausgangslage. Polen bekommt bis 1993 sowohl humanitäre Hilfe aus dem Westen zur sozialen Abfederung der Preisfreigabe als auch finanzielle Hilfe in Form von Schuldenerlass und Investitionsprogrammen und Handelsabkommen. Dennoch kommen 1991 die Kommunisten auf 20 vH Mandaten in der Sejm, 1993 steigt der Wert auf 36 vH (Keesing 1993). Auch hier findet sich eine Verschleppungstaktik ehemaliger Eliten wieder, jedoch ist die Privatisierung in Anlehnung an Kopstein und Reillys Hypothese weiter vorangeschritten, aufgrund der vielfältigen Westbindungen eben weiter vorangekommen.

Während meiner Untersuchung, deren Ergebnisse bereits in der Einleitung kurz zusammengefasst waren, sind einige weitere Untersuchungsgegenstände zu Tage getreten. Sowohl in Polen als auch in der Ukraine gibt es während der ersten drei Jahre nach dem Umbruch keine Verfassung, die den neuen Verhältnissen gerecht wird. Es kommt stets zu Kompetenzgerangel und Wirren um Zuständigkeiten. Dies ist in beiden Fällen dem Reformprozess nicht zugute gekommen. Ebenfalls wurde bei den empirischen Recherchen die Hypothese von Fish über starke Präsidentialsysteme und deren besseren ökonomischen Erfolg untermauert. Wobei jedoch angesichts der Entwicklung in der Ukraine die Gründe für ein Fehlen der großen Privatisierungserfolge entweder in der späten Wahl des Parlaments im Jahre 1994, oder in der Reformunfähigkeit des ersten frei gewählten Präsidenten zu suchen sind. Ein gültiges theoretisches „Gesamtmodell“ über den ökonomischen Erfolg der Privatisierung müsste folgende Hypothesen berücksichtigen und vernetzen können: ehemalige reformverzögernde Eliten, Westbindung zur Reformbeschleunigung, Vorteil präsidentieller Systeme bei ökonomischen Reformen und der Einfluss klarer Kompetenzverteilungen der Staatsorgane.

Literaturliste

Colomer, J., 1995: Strategies and Outcomes in Eastern Europe. Journal of Democracy (6.2): 75- 85.

Esser, H., 1986a: Können Befragte lügen? Zum Konzept des „wahren Wertes“ im Rahmen der handlungstheoretischen Erklärung von Situationseinflüssen bei der Befragung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38(2):314-336.

Europäische Union, 2001: Statement von Kopenhagen über Beitrittskandidaten. Homepage: http://europa.eu.int/comm/enlargement/index.htm

European Bank for Reconstruction and Development, 1999: Transition Report 1999.

Fish, S., 1998: The Determinants of Economic Reform in the Post-Communist World. East European Politics and Societies (12.1): 31-78.

Glismann, H. und Schrader, K., 1993: Privatisierung staatlichen Eigentums in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Kieler Arbeitspapiere (573).

Hellman, J., 1998: Winners Take All The Politics of Partial Reform in Postcommunist Transitions. World Politics (50.2): 203-234.

Heyse, V. und Ladensack, K., 1994: Management in der Planwirtschaft. Münster: Waxmann.

Siegler, H., 1989: Archiv der Gegenwart. (Keesings Archiv der Gegenwart) 1989-1994. Sankt Augustin: Siegler & Co.

Kopstein, J. und Reilly, D., 2000: Geographic Diffusion and the Transformation of the Postcommunist World. World Politics (53): 1-37.

Neue Zürcher Zeitung: CD-Rom Ausgabe 1986-1997.

Rahe, M., 1998: Elitenverhalten und Unternehmertum im Transformationsprozess. Wien: Lang. Ziolkowski, A., 1996: Konversion: Polen, Ukraine. Frankfurt am Main: Lang.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Einfluss ehemaliger Eliten auf ökonomischen Reformerfolg
College
University of Constance
Course
politische & Ökonomische Transformation in Osteuropa
Grade
2,3
Author
Year
2001
Pages
17
Catalog Number
V104996
ISBN (eBook)
9783640032938
File size
381 KB
Language
German
Keywords
Einfluss, Eliten, Reformerfolg, Transformation, Osteuropa
Quote paper
Peter Schottmüller (Author), 2001, Einfluss ehemaliger Eliten auf ökonomischen Reformerfolg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104996

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