Zur Rhetorik börsenbezogener Stellungnahmen - Eine psycholinguistische Untersuchung des Wirkungsgeschehens


Magisterarbeit, 2001

106 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND PRINZIPIEN
1. Börsenbezogene Grundlagen und Begriffsdefinitionen
1.1. Die Börse und ihre Funktion
1.2. Börsenteilnehmer und Anlagestrategien
1.3. Beeinflussungsfaktoren
2. Marktverhalten und Psychologie
2.1. Markteffizienzhypothese und Börsenpsychologie
2.2. Kognitive Prozesse und Behavioral Finance
2.2.1 Heuristisches Entscheiden
2.2.2 Überreaktionen auf Informationen aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik
2.2.3 Unterreaktionen auf Informationen aufgrund der Verankerungsheuristik
2.2.4 Schematisches Denken aufgrund der Repräsentativitätsheuristik
2.3. Massenpsychologische Faktoren
3. Marktkommunikation
3.1. Kommunikationskanäle und symbolische Kommunikation
3.2. Erscheinungsformen der börsenbezogenen Marktkommunikation
3.2.1. Wirtschafts- und Börsennachrichten
3.2.2. Zweckorientierte Empfehlungen
3.2.3. Investor Relations
3.3. Elemente des Kommunikationsprozesses
3.3.1. Der Kommunikator
3.3.2. Die Botschaft
3.3.3. Die Zielgruppe
3.3.4. Das Medium- Mediaanalyse
3.3.5. Die Wirkung
4. Rhetorische Grundlagen für das Börsengeschehen
4.1. Argumentation
4.1.1. Börsenbezogene Dialektik
4.1.2. Argumentationsarten
4.1.3. Argumentationsmuster (Topik)
4.2. Stil und Stilistik
4.2.1. Stilprinzipien
4.2.2. Stilfiguren
5. Analyse des Wirkungsgeschehens unterschiedlicher börsenrelevanter Stellungnahmen
5.1. Stellungnahme mit langfristiger und konservativer Orientierung
5.2. Stellungnahme mit mittelfristiger und konservativ-spekulativer Orientierung
5.3. Stellungnahme mit kurzfristiger und spekulativer Orientierung
5.4. Zusammenfassende Wertung

III. RESÜMEE

IV. LITERATURVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG

Nicht die Tatsachen, sondern die Meinungen über die Tatsachen bestimmen das Zusammenleben.“ Epiktet

Börsenkurse repräsentieren Erwartungen, Visionen und Phantasien. Sie nehmen somit die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Entwicklungen vorweg und werden dadurch zu einem Objekt spekulativer Investitionen.

Der Investor selbst orientiert sich hierbei an Informationen, um Chancen und Risiken besser abschätzen zu können. Der Grund hierfür besteht in der dialogischen Natur des Menschen, der sich seiner Umwelt nicht vollständig und auf Dauer entziehen kann.

Die Interpretation der Information führt schließlich, im Sinne einer Reiz-Reaktions-Handlung, zu der Entscheidung des Kaufens, Haltens oder Verkaufens von Wertpapieren.

Da die Börse selbst nur eine Schaltstelle ist, deren Dialogfunktion auf die „kühle“ Vermittlung eines Geschäfts beschränkt ist, werden alle dialogischen Bedürfnisse auf Ersatzfiguren übertragen. Diese Übertragung findet fast immer in einem Klima statt, das von einer unsicheren Grundhaltung geprägt ist, da die börsenbezogenen Dialoge grundsätzlich auf die offene Frage ausgerichtet sind, ob dieses oder jenes Investment einen Gewinn bringen wird.

Je sicherer einer der Dialogpartner auftritt, desto glaubwürdiger wirkt er und um so dankbarer werden seine Ansichten aufgenommen. Denn nichts wünscht sich ein unsicherer Anleger sehnlicher als Sicherheit. Es handelt sich also primär um die Art und Weise der Präsentation, Verarbeitung und Auslegung von Informationen, die kursrelevante Auswirkungen haben kann, da der Inhalt selbst von den Marktteilnehmern häufig mißverstanden oder aufgrund der Informationsflut gar nicht erst zur Kenntnis genommen wird.

Dementsprechend möchte der Autor dieser Arbeit einen Beitrag dazu leisten, die erstaunlicherweise noch wenig untersuchte Verbindung und die Mechanismen der Rhetorik börsenbezogener Stellungnahmen und des Wirkungsgeschehens näher darzustellen und zu erörtern.

Es werden hierbei sozial- und verhaltenspsychologische Mechanismen sowie kommunikative Funktionsprozesse mit einbezogen.

Die Arbeit selbst gliedert sich prinzipiell in fünf Teile und führt zunächst in die theoretischen Grundlagen der Funktion der Börse ein, soweit die Thematik dies erfordert. Weiterhin werden dann die für die Arbeit relevanten psychologischen Faktoren und kommunikationstheoretischen Grundlagen erörtert.

Danach folgt die Betrachtung der rhetorischen Grundlagen für das Börsengeschehen und die Analyse unterschiedlicher börsenbezogener Stellungnahmen nach argumentations- und stiltheoretischen Gesichtspunkten.

Insgesamt werden sowohl wissenschaftliche, als auch populärwissenschaftliche Abhandlungen zu Rate gezogen.

Interessanterweise begegnete der Verfasser im Rahmen seiner Recherchen viel Skepsis und Unglauben gegenüber der thematischen Verbindung von Rhetorik und Börse, obwohl das Interesse an den Ergebnissen sehr groß war. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß selbst börsenpsychologische Fakten noch relativ „jung" sind und von einigen Börsenteilnehmern immer noch als zu vernachlässigende Faktoren in einem Marktgeschehen gesehen werden, das angeblich und ausschließlich nur von der unmittelbaren Informationsverarbeitung im Sinne der Markteffizienzhypothese geprägt sein soll, so als ob nur menschenähnliche und absolut rational agierende Maschinen, quasi Anlegerandroiden, an den Weltbörsen agieren würden.

Doch spätestens seit der euphorisch-irrationalen Übertreibung und Spekulationsblase an den Weltbörsen, die im März 2000 ihren Höhepunkt erreicht hatte, um dann bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt für viele Anleger in einem finanziellen Desaster zu enden, können psychologische bzw. psychologinguistische Faktoren nicht mehr geleugnet werden.

In denselben Finanzmedien beispielsweise, in denen während der Hausse (allgemeiner Aufwärtstrend) nicht genug Argumente gefunden werden konnten, um weiterhin bestimmte schon damals überbewertete Aktien zu kaufen, standen während der Baisse (allgemeiner Abwärtstrend) Sätze wie „emotionaler Überschwang" oder „die Kurse wurden nach oben geredet". Die damaligen Kurstreiber sind inzwischen still geworden, haben ohnehin ihre Glaubwürdigkeit und manche sogar ihren Job verloren.

Es gibt jedoch zu jedem Zeitpunkt besonders „laute“ Stimmen, die aus dem allgemeinen „Grundrauschen“ wirkungsvoll herausragen und somit einen mehr oder weniger bedeutsamen Einfluß auf das lokale oder weltweite Börsengeschehen haben.

II. THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND PRINZIPIEN

1. Börsenbezogene Grundlagen und Begriffsdefinitionen

Da das Börsengeschehen an sich und dessen Mechanismen nicht unbedingt zum Grundwissen eines Psycholinguisten gehören, dieses aber zum weiteren Verständnis der Arbeit relevant ist, seien im Vorfeld einige wichtige einführende fundamentale und funktionelle Grundlagen erörtert.

1.1. Die Börse und ihre Funktion

„Die Börse ist ein organisierter Markt, der dem Kauf und Verkauf von Effekten dient.“ (Schätzle 1999, S. 30)

Mit Effekten sind hierbei börsenfähige Wertpapiere gemeint, also Aktien und festverzinsliche Wertpapiere, die, im Sinne von vertretbaren, d.h. beweglichen (fungiblen) und gegenseitig austauschbaren Instrumenten des Finanzmarkts, nach Gattung, Stückzahl oder Nennwert bestimmt sein müssen.

Das Kriterium der Vertretbarkeit bezieht sich hierbei nicht nur auf die Effektenbörse, sondern auch auf alle restlichen Objekte des Börsenhandels, die nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen und an den unterschiedlichen Börsen gehandelt werden, also auch Devisen, Waren und Terminkontrakte, d.h. Finanzderivate wie Optionen und Futures.

Dies ist erforderlich, da andernfalls die Geschäfte ohne Besichtigung der Ware nicht möglich wären, wie es für die Börsen typisch ist. (vgl. Fugger 1999, S. 48f.)

Für die gehandelten Objekte werden täglich wechselnde Preise bzw. Kurse ermittelt, wobei die Börse Angebot und Nachfrage marktmäßig zusammenführt und durch eine ausgleichende Festsetzung den Kurs ermittelt, zu dem möglichst viele Geschäfte ausgeführt werden können.

Die Börsengeschäfte selbst lassen sich in Kassa- und Termingeschäfte unterteilen. Hierbei müssen Lieferung und Bezahlung entweder innerhalb kürzester Zeit bzw. unmittelbar erfolgen, oder sind auf einen bestimmten Termin bzw. Preis in der Zukunft bezogen. (vgl. Meyers 1999, S.117)

Nach Büschgen (1998) haben Börsen folgende Funktionen:

„Als Funktionen der Börsen sind anzuführen:

(1) Marktfunktion: Bezeichnet wird hiermit die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage nach Finanzmitteln bzw. Kapital zu einem Zeitpunkt und an einem Ort. Dadurch wird potentiellen Nachfragern und Anbietern von Kapital die Suche nach dem Marktpartner erleichtert.
(2) Mobilisationsfunktion: Angesprochen ist hiermit die Verfügbarmachung von Geldkapital auf der Grundlage neu emittierter Wertpapiere in den Börsenhandel. Durch die Börse wird potentiellen Kapitalnehmern ein Weg eröffnet, Geldkapital durch die Neuemission von Wertpapieren zu beschaffen. In dieser Funktion fungiert die Börse als Primärmarkt bzw. als Emissionsmarkt.
(3) Substitutionsfunktion: Bezieht sich auf die jederzeitige Verkaufsmöglichkeit von Wertpapieren und deren Übertragung auf einen neuen Inhaber im Sekundärmarkt. Der Emittent bleibt hiervon unberührt.
(4) Bewertungsfunktion: Besteht in der Feststellung des aktuellen Marktpreises für das einzelne Wertpapier und damit des Marktwertes der betreffenden Unternehmung.“ (Büschgen 1998, S. 141)

Somit fungiert die Börse in Bezug auf Aktien zum einen als ein Bindeglied zwischen dem Unternehmen (Emittent) und dem Anleger (Geldgeber) in Form des Primärmarktes und zum anderen als Handelsplattform für die Anleger untereinander in Form des Sekundärmarktes. Anhand dieser funktionellen Mechanismen bestimmt und begründet sich der Wert eines Unternehmens.

1.2. Börsenteilnehmer und Anlagestrategien

Der Börsenteilnehmer wird insgesamt „als eine Person oder Institution aufgefaßt, die unter Einsatz von Kapital und mit Hilfe geeigneter Anlagestrategien versucht, durch Kauf und Verkauf von Aktien oder anderen Anlageformen Gewinne zu erzielen oder sonstige Zielsetzungen wie Kapitalerhaltung oder „Freude am Spiel“ zu verwirklichen.“ (Widdel 1996, S. 5)

Nach Widdel (1996) agieren vor allem folgende Anlegergruppen an der Börse:

- „Banken und Broker (jeweils im Eigenhandel)
- Institutionelle Großanleger (Versicherungen, Pensionskassen, Großunternehmen etc.)
- Vermögensverwaltungen und Aktienfonds (für institutionelle und private Anleger)
- Privatanleger, die mit ihrem Kapital in eigener Regie spekulieren“ (Widdel 1996, S. 5)

„Für die Untersuchung der Ziele und Motive...kann man zusammenfassend folgende Anlegerklassen unterscheiden:

1. Professionelle Anleger (Banken, Broker, Versicherungen, Pensionskassen, Großunternehmen, Vermögensverwaltungen, Aktienfonds)

2. Privatanleger

a) mit Anlage unter fremder Regie (bei Vermögensverwaltungen, Aktienfonds)
b) mit Anlage unter eigener Regie“ (Widdel 1996, S.6)

Innerhalb dieser Anlegerklassen unterscheidet man wiederum nach Anlagehorizont und –mentalität bzw. Risikoneigung und somit nach bestimmten Strategien, die nachfolgend typisiert und kategorisiert werden.

Die Darstellung der strategischen Unterschiede ermöglicht hierbei wesentliche Aufschlüsse auf die Verhaltensweisen an den Finanzmärkten.

Nach Dresrüsse/ Michaelis (2001), Ulsass (2001) und Widdel (1996) kann man vier verschiedene Anlegertypen voneinander unterscheiden:

- Der Trader: Dieser Typus legt sein Geld sehr kurzfristig und riskant an. Es handelt sich meistens um sogenannte Daytrader, die in Echtzeit mehrmals innerhalb eines Tages kaufen und verkaufen, um aus möglichst vielen kleinen Gewinnen und wenig Verlusten Kapital zu schlagen. Es werden keine Positionen über Nacht gehalten. Ein möglichst umfassender Marktüberblick und die unmittelbare Umsetzung aktuellster Informationen in Handelsentscheidungen sind obligatorische Voraussetzungen für den Erfolg. Der Zeitaufwand, das Risiko und die psychische Belastung sind sehr hoch. Deshalb eignet sich diese Anlageform nur für sehr erfahrene Investoren. Als Informationsquellen und Nachrichtenanbieter dienen beispielsweise Reuters, CNBC, n-tv und bloomberg-tv.

In diesem Zusammenhang führte der Autor dieser Magisterarbeit ein interessantes und aufschlußreiches Gespräch mit einem Daytrader, der auf die Frage nach seinen Erfahrungen zu dem Zusammenhang von Rhetorik und Handelsentscheidungen u.a. folgende Antwort gab:

„Das is´ echt wichtig, denn ich hab´ den ganzen Tag über CNBC laufen und immer dann wenn da gleich ein CEO (Unternehmenschef) was über sein Unternehmen sagen soll, wird der vor der Werbepause nochmal kurz vorgestellt und so wie der sich verhält, weiß ich irgendwie meistens gleich, ob da jetzt was gutes oder schlechtes kommt. Das hab´ ich einfach im Gefühl, obwohl der noch gar nichts zu seiner Firma gesagt hat. Ich kauf´ oder verkauf´ dann gleich sofort noch in der Werbung, das ist dann gerade noch rechtzeitig, denn dann geht´s ganz schnell, weil die anderen dann auch drauf reagieren.“

- Der Spekulant: Dieser Typus investiert auch kurzfristig, indem er innerhalb der Steuerfrist von 12 Monaten bleibt und somit wie der Trader seine Spekulationsgewinne versteuern muß. Er handelt aber typischerweise nicht mit „Intraday-Geschäften“, sondern hält seine Positionen in der Regel über mehrere Wochen. Der Spekulant sollte zwar, muß aber dementsprechend nicht jeden Tag die Marktlage beobachten. Allerdings sind auch hier Zeitaufwand, Informationsbedarf und Risiko noch vergleichsweise hoch, wobei aber auch weniger erfahrene Investoren diese Anlageform ausüben, da auch die psychische Belastung geringer ist.
- Der spekulativ orientierte Anleger: Dieser Typus setzt zwar auch noch auf eher spekulative bzw. riskante Anlageformen, er achtet jedoch hierbei auf eine mittelfristige Gewinnerzielung, die den Zeithorizont von 12 Monaten überschreitet. Zeitaufwand, Informationsbedarf, Risiko und psychische Belastung sind vergleichsweise gering, allerdings sollte die grundsätzliche Marktentwicklung in regelmäßigen Intervallen überprüft werden, um eventuelle günstige Einstiegs- bzw. Ausstiegszeitpunkte zu erkennen.
- Der langfristig orientierte Anleger: Dieser Typus investiert langfristig in konservative Wachstumswerte, die über mehrere Jahre oder Jahrzehnte gehalten werden. Zeitaufwand, Informationsbedarf, Risiko und psychische Belastung sind in der Regel gleich Null. Es finden dementsprechend auch wenig Depotveränderungen statt und die grundsätzliche Marktentwicklung wird, wenn überhaupt, nur peripher beachtet. (vgl. Dresrüsse/ Michaelis 2001, Ulsass 2001 und Widdel 1996, S. 46-50)

1.3. Beeinflussungsfaktoren

In Bezug auf entscheidende Beeinflussungsfaktoren für die Börsentendenz meint Kostolany (2000):

„Damit die Börse steigt, müssen die beiden wichtigsten Faktoren, Liquidität und Stimmung des Anlagepublikums, positiv sein. Wenn das Publikum fähig und willens ist, Papiere zu kaufen, steigt die Börse. Wenn die Sparer knapp an Geld und unwillig sind, die Aktien zu kaufen, fällt die Börse. Oft kommt es vor, daß der eine Faktor positiv, der andere negativ ist. Dann wird es zu keinen größeren Bewegungen, sondern nur zu kleineren Schwankungen kommen. Das wäre ein idealer Markt für viele Tagesspieler, die von einem Tag auf den anderen handeln wollen, herauf, herunter, herauf, herunter. Und das würde so gehen, bis beide Faktoren positiv oder negativ sind. Werden beide positiv, entsteht eine Aufwärtsbewegung, sogar eine Euphorie: himmelhoch jauchzend. Wenn beide sich negativ entwickeln, kommt der dramatische Rückschlag, die Panik: zu Tode betrübt. Liquidität und Stimmung können sich auch gegenseitig beeinflussen: Fallende Zinsen können die Stimmung verbessern und umgekehrt kann eine schlechte Stimmung die Liquidität verknappen. So kann z. B. die Angst vor einer politischen Weltkrise oder vor Spannungen den Anleihemarkt negativ beeinflussen, weil die Interessenten keine langfristigen Anlagen machen, sondern die Anleihen eher verkaufen wollen. Dann steigen die Zinsen als Folgen der Angst. Die größere Rolle kommt aber immer der Liquidität zu und die können wir Börsianer eher verfolgen; denn die Zinspolitik der Regierung ist ja öffentlich bekannt (jedenfalls auf kurze Sicht). Absolut unberechenbar ist dagegen die psychologische Lage.“ (Kostolany, 2000, S. 70/71)

Es gibt also in diesem Sinne zwei Hauptfaktoren für Börsentendenzen, nämlich zum einen die Stimmung und zum anderen der Liquiditätsstand der potentiellen Investoren, wobei sich beides gegenseitig beeinflußt.

Ulsass (2001) meint hierzu:

„Aktien sind verbriefte Anteile an Unternehmen, das heißt, der Kursverlauf hängt langfristig davon ab, wie gut oder schlecht sich das Unternehmen entwickelt.

Aktien steigen, wenn es dem Unternehmen gut geht und fallen, wenn es schlecht läuft. Aber der Kurs wird auch von Angebot und Nachfrage bestimmt. Wenn sich keiner für das Unternehmen interessiert, obwohl es gut läuft und deshalb die Aktien eher ver- als gekauft werden, fällt der Kurs trotzdem. Das ist umgekehrt auch möglich: Das Unternehmen läuft schlecht, aber die Aktie ist gerade "in" und viele wollen sie haben, also steigt der Kurs. Die Kursbewegung wird von vielen Details beeinflußt:

a.) vom Unternehmen selbst:

- durch Unternehmensmeldungen, Bekanntgabe von Zahlen, Hauptversammlungen oder Pressekonferenzen usw.

b.) von außerhalb:

- durch Kauf/Verkaufsempfehlungen von Banken, Zeitschriften, "Börsengurus"
- vom Gesamtmarkt, zum Beispiel: DAX-Verlauf, von anderen Börsen, wichtig hier vor allem Dow Jones (USA) +Nikkei (Japan)
- vom allgemeinen Umfeld wie zum Beispiel Zinsen (je niedriger desto besser i.d.R. für die Aktien), Konjunktur, weltweiten Krisen (Rußland), Kriegen (Kosovo) oder anderen Ereignissen (Clinton-Affäre)“ (Ulsass 2001)

Was also die Bewertung von Wertpapieren bestimmt und beeinflußt, sind die wirtschaftlichen und politischen bzw. „fundamentalen“ Daten an sich, aber letztendlich ausschlaggebend ist die Interpretation dieser Informationen durch die Marktteilnehmer, also die Bedeutung, die diesen Sachverhalten beigemessen wird.

Hier setzt die Psychologie und die rhetorische Beeinflussungsmöglichkeit an und es wird deutlich, warum die „efficient market“-Theorie allein schon durch die psychologischen Einflüsse auf Meinungsbildung und Transaktionsverhalten der Marktteilnehmer einer praxisnahen Plausibilitätskontrolle nicht standzuhalten vermag. Im folgenden Abschnitt wird darauf näher eingegangen.

2. Marktverhalten und Psychologie

Von dem Physiker Sir Isaac Newton, der 1720 sein gesamtes Vermögen in der Südsee-Spekulation verloren hatte, stammt folgendes Zitat: „Die Bahn der Himmelskörper kann ich auf Zentimeter und Sekunden berechnen, aber nicht, wie eine verrückte Menschenmenge die Börsenkurse in die Höhe oder Tiefe treiben kann.“

Angesprochen wird hier die Berechenbarkeit bzw. Unberechenbarkeit von Börsenkursen aufgrund psychologischer Mechanismen, die Börsenteilnehmer aber anscheinend hauptsächlich in ihren Investitionsentscheidungen beeinflussen. Nach Kostolany besteht die Börse sogar angeblich „zu 90 Prozent aus Psychologie“. (Kostolany, S. 253)

Es gilt deshalb, die psychologische Relevanz in Anlageentscheidungen vor dem Hintergrund der Markteffizienzhypothese und damit den Ansatzpunkt für psycholinguistische Faktoren darzustellen bzw. Verhaltensfaktoren der Anleger zu isolieren, um Möglichkeiten des psycholinguistischen Wirkungsgeschehens zu erörtern.

2.1. Markteffizienzhypothese und Börsenpsychologie

Nach Rapp (2000) wurde die Markteffizienzhypothese Ende der 60er Jahre von den dafür später ausgezeichneten Nobelpreisträgern James Tobin und William F. Sharpe formuliert und stellt seitdem die Grundlage und das „Glaubensbekenntnis“ von finanzwirtschaftlich ausgebildeten Akademikern und Anlagemanagern in aller Welt dar.

Diese Theorie geht davon aus, daß Kapitalmärkte dem Idealbild sogenannter effizienter Märkte weitgehend entsprechen.

„Als effizient gilt in der Wirtschaftstheorie ein Markt dann, wenn aufgrund der Vielzahl der Marktteilnehmer sowie der Schnelligkeit der Informationsverarbeitung vollkommene Konkurrenz herrscht“. (Rapp, S. 89)

Es handelt sich also im Kern um einen sehr gut funktionierenden Markt, in dem alle relevanten Informationen über die Geschäftsentwicklung der Unternehmen jedem Marktteilnehmer kostenlos und ohne wesentlichen zeitlichen Verzug verfügbar sind und zugleich Marktteilnehmer auf diese Informationen immer rational reagieren.

Hierbei wird den Marktteilnehmern in einer idealisierten Vorstellung eine Rationalität abverlangt, die höchstens ein Computer leisten kann. So wird vorausgesetzt, daß jeder Marktteilnehmer alle Informationen systematisch und unverzerrt aufnimmt, verarbeitet und verwertet, ohne daß seine Psyche diesen Prozeß in irgendeiner Weise beeinflußt bzw. behindert. (vgl. Rapp, S. 88 ff.)

In logischer Konsequenz können auf dieser Prämisse aufbauende Theorien natürlich keine psychologischen Effekte im Marktgeschehen erklären. Die verhaltenswissenschaftliche Kapitalmarktforschung nimmt deshalb von den bisherigen Rationalitätsprämissen Abstand und stellt die psychologische Analyse des einzelnen Menschen bewußt in den Mittelpunkt, um in hierauf aufbauenden Schritten auf die Effekte im Markt schließen zu können.

Denn es gilt als unbestritten, daß die Geschehnisse an der Börse stark durch Psychologie beeinflußt werden. Ohne wesentliche fundamentale Ereignisse können psychologische Effekte Aktienkurse nach oben oder unten bewegen, zum Teil sogar erhebliche Schwankungen verursachen. Hieraus entstehen Diskrepanzen zwischen fundamental gerechtfertigten Bewertungen und der tatsächlichen Bewertung an der Börse, die nicht mehr mit der in der klassischen Finanzierungstheorie postulierten Effizienz der Kapitalmärkte vereinbart werden können. (vgl. De Bondt/ Thaler 1995, S. 385 ff.)

Orientiert man sich an der Definition für Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin, im Sinne einer Analyse sprachlicher Kommunikation, die wirkungsorientiert, also auf die Überzeugung des Adressaten hin ausgerichtet ist (persuasive Kommunikation), dann sollten typische psychologische Verhaltensmerkmale der Börsenteilnehmer möglichst bekannt sein, um entweder spezifisch darauf einwirken zu können oder andererseits um derartige „Wirkungsorientierungen“ zu erkennen und dadurch ggf. gewinnbringende Anlageentscheidungen treffen zu können.

Psychologische Erkenntnisse zum Verhalten der Marktteilnehmer liefert die Behavioral Finance. Es handelt sich hierbei um eine vergleichsweise „junge“ Forschungsdisziplin zwischen Ökonomie und Psychologie, die in den USA begründet wurde.

2.2. Kognitive Prozesse und Behavioral Finance

Es ist das Anliegen der Behavioral Finance, psychologische Effekte in Kursbewegungen durch wissenschaftliche Forschungen besser erklär- und vorhersehbar zu machen. Hierbei besteht ein wichtiger Forschungsschwerpunkt dieser zunehmend auch in Deutschland beachteten Disziplin in der Analyse des Entscheidungsverhaltens einzelner Individuen.

Insbesondere Abweichungen von dem in vielen Modellen geforderten rationalen Verhalten (homo oeconomicus) der Marktteilnehmer, sind von zentralem Interesse. Nach Rapp (1995) besteht der Grund hierfür in der Einsicht, daß „menschliche Individuen aufgrund zahlreicher physischer, mentaler und neuronaler Beschränkungen nur zu begrenzt rationalem Verhalten („bounded rationality“) in der Lage sind.“ (Rapp 1995, S. 15)

Es wird dementsprechend angenommen, daß es genau diese „Irrationalitäten“ der einzelnen Marktteilnehmer sind, die für die psychologischen Effekte in den Kursentwicklungen verantwortlich gemacht werden können.

„Hauptgegenstand der Behavioral Finance sind folglich alle Prozesse der Auswahl, Aufnahme und Verarbeitung entscheidungsrelevanter Informationen, der Erwartungsbildung sowie der nachgelagerten Entscheidungsfindung von Marktteilnehmern, wobei insbesondere auch die Konsequenzen sozialer Interaktionen auf Marktebene berücksichtigt werden.“ (Rapp 2000, S. 93/94)

Nachfolgend wird auf die für die Börse typischen und für eine psycholinguistische Untersuchung wichtigen „Irrationalitäten“ bzw. Anomalien menschlichen Verhaltens näher eingegangen und mögliche Auswirkungen im Markt, wie sie sich in Kursentwicklungen zeigen können, angesprochen.

2.2.1. Heuristisches Entscheiden

In der heutigen Zeit der fortgeschrittenen Informationstechnologien ist es möglich, daß Marktteilnehmer rund um die Uhr, über Nachrichtensender und via Internet, aktuelle Informationen aufnehmen können. Hierbei mangelt es nicht an zahlreichen Analysen, Meinungen und Empfehlungen zu den unterschiedlichsten Aktienwerten und zum Marktgeschehen insgesamt, wobei der Anleger allerdings immer nur einen Teil der Informationen aufnehmen und verarbeiten kann.

Dies ist darauf zurückzuführen, daß zum einen nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht und zum anderen die Informationsverarbeitungskapazität des Menschen beschränkt ist (vgl. Miller 1956, S. 81 f.), wodurch der einzelne Akteur selektieren bzw. vereinfacht vorgehen muß. (vgl. Schwarz 1982, S. 343 f.)

Menschen verwenden also in der Verarbeitung von Informationen sogenannte Heuristiken, d.h. sie wollen in ihren Überlegungen schnell zu einem Urteil kommen und nehmen dafür bestimmte Vereinfachungen in der Analyse der Informationen (unbewußt) in Kauf. (vgl. Strack 1998, S. 239 f.)

Dadurch begehen sie Fehler und entscheiden nicht immer rational. Interessant ist hierbei, daß diese Fehler nicht nur zufällig auftreten, sondern bestimmten Systematiken folgen, die wiederum aus den angewendeten Heuristiken resultieren und intersubjektiv korreliert sind (vgl. Kahneman/Tversky 1979, S. 263 ff.). Heiner (1989) hat in diesem Zusammenhang eine „Theorie des vorhersehbaren Entscheidungsverhaltens“ entwickelt, gemäß der Individuen mit zunehmender Komplexität einer Entscheidungssituation verstärkt auf „naive“ und deshalb partiell vorhersehbare Heuristiken zurückgreifen. (vgl. Heiner 1989, S. 233 ff.)

Aus der empirischen Forschung sind in diesem Zusammenhang eine Reihe von Effekten bekannt, wobei sich drei größere Bereiche aufführen lassen, die im folgenden genannt werden.

2.2.2. Überreaktionen auf Informationen aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die menschliche Neigung, verstärkt auf die Informationen zurückzugreifen, die in dem „Gedächtnisablagekorb“ des Menschen an exponierter Stelle liegen und somit „verfügbar“ sind. Hierbei handelt es sich um Informationen, die aktuell und sehr anschaulich sind sowie plausibel und häufig kommuniziert wurden (vgl. Kahneman/Tversky 1973, S. 237 f.). Andreassen (1990) hat in diesem Zusammenhang festgestellt, daß Erinnerungen an ein Ereignis vor allem dann besonders verfügbar sind, wenn das Ereignis häufig erlebt bzw. sehr anschaulich und lebhaft präsentiert worden ist. (vgl. Andreassen 1990, S. 153 f.)

Nach De Bondt/Thaler (1985) finden andere Informationen, sozusagen zur Schonung der Gehirnkapazitäten, eine geringere Beachtung und beeinflussen weniger die Urteile oder Entscheidungen des einzelnen Menschen. In Folge der Verfügbarkeitsheuristik können entsprechend kommunizierte Informationen zu einer Überbewertung dieser Information durch die Anleger und dementsprechend auch im Markt führen. Positiv dargebotene Nachrichten können deshalb zu überhöhten Kursen führen, während negative Nachrichten möglicherweise mit zu niedrigen Kursen einhergehen. (vgl. De Bondt/Thaler 1985, S. 793 f.)

Es kann also in diesem Sinne immer dann eine hohe Nachfrage nach einem Wert entstehen, wenn dieser sich bei vielen Anlegern einer hohen Verfügbarkeit im Kontext positiver Nachrichten erfreut.

Aus dieser „attention anomaly“ resultiert eine Kursübertreibung nach oben, die dann nach den geschilderten Erkenntnissen tendenziell besonders hoch ausfallen müßte, wenn die Information sehr anschaulich und eindrucksvoll übermittelt worden ist. In gleicher Weise können sich natürlich auch Kursübertreibungen nach unten ergeben, wenn die Verfügbarkeit mit schlechten Nachrichten verbunden ist.

Aus einer typischen individuellen Rationalitätsabweichung in Form einer Überreaktion, hat sich also ein psychologischer Effekt in der Kursbildung bzw. eine Kursübertreibung ergeben. In der Konsequenz findet sich hier eine Erklärung für das Phänomen der „excess volatility“, d.h. der empirischen Beobachtung, daß Aktienkurse stärker schwanken, als es durch fundamentale Daten gerechtfertigt ist. (vgl. Shiller 1981, S. 421 f.)

2.2.3. Unterreaktionen auf Informationen aufgrund der Verankerungsheuristik

Es sind aber von Marktteilnehmern nicht nur Über-, sondern auch häufig Unterreaktionen auf bestimmte Informationen zu beobachten. Hierbei ist zum einen von Unterreaktionen auf Informationen in solchen Situationen auszugehen, in denen diese Informationen nicht die Charakteristik haben, die sie für eine hohe Verfügbarkeit in den Köpfen der Marktteilnehmer prädestinieren, wie z.B. geringe Anschaulichkeit, geringe Verbreitung der Information und Verdrängung durch andere wirkungsbezogene Medieninformationen.

Es zeigt sich aber zum anderen auch, daß sich Menschen häufig nach einer bestimmten Information (dem Anker) orientieren und daran festhalten, auch wenn neuere Informationen der „Ankerinformation“ widersprechen. Somit ist es möglich, daß die Anpassung eines Aktienkurses an aktuelle Informationen regelmäßig zu gering ausfällt. (vgl. Northcraft/Neale 1987, S. 86)

Nach Schachter et. al. (1986) kann dieses Verhalten regelmäßig an der Gruppe der Analysten beobachtet werden, die Prognosen für Wertpapiere erstellen. Hierbei wurde festgestellt, daß sich Analysten bei der Erstellung neuer Analysen in den meisten Fällen an eigenen früheren Analysen, oder an denen anderer Analysten bedienen, wenn diese besonders fundiert, plausibel und anschaulich ausgearbeitet waren.

Dieses Vorgehen hat eine Verankerung zur Folge, da eine bereits bestehende erste Analyse die Richtung für alle weiteren Analysen vorgibt. Wenn der Anleger dann, auf der Suche nach Informationen, mehrere für ihn unabhängig erscheinende Analysen betrachtet, die aber aufgrund obiger Darlegung eine einheitliche Tendenz aufweisen, wird er fälschlicherweise auf eine hohe Prognoseverläßlichkeit schließen. (vgl. Schachter et. al. 1986, S. 240 f.)

Die Verankerungsheuristik kann also dazu führen, daß an einer besonders plausiblen These bzw. Meinung festgehalten wird, weil diese ursprünglich überzeugt hat, auch wenn sich inzwischen die Umstände geändert haben. Dies hat eine Unterreaktion im Marktgeschehen zur Folge, weil sich die überwiegende Anzahl der Marktteilnehmer danach verhält und tendenziell in Bezug auf Kursprognosen zu wenig von dem aktuellen Kurs abgewichen wird.

2.2.4. Schematisches Denken aufgrund der Repräsentativitätsheuristik

Nach Kahneman/ Tversky (1983) unterliegen Menschen insbesondere auch einer dritten Vereinfachung in der Verarbeitung von Informationen, die weniger mit einer Über- oder Unterreaktion zu tun hat, sondern vielmehr zu einer verzerrten oder sogar falschen Interpretation einer bestimmten Information führt. Sie wenden die sogenannte Repräsentativitätsheuristik an, d. h. sie denken und urteilen sehr gerne in bestimmten Denkmustern bzw. Schemata. (vgl. Kahnemann/ Tversky 1983, S.296 f.)

Hierbei wird der Wahrheitsgehalt eines bestimmten Sachverhalts schnell zu hoch eingeschätzt, wenn dieser gut in ein vorhandenes bzw. verfügbares Schema paßt. Charakteristisch ist auch, daß das Schema selbst und wie es sich gebildet hat, nicht mehr hinterfragt wird.

Und wenn sich im nachhinein noch (zufällige) Bestätigungen ergeben, verfestigt sich das Schema, unabhängig davon, ob es tatsächlich zutrifft oder nicht. Beispielsweise kann bzw. konnte es als verbreitetes Denkmuster angesehen werden, daß Aktien die am Neuen Markt oder am Nasdaq notiert sind, eine ausgezeichnete Kursperformance bieten. (vgl. De Bondt/Thaler 1995, S. 402)

Als der Neue Markt im März 1997 ins Leben gerufen wurde, bildete und bestätigte sich dieses Schema insbesondere durch den Effekt, daß eine hohe Liquidität auf einen engen Markt traf, dessen Unternehmen eine hohe Aufmerksamkeit (siehe Verfügbarkeit) in der Öffentlichkeit genossen. Durch positive Kursverläufe innerhalb der nächsten Jahre, hatte sich bei einer Vielzahl von Anlegern bis zum Frühjahr 1999 das Schema „Neuer Markt = Hohe Kursgewinne" gebildet und manifestiert, da auch die meisten medialen Berichterstattungen, aber auch alle übrigen Informationsquellen (s. 3.3.4.) dieses Schema argumentativ aufgriffen, damit die Verfügbarkeit steigerten und somit zu einer Verfestigung beitrugen. Daß sich hierbei für einige Unternehmen zum Teil deutliche Kursübertreibungen ergeben hatten, ist in diesem Fall eine Folge der verzerrten Informationsverarbeitung.

Selbst wenn ein Unternehmen am Neuen Markt notiert ist und somit in dieses Schema paßt, muß es jedoch noch lange nicht so profitabel sein, wie einige tatsächlich ausgezeichnete Wachstumswerte. Die sich insbesondere in diesem Jahr vollziehende Trennung der "Spreu vom Weizen" im Neuen Markt und der inzwischen erfolgte Zusammenbruch der zuvor favorisierten Aktienwerte (z.B. Technologieaktien) sind nichts anderes als die Erkenntnis der Mehrheit der Marktteilnehmer, daß das obige Schema in dieser Form inzwischen keine Gültigkeit mehr besitzt. Stattdessen existiert nun ein neues Schema, nämlich das der zu „teuren“ Aktienwerte im Sinne einer Überbewertung.

2.3. Massenpsychologische Faktoren

Der amerikanische Soziologe Michael Klausner (1984) meint zur Funktionsweise spekulativer Märkte:

„The behavior of financial markets is very much a social phenomenon. People´s decisions to buy, hold or sell securities are greatly influenced by what others are saying or doing.“ (vgl. Klausner 1984, S. 57)

Darin kommt zum Ausdruck, daß die Marktteilnehmer ihre Anlageentscheidungen nicht isoliert in einem intellektuell-rationalen Vakuum, sondern innerhalb eines komplexen Geflechts emotionaler und sozio-dynamischer Einflußfaktoren treffen.

Nach Aschinger (1995) werden dementsprechend spekulative Phasen, also Hausse- und Baissephasen, oft durch professionelle Berufsspekulanten bzw. „Experten“ eingeleitet, die mit ihrem Verhalten „Mitläuferspekulanten“ anziehen, also weniger informierte, erfahrene und sachkundige Marktteilnehmer, wobei die spezifischen Erwartungen der Marktteilnehmer durch Manipulationen und Täuschungen der Berufsspekulanten verstärkt werden können im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiungserwartung. (vgl. Aschinger 1995, S. 43)

Voraussetzung hierfür ist jedoch zunächst, daß sich die einen „Experten“ gegenüber anderen, die die Gegenmeinung repräsentieren, im Vorfeld durchgesetzt haben.

„Zu diesem Zweck erfolgt der Meinungsaustausch in Wort, Schrift und via Preissignalen. Dieser Mechanismus fördert die Entstehung von Parteien an den Börsen...Es sind die Parteien der Hausse und jene der Baisse, die sich spontan und meistens chaotisch bilden und um den Zuwachs bei der jeweils anderen Partei, vor allem aber bei den Zaungästen werben, um der jeweils eigenen Vision der Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen...Die Partei gewinnt, die sich in Bewegung halten kann. Ihr Erfolg überzeugt und trägt zu ihrem Wachstum bei. Die Zugehörigkeit zu einer sich artikulierenden, wachsenden Partei lindert den mit der ständigen Ungewißheit verbundenen Leidensdruck.“ (Cortes 2000, S. 71)

Analog zur Massenbewegung an der Börse beinhaltet ein kompletter Zyklus der Parteibildung Wachstum, Stagnation und Zerfall der Partei.

Charakteristisch für das Wachstum ist das Phänomen der psychologischen Ansteckung.

Nach Trenner (1988) ist darunter sowohl eine Meinungs-, als auch eine Handlungsansteckung zu verstehen, wobei man bei der Meinungsansteckung die Meinungselemente anderer erfährt und übernimmt. Diese Elemente beziehen sich auf Erwartungen, die das Marktgeschehen bzw. einzelne Wertpapiere betreffen und aufgrund von Plausibilität bzw. einer gedanklich hinreichend nachvollziehbaren Argumentation bei den so „meinungsangesteckten“ Personen und Gruppen zu Handlungen führt, also entsprechenden Käufen bzw. Verkäufen, was wiederum eine verstärkende Wirkung auf die Kurstendenz zur Folge hat.

In Folge dieser Handlungsansteckung kommt es nämlich zu auffallenden Kurs/Umsatz-Veränderungen, die dann in den jeweiligen Charts sichtbar werden, somit für weiteren „Gesprächsstoff“ sorgen und weitere Marktteilnehmer eine gleichgerichtete Position einnehmen lassen. (vgl. Trenner 1988, S. 204)

Die Ansteckung vollzieht sich dabei also nicht nur in einer Richtung, sondern wechselseitig:

„Das Handeln von A beeinflußt nicht nur das Handeln von B, C und D, sondern das Handeln von B wirkt auf das von C und D und auf das von A, wobei sich weitere wechselseitige Beeinflussungen und Wirkungen (auch in der „Meinungsbildung“ und Stimmungslage) ergeben können. Dies bedeutet nun nichts anderes, als daß eine Bewegung sich selbst zu verstärken vermag, was für den Aktienmarkt in besonderem Maße gilt (in einer Aufwärtsbewegung unter Umständen vermehrt Aktienkäufe auf Kredit). Ansteckungseffekte sind also trendverlängernde Faktoren." (Trenner 1988, S. 204)

Dieser Prozeß kann soweit gehen, daß pessimistisch gestimmte Anleger kaum noch auszumachen sind und ein zunächst verhaltener Optimismus sich zu einer regelrechten Euphorie steigert.

Im Sinne der oben erwähnten Verankerungsheuristik kann beispielsweise, im Rahmen einer laufenden Hausse, ein von bestimmten „Meinungsführern“ propagiertes Ziel dazu führen, daß „in einer zunehmend aufgeheizten Marktstimmung eine Anlegermasse für sachliche Argumente nicht mehr zugänglich ist, da sie sich in das angestrebte Indexziel regelrecht verbissen hat.“ (Buskamp 1999, S. 26)

Gustave LeBon (1911) umschrieb in seinem Standardwerk zur Massenpsychologie die Hauptmerkmale des Einzelnen in der Masse wie folgt:

„Schwinden der bewußten Persönlichkeit, Vorherrschaft des unbewußten Wesens, Leitung der Gedanken und Gefühle durch Beeinflussung und Übertragung in der gleichen Richtung, Neigung zur unverzüglichen Verwirklichung der eingeflößten Ideen. Der Einzelne ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb sein Wille nicht mehr in der Gewalt hat.“ (LeBon 1911, S. 17)

Leicht kommen deshalb auch immer mehr Neulinge an den Markt, es entsteht eine sogenannte Dienstmädchenhausse. Dies bedeutet, an der Spitze der Aufwärtsbewegung sind gerade noch diejenigen Marktteilnehmer eingestiegen, welche die geringste Erfahrung und Kompetenz besitzen. In der Euphorie am Neuen Markt konnte genau dies beobachtet werden.

Die im Jahr 2000 im Vergleich zum Vorjahr um 5,6% auf 11,828 Millionen gestiegene Anzahl von Aktionären (im Alter von über 14 Jahre) und die Berichterstattung in populären Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen zeigt deutlich, wie viel unerfahrene Investoren am Markt neu tätig sein mußten, wobei sich insbesondere zwischen dem 1. Halbjahr 2000 (mit 17,7% am Anteil der Gesamtbevölkerung) und dem 2. Halbjahr (19,3%) eine Differenz von 1,6% zu Gunsten der zweiten Jahreshälfte ergeben hatte, was einer Gesamtzahl von knapp über einer Million Anleger mehr entsprach. (vgl. DAI - Deutsches Aktieninstitut 2001)

Wenn sich am Höhepunkt der Aufwärtsbewegung nun keine zusätzlichen Käufer mehr finden, kommt es in Folge dessen zu einer Stagnation mit einem daran anschließenden Einbruch und Zerfall des Kursniveaus. Solche Übergangsphasen sind dann der Grund für sogenannte Seitwärtsbewegungen bzw. „Schaukelbörsen“, in denen per saldo nur der Trader, nicht aber der trend- bzw. langfristig orientierte Investor Geld verdienen kann.

Nach Cortes (2000) kündigt sich eine Übergangsphase und damit Veränderung des bis dahin bestimmenden Trends, durch besonders hohe Volatilitäten (Kursschwankungen) an:

„Damit kommt die Schwierigkeit der Marktteilnehmer zum Ausdruck, die ökonomischen Impulse mit ihren bisherigen Visionen zu koordinieren. In solchen Situationen stagniert das Wachstum der bis zu dieser Phase tonangebenden Partei, die Gegenpartei erhält die erste Chance, sich zu erklären, dadurch zu überzeugen, zu wachsen, und damit Gewinne für ihre Anhänger zu kreieren.“ (Cortes 2000, S. 77)

Die gesteigerte Volatilität weist also auf Unsicherheiten und Instabilitäten hin, da die Marktteilnehmer nun sowohl auf positive, als auch auf negative Meldungen reagieren, wobei die Mehrzahl keine klare Meinung über den weiteren Verlauf des Börsengeschehens hat, dadurch die Kommunikation mit anderen sucht und dementsprechend leicht durch neue Informationen beeinflußt wird im Sinne einer hohen Nachrichtensensitivität.

Dieser Aspekt führt zur Betrachtung der Kommunikation selbst, denn

„Kommunikation ist die Weitergabe bzw. der Austausch von Daten und von Information, letzteres, wenn damit ein Wissenszuwachs verbunden ist.“ (Schucan 1999, S. 34)

[...]

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Zur Rhetorik börsenbezogener Stellungnahmen - Eine psycholinguistische Untersuchung des Wirkungsgeschehens
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Phonetik und Sprachliche Kommunikation)
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
106
Katalognummer
V10630
ISBN (eBook)
9783638170017
ISBN (Buch)
9783638698016
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Börse, Rhetorik, Finanzwesen, Behavioral Finance, Kommunikationspsychologie, Wirtschaft, Psychologie
Arbeit zitieren
Vitus Forchheimer (Autor:in), 2001, Zur Rhetorik börsenbezogener Stellungnahmen - Eine psycholinguistische Untersuchung des Wirkungsgeschehens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10630

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