Arbeitslosigkeit als krankheitsbegünstigende Lebenssituation


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

21 Pages, Note: 2


Extrait


1. Einleitung

Das Problem der Arbeitslosigkeit kann sehr nüchtern betrachtet werden, wenn man es lediglich in Zahlen ausdrückt. So sieht die politische Führung bereits das „Licht am Ende des Tunnels“, wenn die millionenfache Zahl der Erwerbslosen vorübergehend eine drei vor dem Komma aufweist.

Die Arbeitslosigkeit gehört mittlerweile zu unserem Alltagsleben. Längst ist die Gesellschaft bereit, sie als unveränderbare Tatsache zu akzeptieren. Dabei ist der Leidensdruck der Betroffenen nur für den nachvollziehbar, dessen Arbeitsplatz permanent gefährdet ist oder der selbst schon einmal arbeitslos war.

Tatsächlich sind die persönlichen Belastungen für den einzelnen Arbeitslosen vielfältig. Sie können einen Menschen an den Rand der Selbstzerstörung bringen. In der Tageszeitung „NEUE WESTFÄLICHE“ vom28.10.1986 stand folgende Zeitungsmeldung: „Ein Ehepaar hat sich und seinen dreijährigen Sohn gestern morgen in Bochum mit Autoabgasen vergiftet. Wie die Polizei berichtete, war ein Zeitungsbote auf das mit laufendem Motor abgestellte Fahrzeug aufmerksam geworden. Er hatte den 30jährigen Arbeitslosen, seine 23 Jahre alte Frau und das Kind aber nicht mehr retten können. Die Abgase waren mit einem Schlauch in das Innere des Wagens geleitet worden.“

Eine solche persönliche Katastrophe ist sicher eine Ausnahme. Gleichwohl ist es ein Ergebnis sozialpsychologischer Arbeitslosenforschung, dass Betroffene sehr häufig mit Suizidphantasien und Planungen versuchen, den Belastungen ihrer Lebenssituation zu begegnen.

Der Verlust der Erwerbsarbeit bedeutet für den Betroffenen eine große psychische und letztlich auch physische Belastung. Ihm fehlt die tägliche Zeitstruktur. Seine geregelte Arbeit erweiterte seine sozialen Beziehungen über die zur Familie und zur nächsten Nachbarschaft hinaus. Seine Arbeit begründete seinen sozialen Status und gab ihm persönliche Identität.

Menschen reagieren unterschiedlich auf einen solchen Verlust. Die Gründe der Arbeitslosigkeit spielen hierbei eine erhebliche Rolle. Von ihnen hängt in besonderem Maße ab, wie hoch die Chancen für eine Neueinstellung sind. Wichtige Kriterien sind zudem Alter, Bildungsstand und Gesundheitszustand des Betroffenen. Besonders Menschen, die aufgrund einer Erkrankung ihren Arbeitsplatz verloren haben, sind in Gefahr, Langzeitarbeitslose zu werden.

In dieser Hausarbeit soll der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Krankheit deutlich gemacht werden. Dabei sollen alle die Aspekte besonders hervorgehoben werden, die das Leben des betroffenen Menschen fortan begleiten und die den Arbeitslosen so deutlich von den erwerbstätigen Menschen unterscheiden.

2. Krankheit als Folge von Arbeitslosigkeit

Ob eine Krankheit Ursache oder Folge von Arbeitslosigkeit ist, ist nur zu klären, wenn zuvor die Entstehung und Entwicklung im Einzelfall bekannt ist.

Zahlreiche Untersuchungen haben jedoch den Zusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitslosigkeit offenkundig werden lassen. Nachweislich sind Arbeitslose häufig Opfer gesundheitlicher Beeinträchtigungen aufgrund krankheitsbegünstigenden Verhaltens, z.B. Fehlernährung, Vernachlässigung medizinischer Behandlung, erhöhter Alkoholkonsum, verstärktes Rauchen, Arzneimittelmissbrauch etc.

„Aus den Ergebnissen der Arbeitslosenforschung lässt sich entnehmen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes folgende sofortige wie auch langfristige, d.h. zu chronischen Erkrankungen führende Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit ausübt:

- Veränderung des Blutdrucks und des Körpergewichts, Störungen des vegetativen Nervensystems, Schwächung des Immunsystems.
- Anstieg von Nervosität, Ängstlichkeit, Gereiztheit und depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Schlafstörungen.
- Erhöhung des Zigaretten- , Alkohol- und Tablettenkonsums
- Zunahme psychosomatischer Erkrankungen (Magen-Darm-Erkrankungen, asthmatische Beschwerden, Rücken- und Kopfschmerzen, Gelenkrheumatismus)
- Zunahme von Suiziden und Suizidgefährdungen. (Gegenüber Beschäftigten weisen Arbeitslose eine bis zu zwanzigfache Rate von Selbstmord und Selbstmordversuchen auf.)“

(Wolski-Prenger/Rothardt, Soziale Arbeit mit Arbeitslosen, Weinheim 1996, S.95)

Die gesundheitlichen Folgen der Arbeitslosigkeit beschreibt Jörg Schiffer, freier Mitarbeiter am Berner Institut für Sozial- und Präventivmedizin im Rahmen einer Forschungsarbeit, die sich mit den Folgen von Arbeitslosigkeit auseinandersetzt.

Auf die Frage, welches die häufigsten Krankheitsbilder bei Arbeitslosigkeit sind, antwortet er wie folgt:

„Es gibt keine typischen Bilder. Zu sehen sind Depressionen, Kopfschmerzen, Rückenprobleme; aber Arbeitslosigkeit setzt mehr dort an, wo der Mensch sowieso schon geschwächt ist. Deshalb muss man davon ausgehen, dass viele Krankheiten durch die Arbeitslosigkeit ausgelöst werden. Die Arbeitslosigkeit ist wie eine Zusatzbelastung, sie ist abhängig von der Situation, in der sich Arbeitslose befinden und auch abhängig von den Hoffnungen, die sie haben. Die Grenzen zwischen krank und gesund sind fließend.“ (http://pda.ch/vorwaerts/1997/48inland.html)

3. Krankheitsbegünstigende Aspekte der Arbeitslosigkeit

Der arbeitende Mensch fürchtet nicht nur den Verlust seines Arbeitsplatzes, sondern vor allem den daraus resultierenden neuen sozialen Status. Sein Platz ist als Arbeitsloser deutlich an den Rand der Gesellschaft verschoben.

Wie stark sich dieser „Statusverlust“ auswirkt soll an dieser Stelle mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden:

Ein arbeitsloser Familienvater erhält z.B. DM 1.600,-- Arbeitslosenunterstützung. Diese Summe wurde von der Bundesanstalt für Arbeit errechnet und beträgt aufgrund der Tatsache, dass er mindestens ein unterhaltspflichtiges Kind hat 67 % seines letzten Nettoeinkommens, das sich danach auf ca. DM 2.400,-- belaufen hätte. Der Betrag von DM 1.600,-- wird nun regelmäßig auf sein Konto überwiesen. Seine Kaufkraft ist erheblich reduziert. Auf dem Merkblatt des Arbeitsamtes, das ihm bei seiner Arbeitslosmeldung ausgehändigt wurde, wird darauf hingewiesen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Leistungen des Arbeitsamtes gesperrt werden können. Gründe für eine Sperrung der Arbeitslosenunterstützung sind z.B. das „schuldhaft herbeigeführte Nichtzustandekommen eines vermittelten Vorstellungsgespräches, das unentschuldigte Nichterscheinen zu vereinbarten Beratungsterminen oder eine Urlaubsreise ohne Urlaubsantrag an das Arbeitsamt.

Die Sperrung der Arbeitslosenunterstützung bedeutet für das Arbeitsamt und für jeden Außenstehenden eine logische Umsetzung der Leistungsbedingungen. Für den betroffenen Arbeitslosen bedeutet sie dagegen eine erhebliche persönliche Katastrophe. Der genannte Familienvater, dessen Versäumnis womöglich gar nicht in böser Absicht geschah sondern ein bloßes Versehen war, sieht sich mit einer Geldstrafe von DM 1.600,-- konfrontiert. Das wären im Rahmen eines Strafverfahrens beispielsweise vierzig Tagessätze a´ DM 40,--. Dabei muss beachtet werden, dass eine Geldstrafe vor deutschen Gerichten immer auf die Einkommensverhältnisse des Angeklagten abgestimmt werden. Er darf durch die Geldstrafe nicht in den finanziellen Ruin getrieben werden.

Der arbeitslose Familienvater dagegen verliert durch die Sperrung seiner Arbeitslosenunterstützung sein gesamtes Einkommen und ist für die Dauer der Sperrung völlig mittellos. Seine Lebenshaltungskosten kann er nicht bezahlen. Er wird mit seinem Problem alleingelassen.

Jörg Schiffer geht in seiner schon erwähnten Forschungsarbeit auch auf diese Problematik ein, die sich in der Schweiz wie folgt darstellt:

„Bei Arbeitslosen, die zu wenig Bemühungen um Arbeit vorweisen, d.h. wenige Bewerbungen schreiben, kürzt das Arbeitsamt zum Beispiel die Taggelder. Das sind finanziell relativ hohe Strafen, die für solche Verhaltensweisen ausgesprochen werden. Dabei nutzend diese Menschen das System nicht aus. Sie sind häufig resigniert und ziehen sich in sich selbst zurück. Für sie ist es viel schwieriger, keine Bewerbung zu schreiben, als pro forma welche abschicken zu müssen. Denn schreiben sie keine Bewerbungen, setzen sie sich der Konfrontation mit dem Arbeitsamt aus. Dadurch müssen sie sich immer wieder aufs Neue mit der Realität ihrer Situation auseinandersetzen. Sie versuchen, die Umstände, in denen sie stehen, anders zu bewerten. Man nimmt das mit den Bewerbungen gar nicht mehr ernst, um nicht wieder Frustration einstecken zu müssen. Dabei sind sie dazu gezwungen, mit dieser Situation allein fertig zu werden und es hilft ihnen niemand dabei. Wenn jemand lange arbeitslos war, ist die Angst, noch einmal die Arbeit zu verlieren, noch viel größer. Es werden dann Verhaltensweisen wie Überangepasstheit angelegt, und die wiedereingegliederten Personen sind stark gestresst, weil sie den neuen Arbeitsplatz nicht verlieren möchten. Dadurch entstehen wiederum Probleme, weil sie sich anders verhalten, als die anderen.“ (http://pda.ch/vorwaerts/1997/48inland.html)

„Die Arbeitslosigkeit sucht den Betroffenen heim, wie eine schwere unverschuldete Krankheit, und so, wie im Falle einer Erkrankung der Wert der Gesundheit erkannt wird, macht auch die Arbeitslosigkeit deutlich, dass Arbeit nicht nur ein Mittel zum Geldverdienen, sondern auch ein wesentlicher Teil der menschlichen Würde ist.“

(vgl. Friedrich/Brauer, Arbeitslosigkeit - Dimensionen, Ursachen, Bewältigungsstrategien, S. 144)

Eine besondere Belastung ist für den Arbeitslosen die Unstrukturiertheit des Tages. Der Zerfall der Zeitstruktur während der Arbeitslosigkeit wird zum erstenmal im Rahmen der „Marienthalstudie“ untersucht. Diese Studie befasste sich mit der Einwohnerschaft im österreichischen Marienthal. Die diesen Ort beherrschende Baumwoll- und Wollspinnerei wurde im Jahre 1930 geschlossen. Von den 478 Haushalten im 1.500- Einwohner-Ort waren Ende 1931 358, d.h. 80% erwerbslos.

„Die Autoren der Studie stellten einen tiefgründigen Wandel des Zeitbewusstseins fest; der Lebensrhythmus ist verlangsamt, die zeitliche Orientierung verarmt, Handeln und Denken orientieren sich vor allem an den Notwendigkeiten der unmittelbaren Existenzsicherung, Pläne werden nicht mehr gemacht.“(vgl.Eggert-Schmid Noerr ,Geschlechtsrollenbilder und Arbeitslosigkeit, S.42)

Am Ende ziehen die Autoren der Marienthalstudie ein trauriges Resümee:

„Wer weiß, mit welcher Zähigkeit die Arbeiterschaft seit den Anfängen ihrer Organisation um die Verlängerung der Freizeit kämpft, der könnte meinen, dass in allem Elend der Arbeitslosigkeit die unbegrenzte Zeit für den Menschen doch ein Gewinn sei. Aber bei näherem Zusehen erweist sich diese Freiheit als tragisches Geschenk. Losgelöst von ihrer Arbeit und ohne Kontakt mit der Außenwelt, haben die Arbeitnehmer die materiellen und moralischen Möglichkeiten eingebüßt, die Zeit zu verwenden. Sie, die sich nicht mehr beeilen müssen, beginnen auch nichts mehr und gleiten allmählich ab aus einer geregelten Existenz ins Ungebundene und Leere. Wenn sie Rückschau halten über einen Abschnitt dieser freien Zeit, dann will ihnen nichts einfallen, was der Mühe wert wäre, erzählt zu werden.“(Eggert-Schmid Noerr, S.42)

„Marienthal ist die meistzitierte Studie zu den sozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit.“ (http://userpage.fu-berlin.de/~garten/Texte/MARIENTH.htm S.7)

Die Entstrukturierung des Tagesablaufs in Folge von Arbeitsplatzverlust ist auch in der aktuellen Arbeitslosenforschung ein wesentliches Thema.

„Der fehlende Wechsel von Arbeit und Freizeit während der Arbeitslosigkeit führt zur emotionalen Ziellosigkeit. Die unbegrenzt zur Verfügung stehende freie Zeit kann dadurch ihrer Sinnhaftigkeit beraubt werden.“

(Kieselbach,Th. u. Wacker,A. Bewältigung von Arbeitslosigkeit im sozialen Kontext,Weinheim 1991, S.27)

Dieses Übermaß an Freizeit und die daraus resultierende Ziellosigkeit bleiben zum Leidwesen des Arbeitslosen erschwerender Weise natürlich nicht verborgen. Er empfindet seine Situation als Schande. Schließlich ist im arbeitslosen Familienvater die Sicht des arbeitenden und für seine Familie sorgenden Mannes verfestigt. Die Fähigkeit, über die Meinung anderer erhaben zu sein, geht in einem Zustand fortgesetzter Demütigung allmählich verloren. Der Arbeitsplatzverlust ist für viele Betroffene von Anfang an eine tiefe Kränkung und schwere Demütigung. So lebt die Legende von dem Arbeitslosen, der morgens zur gewohnten Zeit das Haus verlässt und am Abend zurückkehrt. Die Nachbarn sollen glauben, dass er nach wie vor berufstätig ist. Sein Bemühen, seine neue Lebenssituation zu verbergen, führt zu immer tieferer Verstrickung in Geschichten, die seiner eigentlich unwürdig sind. Zu Beginn seiner Arbeitslosigkeit hofft er noch, dass er schneller eine neue Stelle gefunden hat, als sein Zustand bekannt wird.

In einem 1983 von verschiedenen Berufsverbänden veröffentlichten Memorandum wird aufgelistet, welche Auswirkungen der Zustand der Arbeitslosigkeit auf die seelische Verfassung von Arbeitslosen hat.

„Danach führt die Arbeitslosigkeit beim einzelnen Arbeitslosen häufig zu:

- einem Gefühl des Kontrollverlustes über die eigenen Lebensbedingungen und daraus resultierende Hilflosigkeit;

- einer Entstrukturierung von Tagesabläufen und dem Verlust an Zukunftsplanung;
- einer Abnahme des Selbstvertrauens, Verringerung des Selbstwertgefühls und des Vertrauens gegenüber Mitmenschen;
- emotionaler Labilität, Schlafstörungen
- Depressionen, Fatalismus und Apathie insbesondere bei Langzeitarbeitslosen, verbunden mit dem Gefühl der Wert- und Hoffnungslosigkeit;
- einer Zunahme sozialer Isolation;
- Vermehrung von Schuldvorwürfen gegenüber der eigenen Familie;

Bei arbeitslosen Jugendlichen führt Arbeitslosigkeit darüber hinaus zu

- einer Verlängerung der Abhängigkeit vom Elternhaus
- Störungen der Identitätsentwicklung
- sozialer Desintegration

(vgl. Wolski-Prenger/Rothardt, Soziale Arbeit mit Arbeitslosen, 1996, S.97 ff)

Die Demütigung des Arbeitslosen hat zwei Komponenten. Einerseits „sozialer Mangel“. Der Arbeitslose hat das Gefühl, schlecht angesehen zu sein, er sieht sich in der Position eines Bittstellers, er befürchtet stets, eine unverdiente Behandlung zu erfahren, mit „Säufern“ und „Faulen“ gleichgestellt zu werden.

Andererseits eine „soziale Scham“. Der Arbeitslose hat den Eindruck, von den anderen abgesondert zu sein, das Gefühl, selbst schuld an dem zu sein, was mit ihm passiert.

Die Arbeitslosigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Verlust von Arbeit und damit einhergehende ökonomische Unterlegenheit. Sie wird gesamtgesellschaftlich soziologisch als „soziale Minderwertigkeit“ definiert.

4. Phasen der Arbeitslosigkeit

Die schon erwähnte Marienthalstudie von Maria Jahoda, Hans Zeisel und Paul Lazarsfeld hat erstmals von „Phasen der Arbeitslosigkeit“ gesprochen. Danach durchläuft der Arbeitslose im Zuge seiner Arbeitslosigkeit vier Phasen.

„Zunächst bewirkt der Schock des Arbeitsplatzverlustes ein seelisches Tief. Nach dessen Überwindung wird der Betroffene von einer Phase des Optimismus erfasst, in der alle Aktivitäten auf die Wiedergewinnung eines Arbeitsplatzes gerichtet sind. Bleiben diese Bemühungen erfolglos, folgt ein durch Geldsorgen, Langeweile, sinkendes Selbstwertgefühl und mit der Dauer der Arbeitslosigkeit subjektiv und objektiv ständig sinkende Aussicht auf Arbeit begründetes weiteres psychisches Tief, die Phase des Pessimismus. In dieser Phase ist die Selbstmordgefährdung besonders groß. Da ein psychisches Überleben mit einer solchen Befindlichkeit kaum möglich erscheint, geht diese Phase in ein Stadium des Gleichmuts, in Fatalismus über. Diese Phase ist zum Überleben notwendig .“(Wolski-Prenger/Rothardt S.96)

“Die Leute nahmen jeden nur erdenklichen Job an und schrieben im Einzelfall bis zu 130 Bewerbungen, bevor sie endlich, nun aber gründlich, aufgaben. Die Studie zeigt eindrücklich das „Sinnlosigkeits“-Gefühl als Folge der Erwerbslosigkeit. „Einstweilen wird es Mittag“ schrieb einer in sein Tagesprotokoll, gleich nachdem er im Anschluss ans Frühstück der Schulkinder, seiner Frau Wasser und Holz gebracht hatte.“ (http://userpage.fu-berlin.de/~garten/Texte/MARIENTH.htm S.2)

Natürlich wäre es sehr verkürzt, die Lebenssituation des Arbeitslosen allein in vier Phasen aufzuteilen. In jedem Einzelfall ist die seelische Verarbeitung der Arbeitslosigkeit sehr stark von individuellen Faktoren abhängig. „Dabei wirken sich folgende Faktoren besonders psychisch belastend aus:

- Einschränkungen im Hinblick auf soziale Kontakte und Freizeiterlebnisse
- verringerte Möglichkeiten, seine Fähigkeiten einzusetzen und zu entwickeln
- Ansteigen psychisch unangenehmer und bedrohlicher Erfahrungen, z.B. durch wiederholte Ablehnung von Bewerbungen
- Zukunftsungewissheit

Die persönliche Verarbeitung der Arbeitslosigkeit wir erheblich beeinflusst durch

- Alter und Geschlecht (bzw. Familienrolle des Arbeitslosen)
- den Gesundheitszustand
- die Dauer der Arbeitslosigkeit
- Das Ausmaß der finanziellen Belastungen
- die „Berufsorientierung“
- das allgemeine Aktivitätsniveau
- die >persönliche Verwundbarkeit< als Ausdruck einer Disposition, mit belastenden Situationen leicht fertig zu werden
- die Unterstützung durch die unmittelbare soziale Umwelt, die soziale Schichtzugehörigkeit und anderes

(Wolski-Prenger/Rothardt S.98)

5. Ergebnisse aus der Arbeitslosenforschung

Es ist ein gesichertes Ergebnis der Arbeitslosenforschung, dass die Belastungen mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmen. „Im Rahmen einer von der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Rhein-Neckar e.V. in Weinheim geleiteten Studie wurde an alle in der Region Weinheim/Bergstraße und Heidelberg und Umgebung niedergelassenen Ärzte ein eigens vom Institut für Gerontologie, Heidelberg, entwickelter Fragebogen zu den Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit verschickt. Geantwortet haben 94 Ärzte. Am häufigsten vertreten waren die Fachdisziplinen Allgemeinmedizin (n= 51), Innere Medizin (n= 19), Orthopädie (n= 8) und Neurologie (n= 5).

Unter anderem wurden folgende Fragen gestellt:

- Mit welchen besonderen Problemen ist Arbeitslosigkeit Ihrer Meinung nach für den Menschen verbunden? Können Sie vier Probleme nennen?
- Haben Sie den Eindruck, dass arbeitslose Patienten mit Ihnen ausführlicher über die persönlichen Folgen der Arbeitslosigkeit sprechen möchten oder meiden diese eher das Gespräch über Arbeitslosigkeit?
- Von welchen persönlichen Problemen berichten Ihnen Ihre Patienten hauptsächlich?
- Sind Sie der Meinung, dass Arbeitslosigkeit langfristig Einflüsse auf den Gesundheitszustand eines Menschen hat?

Ein besonderes Ziel der Befragung bestand darin, zu untersuchen, wie differenziert das Problem der Arbeitslosigkeit von niedergelassenen Ärzten wahrgenommen wird und ob Arbeitslosigkeit langfristig den Gesundheitszustand und die familiären Beziehungen beeinträchtigt.

Darüber hinaus sollte untersucht werden, welche sozialen Angebote und Unterstützungsleistungen für arbeitslose oder nach längerer Arbeitslosigkeit wieder berufstätige Menschen aus der Sicht der Ärzte wichtig sind bzw. wichtig wären.

Aus Arbeitslosigkeit ergeben sich nach Einschätzung der befragten Ärzte vornehmlich folgende Problembereiche:

- sozialer Abstieg
- Selbstwertgefühl
- soziale Beziehungen
- gesundheitliche Problem
- Zufriedenheit mit der Gestaltung des Alltags
- Zukunftsperspektive
- sozial abweichendes Verhalten

Welche Probleme nach Arbeitslosigkeit stehen nach Einschätzung der befragten Ärzte im Vordergrund?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

53 der 94 Ärzte nannten Selbstwertprobleme (Minderwertigkeitsgefühle und Schuldgefühle) als eine gravierende Folge der Arbeitslosigkeit. Nach der Auffassung von 14 Ärzten treten Depressionen häufiger bei arbeitslosen Menschen auf. Neben einem Verlust an Sozialprestige und finanziellen Problemen wurden damit Selbstwertprobleme am häufigsten genannt.

Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes wurde von 40 Ärzten spontan als eine häufige Folgeerscheinung von Arbeitslosigkeit angegeben. Die direkte Frage nach Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit wurde von 87 Ärzten bejaht und von nur zwei Ärzten verneint. Fünf Ärzte beantworteten diese Frage nicht. Die Antworten auf die weiterführende Frage, welche Einflüsse von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit beobachtet worden seien, werden in folgender Tabelle wiedergegeben:

Beobachtete Einflüsse der Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach Ansicht der befragten Ärzte ist neben der Entwicklung psychosomatischer Störungen auch die Entwicklung emotionaler Störungen und psychischer Erkrankungen Folge von Arbeitslosigkeit.

Die Frage nach Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die familiäre Situation wurde von 91 Ärzten bejaht. Drei beantworteten diese Frage nicht. Die beobachteten Einflüsse von Arbeitslosigkeit auf die familiären Beziehungen sind in folgender Tabelle zusammengefasst:

Beobachtete Einflüsse von Arbeitslosigkeit auf Familiäre Beziehungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Arbeitslosigkeit zieht nach diesem Ergebnis ausgeprägte innerfamiliäre Krisen nach sich. Zu beachten ist die Verringerung der Akzeptanz durch die anderen Familienmitglieder. Konflikte und Spannungen sowie gegenseitige Schuldzuweisungen überfordern natürlich bestehende innerfamiliäre Beziehungen und münden häufig in Gewalt und Aggression. Die innerfamiliären Probleme führen häufig zu einem Rückzug aus außerfamiliären Beziehungen und bergen damit die Gefahr einer sozialen Isolation in sich.

Es zeigt sich, dass Arbeitslosigkeit eine erheblich Gefährdung für die Gesundheit eines Menschen darstellt und zu Problemen führt, die von niedergelassenen Ärzten behandelt werden müssen. Darüber hinaus ist nach Ansicht der befragten Ärzte Arbeitslosigkeit mit weiteren Problemen verbunden, die in aller Regel nicht im Arzt-Patienten-Kontakt bearbeitet werden können, sondern nach zusätzlichen Möglichkeiten sozialer Unterstützung verlangen.

Schließlich haben 86 der 94 befragten Ärzte folgende Frage beantwortet:

- Welche sozialen Angebote und Unterstützungsleistungen für arbeitslose oder nach längerer Arbeitslosigkeit wieder berufstätige Menschen sind aus Ihrer Sicht wichtig?

In der folgenden Tabelle das Ergebnis:

Aus Sicht der Ärzte notwendige Angebote für arbeitslose Menschen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach Auffassung der befragten Ärzte genügen Umschulungsangebote und ABM- Stellen nicht aus, um der mit Arbeitslosigkeit verbundenen Problematik zu begegnen. Diese sollten um Gesprächsgruppen ergänzt werden, deren wichtigste Aufgaben nach Auffassung der befragten Personen in der Förderung von Eigeninitiative, Bereitstellung von Identifikationshilfen, Stärkung des Selbstwertgefühls sowie in der Hilfe bei der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern liegen sollte. Des weiteren wurde die Notwendigkeit einer Beratung von Arbeitslosen in finanziellen Fragen hervorgehoben.“

(vgl. Broschüre von Boehringer Ingelheim, Arbeitslosigkeit - psychosoziale Situation, S.29 ff )

6. Leben mit dem Stigma

Arbeitslosigkeit wirkt sich also nicht nur auf den Betroffenen, sondern auch auf seine Familie aus. Vor allem Kinder leiden erheblich unter der Arbeitslosigkeit der Eltern. Ein wesentlicher Faktor, der die individuelle Verarbeitung von Arbeitslosigkeit beeinflusst, ist der Familienstand bzw. die Unterstützung durch die unmittelbare soziale Umwelt. Grundsätzlich leiden diejenigen am meisten, die alleinstehend sind und auch sonst keine sozialen Kontakte haben, die die verlorengegangenen Beziehungen zu Arbeitskollegen ausgleichen könnten. Der Arbeitslose erfährt, je länger seine Arbeitslosigkeit dauert, ein Gefühl der Ohnmacht. Er hat den Kampf um ein geordnetes, glückliches und sorgenfreies Leben verloren gegeben.

Dieses Gefühl der Unterlegenheit wird ihm in vielfacher Weise im Alltag deutlich gemacht. Die Ursachen der Arbeitslosigkeit werden ihm selbst zugeschrieben. Der Leistungswille wird ihm abgesprochen. Allzu häufig hören wir den vom „Nichtbetroffenen“ stereotyp wiederholten Ausspruch: “Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit.“ Eine solche Aussage ist dabei interessanter Weise nicht nur von ungebildeten Menschen zu erwarten. Erst vor Kurzem hat der Bundeskanzler in einer öffentlichen Verlautbarung die deutschen Stammtische mit dem Klischee bedient, Arbeitslose seien grundsätzlich faul. Eine solche umfassende Übereinstimmung in der Verurteilung von Arbeitslosen quer durch alle Bildungsschichten muss den Betroffenen zwangsläufig dahin bringen, dass er sich selbst als den allein Verantwortlichen für seine Situation sieht. Hinzu kommt die finanzielle Belastung. Der Arbeitslose kann seinen früheren Lebensstandard nicht mehr aufrecht erhalten, ohne sich zu verschulden.

Arbeitslosigkeit ist in vielen Alltagssituationen mit Erfahrungen der Beschämung verbunden. So lässt sich der psychische Druck charakterisieren, unter dem Arbeitslose stehen. „Im Schamgefühl vergegenwärtigt sich eine Person, in einer Verfassung zu sein, die sie selbst als defizitär, als mangelhaft und auch als entwürdigend empfindet.“(Neckel, S. Status und Scham, Zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit,Frankfurt a.M. 1991, S.16)

Das mit der Arbeitslosigkeit verbundene Schamgefühl ist dabei direkt mit gesellschaftlichen Leitbildern und dem Ideal des eigenen Selbst verknüpft. Je stärker das gesellschaftliche Leitbild an Erfolg und Leistung orientiert ist und je mehr das Bemühen, durch Arbeit an diesem Leitvorstellungen teilzuhaben, von Misserfolgen begleitet ist, umso intensiver werden die Situationen der Beschämung erlebt. In diesem Zusammenhang ist Arbeitslosigkeit ein Stigma nach der klassischen Definition:

„Ein Individuum, das leicht in den gewöhnlichen sozialen Verkehr hätte aufgenommen werden können, besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, dass wir uns bei der Begegnung mit diesem Individuum von ihm abwenden.“(Goffmann, E. Stigma.Über Techniken der Bewältigung beschädigterIdentitäten, Frankfurt a.M. 1979 S.13)

„Sich zu schämen ist die Innenansicht einer Stigmatisierung, die die soziale Ausgrenzung noch verstärkt. Dabei gilt: „Scham isoliert, sich schämen macht einsam, Scham ruiniert das Selbstbewusstsein und andere können das sehen.“(Neckel,S. 1991 S.17)

In solchen alltäglichen Situationen, in denen deutlich wird, dass man dem eigenen und dem gesellschaftlichen Idealbild nicht entspricht, - im Familienleben, im Umgang mit Behörden etc. - drückt sich gleichzeitig ein gesellschaftliches Machtgefälle aus. Ein Beispiel hierfür ist die bereits erwähnte Sperrung der Arbeitslosenunterstützung für vergleichsweise nichtige Anlässe. Der Arbeitslose verliert angesichts seiner ständigen Unterlegenheit nicht nur an Achtung sondern auch an Durchsetzungskraft, was seine eigenen Interessen betrifft.

7. Das Gesundheitsverhalten von Arbeitslosen

Es ist nicht sicher, dass jeder Arbeitslose mehr Alkohol trinkt, als vor Beginn seiner Arbeitslosigkeit, oder dass sein Nikotinverbrauch in jedem Fall steigt. Verschiedene Studien in dieser Frage kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Unstrittig ist eine Zunahme psychosomatischer Erkrankungen in der Phase des Pessimismus. „Schlafstörungen, Verdauungsstörungen und Nervosität während der Arbeitslosigkeit sind eine Folge des mangelnden Wechsels zwischen Aktivitäts- und Erholungsphasen. Der negative Reiz ist danach die Unterforderungssituation, die die Aktivitätsregulation des vegetativen Nervensystems durcheinanderbringt. (Müller-Limroth, W. 1976 S. 49)

Dieser Zustand von Unwohlsein, Demütigung, Scham und Selbstvorwürfen angesichts eines allgemeinen Unverständnisses von Seiten der Gesellschaft ist für den Arbeitslosen auf Dauer unerträglich. Ein besonders drastisches Fallbeispiel eines Zimmermanns verdeutlicht diese unerträgliche Belastung des Arbeitslosen:

„Ein 54jähriger Zimmermann wurde infolge eines Arbeitsunfalls, nachdem er seine volle Leistungsfähigkeit nicht mehr erreichte, arbeitslos. Eine medizinische Untersuchung, einen Monat nach Eintritt der Arbeitslosigkeit, verlief bereits sehr dramatisch. Er zog eine Reihe von erfolglosen Bewerbungsschreiben aus der Tasche, weinte, brach zusammen und war unfähig, weiter zu sprechen. Seine Frau sagte, dass solche Reaktionen schon nach der Ankündigung der Entlassung häufig aufgetreten seien. Er rauche jetzt sehr viel mehr als vor der Arbeitslosigkeit und sei zeitweilig sehr aggressiv und gewalttätig. Besonders wegen der Kinder mache er sich jetzt besondere Sorgen. Diagnostiziert wurde eine durch die Arbeitslosigkeit ausgelöste reaktive Depression. Bei einer zweiten späteren Untersuchung - er war immer noch arbeitslos - wurde bei ihm eine Krebserkrankung festgestellt und daraufhin eine vorzeitige Verrentung eingeleitet. Als der Betroffene später von dem untersuchenden Mediziner gebeten wurde, seine Situation in der Arbeitslosigkeit mit der nach der Krebsdiagnose zu vergleichen, betonte er, dass er nach dem Arbeitsplatzverlust sehr verzweifelt und am Ende gewesen sei, wohingegen seine jetzige Situation für ihn und seine Familie ziemlich sicher erschiene.“(Kieselbach,Th. u.Wacker,A., Individuelle und gesellschaftliche Kosten der Massenarbeitslosigkeit, Weinheim 1985, S.124)

Es ist bemerkenswert, dass der Betroffene die lebensbedrohliche Krebserkrankung gegenüber dem Zustand der Arbeitslosigkeit als Entlastung empfindet. Dies wirft die Frage auf, ob arbeitslose Menschen einen Krankheitszustand angesichts der vielen mit seiner Arbeitslosigkeit verbundenen Belastungen, nicht auch als einen Ausweg aus ihrer Situation sehen können.

Leidet ein Arbeitsloser unter seiner Situation so sehr, dass er vor Scham und Selbstvorwürfen die Gesellschaft anderer Menschen meidet, wird eine Erkrankung, die ihn ans Haus fesselt, plötzlich eine rehabilitierende Wirkung für den Betroffenen haben. Jetzt ist er zu Recht zu Hause. Selbst wenn er noch immer berufstätig wäre, könnte er jetzt nicht zur Arbeit gehen. Tatsächlich ist die Menschenfurcht an Feiertagen und Wochenenden deutlich kleiner als an den Werktagen, an denen jeder „anständige“ Mensch zur Arbeit geht.

Ein arbeitsloser Handwerker, der trotz vieler Bewerbungen keine Anstellung in seinem erlernten Beruf finden kann, würde eine Umschulung zu einem anderen Beruf als eine Chance für einen Neuanfang begrüßen. Da er bereits über eine Berufsausbildung verfügt und eine neue Anstellung zwar schwierig aber letztlich nicht unmöglich ist, wird eine Umschulung nicht in Frage kommen. Ein Ausweg wäre eine anerkannte Berufsunfähigkeit. Auch in diesem Fall wäre eine entsprechende Krankheit die Lösung seines Problems.

Solche hypothetischen Überlegungen sind natürlich nicht nachgewiesen. Sicher wäre die Frage, ob arbeitslose Menschen in der Krankheit auch einen Gewinn sehen und sie u.U. als Copingstrategie einsetzen, ein interessanter Forschungsgegenstand.

8. Zusammenfassung

Das Problem der Arbeitslosigkeit ist sehr vielschichtig und umfangreich. Diese Hausarbeit kann - schon wegen der begrenzten Seitenzahl - keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. So ist die Rolle der betroffenen Familienangehörigen nur gestreift worden. Auch der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Arbeitslosen ist ein interessanter Aspekt, der nicht zur Sprache kommen konnte.

Ziel der Hausarbeit war es, die unerträgliche Belastung des arbeitslosen Menschen und ihre Auswirkung auf seinen seelischen und körperlichen Gesundheitszustand deutlich zu machen. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass der Arbeitslose seine Lebenssituation als einen Urlaub betrachtet. Niemand bleibt auf Dauer aus „Faulheit“ arbeitslos.

Dass der Einzelne im Gesamtkontext der gesellschaftlichen Zusammenhänge keine Rolle spielt, zeigt sich täglich durch die Verlautbarungen namhafter Entscheidungsträger. So gab erst vor wenigen Tagen der Präsident des Arbeitgeberverbandes „Hundt“ der Öffentlichkeit bekannt, dass er nach wie vor der Meinung sei, dass Arbeitslose in unserer Gesellschaft „verwöhnt“ werden. „Ich bestreite, dass die meisten Arbeitslosen wirklich Arbeit suchen.“ Hundt verwies in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen freien Stellen im Gaststättengewerbe, für die sich keine Bewerber fänden. Es steht außer Frage, dass der Arbeitgeberpräsident keinen Gedanken daran verliert, welche Konsequenzen es für einen Arbeitslosen hat, wenn er eine deutlich schlechter bezahlte Stelle annimmt, die er aller Voraussicht nach nur begrenzte Zeit behält. Das Arbeitslosengeld würde sich bei neuer Antragstellung nach dem zuletzt gezahlten Einkommen bemessen. Aus Angst vor solchen finanziellen Konsequenzen scheuen viele Arbeitslose verständlicherweise davor zurück, jede beliebige Stelle anzunehmen..

Strahlend schütteln sich Vorstandsvorsitzende großer Unternehmen vor laufenden Kameras die Hände und geben die Fusion ihrer Firmen bekannt. Sie schildern wortreich die ungeheuren wirtschaftlichen Vorteile des neuen Unternehmens und überbieten sich gegenseitig in Prognosen über die voraussichtliche Höhe des zu erwartenden Jahresumsatzes. Nebenbei erwähnen sie die notwendige Streichung von einigen tausend Stellen. Ein solches Szenario wiederholt sich im Zuge der weltweiten Globalisierung fast täglich.

Gäbe es tatsächlich den politischen Willen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, würde z.B. die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass Firmenzusammenschlüsse nur dann möglich sind, wenn dadurch neue Arbeitsplätze entstehen. Die Tatsache, dass man Firmenzusammenschlüsse freudig begrüßt und staatlich subventioniert obwohl damit Arbeitsplätze zerstört werden, zeigt, dass die Politiker weit von den Problemen des Einzelnen entfernt sind.

9. Literaturverzeichnis

1. Eggert-Schmid Noerr, Annelinde, „Geschlechtsrollenbilder und Arbeitslosigkeit“ Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1991
2. Friedrich, Horst u. Brauer, Ute, „Arbeitslosigkeit - Dimensionen, Ursachen und Bewältigungsstrategien“, Verlag Leske + Buderich, Opladen 1985
3. Goffmann, E., „Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten“, Frankfurt a.M., 1979
4. Internet (http://pda.ch/vorwaerts/1997/48inland.html)
5. Internet (http://userpage.fu-berlin.de/~garten/Texte/MARIENTH.htm)
6. Kieselbach, Th. u. Wacker, A., „Bewältigung von Arbeitslosigkeit im sozialen Kontext“, Beltz Verlag, Weinheim 1991
7. Kieselbach, Th. u. Wacker, A., „Individuelle und gesellschaftliche Kosten der Massenarbeitslosigkeit“, Beltz Verlag, Weinheim 1985
8. Neckel, S., „Status und Scham, zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit“, Frankfurt a.M. 1991
9. Prof.Dr.Kruse, Andreas u. Dr.Schmitt, Eric, Studie “Arbeitslosigkeit - Psychosoziale Situation, gesundheitliche Folgen und Bewältigungsstrategien” Boehriner Ingelheim Pharma KG u. Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg 2001“
10. Wolski-Prenger, Friedhelm u. Rothardt, Dieter, „Soziale Arbeit mit Arbeitslosen“ Beltz Verlag, Weinheim 1996

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Arbeitslosigkeit als krankheitsbegünstigende Lebenssituation
Université
University of Applied Sciences Ludwigshafen
Note
2
Auteur
Année
2001
Pages
21
N° de catalogue
V105423
ISBN (ebook)
9783640037179
ISBN (Livre)
9783640123131
Taille d'un fichier
469 KB
Langue
allemand
Mots clés
Arbeitslosigkeit, Lebenssituation
Citation du texte
Lothar Gies (Auteur), 2001, Arbeitslosigkeit als krankheitsbegünstigende Lebenssituation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105423

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