Das Sprachbioprogramm und Kreolsprachen

Wie plausibel ist Derek Bickertons Sprachbioprogramm-Theorie für die Erklärung der Entstehung von sprachlichen Ähnlichkeiten bei Kreolsprachen?


Dossier / Travail, 2020

14 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Monogenese Theorie
1.2. Polygenese Theorie
1.3. Universalien Theorie

2. Bickerton’s Bioprogramm Hypothese
2.1. Hauptaussagen
2.2. Vorbemerkungen

3. Diskussion
3.1. Diagnostisches Potential
3.2. Neue Erklärungsansätze
3.3. Der Kreol-Begriff

4. Schlussbemerkung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kreolsprachen sind Sprachen, die sich entwickeln, wenn eine große Menge an Menschen unterschiedlicher Sprachherkunft für einen langen Zeitraum und ohne gemeinsame Sprache einander ausgesetzt sind. Dies war beispielsweise in den europäischen Kolonialzeiten zwischen 1500 und 1900 der Fall, wo es vor allem darum ging, Arbeiter aus aller Welt für den Plantagenbau der jeweiligen Kolonien zu rekrutieren (vgl. Bickerton 1984: 174). In diesem Migrationskontext entstanden dann Kreolsprachen, die sich in ihrer Lexik aus einem Teil der Koloniesprache (die europäische Sprache) und den Sprachen, die die Immigranten aus ihrer Herkunftsregion mitbrachten, zusammensetzten. Daher nennt man sie auch „lexifier languages“ (vgl. Ludwig 2003: 298).

Mit der langjährigen Entstehung der Kreolsprachen auf den Plantagen und später auch in den Städten, lassen sich Sprachen erkennen, dessen Entstehungserklärung aufgrund ihrer vielfältigen historisch-soziologischen Einflüsse und Sprachkontakten zu einer schwierigen Aufgabe geworden ist. Beispielsweise gibt es Kreolsprachen, die nie in Kontakt miteinandergetreten sind und trotzdem strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. Ludwig 2003: 298). Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, haben Linguisten einige Entstehungstheorien ausgearbeitet.

In dieser Arbeit werden die Haupt-Entstehungstheorien kurz vorgestellt, um im Anschluss auf eine der Theorien genauer einzugehen und sie im Hinblick auf ihre Plausibilität für die Erklärung der sprachlichen Ähnlichkeiten von Kreolsprachen zu überprüfen.

1.1. Monogenese Theorie

Die Monogenese Theorie basiert auf der Annahme, dass die strukturellen Ähnlichkeiten der verschiedensten Kreolsprachen mit einer gemeinsamen sprachlichen Herkunft zu erklären sind. Aus dieser gemeinsamen Basissprache ergeben sich dann die strukturellen Merkmale der heutigen Kreolsprachen. Man geht hier von einem afroromanischen Pidgin1 oder auch einer „Lingua Franca“ aus. Aus der Kolonisatorsprache soll dann das Vokabular entstammen. (Ludwig 2003: 301).

1.2. Polygenese Theorie

Die Polygenese Theorie begründet die strukturellen Ähnlichkeiten der Kreolsprachen durch einen Mix aus dem syntaktischen Erwerb der Kolonisatorsprache mit Einflüssen anderer schon entstandener Kreolsprachen, die diese Strukturen wiederum verändern können (vgl. Ludwig 2003: 302). In Bezug auf die romanischen Sprachen sollen sich beispielsweise Kreolsprachen auf der Karibik mit französischem Einfluss unabhängig voneinander entwickelt und an unterschiedlichen anderen sprachlichen Einflüssen der Umgebung orientiert haben (vgl. Ludwig 2003: 303).

1.3. Universalien Theorie

Die Universalien Theorie beschreibt das Entstehen von Kreolsprachen als einen Prozess, bei dem die Sprache mit Hilfe von einheitlich angeborenen Sprachvorstellungen über die Syntax gebildet wird. Derek Bickerton, einer der Hauptvertreter dieser Theorie, entwarf die Idee eines „angeborenen Bioprogramms“, welches jeder Mensch besitzt und mit dessen Hilfe bestimmte strukturelle sprachliche Merkmale bei der Herstellung einer neuen Sprache, ohne bestimmte Orientierung an eine andere Sprache oder Korrektur, automatisch in den Vordergrund rücken.

Bickerton erklärt sich so die strukturellen Ähnlichkeiten, die bei jedem Menschen durch eine angeborene gleiche Herangehensweise bei Benutzung bestimmter Merkmale im Entwerfen einer neuen Sprache angewendet werden. So wäre es möglich zu erklären, warum Kreolsprachen, die nie in Kontakt getreten sind, trotzdem gleiche sprachliche Merkmale aufweisen.

2. Bickerton’s Bioprogramm Hypothese

Bickerton’s These über das Bioprogramm sorgte bei der Veröffentlichung des Buches „Roots of Languages“ 1981 für viel Aufsehen und Diskussion nicht nur in der Kreolistik, sondern auch in der Spracherwerbsforschung. Der doch sehr konträre Lösungsansatz Bickerton’s für die Ähnlichkeiten der Kreolsprachen wirkt in seiner Radikalität interessant und birgt darüber hinaus einige Fragen und rege Diskussionspunkte.

Im Folgenden sollen Bickerton’s Hauptargumente kurz dargestellt werden, um dann drei Perspektiven seiner Theorie aufzuwerfen und diese im Kontext anderer Kritiker zu diskutieren.

Ziel der Arbeit ist es, unter den drei verschiedenen Aspekten, die Plausibilität der Theorie für die Erklärung von sprachlichen Gemeinsamkeiten unter Kreolsprachen, zu erörtern.

2.1. Hauptaussagen

Bickerton geht davon aus, dass bestimmte angeborene Sprachregeln die Auswahl an syntaktischen Merkmalen in Kreolsprachen beeinflussen und formen.

Als besonders überzeugend erweist sich für ihn die Kreolbildung auf Hawaii. Nach Bickerton ist die Kreolsprache dort noch in einem sehr jungen Entwicklungszustand, da sich die Kolonisation erst 1876-1920 vollzogen hat und so noch genügend empirische Daten vorliegen würden (vgl. Bickerton: 1984: 178). Darüber hinaus beschreibt der Linguist, wie sich das Hawaiikreol nicht vom Pidgin ableiten lassen könne, da es keinerlei Ähnlichkeiten zwischen dem Kreol und dem Pidgin geben würde – das Pidgin auf Hawaii der Immigranten sei viel zu sehr je nach Herkunftsland unterschieden, als dass das Hawaiikreol sich an ihm orientieren hätte können. Andere Fakten, die gegen die Weiterentwicklung vom Pidgin zum Hawaiikreol sprechen, wären für ihn, dass sich auch kein afrikanisches Substrat erkennen lasse und auch keine afrikanische Zuwanderung stattgefunden hätte. Das Hawaiikreol muss sich demnach innerhalb einer Generation und unabhängig vom gesprochenen Pidgin entwickelt haben. Bickerton schließt: Das Kreol müsse von den Kindern dieser Generation gebildet worden sein und die gemeinsamen strukturellen Merkmale ließen sich nur durch ein angeborenes Sprachprogramm erklären.

Mit Hilfe von Audioaufnahmen in den Jahren 1973 und 1974 von Personen, die als Immigranten das Hawaiipidgin und – Kreol gesprochen haben, konnte er seine Theorie an Beispielen überprüfen. Im weiteren Verlauf der Arbeit verglich er dann das Hawaiikreol mit anderen Kreolsprachen, die nicht miteinander in Kontakt getreten sind, um daraufhin feststellen zu können, dass es bestimmte immer wiederkehrende Merkmale gibt, die auf das Bioprogramm hinweisen sollten.

Gemeinsame Merkmale sind solche wie: Subjekt-Prädikat-Objekt-Stellung (SPO-Stellung), die Verwendung von Tempus-Modus-Aspekt-Partikeln (TMA-Partikel) sowie auch transparente grammatikalische Determinanten und minimale flexionale Affigierungen (vgl. Ludwig 2003: 298).

Bickerton nennt daraufhin 12 Aspekte, die bei den meisten Kreolsprachen in der fast immer gleichen Ausführung auftauchen. Im Folgenden sollen aufgrund des beschränkten Umfangs der Arbeit nur fünf dieser Merkmale kurz erläutert werden.

Der amerikanische Linguist stellt fest, dass die meisten Kreolsprachen die Kategorien Tempus, Modalität und Aspekt2 mit freien Partikeln vor den Verben in genau dieser Reinfolge ausdrücken (vgl. Bickerton 2016: 54).

Weiter erkennt er, dass fast alle Kreolsprachen Relativpronomen besitzen, man aber nicht ausschließen könne, dass sie in frühen Entwicklungsstadien nicht vorgekommen wären (vgl. Bickerton 2016: 58). Zudem sind Adjektive meist Unterkategorien von Zustandsverben (Bickerton 2016: 68). Auch Fragewörter und -sätze haben eine besondere Konstellation in Kreolsprachen. Bickerton stellt fest: „No creole shows any difference in syntactic structure between questions and statements. Question-particles, where they occur, are sentence-final and optional.” (Bickerton 2016: 65). Darüber hinaus werden einzelne Satzglieder betont, in dem sie an den Satzanfang gestellt werden. Der Autor beschreibt, wie auffällig es sei, dass die Kreolsprachen auf keine andere Möglichkeit der Hervorhebung einzelner Konstituenten zugreifen, sondern ausschließlich diese Regel benutzen.

2.2. Vorbemerkungen

Bickerton schränkt die Kreolsprachen, auf die er sich beziehen will, auf zwei Faktoren ein. Er behandelt nur die Kreolsprachen, die 1) aus einem Pidgin entstanden sind, das nicht länger als eine Generation existiert hat und die 2) in einer Gesellschaft entstanden sind, wo nicht mehr als 20 Prozent Muttersprachler der dominanten Kolonialsprache waren und 80 Prozent der Sprecher verschiedenen Sprachgruppen ausgesetzt war (vgl. Bickerton 2016: 7).

Mit diesen zwei Bedingungen stellt Bickerton sicher, dass der Erwerbsprozess der jeweils zu betrachteten Sprache in einem Sprachumfeld passiert, in dem es keine klaren Strukturen gab, an denen man sich orientieren hätte können. Nach Bickerton ist dadurch garantiert, dass der Spracherwerb in diesen Fällen am nächsten an dem natürlichen Sprachentwicklungsprozess dran ist, der sich folglich am Bioprogramm orientiert.

Die erste Veröffentlichung seiner Theorie in „Roots of Languages“ in 1981, veröffentlicht von Karoma Press (Ann Abor), sorgte über die Jahre hinweg für viel Diskussion.

Beispielsweise wurde seine Theorie 1984 in „the language bioprogram Hypothesis“, in dem Bickerton seine Theorie zusammenfasst und verstärkt auf die Abgrenzung seiner Theorie zu Chomskys Universalgrammatik klarmacht, von anderen Linguisten kommentiert. Weitere Veröffentlichungen wie „ Language and Human Behavior“ in 1995 oder „ More Than Nature Needs: Language, Mind, and Evolution“ in 2014 zeigen mehr Aspekte seiner Theorie und gehen in Richtung Spracherwerbsforschung. 2016 erschien eine überarbeitete Version von dem Werk „Roots of Languages“. Da der Umfang dieser Arbeit beschränkt ist, werde ich mich vor allem auf dieses Werk beziehen und darauf verzichten alle Überarbeitungen seiner Theorie im Detail zu erklären.

Stattdessen soll es in der Präsentation der Kritikpunkte um die Frage gehen, inwieweit Bickerton’s Theorie, mit einem Fokus auf ihre Hauptaussagen, für die Entstehung der Ähnlichkeiten des Kreols, aufkommen kann. So klärt auch Bickerton den Leser in der Préface to the 2016 Edition auf:

„Almost 35 years have elapsed since Roots of Language first appeared. It is therefore surprising how little needs to be changed. (…) there is no need to change the central contentions of the original book, e.g. that creole languages arise in a single generation, and are created from an original, virtually structureless pidgin by children, who have an access to universal grammar unavailable to their elders, with minimal reference to the (substrate) languages by their parents.” (Bickerton 2016: vii)

3. Diskussion

In den folgenden Abschnitten werden drei Perspektiven der Theorie auf die Lösung des Problems der Ähnlichkeiten in Kreolsprachen genannt und diesbezügliche Stellungnahmen diskutiert.

3.1. Diagnostisches Potential

Die Language Bioprogram Hypothesis kann anderen Gegentheorien gut standhalten, da sie einige ausschließen oder auch zulassen kann. In Bezug auf die Substratargumente ist sein Argument, dass selbst wenn die erste Kreolsprechergeneration Regeln von der Substratsprache übernommen hätte, dann nur, weil das Bioprogramm genau diese Regeln zur Verwendung fordert und nicht, weil sie zufällig in der Inputsprache existieren. Die Substrat-Argumente würden ihn demnach nur wieder zu gleichen Frage bringen: Warum werden manche Regeln übernommen und manche nicht? (Bickerton 2016: 47)

Annahmen der Monogenese-Theorie über die Entstehung der Ähnlichkeiten von Kreolsprachen über eine gemeinsame Basissprache widerlegt Bickerton mit dem Argument, dass es keine Erklärung dafür gebe, warum dann beispielsweise ein homogenes Substratum und Pidgin in der Karibik und ein heterogenes Substratum und Pidgin in der Hawaii Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. Bickerton 1984: 184).

[...]


1 Pidginsprachen sind Sprachvarietäten, die in Sprachkontaktsituationen des Handels oder Warenaustausches gesprochen werden und keine vollständige Grammatik besitzen. Man kann sie auch als Handels- und Bedarfssprachen bezeichnen. Aus ihnen kann sich gegebenenfalls eine Kreolsprache entwickeln, die dann mehr Lebensbereiche betrifft und über einen ausgebauten Wortschatz sowie eine spezifische Sprachstruktur verfügt und als Muttersprache weiter existieren kann (vgl. Bollée 2008: 126).

2 Im Folgenden: „TMA-System“

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Das Sprachbioprogramm und Kreolsprachen
Sous-titre
Wie plausibel ist Derek Bickertons Sprachbioprogramm-Theorie für die Erklärung der Entstehung von sprachlichen Ähnlichkeiten bei Kreolsprachen?
Université
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Romanistik)
Cours
Sprachkontakt in der Karibik
Note
1,3
Auteur
Année
2020
Pages
14
N° de catalogue
V1064767
ISBN (ebook)
9783346478832
ISBN (Livre)
9783346478849
Langue
allemand
Mots clés
Karibik, Sprachkontakt, LBH, Language Bioprogram Hypothesis, Derek Bickerton, Bickerton, Bioprogramm, Sprachwissenschaft, Kreolsprachen, Spracherwerb
Citation du texte
Mariam Hassan (Auteur), 2020, Das Sprachbioprogramm und Kreolsprachen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064767

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