Missionare und Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich


Dossier / Travail, 2001

22 Pages


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Biblische Grundlagen für die Mission

3. Die deutsche Mission
3.1. Die Anfänge der deutschen Mission
3.2. Die evangelischen Missionsgesellschaften und die katholische Mission
3.2.1. Evangelische Missionsgesellschaften
3.2.2. Katholische Mission
3.2.3. Missionarischer Nachwuchs

4. Mission und Kolonialismus

5. Einstellung der Missionare zur Kultur der indigenen Bevölkerung

6. Inwieweit vertrat die Mission die Interessen der indigenen Bevölkerung
6.1. Branntwein
6.2. Sklaverei

7. Der christliche Aufbruch der traditionellen Gesellschaften

8. Missionsmethoden

9. Die Bewertung der Missionare durch die indigene Bevölkerung

10. Schluß

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„[...] Die Mission ist es, die unsere Kolonien geistig erobert und innerlich assimiliert[...]. [...] Durch Strafen und Gesetze kann der Staat den physischen Gehorsam erzwingen, die seelische Unterwürfigkeit und Anhänglichkeit der Eingeborenen bringt die Mission zustande [...].1 Das oben stehende Zitat des Missionswissenschaftlers Joseph Schmidlin über das Bündnis von Mission und Kolonisation aus dem Jahre 1913 gilt es im folgenden zu untersuchen. Es ist die Frage zu stellen, welche Ziele die christlichen Missionare des Deutschen Kaiserreiches dazu veranlaßte, missionarisch tätig zu werden und wie weit sie tatsächlich in den deutschen Kolonialismus eingebunden waren.

Hierzu werde ich zunächst auf die biblischen Grundlagen für die christliche Missionstätigkeit eingehen, um im Anschluß daran einen Blick auf die protestantischen Missionsgesellschaften sowie die katholische Mission zu werfen.

Hieran schließe ich das Thema Mission und Kolonialismus an, in dem aufgezeigt werden soll, inwieweit die Mission tatsächlich mit dem Kolonialismus verwoben war. Von nicht unerheb- licher Bedeutung ist der folgende Abschnitt, der sich mit der Einstellung der Missionare zur Kultur der indigenen Bevölkerung befaßt, da sich durch die Untersuchung dieser Frage ermit- teln läßt, welchen Stellenwert die Afrikaner und ihre Kulturen für die Missionare einnahmen. Die Frage, ob die Missionare die Interessen der indigenen Bevölkerung vertreten haben, ist meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung für die Ermittlung des Sachverhaltes, ob die Mission nur Erfüllungsgehilfe des Kolonialismus gewesen ist, oder auch positiv für die Afrikaner gewirkt hat. Hiermit in engem Zusammenhang steht die Ermittlung der Missionsmethoden, welche die Missionare bei ihrer Missionstätigkeit eingesetzt haben. Anschließend werde ich noch einen kurzen Blick auf die Fragestellung werfen, wie die indigene Bevölkerung selber die Missionare erlebt und daraufhin bewertet haben, um abschließend aus dem vorhandenen Material ein Fazit zu ziehen.

In meiner Betrachtung der christlichen Missionstätigkeit zur Zeit des Deutschen Kaiserreiches habe ich mich auf die deutsche Mission in Afrika beschränkt, um den vorgegebenen Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen. Jedoch lassen sich einige der untersuchten Bereiche auch auf die deutsche Missionstätigkeit in anderen Erdteilen übertragen, da sie allgemeinerer Natur sind (zum Beispiel die Biblischen Grundlagen für die Mission).

Daneben habe ich wichtige Fragestellungen, wie zum Beispiel das Verhältnis zwischen christ- licher und islamischer Mission, weitgehend unberücksichtigt gelassen, oder nur kurz angedeu- tet. Auch gehe ich in dieser Überblicksbetrachtung nicht näher auf einzelne bedeutende Per- sönlichkeiten der (deutschen) Mission wie Friedrich Fabri oder Friedrich Michael Zahn ein, die ein oftmals sehr gegensätzliches Missionsverständnis vertreten haben. Ich habe, wo es mir nötig erschien, mit Fallbeispielen gearbeitet, um bestimmte Argumente von Wissenschaftlern zu bekräftigen oder in Frage zu stellen. Die vorliegende Arbeit gibt sicher nur einen Überblick über die deutsche Mission Afrikas zur Zeit des Deutschen Kaiser- reiches. Ich denke jedoch, dass sie trotz aller Kürze einen Einblick in dieses interessante Thema liefern kann.

2. Biblische Grundlagen für die Mission

Laut Werner Ustorf ist die Mission ein inhärenter Bestandteil des gesamten Neuen Testaments. Jedoch enthält dieses keine eindeutige Vorschrift wie missioniert werden soll, noch ist eindeutig geklärt, was unter Mission genau zu verstehen sei.2

Die Ursache hierfür liegt nach Werner Ustorf darin begründet, dass sowohl in den Matthäus- und Lukasevangelien, als auch in den Paulinischen Briefen unterschiedliche Deutungen der Mission vorhanden sind.3 Daraus ergibt sich, dass unterschiedliche christliche Konfessionen und sogar die einzelnen Missionare ein unterschiedliches Verständnis von Mission vertreten haben, da sie sich in ihrer Missionstätigkeit auf unterschiedliche Deutungen der Mission beru- fen haben.

Laut Ustorf ist der Missionsbefehl des Matthäus 28,19: “Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, ...“4 die “Magna Charta“5 für die Evangelikalen sowie die westliche Missionsbewegung gewesen.

Im Gegensatz dazu haben sich die Liberalen besonders auf Lukas 4,18-19 berufen.6 Dort heißt es: “Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“7

3. Die deutsche Mission

Für Friedrich von Bodelschwingh, wie auch für die christliche Mission in ihrer Gesamtheit, war, laut Horst Gründer, die Erschließung der Welt und die Aufteilung derselben unter den europäischen Staaten eine verborgene Aufforderung Gottes, die ganze Welt zu bekehren.8 Es gab daneben große Bestrebungen, die Welt innerhalb einer Generation zu missionieren. Eine fundamentale Kritik an der Kolonisation verbot sich aufgrund dieser heilsgeschichtlichen Erwartungen daher laut Gründer für die christlichen Missionare.9

3.1. Die Anfänge der deutschen Mission

Hervorgegangen ist die Missionsbewegung (nicht die Mission an sich) laut Johannes Lucas de Vries aus dem Pietismus, der im wesentlichen eine Bewegung von Laien war.10

Die ersten Anfänge des Pietismus liegen etwa um das Jahr 1621 und sind eng mit Johann Arndt verbunden. Kennzeichnend für den Pietismus ist unter anderem eine strenge, wortwört- liche Bibelauslegung. Daneben waren die Pietisten der Ansicht, dass die Wiederkehr Christus unmittelbar bevorstände. Dieser Wiederkehr folge eine tausendjährige Endzeit, in der von Gott diejenigen versammelt würden, die in seinem Reich zusammen mit ihm leben werden. Dogmen und Bekenntnisse spielten für Pietisten keine besondere Rolle, stattdessen wurde die individuelle “Herzensfrömmigkeit“11 betont. Außerdem war bei ihnen eine Abkehr von allem Weltlichen, wie zum Beispiel Tanz und Theater, sowie auch eine Distanz zu Volks- oder Amtskirchen zu erkennen.12

Mit dem Aufkommen der Aufklärung geriet die Missionsbewegung in eine Krise, da die bisherige theologische Welterklärung ins Wanken geriet und damit verbunden die historischkritische Bibelauslegung, unter anderem vertreten von Johann Salomo Semler enstand.13 Von besonderer Bedeutung war auch Immanuel Kant mit seiner Religionsphilosophie. In ihr widerlegt er alle Versuche, Religion und damit auch Gott vom Wissen her zu beweisen, da das Wissen “auf die Dinge in Raum und Zeit“14 beschränkt sei.15

3.2. Die evangelischen Missionsgesellschaften und die katholische Mission

Zwischen Katholiken und Protestanten herrschte ein Konkurrenzverhältnis in Bezug auf die Missionierung der Afrikaner. Dies zeigt unter anderem Harald Sippel am Beispiel Deutsch - Ostafrika auf. Dabei ging es wohl teilweise weniger um eine Anwerbung der Afrikaner für die jeweils eigene Konfession, sondern die Afrikaner wurden im Machtkampf zwischen Katholiken und Protestanten gegeneinander ausgespielt.16

Wie ich aufzeigen werde stand die katholische Mission im Deutschen Kaiserreich daneben noch vor besonderen Schwierigkeiten. Ich werde nun zunächst die protestantischen Missionsgesellschaften und im Anschluß die deutsche katholische Mission betrachten.

3.2.1. Evangelische Missionsgesellschaften

Im Deutschen Kaiserreich existierten eine Reihe von evangelischen Missionsgesellschaften mit unterschiedlichen Zielsetzungen, die sich einerseits aus ihren Glaubensvorstellungen er- gaben, als auch mitbestimmt wurden durch zentrale Persönlichkeiten der jeweiligen Missi- onsgesellschaft.

Zunächst ist hier die Rheinische Missionsgesellschaft zu nennen. Sie wurde 1828 in Barmen gegründet und war die größte evangelische Missionsgesellschaft in Deutschland.17 Die Mitglieder dieser Missionsgesellschaft scheinen dem Pietismus nahegestanden zu haben.18 Zentrale Figur war der Kolonialpropagandist Friedrich Fabri, der jedoch nach internen Querelen im Jahr 1884 das Missionshaus nach 27jähriger Amtszeit verließ. Schwerpunkte der Missionstätigkeit in Afrika bildete Südwestafrika.19

Daneben existierte die Norddeutsche Mission (Bremer Mission). Gegründet wurde sie im Jahre 1836. Ihre Mitglieder setzten sich sowohl aus Lutheranern als auch Reformierten Christen zusammen.20 Beheimatet war diese Missionsgesellschaft hauptsächlich in den Städten Bremen, Hamburg und Oldenburg. Bei dieser Gesellschaft kam es zu einer starken Verquickung von Missions- und Handelstätigkeit (insbesondere auch durch die Familie Vietor). Hauptsächliches Missionsgebiet in Afrika war die Kolonie Togo.21

Die Basler Missionsgesellschaft wurde im Jahr 1815 in der Schweiz gegründet. Trotzdem kann sie in die Betrachtung der deutschen Missionsgesellschaften mit einbezogen werden, da ihr Einflußbereich sich insbesondere auch auf Württemberg und Baden erstreckte. Die Gesell- schaft war sowohl pietistisch als auch kalvinistisch geprägt. Es herrschte bei ihr eine noch stärkere Verbindung zwischen Handel und Mission vor als bei der Norddeutschen (Bremer) Mission. In Afrika war sie vor allem in Kamerun, aber auch an der Goldküste (welche Togo mit einschließt), tätig.22

Die Evangelisch-Lutherische Mission (Leipziger Missionsgesellschaft) wurde 1836 in Dresden gegründet, verlegte ihren Sitz aber später nach Leipzig.23 Der Schwerpunkt ihrer Missionsarbeit lag in Deutsch-Ostafrika.24

Neben den bereits genannten existierten drei Berliner Missionsgesellschaften, die in Afrika missionarisch tätig waren. Dies waren einmal die Goßnersche Mission, die ihre Missionsar- beit in Kamerun betrieb,25 sowie die Berliner Missionsgesellschaft, die in Afrika, vor allem in Deutsch-Ostafrika, tätig war.26 Hinzu kommt noch die jüngere Evangelische Missionsgesell- schaft für Deutsch-Ostafrika, auch Bethel-Mission genannt, deren Missionsfeld sich, wie ihr Name schon andeutet, auf Deutsch-Ostafrika beschränkte. Die zuletzt genannte Gesellschaft scheint äußerst imperialistische Züge aufgewiesen zu haben. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass viele Mitglieder gleichermaßen Mitglieder der organisierten Kolonialbewegung waren.27

Zu erwähnen sind hier noch Missionsgesellschaften wie die der Deutschen Baptisten (Berlin), die Neukirchener Missionsgesellschaft (Rheinland), die Herrnhuter Brüdergemeinde, die Siebenten-Tags-Adventisten, die Schleswig-Holsteinische Missionsgesellschaft, die Breklumer Mission,28 oder auch die Hermannsburger Mission.29

Das nähere Eingehen auf diese Missionsgesellschaften würde jedoch den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen.

3.2.2. Katholische Mission

Im Deutschen Kaiserreich befand sich die katholische Mission, bezüglich ihrer Missionstätigkeit in den deutschen Kolonien, in einer schwierigen Lage. Ein wichtiger Grund hierfür waren die von Bismarck erlassenen Kulturkampfgesetze, resultierend aus dem Unfehlbarkeitsdogma des Papstes (1870) sowie den kirchenpolitischen Vorstellungen der Zentrumspartei sowie von Führern der katholischen Kirche.30

Durch diese Kulturkampfgesetze waren unter anderem der katholische Jesuitenorden, sowie alle mit ihm verwandten Orden verboten worden. Eine genaue Definition, was unter verwand- ten Orden zu verstehen sei, wurde jedoch nicht getroffen, so dass im Zweifelsfall jeder Orden von der Staatsregierung verboten werden konnte. Von besonderer Bedeutung ist das Verbot des Jesuitenordens für die katholische Mission, weil aus ihm die meisten katholischen Missi- onare entstammten. Erst mit dem Ende der Kulturkampfgesetze wurde es für die Deutschen Katholiken wieder realistisch, Missionsarbeit in deutschen Kolonien zu betreiben. Zwar wurden die Jesuiten weiter abgelehnt, es kam jedoch zu einer veränderten Einstellung, welche Orden mit den Jesuiten verwandt seien. Hierdurch wurde es für andere Orden möglich, Missionsarbeit in Afrika zu betreiben.31

3.2.3. Missionarischer Nachwuchs

Der überwiegende Teil insbesondere der protestantischen Missionare entstammte aus spätgeborenen Söhnen von Bauern, die keine Möglichkeit hatten den elterlichen Hof zu übernehmen, sowie aus Söhnen von Handwerkern, kleinen Angestellten und Beamten. Ihnen bot die Missionstätigkeit die Chance, den beengten Verhältnissen zu entfliehen und gleichzeitig einen sozialen Aufstieg zu erlangen.32

Politisch standen sie den Rechten innerhalb des Zentrums sowie den Konservativen und Christlich-Sozialen nahe.33

4. Mission und Kolonialismus

Die Missionare waren oftmals die ersten Repräsentanten der Regierung.34

Dies hatte laut Gründer zur Folge, dass “die christliche Mission [...] in der Neuzeit in direkter Abhängigkeit von der europäischen Kolonialpolitik [blieb]“.35

Auch der Ruf nach einer staatlichen Ordnungsmacht ging oftmals von den Missionaren selbst aus, unter anderem, um dadurch vor der Gefahr der Vertreibung durch die indigenen Machthaber bewahrt zu werden.36

Die Missionare waren eine große Stütze des Kolonialismus, was an mehreren Fakten deutlich wird. So lieferten sie den Kolonialisten durch das christliche Untertanengebot in Römer 13 wo es unter anderem heißt: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt [...]37 sowie der christlichen, insbesondere auch protestantische Arbeitsethik (ora et labora) eine Rechtfertigung für die Form der betriebenen Kolonisation.38 Dabei ist zu betonen, dass Gehorsam unter die kolonialen Institutionen der staatlichen Gewalt als Selbstverständlichkeit angesehen wurde, man der Autorität von Anführern der indigenen Bevölkerung dagegen keiner größeren Bedeutung beigemessen hat, wie dies Adja° Paulin Oloukpona-Yinnon am Beispiel der Ewe beim sogenannten Tové - Aufstand des Jahres 1895 in Togo aufzeigt.39

Daneben blieben Missionskreise auch nicht unbeeinflußt von sozialdarwinistischen und rassistischen Vorstellungen, die davon ausgingen, dass die Völker in einem Konkurrenzkampf ums Überleben ständen.40

5. Die Einstellung der Missionare zur Kultur der indigenen Bevölkerung

Laut Gründer spielte auch der Kulturimperialismus eine bedeutende Rolle bei der Missionsar- beit. Die Missionare gingen dabei von der kulturellen Überlegenheit des europäischen Chris- tentums aus, der das Endziel der kulturellen Entwicklung darstelle.41 Als biblische Rechtferti- gung scheint hierbei Lukas 1,78-79 gedient zu haben, wo es heißt: “Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes / wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, / und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens.“42

Dies hatte auch Auswirkungen auf die Sicht der so bezeichneten Naturvölker, insbesondere in Afrika. Die Angehörigen dieser Völker müßten erst zu Menschen gemacht werden, bevor ihnen das Evangelium zu vermitteln sei.43

Diese Sichtweise zeigt sich auch darin, dass Afrikaner häufig nicht als Erwachsene betrachtet, sondern als unmündige Kinder gesehen wurden.44

Daneben war die Vorstellung verbreitet, dass die indigenen Bevölkerungen sowohl moralisch als auch religiös verderbt seien. Hierauf werde ich im Folgenden noch näher eingehen. Einer der wenigen Missionare, die der Kulturmission ablehnend gegenüberstanden, war der Bremer Missionsinspektor Friedrich Michael Zahn.45

Es gab in den afrikanischen Kulturen eine Reihe von gesellschaftlichen Konventionen, die den Missionaren als amoralisch erschien.

Wie Gunther Pakendorf anführt, wurden von den Missionaren oft Sünden, die sie als solche in Europa wahrnahmen, auf die Afrikaner projiziert.46

Daneben gab es bei den indigenen Ethnien gesellschaftliche Übereinkünfte, die in Europa nicht (oder kaum) verbreitet waren. Zu nennen sind hier Initiationsriten wie die Beschneidung oder die Polygynie.47

Von den Missionaren wurde in der Regel nicht gesehen, dass diese Riten zu einer Stabilisie- rung der sozialen Gemeinschaft beitrugen. Durch sie wurde ein Geflecht von Beziehungen geschaffen. Dies zeigt Elfriede Höckner in Verbindung mit der Polygamie bei den Lobedu auf. Höckner gesteht jedoch zu, dass die Polygamie von den afrikanischen Gesellschaften durchaus mit Druck gegenüber einzelnen Personen durchgesetzt wurde.48 Es gab jedoch auch einzelne Missionare, die aufgrund ihres direkten Kontaktes zur indigenen Bevölkerung die christliche Sichtweise nicht teilten und die Ablehnung der Polygynie be- zweifelten.49

6. Vertrat die Mission die Interessen der indigenen Bevölkerung?

Nach Horst Gründer war die Vertretung der Interessen der indigenen Bevölkerung durch die Missionare oftmals davon abhängig, welche Kontakte zu den jeweiligen kolonialen Machtha- bern (z. B. Gouverneuren) bestanden. Waren die kolonialen Machthaber keine Stütze der ei- genen Missionstätigkeit, waren die Missionare durchaus bereit, Kritik am Verhalten der Ko- lonialisten zu äußern. Gab es jedoch Unterstützung von Seiten der jeweiligen kolonialen Machthaber, fiel die Kritik meist weitaus geringer aus oder wurde erst gar nicht geäußert.50 Daneben ging es bei Konflikten, die angeblich um die Interessen der Afrikaner geführt wur- den, häufig um eigene Machtinteressen der Missionare. Mit dem Schwinden ihrer weltlichen

Machtbefugnisse innerhalb der Kolonien, sahen sie zunehmend auch ihren Einfluß auf die indigenen Bevölkerungen schwinden.51

Insgesamt war die Einflußnahme für die Interessen der Afrikaner häufig davon abhängig, welche positiven oder negativen Begleiterscheinungen für die Missionstätigkeit damit zu er- warten waren. Trotz allem scheinen sich Missionare, oftmals im Verbund mit der Kolonialre- gierung, für die Afrikaner und gegen die Interessen der Unternehmer eingesetzt zu haben.52 So zum Beispiel bei der Landenteignung der Bakwiri in Kamerun. Jedoch geschah auch dies nicht aus völlig uneigennützigen Interessen. Die Basler Missionare befürchteten nämlich, dass eine Christianisierung eher bei freien afrikanischen Bauern und Handwerkern Erfolg ver- sprach, als bei enteigneten und dadurch besitzlosen Lohnarbeitern, bei denen die Gefahr be- stand, dass sie sich radikalisieren. Außerdem stand die Missionstätigkeit der Basler Mission in diesem Gebiet als Ganzes auf dem Spiel. Deshalb kann man nicht davon sprechen, dass die alleinige Intention in dem Schutz der indigenen Bevölkerung bestand.53

Es sollte noch erwähnt werden, dass sich die katholischen Missionare, wohl aus taktischen Gründen, in keiner Weise für die von Enteignung bedrohten Afrikaner in diesem Gebiet eingesetzt haben.54

Daneben wurden von den Missionsgesellschaften auch karitative Aufgaben wahrgenommen. Die ärztliche Versorgung erlangte jedoch erst nach 1914 einen wirklichen Aufschwung und war auch nicht frei von Eigeninteressen der Missionen, die den Einfluß der Medizinmänner zurückdrängen wollten, da diese die größten Gegner der Missionare in politischen und kultu- rellen Dingen waren.55

Werner Ustorf zeigt außerdem auf, dass eine soziale Versorgung insbesondere auch der zum Christentum konvertierten Bevölkerung notwendig war, um sie dauerhaft ans Christentum zu binden. Denn nach Ustorf haben die zum Christentum übergetretenen Afrikaner oftmals ihre Lebensgrundlage verloren, da mit der Konvertierung ein Bruch von bisherigen religiösen und kulturellen Vorstellungen notwendig war. Durch diesen Bruch stellten die Konvertierten in- nerhalb ihrer Gesellschaft eine Minderheit dar und wurden von dieser deshalb ausgestoßen. Für die Missionsgesellschaften war es nun notwendig, diesen Menschen durch soziale Maß- nahmen aufzufangen, um ihnen weiterhin eine Lebensperspektive zu bieten.56

6.1. Branntwein

Die Missionare bewerteten den Kampf gegen den Branntweinexport nach Afrika als Maß- nahme zur Vertretung der Interessen der Afrikaner. Die Leitung hierbei übernahmen die Bas- ler als auch die Norddeutsche Mission (insbesondere Vertreten durch den Bremer Missionsin- spektor Franz Michael Zahn). Neben der moralischen Mißachtung des Branntweinhandels spielten auch in diesem Fall Eigeninteressen eine Rolle. Denn Bekehrung und Erziehung der Afrikaner wurden nach Einschätzung der Missionare durch den Alkoholkonsum einge- schränkt. Wirtschaftliche Interessen standen jedoch der Einschränkung bzw. Verhinderung des Alkoholexports entgegen. Neben den Branntweinherstellern- und exporteuren gab es auch von Seiten des Deutschen Kaiserreiches aus finanzpolitischen Gründen ein Interesse an weite- rem Branntweinexport, da etwa drei Fünftel des Exporthandels nach Afrika aus der Ausfuhr von Spirituosen bestand. Von katholischer Seite scheint die Kritik am Alkoholhandel sehr zurückhaltend gewesen sein. Auch von protestantischer Seite scheint es zu einer Abnahme der Kritik am Alkoholhandel, insbesondere seit der Zeit der Jahrhundertwende, gekommen zu sein.57

6.2. Sklaverei

In der Frage der Abschaffung der Sklaverei übernahmen die Missionsgesellschaften eine Vor- reiterrolle innerhalb der Kirchen. Sie wurden dabei insbesondere von christlichen Gruppie- rungen wie den Quäkern und den Methodisten beeinflußt, welche die bisherigen Rechtferti- gungsstrategien der christlichen Kirchen zur Aufrechterhaltung der Sklaverei kritisierten. Die Antisklavereibewegung wurde jedoch von den Kirchen instrumentalisiert, um eigene Interes- sen durchzusetzen, nämlich im Kampf gegen die Ausbreitung des Islam, welcher die Haus- sklaverei zu dulden schien. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Sklaverei Jahrhunderte lang sowohl von der katholischen Kirche als auch von Protestantischen Kirchen nicht nur to- leriert sondern sogar gerechtfertigt wurde.58

Rechtfertigungsgrundlage waren unter anderem der Erste Korintherbrief 7,20-22, in dem es heißt: “Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter. Denn wer im Herrn als Sklave berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen wurde, Sklave Christi.“59

7. Der christliche Aufbruch der traditionellen Gesellschaften

Trotz aller bisher geäußerten Kritik an den Missionsgesellschaften und der Mission als ganzem, ist es zu einer objektiven Darstellung der christlichen Mission notwendig, auch die positiven Aspekte mit aufzuzeigen. Dabei kann es jedoch nicht ausbleiben, diese einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Die Missionare trafen nicht auf afrikanische Gesellschaften, die in Harmonie und Friedfertig- keit miteinander lebten. So ist zum Beispiel der Sklavenhandel von Afrikanern der Ober- schicht selbst durchgeführt und getragen worden, wobei jedoch insbesondere die Europäer die Organisation übernahmen und die „Nachfrage“ von Nordamerikanern geweckt wurde.60 Neben Unterdrückungsmaßnahmen von afrikanischen Ethnien untereinander, existierten laut Gründer in Afrika auch gewisse gesellschaftliche Praktiken wie Kannibalismus sowie Ritual- und Kindermorde vor, die an westeuropäischen Maßstäben gemessen zumindest als höchst fragwürdig erscheinen. Deshalb fielen auch Missionsbemühungen teilweise auf fruchtbaren Boden bei den Einheimischen, die in ihren Gesellschaften zu unterprivilegierten Gruppierun- gen gehörten. Durch Bildungsmaßnahmen wurden die nachwachsenden Generationen für das Christentum interessiert und von den Missionaren kulturell beeinflußt (siehe nachfolgenden Abschnitt).61

Die Missionsstationen waren nach Gründer im allgemeinen durchaus Zentren der Modernisierung. Durch die christlichen Lebensvorstellungen wurden bei den afrikanischen Ethnien Prozesse der Individualisierung ausgelöst. Daneben verloren die politischen und religiösen Führer wie Häuptlinge oder Medizinmänner an Bedeutung, da sie nicht mehr als die maßgebenden Autoritäten betrachtet wurden. Dies führte zu einer Öffnung der Gesellschaft. Zusätzlich sind durch die Missionare Fortschritte in der ökonomischen Entwicklung mit in Gang gesetzt worden. Dies betrifft einmal den Anbau neuer Nutzpflanzen, daneben den Import neuer Techniken und Strukturen in Handwerk und Handel.62

Auch wenn das Christentum nach Gründer in sozialer Hinsicht ein die afrikanischen Gesellschaften modernisierendes Element darstellte, stand die Politik der Mission dazu in starkem Gegensatz, da sie die Afrikaner in Verhältnisse der Abhängigkeit, insbesondere auch in wirtschaftlicher Hinsicht, zwang.63

Missionsschulen

Der Versuch, Einfluß auf die Afrikaner sowohl in kultureller als auch religiöser Hinsicht zu nehmen, geschah von den Missionsgesellschaften insbesondere über die Missionsschulen. Ihnen kam dabei zu gute, dass sie in ihrer Tätigkeit weitgehend unabhängig waren. Von we- nigen staatlichen Schulen abgesehen waren sie die einzigen, die eine europäische Schulbil- dung anboten.

Durch die Bildungsmaßnahmen wurde die Jugend unter anderem in die Lage versetzt, christ- liche Schriften wie die Bibel zu lesen, wobei der Erziehung der Kinder zu gehorsamen Unter- tanen eine wesentlich höhere Beachtung geschenkt wurde als der eigentlichen Wissensver- mittlung. Durch die Schulen waren die Kinder zudem in ständigem Kontakt mit den europäi- schen Missionaren, die dadurch starken Einfluß auf sie ausüben konnten. Um der afrikani- schen Jugend einen Anreiz zu geben, in die Missionsschulen zu gehen, wurde sie dort mit Essen versorgt.

Etwa sechs Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen sechs und 14 Jahren gingen in den deutschen Kolonien vornehmlich in Missionsschulen. Es sollte jedoch bemerkt werden, dass die Schulbildung ein relativ geringes Niveau aufwies. Dies war durchaus beabsichtigt, um nicht eventuellen Emanzipationsprozessen der afrikanischen Bevölkerung Vorschub zu leis- ten.

Die Ziele bestanden einmal in einer religiösen Unterrichtung. Daneben sollten die Afrikaner nur soweit erzogen werden, um sie in die Lage zu versetzen, die Anforderungen der Deut- schen zu erfüllen, somit eine Erziehung zur „Unterwürfigkeit“,64 wie dies Oginga Odingas formulierte.

Trotz dieser Zielsetzung verstärkten die Missionsschulen durchaus die Entwicklung von E- manzipationsprozessen der Afrikaner gegenüber den Europäern. Dies lag einmal an einzelnen Missionaren, die sich nicht sonderlich um die oben formulierten Zielsetzungen scherten, son- dern sich den Afrikanern verbunden fühlten. Außerdem führte die trotz allem noch vermittelte Bildung zu einem gesellschaftlichem Aufstieg der Missionsschüler, was gleichzeitig zu einer größeren Schichtenbildung innerhalb der afrikanischen Gesellschaften führte, wobei die Trennungslinie oft zwischen den gebildeteren Christen und den ungebildeteren Nichtchristen lag.

Zu betonen ist daneben, dass vor allem in der missionarischen Elementarschulen in hohem Maße auch Schülerinnen unterrichtet wurden. Dies führte laut Gründer einmal dazu, dass die afrikanischen Frauen durch die Bildung eine Aufwertung erfuhren. Daneben hätte dies eine in mehreren Schritten erfolgenden Gleichstellung der Frauen in rechtlichen Fragen eingeleitet.65

In gewissem Gegensatz dazu steht Elfriede Höckners Untersuchung über das Verhältnis zwischen den Lobedu in Osttransvaal, sowie dem dortigen Missionar Friedrich Reuter von der Berliner Missionsgesellschaft.

Sie zeigt auf, dass der Status der Frauen bei den Lobedu nicht so schlecht gewesen sein kann. Dies wird schon daran deutlich, dass seit 1800 die Herrschaft an eine Frau - Modjadji I - ü- berging und das Volk von 1845-1894 von der Regentin Modjadji II regiert wurde. Ihrer Regentschaft schloß sich die von Modjadji III (1896-1959) an. Höckners Untersuchung erstreckt sich dabei auf die Zeit von 1885-1896, in der sich die Europäer das Land der Lobedu aneigneten und basiert auf den Aufzeichnungen Reuters.

Zwar war die Polygamie auch bei den Lobedu gängige Praxis und es existierte die Form des Kaufes von weiblichen Kindern zur späteren Verheiratung. Daneben gab es jedoch auch eine nicht zu unterschätzende Zahl von Jugendlichen, die eine Liebesheirat eingingen. Nach Reuters Ansicht bestand die Aufgabe der Frau darin, eine Gehilfin für den Gatten zu sein. Die Frauen der Lobedu waren nach Höckner dagegen in der Ehe viel emanzipierter, als es den Ansichten des Missionars entsprach. Sie waren durchaus bereit ihren Ehemann zu verlassen, wenn er sie zu unterdrücken versuchte. Reuter dagegen versuchte durch vielfältige Methoden zu verhindern, dass die Frauen ihre Männer verließen.

Auch waren die Frauen keineswegs Besitz der Ehemänner, wie Höckner am Beispiel einer vom Ehemann ermordeten Ehefrau aufzeigt. Dieser bekam vom eigenen Vater einen Strick gereicht, um sich wegen dieser Tat aufzuhängen.66

8. Missionsmethoden

Günther Pakendorf betont, dass die Mission im christlichen Sinne durchaus zweideutig ist, was das Thema Gewalt betrifft. Hierbei bezieht er sich auf Matthäus 10,34 wo es heißt: “Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“67

Im 18. Jahrhundert kam es laut Pakendorf innerhalb der westlichen Gesellschaft zu einer Ver- änderung der Einstellung zur Gewalt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die christlichen Kir- chen. Missionarische Gewalt wird seitdem nach Pakendorf vor allem in Form von Sprache ausgeübt, insbesondere durch die Predigt zur Bekehrung der Afrikaner. Er läßt jedoch nicht unerwähnt, dass auch die Prügelstrafe ein Bestandteil der missionarischen Praxis gewesen ist.68

Dem Mittel der Gewalt bei der Missionierung der Afrikaner mißt Horst Gründer noch größere Bedeutung bei. Er zeigt auf, dass neben der Prügelstrafe als Erziehungsmethode69 christliche Missionen auch Verantwortung trugen für militärische Expeditionen.70 Dass Missionsgesellschaften die Anwendung von Gewalt nicht nur tolerierten, sondern sogar befürworteten, zeigt Gründer unter anderem am Beispiel der Basler Mission in Kamerun im Zusammenhang mit deutschen Gewaltmaßnahmen gegenüber den Bakwiri (1891) und den Bakoko (1892), auf.71

Doch nicht nur Protestanten, auch Katholiken waren teilweise sogar aktiv an der Unterjo- chung von Häuptlingen beteiligt und unterstützten zum Beispiel die Gewaltmaßnahmen ge- genüber den Bakoko und den Bulu (1899), sowie den für seine Folterungen berüchtigten Kanzler Leist.72

Die Ursache für die von Missionaren befürwortete Prügelstrafe sieht Gründer in der Vorstel- lung, dass Gott Afrika züchtigen wolle. Diese Vorstellung resultiere aus der „Ham - Theorie“, welche Bezug nimmt auf das Erste Buch Mose 9,25 wo es heißt: “...Verflucht sei Kanaan. / Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern.“73 74

Die Missionarstätigkeit bestand auch in der Erziehung der Afrikanischen Bevölkerung zur Arbeit.75

Dabei ist es wohl, zumindest auf Deutsch-Ostafrika bezogen, in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert innerhalb der Missionen zu einer veränderten Einstellung gekommen, in welcher Form die Afrikaner arbeiten sollten. Um 1900 soll laut Sippel bei ihnen die Tendenz vorge- herrscht haben, die Afrikaner nicht länger durch Zwang zur Arbeit auf Plantagen zu rekrutie- ren. Diese Ansicht führte zu Auseinandersetzungen zwischen den Missionsgesellschaften ei- nerseits und den Plantagenbesitzern und der Kolonialverwaltung andererseits. Das Ergebnis waren die Arbeiter- und Anwerbeverordnungen vom 27.02.1909, welche eine gesetzliche Grundlage für die Beschäftigung von afrikanischen Arbeitern schufen. Hierfür wurde ein Distriktskommissar eingesetzt, der die Einhaltung der Verordnung vom 27.02.1909 überwa- chen sollte. Teilweise wurden dabei auch christliche Missionen zur Rechenschaft gezogen, die sich auf ihren missionseigenen Plantagen nicht an die Verordnung hielten.76

Ebenso wie Pakendorf den Missionen als Gesamtheit eine ambivalente Beziehung zur Gewalt konstatiert, tut dies auch Harald Sippel bezogen auf die christlichen Missionare in Deutsch - Ostafrika. Insbesondere bestimmte Bereiche des staatlichen Gewaltmonopols, wie Gerichtswesen und Polizei auf ihren Missionsstationen, haben die Missionen versucht für sich zu beanspruchen. Sie wollten damit wohl die afrikanischen Missionsangehörigen in einem Abhängigkeitsverhältnis halten. Die Versuche der Missionen wurden jedoch von der Kolonialverwaltung in zunehmendem Maße zurückgewiesen.77

Die Missionare hatten laut Sippel einmal das Ziel, dass Evangelium zu verkünden. Daneben sahen sie sich auch als Anwälte der Afrikanischen Bevölkerung. Sippel vertritt die Ansicht, dass diese Anwaltsfunktion durchaus ausgeübt wurde, jedoch abhängig war von den Zielen der Missionare. Wo die Interessen der Missionare tangiert waren, seien die Missionen auch durchaus bereit gewesen, zur Erreichung ihrer Ziele Gewalt gegen die Afrikaner anzuwen- den.78

9. Die Bewertung der Missionare durch die indigene Bevölkerung

Die indigene Bevölkerung sah oftmals keinen Unterschied zwischen Kolonisation und Missi- on. Ursache hierfür ist das in der Regel aufeinanderfolgende Auftreten von Missionaren und Kolonisatoren. Hinzu kommt der bereits erwähnte Umstand, dass die Missionare anfangs zugleich Glaubensvermittler als auch Vertreter des Kolonialstaates waren. Die afrikanische Bevölkerung sah in der Mission deshalb oft die rituelle und ideologische Stütze für den Impe- rialismus.79

Sowohl für die traditionellen religiösen Machthaber (Zauberer und Medizinmänner) als auch für die politischen Führer (Häuptlinge) muß das Vordringen der Missionare oft als eine Be- drohung ihrer angestammten Rolle in der afrikanischen Sozialgesellschaft aufgefaßt worden sein.80

Die Bewertung der Missionare durch den einzelnen Afrikaner war sicherlich beeinflußt von seinem bisherigen Status in der Gesellschaft. Insbesondere wenn er bisher eher ein Außensei- terrolle eingenommen hatte, waren die Angebote der Missionare verlockend; bot sich ihm bei ihnen doch die Möglichkeit, seinen bisherigen Status zu überwinden und innerhalb der christ- lichen Gemeinschaft einen sozialen Aufstieg zu erlangen (z. B. durch die Ausbildung zu Prie- ster oder Lehrer).81

Die Voraussetzung dafür war jedoch aufgrund der christlichen Wertmaßstäbe oftmals der Bruch mit der eigenen Herkunft und der damit verbundenen Gefahr der Entwurzelung sowie sozialer Konflikte.82

10. Schluß

Die anfangs aufgeworfenen Fragen, inwieweit Mission und Kolonialismus miteinander verknüpft waren und welche Intentionen die deutschen Missionare dazu trieb, Missionsarbeit in Afrika zu betreiben, harren einer abschließenden Beantwortung und Bewertung. Meines Erachtens ist aus dem vorliegenden Material deutlich geworden, dass die deutschen Missionare eine enge Bindung mit dem Kolonialstaat eingegangen sind und ihm oftmals geradezu eine Legitimation für den Kolonialismus geliefert haben.

Die Missionare waren typische Deutsche, die ihre Wertmaßstäbe und Kulturvorstellungen auf die afrikanische Gesellschaft zu übertragen versuchten, da diese ihrer Ansicht nach den afrikanischen bei weitem überlegen seien. Dies scheint jedenfalls für die Mehrzahl der Missionare gegolten zu haben, auch wenn es einige wenige wie z. B. Friedrich Michael Zahn gab, die der Kulturmission ablehnend gegenüberstanden.

Die Gründe für die Missionare missionarisch tätig zu werden waren vielfältiger Natur. Einerseits spielte sicherlich bei vielen der Wunsch eine entscheidende Rolle, das Christentum über den gesamten Erdball zu verbreiten. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist hierbei meines Erachtens der pietistische Hintergrund vieler Missionare und die damit verbundenen religiösen Vorstellungen. Daneben ist aber auch zu bedenken, dass die Missionsarbeit für viele junge Erwachsene eine Möglichkeit bot, den gesellschaftlichen Zwängen in der Heimat zu entkommen und sich eine (neue) Existenz aufzubauen.

Was die Bestrebungen der Missionare betrifft, sich für die Interessen der indigenen Bevölke- rung einzusetzen, ist erkennbar geworden, dass die Ausübung der weiteren Missionstätigkeit oftmals über allem stand. Wo die Gefahr bestand, dass sie eingeschränkt werden könnte, wur- de oft Stillschweigen bewahrt, wenn auch die Verhältnisse ein Eingreifen erfordert hätten. Jedoch hat die Mission nicht nur negative Begleiterscheinungen gehabt. Ärztliche Versor- gung, Missionsschulen, der Kampf gegen die Sklaverei, all diese Faktoren haben, wenn sie auch oftmals zumindest teilweise egoistischen Motiven entsprangen, durchaus zu einem Fort- schritt der afrikanischen Gesellschaften geführt. Trotzdem rechtfertigen all diese positiven Begleiterscheinungen in keiner Weise die Versuche, anderen Völkern die eigenen religiösen und kulturellen Vorstellungen aufzuzwingen, auch wenn diese Völker sonst in einem ver- meintlich minderwertigen Zustand verharren sollten.

Literaturverzeichnis

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[...]


1 Zit. nach: Horst Gründer (Hg.), ...da und dort ein junges Deutschland gründen. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 257.

2 Werner Ustorf, Christliche Mission, Stammesgesellschaften und Ökologie, in: Peter E. Stüben (Hg.), Seelenfischer. Mission, Stammesvölker und Ökologie, Gießen 1994, S. 241.

3 Ebd., S. 241-242.

4 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel. Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, Das Evangelium nach Matthäus, Stuttgart 1980, S. 1127.

5 Werner Ustorf, Christliche Mission, Stammesgesellschaften und Ökologie, S. 241.

6 Ebd., S. 241-242.

7 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Das Evangelium nach Lukas, S. 1160.

8 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884 - 1917) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, S. 321.

9 Ebd., S. 322.

10 Johannes Lucas de Vries, Namibia. Mission und Politik (1880 - 1918), Der Einfluß des deutschen Kolonialismus auf die Missionsarbeit der Rheinischen Missionsgesellschaft im früheren Deutsch - Südwestafrika, Neukirch - Vluyn 1980, S. 58.

11 Thomas Martin Schneider, Kirchengeschichte. Der Pietismus, in: Einführung in das Studium der Evangelischen Theologie, Stuttgart/Berlin/Köln 1999, S. 195.

12 Ebd., S. 194-195.

13 Thomas Martin Schneider, Kirchengeschichte. Die Aufklärung, in: Einführung in das Studium der Evangelischen Theologie, Stuttgart 1999, S. 196.

14 Hans Joachim Störig, Weltgeschichte der Philosophie, Stuttgart/Berlin/Köln 161995, S.414.

15 Vgl. ebd., S. 409-417.

16 Vgl. Harald Sippel, Mission und Gewalt in Deutsch-Ostafrika. Das Verhältnis zwischen Mission und Koloni- alverwaltung, in: Ulrich van der Heyden (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Mission mit Ge- walt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792-1918/19, Stuttgart 2000, S. 533-534.

17 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 27.

18 Ebd., S. 21-22.

19 Ebd., S. 27-28.

20 Ebd., S. 22-23.

21 Ebd., S. 28-30.

22 Ebd., S. 30-31.

23 Ebd., S. 22.

24 Ebd., S. 220-223.

25 Ebd., S. 44.

26 Ebd., S. 40.

27 Ebd., S. 36-37.

28 Ebd., S. 32-46.

29 Werner Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten. Von der Reformation bis zur Weltmissionskonferenz 1910, Bad Liebenzell 1990, S. 278-283.

30 Bertelsmann Lexikon Geschichte, Gütersloh 1996, S. 461.

31 Heinrich Berger, Mission und Kolonialpolitik. Die katholische Mission in Kamerun während der deutschen Kolonialzeit, Immensee 1978, S. 25-29.

32 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 325.

33 Ebd., S. 114.

34 Horst Gründer, Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Gütersloh 1992,

S. 569-570.

35 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 19.

36 Horst Gründer, Welteroberung und Christentum, S. 568-569.

37 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Der Brief an die Römer, S. 1276.

38 Horst Gründer (Hg.), ...da und dort ein junges Deutschland gründen. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 224.

39 Vgl. Adja° Paulin Oloukpona-Yinnon, Die Bremer Mission und der Tové-Aufstand von 1895 in Togo, in: Ulrich van der Heyden (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Mission mit Gewalt und die Aus- breitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792-1918/19, Stuttgart 2000, S. 481-487.

40 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 326.

41 Ebd., S. 336.

42 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Das Evangelium nach Lukas, S. 1156.

43 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 336-337.

44 Ebd., S. 340.

45 Ebd., S. 29.

46 Gunther Pakendorf, Mission als Gewalt. Die Missionsordnung im 19. Jahrhundert, in: Ulrich van der Heyden (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Mission mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792-1918/19, Stuttgart 2000, S. 244.

47 Ebd., S. 338.

48 Elfriede Höckner, Monogamie contra Polygamie. Strukturelle Gewalt im Kontext sozialer Beziehungen, in: Ulrich van der Heyden (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Mission mit Gewalt und die Aus- breitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792-1918/19, Stuttgart 2000, S. 225, 233-235.

49 Horst Gründer, Welteroberung und Christentum, S. 574-575.

50 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 348.

51 Ebd., S. 349.

52 Vgl. ebd., S. 350.

53 Vgl. ebd., S. 142-144.

54 Ebd., S. 153.

55 Ebd., S. 351-352.

56 Vgl. Werner Ustorf, Christliche Mission, Stammesgesellschaften und Ökologie, S. 236.

57 Vgl. Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 352-356.

58 Ebd., S. 357-358.

59 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Der erste Brief an die Korinther, S. 1286.

60 Boubacar Barry, Der Negersklavenhandel vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in: Heinrich Pleticha (Hg.), Weltgeschichte in 12 Bänden, Band 9, Gütersloh 1996, S. 306-316.

61 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 362-363.

62 Horst Gründer, Welteroberung und Christentum, S. 580.

63 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 363.

64 Ebd., S. 366.

65 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 364-368.

66 Elfriede Höckner, Monogamie contra Polygamie, S. 225-233.

67 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Das Evangelium des Matthäus, S. 1099.

68 Gunther Pakendorf, Mission als Gewalt, S.238-247.

69 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 339-340.

70 Ebd., S. 327.

71 Vgl. Ebd., S. 140-141.

72 Vgl. Ebd., S. 154-155.

73 Katholische Bibelanstalt (Hg.), Die Bibel, Das Buch Genesis, S. 13.

74 Ham ist der Vater Kanaans.

75 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 332.

76 Harald Sippel, Mission und Gewalt in Deutsch-Ostafrika, S. 535-537.

77 Ebd., S. 529-531.

78 Ebd., S. 538.

79 Horst Gründer, Christliche Mission und deutscher Imperialismus, S. 328.

80 Vgl. ebd., S. 351-352.

81 Vgl. Horst Gründer, Welteroberung und Christentum, S. 581-582.

82 Vgl. Elfriede Höckner, Monogamie contra Polygamie, S. 225-235.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Missionare und Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich
Université
University of Bremen
Auteur
Année
2001
Pages
22
N° de catalogue
V106543
ISBN (ebook)
9783640048229
Taille d'un fichier
429 KB
Langue
allemand
Annotations
Leicht korrigierte Fassung
Mots clés
Missionare, Kolonialismus, Deutschen, Kaiserreich
Citation du texte
André Freese (Auteur), 2001, Missionare und Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106543

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