Die Hebräische und isländische Sprache. Ein Vergleich nationalistischer, ideologische Einflüsse in der jüngeren Sprachgeschichte


Bachelorarbeit, 2016

35 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Über die Geschichte des Hebräischen bis zu ihrer Wiederbelebung als gesprochener Sprache in Palästina

Über die Umstände der Wiederbelebung des Hebräischen

„Vom lebendigen Spiele der kommende Generation“

„Wie sollen wir sprechen“ und „Wie sollen wir sprechen und schreiben?“

„Das Technion und das Hebräische“

Über die Geschichte der isländischen Sprache bis zur Zeit der Málhreinsun

Über die Umstände der Málhreinsun

Die Paragraphen fünf bis sieben der Satzung des „Hið íslenzka Lærdómslistafélag“

Eine Erinnerung von Páll Melsteð über seinen Lehrer Hallgrímur Scheving

Der „Fjölnir-Mann“ Tómas Sæmundsson über die Bedeutung der Sprache für die isländische Nation

Fazit und Ausblick auf die heutige Situation

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Entwicklung von Sprachen hinsichtlich ihrer Grammatik, Aussprache und Rechtschreibung ist kein rein natürliches Phänomen. Da Sprachen von Menschen gesprochen werden, können sie auch von Menschen bewusst geändert werden, mitunter sogar von einigen wenigen. Je weniger Sprecher eine Sprache habe, desto eher können sich solche bewusste durch einige wenige forcierte Änderungsversuche durchsetzen. Der Erfolg solcher Änderungsversuche hängt aber von noch wesentlich mehr Faktoren ab, welche sich nochmals von Sprache zu Sprache unterscheiden können. Es ist schwierig, diesbezüglich allgemeine Gesetze abzuleiten. Was sich sagen lässt, ist, dass solche Änderungsversuche, welche zumindest teilweise auch geglückt sind, in menschlichen Sprachen wohl schon mindestens so alt wie die menschliche Zivilisation sind. Es ist aber auch nicht immer einfach zu unterscheiden, ab wann eine sprachliche Weiterentwicklung natürlich und ab wann künstlich ist. Darüber wissenschaftliche Forschungen anzustellen, ist sehr schwierig, da enorm viele Faktoren zu berücksichtigen sind. So beklagt Ó Riagáin, dass die Sprachpolitik eines Staates von mehreren sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst werde, welche bei der Betrachtung von Sprachpolitik durch Linguisten aber überhaupt nicht berücksichtigt werden1. Forschungen auf diesem Gebiet sind also enorm aufwendig und erfordern die Zusammenarbeit vieler unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Die vorliegende Arbeit versucht sich auf diesem extrem schwierigen Felde mit einer klassischen und sicherlich auch nicht ganz unproblematischen Herangehensweise, nämlich mit der des Vergleichs. Gezielte, gravierende und auch erfolgreiche Planungsversuche in zwei unterschiedlichen Sprachen sollen versucht und zumindest ansatzweise miteinander verglichen werden. Nun soll man keine Äpfel mit Birnen vergleichen, um das Phrasenschwein nicht ganz leer stehen zu lassen. Die zu vergleichenden Planungsversuche müssen also einige Gemeinsamkeiten aufweisen, um sie überhaupt vergleichbar zu machen.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde sich daher für ein Vergleich der Wiederbelebung des Hebräischen, ein sicherlich einmaliger Vorgang und somit ein Extrembeispiel, mit der isländischen „Sprachreinigung“ – auf Isländisch „Málhreinsun“ genannt, dieser Begriff wird in der weiteren Arbeit auch Verwendung finden, entschieden. Im Rahmen der Málhreinsun wurde hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert der weitgehend erfolgreiche Versuch unternommen, zu verhindern, dass das Isländische eine ähnliche Entwicklung durchmachte wie die meisten anderen skandinavischen Sprachen, in deren Wortschatz Fremdwörter eine große Rolle spielen und welche vom ursprünglichen komplexen Flexionssystem des Altnordischen2 kaum etwas bewahrt haben – ganz im Gegensatz zum Isländischen. Dabei stand Island von 1262-1918 unter der Fremdherrschaft Norwegens und später Dänemarks, weshalb insbesondere das Dänische natürlich eine große Rolle auf Island spielte. Die Gründe dafür, dass die isländische Grammatik nicht nur weiterhin sehr komplex ist, sondern sich seit knapp tausend Jahren nur geringfügig verändert hat, sind durchaus interessant und verdienen eine nähere Betrachtung. Spannend für das Thema unserer Arbeit ist hierbei insbesondere, ob diese sprachliche Kontinuität hauptsächlich auf die Málhreinsun zurückzuführen sei. Ist dem so, haben wir es mit einem mit der Wiederbelebung des Hebräischen durchaus vergleichbaren Vorgang zu tun, in dem Sinne, dass durch künstliche, ideologisch motivierte Eingriffe eine völlig unnatürliche Entwicklung der Sprache erreicht worden ist. Interessant ist auch, wie sich die Umstände dieser beiden Sprachplanungen auf die Grammatik der heutigen Sprachen konkret ausgewirkt haben.

Ein Vergleich beider Sprachen ist auch deshalb allgemein ungemein interessant, da sie beide eine wichtige Gemeinsamkeit haben: Sie werden jeweils von Völkern mit einer sehr reichhaltigen und bekannten Literatur gesprochen, für welche diese Literatur und damit natürlich auch die Sprache eine sakrale Bedeutung für ihre nationale Identität haben. Im Falle der Juden sind dies in der Hauptsache Thora und Talmud, im Falle der Isländer Sögur und Eddur3. Außerdem wurden beide Planungsversuche hauptsächlich durch nationalistische Strömungen betrieben, einerseits durch den Zionismus, welcher eine sichere Heimstätte der Juden in Palästina anstrebte4, andererseits durch den isländischen Nationalismus, welcher ab Mitte des 19. Jahrhunderts mehr Autonomie für die Isländer vom dänischen König und langfristig auch die isländische Unabhängigkeit forderte. Die Frage, wie sich nationalistische Ideologien kleiner Sprachgemeinschaften auf die jeweiligen Sprachen auswirken können, kann somit ebenfalls im Rahmen dieser Arbeit Berücksichtigung finden.

Zunächst soll die Wiederbelebung des Hebräischen allein intensiv betrachtet werden. Anschließend werden wir uns der Málhreinsun zuwenden, wobei wir da schon in der Lage sein werden, in einzelnen Punkten direkte Vergleiche zur Wiederbelebung des Hebräischen zu ziehen. Ein abschließender Vergleich mit einem Ausblick auf den heutigen Zustand der Grammatik beider Sprachen folgt dann im letzten Teile dieser Arbeit.

Die Betrachtung beider sprachplanerischen Eingriffe kann im Rahmen dieser Arbeit natürlich nicht umfassend sein, sondern nur punktuell. Um einen Vergleich zu ermöglichen, wird in beiden Fällen nach demselben Grundprinzip verfahren: Zunächst wird ein allgemeiner Überblick über die Sprachgeschichte bis ungefähr zum Beginn des Wirkens des jeweiligen sprachplanerischen Eingriffs gegeben, bevor die Umstände dieses sprachplanerischen Eingriffs grob geschildert werden. Anschließend werden jeweils drei zeitgenössische Quellentexte mit kursiver Schrift übersetzt zitiert5, welche jeweils einen ganz bestimmten Aspekt des jeweiligen sprachplanerischen

Eingriffs beleuchten, um dem Leser einen unmittelbaren Zugang dazu zu gewähren. Abschließend werden diese Texte kurz historisch eingeordnet und weitere Fakten genannt, welche fürs Verständnis dieser Texte notwendig sind.

Über die Geschichte des Hebräischen bis zu ihrer Wiederbelebung als gesprochener Sprache in Palästina

In der Geschichte des jüdischen Volkes haben wohl viele Sprachen eine wichtige Rolle gespielt, aber trotzdem kann wohl Hebräisch als „die“ Sprache der Juden bezeichnet werden. Es war die Muttersprache derjenigen, die sich als Israeliten in biblischer Zeit zum Volke der Juden vereinten, die komplette Thora und der Großteil des übrigen Tenach sind in ihr verfasst und auch die Mischna als Grundlage des Talmud. Aus diesem Grunde blieb das Hebräische auch die religiöse Schriftsprache der Juden, als es spätestens ums Jahr 200 rum langsam aufhörte, als Muttersprache der meisten Juden zu fungieren6. Im Mittelalter war es allgemein üblich, dass die Schriftsprache nicht identisch war mit der gesprochenen Sprache. In christlich geprägten Ländern dominierten z.B. Latein, Kirchenslawisch und Altgriechisch als Schriftsprachen sowohl in der Liturgie als auch als allgemeine Sprachen der Wissenschaft7, während als gesprochene Sprachen verschiedene Dialekte fungierten, welche sich regional stark unterscheiden konnten und meist erst im Laufe der Frühen Neuzeit langsam im Zuge der Bildung moderner Staaten als offizielle Staatssprachen vereinheitlicht wurden8. Daher war es nur natürlich, dass auch die Juden sich der Dialekte ihrer Umgebung bedienten und daraus teilweise auch eigene Dialekte bildeten, wie z.B. die Dialekte des Jiddischen und des Ladino, ihre Unterscheidung von der Mehrheitsbevölkerung aber vor allem dadurch hervorhoben, indem sie am Hebräischen als Schriftsprache gegenüber den allgemeinen Schriftsprachen festhielten. So war Hebräisch nicht nur die Liturgiesprache, sondern es wurden Texte vieler unterschiedlicher Gattungen in ihr geschrieben, darunter auch wissenschaftliche Texte9. Laut Reiseberichten war es in einigen abgelegenen Gegenden sogar Alltagssprache der dortigen jüdischen Gemeinden und es diente auch allgemein als Verständigungsmittel zwischen Juden aus verschiedenen Ländern10.

Im Zuge der Bildung der modernen Staaten wurden aber teilweise schon ab dem späten Mittelalter – so z.B. in Spanien11 - Maßnahmen zur Vereinheitlichung der vielen unterschiedlichen Dialekte zu einer einheitlichen Verwaltungssprache des jeweiligen Staates getroffen, welche dann mit der Zeit auch die bisherige jeweilige Schriftsprache ablöste. Dies galt aber nicht fürs Hebräische, da die Juden, nicht integriert in die Mehrheitsbevölkerung, so de facto eine Nation ohne Staat bildeten, für deren Identität neben der Religion auch die hebräische Sprache eine wichtige Rolle spielte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts fand aber eine langsame teilweise Integration der Juden in die Mehrheitsbevölkerung statt, welche auch mit der Übernahme der jeweiligen Landessprache als Schriftsprache und teilweise gar als Liturgiesprache einherging, da es in ihnen viel einfacher war, sich literarisch auf einem hohen Niveau auch über moderne Themen zu äußern12 – auch wenn insbesondere aufgeklärte Maskilim13 dies in der Tat auf Hebräisch versuchten, allerdings mit mäßigem Erfolg. Dies lag vor allem darin begründet, dass sie ein möglichst reines Hebräisch schreiben wollten, da in jener Zeit das Konzept einer Reinheit der Sprache vorherrschend war und sich auch die entstehenden Nationalstaaten vermehrt bemühten, die jeweiligen Landessprachen von Fremdwörtern rein zu halten und Rechtschreibung, Aussprache und Grammatik zentral festzulegen. Beim Hebräischen, welches sich im Gegensatz zu diesen Nationalsprachen nicht unmittelbar aus gesprochenen Dialekten mit einer flexiblen Sprachstruktur entwickelt hatte, konnte dieses Konzept natürlich nicht funktionieren, zumal gerade das Hebräisch des Mittelalters immer auch stark von den gesprochenen, dem jeweiligen Autor bekannten Dialekten beeinflusst war14.

Es gab auch Bestrebungen, das Jiddische als einheitliche Nationalsprache der Osteuropäischen Juden nach Art der Europäischen Nationalsprachen zu vereinheitlichen.15 Dies alles bedrohte das Hebräische zumindest unter den europäischen Juden massiv, weshalb es nun Gefahr lief, tatsächlich auszusterben, was es bis zu diesem Zeitpunkt definitiv nicht gewesen war.

In anderen Teilen der Welt jedoch, insbesondere ausgerechnet in Palästina, blieb das Hebräische selbst als gesprochene Sprache bis ins 19. Jahrhundert hinein aktiv.

Über die Umstände der Wiederbelebung des Hebräischen

Gerade Palästina war auch vor Beginn der zionistischen Einwanderung im späten 19. Jahrhundert immer Ziel jüdischer Einwanderer aus vielen Ländern gewesen, die sich dort als Verständigung untereinander auch des Hebräischen bedienten. Wie Verbreitet dieses Hebräisch in jener Zeit in Palästina tatsächlich gewesen sei und welche Rolle es bei der (offiziellen) Wiederbelebung der Sprache ab dem Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich gespielt habe, ist in der Forschung stark umstritten. Insbesondere Tudor Parfitt und Shlomo Haramati vertreten die These, dass Hebräisch schon vor der zionistischen Einwanderung als Sprache der Juden in Palästina fest etabliert gewesen sei und die Rolle, welche besonders Ben-Yehuda bei der Wiederbelebung zugeschrieben wird, aus einer derzeit in Israel vorherrschenden, nationalistischen Sicht entspringe und maßlos übertrieben werde.16 Benjamin Harshav wiederum hält fest, dass als Verständigungsmittel zwischen Juden aus unterschiedlichen Ländern lange Zeit viele Sprachen gedient haben, darunter vor allem das Jiddische und sich auch die Qualität des Hebräischen, welches möglicherweise stark von Fremdwörtern durchsetzt gewesen sei, vermutlich nicht sehr hoch war, ebenso wenig wie die Häufigkeit seines Gebrauchs.17 Selbst Experten der hebräischen Sprache hätten sich noch in den 1930er Jahren nachweislich auf Jiddisch unterhalten18. Aber auch Harshav stimmt mit Parfitt und Haramati darin überein, dass die Rolle Ben-Yehudas bei der Wiederbelebung stark übertrieben werde19. Andere Autoren wie Jack Feldmann halten Ben-Yehudas Wirken für wesentlich beim Erfolg der Wiederbelegung des Hebräischen20.

Es ist in der Tat kaum vorstellbar, wie eine Sprache, welche den meisten Juden bis dahin vorrangig aus dem Gottesdienst bekannt war und deren Gebrauch in alltäglichen und zeitgenössischen Themen ihnen, wie bereits oben erwähnt, große Schwierigkeiten bereitete, in Palästina plötzlich ohne ideologischen Einfluss und zentrale Anstrengungen z.B. allgemein verbindliche Neologismen für moderne Begriffe in Umlauf zu bringen, was es vor der zionistischen Einwanderung alles noch nicht gab, zur allgemeinen Umgangssprache geworden sein soll. Die modernen europäischen Nationalsprachen sowie die jüdischen Dialekte Jiddisch und Ladino, welche aufgrund ihrer Eigenschaft als Mischsprachen Fremdwörter hervorragend integrieren konnten, eigneten sich als Kommunikationsmittel erstmal wesentlich besser und fanden daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch wesentlich mehr Verwendung im Alltag. Einige Juden mögen sich aber auch aufgrund ihrer Anwesenheit im Heiligen Lande dazu inspiriert gesehen haben, sich ab und an in der Verwendung des Hebräischen im Alltag zu versuchen, was allerdings ohne die großzügige Verwendung von Fremdwörtern kaum möglich gewesen sein dürfte.

Aber wie gelang es nun, eine schon stark angestaubte Sprache, welche für den alltäglichen Gebrauch völlig ungeeignet war, als Sprache des Alltags wiederzubeleben? Dies erscheint noch umso unglaublicher, als es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs keine zentralen staatlichen Institutionen gab, welche, wie in europäischen Nationalstaaten üblich, zentrale Standards in Rechtschreibung, Grammatik, Aussprache und insbesondere Wortschatz hätten vorgeben können. Es gründeten sich seit Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Einrichtungen, welche den Anspruch hatten, genau das zu tun, aber alle untereinander konkurrierten und unterschiedliche Vorstellungen hatten und deren Einfluss auf die tatsächliche Entwicklung der Sprache in jenem Zeitraum wohl eher gering war. Die beiden wichtigsten davon waren die „Agudat haMorim beEretz Jisrael21 “, später „Histadrut haMorim22 “ genannt und die „Wa’ad haLishon haIvrit23 “ u.a. mit Ben-Yehuda als prominentem Mitglied. Beide konkurrierten heftig untereinander und konnten sich selbst mit zentralen Forderungen wie die verbindliche allgemeine Einführung der Aussprache der arabischen Juden nur teilweise durchsetzen.24 Angesichts dieser widrigen Umstände erscheint der Erfolg der Wiederbelebung des Hebräischen umso erstaunlicher. Zu den Gründen für diesen Erfolg kommen wir jetzt.

„Vom lebendigen Spiele der kommende Generation“

Zwischen einem Manne und seiner Frau

(Ein nicht sehr großes, organisiertes25 Zimmer, Heulerei, ein Tisch im Zentrum, ringsherum verschiedene Stühle; eine gebürstete Lampe hängt in der Mitte der Decke, an den Wänden einige Bilder; ein kleines Tablett hängt im Osten und auf ihm und befinden sich geordnet zehn englische und französische, schön gebundene Bücher. Dies sind die Bücher von Salvator und Rosie, welche sie schon als Belohnung bekamen, als sie noch Schüler in den Schulen waren; in der linken Ecke die amerikanische Flagge, vervielfältigt und zerknittert mit einem reichhaltigen Geschmack, darüber ein Bild der Königin Viktoria, gemalt auf einer schönen Platte, eine Erinnerung für die Jubiläen; davor ist ein kleiner Tisch und darauf ist ein Paket aus Blumen mit einem wohlriechenden Duft. In der rechten Ecke die französische Flagge, auch sie ist schön verdoppelt, aber eine Blumenknospe ist nicht darauf. Rosie sitzt und stickt auf einem violetten Bande das Wort „Welcome“, um es auf die westliche Wand gegenüber dem Ausgang zu legen. Salvator tritt ein)

Salvator: (in reinem Französisch): Hallo Rosie… (plötzlich erzürnt) Die zweite Änderung… Habe ich dir nicht gesagt, dass das meine Flagge ist (das ist ein Geschenk des Direktors an mich, als er in der Schule in der Pause die Kinder beaufsichtigte, dass sie auch ja Französisch sprächen), das ist die linke Ecke und deine (sie erhielt die amerikanische Flagge von einem Kommissar aus New York, der die Schule besucht und sich an ihrem gesprochenen Englisch begeistert hatte) ist die rechte. Das ist das zweite Mal, dass du es verwechselst hast, und du weißt, wie viel mir diese Flagge bedeutet! Warum machst du so etwas, um mich zu ärgern? (Er nähert sich der amerikanischen Flagge und will sie entfernen)

Rosie: (Sie wirft die Stickerei fort und diese springt von ihrem Platze, als ob sie der Stachel eines Skorpions wäre) Das würde noch fehlen, dass ich nicht die Herrin des Hauses in meinem Hause wäre und die Sachen dahin legen könnte, wo ich wolle und nach meinem Geschmack…

Salvator: (sie unterbrechend): Ja, das habe ich gewusst, nach deinem „Geschmack“, nach deinem „Djunvile26 “-Geschmack, das habe ich schon längst gewusst, dass mit „English Lerry“, „Saparilpopat27 “!

Rosie: Und was ist damit? Ist es verboten, die Engländer und das Englische zu lieben?

Salvator (geringschätzig): Ist es verboten, die Franzosen und das Französische zu lieben?

Rosie: „Gantil’om28 “ französisch, oh, ein Wow auf dich!

(Zwischen sie tritt ein kleines Kind, das ihr zweiter Sohn ist).

Salvator: Waiin29,Baba!

Rosie: Steh auf, little boy!

Die Hände des Vaters streckten sich von rechts zum Kinde aus, die Hände der Mutter von links. Das Kind schritt hierhin und schritt dorthin, zwinkerte in die Augen der beiden und schließlich verbarg es sein Gesicht auf dem Schoße seiner Mutter.

Salvator (in seiner Tasche Zucker findend): Marcel, mein Sohn, hey, lauf, Zucker! (Das Kind entzieht sich aus den Händen seiner Mutter und rennt zu seinem Vater) sag „Merci, Papa“! („Merci, Papa“ antwortet das Kind mit dünner Stimme)

Rosie: Oh, oh, selbst in meiner Sprache zu sprechen weiß Micky nicht, und dort ruft er „Marcel“! (Sie holt das Kind mit Ernst zu sich und spricht zärtlich zu ihm) du bist Engländer, mein Liebling, zur Hölle mit den Franzosen und dem Französischen…

Salvator (als ob ein Skorpion mich gestochen hätte): Zur Hölle?... Hey, geh zur Hölle! (Er fügt ihr eine Verletzung an der Wange zu) Hey, geh schon, (Er schlägt sie zum zweiten Male. Das Kind schreit und die Stühle werden geworfen und zerbrochen. Rosie weicht von ihrem Zaune, indem sie brüllend auf Englisch brüllt und schreit, weil sie in diesen Momenten nicht mehr auf die Bedingung achtet, untereinander nur Französisch zu sprechen, auch wenn dies eine einvernehmliche Bedingung war. Sie ruft ihm alle möglichen Arten von Beleidigungen zu, welche sie jemals gehört hat. Salvator läuft aus dem Hause und schreit hinter der Türe) du kannst mich verhöhnen mit allem, was du wollest, ich verstehe nichts von dem, was du sagst, wari naim, ol rit! Cha, cha30 !

Diese Geschichte wurde von Hemda Ben-Yehuda, der Ehefrau des berühmten Eliezers, verfasst und in der von ihrem Manne herausgegebenen Zeitung „haShkafa31 “ veröffentlicht.

Wie bereits erwähnt, waren viele Sprachen im Jischuw als Alltagssprachen im Gebrauch, darunter auch die Sprachen der Herkunftsländer der jeweiligen Juden. Dieser Zustand war aus Sicht der Befürworter des Hebräischen ein großes Ärgernis, da eine neue hebräische Gesellschaft angestrebt wurde. Hemda Ben-Yehuda gehörte natürlich zu diesen Befürwortern und mit dieser Geschichte wollte sie deutlich machen, dass aus ihrer Sicht eine Nation mit so vielen unterschiedlichen Sprachen nicht zu machen war. Insbesondere Theodor Herzl, der Autor von „Der Judenstaat“ und Begründer des Zionistischen Kongresses in Basel, war diesbezüglich anderer Ansicht: Aus seiner Sicht konnte auch ein multilingualer Staat funktionieren, wie das Beispiel der Schweiz zeigte. Nach seiner Vorstellung sollten alle Juden im neuen Staate die Sprache ihrer jeweiligen Herkunftsländer sprechen, allerdings nur reine Nationalsprachen, keine Mischsprachen wie z.B. Jiddisch. Die beste und geeignetste Sprache würde sich dann schon durchsetzen. Die Vorstellung von Hebräisch als Sprache des neuen Staates wiederum fand Herzl ausgesprochen lächerlich. Schließlich könne man sich in dieser Sprache nicht einmal eine Eintrittskarte kaufen, womit er zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner wohl wichtigsten Schrift „Der Judenstaat“ wohl auch Recht hatte.32 Aus Sicht Hemdas wiederum war die Idee Herzls absolut lächerlich und realitätsfern, was sie mit dieser Geschichte demonstrieren wollte.

Ein weiteres großes Problem waren aus Sicht der Befürworter des Hebräischen die beiden Organisationen „„Alliance Israélite Universelle“ und „Eveline de Rothschild Schule“, welche beide im gesamten Nahen Osten jüdische Bildungseinrichtungen betrieben, so auch in Palästina. In diesen wurde zwar auch Hebräisch gelehrt, das Hauptaugenmerk lag aber auf der Lehre der Herkunftssprache der jeweiligen Organisation: Englisch bzw. Französisch33. Dies erklärt wohl die Wahl der Herkunftsländer des in dieser Geschichte erwähnten Ehepaars. Die zu jener Zeit ebenfalls mit Bildungseinrichtungen aktive Organisation „Hilfsverein deutscher Juden“ gab der Lehre des Hebräischen in ihren Bildungseinrichtungen deutlich mehr Raum, um die Befürworte des Hebräischen unter den palästinensischen Juden auf ihre Seite zu bekommen. Dies hatte jedoch primär taktische Gründe und die Organisation sah sich mehr den Interessen Deutschlands als denen der Zionisten verpflichtet. Der daraus zwangsläufig resultierende Konflikt sollte jedoch noch knapp ein Jahrzehnt auf sich warten lassen.34

Die vielen damals existierenden Sprachen waren in der Tat ein unhaltbarer Zustand im Jischuw. Herzl hatte bei seinem Beispiel der Schweiz als multilingualen Staates nicht bedacht, dass sie das Resultat einer langen historischen Entwicklung war und die jeweiligen Sprachen und Dialekte jeweils eindeutig bestimmten Regionen zugeordnet werden können, in welchen sie die dominierenden Sprachen darstellen, was anders auch kaum realisierbar wäre. Eine ähnliche Situation gibt es heute in der Tat vor allem in Nordisrael, wo knapp jeweils die Hälfte der Einwohner Hebräisch bzw. Arabisch sprechen, wobei in einigen Orten vorrangig Hebräisch und in anderen Arabisch gesprochen wird. Es ist aber aus ganz praktischen Gründen unumgänglich, dass sich an einem Ort lebende Menschen auf eine Sprache einigen, wie Hemda uns hier auch eindrucksvoll demonstriert hat und dies war im Jischuw jener Zeit überhaupt nicht der Fall. Daher gab es eigentlich keine Alternative zur Etablierung des Hebräischen, da als für alle im Heiligen Lande lebenden Juden verbindliche Sprache nur Hebräisch in Frage kam. Sollte das Projekt einer neuen jüdischen Heimstatt in Palästina Erfolg haben, dann nur, indem Hebräisch zu ihrer Sprache würde. Der Erfolg des Hebräischen lag also nicht in erster Linie in dem ideologischen Eifer der palästinensischen Juden begründet, welcher teilweise sehr zu wünschen übrig ließ, wie wir oben noch sehen werden, sondern weil sich immer mehr herausstellte, dass es keine Alternative zum Hebräischen gab, was sich schon bei den bereits oben erwähnten, aus der Not geborenen ersten hebräischen Schulen in den Moschawim des Landes zeigte.

„Wie sollen wir sprechen“ und „Wie sollen wir sprechen und schreiben?“

„Wie sollen wir sprechen?“35

Ich richte an euch, ihr vielen Leser, eine kleine Frage. Ich hoffe, dass ihr mir so gut wie möglich antworten wollt.

Ich bin ein Lehrer. Hebräischlehrer im Lande Israel in einem der Moschawim Galiläas. Ich kenne die Sprache in ihrer Unkultiviertheit – Sicherlich werdet ihr mir dies in der Beichte in diesem Satze glauben – darüber hinaus ist sie auch die Sprache meines Hauses, sie ist die einzige Überlebende. Nichtsdestotrotz bedanke ich mich und ich gebe euch gegenüber zu, dass ich nicht in ihr sprechen kann. Urteilt, wie ihr wollt, meine Herren Leser, wenn ihr mir nicht glauben wollt, wie ich wiederhole und euch darbiete, dass ich überhaupt nicht sprechen kann. Einmal fange ich an, mit einem Manne zu reden. Sofort fange ich tatsächlich an, zu fühlen, dass mein Gesicht beginnt, rot zu werden und es explodiert vor Scham davor, dass ich nicht sprechen konnte. Ach, warum mache ich so ein Gewese drum? Ich sehe schon die Zeichen der Verwirrung, welche auf euren Gesichtern sind, daher will ich es euch erklären: Unter Betonung auf Höflichkeit und Respekt, welche in der Rede schädlich sind, sie sind die Steine der Blockade: Ich versage zu jeder Zeit und zu jeder Stunde darin. Der Deutsche verwendet das Personalpronomen in der dritten Person Plural ( הם ) normalerweise mit dem Zwecke, jemanden zu ehren, was der Franzose mit der zweiten Person Plural tut ( אתם ) und der Engländer in der sorgfältigsten Sorgfalt verwendet in seiner Sprache die zweite Person Plural ( אתם ) auch für die Unbedeutendsten der Unbedeutenden, seine Katze und seine Maus eingeschlossen. Aber das Hebräische, es ist die Mutter der permanenten Einfachheit, es hasst die Schmeichelei am meisten und duzt selbst den König. Dies findet sich sowohl in den Geschichten des Tenach als auch in den Geschichten des Talmud. Ich bin euer Diener, der die Schmeichelei genauso hasst, wie das Hebräische es tut. Ich habe mich immer aufs Wissen der Alten gestützt, diejenigen, die die Sprache vereinfachen, und ich pflegte auch hohen Tieren so zu sagen „du gibst, du machst“ und niemals musste ich fürchten, dass mir solche Beleidigungen vielleicht einmal leidtun würden.

So auch jetzt, wo viele Hebräisch sprechen, murmeln viele auch vor der europäischen Gesellschaft in Europa. Außer „mein Herr“, „seine Exzellenz“ sprechen sie keine drei Worte. Ich, als ob ich wütend würde, fange an, selbst die höchsten Tiere unter den Herren zu duzen, als ob sie mir zu Füßen lägen. So beginne ich zu fühlen, wenn ich bemerke, wie das Gesicht meines Gegenübers sich errötet, das das als Beleidigung empfindet. Meine unglückliche Sprache fängt an, mit sich zu ringen, auch mit „mein Herr (אדוני )“ an, steigert sich dann auf „seine Exzellenz (כבודו )“ schließt dann mit der dritten Person (הוא ), um dann doch wieder über אתה zu straucheln. Sie geht und stolpert, bis sie schließlich unglücklich vergewaltigt wird, indem der Redefluss abgetrennt wird, welchen sie angefangen hat, zu entwickeln.

[...]


1 Wright, 2.

2 Das Altnordische gilt als Ursprache aller skandinavischen Sprachen. Siehe auch Haugen, 11.

3 Da auch bei Entlehnungen aus dem Hebräischen wie „Moschaw“ der spracheigene Plural mit ins Deutsche übernommen wird, geschieht dies hier auch mit dem Plural der isländischen Entlehnungen „Edda“ und „Saga“, wobei hier die Formen im Nominativ Plural genommen und im Deutschen einheitlich angewandt werden.

4 Wenn auch da nicht durchgehend, wenn wir insbesondere das Beispiel Herzl betrachten, was im weiteren Verlaufe dieser Arbeit noch zur Sprache kommen wird.

5 Das können auch zwei Texte mit einem Male sein, wenn sie unmittelbar aufeinander reagieren. Wir werden uns diesbezüglich mit der Antwort eines Autors an einen anderen, zuvor zitierten Autor befassen.

6 Fellmann, 12.

7 Ebd., 13.

8 Spolsky, 20-1.

9 Sáenz-Badillos 203-5.

10 Ebd. 203.

11 Weinstein, 346-7.

12 Dieses Problem stellte sich den Autoren auch im Mittelalter, weshalb viele Wörter aus den von Juden gesprochenen Dialekten jener Zeit ins Hebräische entlehnt wurden. Daher sind uns z.B. durch den berühmten Talmud-Kommentator Raschi viele altfranzösische Wörter überliefert worden. Harshav, 136-7.

13 Anhänger der Haskala, der von Moses Mendelssohn begründeten jüdischen Aufklärung.

14 Horbury, 309.

15 Feldmann, 15.

16 Saposnik, 136-7.

17 Harshav 162-5

18 Ebd. 141.

19 Ebd. u.a. 143-4.

20 Siehe sein bereits mehrfach zitiertes Werk „The Revival of a Classical Tongue: Eliezer Ben Yehuda and the Modern Hebrew Language”.

21 Vereinigung der Lehrer im Lande Israel,אגודת המורים בארץ ישראל.

22 Gewerkschaft der Lehrer,הסתדרות המורים.

23 Komitee der Hebräischen Sprache,ועד הלישון העברית.

24 Siehe diesbezüglich den Artikel von Aytürk, „Revisiting the language factor in Zionism: The Hebrew Language Council from 1904 to 1914”.

25 השקפה "ממחזות החיים של הדור הבא" von Hemda Ben-Yehuda, 21. März 1902, 80-1.

26 דשונביל.

27 ספרלפופס.

28 גנטילאום

29 ויין

30 ורי נים, אול ריט .

31 השקפה .

32 Herzl, 120-1.

33 Saposnik, 68.

34 Ebd. 213-5.

35 „איך נדבר “,השקפה ,von „Leshoni“, 24. Mai 1907, 4.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Hebräische und isländische Sprache. Ein Vergleich nationalistischer, ideologische Einflüsse in der jüngeren Sprachgeschichte
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
3,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
35
Katalognummer
V1059946
ISBN (eBook)
9783346475336
ISBN (Buch)
9783346475343
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hebräische, sprache, vergleich, einflüsse, sprachgeschichte
Arbeit zitieren
Karl Hollerung (Autor:in), 2016, Die Hebräische und isländische Sprache. Ein Vergleich nationalistischer, ideologische Einflüsse in der jüngeren Sprachgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1059946

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: Die Hebräische und isländische Sprache. Ein Vergleich nationalistischer, ideologische Einflüsse in der jüngeren Sprachgeschichte



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden