Ganzheitliche Pflege und die Ökonomisierung des Gesundheitssektors


Academic Paper, 2017

32 Pages, Grade: 2,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen Diskurs

2. Charakteristika von Pflegetätigkeit
2.1 Beschreibung der Eigenschaften von Pflegetätigkeiten nach Christel Kumbruck
2.2 Problematik des decent work: Wie können wir menschenwürdige Pflegearbeit erreichen?
2.3 Interaktionsarbeit
2.3.a) Emotionsarbeit
2.3.b) Gefühlsarbeit
2.3.c) Subjektivierendes Arbeitshandeln
2.3.d) Gefühls- und Emotionsarbeit als professionelle Tätigkeiten

3. Interaktionsarbeit in der Pflege
3.1 Warum ist Interaktionsarbeit gerade innerhalb der Pflege ansässig?
3.2 Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb der Pflegetätigkeiten am Beispiel einer Altenpflegerin
3.3 Emotionsarbeit in der Pflege
3.4 Gefühlsarbeit in der Pflege
3.5 Subjektivierendes Arbeitshandeln in der Pflege
3.6 Die positiven Auswirkungen des subjektivierenden Arbeitshandeln auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege

4. Arbeitsorganisationsformen zur Etablierung von Gefühlsarbeit, Emotionsarbeit und subjektivierenden Arbeitshandeln
4.1 Funktionspflege
4.2 Ganzheitliche Pflege
4.3 Wie kann es zu einer praktischen Etablierung von Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendem Arbeitshandeln innerhalb der Pflege kommen?

5. Ökonomisierungs und Rationalisierungstendenzen der Pflege
5.1 Detaillierte Beschreibung der einzelnen Ökonomisierungsbewegungen
5.1.a) Verschlankung
5.1.b) Kommodifizierung
5.1.c) Externalisierung

6. Ausblick: Kann sich das Konzept der ganzheitlichen Pflege durchsetzen?

7. Quellenverzechnis
7.1 Internet:
7.2 Literatur:

1. Das Beschäftigungsproblem der Pflege im öffentlichen Diskurs

Die Pflegebranche innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zählt im Jahr 2011 circa eine Million beschäftigte Personen. Ungefähr ein Drittel entfallen hierbei auf die ambulanten Pflegedienste und zwei Drittel auf die stationäre Pflege (vgl. Auth 2013, S. 418).

In der Altenpflege erweist sich der Titel eines Online-Artikels des Magazins „Der Spiegel“ „Wir laufen auf eine Katastrophe zu“ für die Beschreibung der Beschäftigungssituation dieses Bereichs als besonders passend. In der Altenpflege sowie in der Pflege in Krankenhäusern kämpfe man mit Missständen, doch für die Altenpflege habe die Agentur für Arbeit jetzt einen flächendeckenden Mangel an Fachkräften gemeldet (vgl. Diekmann 2017).

Ein anderer Artikel des Online-Magazins „Was sich Pfleger wirklich wünschen“ beschäftigt sich mit den Wahlversprechen der Parteien bezüglich dieser Beschäftigungsproblematik. Der Forderung nach mehr Lohn wird von den meisten Parteien bis auf CDU und FDP versucht nachzugehen. Nach den Aussagen der interviewten Pfleger ergibt sich, der Mangel an Pflegekräften und die hohe Personalfluktuation, neben einer schlechten Bezahlung außerdem aus folgenden Kritikpunkten: lange Arbeitszeiten sowie entweder sehr frühe oder sehr späte Schichten, Aggressivität seitens Patienten und körperliche sowie psychische Belastungen. Die von den Parteien versprochenen Verbesserungen wie eine Unterstützung der Ausbildung von Pflegekräften durch beispielsweise die Ausweitung von Studienmöglichkeiten sehen diese jedoch als zweitrangig an, um einer Aufwertung ihres Berufsfeldes näher zu kommen. Viel wichtiger wäre hierfür eine Anerkennung ihrer Arbeit und deren Errungenschaften wie zum Beispiel, dass durch die ambulanten Pflegedienste die Situation von sterbenden Patienten deutlich verbessert wurde, da sie nicht mehr isoliert im Krankenhaus ihrem Ende entgegen schauen, sondern zu Hause in gewohntem Umfeld gepflegt und begleitet werden können. Als wichtigsten Punkt nennt ein Pfleger, dass es notwendig sei der Pflege „das Menschliche“ zurück zu geben. Gemeint ist also eine Reduktion der Standardisierung und mehr Zeit pro Patient, um auf diesen einzugehen. Dadurch soll die Situation des Patienten verbessert, aber auch die psychische Verfassung der Pfleger unterstützt werden (vgl. Kaufmann 2017).

Den Artikeln zu Folge ergibt sich die Unbeliebtheit des Berufs Pflegekraft also aus diversen Gründen. Um im Verlauf meiner Arbeit die Bedingungen einer würdevollen Gestaltung von Pflegearbeit, durch die Berücksichtigung und Anerkennung der Konzepte des subjektivierenden Arbeitshandelns sowie der Emotions- und Gefühlsarbeit unter Einsatz der Arbeitsorganisation der ganzheitlichen Pflege, vorzustellen, soll nun einmal einführend erklärt werden, welche Charakteristika Pflegetätigkeit in Deutschland beinhaltet:

2. Charakteristika von Pflegetätigkeit

2.1 Beschreibung der Eigenschaften von Pflegetätigkeiten nach Christel Kumbruck

Pflege ist gekennzeichnet durch die Existenz von sozialen Interaktionen zwischen Pflegefachkräften und Pflegebedürftigen. Bettlägerige Menschen beispielsweise sind abhängig von ihren Pflegern, da sie sich ohne deren Zuwendung nicht selbst versorgen können. Dabei bestimmen Pflegekräfte über den täglichen Rhythmus von Menschen in Altenheimen und stellen für die Pflegebedürftigen wichtige Bezugsperson dar. Um die Logik der mehrdimensionalen Tätigkeiten von Pflegekräften zu erklären wurde der Begriff der Fürsorgerationalität eingeführt, der versucht zu zeigen, dass sogenannte vermischte Tätigkeiten für das Wohlbefinden des zu Pflegenden von besonderer Wichtigkeit und darum besonders wertvoll sind (vgl. Kumbruck 2010, S. 190).

Pflege wird auch als Interaktionsarbeit bezeichnet, da sich der Umgang zwischen Pflegefachkraft und Pflegebedürftigen und die dazugehörigen Handlungen und Arbeitsschritte je nach Interaktionspartnern ändern und somit eine pflegerische Tätigkeit nie konstant bleibt, sondern sich von Situation zu Situation verändert. Dies trägt weiterhin dazu bei, dass pflegerische Tätigkeiten nicht kategorisiert und vereinheitlicht werden können und demnach deren Bewertung schwierig ist (vgl. Kumbruck 2010, S.192).

Die Durchführung pflegerischer Tätigkeiten wird außerdem als dialogisch-explorativ bezeichnet. Viele Tätigkeiten eines Pflegers werden unter Unsicherheit beziehungsweise aus der Erfahrung heraus ausgeführt. Beispielsweise ist oft nicht klar wie sich die gesundheitliche Situation eines Patienten entwickeln wird, die Arbeit der Pflegefachkräfte ist somit nicht planbar. (vgl. Kumbruck 2010, S. 193) Zu den Arbeitsmitteln einer Pflegefachkraft gehören neben einmem normalen medizinischen Equipment auch deren „Gefühle“. Diese Arbeitsmittel umfassen neben der kognitiven Nutzung der fünf Sinne auch die verbale sowie die nonverbale Kommunikation, aber auch die Empathie. Im Text vom Kumbruck wird mehrfach die Tatsache beschrieben, dass die Arbeit von Pflegekräften als ein situationsabhängiges auf Einfühlungsvermögen und Erfahrung begründetes Handeln eine Art von Expertenwissen generiert, das dem von Ärzten nahestehe (vgl. Kumbruck 2010, S. 194 ff.), dieses jedoch nicht gleichermaßen geschätzt werde, da die empathische Art der Arbeit von Pflegekräften gesellschaftlich und organisational geringe Wertigkeit besitze (Kumbruck 2010, S. 194).

Um für den Patienten den Aufenthalt in einem Pflegeheim oder Krankenhaus so angenehm wie möglich zu machen ist auch eine emotionale Zuwendung seitens des Pflegers notwendig. Vor allem wenn es um kritische Fälle wie bei Patienten mit einer Krebserkrankung oder um sterbende Patienten geht. Die Aufgabe die die Pflegekräfte innerhalb dieses „sentimental work“ leisten trägt dazu bei, dass die eigentliche medizinische Behandlung und die darauffolgende Heilung erst möglich wird. (vgl. Kumbruck 2010, S. 195) Trotz einer unbezweifelbaren Notwendigkeit dieser emotionalen Zuwendung und den daraus resultierenden Vorteilen für die weitere medizinische Behandlung, wird dieser Bedarf von Seiten des Gesundheitssystems nicht gesehen und auch nicht bei der Planung der Tätigkeiten von Pflegefachkräften einkalkuliert. Im Text von Kumbruck wird eindringlich gezeigt welche Leistung Pfleger erbringen und dass ihre Fähigkeiten weit über die der bloßen medizinischen Assistenz beziehungsweise der rein körperlichen Pflege hinausgehen: Pflegefachkräfte erleben Patienten während ihren schlimmsten Gemütszuständen wie Verzweiflung und Todesangst und vollbringen es trotz nicht vorhandener professioneller therapeutischer Ausbildung diesen Halt zu geben (vgl. Kumbruck 2010, S. 197).

Im Verlauf des Textes lassen sich immer mehr Erklärungen finden wieso der Beruf der Pflegekraft heutzutage derart unbeliebt ist. Innerhalb dieses Berufszweiges erhalten die Beschäftigen offensichtlich eine deutlich zu geringe Anerkennung bei ihrer erbrachten Leistung: „Ein solches quasi (psycho-)therapeutisches Intervenieren der Pflegefachkräfte wird von den ökonomischen Marktregeln folgenden Einrichtungen gar nicht wahrgenommen, wenngleich sie den Gewinn davon haben, weil Patienten dadurch die restliche Arbeit weniger stören (beispielsweise durch Schreien) und sich auf andere medizinische und pflegerische Maßnahmen einlassen.“ (Kumbruck 2010, S. 197) Ein weiterer Aspekt der Interaktionsarbeit die Pflegefachkräfte und Pfleger leisten ist die Arbeit beziehungsweise der Umgang mit den eigenen Gefühlen die im Text als die Emotionsarbeit vorgestellt wird (vgl. Kumbruck 2010, S. 197). Ähnlich wie bei anderen Arbeiten müssen Pflegefachkräfte persönliche Probleme und Gedanken während der Arbeit hinter sich lassen, um für die zu pflegende Person die volle Leistung erbringen zu können. Dazu jedoch kommt, dass sie Gefühle äußern müssen, die sie in diesem Moment vielleicht gar nicht wirklich fühlen, beispielsweise gelassen zu bleiben, wenn ein Patient panisch auf eine Diagnose reagiert, um mit dieser Gelassenheit auch den Patienten beruhigen zu können.

Bestimmte Regeln für den Ausdruck und Empfindung von Emotionen erzeugen nicht selten eine emotionale Belastung die aus der permanenten Verstellung und Verdrängung der eigenen Gefühle entsteht und in psychische Krankheiten münden kann (vgl. Kumbruck 2010, S. 198).

2.2 Problematik des decent work: Wie können wir menschenwürdige Pflegearbeit erreichen?

Aus dem Text ist deutlich herauszulesen, dass weder Emotionsarbeit noch inhaltliche Kommunikation an sich zwischen Patient und Pflegefachkraft, von Seiten der verschiedenen medizinischen Einrichtungen und Regulierungsbereichen, wie beispielsweise dem Pflegeversicherungsgesetz, Wertschätzung erhalten: „Trotz ihrer großen Bedeutung für die Steuerung der Interaktion wird Emoti- onsarbeit in den Einrichtungen nicht wahrgenommen.“ „Gleichwohl wird diese Arbeit zwar von den Patienten gesehen, aber nicht von den Einrichtungen und der Gesellschaft, und demzufolge auch nicht angemessen wertgeschätzt“ (Kumbruck 2010, S. 201). „Auch wenn nach § 28 Abs. 4 SGB XI Kommunikation bei der Leistungserbringung zur Vermeidung von Einsamkeit berücksichtigt werden soll, sind kommunikative Bedürfnisse nicht leistungsbe- gründend. Es herrscht, so Remmers (2009: 45), im Gesetz „ein instrumentales Verständnis von Kommunikation, das insofern auf Fragen des Verständnisses von Anleitungen oder auf Aufgaben der Beaufsichtigung beschränkt bleibt.““ (Kumbruck 2010, S. 202) Um gegen derartige Missstände vorzugehen bräuchte es, den Aussagen des befragten Pflegepersonals nach, Möglichkeiten die Bedeutung von guter Pflege für den Heilungsprozess besser aufzeigen zu können und deutlich zu machen, dass eine Rationalisierung von Pflege begrenzt ist. (vgl. Kumbruck 2010, S. 203) Weiterhin stehen diesem Vorhaben Schwierigkeiten für die Bezeichnung der Dienste der Pflege entgegen. Begrifflichkeiten wie eine „liebevolle“ Pflege stufen die Dringlichkeit der Emotionsarbeit als wichtigen Beitrag zum Genesungsprozess herunter auf eine nebensächliche private Tätigkeit, anstatt sie professionell anzuerkennen. (Kumbruck 2010, S. 203) Stattdessen plädiert die Autorin für den Begriff der Fürsorgerationalität. Die Autorin Kari Waerness versteht darunter eine Art der Arbeitsorientierung, bei der die einzelnen Pflegehandlungsschritte durch eine spezifische und persönliche Beziehung der Pflegekraft zum pflegebedürftigen Menschen geprägt sind und in welcher dieser in seiner Selbstständigkeit unterstützt werden soll (vgl. Becker u.a. 2016, S. 503).

Um menschenwürdige Arbeit also das sogenannte „decent work“ und demnach vielleicht auch eine Behebung des Problems des Fachkräftemangels zu erreichen ist es notwendig ein Verständnis für die Anforderungen von Interaktionsarbeit zu schaffen, sowohl deren qualifikatorische als auch ihre emotionalen Anforderungen. Dieses soll zum Beispiel durch erweiterte Forschungsarbeit erreicht werden (vgl. Kumbruck 2010, S. 204). Laut der Autorin könnte auf diesem Weg der verbreiteten zweckrationalen Orientierung der entscheidenden Einrichtungen Einhalt geboten werden und mehr Fürsorgerationalität ermöglicht werden können (vgl. Kumbruck 2010, S. 205).

Im weiteren Verlauf möchte ich nun genau der Forderung der Autorin Christel Kumbruck nachkommen und das Konzept der Interaktionsarbeit und deren Anforderungen definieren und später zeigen wie sie außerdem im Bereich der Pflege detailliert zu beschreiben ist. Weiterhin soll das Konzept der ganzheitlichen Pflege vorgestellt werden, durch deren Umsetzung eine bessere Integration von Gefühls- und Emotionsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb der Pflegetätigkeiten erreicht werden kann.

2.3 Interaktionsarbeit

Eine ansprechende Definition der Interaktionsarbeit findet sich in dem Buch „Arbeit in der Interaktion – Interaktion als Arbeit, Arbeitsorganisation und Interaktionsarbeit in der Dienstleistung“ von den Autoren Fritz Böhle und Jürgen Glaser. Diese befassen sich im ersten Kapitel ihres Buches mit dem Konzept der Interaktionsarbeit zu deren Kernbestandteilen, wie sie es auf S. 30 erläutern, die Emotionsarbeit gehört. Eine Unterscheidung treffen sie hierbei zwischen Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und dem damit verbundenen subjektivierenden Arbeitshandeln (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 30). Sie beschreiben Interaktionsarbeit als die „Kernaufgabe der personenbezogenen Dienstleistung“ (Böhle/Glaser 2006, S. 29). Die Interaktion in einer Dienstleistung hat massiven Einfluss auf deren Qualität und ihr Ergebnis. Kunde und Dienstleister agieren dabei in einem wechselseitigen Prozess, wobei ungleich zu industriellen Tätigkeiten der Arbeitsgegenstand nicht als Objekt, sondern als Subjekt angesehen werden muss, welcher eigenständig handelt und als sogenannter „Ko-Akteur“ mit dem Dienstleister zusammen das Ergebnis der Interaktion beziehungsweise der Dienstleistung formt (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 29).

2.3.a) Emotionsarbeit

Als ersten Kernbestandteil der Interaktionsarbeit beschreiben sie in ihrem Text die Emotionsarbeit: diese beschreiben sie, in Anlehnung an die Werke der Autoren Erving Goffman und Arlie Russell Hochschild, als die Art von Arbeit, mit welcher emotionale Dissonanz innerhalb der Arbeit bewältigt werden soll. Die von den Beschäftigten während ihrer Arbeit tatsächlich erlebten Gefühle sollen von ihnen so reguliert werden, dass sie den Gefühlsregeln des Berufs oder der Organisation entsprechen. Falls diese sich nicht entsprechen herrscht emotionale Dissonanz und die Beschäftigten können die Anforderungen des jeweiligen Betriebes nicht erfüllen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 30). Beispielsweise muss in einer Verkaufssituation jede Art von Kundschaft bedient werden auch wenn das Verkaufspersonal negative Gefühle für diese hegt, ausgelöst beispielsweise durch deren Aussehen oder Verhalten. Das Verkaufspersonal einer Kosmetik-Abteilung muss eine der allgemeinen Meinung nach unattraktiven Kundin eine genauso positive Reaktion auf das Ergebnis eines Probeschminkens zeigen wie einer Kundin die attraktiv ist, da ansonsten der Verkauf des jeweiligen Produkts und somit der Erfolg des Betriebs gefährdet ist.

2.3.b) Gefühlsarbeit

Unter der Nutzung der Definitionen von Strauss erklären die Autoren darauffolgend die Bedeutung der Gefühlsarbeit oder des „sentimental work“. Im Gegensatz zur Emotionsarbeit beeinflusst der Dienstleister hier nicht seine eigenen, sondern die Gefühle des Klienten, um so die Durchführung des Arbeitsauftrages zu ermöglichen. Die Autoren beschreiben einzelne Beispiele wie die Vertrauensarbeit, bei der seitens des Klienten Vertrauen in einerseits den Dienstleister als Person und andererseits in seine Kompetenzen erzeugt werden soll (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 32).

Beispielsweise erläutern viele Psychotherapeuten, wenn sie das erste Gespräch mit einem Patienten haben ihren beruflichen Werdegang, um den Patienten über die eigenen Qualifikationen und Kompetenzen aufzuklären und so ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Als weiteres Beispiel nennen sie die biografische Arbeit (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 32). Durch Befragungen zum persönlichen Leben eines Patienten kann sich, um wieder das Beispiels des Psychotherapeuten heranzuziehen, der Therapeut einen Eindruck über den Patienten verschaffen und somit eine Diagnose über die psychische Verfassung des Patienten fällen.

2.3.c) Subjektivierendes Arbeitshandeln

Als dritte und letzte Kernkomponente der Interaktionsarbeit nennen die Autoren das „subjektivierende Arbeitshandeln“ einen Ansatz der von Böhle und einigen Mitarbeitern selbst entwickelt wurde. Bei einer personenbezogenen Dienstleistung, also einer Arbeit mit und am Menschen, ist aufgrund der Unbestimmbarkeit der Arbeitssituation, die eine Interaktion zwischen Dienstleister und Klient darstellt und von beiden wechselseitig bei jeder Interaktion neu geschaffen wird, eine genaue Planung von Arbeitsabläufen und deren Standardisierung nur begrenzt möglich. Das Leitbild des zweckrationalen Arbeitshandelns, welches ebenfalls für die personenbezogene Dienstleistung angewendet wird, muss demnach um eine Leitbild ergänzt werden, welches sich auf subjektivierendes, erfahrungsgeleitetes Arbeitshandeln bezieht (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 33). Im Gegensatz zum objektivierenden Arbeitshandeln, bei dem ein Beschäftigter planmäßig und rational vorgeht und beim Arbeitsablauf „allgemeingültige Kriterien für Wissen und Verfahren zur Anwendung kommen“ (Böhle/Glaser 2006, S. 33) nennen die Autoren beim subjektivierenden Arbeitshandeln das „Gespür“ also subjektives Erleben und Empfinden als Werkzeug des Wahrnehmens und Verstehens von Informationen, die sich nicht objektivieren lassen, die die Durchführung einer personenbezogenen Dienstleistung ermöglichen, bei dem der Beschäftige dialogisch/interaktiv vorgeht und ein eigenständig handelndes Subjekt den Arbeitsgegenstand darstellt (vgl. Böhle/Glaser 2206, S. 33).

Das „Erfahren“ sowie das subjektive Nachvollziehen, also die Empathie stellen innerhalb dieses Arbeitshandelns die Grundlage des praktischen und kognitiven Umgangs mit äußeren Umständen dar (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 33).

2.3.d) Gefühls- und Emotionsarbeit als professionelle Tätigkeiten

Die Autoren beschreiben sowohl die Emotionsarbeit als auch die Gefühlsarbeit und das subjektivierende Arbeitshandeln als Perspektiven als komplementär und notwendig, um eine Interaktion zwischen Klient und Dienstleister zu ermöglichen. Die Definition der Gefühlsarbeit und des subjektivierenden Arbeitshandeln sei von großer Bedeutung, da sie die Beeinflussung der Gefühle von Klienten, als wichtigen Bestandteil der Arbeitsaufgaben von Dienstleistern, betone. Weiterhin formulieren sie jedoch, dass die Konzepte der Gefühlsarbeit und des subjektivierenden Arbeitshandeln in der Forschung bisher nur wenig Beachtung gefunden haben (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 34). Dies lässt die Überlegung aufkommen, ob auch dies zur Problematik der Etablierung der Gefühls- und Emotionsarbeit als eine professionelle Arbeitsaufgabe innerhalb der Pflege beiträgt, da durch wenig Forschung in diesem Bereich deren Anerkennung und Honorierung und eine bessere Arbeitsgestaltung in diesem Bereich erschwert werden (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 34).

Nach dieser allgemeinen Beschreibung des Konzepts der Interaktionsarbeit soll dieses nun auf die Tätigkeiten von Pflegekräften angewendet werden.

3. Interaktionsarbeit in der Pflege

3.1 Warum ist Interaktionsarbeit gerade innerhalb der Pflege ansässig?

Die Autoren nennen besonders Pflege als ein Beispiel für eine Arbeit mit „komplexen Interaktionsepisoden“ die einer besonderen Qualifizierung bedürfen. (Böhle/Glaser 2006, S. 38). Wiederum wiederholen sie die Eigenschaften von personenbezogener Dienstleistungen in denen Interaktionsarbeit stattfindet, als eine Dienstleistung in der standardisierte Vorgehensweisen von individuellen, situativen Vorgehen verdrängt werden und sie prangern an, dass die Notwendigkeit bestehe für die interaktionsintensiven Berufe eine bessere Qualifizierung für diese Interaktionsarbeit, sowie unterstützende organisationale Rahmenbedingungen und mehr gesellschaftliche Wertschätzung zu erreichen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 38).

Durch die Beschreibung einer fiktiven Szene in einem Altenpflegeheim versuchen die Autoren die Rolle von Gefühlen in der pflegerischen Interaktion deutlich zu machen (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 60).

3.2 Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjektivierendes Arbeitshandeln innerhalb der Pflegetätigkeiten am Beispiel einer Altenpflegerin

Dem Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns zufolge wird der Umgang mit Gefühlen innerhalb des Pflegetätigkeit unter dem Aspekt erfasst, dass Gefühle für das Pflegepersonal als eine Art Werkzeug zu verstehen sind mit dem sie die Situation, in der sie sich gerade befinden (wie die beschriebene morgendliche Routine in dem Altenpflegeheim) wahrnehmen, Problemlagen erfassen (wie z.B. die fehlende Kooperation seitens der Patientin Frau Meier oder die Erkenntnis, dass die Patientin Durchfall hatte, worauf sie anhand ihrer Sinneseindrücke und Rückgriff auf ihre pflegerische Erfahrung schließen kann) und die verschiedenen Pflegesituationen zu verstehen (beispielsweise indem sie nachdem Patientin Frau Schmidt äußert, dass sie sterben möchte, begreift, dass die Patientin jetzt Zuwendung braucht, durch beispielsweise körperlichen Kontakt und tröstende Worte) (vgl. Böhle/Glaser 2006, S. 59 ff.).

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Details

Title
Ganzheitliche Pflege und die Ökonomisierung des Gesundheitssektors
College
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Institut für Soziologie)
Course
Proseminar "Pflege als globaler Arbeitsmarkt"
Grade
2,0
Author
Year
2017
Pages
32
Catalog Number
V1064653
ISBN (eBook)
9783346476937
ISBN (Book)
9783346476944
Language
German
Keywords
Pflege, Gesundheitssektor, Ökonomisierung, Ganzheitliche Pflege, Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit, Subjektivierendes Arbeitshandeln, Funktionspflege, Arbeitsmarkt, Pflegearbeit, Care-Arbeit, Pflegebranche, Pflegedienst
Quote paper
Johanna Ernst (Author), 2017, Ganzheitliche Pflege und die Ökonomisierung des Gesundheitssektors, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064653

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