Der Armutsfilter - Zu den Selektionsmechanismen und -prinzipien der Sozialverwaltung


Dossier / Travail, 2002

14 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen von Armut

3. Der Armutsfilter
3.1 Sozialhilfe
3.2 Das Armutspotential
3.3 Die drei Dimensionen des Armutsfilters

4. Bürokratisierung der Sozialpolitik

5. Schluss

1. Einleitung

In dieser Hausarbeit geht es im weitesten Sinne um Armut. In unserer Gesellschaft sollte es zwar durch die vielfältigen Sicherungssysteme und die Sozialhilfe eigentlich keine Armut geben, faktisch ist sie aber trotzdem vorhanden. 1998 erhielten 2,88 Millionen Personen Hilfe zum Lebensunterhalt, das entspricht 3,5% der Bevölkerung1. Gleichzeitig gibt es aber eine sehr hohe Zahl von Personen, die zwar Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diese aber nicht bekommen. Bis vor wenigen Jahren wollte keiner diese Tatsache wahrnehmen, weshalb es auch keine Armutsberichte gab. Inzwischen ist sie aber Gegenstand der Forschung und Diskussion geworden und es stellt sich die Frage, wie es Armut trotz Sicherungssysteme in unserer Gesellschaft geben kann. Genau mit dieser Frage beschäftigt sich diese Arbeit.

Zuerst werde ich Armut definieren und dabei verschiedene Ansätze vorstellen. Danach zeige ich auf, welche Schwellen, Barrieren und Filter es gibt, dass es zu solchen Diskrepanzen zwischen Sozialhilfeberechtigten und Hilfeempfängern kommen kann. Im vierten Kapitel beschäftige ich mich dann mit der Frage, wie solche Filter überhaupt entstehen können und wie sie sich manifestieren.

2. Definitionen von Armut

Zu Beginn ist es sinnvoll, zu klären, was Armut überhaupt ist, da der Begriff sehr vielschichtig ist und in vielfältiger Weise verwendet wird. Es gibt bis heute keine ein- zige und endgültige Definition von Armut. In den meisten neueren Veröffentlichungen wird jedoch die Definition der europäischen Kommission von 1984 verwendet. Nach deren Verständnis sind Personen, Familien und Gruppen arm, „die über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“2.

Des Weiteren gibt es verschiedene Definitionen von Armut, die etwas über den Grad der Armut aussagen. Dies sind absolute bzw. primäre Armut, relative, sekundäre und tertiäre Armut. Absolut bzw. primär arm ist, wer nicht genügend Mittel zum physi- schen Überleben hat, so dass die physische Existenz bedroht ist. Dieser Ansatz kann jedoch nicht die Lebenssituationen in entwickelten Industriestaaten erklären, weshalb er für unsere Gesellschaft eher unbrauchbar ist. Bei uns gibt es eine relative Armut, die sich nicht auf das physische Überleben bezieht, sondern auf einen soziokulturel- len und wirtschaftlichen mittleren Lebensstandard. Armut wird also verstanden als gesellschaftliche Benachteiligung oder Ungleichheit. Wer unter die Grenze der relati- ven Armut sinkt, ist in seiner gesellschaftlichen Integration gefährdet oder bereits ausgegrenzt. Unter die relative Armut fallen noch die sekundäre Armut und die tertiä- re Armut. Im Gegensatz zur tertiären Armut, die eine objektive Armut ist, da sie als Grenze für die Bedürftigkeit von Sozialhilfe verwendet wird und die Menschen, die darunter fallen, in ihrer Gesellschaft wirklich arm sind, ist die sekundäre Armut eine subjektiv empfundene, relative und kulturspezifische Armut. Mitglieder einer Gesell- schaft erfahren eine Diskrepanz zwischen ihren Möglichkeiten und Zielen, woraus ein subjektives Gefühl, relativ benachteiligt zu sein gegenüber denen, die mehr haben, entsteht.

Genauso unklar wie der Begriff der Armut ist auch die Festlegung der Grenze der Armut. Es geht also um die Frage der Berechnung. Hierzu wird meist ein Äquivalenz- einkommen verwendet, wozu empirisch das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen für jeden Haushaltstypus errechnet wird. Das Äquivalenzeinkom- men ist demnach eine errechnete Größe, die sich am Bedarf des Haushaltes orientiert und berücksichtigt, dass die Zahl der im Haushalt lebenden Personen den individuellen Bedarf verändert. Wenn für den Haushaltsvorstand der volle Regelsatz angenommen wird, erhält nach der neuen OECD-Skala jede weitere Person über 18 Jahren 80%, jede weitere Person von 15 bis 18 Jahren 90%, jedes Kind von 8 bis 14 Jahren 65% und jedes Kind bis 7 Jahre 50% des vollen Regelsatzes. Die Armuts- grenze für den Erhalt von Sozialhilfe liegt bei 50% des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens, das heißt, wer pro Monat weniger als die Hälfte des durch- schnittlichen Äquivalenzeinkommen hat, ist sozialhilfeberechtigt.

Je nachdem welche Prozentgrenze für Armut verwendet wird, desto größer ist die Zahl der Armen. Folgende Tabelle veranschaulicht dies genauer:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Relative Armut in Westdeutschland 1984-19923

Armut ist allerdings nicht immer offensichtlich. Deshalb wird auch von verdeckter und bekämpfter bzw. aufgegriffener Armut gesprochen. Zur verdeckten Armut zählen die Armen, die zwar Sozialhilfe berechtigt und daher in ihrer Gesellschaft objektiv arm sind, die aber keine Sozialhilfe erhalten. Gründe dafür gibt es viele, wie z.B. Un- kenntnis, mangelndes Selbstbewußtsein, Stolz, Scham, aber auch gesellschaftliche und administrative Schwellen, auf die ich im nächsten Kapitel noch näher eingehen werde. Im Gegensatz dazu gehört die Gruppe der Armen, die Sozialhilfe erhält, zur bekämpften / aufgegriffenen Armut.

3. Der Armutsfilter

3.1 Sozialhilfe

Die Sozialhilfe hat die Funktion, diejenigen zu unterstützen, deren Einkommen oder Vermögen zur Deckung des Existenzminimums nicht ausreicht. Sie soll damit vor Ar- mut und sozialer Ausgrenzung schützen. Aufgabe der Sozialhilfe ist es, „dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht“4. Gleichzeitig sollen die Empfänger durch die Hilfe befähigt werden, unabhängig von ihr zu leben. Es soll also Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wer- den. Sozialhilfe unterteilt sich in Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) und Hilfe in besonderen Lebenslagen (HbL).

Die Hilfe zum Lebensunterhalt ist die zentrale Sozialleistung für Personen, die weder über ein Arbeitseinkommen, noch über ausreichende Lohnersatzleistungen verfügen. Sie ist an der Deckung des lebensnotwenigen Bedarfs orientiert. Dieser notwendige Lebensunterhalt umfasst vor allem Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, wobei hierzu auch Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben zählen. Wei- terhin können auch Beiträge zur Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Alterssicherung übernommen werden. Der durchschnittliche Bedarf „betrug im Jahr 2000 für einen allein Lebenden in den alten Ländern einschließlich Kaltmiete, Heiz- kosten und einmaligen Leistungen 1.202 DM (1.065 in den neuen Ländern) und für ein Ehepaar mit zwei Kindern 2.968 DM in den alten Ländern (2.758 DM in den neu- en Ländern)“5. Ende 1998 bezogen in Deutschland rund 2,9 Mio. Personen Hilfe zum Lebensunterhalt, was etwa 3,5 Prozent der deutschen Bevölkerung entspricht.

Die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist eine Hilfe für Personen in besonderen Le- benssituationen. Anspruch auf diese Hilfe besteht unabhängig von der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die wichtigsten Arten der HbL sind Eingliederungshilfen für behin- derte Menschen, Hilfe zur Pflege und Krankenhilfe. Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen wird geleistet, um eine drohende Behinderung zu verhindern oder um eine bereits vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und Behinderte in die Gesellschaft einzugliedern. Die Hilfe zur Pflege kön- nen pflegebedürftige Personen mit geringem Einkommen erhalten, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen oder kein Anspruch auf diese Leistung besteht. Die Krankenhilfe ist für Personen ohne Krankenversicherungsschutz und entspricht den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. 1998 erhielten in Deutschland 1,38 Mio. Menschen Hilfe in besonderen Lebenslagen. Obwohl die Sozialhilfe des Instrument zur Verhinderung von Armut ist, gibt es in Deutschland viele Personen, die zwar Anspruch auf Sozialhilfe haben, die ihren Anspruch aber nicht wahrnehmen. Gründe dafür gibt es viele, wie z.B. Scham, Unkenntnis usw. Außer diesen Gründen gibt es jedoch auch Filterungsprozesse, die einer Aktualisierung eines an sich gegebenen Sozialhilfeanspruches entgegenstehen. Diese werde ich im Folgenden genauer beschreiben.

3.2 Das Armutspotential

Die Filterung von Sozialhilfeansprüchen setzt am Armutspotential an. Dieses lässt sich in drei verschiedene Arten unterteilen: das latente, das manifeste und das auf- gegriffene Armutspotential. Die Entwicklung des latenten Armutspotentials lässt sich historisch erklären. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft wurde der Sta- tus der Lohnarbeit zum allgemeinen Status, welcher durch eine individuelle Vermögenslosigkeit und einen ungesicherten Bezug von Einkommen gekennzeichnet ist. Die Menschen sind den Risiken des Arbeitsmarktes ausgeliefert. Als Folge davon ergeben sich nur begrenzte Möglichkeiten, Einkommensausfälle individuell oder kol- lektiv-privat zu kompensieren. Dieses latente Armutspotential in seiner Rohform ist eingegrenzt worden durch die Schaffung von Sozialeinkommen, wie z.B. die Versi- cherungen, oder öffentliche Maßnahmen wie Wohngeld, Kindergeld, usw. Logisch gesehen könnte durch die Systeme der sozialen Sicherung eine Bedürftigkeit im Sin- ne des BSHG ausgeschlossen sein. Faktisch ist dies aber nicht der Fall, da diese Systeme zu große Lücken aufweisen.

Das manifeste Armutspotential entsteht also gerade erst durch die öffentlichen Inter- ventionen, da es aus den Bürgern besteht, die unter der Armutsgrenze leben, und aus denen, die bereits Sozialhilfe empfangen. 1974 waren das 5,8 Millionen Perso- nen, die unter der Armutsgrenze lebten, und 861 000 Personen, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhielten, was zusammen etwa 6,6 Millionen Personen ergibt. Die Menschen, die eine ausreichende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, gehören zum aufgegriffenen Armutspotential, da die Leistungen nie dauerhaft sind und so ein Rückfall in die nicht aufgegriffene Armut jederzeit möglich ist. Die Diskrepanz zwischen dem manifesten und aufgegriffenen Armutspotential ist so groß, dass sie sich nicht verleugnen lässt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Armutspotential

Der bereits früher erwähnte Prozess der Filterung bezieht sich nun darauf, welche Umstände das manifeste Armutspotential daran hindern, zum aufgegriffenen Armutspotential zu werden.

3.3 Die drei Dimensionen des Armutsfilters

Es gibt verschiedene Schwellen, welche Personen, die Sozialhilfe beantragen wollen, passieren müssen, um diese auch zu bekommen. Dazu gehören gesellschaftliche Schwellen, strukturell administrative Schwellen und manifest administrative Schwellen.

Der erste Filter ist ein gesellschaftlicher Filter. Er funktioniert deshalb so wirksam, da er sich selbst reproduziert. Die Menschen in unserer Gesellschaft sind fixiert auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft am Arbeitsmarkt. Dabei werden alle Alternativen zur Arbeit ausgeblendet, wozu auch die Sozialhilfe gehört. Verstärkt wird diese Sicht noch davon, dass die Allgemeinheit davon ausgeht, dass das Netz der sozialen Siche- rung funktioniert, so daß bei einem Versagen die Person selbst diskriminiert wird. Diesen Personen wird als Marktversagern eine individuelle Schuld zugeschoben. Als zusätzliche Schwellen kommen noch fehlende bzw. abschreckende Informationen über die Zugänglichkeit, Höhe, Art und Rückforderbarkeit von Leistungen und ein geringer Grad des Armutsdrucks hinzu. Letzterer würde, wenn er stark verspürt wer- den würde, zur Wahrnehmung von und zur aktiven Auseinandersetzung mit der Armutslage führen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Der Armutsfilter6

Der zweite Filter ist die strukturelle administrative Schwelle, auch passive Institutio- nalisierung der Leistungsverwaltung genannt. Letzteres meint eine grundsätzliche Ausrichtung der Leistungsverwaltung gegenüber den von ihr zu bearbeitenden Prob- lemen. Das bedeutet, dass die Sozialverwaltung darauf wartet, dass sich ihr das gesellschaftliche Problem aufdrängt, dass also die Bedürftigen sich melden und ihre Ansprüche geltend machen. Sie bearbeitet Probleme nicht von selbst und versucht sie auch nicht selbst aufzuspüren. Im konkreten Fall heißt das, dass der Leistungsbe- rechtigte erst einen Antrag stellen muss, der dann im Büroverfahren aktenmäßig erledigt und entschieden werden kann. Er wird quasi als Störer behandelt. Die Leis- tungsverwaltung hat dabei eine Organisationsstruktur der Bürokratie legaler Herrschaft. Sie ist büromäßig organisiert nach dem Prinzip der Einzelkompetenz mit Sachgebieten nach Buchstaben, es findet ein aktenmäßiger Entscheidungsgang (Sachverhaltsaufnahme, Überprüfung, Entscheidung) und eine Einordnung in die Hie- rarchie (Sachbearbeiter, Sachgebietsleiter, Abteilungsleiter, Amtsleiter,...) statt.

Dieser zweite Filter ist deshalb so wirksam, da er aktive Arme voraussetzt. Diese sind jedoch eher nur im oberen Bereich der Berechtigten zu finden. Die wirklich Armen sind eher apathisch und wenig geneigt, ihre Rechte aktiv wahrzunehmen. Die passive Institutionalisierung beschreibt auch das Verhältnis zur Verwaltung selbst. Kontrolle wird nur dann ausgeübt, wenn sich jemand beschwert, also wenn z.B. jemand mit seinem Leistungsbescheid nicht einverstanden ist und Widerspruch einlegt. Die meis- ten Leistungsempfänger beschweren sich jedoch nicht, da sie befürchten, sich die Gunst des Sachbearbeiters zu verspielen und damit die Leistungen unter Umständen erst recht nicht zu bekommen.

Der dritte Filter besteht aus manifest administrativen Schwellen und ist ein bürokrati- scher Filter. Die Grundform der Schwelle ist die funktionale Ausdifferenzierung der Sozialhilfeverwaltung selbst. Es existiert ein Kontaktzwang mit einer eigens heraus- gehobenen Instanz für Marktversager, die als Degradierungsmechanismus wirkt. Sie hat eine so abschreckende Wirkung, dass viele es unterlassen, ihre Ansprüche über- haupt geltend zu machen. Dazu gibt es innerhalb des Verfahrens im Sozialamt weitere Barrieren. Eine davon ist die Erreichbarkeit der Behörde im räumlichen und im psychischen Sinne. Die Erreichbarkeit hängt u.a. ab von der Zentralisation der Behörde, ihrer räumlichen und personalen Ausstattung, der Arbeitsorientierung, der Extensität oder Intensität des Antragsverfahrens, dem Umfang der Nachweise, u.v.m. Die Formen der Leistungen sind ebenfalls nicht neutral. So werden Leistungen in manchen Fällen nicht in Form von Geld sondern als Naturalien gewährt, was vom Leistungsempfänger auch als Diskriminierung empfunden wird. Weiterhin können auch die Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit ohne Berufsschutz, die den Charak- ter einer Strafarbeit hat, und die Wahrheitsproben, also die Überprüfungen der Leistungsempfänger durch die Sozialbehörde als Filter wirken, da durch sie die Pri- vatsphäre vermindert wird.

Dieser Prozess der Filterung hat einen Rückkoppelungseffekt. Durch die kontinuierli- che Anwendung wird seine eigene Wirkung verstärkt. Die administrativen Schwellen konstituieren und bekräftigen immer wieder neu die gesellschaftlichen Schwellen, mangelnde Informationen werden aufrechterhalten und immer wieder neu erzeugt.

4. Bürokratisierung der Sozialpolitik

„Die Armen entstehen historisch betrachtet erst dann, wenn eine Gesellschaft dazu übergeht, Armut als besonderen Status anzuerkennen und einzelne Personen dieser sozialen Kategorie zuzuordnen (Simmel 1908)“7.

Im vorherigen Kapitel habe ich die administrativen Schwellen beschrieben und aufge- zeigt, wie sie funktionieren. Dabei kann man feststellen, dass die Sozialverwaltungen bürokratisch aufgebaut sind, wodurch einige der Schwellen erst geschaffen werden. Die Organisationsstruktur dieser Schwellen ist also die der Bürokratie legaler Herr- schaft.

Achinger wirft der Sozialpolitik vor, dass sie den sozialen Problemen nicht abhilft, sondern sie durch die Institutionalisierung auf Dauer stellt. Für ihn zeigt sich die Bü- rokratisierung der Sozialverwaltungen an festen Büros in Amtsgebäuden mit entsprechender Ausstattung. Mit der Institutionalisierung der sozialen Sicherheit sind dauerhafte Regelungen, Maßnahmen und Einrichtungen verbunden, die zu einem hohen Grad an Stabilität der Institutionen und der Erwartungen führen. Dabei führt die Herrschaft der Institutionen deshalb zu bürokratischer Herrschaft, weil Deu- tungsmuster über die soziale Wirklichkeit entwickelt und zu verbindlichen Strategien der Kommunikation und des Handelns der Bürokratie gemacht werden. Achinger be- schreibt in fünf Punkten die wichtigsten Prinzipien der Institutionalisierung sozialpolitischen Handelns. Erstens geben die gesetzlich begründeten Institute den Dingen ihren Namen, indem sie soziale Tatbestände solange denieren und benennen, bis auch die Notleidenden selbst ihren Zustand nur unter diesen Titeln begreifen. Diese Institute müssen für alle sozialen Missstände folgende drei Annahmen machen: erstens, dass Missstände oft und immer in gleicher Häufigkeit auf treten, zweitens, dass kein anderes wirksames Mittel gegen die Mißstände gefunden werden kann, und drittens, dass diese Missstände mit Geldleistungen oder durch Gesundheitshilfe beantwortet werden. Es wird also davon ausgegangen, dass alle Probleme auf einen Mangel an Geld oder Gesundheit zurückgehen. Der nächste Punkt betrifft den Grund der Auswahl und Behandlung für die Gegenstände sozialer Einwirkung der Institute, welcher juristischer Natur ist. Was nicht einklagbar ist, muß außer Betracht bleiben. Weiterhin schafft die Verwaltung gewisse Spielregeln, indem sie Sprechstunden einführt, feste Büros hat usw. Das letzte Prinzip liegt darin, dass alle sozialen Leistungen in die Besonderheiten des öffentlichen Etats gebunden sind. Fehlen im Etat Mittel, so ist keine Abhilfe für das Problem zu finden.

„Die Institutionalisierung prägt so die gesamte Sozialpolitik“8, denn die auf Dauer gestellte Programmstruktur sozialpolitischer Institutionen macht sowohl die Instituti- onen selbst wie auch die Problemlösungen auf unabsehbare Zeit notwendig, da „die Probleme selbst nicht mehr gelöst, sondern nur noch auf Dauer verwaltet werden“9. Sozialpolitische Institutionen benötigen also eine Strategie, die es ihnen erlaubt, sich selbst auf Dauer unabdingbar zu machen. Dies geschieht dadurch, dass die Lösung bestimmter Probleme neue Probleme erzeugt, für die wiederum Problemlösungsstra- tegien entwickelt und angeboten werden, usw. So bleiben immer irgendwelche Probleme übrig, wodurch die Institution auf Dauer für notwendig gehalten wird. Folg- lich bleiben auch die Filter auf Dauer aktiv, da die Institutionen auf Dauer gestellt sind, und deshalb wird es auch immer eine Diskrepanz zwischen Sozialhilfeberechtig- ten und Hilfeempfängern geben.

5. Schluss

Die Ausgangsfrage war, wie es Armut trotz Sicherungssysteme in unserer Gesell- schaft geben kann. Wie bereits erwähnt ist unsere Gesellschaft so aufgebaut, dass sie davon ausgeht, dass jeder seinen Lebensunterhalt durch Arbeit finanzieren kann. Durch verschiedene Lebensereignisse wie z.B. Arbeitslosigkeit, Niedrigeinkommen, Probleme des Konsum- und Marktverhaltens, Trennung oder Scheidung und Schwan- gerschaft oder Geburt ist dies jedoch bei vielen nicht mehr der Fall. Sie geraten vorübergehend oder dauerhaft in eine Einkommensarmut. Man könnte nun davon ausgehen, dass die sozialen Sicherungssysteme diese Personen auffangen, wie ich jedoch in den vorherigen Kapiteln ebenfalls gezeigt habe, verhindern dies verschie- dene persönliche und bürokratische Schwellen, so dass viele Sozialhilfeberechtigte daran gehindert werden zu Sozialhilfeempfängern zu werden. Diese Schwellen sind auf Dauer gestellt, weshalb eine Lösung oder Beseitigung des Problems praktisch unmöglich ist.

Trotz aller Missstände denke ich sollten wir sehen, dass Armut bei uns zum Glück in den meisten Fällen nur eine relative Armut ist und keine absolute, wie es sie noch in vielen Ländern gibt.

Literaturverzeichnis

Baum, D.: Bürokratie und Sozialpolitik. Berlin 1988.

Baum, D.: Armut - Definitionen und theoretische Ansätze. In: Kind Jugend Gesellschaft. Zeitschrift für Jugendschutz. O.O. 1999.

Geißler, R.: Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Ent- wicklung mit einer Zwischenbilanz zur Vereinigung. 2. Auflage. Opladen 1996.

Leibfried, S.: Armutspotential und Sozialhilfe in der Bundesrepublik. Zum Prozess des Filterns von Ansprüchen auf Sozialhilfe. In: Kritische Justiz. O.O. 1976.

www.bma.de: Lebenslagen in Deutschland - Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Alzey 2001.

[...]


1 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2000. S. 21.

2 Ebenda. S. 42.

3 Zusammengestellt und berechnet nach Krause 1994a, 192f. In: Geißler 1996. S. 186.

4 Bundesministerium 2000. S. 74.

5 Ebenda S. 75.

6 Leibfried 1976. S. 388.

7 Baum 1999. S. 35.

8 Baum 1988. S. 36.

9 Ebenda. S. 36.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Der Armutsfilter - Zu den Selektionsmechanismen und -prinzipien der Sozialverwaltung
Université
Johannes Gutenberg University Mainz
Auteur
Année
2002
Pages
14
N° de catalogue
V105955
ISBN (ebook)
9783640042340
Taille d'un fichier
730 KB
Langue
allemand
Mots clés
Armutsfilter, Selektionsmechanismen, Sozialverwaltung
Citation du texte
Claudia Cambeis (Auteur), 2002, Der Armutsfilter - Zu den Selektionsmechanismen und -prinzipien der Sozialverwaltung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105955

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