'What are you rebelling against?' "What've you got?' Jugendkultur und Rebellion in den Fünfziger Jahren in Deutschland


Dossier / Travail, 2002

19 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Zur Lage der Jugendlichen in Deutschland A. Alltag von Kindern und Jugendlichen nach dem Krieg
B. Die Zeiten ändern sich: Das Wirtschaftswunder

III. Jugendlich und deutsch in den Fünfzigern
A. Die Nachkriegskinder und Amerika
B. Was ist ein Halbstarker?
Exkurs: Halbstarke M ä dchen?
C. Krawalle und Rebellion

IV. Schlusswort

V. Literatur

VI. Grafik

I. Einleitung

Wenn ein Teenager im Jahre 2002 in einem amerikanischen Video einen Star sieht, der einen ganz besonderen Hut, Gürtel oder Haarschnitt trägt, dann geht dieser Teenager in der nächsten H&M respektive zum nächsten Friseur und besorgt sich eben dieses Accessoire oder die gerade total angesagte Frisur. Läuft er dann so ausgestattet durch die Stadt, wird es wohl keinem älteren Menschen einfallen, den jetzt so ,modischen' Teenager als kriminellen ,Halbstarken' zu bezeichnen.

Warum aber wurden die Teenager, die in den 50er Jahren in Deutschland jugendlich waren und die - wie heute - Amerikas Trends kopierten zu ,Halbstarken'? Wie und warum kam es zu den berühmten ,Halbstarken-Rebellionen'?

Diesen Fragen möchte ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen.

Zu den Begriffen ,Halbstarker' und ,Teenager' werde ich später kommen. Hier soll kurz der Begriff ,Jugendlicher' erörtert werden. In der Literatur wird als ,jugendlich'

,,[...] die Spanne der Entwicklung [bezeichnet], in der die Menschen einerseits nicht mehr als Kinder behandelt werden noch sich auch als solche erleben - und andererseits noch nicht als Erwachsene gelten [...] in einem etwas gro ß z ü gigen Sinne zwischen dem 14. und dem 25. Lebensjahr." 1

Diese Definition möchte ich für meine Arbeit übernehmen.

In der vorliegenden Ausarbeitung wird es nur um die jugendliche Gruppe der Halbstarken und Teenager gehen. Einen weiten Bogen zu den Jazzfans, den jugendlichen Existentialisten und darüber hinaus zu den nicht auffälligen bürgerlichen Jugendlichen zu schlagen, würde wohl den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Im Voraus festzustellen ist, dass es nur eine kleine Gruppe Jugendlicher war, die man explizit zu den Halbstarken rechnen darf. Die Tatsache, dass man die Halbstarken heute fest mit den 50er Jahren verbindet und meist in einem Atemzug nennt, sollte nicht davon ablenken, dass viele Jugendliche in den Fünfzigern auch ganz andere, völlig abweichende Lebensstile lebten.

Um mich den Halbstarken zu nähern, werde ich mich zunächst mit der materiellen und moralischen Umgebung der Jugendlichen nach dem Krieg beschäftigen. Die bearbeiteten Zeiträume sind dabei einmal die Zeit kurz nach der Niederlage und zum zweiten die Zeit des Wirtschaftswunders. Ich werde versuchen, die krassen Unterschiede der Lebensführung und die damit entstehenden Probleme aufzeigen, denen die Jugendlichen in nur einem Jahrzehnt ausgesetzt waren.

Im zweiten Teil meiner Arbeit geht es dann um den Halbstarken selbst. Was machte in den Fünfzigern einen Halbstarken aus? Wie verhielt er sich? Was bedeutete Amerikanisierung für Jugendliche überhaupt? Waren Halbstarke in jedem Fall männlich oder gab es auch Mädchen, die zu den Halbstarken gezählt wurden? Diese Frage möchte ich in einem kurzen Exkurs klären, da auch die Literatur, wenn von Halbstarken die Rede ist, nur die männliche Jugend meint.

Im letzten Teil meiner Arbeit wende ich mich der Frage zu, ob die Krawalle der Halbstarken in den Fünfzigern wirklich eine so große Bedeutung hatten, wie sie ihnen allgemein beigemessen wird.

Die Quellenlage zum behandelten Thema ist sehr gut. Es gibt viele Zeitzeugen-Interviews, die unter anderem von Kaspar Maase in seinem Buch ,BRAVO Amerika' vielseitig kommentiert sind.

Außerdem liefert die Lektüre von Thomas Grotums ,,Die Halbstarken" einen erschöpfenden Überblick über die hier bearbeitete Jugendkultur. Ein großer Sammelband von den Herausgebern Axel Schildt und Arnold Sywottek mit dem Titel ,,Modernisierung im Wiederaufbau" gibt einen sehr guten Überblick über die im Untertitel angesprochene ,,Westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre" mit vielen ihrer besonderen Facetten.

Am Schluss dieser Einleitung möchte ich Thomas Grotum zitieren und zustimmen. Er schreibt zum Thema ,Halbstarke':

,,Die hier aufgeworfenen Fragen nach sozio- ö konomischen, politischen und kulturellen Entwicklungen in der Nachkriegszeit auf einigen wenigen Seiten ersch ö pfend darstellen zu wollen, w ä re wohl vermessen - besonders da es zu den [...] Komplexen zwar einige Abhandlungen gibt, empirisch abgesicherte Erkenntnisse aber noch nicht vorliegen." 2

II. Die Lage der Jugendlichen in Deutschland nach dem Krieg

A. Alltag von Kindern und Jugendlichen nach dem Krieg

Die Lage fast aller Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland wird in mehreren Studien als schlecht oder schlicht ,,katastrophal" bezeichnet3. So zählt der Soziologe Karl Kurz in einer Analyse der Lebensverhältnisse von 50 000 Schülern in Bremen unter anderem auf, dass jedes dritte Kind aus einer ausgebombten Familie ist, dass jeder 5. Bis 6. Schüler in einer ,,Notwohnung" lebt (42%) und dass jeder dritte Schüler sein Bett teilen muss.4 Nach einer repräsentativen EMNID-Umfrage von 19555 konnten sich mehr als die Hälfte alle Jugendlichen bis dahin nicht in ein eigenes Zimmer zurückziehen, sondern teilten es mit Geschwistern oder sogar den Eltern.6

Viele Schulkinder bekamen mit Ausnahme der von den Amerikanern7 eingeführten Schulspeisung keine warme Mahlzeit.8

Zu allem, was den Jugendlichen materiell fehlte, gesellte sich außerdem das Fehlen der Väter, die im Krieg gefallen waren.9 Nachkriegskinder erlebten keine Kindheit im heute gültigen Sinne, sondern mussten diese überspringen: Sie waren jetzt diejenigen, die maßgeblich an der Existenzsicherung der Familie beteilig waren.10

Viele Soziologen sind sich einig, dass die Familie die einzig übrig gebliebene Institution in Deutschland nach dem Krieg gewesen ist.11 Nahezu alle Probleme der Zeit wurden nicht in der Schule oder in der Kirche, sondern innerhalb der Familien aufgearbeitet.12 Diese Tatsache gilt jedoch nur kurz nach dem Krieg.

Ab der Mitte der 50er Jahre wurde die besondere Bedeutung des Familienverbandes nivelliert, wie zu zeigen sein wird.

Wie lange noch war die Familie die allein intakte Institution13 in Deutschland oder blieb sie es tatsächlich bis heute?

Der Entwicklung der Jugendlichen auf dem Weg ,,weg von der Familie" förderlich war bestimmt die relative Auf-sich-selbst-Gestelltheit. Sie spielten in den Trümmern der Großstädte ohne Aufsicht14, besorgten auf dem Schwarzmarkt Essbares und lebten insgesamt ein für Kinder sehr raues Leben.

Viele Erwachsene waren sogar von ihren Kindern abhängig. Die Fürsorgepflicht hatte die Seite gewechselt. Nicht die Erwachsenen waren für die Kinder da, sondern umgekehrt.15

Zwei Entwicklungen, zum einen der Anstieg der Jugendlichen in der Bevölkerung insgesamt und zum anderen die höchste Arbeitslosenquote seit Jahren16 führte zu einer immensen Jugend-Arbeitslosigkeit17 in den frühen Fünfzigern, die mit der schlechten Versorgung wohl unter anderem als Vorraussetzung für das Zustandekommen der rebellischen Jugend in der Mitte der Fünfziger genannt werden kann.

B. Die Zeiten ändern sich: Das Wirtschaftswunder

In der Mitte der fünfziger Jahre änderte sich das Leben in Deutschland fast über Nacht.18 Plötzlich wurden nicht nur für die Angehörigen der Mittelschicht, sondern auch für die Mitglieder der Arbeiterklasse eine Vielzahl von Dienstleistungen und vor allem von (Luxus)Produkten erschwinglich und zugänglich gemacht.19

Als Beispiel kann man hier die Modeentwicklung nennen. Kurz nach dem Krieg gab es vor allem für die Jüngeren keine neue Kleidung. Jacken, Hosen und Schuhe wurden immer wieder umgearbeitet und von den älteren an die jüngeren Geschwister weitergereicht. Mode gab es im heutigen Sinne nicht.

Nun kam auch für die ,jungen Leute' erschwingliche Konfektionsware ins Angebot.

Dadurch ergab sich für die Heranwachsenden die Möglichkeit, durch eigene Kleidersprache20

- eben eigene Mode - eine klare Grenze zu jüngeren Kindern und vor allem zu den

Erwachsenen zu ziehen.21 Als wichtigstes Kleidungsstück galt dabei die Jeans oder Nietenhose, das Kleidungsstück der amerikanischen Baumwollpflücker, das über den Rock'n'Roll über Hamburg nach Deutschland gekommen war22 und sich sofort durchsetzte. Diese Jeans waren

,,[...] Ausdruck des Protests gegen das Establishment. Diese Hose stellt die

Werte der Mittelklasse in Frage. Sie bedeutet soziologisch gesprochen Abkehr von den Werten des Mittelstands und Protest gegen den Verlust der Individualit ä t, den der technische Fortschritt mit sich bringt." 23

Die Erwachsenen, noch an die durchaus akzeptierte Lederhose gewöhnt, lehnten diesen Kleidungsstil ab. Mit den Nietenhosen begann für sie das ,Ausscheren'24 der Kinder aus der Familie.25

Mode war aber nur ein Teil dieser Abgrenzung, sie erweiterte sich jedoch schnell um weitere Facetten des täglichen Lebens. Die Jugendlichen schauten andere Filme als die Erwachsenen, nämlich Hollywood-Streifen, sie hörten andere Musik, nämlich Rock'n'Roll (keine Schlager!) und orientierten sich stark an der Populärkultur Amerikas, die in den Augen der meisten älteren Deutschen nur vulgär und zu verachten war.

Die Überwindung der ,,Proletarität"26 vollzog sich für den Mittelstand in der Mitte der Fünfziger Jahre.27 Das Lebensniveau des relativen Wohlstands vor dem Krieg war wieder erreicht. Arbeiterfamilien konnten sich von einem viel größeren Teil ihres Lohnes Dienstleistungen, Konsum- und Luxusgüter leisten.

Der Teil, der für die Existenzsicherung28 aufgebracht werden musste verkleinerte sich zunehmend. Doch währen die Erwachsenen sich eine ,Neue Welt'29 aufbauten, verließen die Jugendlichen eben diese, um in ihrer eigenen Welt zu leben. Und das barg einiges an Konfliktpotential.

Nach Zinnecker kam es jetzt zu einem Bündnis zwischen Kultur- und Freizeitgüterindustrie und den Jugendlichen, die nämlich nicht politisch oppositionell sein wollten, sondern ihre Ablehnung gegen ,,alles Verkrampfte, Autoritäre und Spießige"30 im Lebensstil der Älteren eben durch die Anlehnung an den ,American Way of Life' demonstrierten.31

Im vorangegangenen Kapitel wurde kurz auf die immense Jugendarbeitslosigkeit eingegangen, diese wurde in der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre halbiert, gegen 1955 überstieg Anzahl der Lehrstellen sogar die der Nachfrage. Die Jugendlichen verfügten am Einkommen ihrer Familien gemessen über relativ viel Geld.32

Die Summe betrug im Wochendurchschnitt etwa 15 DM, wovon allein Kino, Tanz, Rauchen, Bücher, Zeitschriften, etc. bezahlt werden konnten. Den Jugendlichen standen vom finanziellen Gesichtspunkt alle gängigen Freizeitbeschäftigungen offen.33 Außerdem etablierte sich der freie Samstag34 und es kam zu einer Arbeitszeitverkürzung innerhalb der Woche.

Es war also vor allem bei den etwas älteren, unverheirateten Jugendlichen, die über 20 Jahre alt waren, genug Geld vorhanden, um eine Vorreiterrolle bei der ,,Ausprägung eines vergnügungsorientierten Freizeitstils"35 zu übernehmen. Diese Jugendlichen entstammten vornehmlich der Arbeiterklasse. Mittelschichtkinder besuchten meist weiterführende Schulen und waren eher auf Taschengelder und kleinere Nebenjobs angewiesen. Sie übernahmen den Habitus der Arbeiterjugendlichen gleichwohl schnell.36

Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsteilen hatten die Jugendlichen die größten Chancen einen eigenen Freizeitstil herauszubilden. Dieser wurde durch die beengten Wohnverhältnisse und die Spannungen zu Hause nach draußen - in die Öffentlichkeit - getragen.37

Das Kino spielte dabei eine große Rolle.38 Im Gegensatz zum Familien-Fernsehen zu Hause, waren die Jugendlichen hier unbeobachtet und frei. Als Treffpunkt mit Gleichaltrigen und als Ausgangspunkt für abendliche Unternehmungen stand es in Umfragen an erster Stelle.39

Neben dem Kino als Treffpunkt gab es noch einen weiteren Anziehungspunkt für die Jugendlichen: Die Jukebox. Auch der Ort an dem die Wurlitzer oder die Rock-Ola spielte war eine Stätte außerhalb des familiären Einflusses.

Hier wurde das andere Geschlecht getroffen, getanzt und dem musikalischen Idol gehuldigt. In den USA wurde die Jukebox zum Symbol dessen, was dort ,Teenage-Independence' genannt wurde.40

In Deutschland war das ganz ähnlich.41 Hier wurde sie zum Symbol der Halbstarken-Kultur. III. Jugendlich und deutsch in den Fünfzigern

A. Die Nachkriegskinder und Amerika

Bomben, Flucht, Angst und Tod. Die Kinder, die in den Fünfzigern jugendlich waren, hatten mit anderen ersten Erlebnissen zu leben, als andere. Es war eine Jugend, ,die unter schwersten psychischen und körperlichen Belastungen' heranwuchs und eine normale Kindheit nicht kannte.42

Viele Jugendliche hatten die NS-Zeit als Kinder bewusst oder unbewusst wahrgenommen. Die Niederlage Deutschlands war für die meisten von ihnen ein traumatisches Schlüsselerlebnis.43

Für diese Kinder waren die ersten positiven Erlebnisse ihrer Kindheit der Einmarsch der amerikanischen Truppen und der Kontakt zu den amerikanischen GIs.44 Besonders die 5 bis 8jährigen45 verbanden fast ausschließlich angenehme Erfahrungen mit der Besatzung. Vor allem die Süßigkeiten, die die Amerikaner verteilten, blieben im Gedächtnis:

,,Es war das erste St ü ck Schokolade meines Lebens, es waren die ersten

Ausl ä nder, an die ich mich erinnere, und es waren Menschen, die ich, obwohl sie mir immer unbekannt bleiben werden, nicht vergessen werde. [...] so blieb auch ein Gef ü hl der Dankbarkeit mit Amerika und den Amerikanern verbunden." 46

Im amerikanischen Sektor wurden die Jugendlichen durch amerikanische Programme gefördert. Im Rahmen des offiziellen Army Assistance Program to German Youth Activities (GYA)47 wurden Sport- und Freizeitaktivitäten von Fußball über amerikanische Sportarten wie Baseball bis hin zu verschiedensten Tanzkursen angeboten.48

Über das ,,Youth Helps Youth" wurden Brieffreundschaften deutscher Kinder zu amerikanischen Jugendlichen vermittelt. Schon in dieser eigentlich schweren Zeit müssen die Amerikaner und damit Amerika für die einige deutsche Kinder Vorbildcharakter gehabt haben. Diese Kinder haben das nicht vergessen. Ihr Amerikabild war positiv gefestigt.49

Als sie in den Fünfzigern dann Jugendliche waren, müssen einige dieser positiven Erinnerungen übrig geblieben sein. Amerika hatte es leicht, in den Köpfen der Jugendlichen zu einer ,Leitkultur' zu werden.

Mit dem Durchbruch von Elvis Presleys ,Heartbreak Hotel' an die Spitze der Charts kam auch der Durchbruch des Rock'n'Roll bei den weißen Teens und Twens in den USA. Das war im Frühjahr 1956. Der Durchbruch ließ auch in Deutschland nicht lange auf sich warten. Schon in Amerika wurde der Rock'n'Roll durch Hollywoodfilme50 fast immer in Verbindung mit Rebellion genannt.51

Auch das war in Deutschland nicht anders.52 Diese neue Musik, eine Vermischung von White Trash und schwarzem Rhythm&Blues53 widerte die Erwachsenen an54 und machte sie dadurch natürlich noch viel attraktiver. Der amerikanische Rock'n'Roll mit seinen Idolen Elvis Presley, Bill Haley und James Dean55 wurde neben der oben angesprochenen amerikanischen Mode zu einem zweiten großen Abgrenzungswerkzeug der Jugendlichen.56

,,[...] gerade die neue Musik dr ü ckte den jugendlichen Wunsch nach mehr Lockerheit und Freiheit am nachdr ü cklichsten aus und wurde entsprechend von der Elterngeneration als symbolische Kampfansage aufgefasst." 57

Festgehalten werden sollte hier auch, dass längst nicht alle Jugendlichen, die an Rock'n'Roll oder Jazz Gefallen fanden, zu den Halbstarken gezählt werden dürfen. Viele Jugendliche ,fanden zwar die Musik gut'58, distanzierten sich jedoch von den Halbstarken und deren Veranstaltungen (Kino, Tanz, Motorrad fahren).59

In der EMNID-Erhebung über deutsche Jugendliche aus dem Jahr 1955 stellte der Autor Rolf Fröhner befriedigt fest, dass amerikanische Tänze wie der Boogie Woogie60 und der Jitterburg bei den deutschen Jugendlichen nicht sehr beliebt waren.61

Die Affinität der Jugendlichen zu Amerika wurde jedoch in einer anderen Frage sichtbar. Beim Punkt ,,Aufgeschlossenheit gegenüber dem Ausland" nannten 37% der Jugendlichen die USA als das Land, von dem Deutschland lernen könne. In den Grosstädten und vor allem in Berlin überwog die Nennung Amerika sogar noch stärker.62 Kulturelle Dinge waren das am häufigsten genannte Feld, auf dem Deutschland etwas zu lernen habe. In den 50er Jahren lernten aber vor allem die Jugendlichen Deutschlands von Amerika.

Der Rock'n'Roll und seine anzüglichen Tanzbewegungen waren ein Angriff auf eines der größten Tabus der 50er Jahre: Die Sexualität.63 Vielleicht kann man sich so auch die sehr geringen Prozentzahlen für die amerikanischen Tänze erklären: Die EMNID-Umfrage wurde zwar anonym durchgeführt, jedoch als Interview. Würde heute ein 16jähriger Jugendlicher in einem persönlichen Gespräch mit einem ihm unbekannten Erwachsenen zugeben, dass er häufig Geschlechtsverkehr hat? Eher nicht.64 Deshalb sind die Ergebenisse der Studie in Frage zu stellen, zumindest, was die ,unangenehmen' Fragen angeht.

Insgesamt kann man die Entwicklung des amerikanisierten, deutschen Jugendlichen einordnen in den ,Informalisationsprozess', der nach dem Krieg in Deutschland ablief. So versteht Maase die Amerikanisierung in Deutschland als eine Informalisierung von Verhaltensstandards. Dabei handelt es sich um

,,l ä ngerdauernde, scharfe Auseinandersetzungen, in denen unzivilisierte,

vulg ä re, unversch ä mte, unmoralische Verhaltensweisen ö ffentlich eingef ü hrt, nach einiger Zeit von den Normautorit ä ten geduldet und schlie ß lich teilweise aufgenommen werden." 65

Hinzu kam die bei Maase ausführlich beschriebene Vulgarisierung66 der Gesellschaft und damit die Entwicklung der Kultur einzelner zur sogenannten Massenkultur67. Amerikanische, vormals als vulgär eingestufte Verhaltensweisen wurden nach und nach politisch korrekt. Als Beispiel soll hier das ,Sich-selbst-vorstellen'' bei einem gesellschaftlichen Ereignis reichen.

Diese Art des Auftretens war gesellschaftlich verpönt, wurde jedoch von den Amerikanern eingeführt und hält sich bis heute. Viele dieser als vulgär angesehenen Verhaltensweisen wurden nach und nach politisch korrekt. Maßstab ihrer erlangten Legitimität war der kommerzielle Massenerfolg.68

Nicht anderes ist mit vielen Facetten des Halbstarkenlebensstils Laufe der 50er Jahre geschehen. Diesen Vorgang bezeichnet Maase als ,,Amerikanisierung von unten", wobei dieser Begriff die Amerikanisierung als eine vom Proletariat ausgehende Entwicklung generalisiert. Korrekter müsste man von einer ,Amerikanisierung aus verschiedenen Richtungen' sprechen. Dabei könnte man dann die verschiedenen Altersgruppen und Herkunftsschichten unterscheiden. Für die Darstellung einer solchen Entwicklung wäre eine Matrix vorteilhafter.69

Eine zweite Sicht der Amerikanisierung vertritt Thomas Grotum. Er geht von ,,zwei voneina nder zu unterscheidenden Linien" der Amerikanisierung der Kultur aus. Dabei stehen sich zwei Strömungen gegenüber: Zum einen die von der US-Mittelschicht bevorzugten Mainstream-Unterhaltung mit familienfreundlichen Filmen und Musik, die auch in Deutschland auf breite Zustimmung traf und zum anderen von der vulgären Amerikanisierung, die vom weißen Proletariat und ethnischen Minderheiten der USA ausging. Diese Linie wurde von den jugendlichen Deutschen ab der Mitte der Fünfziger Jahre begeistert aufgenommen.70

B. Was ist ein Halbstarker?

Den Typus des ,Halbstarken' zu beschreiben ist schwierig. Auf der einen Seite war der Begriff ,Halbstarker' ab der Mitte der Fünfziger Jahre sehr weit verbreitet und wurde von vielen Erwachsenen für alle Teenager benutzt, die in irgendeiner Weise auffällig waren. Das heißt: Hatte ein Jugendlicher eine ,Presley-Tolle' war klar: Das muss ein Halbstarker, ein Rebell sein.

Nimmt man das Bild eines sogenannten Halbstarken zur Hand, muss nicht mehr viel gesagt werden. Ein typischer Halbstarker trug eine Nietenhose und eine schwarze Lederjacke. Die Elvis-Tolle war mit Pomade sorgfältig frisiert und er hatte einen tragbaren Plattenspieler dabei.71 Außerdem hatte er wahrscheinlich schwarz-weiße Slipper an den Füssen. Vielleicht rauchte er in der Öffentlichkeit.

Einige Halbstarke verfügten auch über Mopeds oder Motorräder. Der Besitz allein machte jedoch einen Halbstarken nicht aus.72 Zu Hause waren diese Jugendlichen wie alle anderen auch. Erst nach dem Verlassen des Elternhauses wurde zum Kamm gegriffen, die Tolle geformt, ein Pferdeschwanz mit Pony gebunden und die unauffälligen Treter gegen schicke Stöckelschuhe getauscht.73

Die Körpersprache dieser Jugendlichen war betont lässig. Alle ruckartigen, eckigen oder steifen Bewegungen wurden vermieden.74 Das typisch ,,zackig-deutsche" und vor allem auch alles militärische wurde abgelehnt. Die Erwachsenen empfanden gegen diese Verweich- und Verweiblichung große Abneigung. Ein deutscher Junge hatte einen kurzen Fassonschnitt zu tragen und militärisch-männlich zu sein.

Das Wort ,Halbstarker' stammt aus dem 19. Jahrhundert und bezechnete Jugendliche aus dem proletarischen Milieu. Diese wurde gegen Ende des Jahrhunderts als Feind der bürgerlichen Ordnung gesehen. Weitere Adjektive, die sich mit ,halbstark' gleichsetzen lassen waren ,aufrührerisch' und ,zuchtlos'.

Ab 1955 wurden die Jugendlichen als ,Halbstarke' bezeichnet, die in der Öffentlichkeit sei es durch ihre Mode oder ihren Haarschnitt oder durch ihr allgemeines Verhalten aus dem Raster fielen. Schwierig ist die Unterscheidung von Halbstarken und Teenagern, da der Begriff in der Literatur häufig synonym verwendet wird. Teenager konnten Halbstarke sein und umgekehrt, wobei als Teenager meist der weniger (moralisch) verruchte und rebellische Jugendliche charakterisiert wurde.75

Exkurs: Halbstarke M ä dchen?

Wenn in der vorliegenden Arbeit von Jugendlichen und/oder Halbstarken gesprochen wird, sind damit männliche Jugendliche gemeint.

Mädchen fallen in der bearbeiteten Literatur selten stark ins Gewicht.76 Einige Exkurse77 zeigen jedoch auf, dass auch Mädchen ,halbstark' sein konnten.

Durch Erziehung und Tradition erlebten sie die Fünfziger Jahre eher in den eigenen vier Wänden78 als in der Öffentlichkeit.

Männliche Jugendliche trafen sich seit der Mitte der Fünfziger vermehrt in der Öffentlichkeit, auf der Strasse oder in Milchbars und Kneipen.

Für Mädchen war die Jugend in den Fünfzigern noch schwieriger. Überall wurde sich auf die traditionelle Rollenverteilung besonnen. Mädchen wurden zu ,guten Hausfrauen' erzogen und hatten oft keine Wahl zwischen Heirat und Herd oder einer Ausbildung.

Trotzdem war der größte Teil des BRAVO-Publikums weiblich. Mädchen schwärmten für Elvis Presley und James Dean und prägten so den Stil der Jungen, deren Rangordnung innerhalb der Cliquen sich aus dem Erfolg bei den Mädchen ergab. Teilweise gab es auch Mädchen, die in den Halbstarken-Cliquen eine Rolle spielte, wenngleich sie auch marginal war. Mädchen rangierten dort als ,Sozius-Miezen' oder ,Moped-Bräute79 '.

Trotzdem eroberten sich auch die Mädchen ihre eigenen Freiräume, sei es durch den

Rock'n'Roll oder durch ihre eigene amerikanisierte Mode. War die Elvis-Tolle der größte

Familien-Streitpunkt bei den Jungen, so war es bei den Mädchen die Frage, ob sie überhaupt Hosen tragen durften.

In der Volksschule und selbst noch auf der Handelsschule waren Hosen für Mädchen strikt verboten. Um die Mitte der Fünfziger wurde das Problem von den Mädchen selbst gelöst, indem sie trotz des Verbots die Hosen in der Schule einfach anzogen:

,,[...]Wir d ü rfen nicht, also erst recht. >>M ä dchen in Hosen, was soll denn das? Mannsweiber.<< Also klar: Wir zeigen's Euch. Blusen unter dem Busen geknotet [...] - aber dann Hosen!"

[...] also es war ,ne Erpressung sozusagen, die sich aber nicht irgendwie

lautstark oder so..., sondern das war einfach: Es wird so gemacht, und immer mehr und mehr...Und eines Tages redete niemand mehr von diesem Verbot." 80

Bei den Halbstarken-Krawallen gegen Ende der Fünfziger waren Mädchen so gut wie gar nicht beteiligt. Wenn, dann erlebten sie diese Ereignisse als zufällige Zuschauer - vor allem nach Veranstaltungen - mit.81 Trotz der geringen Rolle, die die jungen Mädchen im Halbstarken-Milieu spielten, nimmt man heute an, dass die Vorraussetzungen für die Emanzipationsbewegung in den folgenden Jahrzehnten schon in den Fünfzigern ihren Anfang nahm.82

C. Krawalle und Rebellion

Mit der Erklärung ,,das Blatt setze falsche Leitbilder" setzte das Sozialministerium von Rheinland-Pfalz die Jugendzeitschrift BRAVO 1959 auf den Index für jugendgefährdende Schriften und zeigte mit diesem Vorgang, wie es in Deutschland aussah. Die eine Seite - Teenager oder Halbstarke - kaufte die BRAVO, eben weil sie über Filmstars, Sänger und Tänzer aus Amerika berichtete.

Die andere Seite - Erwachsene, Erzieher und Lehrer - verdammte die BRAVO aus den gleichen Gründen. Texte in der BRAVO, wie die folgende Kolumne von Steffi zeigten, wie sich die Jugendlichen selbst sahen und wie sie ihre Aktionen verstanden wissen wollten:

,,Im ü brigen glaube ich, dass ein Jugend, die im wilden Jazzrausch einen Konzertsaal ruiniert [...] immer noch ges ü nder ist, als eine, die gegen ,politisch' Andersdenkende gewaltt ä tig vorgeht." 83

Das Rebellische in den Halbstarkencliquen hatte nichts politisches. Die politische Partizipation der Jugendlichen insgesamt war sehr gering.84

Es ging einfach darum, sich gegen die engstirnigen Konventionen der Erwachsenenwelt aufzulehnen. So erfolgten die in den Medien groß diskutierten Krawalle der Halbstarken auch nicht aus politischer Opposition, sondern nach Konzerten amerikanischer Rock'n'Roll-Stars oder Kinovorstellungen von sogenannten ,Halbstarken'-Filmen (s.o.).

,,Zu Berlins gr öß tem Halbstarkenkrawall artete heute nacht der Versuch des amerikanischen Massenaufpeitschers Bill Haley aus, auf dem Sportpalast- Podium eine Kostprobe seine Zuckungen, Schrei und Gitarrenschl ä ge darzubieten. Nach vierzig Minuten ging die Veranstaltung in einem unbeschreiblichen Get ö se unter. Mr. Haley und seine Veitstanz- Instrumentalisten flohen Hals ü ber Kopf zum B ü hnenausgang hinaus.

Ihnen nach folgte eine Horde von mehreren tausend ekstatischen Jugendlichen, die ganze Stuhlreihen niederrissen, das Podium st ü rmten, den Fl ü gel zerhackten und - wild schreiend und wild um sich schlagend - alles niederstampften, was ihnen entgegentrat. 85

Zwischen 1956 und 1958 wurden in Deutschland ungefähr 100 solcher Krawalle in 25 deutschen Großstädten gezählt.86 Die deutschen Medien bauschten die eher geringeren Ausschreitungen groß auf und in der Folge kam es zu großen Diskussionen über das ,Halbstarken-Problem'.87

Bei die sen Diskussionen ließen sich schnell zwei Standpunkte erkennen. Auf der einen Seiten standen die Konservativen88 wie Hans Heinrich Muchow, der davon ausging, das die Rebellionen aus der Verachtung der Halbstarken gegen die ,,liebenswürdig-humanen und nachgiebigen Erwachsenen" entstanden. Die eigentliche Ursache sah er in der Suche der Jugendlichen nach einem autoritären Vater.89

Die andere realistisch-deskriptive Sichtweise von Soziologen wie Curt Bondy und Helmut Schelsky beschrieb den neuen Lebensstil der Jugendlichen und vertrat die Ansicht, dass die Halbstarken und Teenager den Erwachsenen in der ,,sich eingliedernden Anpassung an die Strukturen der Modernität" weit überlegen seien.90

Eine Definition der Halbstarken-Krawalle lieferte Curt Bondy schon 1956:

,,St ö rung der ö ffentlichen Sicherheit und Ordnung, [...] die f ü nfzig oder mehr junge Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren (Jugendliche) verursachen, die keine geschlossene Gruppe bilden und in ihrem Verhalten kein bestimmtes Ziel durchsetzen wollen." 91

Zu den Krawallen kam es nicht nur in vielen deutschen Großstädten auch in ganz Europa.92 Viele Krawalle folgten in kurzen Zeitabständen aufeinander. Meist war es die Aufführung eines amerikanischen Films, die einen Krawall zur Folge hatte. Oft waren es auch Gerüchte über Polizeiaktionen, die zu großen Treffen von Jugendlichen auf öffentlichen Plätzen führten.

Nie verfolgten die Jugendlichen ein wirkliches Ziel. Es ging ihnen meist darum, die Polizei zu provozieren, um sie dann anzupöbeln. Bondy unterscheidet drei Arten von Krawallen:

- Den ,reinen Krawall', der sich entwickelte, ohne dass in der gleichen Stadt schon einmal ähnliches geschehen war.

- Den ,Folge-Krawall', der stattfand, wenn es an gleichem Ort schon einmal zu einem Krawall gekommen war und bei dem viele Schaulustige anwesend waren, um die jugendlichen Krawallmacher bei ih rem Tun zu beobachten.

- Und den ,Veranstaltungs-Krawall', der wie oben angedeutet nach Tanzveranstaltungen und Filmvorführungen spontan entstand.93

Die weitaus größte Gruppe der an den Krawallen beteiligten Jugendlichen stellten die ungelernten Arbeiter und Gesellen dar. Wie oben gezeigt, waren das auch die Jugendlichen die allgemein am häufigsten als Halbstarke in der Öffentlichkeit auftraten.

Zur Frage, ob es sich bei den Teilnehmern der Krawalle um kriminelle und straffällig gewordene Jugendliche handelte, hält Bondy nach der genauen Untersuchung von Gerichtsakten und Vernehmungsprotokollen festgenommener Jugendlicher fest, dass es sich ,,keineswegs um kriminelle oder verwahrloste Jugendliche gehandelt hat".94

Warum die Jugendlichen an den Krawallen teilnahmen, wussten sie meist selber nicht genau. Von Neugierde und Erlebnisdrang ist die Rede, von Provokation der Polizei und Wut auf die ältere Generation ,der man es zeigen wollte'.95

Abschließend kann man sagen, dass es sich bei den Krawallen meist um harmlose Zusammenkünfte vieler Jugendliche, nicht aber um gewalttätige Auseinandersetzungen handelte.96

Auch wenn die Krawalle in der Öffentlichkeit groß diskutiert wurden, wurde nach deren Abflauen Anfang der 60er Jahre der Lebensstil der Halbstarken nicht mehr als Gefahr gesehen, wie es die konservative Linie tat. Er wurde als jugendliche Teilkultur konsensfähig.

Als Elvis Presley 1959 seine Koteletten abrasierte und als braver Soldat zum Ehrendienst der US-Army antrat, war es auch in Deutschland mit der Rebellion der Halbstarken zu Ende.

Wie Maase schreibt, ,,stockte die Zufuhr an rebellischer Power aus den USA"97. Eine gemäßigte Jugendkultur folgte der Halbstarken-Zeit, der auch die meisten Arbeiterjugendlichen98 folgen mussten, da die konsumorientierte Kulturindustrie, der sie ja in der Rock'n'Roll-Zeit bereitwillig gefolgt waren, nun eine sanftere Linie verfolgte.

Halbstarke waren die Vorreiter der Jugendlichen, die sich erst noch orientieren mussten. Diese Jugendlichen kamen im Gegensatz zu den proletarischen Halbstarken meist aus dem aufsteigenden Arbeitermilieu oder aus der Mittelklasse und wollten das moralisch zweifelhafte, vulgäre und machistische der Rock'n'Roll-Kultur nicht übernehmen.99 Sie fanden im neueren Teenager-Stil à la Peter Kraus und Conny Froboess ihre Linie. Dieser neue Stil hatte nichts rebellisches oder sexuell anzügliches an sich.

Das ,,jugendkulturelle Aufbegehren in der Populärkultur [wurde] abgelöst von einer weichen Welle des Konformismus"100.

In einer gewissen Weise konnten sich die Teenager damit auch von der erwachsenen Lebenswelt absetzen und Grenzen ziehen, jedoch auf eine ziemlich weichgespülte Art.101

IV. Schlusswort

,,Das ,,Halbstarken" - Ph ä nomen auf die Krawalle beschr ä nken zu wollen, w ä re die sprichw ö rtliche Reduzierung des Eisberges auf seine Spitze." 102

Mit diesen Worten beschließt Kurt Bondy, wie ich finde sehr treffend, die Ausführungen zu den Krawallen. Seiner Schlussfolgerung möchte ich mich anschließen.

Die Halbstarken waren ein Phänomen der Fünfziger Jahre. Sie waren aber nicht das

Ph ä nomen. Mit ihrem Auftauchen um die Mitte der Fünfziger wurden sie von der Presse zu Mythen gemacht. Die Rede war von den rebellischen, randalierenden, vulgären Halbstarken, die den Willen hatten zu (zer-)stören.

Wie gezeigt wurde, war das in den meisten Fällen nicht der Fall. Sie wollten durch ihre Mode und ihre Musik, ihren Lebensstil insgesamt auffallen und sich von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Oft ging es ihnen auch darum zu provozieren, in einigen wenigen Fällen wurde auch Gewalt angewandt.

Wenn bedenkt, dass die Halbstarken nicht mehr als ein bis fünf Prozent aller Jugendlichen in den Fünfziger ausmachten, kann man erkennen, dass die Presse eine große Rolle bei der Entwicklung zum Mythos ,Halbstarker' gespielt haben muss.103

Zum ersten Mal in der Geschichte waren es Jugendliche, die medienträchtige Ereignisse inszenierten, die Presse nahm dies natürlich dankbar auf.104

Als der Rock'n'Roll nicht mehr neu war und gegen Ende der Fünfziger zunehmend seichter und von seinen anstößigen Tönen befreit wurde, verbreitete sich eine neuer Teenagertypus in Deutschland, der sich schnell verbreitete. Diese neue Gruppe bestand aus Mädchen, die sich zwar modisch, aber nicht anstößig, sondern adrett kleidete. Das Erscheinungsbild der Halbstarken verschwand aus der Öffentlichkeit und aus der öffentlichen Diskussion.105

Sie hatten als Vorreiter eines neuen Freizeitverhaltens fungiert und vielen Jugendlichen die Türen zu einer neuen Freiheit geöffnet. Die neue, gemäßigte Teenagerkultur wurde von den Erwachsenen mit Erleichterung aufgenommen.106

Mit Kaspar Maases Worten möchte ich diese Arbeit abschließen:

,,Weite Verbreitung ä ndert nichts daran: Die Behauptung vom antikonsumistischen, b ü rgerliche Hegemonie attackierenden Charakter des Halbstarken- und Rock'n'Roll - Protests ist nicht mehr als eine (zugegebenerma ß en kraftvolle) Legende." 107

V. Literatur

- Bänsch, Dieter (Hrsg.): Die fünfziger Jahre. Beiträge zu Politik und Kultur. Tübingen 1985.

- Fröhner, Rolf: Wie stark sind die Halbstarken? Dritte EMNID-Untersuchung zu Situation der deutschen Jugend. Bielefeld 1956.

- Grotum, Thomas: Die Halbstarken: Zur Geschichte einer Jugendkultur der 50er Jahre. Frankfurt am Main 1994.

- Kleinschmidt, Johannes: ,,Do not fraternize" Die schwierigen Anfänge deutschamerikanischer Freundschaft 1944 - 1949. Trier 1997.

- Krüger, Hein-Hermann (Hrsg.): Handbuch der Jugendforschung. Opladen 1988. · Leggewie, Claus: Amerikas Welt. Die USA in unseren Köpfen. Hamburg 2000.

- Maase, Kaspar: BRAVO Amerika: Erkundungen zur Jugendkultur in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren. Hamburg 1992.

- Niehuss, Merith: Kontinuität und Wandel der Familie in den 50er Jahren, in: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (hrsg. von Axel Schildt und Arnold Sywottek). Bonn 1993.

- Schildt, Axel: Von der Not der Jugend zur Teenage-Kultur: Aufwachsen in den Fünfziger Jahren, in: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (hrsg. von Axel Schildt und Arnold Sywottek). Bonn 1993.

- Strzelewicz, Willy: Jugend in ihrer freien Zeit. München 1968. VI. Grafik

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1 Strzelewicz, Willy: Jugend in ihrer freien Zeit. München 1969. S. 12. (= Willy Strzelewicz)

2 Grotum, Thomas: Die Halbstarken: Zur Geschichte einer Jugendkultur der 50er Jahre. Frankfurt am Main 1994. S. 45 (= Thomas Grotum)

3 Thomas Grotum: ebd.

4 Kurz, Karl: Lebensverhältnisse der Nachkriegsjugend. Eine soziologische Studie. Bremen 1949. S. 115 (= Karl Kurz)

5 Vgl. Fröhner, Rolf (Hrsg.): Wie stark sind die Halbstarken? Dritte EMNID-Untersuchung zur Situation der deutschen Jugend. Bielefeld 1956 (= Rolf Fröhner)

6 Schildt, Axel: Von der Not der Jugend zur Teenage-Kultur: Aufwachsen in den Fünfziger Jahren, in: Modernisie rung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (hrsg. von Axel Schildt und Arnold Sywottek). Bonn 1993. (= Axel Schildt) S. 340

7 eingeführt ab 1946 in der britischen Zone und dann auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Hoover in der gesamten Bizone. Thomas Grotum: S. 46

8 Thomas Grotum: ebd.

9 ca. 1, 25 Millionen Kinder hatten ihren Vater verloren. 250 000 Kinder waren Vollwaisen. Thomas Grotum: S. 47; bei Merith Niehues sind es sogar 2,2 Millionen Kinder, die eine Waisenrente be ziehen (siehe FN Nr. 12)

10 Thomas Grotum: S. 47

11 Bänsch, Dieter (Hrsg.): Die fünfziger Jahre. Beiträge zu Politik und Kultur. Tübingen 1985. (= Dieter Bänsch) S. 108

12 Merith Niehues: Kontinuität und Wandel der Familie in den 50er Jahren. in: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (hrsg. von Axel Schildt und Arnold Sywottek). Bonn 1993. (= Merith Niehues)

13 Als Gegenbeispiel: ,,Die Zündfunken flogen vor allem bei Auseinandersetzungen in den Familien". Vgl. Kaspar Maase: BRAVO Amerika: Erkundungen zur Jugendkultur in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren. Hamburg 1992. (= Kaspar Maase) S. 80

14 Zum Beispiel: Totschießen. Vgl. Ingeborg Weber Kellermann: Die Kindheit. Frankfurt am Main 1979. S. 253 ff

15 Merith Niehues: S. 321

16 Es gab mehr als 2 Millionen Arbeitslose (über 10 %)

17 1960 waren fast 500 000 Jugendliche unter 25 Jahren als arbeitslos gemeldet. Andere Quellen gehen sogar von über 700 000 arbeitslosen Jugendlichen aus.

18 Thomas Grotum: S. 52

19 Kaspar Maase: S. 34

20 Dieter Bänsch: S. 178

21 Dieter Bänsch: S. 35

22 Dieter Bänsch: S. 180

23 Weltwoche vom 27. 4. 1977

24 Dieter Bänsch: S. 181

25,,Nicht selten reichten die Beinkleider aus Amerika schon aus, ihre Besitzer als "Halbstarke" zu brandmarken." zit. nach Gudrun Patricia Pott: Die Flegeljahre der Republik. Der Aufstieg aus dem Nichts. (Spiegel 20/1999)

26 Kaspar Maase: S. 67

27,,Die Mehrheit der Lohnabhängigen überschritt die Schwelle von einem Dasein, das durch Knappheit als Norm und Elend als relevante Erfahrung gekennzeichnet war und begann eine dispositive Lebensführung." Vgl. Kaspar Maase: S. 66

28 Nahrung, Miete, Heizung, Kleidung

29,,Wille und Anstrengung zu Auf- und Ausbau der privaten Existenz war die beherrschende Signatur der fünfziger Jahre." Tenbruck, zit. nach Kaspar Maase S. 296

30 Kaspar Maase: S. 75

31 Kaspar Maase: S. 74

32 Thomas Grotum: S. 70 ff

33 Unzufrieden waren viele Jugendliche trotzdem. Das lag zum einen daran, dass sie einen Teil ihres Einkommens zum Familienhaushalt beisteuern mussten, zum anderen erhielten sie auch zum Abschluss ihrer Ausbildung für gleiche Arbeit nicht die gleichen Löhne wie die Erwachsenen.

34 Axel Schildt: S. 343

35 Strzelewicz, Willy: Jugend in ihrer freien Zeit. München 1968. S. 21 ff

36 Kaspar Maase: S. 77

37 Axel Schildt: S. 344

38 Ende der 50er gaben immerhin noch 70% der Jugendlichen an, sie würden gerne und häuf ig ins Kino gehen. Vgl. Fröhner, Rolf (Hrsg.): Wie stark sind die Halbstarken? Dritte EMNID-Untersuchung zur Situation der deutschen Jugend. Bielefeld 1956. (= Rolf Fröhner)

39 Axel Schildt: S. 344

40 Axel Schildt: S. 525

41 Im Jahre 1957 gab es um die 12 000 Jukeboxes in der BRD. Vgl. Thomas Grotum: S. 200

42 Rolf Fröhner: S. 9

43 Axel Schildt: S. 336

44 Kleinschmidt, Johannes: ,,Do not fraternize" Die schwierigen Anfänge deutsch- amerikanischer Freundschaft 1944 - 1949. Trier 1997. (= Johannes Kleinschmidt) S. 101

45 Diese Kinder waren in den Fünfzigern die Jugendlichen, Halbstarken und Teenager

46 Johannes Kleinschmidt: S. 102

47 Entwickelt aus den guten Kontakten, die die Amerikaner von Beginn an zu deutschen Kindern und Jugendlichen hatten, gegründet im April 1946

48 Johannes Kleinschmidt: S. 220ff

49 einschränkend ist zu bemerken, dass das GYA-Programm ,,nur in sehr begrenztem Umfang freundliche Kontakte zwischen Amerikaner und deutschen Jugendlichen herzustellen vermochte." Vgl. Johannes Kleinschmidt: S. 229

50 "The Blackboard Jungle", "Rebel without a Cause", "The Wild One"

51 Kaspar Maase: S. 92

52,,[...] bis dann plötzlich granatenmäßig also der Rock'n'Roll da irgendwie einschlug und [...] ein Erdbeben verursachte und so 'ne gesunde Unruhe ins Land brachte [...]" Udo Lindenberg, zit. nach Kaspar Maase: S. 95

53 Kaspar Maase: S. 92

54,,moralische Panik" von Cohen, zit. nach Kaspar Maase: S. 94

55 Kaspar Maase: S. 101

56 Es gab jedoch auch Teenager-Idole, die einigermaßen akzeptiert wurden: Pat Boone oder Ricky Nelson. Sie verkörperten den ,anständigen' Teenager.

57 Axel Schildt: S. 346

58 Kapar Maase: S. 103

59 Kaspar Maase: ebd.

60 Die Bezeichnung ,Boogie -Woogie' hatte sich für den Rock'n'Roll eingebürgert

61 Am liebsten tanzten die Jugendlichen Walzer, gefolgt von Tango und Foxtrott. Nur 5 % tanzten gerne Boogie Woogie oder Jitterburg. Vgl. Rolf Fröhner: S. 95 ff

62 EMNID-Tabellen 85 bis 87. Vgl. Rolf Fröhner: S. 335 ff

63 Axel Schildt: S. 495

64 Thomas Grotum: S. 69

65 Kaspar Maase: S. 204f

66,Vulgarität' zum Beispiel in: Musikvorlieben, Tanzstilen, Körperhaltung, Sinnlichkeit, Modefarben, Speisen, Sprache, Schönheitsideal oder Wohnungseinrichtung

67 Kaspar Maase: S. 220ff

68 Kaspar Maase: S. 225

69 Siehe Grafik: S. 26

70 Thomas Grotum: S. 76

71 Kurt Bondy: S. 196

72 Kurt Bondy: S. 183 und Thomas Grotum: S. 205

73 Kaspar Maase: S. 206

74 Kaspar Maase: S. 127

75,,Peter Kraus macht jetzt einen auf sexy. [...] Das ist was für Halbstarke und nicht für Teenager." Vater Froboess, zit. nach Kaspar Maase: S. 169

76 Thomas Grotum: S. 19

77 Oft bei Kaspar Maase und Dieter Bänsch, seltener bei Thomas Grotum

78,,Kultur der eigenen vier Wände"

79 Kaspar Maase: S.134

80 Kaspar Maase: S. 211

81 Kurt Bondy: S. 113

82 Kaspar Maase: S. 140

83 Kaspar Maase: S. 144

84 Axel Schildt: S. 338

85 BZ vom 27. 10. 1958, zit. aus: Udo Lindenberg: Rock'n'Roll und Rebellion, Frankfurt a. M. 1984.

86 Schon 1958 flaute die öffentliche Wahrnehmung stark ab. Vgl. Thomas Grotum: S. 165

87 Axel Schildt: S. 345

88 Konservativ-pädagogisierende Sicht. Vgl. Axel Schildt 344ff

89 Axel Schildt: S. 345

90 Axel Schildt: ebd.

91 Kurt Bondy: S. 78

92 Kurt Bondy: S. 84

93 Kurt Bondy: S. 79 ff

94 Kurt Bondy: S. 132

95 Thomas Grotum: S. 225

96 Thomas Grotum: ebd.

97 Kaspar Maase: S.168

98 Aus diesen setzten sich die Halbstarkencliquen zum größten Teil zusammen

99 Kaspar Maase: S. 172

100 Kaspar Maase: S. 200

101 Thomas Grotum: S. 216

102 Thomas Grotum: S. 191

103 Thomas Grotum: S. 196

104 Thomas Grotum: S. 225

105 Thomas Grotum: S. 219 ff

106 Thomas Grotum: S. 228

107 Kaspar Maase: S. 162

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
'What are you rebelling against?' "What've you got?' Jugendkultur und Rebellion in den Fünfziger Jahren in Deutschland
Université
University of Münster
Auteur
Année
2002
Pages
19
N° de catalogue
V106386
ISBN (ebook)
9783640046652
Taille d'un fichier
545 KB
Langue
allemand
Mots clés
What, Jugendkultur, Rebellion, Fünfziger, Jahren, Deutschland
Citation du texte
Jo Marie Farwick (Auteur), 2002, 'What are you rebelling against?' "What've you got?' Jugendkultur und Rebellion in den Fünfziger Jahren in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106386

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