Was, wenn die Leinwand lügt? Stanley Kubricks "Lolita" (1962), ein Film, der bei seinem Erscheinen einen Sturm der Entrüstung auslöste, wird hier einer Revision unterzogen, die tiefer blickt als nur auf die vordergründige Provokation. Entgegen der landläufigen Meinung, die den Film als Verherrlichung einer verbotenen Beziehung abstempelt, enthüllt diese Analyse eine subtile Kritik an gesellschaftlichen Normen und der Obsession selbst. Statt sich in stilistischen Spielereien zu verlieren, konzentriert sich Kubrick auf das komplexe Beziehungsgeflecht der Charaktere: Humbert Humbert, der intellektuelle Europäer, Charlotte Haze, die naive amerikanische Witwe, und natürlich Lolita, das Objekt der Begierde, deren vermeintliche Unschuld trügt. Der Film entpuppt sich als eine Tragikomödie, in der kalkulierte Pläne scheitern und die Protagonisten in einem Strudel aus Manipulation und Selbsttäuschung gefangen sind. Die Analyse beleuchtet, wie Kubrick durch feinste Nuancen in Schauspiel und Dialog die Abgründe der menschlichen Psyche offenbart und den Zuschauer zwingt, seine eigenen moralischen Vorstellungen zu hinterfragen. "Lolita" ist somit weniger eine Liebesgeschichte als vielmehr eine schonungslose Studie über Macht, Besessenheit und die trügerische Natur der Wahrnehmung. Eine Wiederentdeckung dieses Meisterwerks, die den Blick für die verborgenen Botschaften und die zeitlose Relevanz von Kubricks Vision schärft. Tauchen Sie ein in die Welt von "Lolita", und erleben Sie einen Film, der bis heute nichts von seiner Brisanz verloren hat. Erforschen Sie die dunklen Ecken der menschlichen Psyche, die Kubrick so meisterhaft auf die Leinwand bannt. Lassen Sie sich von den komplexen Charakteren fesseln und von der subtilen Inszenierung überraschen. Dieser Film ist mehr als nur ein Skandal – er ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, der uns ungeschönt unsere eigenen Vorurteile und Obsessionen vor Augen führt. Eine intensive Auseinandersetzung mit einem Klassiker des Kinos, die neue Perspektiven eröffnet und zum Nachdenken anregt. Die Analyse konzentriert sich auf die narrative Struktur, die Wendepunkte und die psychologischen Hintergründe der Figuren. Es wird gezeigt, wie Kubrick mit subtilen Mitteln die Doppelmoral der Gesellschaft entlarvt und die Abgründe der menschlichen Natur offenbart. "Lolita" ist ein Film, der unterhält, provoziert und noch lange nachwirkt. Eine Reise in die Tiefen der menschlichen Seele, die Sie nicht verpassen sollten.
Der missverstandene Film
„Lolita“ aus dem Jahr 1962 ist ein frühes Werk von Stanley Kubrick, entstanden in der Reihenfolge nach „Paths of Glory“ und „Spartacus“ und vor „Dr. Strangelove“ und „2001“. Es wurde vom Publikum gemischt aufgenommen und sorgte als Verfilmung des Skandal- Romans von Vladimir Nabokov selbst für einen Skandal. Das Thema, die Beziehung zwischen einem erheblich älteren Literaturprofessor und einem im Film etwa 15jährigen Mädchen, galt damals, in den frühen Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts vor allem in den Vereinigten Staaten als schändlich. Aus meiner Analyse[1] geht jedoch hervor, dass die dargestellte Beziehung von Kubrick keineswegs verherrlicht oder auch nur gutgeheißen wird. Von daher wurde der Film in meinen Augen völlig zu Unrecht gescholten. Die Empörung sollte sich nicht am Film entzünden, sondern an der dargestellten gesellschaftlichen Realität.
Im Gegensatz zu vielen späteren Werken des Regisseurs, v.a. dem visionären „2001“, wird in „Lolita“ die Geschichte weniger über formalisierte und stilisierte Mittel erzählt, sondern in erster Linie über das Verhalten der Personen. Die ästhetische Gestaltung unterstützt die von den Darstellern präsentierte Handlungsebene, erzählt jedoch keine eigene, zusätzliche Geschichte, wie es in anderen Filmen der Fall ist. Deshalb beschränke ich mich in meiner Analyse in erster Linie auf die Darstellung der Charaktere und die Beziehung der Personen zueinander. Die auch in diesem Film reichlich vorhandenen gestalterischen Details untersuche ich genau dann, wenn ich sie für besonders aussagekräftig halte.
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Aufstieg und Fall: Die Struktur
Der Film „Lolita“ hat eine Länge von 2 Stunden und 27 Minuten. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Jahren, wobei der wesentliche Teil sich innerhalb eines Jahres ereignet.
Nach dem Vorspann gibt es eine knapp zehnminütige Sequenz, in deren Verlauf Humbert Humbert seinen Gegenspieler Clare Quilty ermordet. Am Ende des Films wird diese Sequenz erneut aufgegriffen, aber dieses Mal nur kurz angedeutet. Dieser Teil umrahmt den eigentlichen Hauptteil des Filmes, der in der zwölften Minute mit dem textlichen Hinweis „4 years earlier“ beginnt.
Der Hauptteil besteht aus einer Vielzahl von kleineren oder größeren Episoden und wird strukturiert durch mehrere Zeitsprünge. Im ersten Teil werden die Hauptfiguren des Films vorgestellt: Humbert Humbert, Charlotte Haze und ihre Tochter Dolores, genannt Lolita, sowie Clare Quilty. Humbert zieht bei Charlotte ein, um Lolita nahe sein zu können. Die Beziehungen dieser drei Personen zueinander werden in unterschiedlichen Situationen vorgestellt. Clare Quilty taucht hier mehrmals kurz auf: sein Name wird in Gesprächen erwähnt, Charlotte trifft ihn auf einem Ball, und schließlich ist sein Foto in Lolitas Zimmer zu sehen. Für Humbert hat jedoch keine dieser Situationen eine Bedeutung.
Dieser Teil endet, als Lolita ins Feriencamp geschickt wird und Charlotte Humbert eine schriftliche Liebeserklärung macht. In der 46. Minute erfährt der Zuschauer, dass die beiden mittlerweile verheiratet sind und dass Lolita immer noch im Camp ist. Es sind also offenbar wenige Wochen vergangen. Als Charlotte berichtet, dass sie Lolita in ein Internat geben will, kommt es zum Streit. Kurz darauf liest sie Humberts Aufzeichnungen und erkennt seine wahren Motive. Sie läuft aus dem Haus und wird von einem Auto getötet. Humbert hat nun das alleinige Sorgerecht für Lolita, holt sie aus dem Camp ab und verbringt mit ihr eine Nacht im Motel. Es wird angedeutet, dass die beiden sich sexuell nähern. Als Lolita erfährt, dass ihre Mutter tot ist, verspricht sie, bei Humbert zu bleiben. Er scheint sein Ziel erreicht zu haben.
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Der folgende Teil beginnt mit einem Zeitsprung von sechs Monaten (1:34:00). Es wird deutlich, dass Lolita sich in der Beziehung unwohl fühlt und ausbrechen will. Die beiden streiten sich mehrmals heftig. Schließlich beschließt Humbert, dass sie die Stadt verlassen. trotz anfänglicher Ablehnung stimmt Lolita nach einem Telefonat zu. Im Laufe der mehrtägigen Autofahrt wird Lolita krank und kommt ins Krankenhaus. Als Humbert sie einige Tage später dort abholen will, ist sie verschwunden.
Nach drei Jahren meldet sich Lolita (2:12:00), woraufhin Humbert zu ihr fährt. Sie teilt ihm mit, dass sie ihn nur benutzt und nie geliebt habe und dass Clare Quilty sie damals aus dem Krankenhaus geholt habe. Als Lolita sich weigert, zu ihm zurückzukehren, fährt Humbert zu Quilty und erschießt ihn. Im Epilog erfährt der Zuschauer, dass Humbert für diesen Mord ins Gefängnis kommt und dort an einer Thrombose stirbt.
Kubrick verwendet den klassischen Aufbau einer Tragöde: Nach der Exposition, der Vorstellung der Charaktere und Beziehungen, kommt es mit einigen Verwicklungen zum Höhepunkt – in diesem Fall Lolitas Versprechen, bei Humbert zu bleiben. Doch hieran schließt sich der Fall an, die Abwendung und Flucht Lolitas. Nach einem letzten kurzen Hoffnungsschimmer, dem Besuch bei Lolita, kommt es zum Finale. Humbert hat Lolita endgültig verloren und fühlt sich vor allem von Quilty betrogen und gedemütigt, so dass er beschließt, ihn zu ermorden. Er selbst stirbt im Gefängnis.
Der Aufbau hat starke Parallelen zu „Dr. Strangelove“, den Kubrick drei Jahre später dreht. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass bei Lolita schon zu Beginn das Ende vorweggenommen wird, während bei „Dr. Strangelove“ lange Zeit unklar bleibt, wie der Film enden könnte. Beide Filme bedienen sich jedoch der Komik als prägendem Element, so dass man in beiden Fällen vom Genre einer Tragikomödie sprechen kann.
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(1:51:18)
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(2:24:11)
Aktion und Reaktion: Die Wendepunkte
Humbert Humbert ist ein Mensch, der kühl kalkuliert und gewissenhaft plant, um seine Ziele zu erreichen. Er will die Mitmenschen so manipulieren, dass sie seinen Interessen dienen. Aber genau diese Plä- ne werden immer wieder durchkreuzt, weil sich seine „Mitspieler“ nicht so verhalten, wie er es erwartet. Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Film und zeigt sich besonders deutlich in der Anfangssequenz.
Humbert fährt mit einem Revolver zu Quiltys Haus, findet ihn dort, zieht sich Handschuhe an und will mit ihm reden, „bevor wir anfangen“ (0:03:50). Er lässt ihn einen vorgefertigten Text vorlesen, der seine Anklage enthält. Clare Quilty jedoch lässt sich auf dieses Spiel nicht ein und stellt seine eigenen Regeln auf. Statt auf Humbert einzugehen, fordert er ihn zum Pingpong-Spiel auf. Er ignoriert seine Fragen und bringt ihn schließlich sogar dazu, mitzuspielen. Humbert versucht jedoch weiter, seinen Plan zu verfolgen und holt den Revolver hervor. Quilty lässt sich daraufhin in einen Sessel fallen, wo Humbert ihm den Text gibt. Doch statt ihn einfach vorzulesen, macht sich Quilty lustig. Kurz darauf steht er wieder auf und zieht sich Boxhandschuhe an. Humbert gibt seinen ersten Schuss ab, woraufhin Quilty ihn auffordert, nicht mit Tod und Leben rumzuspielen, sich dann ans Klavier setzt und Musik macht. Als Humbert dann noch mehrmals schießt, flieht Quilty die Treppe hoch, wird dort jedoch endgültig getroffen.
Clare Quiltys Verhalten in dieser Situation ist absurd, doch es spiegelt sehr gut das Absurde in Humbert Humberts Verhalten. Durch seine Reaktionen macht er deutlich, dass die Forderungen und Pläne seines Gegners nicht zum gewünschten Ziel führen können. Humbert ist von diesem Verhalten sehr irritiert und verliert zunehmend die Kontrolle. Am Ende wird aus der geplanten inszenierten Hinrichtung ein wildes Abknallen.
Auch in den übrigen Szenen ist immer wieder zu beobachten, dass Humbert sehr planvoll und durchdacht vorgeht, am Ende dann aber die Situation doch nicht nach seinen Wünschen und Überlegungen abläuft.
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Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Film "Lolita" (1962) von Stanley Kubrick?
Der Film behandelt die Beziehung zwischen Humbert Humbert, einem älteren Literaturprofessor, und Dolores Haze (Lolita), einem etwa 15-jährigen Mädchen. Der Film war seinerzeit aufgrund des thematisierten Verhältnisses umstritten.
Wie wird die Beziehung zwischen Humbert und Lolita im Film dargestellt?
Laut Analyse wird die Beziehung im Film nicht verherrlicht oder gutgeheißen. Die Kritik sollte sich an der dargestellten gesellschaftlichen Realität entzünden, nicht am Film selbst.
Wie unterscheidet sich "Lolita" von anderen Filmen Kubricks hinsichtlich der Erzählweise?
Im Gegensatz zu späteren Werken wie "2001" wird die Geschichte in "Lolita" primär durch das Verhalten der Charaktere erzählt, während die ästhetische Gestaltung die Handlungsebene unterstützt, aber keine eigene, zusätzliche Geschichte erzählt.
Wie ist die Struktur des Films "Lolita" aufgebaut?
Der Film hat eine Länge von 2 Stunden und 27 Minuten und erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Jahren. Die Handlung beginnt mit dem Mord an Clare Quilty, springt dann vier Jahre zurück, um die Ereignisse zu schildern, und kehrt am Ende zur ursprünglichen Szene zurück.
Welche Rolle spielen Zeitsprünge im Film?
Zeitsprünge strukturieren den Hauptteil des Films und ermöglichen es, die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Charakteren zu zeigen.
Wer sind die Hauptcharaktere im Film?
Die Hauptfiguren sind Humbert Humbert, Charlotte Haze (Lolitas Mutter), Dolores "Lolita" Haze und Clare Quilty.
Wie entwickelt sich die Beziehung zwischen Humbert und Charlotte?
Humbert zieht bei Charlotte ein, um in der Nähe von Lolita zu sein. Die beiden heiraten schließlich, nachdem Charlotte Humbert eine Liebeserklärung macht. Später entdeckt Charlotte Humberts wahre Motive und wird bei einem Unfall getötet.
Was passiert, nachdem Charlotte stirbt?
Humbert hat das alleinige Sorgerecht für Lolita. Er holt sie aus dem Feriencamp ab und verbringt eine Nacht mit ihr im Motel. Es wird angedeutet, dass sie sich sexuell nähern.
Warum verlässt Lolita Humbert?
Nach einem Zeitsprung von sechs Monaten wird deutlich, dass Lolita sich in der Beziehung unwohl fühlt und ausbrechen will. Sie verlässt Humbert, nachdem sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
Was geschieht nach dem Zeitsprung von drei Jahren?
Lolita meldet sich nach drei Jahren bei Humbert. Sie teilt ihm mit, dass sie ihn nur benutzt und nie geliebt habe und dass Clare Quilty sie damals aus dem Krankenhaus geholt habe.
Wie endet der Film?
Humbert erschießt Clare Quilty und kommt wegen Mordes ins Gefängnis, wo er an einer Thrombose stirbt.
Welche Parallelen gibt es zwischen "Lolita" und "Dr. Strangelove"?
Beide Filme verwenden Komik als prägendes Element und können als Tragikomödien betrachtet werden. Ein Unterschied besteht darin, dass bei "Lolita" das Ende schon zu Beginn vorweggenommen wird.
Wie wird Humbert Humbert im Film charakterisiert?
Humbert wird als ein Mensch dargestellt, der kühl kalkuliert und seine Mitmenschen manipuliert, um seine Ziele zu erreichen. Seine Pläne werden jedoch immer wieder durchkreuzt.
Welche Rolle spielt Clare Quilty im Film?
Clare Quilty ist Humberts Gegenspieler. Sein absurdes Verhalten irritiert Humbert und führt dazu, dass dieser die Kontrolle verliert.
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- Jan Petersen (Autor), 2002, Stanley Kubrick - Lolita, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106396