Jugendhilfe im Kontext Schule zur Prävention ethnischer Diskriminierung


Thèse de Bachelor, 2020

63 Pages, Note: 1,0


Extrait


I NHALT

Abkurzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1. Migration

2. Diskriminierung
2.1 Der sozialpsychologische Aspekt
2.2 Definition von Diskriminierung
2.3 Dimensionen von Diskriminierung
2.4 Diskriminierung im schulischen Kontext
2.4.1 Diskriminierungserfahrungen an Schulen
2.4.2 Folgen und Auswirkungen von Diskriminierung

3. SCHULSOZIALARBEIT
3.1 Verhaltnis von Schule und Jugendhilfe
3.2 Aufgaben und Methoden der Schulsozialarbeit
3.2.1 Einzelfallhilfe
3.2.2 Gruppenarbeit
3.2.3 Schulentwicklung
3.3 Moglichkeiten und Grenzen

4. Projektbezogene Praventionsmoglichkeiten
4.1 „Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage“
4.1.1 Evaluation
4.2 „Anti-Bias-Ansatz“
4.2.1 Evaluation

5. Diskussion: Wirksamkeit der Ansatze zur Bekampfung von Diskriminierung an Schule

6. Externe Anlaufstellen bei Diskriminierung

Fazit

Literaturverzeichnis

„Diskriminierung ist wie eine starke Welle, der man sich mit aller Kraft

entgegenstemmen muss, weil man ansonsten mitgerissen wird“

(Freise 2005, S. 99)

Abkurzungsverzeichnis

ABA: Anti-Bias-Ansatz

Abb.: Abbildung

ADS: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

BAMF: Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge

GEW: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

ILGU: Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung

JH: Landeskoordination Berlin

PISA: Programme for International Student Assessment

SoR- SmC: Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage

SVR-Forschungsbereich: Forschungsbereich beim Sachverstandigenrat deutscher

Stiftungen fur Integration und Migration

TIES: The Integration of the European Second Generation

TL: Bundeskoordination

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Verteilung der Beratungsanfragen auf die AGG-Merkmale 2019 (Eigene Dar- stellung in Anlehnung an ADS 2019, S. 44) S. 10

Abb. 2: Logo Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage (Schule ohne Rassismus) S. 34

Abb. 3: Das "professionelle" Handeln (eigene Darstellung in Anlehnung an Gramlet 2010, S. 175f.) S. 43

E INLEITUNG

Durch Deutschlands Rolle als Einwanderungsland gibt es hier einen erhohten Migran- tenanteil. Es gehort durch die globale Gesellschaft zur Tagesordnung auf heterogene Gruppen zu treffen. Dabei werden Menschen mit Migrationshintergrund weiterhin noch stigmatisiert und erleben im alltaglichen Leben haufig Diskriminierung. Nach einer Studie aus dem Jahr 2018 fuhlen sich 48 % der Befragten mit einem sichtbaren Migrationshintergrund, z.B. durch die Hautfarbe oder durch das Tragen eines Kopf- tuchs diskriminiert. Mit 17 % fuhlen sich deutlich weniger Personen, die kein auber- lich erkennbares Merkmal aufweisen, diskriminiert. Personen, welche zusatzlich einen Akzent haben bestatigen zu 59 %, dass sie in soziale Kategorien gesteckt werden (vgl. SVR-Forschungsbereich 2018). Dies erschwert den Betroffenen das alltagliche Leben und schrankt sie in ihren Handlungen und in ihrer Lebensweise ein. Deswegen sollte jedes Individuum eine aktive Rolle in dem Prozess gegen Diskriminierung einnehmen. Diskriminierende Praktiken machen sich ebenfalls in Bildungseinrichtungen bemerk- bar, in denen gesellschaftliche Gegebenheiten reflektiert werden (vgl. Gramlet 2016, S. 329). Die vorliegende Bachelorarbeit setzt seinen thematischen Schwerpunkt auf Diskriminierung in der Schule. Da das Bildungssystem zur Sozialisation und zur Bil- dung beitragt, konnen diskriminierende Praktiken zu Einschrankungen fuhren und sich auf die Identitat, auf das Erwerbsleben und auf die Gesellschaft auspragen. Studien wie ILGU, PISA und TIES zeigen, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen west- europaischen Landern der soziale Hintergrund und der Migrationshintergrund enor­men Einfluss auf den Schulerfolg haben (vgl. Neumann 2010, S. 11). In Anbetracht dieses Gedankengangs soll theoretisch erforscht werden, wie es zur Diskriminierung in der Schule kommt, welche Nachteile dadurch entstehen konnen und mit welchen Praventionsmabnahmen Schulsozialarbeiter arbeiten. Daraus entwickelt sich die zent- rale Forschungsfrage fur die vorliegende Abschlussarbeit:

Was kann die Jugendhilfe im Kontext Schule zur Pravention ethnischer Diskriminierung leisten?

Zunachst werden allgemeine Grundlagen in Bezug auf thematisch relevante Begriffe, sowie die relevanten Begrifflichkeiten dargestellt, um ein einheitliches Verstandnis zu sichern. Dafur wird der Begriff Migrationshintergrund definiert. Um Diskriminierung besser zu verstehen wird zuerst der sozialpsychologische Aspekt dargestellt. Dies dient als Verstandnisgrundlage und zeigt auf, wie Vorurteile und Stereotype zu Diskrimi- nierung fuhren konnen. Daraufhin wird der Diskriminierungsbegriff definiert und die unterschiedlichen Ebenen werden dargestellt. In Anbetracht der Forschungsfrage wird auf Diskriminierung im schulischen Kontext eingegangen, um Diskriminierungserfah- rungen mit seinen Folgen und Auswirkungen zu schildern. Im nachsten Unterkapitel wird der Arbeitsbereich der Schulsozialarbeit vorgestellt, indem auf das Verhaltnis von Schule und Jugendhilfe eingegangen wird. Zudem werden die Aufgaben und Me­thoden der Schulsozialarbeit beschrieben, um aufzuzeigen, wie Schulsozialarbeiter im Fall von Diskriminierung handeln konnen. Daruber hinaus werden Moglichkeiten und Grenzen der Handlungsmoglichkeiten aufgefuhrt.

Da sich die Fragestellung der Abschlussarbeit auf die Praventionsmoglichkeiten fo- kussiert, werden zwei Projekte: „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ und der „Anti-Bias-Ansatz“ vorgestellt. Nachdem die Rahmenbedingungen geklart wur- den und durch vorhandene Studien die jeweiligen Starken und Schwachen ausgearbei- tet wurden, wird die Wirksamkeit beider Ansatze diskutiert.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, aufzuzeigen, wie Diskriminierung in der Schule mit Hilfe der Jugendhilfe verhindert werden kann, damit jedem die Chance auf einen Bildungs- verlauf ohne ethnische Diskriminierung gewahrt werden kann.

Zum Schluss wird die Arbeit mit einem Fazit abgerundet indem Moglichkeiten und Grenzen zusammenfassend dargestellt werden.

1. M IGRATION

Im Jahr 2019 weist Deutschland eine Bevolkerung von ungefahr 81,85 Millionen Men- schen auf, darunter haben 21,2 Millionen einen Migrationshintergrund. Insgesamt 11,13 Millionen Deutsche haben einen Migrationshintergrund; 5,125 Millionen dieser Menschen weisen eigene Migrationserfahrung auf, wahrend hingegen 6,000 Millionen weitere familiare Migrationserfahrung aufweisen (Statistisches Bundesamt 2020). Der Begriff Migrationshintergrund wird wie folgt definiert:

„[...] alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutsch­land Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Auslander und alle in Deutschland als Deutsch Geborene mit zumindest einem zugewan- derten oder als Auslander in Deutschland geborenen Elternteil” (Statisti- sches Bundesamt 2015) Mit der Bezeichnung wird festgelegt, dass eine Person eigene oder familienbezogene Einwanderungserfahrungen aus einem nicht deutschen Gebiet gemacht hat und mog- licherweise Differenzen in der Kultur und Ethnie aufweist (vgl. Mecheril 2004, S. 48). Zu den wichtigsten Herkunftslandern gehort die Turkei, Polen und die Russische Fo- deration. Danach folgt Kasachstan, Rumanien, Italien und Syrien (vgl. BiB).

Die zuvor genutzte fremdbestimmte Bezeichnung „Auslander” sollte somit abgelost werden. Auslander sind gemaB Art. 116 Abs.1 GG Personen, welche nicht die deut­sche Staatsangehorigkeit besitzen. In Deutschland lebten 2019 10,12 Millionen Aus- lander, von denen 8,556 Millionen zugewandert sind und 1,564 Millionen in Deutsch­land geboren sind (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020). Ziel der neuen Begriffseinfuh- rung war es, eine Reduktion auf die Staatsangehorigkeit zu vermeiden. Trotzdem wird in vielen Fallen, Menschen mit Migrationshintergrund das „Deutsch” sein, abgespro- chen (El- Mafaalani 2017, S. 467). Den groBten Bevolkerungsanteil bilden Personen mit turkischer Staatsangehorigkeit. Die darauffolgenden Bevolkerungsgruppen sind aus Polen, Syrien, Rumanien und Italien. Erst in den letzten Jahren ist die Anzahl der auslandischen Bevolkerung aus Syrien und Rumanien gestiegen (vgl. BiB).

In Deutschland sind drei Zuwanderungsformen besonders signifikant. Die sogenann- ten (Spat-)Aussiedler 1 bilden die groBte Gruppe2 und sind deutsche Zuwanderer, die aus dem Osten der Bundesrepublik Deutschland nachgekommen sind. 1990 erreichten die Zuzugszahlen mit 397.000 (Spat-)Aussiedlern ihren hochsten Wert, der in den da- rauffolgenden Jahren kontinuierlich gesunken ist (vgl. Bundesverwaltungsamt 2020, S. 4). Die Arbeitsmigration wurde durch den Anwerbevertrag mit Italien im Jahr 1955 stark angekurbelt. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Vertrage mit Spanien, Griechenland, der Turkei, Portugal, Tunesien, Marokko und Jugoslawien vereinbart. Die anfangs arbeitsmarktpolitischen Interessen fuhrten dazu, dass bis zum heutigen Zeitpunkt viele Arbeitsmigranten seit mehreren Generationen in Deutschland leben (vgl. Motakef 2006, S. 26). Die Zahl der Asylbewerber und Fluchtlinge ist durch den Ausbruch des syrischen Burgerkriegs besonders gestiegen und erreichte in Deutschland 2016 mit 745.545 Asylantragen seine Hochstzahlen. Davon erhielten 36,9 % den Fluchtlingsstatus, 22,1 % subsidaren Schutz (§ 4 Absatz 1 des Asylgeset- zes) und 3,5 % Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 des AufenthG) (vgl. BAMF 2017, S. 11) Das Statistische Bundesamt dokumentiert 839.115 Schutzsu- chende am 31.12.2019 (2020, S. 24).

Unter Ethnie ist zu verstehen, dass eine Gruppe von Menschen durch Merkmale, wie der gemeinsamen geografischen Herkunft, der Kultur oder der Geschichte eine „kol- lektive Identitat“ entwickelt (vgl. Elwert 2007, S. 26). Durch die zugehorige Staatsan- gehorigkeit lasst sich noch kein Entschluss zum ethnischen Hintergrund fassen (ASD 2013, S. 21).

Unabhangig von der ethnischen Herkunft3, sollten alle Individuen die Moglichkeit ha- ben, eine faire und gesellschaftlich angemessene Sozialisations- und Lebenserfahrung zu machen und sich zu entfalten. In der Praxis ist dies nicht der Fall, da der Migrati- onshintergrund in verschiedenen Dimensionen (s. Kap. 3.2) als Diskriminierungs- grundlage genutzt werden kann (vgl. Fereidooni 2011, S. 20f.). Gesellschaftlich wer- den Migranten bzw. Personen mit Migrationshintergrund als Problem gesehen. Men- schen mit Migrationshintergrund weisen unterschiedliche Bildungsniveaus, soziale und kulturelle Aspekte auf. Dabei werden Individuen mit franzosischer oder engli- scher Herkunft weniger problematisch erachtet als turkische oder rumanische Migran- ten. Dies zeigt sich ebenfalls im Umgang mit Schulern unterschiedlicher Herkunft. Um Ungleichheit und Diskriminierung sichtbar zu machen, muss der Begriff „Migrations- hintergrund” verwendet werden. Aus diesem Grund wird im Verlauf der Arbeit auf verallgemeinernde Begriffe aufmerksam gemacht (vgl. Leiprecht/Steinbach 2015, S. 10 f.).

2. D ISKRIMINIERUNG

Unterschiedliche Aspekte konnen zu Diskriminierung fuhren und fur Nachteile im Le- bensverlauf, im Lebensstil und im jeweiligen Lebensabschnitt sorgen. Im Jahr 2019 haben sich 3.580 Personen wegen Diskriminierung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewendet. Mit 33% liegen die hochsten Anfragen bei Beschwerden uber Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Danach folgen Benachteiligungen wegen des Geschlechts, aufgrund einer Behinderung und wegen weiteren Merkmalen, die im AGG erwahnt werden (vgl. ADS 2019, S. 43 f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Verteilung der Beratungsanfragen auf die AGG-Merkmale 2019 (Eigene Darstellung in An- lehnung an ADS 2019, S. 44)

2.1 Der sozialpsychologische Aspekt

Um zu verstehen, wie Diskriminierung geschieht, muss zunachst der sozialpsycholo- gische Aspekt dargestellt werden.

Menschen tendieren dazu, sich die Welt einfach zu gestalten, so kann es dazu fuhren, dass sie andere Menschen voreilig in Kategorien einordnen. Stereotype und Vorurteile erleichtern dabei die schnelle Zuordnung und dienen als Vereinfachung und somit als soziale Orientierungshilfe (vgl. Fischer et al., 2013, S.97). Da der Mensch nicht in der Lage ist alles differenziert zu betrachten, teilt er seine Zeit und kognitive Energie und betrachtet einige Themen auberst kritisch. Andere Themen werden hingegen mit lu- ckenhaften Uberzeugungen gefullt (vgl. Aronson et al., 2014, S, 474). Dabei konnen unterschiedliche Aspekte zu einem Schubladendenken fuhren, zum Beispiel aufgrund „der Nationalitat, der rassischen und ethnischen Identitat, des Geschlechts, der sexu- ellen Orientierung, der Religion, des Aussehens oder des korperlichen Zustands, aber auch des Berufs oder des Hobbys [...]“ (Josten und Kahnert 2011, S. 120). Laut Zick, Kupper und Hovermann mussen drei Schritte durchlaufen werden, um Vorurteile zu bilden (2011, S.32). Bei der Kategorisierung unterscheiden Individuen, fast automa- tisiert, ob eine Person zu der Eigengruppe oder zu einer Fremdgruppe angehort. Auf der gesellschaftlichen Ebene bewertet beispielsweise die Politik, die Presse oder das Bildungssystem Gruppen und schafft somit Kategorien. Dadurch entsteht jedoch nicht direkt ein Vorurteil, denn dafur sind weitere Schritte notwendig. Ein weiterer Schritt ist die Stereotypisierung. Wie bereits beschrieben, ist hier ebenfalls noch keine ab- wertende, generalisierende und negative Einstellung da. Stereotype sind auf der kog- nitiven Ebene und konnen positive, neutrale und negative Inhalte enthalten (vgl. Fi­scher et a., 2013, S.98). Genauer definiert ist von Stereotypen die Rede, „wenn man uber eine Gruppe von Menschen hinweg Verallgemeinerungen trifft und damit alle Mitglieder dieser Gruppe dieselben Eigenschaften und Merkmale zuschreibt, ohne zu beachten, dass zwischen den Mitgliedern Unterschiede bestehen konnen“ (ebd.). Da- bei kann die zugeschriebene Eigenschaft korperlich, seelisch oder berufsbezogen sein. Dafur ist der dritte Schritt, die Bewertung, ausschlaggebend bei der die in Kategorien eingeteilten Menschengruppen auf Grundlage der zugeteilten Stereotypen bewertet werden (vgl. Zick/ Kupper/ Hovermann 2011, S.34). Vorurteile geschehen somit auf der emotionalen Komponente, durch die Zustimmung zu dem Stereotyp und der nega- tiven emotionalen Reaktion. Dabei werden Ansichten unkritisch ubernommen, die keine sachliche Begrundung beinhalten (vgl. Brockhaus 2010, S. 1107). Der Sozial- psychologe Elliot Aronson definiert Vorurteile, „als eine auf falsche oder unvollstan- dige Informationen gegrundete, generalisierte, feindselige oder negative Einstellung einer spezifischen Gruppe gegenuber“ (Aronson 1994, S.298). Durch die positive oder negative Bewertung werden also Stereotype zum Vorurteil und bilden eine gewisse Grundhaltung gegenuber einer sozialen Gruppe. Jedes Individuum ist potenzielles Op- fer von Vorurteilen, da jeder von AuBenstehenden einer Gruppe zugeordnet werden kann. Dies kann sich auf die Ethnie, die Hautfarbe, religiose Zugehorigkeit, das Ge- schlecht und weitere Grunde oder Eigenschaften beziehen. Deswegen sind nicht nur Minderheiten von Vorurteilen betroffen, sondern auch Mehrheitsgruppen.

Welche individuellen Faktoren konnen dabei Personen dazu motivieren eine Outgroup (andere Gruppe) oder Person, weil sie Mitglied einer Outgroup ist, zu benachteiligen, auszugrenzen oder systematisch abzuwerten (vgl. Zick 2016, S. 1)?

Fur die eigene positive Ich-Identitat werden zugehorige Gruppen besser bewertet als Out-Groups. Laut Bergmann bilden fruhkindliche Identitats- und Bildungsprobleme, ein schwaches Selbstwertgefuhl und Selbstvertrauen Vorurteile (vgl. Bergmann 2005, S.9). Des Weiteren konnen Vorurteile aus subjektiv empfundenen Bedrohungsgefuh- len gegenuber Einwanderer entstehen (vgl. Zick/ Kupper/ Hovemann 2011, S.15). „Studien zur Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zeigen, wie eng Vorurteile und Diskriminierung zusammenhangen“ (Zick 2016, S. 5). Vorurteile fuhren oft zu unge- rechter Behandlung einer Zielgruppe, welches im alltaglichen Sprachgebrauch Diskri- minierung genannt wird. (vgl. Aronson 2014, S. 482). Diskriminierendes Verhalten spielt sich also auf der Handlungsebene ab, da ein Vorurteil verhaltenswirksam wird und abwertendes und unfaires Verhalten gegenuber einer Person, wegen ihrer Grup- penzugehorigkeit begunstigt. Dadurch wird ersichtlich, wozu kognitive und affektive Prozesse fuhren konnen (vgl. Fischer 2016, S. 100).

In den 1990er Jahren fuhrten Andreas Klink und Ulrich Wagner 14 Feldexperimente uber Diskriminierung von Minderheiten durch. Dabei orientierten sie sich an der sozi- alpsychologischen Vorurteilsforschung. Menschen wurden im alltaglichen Leben zu- fallig mit deutschen oder auslandisch aussehenden bzw. heiBenden Personen konfron- tiert. In der Studie wurde gepruft, ob die Herkunft und/oder das Geschlecht einer Per­son das Verhalten lenkt. Die Versuchsleiter setzten eine Anzeige in die Zeitung, bei der eine Person mit typisch deutschen Namen und eine Person mit typisch turkischen Namen eine Wohnung suchten. Nicht-deutschsprachige Personen fragten auf der StraBe Passanten nach dem Weg oder nach Geld fur ein wichtiges Telefonat. Bei der Durchfuhrung der Experimente wurde das Aussehen der Personen manipuliert, indem religiose und traditionelle Accessoires, wie zum Beispiel das Kreuz oder ein Kopftuch getragen wurden. Die verschiedenen Studien zeigten, dass Menschen die Herkunft her- anziehen, um systematisch andere schlechter zu behandeln, zu ignorieren oder ihre Hilfe und Unterstutzung zu verwehren.

In einer weiteren Studie von Krupper und Zick wurden angehende Lehramts- und Pa- dagogikstudierende, bei der Bewerbung um einen Studienplatz beurteilt. Dabei war das Leistungsprofil der Personen sowie die Bewerbungsmappe identisch. Die Bewerberinnen unterschieden sich in ihrer Kleidung, ihrer Schminke und in ihrem Na- men. Die Namen waren entweder deutsch, turkisch oder polnisch. Auberdem trug die Bewerberin mit dem polnischen Namen eine Kreuzkette und die Bewerberin mit dem turkischen Namen trug ein Kopftuch. Auch hier ist das Ergebnis der Studie eindeutig. Bewerberinnen mit deutschem Namen wird der Studienplatz eher angeboten, als an- dere Bewerberinnen (vgl. Zick 2016, S. 2). Einige Eltern entscheiden sich fur eine deutsche Namensgebung der Kinder, mit der Begrundung ihre Kinder zu „schutzen“, welches keine Losung sein sollte (vgl. Gerhards/ Kampfer 2017, S. 314).

Die beschriebenen Studien sind neben weiteren Untersuchungen wichtige Beitrage zum Verstandnis von Diskriminierung und sollen darstellen, dass in Bezug auf die Thematik Veranderungen notig sind. Um einen genaueren Blick auf den schulischen Bereich zu legen wird zunachst naher auf den Diskriminierungsbegriff eingegangen.

2.2 Definition von Diskriminierung

Diskriminierende Alltagserfahrungen werden oft mit weniger aggressiv klingende Be- griffe wie Benachteiligung, Ausgrenzung oder Ungleichbehandlung ersetzt. Durch Deutschlands nationalsozialistische Vergangenheit werden Begriffe wie Rassismus und Diskriminierung damit in Verbindung gebracht und deshalb ofter reflexhaft abge- wertet (vgl. Liebscher 2010, S. 26). Um ein einheitliches Verstandnis von den wich- tigsten Begriffen zu haben, sollen diese nun genauer definiert werden.

Im alltaglichen Sprachgebrauch versteht sich unter Diskriminierung der Sachverhalt, ein Individuum durch die Bewertung einer bestimmten Eigenschaft zu benachteiligen. Dies wird oft durch verbale, nonverbale und zusatzlich durch praraverbale Sprache zum Ausdruck gebracht. Somit kann es auch fur einen pauschalen Vorwurf oder einer personlichen Erfahrung stehen. Personliche Alltagserfahrungen werden explizit mit dem Begriff beschrieben, um konkrete Ausgrenzungen, Beleidigungen und Verletzun- gen zu nennen. Betroffene empfinden dabei das Gefuhl, als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt zu werden (ADS 2013 S. 31). Nichtbetroffene meiden den Begriff, da sie das Wort als Bedrohung und Verunsicherung gegen sich selbst wahrnehmen (ebd. S. 3).

Diskriminierung stammt aus dem lateinischen Wort „discriminare“ (trennen, abson- dern) und bedeutet, dass ein Mensch durch unterschiedliche Behandlung benachteiligt oder zuruckgesetzt wird. Diskriminierung und Ungleichbehandlung verstoBen gegen rechtliche als auch soziale Normen des modernen Zusammenlebens der Gesellschaft. In seinem Wortsinn wird Diskriminierung nicht nur als Unterscheidung von Personen- gruppen definiert. Vielmehr liegt ein Unterscheiden vor, das Gruppen zu Gruppen macht, Hierarchien zwischen Gruppen herstellt und begrundet und somit Menschen ausgrenzt und/oder benachteiligt (vgl. Foizik 2019, S, 12).

Hauptsachlich umfasst der Begriff Diskriminierung AuBerungen, Haltungen und Handlungen, die sich mit benachteiligender oder herabsetzender Intention gegen ge- wisse soziale Gruppen oder einzelnen Mitgliedern von Gruppen richtet (vgl. Hormel/ Scher 2010, S. 7). Ethnische Merkmale konnen dazu fuhren, dass Individuen minder- wertig erachtet werden und dies negativ Auswirkungen auf die Lebensfuhrung hat (vgl. Karawanskij 2010, S. 27). Dafur reicht bereists die vermutete Annahme aus, dass eine Person eine bestimmte ethnische Herkunft zugehort, um die benachteiligende Handlung zu legitimieren (ADS 2013, S. 21).

Der Schutz der Menschwurde bildet die Basis des demokratischen Zusammenlebens und verfolgt das Ziel Diskriminierungen zu verhindern oder abzubauen (Deutscher Bundestag 2002, S. 24). Auf der rechtlichen Ebene muss die Schlechterbehandlung an ein schutzenswertes Merkmal angeknupft sein. AuBerdem darf kein sachlicher Rechtfertigungsgrund dafur vorliegen (vgl. ADS 2017, S. 32). Statt von Merkmalen heiBt es im AGG §1 „Diskriminierungsgrunde“ (vgl. ebd. S. 33). In §1 wird geschrie- ben:

„Ziel des Gesetzes ist Benachteiligungen aus Grunden der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identitat zu verhindern oder zu beseitigen“ (Richardi 2018, S. 76).

Begriffe wie Migrationshintergrund oder Migrationsgeschichte werden in Gesetzes- texten durch die dargestellten Diskriminierungsgrunde umschrieben (vgl. Dern 2018, S, 98). AuBerdem wird der Begriff Benachteiligung statt Diskriminierung verwendet. Dadurch soll der Fokus auf die daraus resultierenden Folgen, also Benachteiligungen, gesetzt werden, da nicht jede Diskriminierung zur Benachteiligung fuhrt.

In der Verfassung der UN-Kinderrechtskonvention steht eindeutig, dass die festgeleg- ten Rechte „ohne Unterscheidung“ (UN-Kinderrechtskonvention 1989) gelten. Im Landesschulgesetz heiBt es, dass Individuen das „Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Forderung haben“ (SchulG NRW §1). In den meisten Schulgesetzen ist jedoch kein ausfuhrlicher Schutz vor Diskriminierung vorhanden und es bestehen Schutzlucken, die ausgearbeitet werden mussen (vgl. ADB 2013, S. 14).

Trotz der erwahnten Gesetzesgrundlagen belegen Forschungsergebnisse, dass Kinder in Bildungssituationen Diskriminierung erleben (vgl. Dern et al. 2014, S. 91).

2.3 Dimensionen von Diskriminierung

Des Weiteren sind fur die vorliegende Arbeit die verschiedenen Formen und Dimen- sionen der Diskriminierung relevant. Schulen sollten immer alle Dimensionen betrach- ten, da eine eindeutige Trennung nicht immer moglich ist.

Die direkte Diskriminierung bezieht sich auf ein Verhalten zwischen Individuen, bei dem einzelne Personen offensichtlich abgewertet oder ausgegrenzt werden (vgl. ADS 2018, S. 8). Aufgrund der tatsachlichen oder spekulierten Zugehorigkeit zu sozialen Gruppen (z.B. ethnische Herkunft oder Religion), sozialer Herkunft oder korperlicher bzw. kognitiver Merkmale (z.B. Behinderung) werden Betroffene beispielsweise durch Mobbing diskriminiert (Fischer et al., 2016, S. 169). Institutionelle Diskrimi- nierung ist das Handeln einer Organisation und Institution. „Personen handeln nicht aus eigenen Motiven diskriminierend, sondern die Regeln, Gesetze, Praktiken und Ab- laufe der Institution sind fur Benachteiligung verantwortlich“ (ADS 2013, S. 10), wodurch Regeln und ungeschriebene Gesetze zu Diskriminierung fuhren (vgl. Fischer 2016, S. 170). Studien zeigen den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bil- dungserfolg. Insbesondere hat sich Metchild Gomolla mit der Thematik beschaftigt und den Begriff „institutionelle Diskriminierung” eingefuhrt, bei dem die Ungleichbe- handlung im organisatorischen Handeln wie das Schulsystem eingebettet ist.

Bei der strukturellen Diskriminierung werden Individuen oder Gruppen aufgrund von Zugehorigkeitsmerkmalen ungleich behandelt und benachteiligt. Eigene Vorstellun- gen, Bezeichnungen und Bilder lenken somit das Verhalten. Haufig spielen Stereotype eine Rolle, die beispielsweise durch Medien transportiert werden.

Auch in alltaglichen Gesprachen, in Schulbuchern oder Lehrmaterialien findet struk- turelle Diskriminierung seinen Platz (vgl. Fischer et al., 2016, S. 169; ADS 2018, S. 8) . Auf der gesellschaftlichen Ebene lenken gelaufige Stereotype, Vorstellungen, Be- zeichnungen und Bilder die eingeschrankte Wahrnehmung. Im Alltag begegnet man diesen beispielsweise in Medien, Zeitschriften oder im Sprachgebrauch. Dabei werden durch sprachliche Mittel und bildlichen Darstellungen bestimmte Teilgruppen diskri- miniert (vgl. El-Mafaalani 2017, S. 472).

Die Kombination und das Zusammenspiel von Diskriminierungskategorien wird rechtlich als Mehrfachdiskriminierung bezeichnet (vgl. Foizik 2019, S. 30). Bei- spielsweise wenn ein Lehrer, aufgrund seines Migrationshintergrundes und seiner Be- hinderung, nicht eingestellt wird (vgl. ADS 2018, S. 7).

Der Begriff der Intersektionalitat wurde 1989 von Kimberly Crenshow eingefuhrt und bringt zum Ausdruck, dass sich verschiedenen Diskriminierungsmerkmale uber- schneiden. Diese konnen sich, unter anderem, gegenseitig verstarken, oder sind un- trennbar zu betrachten (vgl. Karawanskij 2010, S. 258). Das Konzept lasst sich eben- falls in der padagogischen Praxis anwenden. Durch binare Denkstrukturen wie behin- dert - nicht behindert, mannlich - weiblich und deutsche Herkunft - nichtdeutsche Her- kunft, wird das Individuum nicht mit all seinen verschiedenen Einzelheiten und Zuge- horigkeiten gesehen. Insbesondere in Bildungseinrichtungen neigen Akteure dazu, nur eine Differenzkategorie zu betrachten. Menschen werden also „anhand der wenigen sichtbaren Charakteristika wahrgenommen und beurteilt, obwohl diese nur ein Bruch- teil unserer Identitat ausmacht“ (ebd., S. 164). Akteure im Schulsystem mussen das Wissen uber die unterschiedlichen Diskriminierungsformen haben, weil dadurch deut- lich wird, in welchem Bereich Handlungsspielraume und Grenzen in den Institutionen existieren und mit den dargestellten Ebenen in Verbindung stehen konnen (Fischer et al., 2016, S. 120 f.).

2.4 Diskriminierung im schulischen Kontext

Kinder und Jugendliche in Deutschland begegnen wahrend ihrer gesamten Schulzeit moglichen diskriminierenden Anlassen und Situationen. Durch das hierarchische Schulsystem werden diskriminierende Praktiken, zu Lasten benachteiligter Gruppen, ausgeubt (vgl. Diefenbach, 2010, S. 128 f.). In der Schule spielen vor allem Diskrimi- nierungen in Bezug auf die ethnische Herkunft und Religion bzw. rassistische Diskri- minierung und Diskriminierung wegen des sozialen Status oder der sozialen Herkunft eine Rolle (vgl. Yegane 2018, S. 35), obwohl ethnische und sprachliche Vielfalt langst Realitat im Schulalltag geworden sind, welches unter anderem durch die Erweiterung der europaischen Union, Globalisierung und des wachsenden Zuzugs in den meisten europaischen Staaten vor sich geht (vgl. Ringeisen 2008, S. 9). Ungefahr 37% der Schuler an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland weisen einen Migrationshintergrund auf. Der Migrationshintergrund differenziert zusatzlich inwie- fern Gruppen von Diskriminierung betroffen sein konnen. Insbesondere turkisch- und italienischstammige Schuler gehoren zu den weniger erfolgreichen Gruppen im Bil- dungssystem. Im Gegensatz erzielen andere Gruppen, wie die zweite Generation der sudostasiatischen Herkunft bessere Ergebnisse als einheimische Schuler (vgl. Diehl, Fick 2016, S. 244). AuBerdem zeigt eine Befragung der FRA, dass von den befragten Schulern mit turkischer oder Sub-Sahara-Afrikanischem Migrationshintergrund unge- fahr 10 % im schulischen Kontext aufgrund der Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion diskriminiert wurden (FRA 2017). Welche Diskriminierungserfahrungen Kinder an Schulen machen wird im folgenden Unterkapitel ausfuhrlicher erklart.

2.4.1 Diskriminierungserfahrungen an Schulen

Im schulischen Kontext lasst sich Diskriminierung in unterschiedlichen Bereichen und bei unterschiedlichen Akteuren beobachten. Anzufuhrende Beispiele sind, dass eine Grundschullehrerin zu ihrem Schuler mit einem „nicht-deutsch klingenden Namen: „Mit dem Namen kannst Du nur Mullmann werden“, sagt (Yegane 2018, S. 35).

„Ein Kind hat in der Schule meinen Bruder beleidigt, weil er eine dunkle Hautfarbe hat. Dann hat er ihn geschlagen. Die Lehrerin hat allesgesehen, aber nichts gemacht“ (ADS 2019, S. 13) wird bei einer Beschwerde der ASD geschildert.

Kinder sind bereits zur Anfangszeit der Bildung von „Ausgrenzungspraxen“ betroffen. Diese losen Chancenungleichheit aus und fordern diese teilweise. „Das Aufnahmever- fahren und die Einschulungsphase, die Verfahren zur Feststellung des sonderpadago- gischen Forderbedarfs, sowie die Ubergangsempfehlungen auf weiterfuhrende Schu- len am Ende der Grundschulzeit“ (ABD 2013, S.14), sind Bereiche, in denen Kinder in der Schullaufbahn Nachteile erleben konnen. Vor der Einschulung werden Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen in den Schulkindergarten zuruckgestellt. Rechtlich gesehen sind diese nicht fur den Spracherwerb zustandig (Gomolla 2010, S.91). Um solch eine Fehlplatzierung zu umgehen, wurden in vielen Bundeslandern, unter anderem in NRW, die Schulkindergarten geschlossen (vgl. GEW NRW 2016). Des Weiteren kann die Selektion nach der Grundschule eine zu fruhe Festlegung auf eine weiterfuhrende Schulform sein. Hauptschulen genieBen keinen guten Ruf und werden als Problemschule betrachtet, bei dem die Schuler mit negativen Stereotypen und Erwartungseffekten konfrontiert werden (vgl. Neumann/ Schnieder, 2012, S.54). Somit werden Schulzugange insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund er- schwert, da sie unter Vorurteilen und sachlich ungerechtfertigten Zuschreibungen lei­den, z.B. aufgrund der niedrigen Leistungsfahigkeit, welches sich in der Leistungsbe- wertung sichtbar macht. Laut einer Studie kann bereits der turkische Name oder die „niedrige soziale Herkunft“ von Schulern dazu fuhren, dass Lehrkrafte Leistungen schlechter bewerten. Dies wird als Folge von gewissen Erwartungshaltungen erklart und weiter unten im Text naher beleuchtet (vgl. ABD 2013, S, 92). Studien belegen, dass Schuler mit Migrationshintergrund schlechtere Leistungen aufweisen. Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob die Ergebnisse in Abhangigkeit an Lehrererwar- tungen oder vorhandenen Stereotypen resultieren. Dafur haben sich 69 Grundschul- lehrer bereit erklart, an der Untersuchung teilzunehmen. Bisherige Analysen belegen, dass Noten und Leistungsempfehlungen, bezogen auf die soziale Herkunft von Schu- lern, teilweise unzutreffend sind. Leistungsunterschiede konnen auf diskriminierende Entscheidungspraktiken zuruckfuhren und mussen nicht automatisch mit Kompetenz- defiziten in Verbindung gebracht werden (vgl. ADS 2013, S. 91). Ebenfalls nehmen Zuschreibungen Bezug auf unterschiedliche Diskriminierungsdimensionen „Schuler- folg oder -Misserfolg hangt nicht nur von den eigenen Leistungen der Schuler, son- dern auch von Entscheidungspraktiken der Schulen ab, die in ihren institutionellen und organisatorischen Strukturen eingelassen sind“ (Gomolla/Radtke 2002, S. 334).

In der Studie „Kompetenzerwerb und Lernvoraussetzungen“ (KuL) wurde die Erwar- tungshaltung der Lehrkrafte gegenuber Schuler unterschiedlicher sozialer und eth- nischer Herkunft und unterschiedlichen Geschlechts untersucht. Die Ergebnisse bele- gen, dass bei gleichen Leistungen Kinder mit turkischem Migrationshintergrund oder Kinder aus sozial schwacheren Familien und Jungen die Leistungserwartungen der Lehrkrafte negativ verzerrt sind. Positive Verzerrung auBert sich im Fach Mathematik, fur Kinder mit osteuropaischen Wurzeln und sozial bessergestellten Kindern. Bei Uber- und Unterschatzung der zukunftigen Leistungen in Abhangigkeit zu askriptiven Merkmalen ist von einer systematischen Verzerrung die Rede.

Dies beeintrachtigt ebenfalls die Schulempfehlung fur die weiterfuhrenden Schulen. Diskriminierungsrisiken sind hier, dass Lehrpersonen die Unterstutzungsfahigkeit der Eltern mit einbeziehen und sich nach den institutionell bedingten Uberweisungsquoten an bestimmte Schulformen richten. Studien belegen, dass aus diesem Grund bis zu einem Viertel der Schuler die ungerechte Schulform besuchen. Dabei spielt nicht nur die ungerechtfertigte Notengebung eine Rolle. Auch bei gleichen Leistungen bekom- men Kinder mit Migrationshintergrund oder „niedriger sozialer Herkunft“ seltener eine Gymnasialempfehlung (vgl. Fereidooni 2011, S. 58). Schulleistung und familiare Sozialisation werden oft auf einer intersektional betrachtet. Die ethnische Herkunft oder der niedrige soziale Status fuhren bieten Anhaltspunkte fur eine negative Zu- schreibung und die damit verbundene schlechter Bewertung von Schulern (vgl. ADS 2013, S. 93). Versuche im Nachhinein die erlebte Benachteiligung auszugleichen, ist durch die fehlende Durchlassigkeit zwischen den Schultypen problematisch (vgl. ebd. S. 15). Deswegen wird der Ubergang als „entscheidende Weiche fur die Zukunft“ ge- sehen (ebd.). „Dabei wird haufig ubersehen, dass Leistung nichts ist, dass Kinder schon in die Schule mitbringen sollten, sondern etwas, was erst in der Schule erlernt wird“ (ADS 2013, S. 13). In einer empirischen Studie in Bielefeld wurde festgestellt, dass Schuler mit Defiziten in der deutschen Sprache seltener eine Gymnasialempfeh­lung bekommen und dies eine erfolgreiche Schulkarriere hindern wurde (vgl. Gomolla 2010, S. 95). Zudem werden Schuler mit Migrationshintergrund ofter auf Forderschu- len uberwiesen. Somit tragen diese Schuler dazu bei, dass Schulen aufgrund von man- gelnder Platzzuweisung schlieben mussen und ermoglicht die Beibehaltung der noti- gen Kapazitaten. (vgl. Heimken 2015, S. 90). Lehrkrafte orientieren sich somit nicht allein an den kognitiven Leistungen der Schuler, sondern ziehen institutionelle Gege- benheiten in den Entscheidungsprozess mit ein (vgl. Brake/ Buchner 2012, S. 114) Auch Schulmaterialien konnen Stereotype, rassistische Vorstellungen oder norma­tive Vorstellungen reproduzieren. Stereotype Darstellungen betreffen Menschen mit Migrationshintergrund, Religion, Geschlecht (vgl. ADS 2018, S. 12).

Unter Schulern kommt es zu beleidigenden und abwertenden Auberungen, die von Ausgrenzung bis hin zu gewalttatigen Ubergriffen fuhren konnen (vgl. Dem et al., 2014, S. 91). Schuler mit Migrationshintergrund werden beispielsweise als „“Zigeu- ner“, „Du Jude“, oder „Polake“ bezeichnet (Yegane 2018, S. 30). Aufgrund der ethni- schen Herkunft konnen Merkmalstrager von Mobbing oder durch verbale Angriffe der Mitschuler oder Lehrkrafte diskriminiert werden. Wegen Merkmalen werden Be- troffene eingeschuchtert, beleidigt, ausgegrenzt oder erniedrigt. Mobbing kann auch aufgrund der genannten Merkmale erfolgen, wobei der Tater eigene Interessen verfolgt. Haufig haben Tater den Drang sich selbst aufzuwerten. Bei Schulern mit Migrationshintergrund wird die Ethnie als Schwache bewertet und gegen die Person verwendet (vgl. Rank 2013, S. 147). Mobbing hat weitere Bestimmungsmerkmale, Phasen und Motive, auf die nicht weiter eingegangen wird. Schuler erleben auBerdem sekundare Diskriminierung. Wenn Schuler ihr Anliegen an Kontaktpersonen schildern und von ihnen nicht ernst genommen werden oder Schuler als „Petze“ bezeichnet wer- den (Morys/ Muller 2019, S. 239).

2.4.2 Folgen und Auswirkungen von Diskriminierung

Auf Diskriminierungserfahrungen der Schuler reagieren Schulen teilweise unzu- reichend. Diese konnen erhebliche Folgen und Auswirkungen auf unterschiedliche As- pekte haben, da Kinder bereits in den ersten Schuljahren sich der eigenen Gruppenzu- gehorigkeit bewusst sind und negative Stereotype erkennen (vgl. Herwartz-Emden 2008, S. 89). Permanente Benachteiligung fuhrt zu sinkender Motivation, Leistung als auch die Identifikation mit den Bildungszielen. Der amerikanische Psychologe Gordon Allport hat in den 1950er Jahren nachgewiesen, dass Diskriminierung negative Folgen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Betroffenen aufweist (vgl. ADS 2013, S. 24). Allein die Angst, diskriminiert zu werden, kann zu gesundheitlichen Beein- trachtigungen fuhren (Vgl. Major et al. 2002). Bei Untersuchungen im Bildungsbe- reich wurde festgestellt, dass Vorurteile und Stereotype, nicht nur das Selbstwertge- fuhl beeintrachtigen, sondern auch die kognitive Fahigkeit (Steele, Aronson et al. 1997). Durch die Befurchtung, das negative Gruppenstereotyp bestatigen zu konnen, wirkt sich das Bewusstsein negativ auf die Leistung aus. Kurzfristig ist also die intel- lektuelle Leistungsfahigkeit betroffen. Langfristig kommt es zur Verhinderung erfolg- reicher Bildungsteilhabe. Wenn Schuler wahrnehmen, dass Lehrer explizite oder im- plizite Vorurteile uber Gruppen auBern, denen sie angehoren, nehmen sie die abwer- tende Meinung als Bedrohung war. Dadurch konnen sozialpsychologische Mechanis- men wie der „Stereotpye threat “ ausgelost werden. Dabei wird die Bedrohung aus- geblendet, indem sie die Leistung senken und das Stereotyp erfullen (Vgl. Dern et al. 2014, S. 93). Zusammenfassen lasst sich das Phanomen mit folgendem Satz: „Diskri- minierung beginnt bei der Wahrnehmung und endet in einer Herstellung und Etablie­rung von Ungleichwertigkeit, die Ungleichheit begrunden soll“ (Zick 2016, S. 6).

In einer weiteren Studie von Pacoe und Richman wurde im Jahr 2009 herausgefunden, dass physische Auswirkungen wie Bluthochdruck, Stress, Depression, Angstzustande, soziale Isolierung, Erhohung psychischer Krankheiten als auch Ruckgang protektiver Ressourcen durch permanente Diskriminierung bei Betroffenen in Erscheinung treten (vgl. Geschke 2012, S.1). Solche Erfahrungen ubertragen sich negativ auf die eigene Wahrnehmung, der gesellschaftlichen Position und Wahrnehmung aus. Decis und Ry­ans Motivationstheorie zeigt, welche Rolle Diskriminierungserfahrungen fur die Identitatsentwicklung spielen. Fur die Entwicklung von Interessen, Motivation und fur das Wohlbefinden mussen laut der Theorie drei Grundbedurfnisse („basic human needs“) erfullt sein (vgl. Dem et al. 2014, S. 91). Dies sind Bedurfnisse nach; sozialer Eingebundenheit, Kompetenzerfahrung und autonomer Handlungsregulation (vgl. Krapp/Ryan 2002, S, 72). Bei der sozialen Eingebundenheit haben Personen den Drang eine Bindung zu anderen Personen aufzubauen und somit einer Gruppe anzu- gehoren. Ausschlaggebend ist dabei die Neigung nach Anerkennung und Akzeptanz. Kompetenzerfahrung bezieht sich auf das Bedurfnis, welches durch eigene Verhal- tensweisen etwas hervorgerufen werden kann. Dabei kann man den vorhandenen oder selbst erzeugten Anforderungen gerecht werden und mit eigenen Handlungen die Um- welt kontrollieren. Dies ist Voraussetzung fur das Bedurfnis nach autonomer Hand­lungsregulation, um sich selbst als handelndes Individuum zu erleben und Entschei- dungsprozesse eigenstandig zu lenken (vgl. Ryan 1993).

[...]


1 Zwecks besserer Lesbarkeit wird in dieser Bachelorarbeit die Sprachform des generischen Maskuli- nums verwendet. Diese Sprachform soll geschlechtsunabhangig verstanden werden.

2 Die meisten (Spat-)Aussiedler kommen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Vor allem aus Kasachstan, Russland, Polen und Rumanien.

3 Ethnische Herkunft wird im Folgenden synonym mit dem Migrationsbegriff verwendet.

Fin de l'extrait de 63 pages

Résumé des informations

Titre
Jugendhilfe im Kontext Schule zur Prävention ethnischer Diskriminierung
Université
University of Duisburg-Essen  (Soziale Arbeit und Sozialpolitik)
Note
1,0
Auteur
Année
2020
Pages
63
N° de catalogue
V1064280
ISBN (ebook)
9783346447722
ISBN (Livre)
9783346447739
Langue
allemand
Mots clés
Diskriminierung, Rassismus, Schulsozialarbeit, Migration, Schule ohne Rassismus, Anti Bias Ansatz, Prävention, Jugendhilfe, Schule
Citation du texte
Rümeysa Köse (Auteur), 2020, Jugendhilfe im Kontext Schule zur Prävention ethnischer Diskriminierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064280

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