Alfred Andersch


Presentación (Redacción), 2001

6 Páginas, Calificación: 1


Extracto


Alfred Andersch

Biographie

Alfred Andersch wurde am 4. Februar 1914 in München als zweiter von drei Söhnen des Ehepaares Alfred senior und Hedwig Andersch geboren. Sein Vater entstammte einer nach Ostpreußen ausgewanderte Hugenottenfamilie, die Mutter war österreichisch-tschechischer Herkunft. Andersch wuchs im tristen, öden, vom Militärwesen geprägten Münchener Stadtteil Neuhausen auf. Der Vater war Antiquariatsbuchhändler; der erste Weltkrieg und die katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse nach 1918 stürzten die Familie Andersch jedoch in so ein finanzielles Desaster, dass der Vater sich als Versicherungsagent und Immobilienmakler versuchte. Dies verschuldete die Familie aber nur noch mehr, und Vater Andersch wandte sich voller Enttäuschung „den nationalen Belangen“ zu. Er war Gründungsmitglied des Münchner Vorläufers der NSDAP und einer der ersten, die nach der Gründung 1920 in die Partei eintraten.

Andersch geriet nur wenig nach den Vorstellungen seines Vaters. Den antisemitischen und nationalen Parolen ging er weitgehend aus dem Weg, er wurde zum Einzelgänger und floh in die Welt der Kunst und Literatur.

Er interessierte sich besonders für die schöngeistige Literatur; in der elterlichen Bibliothek konnte er die bedeutendsten Werke der deutschen Literatur, des Biedermeier, der Romantik, zahlreiche Werke der internationalen Weltliteratur und viele mehr finden.

Andersch wollte, sobald er lesen gelernt hatte, Schriftsteller werden. Als ihm im Alter von 9 oder 10 Jahren einige Shakespeare-Dramen in die Hände fielen, begann er Königsdramen im Stile Shakespeares zu entwerfen, unter anderem etwas über seine hugenottische Herkunft. Die Eltern ermöglichten ihren Kindern nach der Volksschule den Besuch des renommierten Wittelsbacher Gymnasiums. Die vor allem durch den Rektor Gebhard Himmler, den Vater des späteren SS-Chefs Heinrich Himmler, monarchistisch und autoritär geprägte Schule konnte Anderschs literarische und künstlerische Interessen nicht fördern. Er musste im Frühjahr 1929 aufgrund schlechter Leistungen die Schule ohne einen Abschluss verlassen und begann eine Lehre als Buchhändler.

Je älter Alfred wurde, desto mehr entfremdete er sich von seinem Vater. Er konnte dessen politische Anschauungen beim besten Willen nicht teilen. Er floh. Er floh, immer auf der Suche nach dem „Aroma der Kunst“, beispielsweise in den Schlosspark Schleißheim, in die dortige Pinakothek. Greco, Canaletto, Lippi - bei ihnen fand er was er suchte: Das Aroma, den Trost, der Kunst. Zuhause las er heimlich die KPD - nahe „Arbeiter-Illustrierten-Zeitung“. Die Ideen und Theorien des Kommunismus faszinierten ihn, es war etwas Neues, Anderes, etwas Anderes als sein kleinbürgerliches Leben. Zudem war es der Kontrast zum nationalistischen Denken seines Vaters: Die Gedanken des Sozialismus, der Menschenliebe, der Befreiung der Unterdrückten... Er las sozialkritische Literatur, Brecht, Feuchtwanger und schließlich die sozialistischen Klassiker Marx, Engels und Lenin. Durch seine Selbststudien bekam er Zugang zur Gewerkschaftsjugend und zum Kommunistischen Jugendverband.

In dieser Zeit erkrankte der Vater an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung, er litt qualvoll, um die Zukunft seiner Familie zu sichern, und starb 1929, von seinen Parteifreunden im Stich gelassen. Hier finden wir bereits erste Parallelen zu Sansibar: Helander mit seinem Verdun-Bein ist so etwas wie der Wunschvater Anderschs.

Kurze Zeit später trat der sechzehnjährige Alfed dem Kommunistischen Jugendverband bei. Der Anstoß war vermutlich die drohende Arbeitslosigkeit zum Ende seiner Lehre gewesen. Er sagte selbst, die Entscheidung zum Kommunismus überzulaufen sei nicht nur Protest gegen das Elternhaus gewesen, er sei auch wirklich überzeugt gewesen.

Mit 18 Jahren wurde er Organisationsleiter und Bildungsbeauftragter des KJV Südbayern. Politisch fiel er besonders mit seiner Abneigung gegen alles Militärische auf. Von Januar 1932 bis Herbst 1933 war er arbeitslos.

Als die politische Situation sich zuspitzte und die Arbeiterparteien SPD und KPD wie gelähmt zusahen, anstatt zu handeln, wurden die Terrorakte des Naziregimes gegen die politische Linke immer häufiger. Im März 1933, wenige Tage nach dem Reichtagsbrand, wurde Andersch verhaftet und kam mit den ersten Häftlingen ins KZ Dachau. Anfangs war ihm nach eigener Aussage nicht bewusst, dass er nun auf Leben und Tod der Willkür der SS ausgeliefert war, als die Folterungen und Erschießungen sich jedoch häuften und Andersch zur Zwangsarbeit abkommandiert wurde, begriff er. Im Mai wurde er überraschend entlassen, da seine Mutter alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte und ehemalige Parteifreunde seines Vaters hinzugezogen hatte.

Nach der Entlassung hielt Andersch sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, und arbeitete als Kurier für die illegalisierte KPD - ähnlich wie Gregor vor seinem „Verrat“. Im September wurde er bei einer Razzia wieder verhaftet und als einziger der Gefangenen nicht ins KZ gebracht, sondern sofort wieder entlassen. Diese zweite Festnahme hinterließ tiefe Spuren: Ein panikartiges Gefühl breitete sich in ihm aus, es war ein schwerer psychischer Schock. Als er das Gebäude der Polizeidirektion verlassen hatte, wusste er, dass seine Arbeit für die KPD beendet sei, schrieb er später.

Nach einem halben Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft hatte er verstanden, dass die Nazis sich nicht damit begnügen, ihre Gegner politisch zu neutralisieren, sondern dass sie sie mit allen Mittel physisch fertig machen wollen. Für den Einzelnen gäbe es da keinen Schutz.

In der darauffolgenden Zeit versuchte Andersch alles, was mit der KPD zu tun hatte, zu vergessen: das Scheitern der Hoffnungen, die Zerschlagung der Partei, seine ehemaligen Freunde... Er floh abermals in die Innerlichkeit, in die Ästhetik, zur Literatur, unter anderem besonders zu den Romantikern und den Impressionisten. Er floh nicht zuletzt deshalb, um sich von den eigenen Schuldgefühlen abzulenken.

In einem Italienischsprachkurs lernte Andersch 1933/34 seine zukünftige Frau Angelika Albert kennen. Durch sie bekam er Zugang zu einem Münchner Privatgelehrten, der ihn mit den Werken Stendhals und Thomas Manns bekannt machte, die seine späteren Texte nachhaltig geprägt haben. Da Angelika Halbjüdin war, heirateten die beiden noch vor dem Eheverbot zwischen Ariern und Juden. 1937 zog das junge Paar mit Anderschs Mutter und seinem jüngeren Bruder nach Hamburg, dort arbeitete er als Büroangestellter. Im selben Jahr wurde Tochter Susanne geboren. Doch gegen Ende der Dreißiger Jahre zerbröckelte die Ehe, Andersch blieb zu Angelikas Schutze weiter mit ihr verheiratet, war aber schon längst mit der Malerin Gisela Gronauer liiert. 1940 wurde Michael, das erste gemeinsame Kind von Gisela und Alfred geboren, Martin folgte 1945. Andersch verfasste seine ersten einfachen Prosa-Texte und Gedichte.

1940 wurde er eingezogen, kämpft zunächst am „Westwall“ gegen die Franzosen, später war er Besatzungssoldat in Frankreich. Ein Jahr später wurde er wegen seiner KZ-Vergangenheit wieder entlassen und siedelte in Frankfurt am Main an, wo er erneut als Büroangestellter arbeitete. Ein Verlag lehnte mehre autobiografische „Fluchtgeschichten“ ab. Im September 1943 wurde er wieder einberufen, nach einer Ausbildung bei den Infanterie-Pionieren kam er erst nach Dänemark, dann nach Oberitalien. Er hatte ernste Absichten, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu desertieren, weil er „den Akt der Freiheit vollziehen wollte, der, zwischen der Gefangenschaft, aus der ich kam, und derjenigen, in die ich ging, im Niemandsland lag.“ Anfang Juni überschritt er die Frontlinie, irgendwo in den Bergen nördlich von Rom.

Der Überlauf zu den Amerikanern befreite Andersch aus seiner unpolitischen Zurückgezogenheit in sich selbst. Der mühsame Versuch, sein Leben als unauffälliger Büroangestellter und laienhafter Schriftsteller nach außen hin abzuschirmen, um Distanz zum Gewaltapparat der Nazis zu bekommen, war gescheitert. Spätestens zu Beginn des Krieges hatte ihn die Wirklichkeit wieder eingeholt. Als Soldat war er ganz eindeutig, ob er wollte oder nicht, Teil der faschistischen Zerstörungsmaschinerie. Die Desertion war ein wichtiger Wendepunkt in Anderschs Leben: Sie war nicht nur eine Flucht vor einem Zwangssystem (dem der Armee), sie war genauso Selbstbefreiung und Gegenwehr, ähnlich wie die Fluchten der Menschen in Sansibar. Andersch bezeichnete die Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft - so komisch es klingen mag - als Zeit der Freiheit. Er war zunächst in einem Lager in Louisiana, dort fand er endlich auch politisch Gleichgesinnte, Antifaschisten sowie Kommunisten, wieder. Die Amerikaner achteten streng auf die Trennung zwischen den Nazi-Gegner unter den Kriegsgefangenen und dem Rest. Damals wurde Anderschs positive Einstellung zur amerikanischen Demokratie, vor allem durch die Zukunftsvisionen des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt begründet und nachhaltig geprägt. Andersch konnte endlich wieder frei lesen und schreiben. In mehreren Essays setzte er sich mit seiner Desertion auseinander. In den Lagerbibliotheken fand er zudem alles, was sein Herz begehrte: Literatur, die im Nazi-Deutschland verboten war, und vor allem die Werke der amerikanischen Gegenwartsliteratur von Ernest Hemingway, Faulkner und Steinbeck bis Wolfe.

Im Zuge eines amerikanischen Projekts, dass die Kriegsgefangenen der Demokratie nahe bringen sollte und zum weltoffenen Denken anregen sollte, initiierten die Amerikaner 1945 die Kriegsgefangenzeitschrift Der Ruf.

Auf Veranlassung des Herausgebers wurde Andersch nach Rhode Island versetzt. Dort schrieb er einige Artikel über die amerikanische Gegenwartsliteratur. Zudem schrieb er mehrere Erzählungen, deren Handlungen mit seinen späteren Romanen einige Parallelen aufweisen. Im September 45 schied Andersch aus der Redaktion des Ruf aus und besuchte einen Verwaltungslehrgang in einem anderen Lager in Rhode Island. Dieser Lehrgang wollte zukünftige deutsche staatliche Beamten schulen. Die Gefangenen wurde nicht wie Gefangene, sondern wie gleichberechtigte Diskussionspartner behandelt. Nach 500 Tagen war Anderschs Kriegsgefangenschaft dann endlich beendet. Mit nach Hause brachte er einen Seesack voller Bücher.

Nach seiner Rückkehr ins zerstörte, kaputte Deutschland arbeitete er in München unter Erich Kästner im Feuilleton-Teil der Münchner „Neue Zeitung“. Eigentlich eine tolle Stelle, dennoch bereitete sie ihm nicht besonders viel Freude, da sie als Zeitung der Militärregierung zur Loyalität ihr gegenüber verpflichtet war. Andersch gefiel die Politik der Regierung nicht. Zudem stieß er sich an der These der Kollektivschuld, d.h. dass alle Deutschen zu gleichen Teilen Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus trügen.

Eine Antwort auf die Frage nach Schuld und Verantwortung fand er in den Theorien der Existenzphilosophie. Die Schriften Jean-Paul Sartres faszinierten ihn, Sartre begleitete ihn bis an sein Lebensende: Er sei der Dichter gewesen, den er am meisten verehrt habe und der ihn am meisten beeinflusst habe, so Andersch.

Im August 1946 wurde der Münchner Ruf gegründet, Andersch und Hans Werner Richter fungierten als Herausgeber. Sie wollten ein Brücke zwischen Ost und West bilden, und eine Entwicklung zum humanistischen Sozialismus sollte es werden. Andersch träumte aber von einer Demokratie, die den Wert des Individuums in den Mittelpunkt stellt, geprägt von den französischen Existentialismusphilosophen Sartre, Camus und de Beauvoir sowie den deutschen Vertretern wie Jaspers, Heidegger u.a. Außerdem bemängelte Andersch die Art der Demokratisierung der Besatzungsmächte, denn die Möglichkeit, eigenverantwortlich handeln zu können, war eine der wichtigsten Kriterien, an welchen Andersch die Regierung maß.

Er warf ihr unter anderem Heuchelei und Widersprüche in der Demokratisierungspolitik vor. Kurz nachdem der amerikanischen Außenminister die Eindämmung des Kommunismus angekündigt hatte, bekannte sich Andersch offen zum Sozialismus. Dies konnten die Zensurverantwortlichen jedoch nicht hinnehmen, und nachdem Richter und Andersch sich nicht disziplinierten, wurden sie im Frühjahr 1947 als Herausgeber des Ruf ausgeschaltet. Offiziell begründet wurde das damit, dass sie im Ruf nationalistische Tendenzen gezeigt hätten, da sie die Regierung der Alliierten kritisiert hatten. Schon zuvor hatten die beiden erkannt, dass ihre politischen Vorstellungen nicht durchsetzbar waren. Doch Richter und Andersch wollten nicht aufgeben: Sie wollten eine neue Zeitschrift gründen, den Skorpion, eine Zeitschrift mit literarischem Schwerpunkt. Zur ersten Redaktionssitzung 1947 lud Richter ein paar frühere Mitarbeiter des Ruf und einige andere Schriftsteller ein. Andersch fehlte. Diese Redaktionssitzung war die erste Tagung der später sogenannten „Gruppe 47“, einer der wichtigsten Schriftstellervereinigungen im Nachkriegsdeutschland.

Der Skorpion wurde verboten, dennoch setzte Richter die Tagungen fort. Bei der zweiten Tagung war Andersch ebenfalls anwesend, er verlas seine erste Buchveröffentlichung „Deutsche Literatur in der Entscheidung“. Darin wird deutlich, dass Andersch sich eindeutig einer realistischen Schreibweise zuwendet, einer von politischen Zwecksetzungen unabhängigen Literatur. Dort ist Sartres Einfluss ebenfalls deutlich sichtbar. Er spricht zudem von der Freiheit, der Freiheit des Existenzialismus, die alle Ideologien in Zweifel setzt und den Wert betont, den der Mensch selbst als „Träger der absoluten Freiheit“ besitzt. Es ist ebenso ein Appell an die Verantwortlichkeit, wie sie ja der Junge im Sansibar zuletzt übernimmt. Alle Personen des Sansibar lösen sich von einer Ideologie, was letztlich den Weg zur Freiheit ebnet, wenn nicht gar erst möglich macht.

1952 erschien das wohl am meisten von Sartre beeinflusste Werk Anderschs, der autobiographische Bericht Die Kirschen der Freiheit, in dessen Mittelpunkt die existenzielle Entscheidung steht, dessen Beispiel Anderschs Desertion an der italienischen Front ist. Andersch zu seinem Buch: „ (es) hat nur eine Aufgabe: einen einzigen Augenblick der Freiheit zu beschreiben.“ Und in Kirschen der Freiheit: „In jenem winzigen Bruchteil einer Sekunde, welcher der Sekunde vor der Entscheidung vorausgeht, verwirklicht sich die Möglichkeit der absoluten Freiheit, die der Mensch besitzt. Nicht im Moment der Tat selbst ist der Mensch frei, denn indem er sie vollzieht stellt er die alte Spannung wieder her, in deren Strom seine Natur kreist. Aufgehoben wird sie nur in dem flüchtigen Atemhauch zwischen Denken und Vollzug. Frei sind wir nur in Augenblicken, die kostbar sind.“ Anderschs Freiheitsbegriff meint eine extrem individualistische Freiheit, eine, deren menschliche Bedingung, nicht in der Verwirklichung steckt, sondern in der Fähigkeit es verwirklichen zu können. Sein Roman war eine Herausforderung für alle, die sich über die nationalistische Vergangenheit hinweglügen wollten, nicht zuletzt wegen der Offenheit und dem öffentlichen Bekenntnis zur KPD- Vergangenheit - und das in einer Zeit, in der die KPD verboten werden sollte.

Andersch gründete 1948 das Abendstudio des Frankfurter Rundfunks, eines der ersten Beispiele der 3. Programme in Deutschland. Er wollte den Hörern neue deutsche sowie aktuelle internationale Literatur näher bringen. Bald begann er auch die anderen Formen des Rundfunks auszuschöpfen: Er schrieb Hörspiele, Hörreportagen, Features u. ä. Zudem publizierte er Texte und Schriften vieler Nachkriegsautoren, die sonst nirgendwo eine Chance gehabt hätten, im Radio sowie in einer von ihm herausgegebenen Buchreihe. Darunter finden sich Erstlingswerke von Wolfgang Koeppen, Heinrich Böll, Wolfgang Hildesheimer, Ingeborg Bachmann, Arthur Adamov, Samuel Beckett, Günter Grass und Nelly Sachs.

1955 erschien die erste Ausgabe von Texte und Zeichen, einer von Andersch herausgegebenen Literaturzeitschrift, die mit den Texten beispielsweise der oben genannten Autoren bekannt machte, mit Martin Walser, Enzensberger, Adorno, Weyrauch, mit Literatur in China, der DDR, Schweden, Lateinamerika, Afrika usw. sowie mit Plastiken, Grafiken, Zeichnungen und Bildern von Chagall, Arp, Steinberg und vielen anderen.

Texte und Zeichen war eine einmalige Reihe, eine Chance für viele und eine Zeitschrift höchsten Ranges, aber dennoch wurde sie aus „marktwirtschaftlichen Gründen“ nach 16 Ausgaben eingestellt.

1957 erschien Sansibar oder der letzte Grund. Der Inhalt ist uns bekannt, dennoch einige kurze Gedanken. Sansibar und die Kirschen der Freiheit haben einige Gemeinsamkeiten: Beide Male geht es um die Frage des eigenverantwortlichen Handelns, in beiden Büchern steht das Problem des Widerstands gegen Terror und Selbstentfremdung im Mittelpunkt. So will Andersch Gregors Aktion auch als politische verstehen: Dies zeigt sich, in dem die Personen ungewollt nach den Parteirichtlinien (Fünfergruppensystem) arbeiten. Aus der Loslösung einer alten Ideologie ist neues Handeln möglich, ein Handeln, das allein humanem Denken entspringt. Wieder zeigen sich Parallelen zu Sartre. Die Geschichte des Helden Gregor endet mit einer Wahrnehmung, in der die Welt sich im Hinblick auf eine Veränderung enthüllt. Dieser Gedanke stammt von dem französischen Philosophen. Sansibar ist eine Parabel auf die Verhältnisse im Adenauerstaat. Arno Schmidt, ein Freund Anderschs und Schriftsteller hat dies in seiner Rezension besonders herausgestellt: Sie ist zusammengefasst in dem Satz Das Land aus dem man fl ü chtet. Schmidt schreibt: „Und die 6 Gestalten (...) haben kein anderes Anliegen als Deutschland zu verlassen. Beim Jungen (...) Reiselust (...) voll leben. Judith ist Jüdin - es erübrigt sich in Deutschland jedes Wort. Gregor (...) ist eben im Begriff über seine Partei hinauszuwachsen (...) Knudsens Frau ist geistesschwach (...), er hat sie gern, dazu alle Parteien satt (...) Pfarrer Helander (...) hat endlich begriffen, <dass man einen Gott, der den Seienden nicht beistand, züchtigen müsse>, (...) der hölzerne Klosterschüler, der allmählich zum <Lesenden> schlechthin wird, zum Wissbegierigen und kritisch Forschenden - das ist in Deutschland stets fehl am Platze: wozu auch, wo die Wahrheit doch längst bekannt ist; sei es in der NSDAP oder in den Kirchen?!(...)Und (...) sie verlassen alle das strotzend stapellaufende Schiff! Es geht die frische wertvolle Abenteuerlust in Gestalt des Jungen. Es geht - in den Freitod - der Pfarrer Helander; weil sein Gott versagt hat. Es geht der arbeitsam derbe Fischer, dem man die Frau wegbiologisieren will. Es geht der kalt-hoffnungsvolle Intellekt Gregors. Es geht die Schönheit Judiths. Es gehen Kunst und Wissenschaft, unverhüllt verkörpert im Bild des Lesenden. - Was bleibt ist Deutschland, das-Land- aus-dem-man-Flüchtet. (...) Wie nachdenklich, dass so ein Buch gerade heute erscheint. Wie aufschlussreich! Denn (...) auch bei uns ist wieder die KPD verboten. Auch bei uns werden wieder jüdische Friedhöfe geschändet. Auch bei uns geht allenthalben wieder <uniformiertes Fleisch> um. Auch <uns> gilt (...) Barlach oder der Expressionismus schon längst wieder als <entartete Kunst>! Macht man sich denn in allen Kreisen keine Gedanken darüber: Warum (...) Einstein emigrieren musste und 45 nicht nach Deutschland zurückkehrte? Warum Thomas Mann (...) lieber in der Schweiz blieb? Warum Hermann Hesse, (...) Nobelpreisträger, still in seinem Tessin blieb? (...) Sansibar ist (...) eine sachlich unwiderlegbare Anklage gegen Deutschland. Ein Warnung an alle >die es angeht<. Unterricht (...) in Flucht aus Protest. Vorzeichen einer neuerlichen (...) Emigration aller Geistigkeit. Ein Misstrauensvotum ersten Ranges gegen unser behäbig-aufgeblasenes <Volk der Mitte>“ Mit Sansibar war Andersch zum Erfolgsautor geworden. 1957 erhielt er dafür den Deutschen Kritikerpreis.

1950 hatte Andersch Gisela Gronauer geheiratet, im selben Jahr wurde Tochter Anette geboren. Mitte 1958 übersiedelte das Paar ins 100-Seelen Bergdörfchen Berzona im Tessin. Andersch wohnte von nun an Tür an Tür mit Max Frisch und Golo Mann. Nicht nur die Enttäuschung über die„Demokratie der schmutzigen Hände“, wie er den Adenauerstaat nannte, hatte zur Auswanderung geführt, auch die nicht durchführbare Erfüllung der Aufgabe der Kunst und Literatur in Deutschland haben eine Rolle gespielt. Andersch sah die Aufgabe der Kunst und Literatur ja darin, gesellschaftliche Verhältnisse transparent zu machen, um so die verborgenen Möglichkeiten zu ihrer Weiterentwicklung aufscheinen zu lassen.

Der Roman Die Rote wurde 1960 veröffentlicht. Es geht darum um die Flucht einer Frau vor dem schicken Leben der Wirtschaftswunderwelt, die durch zwei Männer repräsentiert ist. Einmal ihr Chef und Geliebter, der sie aber nur zu seinem Erfolgsanspruch braucht, und dann ihr aus Trotz - um ersteren zu verletzen - geheirateter Mann, für den sie nur den Wert eines Schmuckstückes besitzt. Kein Wunder, dass sie flieht. Im Prinzip knüpft der Roman dort an, wo Sansibar aufhört: Bei der Flucht einer Frau aus Deutschland, dem Land-aus-dem-man-flüchtet.

In den folgenden Jahren erschienen mehrere Reiseberichte, hauptsächlich aus dem Norden. Außerdem verbrachte Andersch 10 Monate in Rom. Er zog sich zurück, reiste und schrieb hauptsächlich. Politisch engagierte er sich wenig, er beteiligte sich beispielsweise nicht an einer Werbekampagne anderer Schriftsteller für die SPD zur Bundestagswahl 61.

Anderschs dritter Roman, Efraim, erschien 1967. Darin geht es um einen jüdischen Journalist, der auf der Suche nach dem von den Nazis ermordeten Kind seines Chefs ist. Die Suche wird immer mehr zu einer Suche nach der eigenen Vergangenheit und der Vergangenheit des Landes, aus dem er hatte fliehen müssen: Deutschland. Der antifaschistische Roman brachte Andersch eine hohe öffentliche Anerkennung ein: Auf Vorschlag von Nelly Sachs erhielt er den nach ihr benannten Kulturpreis der Stadt Dortmund für sein Gesamtwerk, „in Würdigung seiner geistigen Haltung, mit der er eine neue demokratische Gesellschaft anstrebt“, so die Begründung.

Gegen Ende der Sechziger Jahre kam es zu einer grundlegenden Änderung von Anderschs politischem Weltbild. Bis dahin war er der festen Überzeugung gewesen, dass die Demokratisierung trotz Adenauer und seinesgleichen Fortschritte machen würde. Diese Überzeugung hatte sich vor allem auf die demokratische Vorbildfunktion der USA gestützt. Als die USA aber„Militärdiktaturen“ errichten, gegen den Vietnam Krieg führten, die Obristen-Regierung in Griechenland unterstützten und gegen die sozialistische Allende-Regierung in Chile putschten und die katastrophalen Verhältnisse der Schwarzen in Amerika ans Licht kamen, war er enttäuscht. Seine Enttäuschung ging sogar so weit, dass er einen Aufsatz widerrief, in dem er die Demokratie unter Roosevelt als Vorbild für ein globales Modell bezeichnet hatte. Dieser radikale Umschlag in seinem Demokratieverständnis blieb natürlich nicht ohne Folgen für sein Schreiben. Er hatte enorme Selbstzweifel, vor allem auch an seiner Vorstellung über die Aufgabe des Schreibens - war dies nun dadurch entwertet, da er an falsche Zielsetzungen und Ideen geglaubt hatte? Einige Schriften und Erzählungen aus dieser Zeit zeigen die sehr deutlich. Im Sommer 1970 wird er vom Goetheinstitut zu einer Nordamerika-Tournee eingeladen, er besuchte unter anderem die Orte, an denen er als Kriegsgefangener geweilt hatte. In den in dieser Zeit entstandenen und publizierten Erzählungen und Schriften wird die Selbstkritik an seiner früheren Forderung nach Bindungslosigkeit deutlich. Alle Schriften haben eines gemeinsam: den Abschied vom bisherigen Leben (haben das nicht alle anderen auch?).

Andersch wandte sich immer stärker dem Thema des Faschismus zu, nach dem Scheitern der Reformabsichten war es ihm bewusst geworden, dass 45 kein endgültiger Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit war. Die bürgerliche Demokratie kann kein erneutes Aufkommen des Faschismus verhindern. Andersch beschäftigte sich mit der Frage, wie Geschichte hätte anders verlaufen können, und zwar mit der Begründung, dass, wer sich nicht vorstellt, wie es anders hätte verlaufen können, in Gefahr läuft, das Gegebene als unveränderbar hinzunehmen - wie es so oft zur Zeit des Naziregimes geschehen war. Im 1974 erschienenen Roman Winterspelt „spielt“ Andersch mit dem Gedanken, dass man Geschichte nicht so hinnehmen muss, wie sie gekommen sei. Dies ist in Winterspelt sehr realistisch, er stellt die Chance der Wehrmachtsoffiziere dar, die durch planvollen Widerstand den Zweiten Weltkrieg verkürzen hätten können. Winterspelt weist Ähnlichkeiten mit Sansibar auf. Es sind wieder fünf Personen, die aus wechselnder Sicht berichten, sie werden in Beziehungen gesetzt und verglichen. Dies zeigt auf anschauliche Weise die Auswirkungen des Krieges an einzelnen Personen.

Diese Frage, ob Geschichte so hingenommen werden muss, wie sie passierte, ließ Andersch bis an sein Lebensende nicht mehr los. Er beschäftigte sich selbstkritisch damit, ob der Sieg des Faschismus unvermeidbar gewesen ist, oder ob die politische Linke, die KPD, ohne ihre innere Spaltung und ihr zögerliches Verhalten, etwas hätte verhindern können. 1973 wurde dies ihm am Beispiel Chiles abermals verdeutlicht: die von den Linken mitverschuldete Niederlage vor dem Faschismus. Mitte der Siebziger Jahre reiste er nach Mexiko, Spanien, Portugal und in die Sowjet-Union, er engagierte sich wieder vermehrt politisch. Später bezeichnete er die Siebziger Jahre als Wiederfinden zu seinen sozialistischen Positionen, die er offen eingestand. Eindeutiger Beweis dafür ist der Ö ffentliche Brief an einen sowjetischen Schriftsteller, das Ü berholte betreffend.. Darin schrieb er an den Vorsitzenden des Sowjetischen Schriftstellerverbandes und bekannte sich zum Versäumnis seiner politischen und literarischen Biographie. Gleichzeitig ergriff er erneut für die sozialistische Gesellschaftsordnung Partei.

Noch mehr Aufsehen erregte er jedoch 1976 mit einem Gedicht: Es war die Antwort auf das Berufsverbot für Kommunisten, Sozialisten, linke Gewerkschafter usw. artikel 3 (3) löste einen bundesweiten Skandal aus. Er klagte darin die Regierung an, verglich staatliche Maßnahmen mit denen der Nazis und rief zur Gegenwehr auf. Andersch wollte nicht resignieren, er wollte Widerstand leisten.

Schon 74 war er schwer an Gürtelrose erkrankt, 1977 folgte eine chronische Nierenkrankheit, man musste die Niere transplantieren und Andersch war in Dialyse-Behandlung. Er veröffentlichte mehrer Gedichtbände und Erzählungen, unter anderem auch noch einige autobiographische Texte. Er schien zu wissen, dass er nicht mehr lange zu leben hat.

Am 20. Februar 1980 starb Alfred Andersch im Alter von 66 Jahren an Nierenversagen in seinem Haus im Tessin.

Nach seinem Tod wurden noch einige Erzählungen und Fragmente veröffentlicht.

Theresia Wieland

Quellen:

Jendricke, Bernhard: Alfred Andersch. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1994

Haffmans, Gerd (Hrsg.): Über Alfred Andersch. Diogenes, 1980

Andersch, Alfred: Sansibar oder der letzte Grund. Diogenes, 1970

Final del extracto de 6 páginas

Detalles

Título
Alfred Andersch
Calificación
1
Autor
Año
2001
Páginas
6
No. de catálogo
V105380
ISBN (Ebook)
9783640036745
Tamaño de fichero
413 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die Biographie zeigt Parallelen zu dem im Unterricht behandelten "Sansibar oder der letzte Grund". Der lange Absatz zu Sansibar kann, wenn anderswertig gebraucht, auch weggelassen werden.
Palabras clave
Alfred, Andersch
Citar trabajo
Theresia Wieland (Autor), 2001, Alfred Andersch, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105380

Comentarios

  • No hay comentarios todavía.
Leer eBook
Título: Alfred Andersch



Cargar textos

Sus trabajos académicos / tesis:

- Publicación como eBook y libro impreso
- Honorarios altos para las ventas
- Totalmente gratuito y con ISBN
- Le llevará solo 5 minutos
- Cada trabajo encuentra lectores

Así es como funciona