Das Panopticon


Seminar Paper, 2001

16 Pages, Grade: 1


Excerpt


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. DAS PANOPTICON
2.1 CHARAKTERISTIKA DES PANOPTICONS
2.2 FRAGESTELLUNGEN
2.3 DIE AUSBREITUNG VON PANOPTISCHEN TECHNOLOGIEN
2.4 DAS PANOPTICON HEUTE: EINE METAPHER FÜR DIE DISZIPLINARMACHT
2.5 DIE REALITÄT WIRD VIRTUELL
2.6 GEDANKENEXPERIMENT
2.7 „BIG BROTHER IS WATCHING YOU“

3. ZUSAMMENFASSUNG

LITERATURVERZEICHNIS

PRIMÄRLITERATUR

SEKUNDÄRLITERATUR

ONLINE QUELLEN

1. Einleitung

In regelmäßigen Zeitabständen berichten Medien über neue, revolutionäre Möglichkeiten moderner Informationstechnologien. So ist beispielsweise im Kurier vom 4. Dezember 2001 auf Seite 20 über eine Software zu lesen, welche es der Exekutive ermöglichen soll, mittels Gesichtserkennung jagt auf Kinderschänder zu machen. Eine Erfindung, die auf den ersten Blick dem Wohle der Gesellschaft dient und damit seine Legitimation erhält. Wirft man aber einen zweiten, kritischeren Blick auf diese Technologie, so liegt der Schluss nahe, dass diese Existenzberechtigung für Überwachungssysteme oft voreilig erteilt wird, da man sich über mögliche Konsequenzen des Missbrauchs dieser Technologien noch nicht klar sein kann.

Im Zuge des Seminars Informationsethik habe ich mich eingehend mit den Möglichkeiten moderner Kontrolltechnologien und deren Bedeutung für die Machterhaltung moderner Staaten auseinandergesetzt. In dieser Seminararbeit werde ich die Idee hinter der historisch bedeutendsten Überwachungsarchitektur, dem „Panopticon“ von Jeremy Bentham, sowie die Transformation dieser Idee durch die Entwicklung immer neuer Technologien beschreiben. Schließlich werde ich noch aktuelle Entwicklungen und Trends für ein „digitales Panopticon“, oder auch „Superpanopticon“ (Wunderlich, 1999:362) genannt, aufzeigen. Dabei werde ich zum größten Teil auf Werke von Michel Foucault, Stefan Wunderlich und Reg Whitaker eingehen.

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass sich bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema zuweilen ein negatives Bild von Fortschritt und der für die Aufrechterhaltung der Ordnung nötigen exekutiven Maßnahmen ergibt. Dieser Pessimismus soll aber nicht als

„Schwarzmalerei“, also ein schlecht machen der technologischen Weiterentwicklung der Menschheit verstanden werden. Ich möchte mit dieser Arbeit viel mehr beide Seiten der Anwendung von Kontrolltechnologien darstellen und mögliche Konsequenzen in das Bewusstsein des Lesers rufen. Ziel soll es sein, Schlagzeilen wie diese: „Software jagt Kinderschänder“ (Kurier, Nr. 334, 4. Dezember 2001, S.20), nicht gedankenlos zu überlesen, sondern die Welt, in der Überwachung allgegenwärtig geworden ist, mit offenen Augen zu sehen. Tatsächlich haben wir, die Bewohner dieser „Überwachungsgesellschaften“ gelernt, das wachsame Auge des „großen Bruders“ (wie die staatliche Überwachungsmacht in dem Werk „1984“ von dem Schriftsteller George Orwell genannt wird) zu akzeptieren.

2. Das Panopticon

Im Jahre 1787 stellt der englische Utilitarist1 Jeremy Bentham (1748-1832) einen architektonischen Entwurf für ein Gefängnis vor. Das Panopticon2 ist

„ ... an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach der Innenseite des Rings öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht; sie haben jeweils zwei Fenster, eines nach innen, das auf die Fenster des Turms gerichtet ist, und eines nach außen, so daß die Zelle auf beiden Seiten von Licht durchdrungen wird. Es genügt demnach, einen Aufseher im Turm aufzustellen und in jeder Zelle einen Irren, einen Kranken, einen Sträfling, einen Arbeiter oder einen Schüler unterzubringen. (Foucault, 1991:256).“

Mit dem Panopticon wird ein für diese Zeit unverzichtbar erscheinendes Prinzip für ein Gefängnis umgekehrt. War es früher üblich, Verbrecher aus der Gesellschaft zu verbannen und in dunkle Verließe zu sperren, so ist dies in einem nach dem panoptischen Prinzip aufgebauten Gefängnis anders. Dazu der französische Philosoph Michel Foucault (1991:257):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Das Prinzip des Kerkers wird umgekehrt, genauer gesagt: von seinen drei Funktionen – einsperren, verdunkeln und verbergen – wird nur die erste aufrechterhalten ... .“

Die möglichen Anwendungsgebiete des Panopticon sind aber nicht auf ein Gefängnis beschränkt. Nach Foucault kann diese Architektur eines Mehrzweckgebäudes zur Effizienzsteigerung und Disziplinierung auch für Krankenhäuser, Irrenanstalten, Schulen und Fabriken angewendet werden: „ ... handelt es sich um Kranke, besteht keine Ansteckungsgefahr; sind es Irre, gibt es kein Risiko gegenseitiger Gewalttätigkeiten; sind es Kinder, gibt es kein Abschreiben ... handelt es sich um Arbeiter, gibt es ... keine Zerstreuungen, welche die Arbeit verzögern ... (Foucault, 1991: 257)“

Das Panopticon Benthams wurde niemals realisiert, dennoch wurden Gefängnisse und Irrenanstalten (z.B.: der Ringtum in Wien) gebaut, bei welchen seine Grundprinzipien Anwendung fanden.

2.1 Charakteristika des Panopticons

Für Foucault (1991:258ff) sind es vier Mechanismen, welche das Panopticon so revolutionär und beispielhaft für moderne Informationsgesellschaften machen:

1. Sichtb ar keit: Für den Wächter im Turm sind die Insassen sichtbar, er ist für sie unsichtbar. Die Schaffung dieses permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen stellt damit das automatische Funktionieren der Macht sicher.
2. Individualisierung: während in älteren Kerkerarchitekturen die Überwachten ein potentiell bedrohliches Kollektiv darstellten, schafft die Architektur des Panopticons eine Situation der Vereinzelung und ermöglicht, dass immer weniger Personen Macht über immer mehr ausüben.
3. Internalisierung: da die Gefangenen den Wächter im Turm nicht sehen können, ist es nicht notwendig, dass er wirklich anwesend ist. Durch das System des Lichtes (Licht durchströmt die Zelle bei Tag und Nacht) sowie der Kommunikationsröhren (durch welche der Insasse Anweisungen erhält) wird die Illusion der ständigen Überwachung geschaffen. Der Wächter wirkt omnipräsent und bekommt dadurch fast göttliche Eigenschaften.
4. Anonymität: für das Funktionieren des Panopticons ist es unwichtig, wer die Gefangenen überwacht. Der Machthaber ist nicht die Person, die im Turm sitzt, sondern die anonyme Überwachungsmaschinerie der Architektur.

Reg Whitaker, Professor für Politologie an der Universität Toronto, stimmt in seinem Werk „Das Ende der Privatheit“ (1999:47ff) mit Foucault überein, dass diese Eigenschaften das Panopticon zu einer Art Theater machen, deren Sinn Disziplinierung und Abschreckung ist. Durch die Angst vor Bestrafung werden die schweren Gittertore im panoptischen Gefängnis überflüssig. Bentham war aber auch vom erzieherischen Wert der Einrichtung für die ganze Gesellschaft überzeugt und plante die Einrichtung Besuchern zur Schau zu stellen.

Nach Whitaker (1999: 49) ist die „ ... Idee des Panopticons keine praktisch anwendbare Blaupause, wohl aber eine glänzende Metapher für Macht in modernen Gesellschaften.“. Wie bereits bei der Internalisierung, einer der Charakteristika des Panopticons, angesprochen, bekommt der Wächter im Zentrum der Anlage göttliche Eigenschaften. Auch Whitaker (1999: 49) sieht im Panopticon die Illusion eines unsichtbaren Gottes, da der Aufseher sieht ohne gesehen zu werden. „Die Vorstellung, dass der Mensch als Einzelwesen oder auch als Kollektiv ‚überwacht’ wird (oder werden kann), ist ... tief in der abendländischen Kultur verwurzelt. Das christliche Bild eines allwissenden, weil alles se-

Charakteristika Seminararbeit f.d. LV Informationsethik Rudi Ivancsits hendes Gottes ist die religiöse Variante einer umfassenden prüfenden Beobachtung, die ... bei Begehung von Missetaten konsequenzenreiche Sanktionen erlaubt. (Nogala, 2000: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/8988/1.html)“.

Die Eigenschaften von Benthams Überwachungsarchitektur beruhen im Endeffekt aber auf einer Illusion: „Im Grunde genommen ist das Panopticon ... nichts weiter als ein Taschenspielertrick. (Whitaker, 1999:50)“

2.2 Fragestellungen

Nach der Vorstellung der Hauptmerkmale des Panopticons setzt zunächst Erstaunen über seine vielfältigen Möglichkeiten der Machtausübung ein. Klingt diese aber ab, kommen zahlreiche Fragen auf. Es liegt bekanntlich in der Natur des Menschen, nach Weiterentwicklung zu streben (damit verbunden ist natürlich auch die vermeintliche Neugierde der Menschheit). Dementsprechend hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit Gefangene im panoptischen Gefängnis gegeben, die den ungewissen Zustand (Überwachung ja oder nein) und die damit verbundene Unterwerfung nicht akzeptiert hätten. Die logische Frage lautet daher: Was geschieht, wenn sich ein Insasse im Panopticon wiederholt der Macht widersetzt?

Entsprechend der ursprünglichen Idee von Bentham, sollten einige Vergehen zunächst ungeahndet bleiben, der Insasse schließlich aber doch bestraft werden. Man wollte dadurch demonstrieren, dass der Wärter alles sieht, es aber in seiner Macht steht wann und wo er welche Vergehen ahndet. Durch die Internalisierung dringt die Überwachungsmaschinerie mittels Automatisierung beinahe in die Köpfe der Gefangenen ein. Whitaker ist der Meinung, dass die Annahme Benthams, Überwachung allein, also ohne Zwang, würde die Insassen gefügig machen, ein Irrtum ist. „ ... Fügsamkeit beruht letzten Endes auf der Androhung von Gewalt. (Whitaker, 1999:50)“. So kommt Whitaker (1999:51ff) zu dem Schluss, dass das Panopticon, aufgrund des immer wieder beobachteten Widerstandes der unter Kontrolle stehenden Personen, ein umstrittenes Konzept darstellt.

Eine weitere Frage tut sich auf: Wer kontrolliert das Panopticon selbst, also die Macht im Zentrum der Anlage und die Wärter?

Foucault (1991:262) beantwortet diese Frage: „Das Panopticon vermag sogar seine eigenen Mechanismen zu kontrollieren. In seinem Zentralturm kann der Direktor alle Angestellten beobachten, die seinem Befehl unterstehen: Pfleger, Ärzte, Werkmeister, Lehrer, Wärter; er kann sie stetig beurteilen ... er selbst kann ebenfalls leicht beobachtet werden. Ein Inspektor,

[...]


1 Als Utilitaristen werden Vertreter einer Denkrichtung bezeichnet, die vom „Nützlichkeitsstandpunkt“ ausgehen, wonach der Zweck allen menschlichen Handelns in dem Nutzen liegt, der für die Gemeinschaft geschaffen wird.

2 Siehe Abbildung 1, Quelle: http://www.dnai.com/~mackey/thesis/panopticon.gif

Excerpt out of 16 pages

Details

Title
Das Panopticon
Course
Informationsethik
Grade
1
Author
Year
2001
Pages
16
Catalog Number
V105676
ISBN (eBook)
9783640039623
File size
499 KB
Language
German
Keywords
Panopticon, Informationsethik
Quote paper
Rudi Ivancsits (Author), 2001, Das Panopticon, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105676

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