Geist, Identität und Gesellschaft - G.H.Mead


Élaboration, 2001

13 Pages, Note: 2


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Zur Person von G.H.Mead
1.2. Mead und der Behaviorismus

2. Grundannahmen

3. Grundbegriffe
3.1. Interaktionsformen
3.2. Role taking / role making
3.3. Identität

4. Qualifikationen des Rollenhandelns
4.1. Sprachfähigkeit
4.2. Empathie
4.3. Frustrationstoleranz
4.4. Ambiguitätstoleranz
4.5. Rollendistanz

5. Gesellschaftliche Herrschaft und Grundqualifikationen des Rollenhandelns
5.1. Beispiel für Herrschaft im Rollenhandeln
5.2. Qualitäten der Interaktionistischen Theorie nach Habermas

6. Schlussbemerkung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im vorliegenden Referat versuche ich die Grundzüge der interaktionistischen Theorie, wie sie von Mead entwickelt wurde darzustellen. Das Referat basiert zu größten Teilen auf dem Kapi- tel 3.3: Schulische Sozialisation in interaktionistischer Sicht aus dem Buch Sozialisationstheo- rien von Klaus Jürgen Tillmann. Meinen Schwerpunkt habe ich dabei sowohl auf der Entste- hung und Weiterentwicklung der Theorie als auch auf einer Erklärung der Grundbegriffe und Grundannahmen gelegt. Schulische Sozialisation streife ich nur am Rande. Neben Georg Her- bert Mead gehe ich ,wie auch Tillmann, auf Ralf Turner und auf Jürgen Habermas ein. Haber- mas wird bei Tillmann vor allem in Bezug auf Interaktion in Institutionen zitiert und darge- stellt. Von Turner werden die Prozesse von Rollenerwartungen und Rollendarstellungen bei Tillmann miteinbezogen.

1.1 Zur Person von Georg Herbert Mead

Georg Herbert Mead wurde 1863 in South Hadley geboren.

Nach mehreren Jobs nahm er das Studium der Philosophie in Harvard auf, wechselte dann aber zur Psychologie und studierte in Leipzig und Berlin. Nachdem er in die USA zurückgekehrt war, unterrichtet er erst an der University of Michigan Psychologie, dann ab 1894 an der neugegründeten University of Chicago.

Seine Schwerpunkte waren dort die Erarbeitung einer Kommunikationstheorie und darauf auf- bauend eine Sozialpsychologie. Mead wird als Klassiker der Sozialpsychologie gehandelt, dies ist sehr erstaunlich, denn er hat kein einziges Buch veröffentlicht, hat nie Soziologie gelehrt. Das was ihn so berühmt machte war sein Kurs in Sozialpsychologie, den er ca. 30 Jahre lang in immer ähnlicher Form angeboten hat. Die darin entwickelten Gedanken wurden erst nach sei- nem Tod aus seinen Manuskripten und studentischen Mitschriften veröffentlicht.

Mead starb 1931 in Chicago.

1.2. Mead und der Behaviorismus

Mead baut seine Theorie auf den Begriffen des Behaviorismus auf, löst sich jedoch auch von ihnen und entwickelt sie weiter. Auch er setzt beim Aufbau seiner Theorie an den Begriffen Reiz und Reaktion an. Was Mead sucht ist ein Reiz, der in der Lage ist den gleichen Reiz in einem anderen auszulösen. Die vokale Geste verfügt über diese Fähigkeit. Wenn wir etwas sagen sind wir in der Lage uns selber zu hören. Über dieses Potential verfügt keine andere Ges- te1. In dem wir etwas sagen lösen wir in uns auch die Reaktion aus die ein anderer auf unser Gesagtes hat. Wir sind also durch die vokale Geste in der Lage, auf die eigenen Reize zu rea- gieren wie es andere tun. Bei der vokalen Geste ist der Sinn des Gesagten immer präsent. Unter vokaler Geste versteht Mead nicht nur Sprache sondern auch Schrift und die Gehörlosenspra- che die aus der Wortsprache entwickelt wurde2.

2. Grundannahmen

Der Begriff der vokalen Geste legt schon zwei darauf logisch folgende Begriffe nahe.

Wenn die Basis der Überlegungen Meads eine Geste ist, bedeutet dies auch, das etwas die Ges- te senden und etwas anderes die Geste empfangen muss. Es geht also um den Prozess zwischen einem Sender und einem Empfänger. Diese werden bei Mead mit den Begriffen Ego und Alter belegt. Ego bedeutet im lateinischen "ich". "Ich" steht in einer Situation Alter gegenüber, in Deutsch "ein Anderer oder der Andere". Gemeint ist bei Mead aber nicht nur ein konkreter An- derer, sondern auch ein generalisierter Anderer, unter ihm versteht Mead, die Summe der Er- wartungen, und Haltungen die Ego gegenüber treten. Alter ist also immer das, was Ego gegen- übersteht, an ihn Erwartungen richtet aber an das auch von Ego Erwartungen gerichtet werden3.

Mead`s Ansatz ist der Prozess der Interaktion zwischen minimal zwei Personen. In ihm sieht er die Basis der Entstehung für Identität und Gesellschaft. Sein Ansatz ist also als mikrosoziologisch zu bezeichnen.

Aus den Grundannahmen dieser Theorie leiten sich auch die Grundbegriffe ab, die ich als Einführung in die interaktionistische Theorie erläutere.

2.1. Interaktion

Interaktion ist, wie gesagt, die Basis auf der nach Mead Identität und Gesellschaft entsteht. Dies bedeutet, dass die Sozialisation eines Menschen ein gesellschaftlicher Prozess ist, da für Interaktion mindestens 2 Personen (Ego und Alter) nötig sind.4

Interaktion ist als ein Abtastungsprozess zu verstehen. Subjekt A wird mit Erwartungen und Normen von Subjekt B konfrontiert. Beide müssen im Interaktionsprozess die Normen und Erwartungen des anderen erkennen und verarbeiten. Hieraus müssen sie dann eine Reaktion entwickeln die für den Anderen wieder zum Reiz wird.

Mead beschreibt hier einen idealisierten Interaktionsprozess, in dem beide Interaktionspartner ohne hierarchische Strukturen und institutionalisierte Regeln oder Normen gleichgestellt sind. Überhaupt sind Mead`s Ausführungen von sehr basaler Art. Er versucht nicht, reale Interakti- onssituationen zu verstehen, sondern konstruiert in einer Kette logischer Schlussfolgerungen, die beim Behaviorismus und Reiz- Reaktionsmustern ansetzen, fast einen "mathematischen Beweis", der zu einem Modell der Wechselseitigkeit von vokalen Gesten und der gegenseitigen Internalisierung von Erwartungen und Haltungen wird, die wieder zu Reaktionen führen.

Aufbau des Interaktionsprozesses :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Grundbegriffe

3.1. Interaktionsformen

Interaktion wird als ein Abtastungsprozess beschrieben. Dieser Fall ist jedoch als idealtypisch zu bezeichnen. Nur wenn es sich um eine offene Gesprächssituation handelt, die zwischen zwei gleichberechtigten Partnern stattfindet, können solche Aushandlungsprozesse unverzerrt statt- finden. Oftmals ist dies jedoch nicht der Fall. Die Schule mag hier als Beispiel herhalten. Inter- aktion in der Schule ist institutionalisiert. Inhalte und Formen der Kommunikation werden vor- herbestimmt und dem Aushandlungsprozess weitestgehend entzogen. Kommunikation findet fast nur in Unterrichtsform statt. Dabei sind zwei Faktoren von besonderer Bedeutung. Es herr- schen sowohl Hierarchie und Zwang als auch Leistung und Konkurrenz vor.

Durch die Schulpflicht können Schüler sanktioniert werden, wenn sie sich nicht an die Erwartungen der Schule in ihren Handlungen halten. Verhalten der Schüler wird nur dann als erwünscht betrachtet, wenn es den Zielen der Schule entspricht. Daher sind auch die Möglichkeiten der Rollenausgestaltung von den Seiten der Schüler sehr begrenzt. Der Lehrer ist zwar auch institutionellen Zwängen, wie zum Beispiel Lehrplänen unterworfen, hat jedoch noch die Möglichkeit innerhalb des Unterrichts seine eigenen Bedürfnisse mit einzubringen.

Anpassungsprozesse finden hier fast nur einseitig statt. Der Schüler passt sich den Erwartungen des jeweiligen Lehrers an. Sicherlich bieten sich dem Schüler in engen von Lehrer zu Lehrer unterschiedlichen Grenzen Möglichkeiten, seine eigene Identität miteinzubringen. Die offene Gesprächssituation sieht dagegen völlig anders aus.

Wenn Ego auf Alter trifft beginnt ein Abtastungsprozess der in der ständigen Wechselseitig- keit präsent ist. Ego versucht die Erwartungen Alters herauszufinden, er beobachtet und be- trachtet sich aus der Perspektive Alters und überlegt, "was kann er von mir wollen, wofür inte- ressiert er sich"5. Ego sagt etwas und gibt dabei nicht nur eine Antwort auf die Erwartungen Alters, sondern präsentiert seine eigenen Erwartungen an Alter ebenfalls in dieser Reaktion, auf die Alter nun reagieren muss. Durch das wechselseitige Abtasten der Erwartungen des Anderen und durch die wechselseitige Darstellung seiner eigenen Erwartungen in einer Handlung die nun von Alter interpretiert werden müssen, entwickelt sich in Gesprächen ein Konsens, ein gemeinsames Sinnverständnis des ablaufenden Interaktionsprozesses.

Wenn dieser Konsens nicht gefunden wird, so kann man davon ausgehen, dass einer der Gesprächsteilnehmer die Interaktion abbrechen wird.

An der Bedeutsamkeit des gegenseitigen Abtastprozesses und der gemeinsamen Sinnkonstitution wird deutlich, welch großer Einschnitt in eine natürliche Kommunikation die Institutionalisierung solcher Prozesse bedeutet.

Nach dieser kurzen Darstellung von Interaktion erläutere ich im weiteren wichtige Grundbegriffe der interaktionistischen Theorie.

3.2. Role taking / role making

Bei Mead wird der Rollenbegriff nur sehr allgemein abgehandelt. Tillmann geht hier auf Tuner zurück der Meads Ansatz weiter entwickelte6. Er teilt den Interaktionsprozess in zwei Phasen. Die erste Phase ist das role taking . Unter role taking versteht Turner die Fähigkeit der Perspek- tivenübernahme, die nach Mead, erst durch die Besonderheit der vokalen Geste möglich wird. Ego ist in der Lage, die Erwartungen die Alter an ihn stellt zu übernehmen und sich selbst zum Objekt seines Denkens zu machen, sich also aus der Perspektive Alters zu betrachten.

Durch die Fähigkeit des Perspektivenwechsels wird man in die Lage versetzt Interaktionssituationen zu kontrollieren. Wie ein Schachspieler, der Züge im voraus denken kann, erkenne ich die Erwartungen und kann darauf in individueller Weise reagieren.

Diese Reaktion bezeichnet Turner als role-making. Ego reagiert in individueller Weise auf die Erwartungen Alters. Hierbei bildet er eine bestimmte Rolle heraus. Gleichzeitig stellt er mit der Reaktion bestimmte Erwartungen an Alter, der diese in seinen role-taking Prozess einbinden soll.

Die Interaktion nach Turner stellt sich als ein wechselseitiger Prozess von Perspektivenüber- nahme und daraus resultierenden Reaktionen dar. Jedoch sind diese Reaktionen keine 100%ig richtigen Reaktionen auf die gestellten Erwartungen, sondern eine Mischung aus Erfüllung der Erwartung Alters und Individueller Rollenausgestaltung Egos. Hier werden zwei Dinge deut- lich:

Erstens ist Interaktion kein reines Reiz-reaktions- Schema sondern ein, je nach Interaktionssituation offener Abtastungsprozess zwischen Ego und Alter. Zweitens zeigt sich hier, dass zwischen etwas Gesagtem und dem wie es aufgenommen und dann umgesetzt wird eine Differenz besteht. Dadurch ist Interaktion ein labiler Prozess, der vom Abbruch bedroht ist7.

3.3. Identität (personale, soziale, und Ich-Identität )

Sowohl in der ursprünglichen Konzeption Meads als auch in den Weiterentwicklungen Turners bleibt Platz für Individualität und Identität. Sie wird fassbar gemacht, indem der Blick auf das gerichtet wird, was zwischen der Verinnerlichung einer Erwartung und der Reaktion darauf gerichtet wird. Die Blackbox des Behaviorismus wird also aufgebrochen. Identität bildet sich erst in Interaktionsprozessen, ist also ein Produkt gesellschaftlicher Prozesse. Identität bedeutet für Mead die Fähigkeit der Selbstreflexion, sich selbst zum Objekt zu werden. Aus dieser Selbstreflexion wird ein Mensch zu einem individuell handelnden Subjekt. Goffmann führt dieses, von Mead vor allen in den Kapiteln 25 und 26 seines Buches "Geist Identität und Ge- sellschaft" dargestellte Identitätsbild weiter aus. Er teilt die Identität in zwei Perspektiven der Selbstinterpretation ein. Die Erste ist die Selbstinterpretation des Individuums im Hinblick auf seine Biographie. Man betrachtet sich im Hinblick auf seine gemachten Erfahrungen, seine alten Haltungen und Handlungen. Diese Seite der Identität, die Goffmann personale IdentitÄt nennt8, ist von ihrer Zeitstruktur her, immer schon gegeben. Sozusagen unsere in der Erinne- rung archivierte Vergangenheit.

Die Zweite Perspektive ist die Selbstinterpretation in Hinblick auf die aktuelle Situation, in der sich ein Individuum befindet. Hier trifft man auf die verschieden Erwartungen, die an einen gerichtet werden. Hier sieht man sich in den verschieden sozialen Strukturen eingebunden. Die- se Perspektive unterliegt einer großen Dynamik, soziale Kontexte ändern sich. In jeder neuen Interaktionssituation werden neue Erwartungen an einen gestellt, auf die man reagieren muss. Ja sogar innerhalb eines Interaktionsprozesses trifft man auf immer neue Erwartungen. Diese Seite der Identität wird bei Goffmann als soziale IdentitÄt bezeichnet. Sie ist auf die Gegenwart ausgerichtet.

Die personale IdentitÄt erhält und bildet durch die Zeit das Individuelle eines Individuums. In dem auf alte Erfahrungen, Grundüberzeugungen und Werte zurückgegriffen wird, bildet sich in den verschiedenen Interaktionsprozessen eine gewisse Kontinuität von Handlungen einer Person. Vielleicht wird das Wirken der personalen Identität in Sätzen wie " das war ja mal wieder typisch für den" oder dass macht der ja immer so" deutlich. Durch das Vorhandensein einer personalen Identität entsteht also eine Individuelle Art, ein mehr oder weniger ausgeprägter Fingerabdruck des Handelns einer Person.

Die soziale IdentitÄt steht dem gegenüber. Sie versucht die Handlungen des Individuums an die Erwartungen des oder der anderen anzupassen. Das Abschwächen der eigenen Individualität, mit dem Ziel Normen und Ziele anderer zu erfüllen, ist hier das Programm der Selbstrefflekti- on. Das Verhältnis von sozialer zu personaler Identität wird von Habermas als Balanceakt be- schrieben. Die Personale Identität versucht, möglichst große Individualität zu erzeugen, die Soziale Identität versucht möglichst große Konformität zu erzeugen.

Es gibt also einen inneren Kampf um die Ausgestaltung von Handlungen. Das Ergebnis ist also ein Kompromiss aus Selbstbehauptung und Erwartungsbefriedigung. Die Synthese von personaler und sozialer Identität nennt Habermas die Ich-IdentitÄt.

In der nachfolgenden Grafik habe ich das Verhältnis und die Eigenschaften von Ich-Identität, personaler Identität, und sozialer Identität noch einmal dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Qualifikationen des Rollenhandelns

Die Herausforderung und das Ziel von Interaktion muss, da Interaktion zur Sozialisation führt, die Herausbildung einer stabilen Ich-Identität sein. Ein Individuum muss diesen Balanceakt zwischen Selbstbehauptung und Bedürfnisbefriedigung des anderen zu leisten. Kann es dies nicht, so wird es auf kurz oder lang aus einem Grossteil der Interaktionsprozesse ausgeschlossen. Wer redet schon gerne mit jemandem, der einem ständig nach dem Mund redet und wer will mit einem Menschen, der nur seine eigene Meinung gelten lässt, diskutieren? Sozialisation in der Interaktionistischen Theorie bedeutet also, dass der Einzelne durch die selbstreflexive Internalisierung von Sprache, Werten und Normen, ein Kommunikationsfähi- ges Individuum in der Gesellschaft wird.

Damit dies möglich ist, bedarf es, nach Habermas, bestimmter Grundqualifikationen.

4.1. Sprachfähigkeit

Die Sprache ist das Medium, das dem Individuum erst die Möglichkeit zur Selbstrefflektion und zur Entwicklung seiner Identität gibt. Der Kern liegt in dieser Aussage Meads: "Wir lösen stÄndig, insbesondere durch vokale Gesten, in uns selbst jene Reaktionen aus, die wir auch in anderen Personen auslösen, und nehmen damit die Haltungen anderer Personen in unser eigenes Verhalten herein. Die kritische Bedeutung der Sprache für die Entwicklung der menschlichen Erfahrung liegt eben in der Tatsache, dass der Reiz so beschaffen ist, dass er sich auf das sprechende Individuum ebenso auswirkt wie auf das andere."9 Daher ist die Beherrschung des Mediums von entscheidender Bedeutung. Je größer und je komplexer die Anforderungen an die Ich Identität werden, desto wichtiger wird auch eine differenzierte Sprachfähigkeit um mit den Anforderungen umgehen zu können.

4.2. Empathie

In der Empathie liegt die Fähigkeit die, durch die Sprache vermittelten, Normen und Erwartun- gen Alters zu übernehmen und sich in seine Perspektive hineinzuversetzen. Das Alltagsver- ständnis des Empathiebegriffs, unter dem man Einfühlungsvermögen in die Gefühle des Ande- ren beschreibt, gibt das hier gemeinte nur unzureichend wieder. Habermas beschreibt hier eine Schlüsselfähigkeit des Role taking. Ohne die Perspektivenübernahme kann zwar weiterhin In- teraktion stattfinden, wird jedoch, wenn es sich um offene, herrschaftsfreie Situationen handelt, schnell abgebrochen werden, da Ego und Alter nicht zusammenfinden. Ego geht auf die Erwar- tungen Alters nicht ein, antwortet Unsinn oder reagiert falsch. Am Besten lässt sich diese Situa- tion mit einer Situation vergleichen, in der man dem Gegenüber nicht zugehört hat, und immer nur ja, ja antwortet. Wahrscheinlich würde man dann auf einer Meta Ebene über die vorange- gangene Interaktion reden und, wenn dieses auch nicht funktioniert, die Interaktion abbrechen.

4.3. Frustrationstoleranz

Zwischen den Rollenerwartungen Alters und den Bedürfnissen Egos liegt, nach dem Haberma- schen Verständnis des Interaktionistischen Rollenhandelns, immer eine Differenz. Ein Subjekt ist, obwohl es seine Bedürfnisse in der Interaktion nicht befriedigen kann, gezwungen, diese aufrecht zu erhalten. Die Fähigkeit, dieses leisten zu können, bezeichnet Habermas als Frustra- tionstoleranz. Die Aussage, dass Erwartungen und Bedürfnisse nicht deckungsgleich sind, ist eine Antithese zu den Aussagen Parsons, der im Idealfall von dieser Deckungsgleichheit aus- geht, und sagt, dass durch Rollenhandeln die Bedürfnisse der Akteure befriedigt werden.

4.4. Ambiguitätstoleranz

Habermas geht davon aus, dass zwischen den Rollenerwartungen und dem Rollenhandeln eine Differenz besteht. Role-making ist immer die Interpretation der Erwartungen. Hier zeigt sich der Balanceakt der Ich-Identität. Ein Individuum muss also immer in einer Interaktion einen Weg zwischen Role-taking und Role-making finden, dabei bleiben viele Dinge unklar. Die Fä- higkeit mit den Unklarheiten klarzukommen und trotzdem zu handeln, bezeichnet Habermas als Ambiguitätstoleranz. Hiermit bezieht er wiederum eine Gegenposition zu Parsons. Dieser geht davon aus, dass in eingespielten Interaktionen die Rollendefinitionen gleich den Rolleninterpretationen der Interaktionspartner sind.

Diese sei nach Habermas nur dann möglich, wenn eine Selbstpräsentation ausbliebe. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Seite der personalen Identität völlig ausgeschaltet würde.

4.5. Rollendistanz

Eine weitere Qualifikation basiert auf der Feststellung, dass Werte und Normen zwar verinnerlicht werden jedoch nicht in einer 1:1 Umsetzung, sondern auf reflexive Art und Weise. Das bedeutet, dass zwischen den Normen eines Individuums und den Normen der Umgebung eine Differenz besteht. Die Fähigkeit der Differenz zwischen den eigenen Normen und denen, die an einen herangetragen werden im Role making Ausdruck zu verleihen, wird bei Habermas als Rollendistanz bezeichnet. Parsons Position dagegen sagt, dass die Normen der Gesellschaft und die Normen des Einzelnen gleich sind.

5. Gesellschaftliche Herrschaft und Grundqualifikationen des Rollenhandelns

Habermas verbleibt mit seinen Grundqualifikationen nicht auf einer mikrosoziologischen Ebe- ne, sondern ordnet den Fähigkeiten bestimmte Phänomene gesellschaftlicher Herrschaft zu. Hierbei handelt es sich um Strukturen, die die Fähigkeiten einschränken oder ganz unterdrü- cken. Durch diese Zuordnung erhält man gleichzeitig eine Meßlatte, an der man durch die Beo- bachtung von Interaktionsprozessen feststellen kann, in wie weit gesellschaftliche Herrschaft ausgeübt wird.

Der Frustrationstoleranz ordnet Habermas als Dimension gesellschaftlicher Herrschaft die Re- pressivität zu. Die Repressivität ließe sich an dem Ausmaß feststellen, in dem ein Teil der In- teraktionspartner dem anderen Teil die Befriedigung seiner Bedürfnisse vorenthalte. Der Ambiguitätstoleranz wird die Rigidität zugeordnet. Je größer die Kongruenz, also die Ü- bereinstimmung zwischen Rollendefinition und Rolleninterpretation ist, desto rigider das Sys- tem.

Der dritten Grundqualifikation, der Fähigkeit zur Rollendistanz, wird die Dimension der sozia- len Verhaltenskontrolle zugeordnet. Wenn ein Individuum nicht seine Selbstdarstellung in das Role-making miteinbringt, deutet dies auf eine starke Internalisierung der gesellschaftlichen Werte hin, die keinen Platz lassen für Selbstdarstellung, oder auf ein Umfeld, dass die Selbst- darstellung nicht zulässt.

Parsons Idealmodell wird also zum Negativmodell von Habermas. Eine Idealinteraktion nach Parsons würde bei Habermas den interaktiven GAU bedeuten.

5.1. Beispiel für Herrschaft im Rollenhandeln

Ein gutes Beispiel um die Habermasschen Dimensionen gesellschaftlicher Herrschaft zu erläu- tern ist das Militär. Gerade im Fall von Wehrdienstleistenden kann man wohl davon ausgehen, dass es keine Befriedigung ihrer Bedürfnisse ist, 20km mit einem 30kg schweren Rucksack zurückzulegen. Trotzdem werden diese, und im Krisenfall noch ganz andere Befehle, erfüllt. Die Repressivität des Militärs liegt auf der Hand. Gerade Befehlsverweigerung, schon das Wort zeigt die Repressivität, ist ein sehr schweres Vergehen, was je nach Situation hart sanktioniert wird. Auch das Vorhandensein einer Strafe für das Nichterfüllen von Erwartungen (den Befeh- len), zeigt, dass hier nicht von einer wechselseitigen Befriedigung ausgegangen wird, denn dann wäre ja die Androhung sinnlos, da es ja alle mit Freude machen würden um ihre Bedürf- nisse zu befriedigen.

Die Kongruenz der Rollenerwartungen und Rolleninterpretationen wird gerade in den hierarchisch durchorganisierten Rollen, die sich in Rängen, Einheiten, Kompanien, Gruppen etc. ausdrücken deutlich. Jedes Subjekt ist in einem festen Netz einer Hierarchie eingebunden. Es hat fest umrissene Aufgaben. Interpretationsspielräume sind hier nicht gegeben. Ein Befehl ist zu befolgen, nicht zu interpretieren.

Trotzdem geht Goffman davon aus, dass auch in repressiven Institutionen die personale Identität im role making eine wichtige Rolle spielt10. Dies könnte sich zum Beispiel in bestimmten Bewegungsabläufen, in der Freizeit in Gesprächen mit Gleichgestellten o- der mit Menschen zwischen denen sich Sympathie entwickelt hat, zeigen.

5.2. Qualitäten der Interaktionistische Theorie nach Habermas

Durch die Aufstellung der Qualifikationen, die für Interaktion nötig sind, stellt Habermas nicht nur ein Schema auf an dem Interaktion in Institutionen analysiert werden kann, sondern auch Forderungen, wie Kommunikation in Institutionen gestaltet werden muss. Durch die Kategorie der Ich - Identität, welche die Balance zwischen gesellschaftlichen Forde- rungen und individuellen Ansprüchen herstellt, wird das Subjekt, das, um diesen Balanceakt leisten zu können, ein stabiles Selbst entwickeln muss, in den Mittelpunkt gestellt. Hier findet sich also eine Sozialisationstheorie, die das reflexiv handelnde Subjekt als Mittel- punkt und Ziel seiner Annahmen hat, dieses Subjekt aber auch in gesellschaftliche Kräfte und Strukturen eingebunden sieht, die die Entwicklung behindern oder fördern können. Habermas formuliert eine normative Sozialisationstheorie, die die Subjekthaftigkeit nicht nur betont sondern auch fordert.

6. Schlussbemerkung

Die Stärken der hier nur sehr grob vorgestellten Theorie liegen auf der Hand.

Die Theorie beschreibt die Entwicklung von Menschen zu individuell handelnden und reflexiv denkenden Subjekten. Dies geschieht jedoch nicht wie bei Freud in rein psychologischen Kategorien sondern die Entwicklung wird in Interaktion mit der auf das Subjekt einwirkenden Gesellschaft gesehen. Durch die differenzierte Betrachtung von Interaktionsprozessen bei Mead und Turner wird eine genaue Analyse von Interaktionen möglich.

Wichtig finde ich den Gedanken der Prozesshaftigkeit. Die Dynamik in Prozessen, deren oft- mals offener Ausgang und damit auch deren Komplexität wird analytisch greifbar gemacht. Die Weiterentwicklungen von Habermas erschließt auch die gesellschaftliche Seite, bietet Möglichkeiten zur Analyse und, durch den normativen Charakter seiner Überlegungen, auch zur Gesellschaftskritik.

Was bei allen vorgestellten interaktionistischen Ansätzen unter den Tisch fällt sind jedoch die Inhalte der Kommunikation. Doch auch Inhalte können die Subjekte beeinflussen. Nicht nur wie sondern auch was gesagt wird ist von Bedeutung. Ebenso bleibt die Beziehung des Sub- jekts zu seiner dinglichen Umwelt unbeleuchtet. Ein Individuum entwickelt sich nicht nur aus und in seinen Interaktionsprozessen sondern auch in und durch seine materielle Ausstattung.

7. Literaturverzeichnis

Kaesler, Dirk (Hrsg.) Klassiker der Soziologie Bd.1 u. 2. München 1999

Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt/M. 1968 (Erstveröffentlichung Chicago 1934)

Tillmann, K. J.: Sozialisationstheorien. Hamburg 1989

[...]


1 Mead, 1968,S.103

2 Mead, 1968, S. 107

3 Mead, 1968, S. 20ff

4 Mead, 1968, S. 207

5 Vergl. Tillmann, 1989, S.135

6 Vergl. Tillmann, 1989, S. 135

7 Vergl. Tillmann, 1989, S. 135

8 Vergl. Tillmann, S. 137

9 Mead, 1968, S.108

10 Vergl. Tillmann, 1989, S. 136

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Geist, Identität und Gesellschaft - G.H.Mead
Université
University of Frankfurt (Main)
Note
2
Auteur
Année
2001
Pages
13
N° de catalogue
V106051
ISBN (ebook)
9783640043309
Taille d'un fichier
434 KB
Langue
allemand
Annotations
Bearbeitung von Mead`s Ansätzen in Bezug auf die Rollentheorie.
Mots clés
Geist, Identität, Gesellschaft, Mead
Citation du texte
Ludger Christian Stallmann (Auteur), 2001, Geist, Identität und Gesellschaft - G.H.Mead, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106051

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